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Wenn’s mal wieder laut wird… – So gelingt der Umgang mit der Wut

Im alltäglichen Familientrubel kann es schnell hitzig werden. Wenn die Wut hochkocht, braucht es starke Nerven. Psychotherapeutin Melanie Schüer gibt Tipps, was Eltern und Kindern hilft.

Knallende Türen, lautes Geschimpfe und jede Menge Tränen – dass die Wut immer mal wieder hoch- bzw. auch überkocht, kennen wohl alle Familien. Und das ist auch ganz nachvollziehbar. Denn Kinder zu erziehen, nebenbei den Haushalt zu führen, den Familienalltag zu organisieren und womöglich auch noch zu arbeiten – das ist Schwerstarbeit und oftmals eine Überforderung. Schlafmangel, ständige Infekte, ein übervoller Terminkalender, riesige Wäscheberge und viele weitere Herausforderungen im Leben mit Kindern zerren einfach an den Nerven. Dass Eltern da immer mal wieder die Geduld verlieren und lauter werden, als sie eigentlich wollen, ist verständlich.

Anschreien ist fast wie körperliche Gewalt

Was, wenn im Affekt dann sogar die Hand ausrutscht? Dann fühlen sich die meisten Eltern sehr schnell sehr schlecht, und das ist gut so! Denn auch wenn wir alle nicht perfekt sind und einzelne Fehler uns nicht gleich zu schlechten Eltern machen – körperliche Gewalt ist ein No-Go. Zahlreiche Studien zeigen, wie schädlich es für Kinder ist, wenn sie mit Gewalt erzogen werden. Übrigens: Studien zeigen zudem, dass regelmäßiges Anschreien sich auf Kinder genauso negativ auswirkt. Beides schadet der psychischen Gesundheit und der Entwicklung von sozialen Fähigkeiten ganz enorm. Schreien ist verbale Gewalt und damit genauso schwerwiegend wie ein Klaps.

Das bedeutet natürlich nicht, dass es mit der glücklichen Kindheit vorbei ist, wenn Papa oder Mama mal die Sicherung durchbrennt. Aber: Körperliche und verbale Gewalt sollten wir als Eltern beide niemals als „normal“ ansehen.

Schadensbegrenzung im Worst Case

Stattdessen gilt, wenn wir eine solche Grenze überschritten haben:

  • sich kurz Ruhe gönnen, tief durchatmen
  • sich bei dem Kind entschuldigen: „Es tut mir leid! Ich hätte dich nicht anschreien/hauen dürfen. Entschuldige bitte.“
  • Überlegen, was der Auslöser war und, wie die Ruhe zukünftig besser gewahrt werden kann. Oft ist es wichtig, sich mehr Ruhepausen zu organisieren, z.B. mithilfe von Familienpaten oder Projekten wie „wellcome“ mit Kindern im ersten Lebensjahr (wellcome-online.de)
  • Wenn die Wut immer wieder mit einem durchgeht: Unterstützung holen, z.B. von einer Erziehungsberatungsstelle (dajeb.de)

Durch ein solches Verhalten bringen wir unseren Kindern etwas Wichtiges bei: Fehlerfreundlichkeit. Sie sehen an unserem Beispiel, wie man Fehler zugeben und an sich arbeiten kann. Und das hilft auch ihnen selbst, einen guten Umgang mit den eigenen Emotionen und Schwächen im Verhalten zu erlernen.

Wenn die Wut kommt: Tools für den Umgang

  • Eine Hand auf den Bauch legen und tief in den Bauch einatmen, kurz die Luft anhalten, dann langsam und ausgiebig ausatmen. Das 5 Mal wiederholen.
  • Beobachten, was sich in unseren Gefühlen und unserer Körperwahrnehmung verändert, wenn der Ärger wächst, z.B. Hitze, Herzrasen, Anspannen der Muskeln, etc., um zu erkennen, wann es gefährlich wird.
  • Sich ein Codewort überlegen, das man sich innerlich als Stopp-Signal sagt, wenn die Wut stärker wird, z.B.: „Stopp, bleib ruhig, es geht vorbei!“
  • Kurz die Situation unterbrechen und Gegen-Reize setzen, z.B. mit einem Glas Wasser, dem Öffnen des Fensters für etwas frische Luft oder kaltem Wasser, das man sich über die Handgelenke laufen lässt.

Und was ist mit Kinder-Wut?

Dass wir Erwachsenen gut mit Wut umgehen lernen, ist die Basis für ein entspanntes Familienleben, denn Kinder orientieren sich am Verhalten ihrer Eltern. Doch auch Frust und Ärger der Kleinen kann uns im Alltag ziemlich herausfordern – besonders in der Autonomiephase (oft auch „Trotzphase“ genannt) zwischen ca. zwei und sechs Jahren. In diesem Alter spüren die Kleinen ganz besonders stark ihren eigenen Willen. Gleichzeitig ist ihr Gehirn noch nicht so weit entwickelt, als dass sie sich in andere hineinversetzen könnten. Das heißt, sie nehmen intensiv wahr, was sie wollen und verstehen noch nicht, warum andere manchmal ganz andere Bedürfnisse haben. Da sind Wutanfälle vorprogrammiert! Hinzu kommt, dass die Kleinen noch kaum Selbstkontrolle haben: Ruhig bleiben, obwohl die Wut hochkocht ist ohne diese Fähigkeit kaum möglich und so ist es normal, dass Kinder besonders in diesem Alter oft “ausrasten”. Helfen kann dann:

  • Selbst ruhig bleiben und sich erinnern: Mein Kind macht das nicht absichtlich! Es ist gerade überfordert von seinen Gefühlen.
  • Auf Augenhöhe gehen, das Kind freundlich ansprechen, Kontakt herstellen: „Hey, ich bin da!“
  • Die Gefühle, die du bei deinem Kind wahrnimmst, in Worte fassen: „Ich sehe, du bist gerade ziemlich wütend, oder?“ Das zeigt deinem Kind, dass es nicht allein ist und hilft ihm, nach und nach zu lernen, die Wut selbst zu erkennen und zu verbalisieren.
  • Kompromisse und Wahlmöglichkeiten anbieten, um den Wunsch des Kindes nach Autonomie ernst zu nehmen, z.B.: „Wir können jetzt kein Kleid anziehen, aber du kannst zwischen diesen Hosen auswählen!“
  • Techniken zeigen, die helfen, die Wut zu kanalisieren, z.B.: „Komm, wir boxen die ganz Wut jetzt in die Kissen!“ oder „Wir stampfen die Wut jetzt in den Boden, bis es uns besser geht!“

Miteinander statt gegeneinander

Wir haben wohl alle diesen Traum von einem harmonischen, glücklichen Familienleben. Und doch ist es normal, dass der Alltag oft chaotischer, anstrengender und konfliktreicher aussieht. Auch wir Eltern haben Bedürfnisse und Grenzen, die wir auch formulieren sollten. Gerade Gespräche, in denen wir respektvoll mit unseren Kindern reflektieren, was im Streit schiefgelaufen ist und wie es besser gehen kann, stärken die sozialen Fähigkeiten unserer Kinder sehr. Das Wichtigste ist unsere Grundhaltung: Wir leben nicht gegeneinander, sondern miteinander. Nicht „wir gegeneinander“, sondern „wir gemeinsam gegen die Probleme“.

Melanie Schüer Psychotherapeutin für Kinder und Jugendliche und Autorin.

Vergiftete Liebe

Zuerst hing der Himmel voller Geigen, doch dann entpuppte sich die große Liebe als Albtraum. Wie Leonie Hoffmann nach einer furchtbaren Erfahrung innere Freiheit gefunden hat, beschreibt sie hier.

Nicht alles, was sich richtig anfühlt, ist auch das Richtige! Das musste ich auf die harte Tour erfahren. Das, was Menschen Liebe nennen, kann die schönste, aber auch die zerstörerischste Macht des Universums sein. Gerade hatte ich mein Abitur abgeschlossen und war beflügelt von einem nie da gewesenen Freiheitsgefühl. In dieser Zeit lernte ich ihn kennen. Ihn, der mir diese große Freiheit mit all ihren Möglichkeiten innerhalb weniger Monate wieder nahm – und beinahe mein junges Leben.

Ich traf ihn auf einer Sommerparty in meiner Heimatstadt: Alex. Dieser Mann gab mir alles, wonach sich mein junges Herz gesehnt hatte. Tiefe Liebe – und das Gefühl, etwas ganz Besonderes zu sein. Die ersten Monate mit ihm schwebte ich im siebten Himmel. Ich glaubte, in ihm tatsächlich den Richtigen gefunden zu haben.

Rasend vor Eifersucht

Seine „abgöttische Liebe“ zu mir hatte jedoch eine unangenehme Begleiterscheinung. Was ich anfangs als schmeichelhaftes Nähebedürfnis interpretierte, entwickelte sich zunehmend zu einer besitzergreifenden Eifersucht. Wenn mein Blick zufällig den eines anderen Mannes streifte, konnte dieses „Vergehen“ ausreichen, um einen schönen Abend in hitzigen und tränenreichen Diskussionen enden zu lassen. Irgendwann waren es nicht nur andere Männer, auf die er eifersüchtig war, sondern auch Gott. Tatsächlich war seine Eifersucht auf Gott die einzige berechtigte. Denn ja, ich liebte Jesus – sehr sogar! Schon als Teenagerin hatte ich ihm mein Leben gegeben.

Mit der Zeit rutschte ich, ohne es zu merken, immer tiefer in eine emotionale Abhängigkeit von Alex. Denn er schaffte beides: meine tiefe Sehnsucht nach Liebe und Bestätigung zu stillen und gleichzeitig durch subtile Kritik meine Selbstzweifel zu nähren. So wurde ich süchtig nach dem guten Gefühl, das scheinbar nur er mir geben konnte. Ich gab nach und nach alles für ihn auf – sogar meinen Glauben an Gott, von dem Alex mich durch seine Manipulation und esoterischen Lügenkonstrukte bewusst immer weiter entfernte. Er selbst drängelte sich an die Stelle Gottes und ich wurde ihm hörig.
In einer Nacht-und-Nebel-Aktion zog ich nach nur drei Monaten Beziehung in seine spärlich eingerichtete Wohnung. Er sagte, es sei die einzige Chance, unsere Beziehung zu retten, nachdem ich mit einer Lappalie „sein Vertrauen endgültig zerstört“ hatte. Um mir wieder vertrauen zu können, wollte er mich eine Zeit lang kontrollieren – und ich ließ mich darauf ein. Denn der Gedanke, ihn sonst zu verlieren, versetzte mich in blanke Panik.

Vom Traummann zum Monster

Ein paar Tage später eskalierte die Situation zum ersten Mal bei einem seiner nun täglichen Verhöre. Er war der festen Überzeugung, ich hätte in meinem gerade begonnenen Studium einen anderen Mann kennengelernt. „Sag mir endlich die Wahrheit!“, schrie Alex mich immer wieder an. Seine Augen waren weit aufgerissen, eisblau und eiskalt. Dieselben Augen, in denen ich früher so viel bedingungslose Liebe gesehen hatte. Zunächst packte er mich nur fest an den Schultern und drückte mich gegen die Wand. Dann schlug er mir mit der flachen Hand ins Gesicht. Dann noch mal. Und noch mal. Immer fester. Schließlich ballte er seine Hand zur Faust. In meinem Kopf begann es zu hämmern.

Irgendwann ließ er von mir ab und brach in Tränen aus – scheinbar entsetzt über sich selbst. Nach wenigen Augenblicken kehrte jedoch die Anklage zurück: „Du hast dieses Monster aus mir gemacht! Das gerade wäre niemals passiert, wenn du ehrlich zu mir gewesen wärst! Ich bin zu so etwas nur fähig, weil ich dich unendlich liebe.“ Damit hatte er mich. Vielleicht habe ich es ja verdient, so behandelt zu werden?, fragte ich mich. Vielleicht liebt er mich tatsächlich mehr als ich ihn – wenn ich ihn so zum Ausrasten bringen kann?
Heute weiß ich, dass nichts davon wahr ist. Nichts, gar nichts rechtfertigt Gewalt in einer Beziehung. Damals zog ich es dennoch ernsthaft in Erwägung. Eine Tatsache, die mich im Nachhinein schockiert – genauso wie der Umstand, dass sich meine Gefühle für diesen Mann offensichtlich nicht totschlagen ließen. So traf ich die größte Fehlentscheidung meines Lebens: Ich blieb. Monate später sagte mir meine Therapeutin: „Wenn man nach dem ersten Schlag nicht geht, geht man auch nicht nach dem zweiten oder dritten.“ Das ist die traurige Wahrheit.

Zwischen Küssen und Schlägen

Die sechs Monate zwischen dem ersten und dem letzten Schlag vermischen sich in meiner Erinnerung zu einer zähen grauen Masse. Meine beängstigende Erkenntnis aus dieser Zeit: Man gewöhnt sich an alles. Erschreckenderweise gab es zwischendurch sogar Momente, in denen es mir gelang, mich so in den Augenblick zu versenken und alles andere auszublenden, sodass unsere „Liebe“ die einzige Realität war. Der ganze Horror schien dann unwirklich. Es waren jene Momente, in denen ich sein wahres Ich wiederzuerkennen glaubte, den Mann, der „die Liebe meines Lebens“ war. Immer noch. In diesen Momenten fühlte ich mich darin bestätigt, dass er „eigentlich ja ganz anders“ war. Doch die Hände, die mich eben noch so zärtlich streichelten, konnten sich jederzeit wieder zu Fäusten ballen und brutal auf mich einschlagen. Es passierte. Immer wieder. In immer kürzeren Abständen.

Im Gefängnis seiner Liebe

Das alles ist zwölf Jahre her. Wie oft habe ich seitdem an diese Zeit zurückgedacht und mir immer wieder dieselbe Frage gestellt: „Wie konntest du nur? Wie konntest du nur – so dumm, so verblendet, so schwach sein, dass du dir von einem Mann alles hast nehmen lassen: deine Freiheit, deine Familie, deine Träume, deine Freunde, deinen Glauben und beinahe dein Leben?“

Mittlerweile habe ich meine Antwort gefunden. Ich konnte mir alles nehmen lassen, weil ich eigentlich alles hatte – außer einem gesunden Selbstvertrauen. Ich sehnte mich nach einem Partner, der mir genau das geben könnte – der mich sehen und erkennen würde, wie ich wirklich war, und mich genauso lieben würde. Und dann traf ich ihn und hielt viel zu lange daran fest, dass er tatsächlich „mein wahrer Seelenverwandter“ war.
Das Ende dieser Schreckenszeit kam dann wie ein Wunder: Es war Karfreitag. Alex hatte mir erlaubt, den Fernseher anzuschalten, und es lief „Ben Hur“ mit der Kreuzigungsszene Jesu. Die Karfreitags-Tradition meiner Familie! Seit Monaten hielt Alex mich inzwischen in seiner Wohnung gefangen und hatte mir alle Kontaktmöglichkeiten zur Außenwelt genommen. Ich ging ins Bad und schaute durch das kleine Dachfenster in den strahlenden Frühlingshimmel. Er wirkte friedlich und gleichzeitig erschreckend leer. Ich wagte seit Langem wieder ein Gebet an den Gott der Bibel: „Gott, wenn du mich mittlerweile nicht ganz abgeschrieben hast, dann bitte hole mich hier raus, und ich will dir mein Leben lang dienen!“ Wenig später klingelte es. Nach allen gescheiterten Rettungsversuchen standen sie noch einmal vor unserer Wohnungstür: meine Eltern. Ich weiß nicht warum, aber an diesem Tag stand die Haustür sperrangelweit offen, sodass sie bis zur Wohnungstür kommen konnten. Alex drohte mir mit einem Besenstil und befahl mir, leise zu sein. Sie sollten denken, niemand sei zu Hause. Dann schubste er mich ins Schlafzimmer und schlug auf mich ein. Meine Eltern hörten, dass wir da waren. „Wir wollen euch nur zu einem Eis einladen und reden“, sagte mein Vater in unfassbarer Sanftmut. Da platzte Alex der Kragen. Er ließ von mir ab, riss die Wohnungstür auf und ging auf meine Mutter los. Ich rannte ihm hinterher.
Mein Vater gab mir mit einem Blick zu verstehen, dass ich diesen kurzen Augenblick, in dem die Tür offen war, nutzen sollte. Während er zwischen Alex und meine Mutter ging, drängelte ich mich an ihnen vorbei. In die Freiheit. Meine Eltern eilten hinterher. „Wenn du jetzt gehst, siehst du mich nie wieder!“, rief Alex mir nach. Was früher seine schlimmste Drohung war, wurde nun zur Befreiung. Ostern verbrachte ich mit meiner Familie. Die Sonne schien. Die Welt blühte. Und wir feierten nicht nur Jesu Auferstehung von den Toten.
Nun war ich zwar körperlich wieder frei, aber der Weg in die innere Freiheit sollte noch ein langer werden. Viele Therapie- und Seelsorgegespräche, Gebete und die fürsorgliche Liebe meiner Familie und meiner Freunde halfen mir Schritt für Schritt beim Wiederaufbau meines Lebens.

Was mich mein dunkelstes Kapitel gelehrt hat

Ich habe erlebt, dass es wirklich nichts gibt, was Gott nicht wiederherstellen könnte – egal, ob es ein noch so geschundenes Herz oder eine abgebrochene Beziehung zu ihm ist. Es hat sich für mich bestätigt, was Jesus über die Freiheit sagt: nämlich, dass es die Wahrheit ist, die frei macht (vgl. Johannes 8,32). Konkret: die Wahrheit über uns selbst. Die Wahrheit über unsere Beziehung und die Wahrheit über den (Ex-)Partner, der sich allen wilden Hoffnungen und Versprechungen zum Trotz nicht einfach ändert und der genauso wenig einfach aufhören wird, gewalttätig zu sein, wenn die Abwärtsspirale der Gewalt erst einmal begonnen hat. Ich will nicht ausschließen, dass Gott dieses Wunder vollbringen kann, aber in diesem Fall würde ich tatsächlich davon abraten, fest mit einem solchen zu kalkulieren!

Aber vor allem ist es die Wahrheit über meinen gottgegebenen Wert und meine Würde, die mich freigemacht hat – auch von der Angst, noch einmal in so eine zerstörerische Abhängigkeit geraten zu können.
Heute ist mein Leben schöner, als ich es mir jemals hätte erträumen können. Gott hat mich zurück ins Leben und in die Freiheit geführt – eine Freiheit, die nirgendwo sonst zu finden ist. So habe ich die befreiende Kraft der Vergebung erfahren und inzwischen nicht nur mir selbst, sondern auch Alex von ganzem Herzen vergeben können, auch wenn ich keinerlei Kontakt mehr zu ihm möchte. Ich kann wieder unbeschwert leben – sogar lieben und vertrauen, was ich niemals für möglich gehalten hätte.
Mein Tipp an Betroffene ist so simpel wie schwer: Bitte brecht das Schweigen und holt euch Hilfe, solange es noch möglich ist! Kämpft euch zurück in die Freiheit, die euch zusteht und für die ihr geboren wurdet, erinnert euch an euren gottgegebenen Wert und eure unantastbare Würde, die euch nichts und niemand nehmen darf, und glaubt den Worten Gottes, der sagt: „Bei mir gibt es keine hoffnungslosen Fälle!“
Und allen Angehörigen möchte ich ans Herz legen: Egal, wie fremd die Tochter, Mutter, Freundin, Schwester auch erscheint, gebt niemals auf und versucht unbedingt, den Kontakt aufrechtzuerhalten. Haltet ihr keine belehrenden Vorträge und macht ihr keine Vorwürfe, denn das tut sie selbst ohnehin schon genug. Zeigt ihr vielmehr, dass es wirklich bedingungslose Liebe gibt – und dass offene Arme auf sie warten, wenn sie es wagt, sich aus den zerstörerischen Armen zu lösen.

Leonie Hoffmann ist ein Pseudonym. Die vollständige Geschichte und ausführliche und konkrete Tipps für Betroffene und Angehörige sind im Buch „ÜberWunden“ aufgeschrieben, das im Verlag Gerth Medien erschienen ist.

„Ballte seine Hand zur Faust“: Leonies Traummann wird ihr Albtraum

Schläge, Verbote und Misstrauen bestimmen ein halbes Jahr lang die Beziehung von Buchautorin Leonie Hoffmann*. Dann kann sie wie durch ein Wunder fliehen.

Gerade hatte ich mein Abitur abgeschlossen und war beflügelt von einem nie da gewesenen Freiheitsgefühl. In dieser Zeit lernte ich ihn kennen. Ihn, der mir diese große Freiheit mit all ihren Möglichkeiten innerhalb weniger Monate wieder nahm – und beinahe mein junges Leben.

Ich traf ihn auf einer Sommerparty in meiner Heimatstadt: Alex. Dieser Mann gab mir alles, wonach sich mein junges Herz gesehnt hatte: tiefe Liebe und das Gefühl, etwas ganz Besonderes zu sein. Die ersten Monate mit ihm schwebte ich im siebten Himmel. Ich glaubte, in ihm tatsächlich den Richtigen gefunden zu haben.

Alex wird rasend vor Eifersucht

Seine „abgöttische Liebe“ zu mir hatte jedoch eine unangenehme Begleiterscheinung. Was ich anfangs als schmeichelhaftes Nähebedürfnis interpretierte, entwickelte sich zunehmend zu einer besitzergreifenden Eifersucht. Wenn mein Blick zufällig den eines anderen Mannes streifte, konnte dieses „Vergehen“ ausreichen, um einen schönen Abend in hitzigen und tränenreichen Diskussionen enden zu lassen.

Doch diese zunehmenden kleinen Dramen änderten nichts an meinen großen Gefühlen für Alex. Ich war diesem Mann einfach hoffnungslos verfallen und ohne es zu merken, rutschte ich immer mehr in eine emotionale Abhängigkeit von ihm. Denn Alex schaffte beides: meine tiefe Sehnsucht nach Liebe und Bestätigung zu stillen und gleichzeitig durch subtile Kritik meine ohnehin schon großen Selbstzweifel zu nähren. So wurde ich buchstäblich süchtig nach diesem guten Gefühl, das scheinbar nur er mir geben konnte.

Ein Umzug aus Panik

In einer Nacht-und-Nebel-Aktion zog ich nach nur drei Monaten Beziehung in seine spärlich eingerichtete Wohnung. Alex sagte, dies sei die einzige Chance, unsere Beziehung zu retten, nachdem ich mit einer Lappalie „sein Vertrauen endgültig zerstört habe“. Um mir wieder vertrauen zu können, wollte er mich eine Zeit lang kontrollieren – und ich ließ mich darauf ein. Denn der Gedanke, ihn sonst zu verlieren, versetzte mich in blanke Panik. Außerdem wusste ich ja, dass ich ihm treu war, und hoffte, endlich wieder zu unserem Anfangsglück zurückkehren zu können, wenn er sich auf diese Weise selbst davon überzeugen könnte.

Ein paar Tage später eskalierte die Situation zum ersten Mal bei einem seiner nun täglichen Verhöre. So war Alex der festen Überzeugung, ich hätte in meinem gerade begonnenen Studium einen anderen Mann kennengelernt. „Sag mir endlich die Wahrheit!“, schrie er mich immer wieder an. Seine Augen waren weit aufgerissen. Eisblau und eiskalt. Dieselben Augen, in denen ich früher so viel bedingungslose Liebe gesehen hatte. Zunächst packte er mich nur fest an den Schultern und drückte mich gegen die Wand. Dann schlug er mir mit der flachen Hand ins Gesicht. Dann noch mal. Und noch mal. Immer fester. Schließlich ballte er seine Hand zur Faust. In meinem Kopf begann es zu hämmern.

„Du hast dieses Monster aus mir gemacht“

Irgendwann ließ er von mir ab und brach in Tränen aus – scheinbar entsetzt über sich selbst. Nach wenigen Augenblicken kehrte jedoch die Anklage zurück: „Du hast dieses Monster aus mir gemacht! Das gerade wäre niemals passiert, wenn du einfach immer ehrlich zu mir gewesen wärst. Ich bin zu so etwas doch nur fähig, weil ich dich so unendlich liebe.“ Damit hatte er mich. „Vielleicht habe ich es ja verdient, so behandelt zu werden?“, fragte ich mich: „Vielleicht liebt er mich tatsächlich mehr als ich ihn – wenn ich ihn so zum Ausrasten bringe?“

Heute weiß ich, dass nichts davon wahr ist. Nichts, rein gar nichts rechtfertigt Gewalt in einer Beziehung. Damals zog ich es dennoch ernsthaft in Erwägung. Eine Tatsache, die mich im Nachhinein schockiert. Genauso wie der Umstand, dass sich meine Gefühle für diesen Mann offensichtlich nicht totschlagen ließen. So traf ich die größte Fehlentscheidung meines Lebens: Ich blieb. Monate später sagte mir meine Therapeutin: „Wenn man nach dem ersten Schlag nicht geht, geht man auch nicht nach dem zweiten oder dritten.“ Das ist die traurige Wahrheit. Umso wichtiger ist es deshalb, eindeutige Grenzüberschreitungen in einer Beziehung als solche wahrzunehmen und sich vor Augen zu halten: Auch die scheinbar grenzenloseste Liebe muss Grenzen haben, die niemals überschritten werden dürfen. Denn ist dies erst einmal passiert, gibt es kaum noch einen Weg zurück.

Zwischen Küssen und Schlägen

Die sechs Monate zwischen dem ersten und dem letzten Schlag vermischen sich in meiner Erinnerung zu einer zähen grauen Masse. Meine beängstigende Erkenntnis aus dieser Zeit: Man gewöhnt sich an alles. Erschreckenderweise gab es zwischendurch sogar immer noch Momente, in denen es mir gelang, mich so in den Augenblick zu versenken und alles andere auszublenden, dass unsere „Liebe“ die einzige Realität war. Der ganze Horror schien dann unwirklich. Es waren jene Momente, in denen ich sein „wahres Ich“ wieder zu erkennen glaubte. In diesen Momenten fühlte ich mich darin bestätigt, dass er „ja eigentlich ganz anders“ war.

Ja, noch immer konnte Alex mir das Gefühl geben, ihm alles zu bedeuten, die schönste und tollste Frau der Welt zu sein. In solchen Momenten war es unvorstellbar, dass sich der Schalter jemals wieder umlegen würde. Dass sich die Hände, die mich eben noch so zärtlich streichelten, irgendwann wieder zu Fäusten ballen und brutal auf mich einschlagen würden. Dass mich derselbe Mund, der mich eben noch anstrahlte und liebevoll küsste, irgendwann wieder anschreien, bespucken oder so bestialisch beißen würde, dass Muskeln dabei durchtrennt wurden. Aber es passierte. Immer wieder. In immer kürzeren Abständen. Denn genauso funktioniert die Abwärtsspirale der Gewalt.

„Ich hatte alles – außer Selbstvertrauen“

Ich log meine Eltern und Freunde mehrfach an, ignorierte etliche Nachrichten und Anrufe. Kümmerte mich von heute auf morgen nicht mehr um mein Pflegepferd und gab die Leitung meines Jugendkreises ab. Ich erschien zu einem lange geplanten Konzert meiner Band einfach nicht. Und das alles, weil ich nicht durfte. Ich hatte mehrfach buchstäblich Todesangst in Alex‘ Nähe, aber log lieber zwei Polizisten an, anstatt mit ihnen zu gehen und den ganzen Wahnsinn endlich zu stoppen.

Das alles ist nun zwölf Jahre her. Wie oft habe ich seitdem an diese Zeit zurückgedacht und mir immer wieder dieselbe Frage gestellt: „Wie konntest du nur?“ Mittlerweile habe ich meine Antwort gefunden: Ich konnte mir alles nehmen lassen, weil ich als 19-jährige Abiturientin eigentlich alles hatte – außer einem gesunden Selbstvertrauen. Ich sehnte mich nach einem Partner, der mir genau das geben könnte – der mich sehen und erkennen würde, wie ich wirklich war, und mich genauso lieben würde. Und dann traf ich ihn, der mir nur all das nehmen konnte, weil er mir vorher alles gab. Heute wage ich zu behaupten, dass ausnahmslos jeder in so eine Abhängigkeit geraten kann, der nicht in seiner wahren Identität gefestigt ist und weiß, wer er ist und wie unglaublich viel wert er ist, vor allem in den Augen Gottes.

Der Wendepunkt

Das Ende dieser Schreckenszeit kam dann wie ein Wunder: Es war Karfreitag. Alex hatte mir erlaubt, den Fernseher anzuschalten, und es lief „Ben Hur“. Die Karfreitag-Tradition meiner Familie! Der Gedanke durchbohrte mich, ob ich jemals wieder Ostern mit ihnen feiern würde, ob ich sie überhaupt noch einmal sehen würde. Seit Monaten hielt Alex mich inzwischen in seiner Wohnung gefangen und hatte mir alle Kontaktmöglichkeiten zur Außenwelt genommen. Und endlich hatten die immer mehr eskalierende Gewalt und die immer selteneren schönen Momente die Hoffnung in mir totgeschlagen, dass sich jemals nochmal etwas ändern würde. Ich wollte nur noch weg, doch hatte inzwischen jede Hoffnung auf eine Befreiung aufgegeben. Alle Rettungsversuche meiner Angehörigen waren ins Leere gelaufen, und ich befürchtete, dass sie mittlerweile wirklich glaubten, dass ich den Kontakt nicht mehr wolle – wie Alex es sie durch Nachrichten in meinem Namen immer wieder wissen ließ.

Plötzlich stehen die Eltern vor der Tür

Ich ging ins Bad und schaute durch das kleine Dachfenster in den strahlenden Frühlingshimmel. Er wirkte friedlich und gleichzeitig erschreckend leer. Ich wagte seit Langem wieder ein Gebet zu Gott, dem ich in der Beziehung mit Alex ebenfalls den Rücken gekehrt hatte: „Gott, wenn du mich mittlerweile nicht ganz abgeschrieben hast, dann bitte hole mich hier raus, und ich will dir mein Leben lang dienen!“ Wenig später klingelte es. Nach allen gescheiterten Rettungsversuchen standen sie noch einmal vor unserer Wohnungstür: meine Eltern. Denn warum auch immer stand an diesem Tag die Haustür sperrangelweit offen. Alex drohte mir mit einem Besenstil und befahl mir, leise zu sein. Sie sollten denken, niemand sei zu Hause. Dann schubste er mich ins Schlafzimmer und schlug auf mich ein. Meine Eltern hörten, dass wir da waren. „Wir wollen euch nur zu einem Eis einladen und reden“, sagte mein Vater in unfassbarer Sanftmut. Da platzte Alex der Kragen. Er ließ von mir ab, riss die Wohnungstür auf und ging auf meine Mutter los. Ich rannte ihm hinterher.

Mein Vater gab mir mit einem Blick zu verstehen, dass ich diesen kurzen Augenblick, in dem die Tür offen war, nutzen sollte. Während er zwischen Alex und meine Mutter ging, drängelte ich mich an ihnen vorbei. In die Freiheit. Meine Eltern eilten hinterher. „Wenn du jetzt gehst, siehst du mich nie wieder!“, rief Alex mir nach. Was früher seine schlimmste Drohung war, wurde nun zur Befreiung. Ostern verbrachte ich mit meiner Familie. Die Sonne schien. Die Welt blühte. Und wir feierten nicht nur Jesu Auferstehung von den Toten.

Bis zur Anzeige vergehen Jahre

Nun war ich zwar körperlich wieder frei, aber der Weg in die innere Freiheit sollte noch ein langer werden. Natürlich gab Alex nicht sofort auf. Erst nachdem ich alle Nachrichten von ihm ignorierte und dann mit einer Anzeige drohte, ließ er mich in Ruhe. Aufgrund von Alex‘ massiven Morddrohungen zeigte ich ihn nicht sofort an. Nach Monaten in permanenter Angst hatte ich einfach keine Kraft mehr.

Doch als ich eineinhalb Jahre später erfuhr, dass eine andere Frau in der Beziehung mit Alex ebenfalls Opfer von Gewalt wurde, wagten wir gemeinsam diesen Schritt. Er wurde verurteilt und saß jahrelang in einer geschlossenen forensischen Klinik ein.

Brecht das Schweigen!

Heute ist mein Leben schöner, als ich es mir jemals hätte erträumen können. Gott hat mich zurück ins Leben und in die Freiheit geführt – eine Freiheit, die nirgendwo sonst zu finden ist. So habe ich die befreiende Kraft der Vergebung erfahren und inzwischen nicht nur mir selbst, sondern auch Alex von ganzem Herzen vergeben können, auch wenn ich keinerlei Kontakt mehr zu ihm möchte. Ich kann wieder unbeschwert leben – sogar lieben und vertrauen, was ich niemals für möglich gehalten hätte.

Mein Tipp an Betroffene ist so simple wie schwer: Bitte brecht das Schweigen und holt euch Hilfe, solange es noch möglich ist! Kämpft euch zurück in die Freiheit, die euch zusteht und für die ihr geboren wurdet, erinnert euch an euren Wert und eure unantastbare Würde, die euch nichts und niemand nehmen darf.

*Leonie Hoffmann ist ein Pseudonym. Die vollständige Geschichte ist im Buch „ÜberWunden“ (Gerth Medien) aufgeschrieben. Teile des Artikels erschienen zuerst in der Zeitschrift LYDIA 2/19.

Auf das Loslassen kann man sich nicht vorbereiten

Wie eine alleinerziehende Mutter die Herausforderung meistert. Ein ehrlicher Bericht.

Mein Kind ist groß und ich lass los. – Das ist schön gereimt und hört sich einfach an. Ich dachte immer, ich hätte mich schon sehr früh darauf vorbereitet, dass mein Sohn irgendwann ein eigenes und selbstständiges Leben führen wird und ich ihn dann loslassen muss. Aber es kam anders. Und überhaupt lief das mit Familie nicht so, wie ich es mir vorgestellt hatte.

Scheidungskind

Ich bin das Kind einer alleinerziehenden Mutter. Ich habe zwei Geschwister. Mein Vater ist Afrikaner, und wir lebten bis zu meinem elften Lebensjahr in seinem Heimatland. Unser Alltag war geprägt vom Bürgerkrieg und der Gewalt und den Missbrauch durch meinen Vater. Anfang der 80er-Jahre gelang meiner Mutter, die Deutsche ist, die Flucht in ihre Heimat.

Dadurch, dass ich die Älteste bin, hatte ich eine sehr große Verantwortung für meine Geschwister. Meine Mutter musste arbeiten, und wir Kinder waren oft uns selbst überlassen. Das führte dazu, dass ich sehr früh selbstständig und „erwachsen“ wurde.

Anfang 20 lernte ich während meiner Ausbildung meinen zukünftigen Ehemann kennen. Wir heirateten und unser Sohn kam auf die Welt. Sehr bald merkte ich, dass ich einen Mann mit zwei Gesichtern geheiratet hatte. Das Welt-Gesicht, mit dem ich ihn kennengelernt hatte, und das Privat-Gesicht, das dem meines Vaters sehr ähnelte. Kurz vor dem ersten Geburtstag meines Sohnes eskalierte eine Situation. Mir wurde bewusst, dass ich mich von diesem Mann trennen muss, um vor allem die Seele meines Sohnes zu schützen.

Die Last nicht Allein tragen

Da stand ich nun. Allein mit einem zehn Monate alten Säugling. Seelisch ein Wrack und sehr allein, da ich mein Leben lang eine Einzelgängerin war. Ich wusste nicht, wie es weitergehen sollte. Aber ich wollte alles tun, um meinen Sohn zu beschützen und ihn zu einem Mann zu erziehen, der wertschätzend und rücksichtsvoll mit anderen Menschen und besonders mit Frauen umgeht. Ich habe mir und ihm versprochen, ihn niemals allein zu lassen. Aber zuerst musste ich selbst wieder auf die Beine kommen. Es begann eine jahrelange Odyssee mit Klinikaufenthalten und Therapien. Durch die Geschichte mit meinem Ex-Mann brach mein Kindheitstrauma auf, das ich komplett verdrängt hatte.

Gleichzeitig begann mein Weg im Glauben, mein Weg auf Jesus hin und Gott entgegen. Noch vor der Geburt meines Sohnes war ich einem Christen begegnet, der mir den Glauben nahegebracht hatte. Als mein Sohn etwa zwei Jahre alt war, wusste ich, dass ich die Verantwortung für die Erziehung nicht allein tragen konnte. Ich ließ ihn in einem Gottesdienst segnen. Und ich spüre noch heute, wie mir eine Last von den Schultern gehoben wurde, als der Segen über dieses Kind ausgesprochen war. Das war meine erste wirklich intensive Begegnung mit Jesus.

Schlechte Mutter?

Durch viele intensive Erlebnisse sind mein Sohn und ich eng zusammengewachsen. Mir war aber wichtig, dass er das Kind sein konnte und ich die Erwachsene. Aus den immer wieder auftauchenden Konflikten mit seinem Vater habe ich ihn herausgehalten. Trotzdem hielt ich mich immer für eine schlechte Mutter. Ich machte mir Vorwürfe, dass ich es nicht geschafft hatte, die Ehe auszuhalten und die Familie zu bewahren. Aber ich hatte mich ja getrennt, um mich und meinen Sohn zu schützen. Das war das einzig Richtige, was ich tun konnte.

In der Gemeinde fanden wir eine neue „Familie“. Es dauerte lange, bis ich anfing, Vertrauen zu fassen. Meinem Sohn fiel das leichter, er tauchte in die Kinder- und später in die Teenie- und Jugendarbeit ein. Und wenn ich mal für ein paar Wochen in eine Klinik musste, gab es eine andere Familie mit vielen Söhnen, die ihn aufgenommen hat. Heute habe ich zum ersten Mal in meinem Leben eine beste Freundin und bin Teil einer Gemeinschaft, die mir guttut, die mich trägt, die mir zeigt, wie man sich am Leben freuen kann, und die für mich betet, wenn ich durch ein dunkles Tal marschieren muss.

Unperfekte Familien

Als mein Sohn in der Pubertät war, bekam ich die Anfrage, als Assistentin für einen Mann zu arbeiten, der bei einem Missionswerk die Arbeit in der arabischen Welt leitete. Ich wusste sofort, dass ich das machen möchte. Die neue Aufgabe wäre zwar mit Reisen und langen Abwesenheiten von zu Hause verbunden. Aber ich war mir sicher, dass mein Sohn das hinbekommen würde, dass er ein verantwortungsbewusster junger Mann war, der keinen Mist machen würde. Er hatte seit etwa zwei Jahren einen kleinen, überschaubaren Freundeskreis, von dem ich dachte, dass er ihm guttut. Wie sehr hatte ich mich geirrt. Als ich von einer zweiwöchigen Konferenz zurückkam, merkte ich, dass etwas mit meinem Sohn nicht stimmte. Er schlief schlecht, war abwesend, suchte meine Nähe und meinen Trost. Zwei Wochen später erfuhr ich, dass er überredet worden war, die durch meine Abwesenheit sturmfreie Bude zu nutzen. Es war viel Alkohol im Spiel gewesen. Und mein Sohn hatte bis dahin kaum Alkohol getrunken. Es kam dann wohl zu einem Vorfall, der zu einer Anzeige führte. Allerdings wurde das Verfahren aus Mangel an Beweisen eingestellt.

Ich stellte alles in Frage: meinen Dienst in der Missionsgesellschaft, meine Erziehung, mein Muttersein, einfach alles. Schritt für Schritt bin ich durch diesen Prozess gegangen. Mir wurde bewusst, dass ich meinen Sohn alles andere als losgelassen hatte. Am meisten hat mich die Tatsache umgehauen, dass ich meinen Sohn nicht mehr beschützen kann. Er ist jetzt auf dem Weg, erwachsen zu werden. Und er ist in einem Alter, wo er seine eigenen Entscheidungen trifft und dafür auch die Konsequenzen tragen muss. Ich glaube, das war die härteste Erkenntnis, die ich aushalten muss.

Und was noch dazukam: Ich habe mich unendlich geschämt. Ich war überzeugt, mit niemandem in der Gemeinde darüber reden zu können. Sie haben alle ihre perfekten kleinen Familien … Als ich es schließlich schaffte, mich jemandem anzuvertrauen, begegneten mir Anteilnahme, Gebet und – ganz wichtig – unperfekte Geschichten von unperfekten Kindern aus unperfekten Familien. Das hat mir geholfen zu sehen, dass das Verhalten meines Sohnes nicht meine Schuld ist. Ich habe gelernt, es als ein Ereignis zu sehen, das jetzt zu seinem Leben gehört, und es zu akzeptieren. Er hat mit mir bis heute nicht darüber gesprochen, was eigentlich genau passiert ist. Und es ist auch nicht mehr wichtig. Ich habe ihm nur gesagt: „Egal, was geschehen ist, es ändert nichts an meiner Liebe zu dir.“ Auch das gehört zum Loslassen: zu akzeptieren, dass er nicht über alles mit mir redet.

Luft fürs Leben lassen

Ich weiß heute, dass man sich auf das Loslassen nicht vorbereiten kann, so sehr man sich auch anstrengt. Ich weiß heute, dass es wichtig ist, bei jedem Schritt, den das Kind in seine Selbstständigkeit vorwärtsgeht, selbst einen Schritt zurückzugehen. Ihn zu „entlassen“, den Radius zu erweitern und ihm Luft für sein Leben zu lassen. Vor den Gefühlen, die dabei in mir spürbar werden, kann ich mich nicht prophylaktisch schützen. Denn loslassen bedeutet, meine Gefühle in dem Moment anzuschauen, wenn ich

diesen Schritt zurück mache. Dazu gehört Weinen, weil ich meinen Sohn in eine ungewisse Zukunft entlasse, in der er sicher Entscheidungen treffen wird, die ich nicht gut finde. Aber auch Lachen und Freude, dass ich Anteil habe daran, dass dieser junge Mensch so sicher seinen Weg geht. Und ich weiß, dass er weiß, dass ich immer da bin.

Ich habe immer darüber nachgedacht, ob und wie ich mit ihm darüber reden soll, warum ich mich von seinem Vater getrennt habe, und ob er es mir zum Vorwurf macht. Ich wusste nie, wann der richtige Zeitpunkt ist. Vor einigen Wochen waren wir wandern und mein Sohn fragte auf einmal: „Mama, ginge es uns heute auch so gut, wenn du dich nicht von Papa getrennt hättest?“ Wow, was für eine Frage! Ich sagte ihm, dass es uns wahrscheinlich nicht so gut ginge und wir eher sehr verletzte Menschen wären. „Es war wegen seiner Aggressionen, oder?“, meinte er. Auch hier hat er die Zeit bestimmt, wann er so weit war, darüber zu reden.

Beziehungsfähig?

Heute ist der Prozess des Loslassens nicht vorbei. Aber er ist leichter, vielleicht auch, weil ich ihm nicht mehr ganz so viel Gewicht in meinem Leben gebe. Und ich muss sagen, dass die Gemeinde und auch das Gebet einen ganz großen Anteil haben. Als Alleinerziehende bin ich viel mehr auf Gott angewiesen. Er ist es, mit dem ich meine Alltagsprobleme bespreche, wo andere vielleicht einen Ehepartner haben.

Was bleibt, ist meine Sorge, ob mein Kind jemals in der Lage sein wird, eine Beziehung einzugehen. Ob er beziehungsfähig ist. Ich bin nun die vierte Generation von alleinerziehenden Frauen in unserer Familie. Ich bin die Einzige, die Jesus in ihrem Leben hat. Kann Gott die Verletzungen heilen, die auch mein Sohn schon sehr früh erlitten hat? Ich sehe, welche Heilung Gott mir hat zukommen lassen, und ich vertraue darauf, dass er auch meinen Sohn in seinen Händen hält.

Die Autorin möchte gern anonym bleiben, um sich und ihren Sohn zu schützen.

Er will in eine Burschenschaft

„Unser Sohn überlegt, einer Burschenschaft beizutreten, weil er bei ihnen günstig ein Zimmer mieten kann. Uns ist das nicht geheuer. Wie gefährlich sind Burschenschaften, worauf muss man achten und ab wann sollten wir als Eltern eingreifen?“

Der Übergang in das zunehmend eigene Leben bleibt immer auch riskant. Weg und Ziel sind offen. Sie als Eltern müssen vertrauen – im Wissen, Ihrem Sohn das mitgegeben zu haben, was Ihnen wichtig ist. Und in der Zuversicht, dass er seinen Platz, seine Bezugsgruppen findet, seine eigene Weltsicht entwickelt und politische Fragen selbst beurteilt und passende Formen des Zusammenlebens gestaltet. Ob eine und welche Burschenschaft für ihn ein passender Lebensort ist, gilt es noch herauszufinden.

Gut zuhören

Besprechen Sie doch einmal mit Ihrem Sohn, was Ihnen „nicht ganz geheuer“ ist und legen Sie ihm Ihre Sorgen und Grenzen im Gespräch offen. Versuchen Sie aber auch, ihm gegenüber offen zu sein, ihm gut zuzuhören und seine Beweggründe zu verstehen – ohne sofort dagegen zu reden. Klären Sie mit ihm auch wichtige Fragen: Burschenschaften stellen auf Lebenszeit Erwartungen an ihre Mitglieder: Aktivitäten, Dienste, Feste, Veranstaltungen oder Zahlungen. Kennt Ihr Sohn den zusätzlichen Aufwand? Oft wird betont, dass ihnen Geschichte, Traditionen und Werte besonders wichtig seien. Sucht Ihr Sohn nach Zugehörigkeit oder Gleichgesinnten und meint, sie dort zu finden? Was verspricht er sich von der Mitgliedschaft?

Dass Burschenschaften mit günstigem Wohnraum um neue Mitglieder werben, denen sie die nervige Wohnungssuche verkürzen wollen, ist nicht untypisch. Manche werben auch mit der Gelegenheit, rasch neue Leute kennenzulernen, mit einem Netzwerk, das berufliche Vorteile verspricht. Allerdings können solche Kontakte auch anders geknüpft werden. Niedrige Kosten sind je nach finanzieller Lage auch ein gewichtiges Argument. Hier könnten WGs oder Wohnheime eine Alternative sein.

Genau hinsehen

Wenn Ihr Sohn schon eine konkrete Verbindung im Blick hat, informieren Sie sich darüber. Ein Teil der Verbindungen steht in der Kritik, weil sie exzessivem Alkoholkonsum Vorschub leisten, als frauenfeindlich gelten oder als „schlagende Verbindungen“ die Mensur austragen (körperliche Verletzungen inklusive). Ein anderer Teil sorgt durch Aufnahmebedingungen („nur für Deutsche“) für heftige Debatten. Andere stehen unter Beobachtung, weil sie rechtsextremistische Einstellungen vertreten und entsprechend tätig sind.

Einzelne stehen Gruppierungen nahe, die vom Verfassungsschutz beobachtet werden (zum Beispiel Identitäre Bewegung) oder organisieren Veranstaltungen mit rechtsextremen Rednern oder Beiträgen. Es gibt auch politisch liberalere, unpolitische, christliche, musische und auch Burschenschaften, die Frauen oder Nichtakademiker aufnehmen.
Sollte Ihr Sohn die Mitgliedschaft in einer rechtsextremen Burschenschaft anstreben, sollten Sie dem entgegenwirken. Hier müssen Sie nicht hilflos zusehen: Suchen Sie den Austausch mit anderen Betroffenen oder wenden Sie sich gegebenenfalls an eine Beratungsstelle.

Torsten Niebling ist Elternberater und Leiter der „Pädagogischen Fachstelle Rechtsextremismus – Rote Linie“ beim St. Elisabeth-Verein e.V. in Marburg.
Illustration: Sabrina Müller, sabrinamueller.com

Sie schlagen ihre Kinder!

„Ich habe mitbekommen, dass ein Ehepaar aus unserer Kirchengemeinde seine Kinder (3 und 5 Jahre) schlägt, wenn sie ihnen nicht ‚gehorchen‘. Ich finde das total schlimm und würde gern etwas dagegen unternehmen – schließlich hat jedes Kind das Recht auf gewaltfreie Erziehung! Wie kann ich mich einmischen?“

Zunächst einmal möchte ich Sie in Ihrer Aufmerksamkeit für Ihr Umfeld bestärken. Kinder und Jugendliche sind darauf angewiesen, dass die Gesellschaft genau hinschaut, wenn ihnen Gewalt angetan wird. Denn Sie haben völlig recht: Jedes Kind hat das Recht auf gewaltfreie Erziehung. Es ist verboten, Kinder zu schlagen.* Dazu gehören übrigens auch der berühmte „Klaps auf den Hintern“ oder die „Backpfeife“. Dabei handelt es sich nicht um harmlose Erziehungsmaßnahmen, sondern um Gewalt.

ELTERN MÜSSEN AUFGEKLÄRT WERDEN

Dass Eltern ihren Kindern Gewalt antun, hat mannigfaltige Ursachen. Manch einer weiß gar nicht, dass er Unrecht begeht, wenn ihm „die Hand ausrutscht“. Hier ist Aufklärung notwendig! Gleichzeitig entsteht Gewalt zumeist dann, wenn Eltern sich nicht anders zu helfen wissen. Kinder können in manchen Entwicklungsphasen sehr fordernd, für manche überfordernd sein. Wer Stress und Sorgen im Job hat, verliert nach einem langen Arbeitstag vielleicht schnell die Geduld, wenn das Kind zu Hause nicht das tut, was es soll. Auch Konflikte in der Partnerschaft können belasten. Ich bin sicher: Niemand schlägt sein Kind mit reinem Gewissen.

WAS SIE TUN KÖNNEN

Suchen Sie bei einer guten Gelegenheit des Gespräch mit den Bekannten. Machen Sie deutlich, dass Schläge inakzeptabel sind und das Vertrauensverhältnis zwischen ihnen und ihren Kindern zerstören. Vielleicht ergründen Sie, warum die Kinder gewaltvoll gezwungen werden, zu „gehorchen“. Bieten Sie Ihre Hilfe an oder machen Sie auf Hilfsangebote aufmerksam. Bei den Elternkursen des Kinderschutzbundes „Starke Eltern – Starke Kinder“ beispielsweise lernen Eltern, mit konfliktbehafteten Situationen anders umzugehen als mit Gewalt. Und sie lernen, dass in der Erziehung das „Gehorchen“ der Kinder nicht an allererster Stelle stehen sollte.

Sind die Eltern nicht zugänglich und reagieren abweisend, informieren Sie das Jugendamt. Das ist auch anonym möglich. Und immer gilt: Sollten Sie das Gefühl haben, dass die Kinder sich in akuter Gefahr befinden, verständigen Sie die Polizei. In so einer Situation können Sie nichts falsch machen – außer, gar nicht zu handeln.

Cordula Lasner-Tietze ist Bundesgeschäftsführerin des Kinderschutzbundes. Sie hat selbst Elternkurse im Rahmen von „Starke Eltern – Starke Kinder“ geleitet und Trainer/innen ausgebildet.
Illustration: Sabrina Müller, sabrinamueller.com

* In Deutschland und Österreich ist das Recht der Kinder auf gewaltfreie Erziehung gesetzlich festgelegt, das Schlagen von Kindern somit strafbar. In der Schweiz gibt es keine klare gesetzliche Regelung.

Keine Angst vorm Zockerspaß: Chancen und Risiken von Fortnite, Minecraft & Co

Videospiele gehören heute zum Leben von Jugendlichen dazu. Laut dem Branchenverband Bitcom spielen 89 Prozent der 10- bis 18-Jährigen digitale Spiele. Nathanael Ullmann sieht darin eine große Chance – aber auch Risiken.

Folgt man der Debatte über das Thema „Kind und Videospiele“, sind vor allem zwei Lager besonders laut. Die einen sehen, überspitzt gesprochen, in jedem Computerspieler den nächsten Amokläufer heranwachsen. Die anderen glorifizieren das digitale Spiel als den optimalen Lernort. Nach jahrelanger Spielerfahrung und wissenschaftlicher Beschäftigung mit dem Thema kann ich sagen: Die Wahrheit liegt, wie so oft, irgendwo in der Mitte. Ein paar Stunden in der virtuellen Welt werden kein Kind mit einem natürlichen Sozialverhalten zum Problemfall werden lassen – aber eben auch nicht zur Intelligenzbestie.

Es ist nicht zu leugnen, dass in der digitalen Spielewelt Gefahren lauern. Trotz allem bin ich ein großer Befürworter der Idee, Kinder – auch virtuell – spielen zu lassen. In diesem Artikel möchte ich beide Seiten beleuchten. Einerseits will ich darauf aufmerksam machen, wo Fallstricke hinter den Pixeln lauern, andererseits aber auch Angst nehmen.

DIE VORURTEILE

Wenn ich über Computerspiele rede, begegnen mir immer wieder falsche Vorstellungen. Mit zweien möchte ich hier aufräumen.

„Videospiele machen einsam“
In der Gesellschaft fällt mir regelmäßig ein vorherrschendes Bild auf: vom einsamen Zocker, der im dunklen Raum vor der Flimmerkiste sitzt. Und tatsächlich sitzt der Spieler ja erst einmal alleine vor dem Rechner oder der Konsole. Aber besorgte Eltern kann ich beruhigen: So einsam, wie Ihr Kind wirkt, ist es vielleicht gar nicht. Seit einiger Zeit ist auf dem Spielemarkt eine Bewegung hin zu so genannten „Multiplayer-Games“ zu sehen. Das heißt: Menschen aus aller Welt können sich online treffen und gemeinsam spielen. Nun darf man das nicht mit verklärter Brille sehen. Je nach Spiel kann der Umgangston zwischen den Nutzern durchaus harsch sein. Auf der anderen Seite regt das gemeinsame Spiel zu zwischenmenschlicher Interaktion an.

Regelmäßig treffe ich mich online mit Freunden. Ein Treffen im echten Leben wäre abends unmöglich, wohnen wir doch weit verstreut. So können wir uns trotz allem hören, gemeinsam etwas erleben und uns austauschen. Wir lösen zusammen Aufgaben, feiern Erfolge und haben Spaß. Zocken macht also nicht zwingend einsam. Es bleibt jedoch die Frage, ob Kinder, wenn die Zeit und Entfernung es zulassen, sich nicht lieber „in echt“ sehen sollten. Und natürlich wird digitaler Kontakt niemals reale Treffen ersetzen können. Wie so häufig gilt auch hier: Es kommt auf das richtige Maß an. Unterhält ihr Kind nur noch online Freundschaften, sollte das angesprochen werden. Trifft es seine Freunde gelegentlich online, kann das eine wertvolle Bereicherung sein.

„Videospiele machen dumm“
In dieser Deutlichkeit ist mir dieses Vorurteil zwar selten begegnet. Aber es schwingt immer wieder mit. Dabei können Computerspiele durchaus sinnvoll sein. Vorderhand entspannen sie natürlich. Aber auch darüber hinaus sind sie eine gute Schule. Ein Kind, das Minecraft spielt, kann lernen, von sich heraus kreative Ideen zu entwickeln und umzusetzen. Ich selbst habe während meiner Schulzeit gewinnbringend das Strategiespiel Civilization III gespielt – die historischen Hintergründe haben mir die römische Geschichte zugänglicher gemacht.

DIE GEFAHREN

Ich wäre nicht seriös, würde ich die Gefahren des Spielens totschweigen. Vor allem an drei Stellen sehe ich Stolpersteine, von denen Eltern wissen sollten.

Die Sucht
Videospielsucht ist ein schwieriges Thema. Das lässt sich nicht leugnen. Gerade das Genre Rollenspiel nutzt bewusst Strategien, um Nutzer über lange Zeit bei der Stange zu halten. Hier kann man eben ein Level aufsteigen, dort noch eine Aufgabe (genannt Quest) erledigen. Die Chance auf großen Ruhm lockt viele in die virtuellen Alternativwelten – und lässt sie nicht mehr los. Das Mittendrin- Gefühl, das Spiele anderen Medien voraushaben, tut dann das Übrige. Das gilt bei weitem nicht für jedes Genre und jeden Spieler. Ich halte es zudem nicht für eine gute Lösung, Kindern deswegen das Spielen ganz zu verbieten. Klare Grenzen sollte es aber geben. Die EU-Initiative Klicksafe empfiehlt beispielsweise, Kinder zwischen vier und sechs Jahren nicht mehr als 30 Minuten am Tag in Begleitung der Eltern spielen zu lassen. Jugendliche zwischen elf und 13 Jahren sollten laut Klicksafe nicht mehr als 60 Minuten spielen. Definieren Sie mit Ihrem Kind im Bestfall Regeln. Beispielsweise: Wie viele Runden darf es nach den Hausaufgaben spielen?

Das Glücksspiel
Eng mit dem Thema „Sucht“ hängt auch das Thema „Glücksspiel“ zusammen. Seit einigen Jahren ist es in der Branche üblich, Spieler zu Zusatzkäufen zu verlocken. Manch ein Spiel, gerade auf dem Smartphone, kommt kostenlos auf den Markt, setzt aber darauf, dass Kunden für zusätzliche Waffen, Karten oder Outfits extra bezahlen. Die Methoden sind nicht selten dem Glücksspiel entlehnt. Anfangs wird der Spieler mit Gratis-Belohnungen überhäuft, er lernt den Reiz des schnellen Erfolgs kennen. Später werden die Belohnungen zurückgefahren, er soll dafür bezahlen. Die Gegenstände sind in Truhen versteckt, in denen ein nebensächlicher Artikel oder eine unglaublich seltene Waffe warten können – was der Käufer bekommt, ist Zufall. Hierfür kann eine Menge Geld ausgegeben werden. Wenn Programme mit Begriffen wie „Free2Play“ locken, sollten Eltern einen kritischen Blick darauf werfen.

Die Gewalt
Auch zur Gewalt in Videospielen muss ich ein Wort verlieren. Ja, eine Vielzahl von Mainstream-Spielen setzt darauf, dass der Spieler mit einer Waffe umgehen muss. Und ja, Videospiele können auch gewaltverherrlichend sein. Ich selbst hatte als kleiner Knirps im Urlaub viel zu lange die Möglichkeit, auf dem PC meines Cousins GTA: Vice City zu spielen. Diese Gewalteindrücke konnte ich lange nicht verarbeiten. Auf der anderen Seite möchte ich hier relativieren: Erstens gibt es aus ebendiesem Grund Altersfreigaben, die auf jeden Fall beachtet werden sollten. Gewisse Spielinhalte kann ein Kind noch gar nicht verarbeiten – dazu gehört je nach Alter auch die Waffengewalt. Zweitens gibt es gerade außerhalb des Massenmarktes eine Vielzahl an Spielen, die vollkommen friedlich daherkommen. Ein Beispiel ist das Adventure „Fire“ vom deutschen Entwicklerstudio „Daedelic“. Hier klickt sich der Spieler als Steinzeitmensch durch eine liebevoll gezeichnete Welt. Die Besonderheit: „Fire“ kommt ohne geschriebene Worte aus. Auch die meisten Nintendo-Titel (wie die Super Mario-Reihe) sind, was Gewalt angeht, eine Empfehlung wert. Zwar kann man in diesen Titeln gegen Monster kämpfen, das ist, mit wenigen Ausnahmen, allerdings absolut kinderfreundlich dargestellt.

WAS KÖNNEN ELTERN TUN?

Eltern sollten das Spielverhalten des Sohnes oder der Tochter in geregelte Bahnen lenken. Wegen bestehender Gefahren lohnt sich ein kritischer Blick. Wie kann der aussehen?

Zuhören und Mitmachen
Wenn Ihr Kind Spiele liebt, wird es darüber reden wollen. Auch wenn es Sie vielleicht nicht interessiert, kann aufmerksames und interessiertes Zuhören nur sinnvoll sein. So erfahren Sie am leichtesten, in welche Spielwelten es gerade versinkt. Und so können Sie auch am ehesten erfahren, ob das Erlebte zu seiner Altersklasse passt. Noch besser als nur zuzuhören ist natürlich das Mitmachen. Gerade in jungen Jahren ist das gemeinsame Spielen eine unglaubliche Freude. Die Montagnachmittage, an denen mein Vater und ich uns durch Monkey Island gerätselt haben, zählen noch heute zu den schönsten Erinnerungen meiner Kindheit.

Informieren
Ein großer Vorteil des Informationszeitalters ist, dass es über jedes moderne Spiel eine Vielzahl an Artikeln gibt. Erwähnt ihr Kind, dass es Fortnite spielt, ist es ein Leichtes, diesen Begriff zu googeln. Webseiten wie www. spieleratgeber-nrw.de erklären fachlich fundiert die Hintergründe zu den wichtigsten Titeln. Und wenn Ihnen Texte über den Titel nicht reichen, können Sie ein so genanntes „Let’s Play“ schauen. Das sind Videos, in denen Spieler sich beim Zocken filmen. So wissen sie ganz schnell, wie das Spiel funktioniert und ob es für Ihr Kind geeignet ist.

USK beachten
Ein großer Segen, den wir in Deutschland haben, ist die USK, die „Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle“. Kein Spiel, das in den Laden kommt, kommt ohne diese Kennzeichnung aus. Mit einem Blick auf die Verpackung lässt sich leicht erkennen, ab welcher Altersstufe ein Game geeignet ist. Problematisch wird es, wenn Ihr Kind die Spiele nicht mehr im Laden, sondern online kauft. Einige Shops wie der Google Play Store oder der Xbox Store sind Teil des IARC-Systems, das eine Alterseinstufung nach einem automatisierten Verfahren vergibt. Diese Kennzeichnung kann ebenfalls ein Anhaltspunkt sein. Sinnig ist es zudem, gerade bei jüngeren Kindern, Online-Spieleplattformen wie Steam nicht fest mit einem Bezahl-Konto zu verknüpfen. Neue, kostenpflichtige Spiele können Ihre Kinder dann nur gemeinsam mit Ihnen erwerben. So behalten Sie den Überblick.

Nathanael Ullmann ist Volontär in der Online-Redaktion des SCM Bundes-Verlags und beim Männer-Magazin MOVO.

„Das Kind meiner Freundin haut“

„Der Sohn meiner Freundin schlägt manchmal andere Kinder und Erwachsene – auch mich. Meine Freundin greift aber oft nicht ein. Was kann ich tun?“

Das ist eine heikle Situation. Auf der einen Seite verhält sich das Kind Ihrer Freundin so, dass Sie eingreifen möchten, auf der anderen Seite ist es nicht einfach, in den Verantwortungsbereich einer anderen Mutter einzudringen. Aber Ihr Gefühl, dass man nicht einfach darüber hinwegsehen darf, ist absolut gerechtfertigt.

DAS HAUEN HAT EINEN GRUND

Die Frage, die sich mir als Erstes stellt, ist, warum der Junge andere Kinder schlägt. In der Regel kann man davon ausgehen, dass dieses Hauen nicht einfach nur frech ist, sondern dass ein ungesehenes Bedürfnis oder eine Not dahintersteckt. Vielleicht fühlt sich der Junge mit anderen Kindern gestresst oder ungerecht behandelt? Oder er fühlt sich in einer bestimmten Situation übersehen und erhofft sich mehr Aufmerksamkeit? Nicht selten hat so ein Verhalten auch damit zu tun, dass Kinder selbstbestimmt leben wollen und ihre Gefühle in diesem Alter noch nicht regulieren können, wenn sie an eine Grenze stoßen. Es kann also viele Gründe für solche Reaktionen geben. Deswegen ist es sinnvoll zu überlegen, was die Ursache sein könnte, und sie vorsichtig mit der Mutter zu thematisieren.

Fragen Sie Ihre Freundin auch, warum sie das so laufen lässt. Auch hier können unterschiedliche Gründe vorliegen. Ist es Unsicherheit, Resignation oder Überforderung, unter der sie leidet? Dann ist Ihre Freundin vielleicht sogar dankbar, wenn sie sich austauschen kann und Unterstützung bekommt. Ist es aber Gleichgültigkeit oder eine bewusste Entscheidung für diesen Erziehungsstil, könnte das Gespräch etwas schwieriger oder sogar kontrovers werden. Aber auch dann dürfen Sie klar und liebevoll Ihre Position vertreten und auf den Missstand aufmerksam machen.

EIGENE GRENZEN KLAR FORMULIEREN

Natürlich ist es nie leicht, andere mit Kritik zu konfrontieren. Aber wenn Sie vorrangig von ihren Empfindungen und Sorgen sprechen, könnte das Gespräch zu einer Haltungsänderung führen. Wie sehr Sie sich selbst in diesen Konflikt investieren möchten und können, hängt sicherlich auch von der Intensität Ihrer Freundschaft ab. Je enger der Kontakt ist und je häufiger sich die Problematik aufdrängt, desto wichtiger ist es, eine Lösung zu finden. Doch letztlich müssen wir uns bewusst machen, dass wir andere Menschen nicht ändern können, wenn Sie keine Einsicht haben.

Erleben sie eine konkrete Situation, in der Sie selbst geschlagen werden, ist es angebracht zu reagieren, auch auf die Gefahr hin, dass das zu einem Konflikt mit der Freundin führt. Wenn Ihre Freundin über das Hauen ihres Kindes hinweggeht, können Sie trotzdem Ihre Grenze klar formulieren: „Stopp, ich möchte nicht, dass du mich haust.“ Diese Rückmeldung braucht das Kind unbedingt. Genauso wichtig ist es, andere Kinder, die gehauen werden, zu schützen und den Sohn ihrer Freundin zu begrenzen und aus der Situation zu nehmen. Auch wenn das eigentlich vorrangig die Aufgabe der Mutter wäre, ist es angemessen, sich hier einzumischen, weil es um andere Kinder geht.

Sonja Brocksieper ist Diplom-Pädagogin. Sie lebt mit ihrer Familie in Remscheid und ist Mitarbeiterin bei Team.F.
www.sonja-brocksieper.de
Illustration: Sabrina Müller, sabrinamueller.com

Fortnite: Bastelspaß oder Killerspiel – Wie gefährlich ist das Game für Kinder?

„Unser Sohn (13) spielt mit Begeisterung Fortnite. Ist das Spiel für sein Alter schon geeignet?“ Eine Medienpädagogin gibt wertvolle Tipps.

Das Spiel Fortnite ist bei vielen Kindern und Jugendlichen sehr beliebt. Aufgrund der kindlich anmutenden Comic-Grafik wirkt das digitale Spiel auf den ersten Blick vergleichsweise unbedenklich. Eltern sollten jedoch genau hinschauen, da die Inhalte insbesondere für jüngere Kinder ungeeignet sind.

TÖTEN UM ZU ÜBERLEBEN

Fortnite umfasst aktuell drei Spielvarianten. In der kostenpflichtigen Variante „Save the World“ muss mit anderen Spielern ein Fort (eine Festung) aufgebaut werden, um die letzten menschlichen Überlebenden vor Zombies zu schützen. Weitaus populärer ist jedoch die kostenlose Online-Variante „Fortnite Battle Royale”. Anfangs wird man mit 99 anderen Spielern über einer einsamen Insel abgeworfen. Auf dieser gilt es nun Waffen und Ressourcen zu finden, um möglichst lange zu überleben. Die Spielenden müssen sich gegenseitig töten und der letzte Überlebende gewinnt die Runde.

NEUER KREATIVMODUS

Waffengewalt ist die einzige Handlungsoption, Fortnite enthält jedoch keine detailreichen Gewaltszenen. Im Spiel selbst fließt kein Blut und es gibt keine Leichen. Seit kurzem gibt es Fortnite in einer dritten Spielvariante, dem Kreativmodus. Hierbei steht das Bauen im Vordergrund und die Spielenden müssen nicht miteinander kämpfen.

ALTERSFREIGABEN

Die offizielle USK-Altersfreigabe für den Modus „Save the World“ und „Battle Royale“ liegt bei zwölf Jahren und bezieht sich nur auf die Inhalte des Spiels. Nicht berücksichtigt sind Kommunikationsrisiken über den In-Game-Sprachchat. Bei Fortnite Battle Royale wird das Geschehen von Kämpfen mit Waffengewalt bestimmt. Die Spielhandlungen sind allerdings in ein fiktives Comic-Setting eingebettet, welches eine Distanz zur Realität ermöglicht.

ACHTUNG BEI SENSIBLEN KINDERN

In der Regel verfügen Jugendliche ab 14 Jahren über eine gewisse Medienerfahrung und das notwendige Reflexionsvermögen, um das Geschehen ohne nachhaltige Beeinträchtigung einordnen zu können. Für sensible Gemüter können die Hektik und der spannende Wettkampfcharakter im konstanten Bedrohungsszenario überfordernd wirken. Hier könnte der neue Kreativmodus eine geeignete Alternative sein. Letztendlich obliegt es Ihnen, sich ein Bild von den verschiedenen Spielmodi zu machen, eine Haltung dazu einzunehmen, um dann zu entscheiden, ab wann welcher Spielmodus für Ihr Kind geeignet ist.

MACHEN SIE SICH SELBST EIN BILD!

Tipp: Zeigen Sie Interesse und informieren Sie sich genau über das Thema digitale Spiele. Vereinbaren Sie gemeinsame Regeln zu Spielzeiten und In-App-Käufen. Auf klicksafe.de finden Sie dazu vielfältige Informationen und Tipps. Gemeinsame Medienerlebnisse ermöglichen eine vertrauensvolle Basis zwischen Ihnen und Ihrem Kind. Suchen Sie daher das Gespräch und begegnen Sie diesem Hobby mit einer unvoreingenommenen Haltung. Durch gemeinsame Spielerlebnisse können Sie mitreden, die Faszination nachvollziehen und eher erkennen, ob ein bestimmtes Spiel für Ihr Kind geeignet ist.

Deborah Woldemichael ist Medienpädagogin und leitet die EU-Initiative „klicksafe“.

Ballerspiele nicht den Gamern überlassen!

Neulich habe ich nur ein paar Sekunden in ein Videospiel für Erwachsene reingeschaut. Ich sollte eine Geisel in Schach halten. Ich wurde sofort in die Geschichte hineingezogen, empfand die Atmosphäre als unglaublich düster und die Knarre in der Hand meines Avatars furchteinflößend. Ich wusste nicht, welchen Knopf ich drücken soll, und so habe ich gleich jemanden virtuell umgebracht. Das war schockierend realistisch.

Echte Gamer werden über meine empfindliche Reaktion schmunzeln und anmerken, dass ich ja keine Ahnung habe. Das dürfen sie. Ich stehe zu meiner Ignoranz, gleichzeitig finde ich es wichtig, dass sie meine Irritation ernst nehmen. Wenn man sich in dieser Welt bewegt, kann man nämlich schnell aus den Augen verlieren, was da wirklich passiert.

In einem Artikel aus der Gamerzeitschrift „WASD“, den ich auf spiegel-online las, ging es darum, dass manche Spiele es erlauben, sadistische Impulse auszuleben. Das ist nicht das eigentliche Spielziel, aber ein Nebeneffekt der Möglichkeiten, die einige Spiele mit ihren fast unbegrenzten Welten bieten. Spieleentwickler nehmen das in Kauf, weil sie wissen, dass solche Freiheiten von den Zockern eingefordert werden.

In dem Artikel wird von einem Spiel berichtet, in dem die Entwickler das Töten von Kindern ausgeschlossen hatten. Diese Einschränkung wollten die Gamer nicht hinnehmen, und so entstand schnell eine modifizierte Version, die das Abknallen der Kleinen möglich machte, um den Realismus des Spiels zu erhöhen.

Dieser Artikel aus der Gamerwelt kam sehr nachdenklich daher. Diese Nachdenklichkeit habe ich bei den Kommentaren unter dem Artikel vermisst. Da hieß es lapidar, Mord und Totschlag wären immer schon Teil von Kinderspielen gewesen (Räuber und Gendarm), man könne schon zwischen virtueller und echter Welt unterscheiden. Außerdem habe noch nie jemand nachweisen können, dass Gewalt am Bildschirm aus friedliebenden Menschen mordende Monster macht.

Ich möchte Eltern von zockenden Halbwüchsigen und Partnerinnen von ballernden Ehegatten Mut machen, dran zu bleiben. Halten Sie sich nicht raus! Spiegeln Sie Ihre eigenen Reaktionen auf die Spiele. Es geht nicht darum, Zocker unter einen Generalverdacht zu stellen oder in eine Ecke zu drängen. Aber ich finde es wichtig, dass sie sich den Fragen von Leuten stellen, die nicht in der Gamerblase leben.

Womit beschäftigen wir uns? Warum tun wir, was wir tun? Was macht das mit uns? An diesen Fragen sollten nicht nur Zocker dran bleiben.

Christof Klenk ist Redakteur bei Family und FamilyNEXT.