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Was die Ehe schützt – Drei Lehren aus gescheiterten Beziehungen

Prinzipiell ist keine Ehe sicher davor, ins Wanken zu geraten. Was können wir tun, um die Ehe zu schützen? Paartherapeut Jörg Berger zieht Lehren aus gescheiterten Beziehungen und zeigt, was helfen kann.

Würden Menschen ein Haus bauen, wenn dabei jeder Dritte scheitern und das Haus mit Verlust verkaufen würde? Vermutlich nicht. Den meisten Menschen wäre das Risiko zu groß. Zum Glück ist unsere Risikobereitschaft größer, wenn es um die Ehe geht. Obwohl jede dritte Ehe zerbricht, gehen Menschen glücklich und hoffnungsvoll hinein. Vielleicht denkt man anfangs, die Menschen, deren Ehe nicht gelingt, seien irgendwie anders als man selbst. Doch die Lebenserfahrung zeigt: Es sind wunderbare Menschen, die auseinandergehen – nicht weniger reif und nicht weniger liebevoll als andere. Außenstehende erleben dann oft einen bangen Moment: Könnte uns das auch treffen? Jedes Ehepaar kann in eine kritische Situation geraten. Doch wir können von gescheiterten Paaren lernen. Denn im Nachhinein zeigt sich, was sie geschützt hätte.

Vertrauen, wenn es bedrohlich wird

Zehn Jahre lang waren Verena und Dirk glücklich miteinander. Dann erlebte Verena eine persönliche Krise, infolge derer es Verena wichtig war, selbstbewusster zu werden und ihr Leben stärker in die eigene Hand zu nehmen. Sie dachte, dass dies keine Auswirkungen auf ihre Ehe hätte. Doch sie hat eine Lawine in ihrer Beziehung losgetreten. Dirk fühlte sich übergangen und abgeschrieben. Erst bemühte sich Verena, ihm mehr Liebe zu zeigen und auf Dirks Gefühle einzugehen. Aber weil das wenig half, zog sie sich zurück. Konnte es sein, dass Dirk einbricht, nur weil sie ein wenig selbstbewusster geworden ist? Der Alltag funktionierte noch, aber das Glück und die Nähe waren weg. Sobald Verena ein falsches Wort sagte, war Dirk verletzt. Sie überlegte, auszuziehen.

Kann man sich vor solchen Entwicklungen schützen? Nein, leider nicht. Aber man kann eine Haltung einnehmen, die einen solchen Teufelskreis durchbricht. Es ist menschlich, dass wir dem anderen unser Vertrauen entziehen, wenn wir verletzt oder enttäuscht werden. Doch genau das setzt einen Teufelskreis in Bewegung. Diesen durchbricht man, indem man das Vertrauen erneuert. Für Verena könnte das so aussehen: „Für mich wirkt es so, als würde Dirk kindisch reagieren und als könnte er nur mit mir zusammen leben, wenn ich schwach bin. Doch so war Dirk doch eigentlich nie. Auch wenn ich seine Gefühle nicht verstehe, gibt es sicher einen Weg, wie er sich mit mir verbunden fühlen kann und ich trotzdem die Freiheit behalte, die mir gerade so guttut.“

Dirk könnte sein Vertrauen so aufrichten: „Es fühlt sich für mich zwar so an, als würde Verena unser gemeinsames Leben verraten und als wäre ihr die Selbstverwirklichung wichtiger als unsere Liebe. Aber eigentlich kann das nicht sein. Verena war nie selbstbezogen. Außerdem hat sie sich ja bemüht, auf meine Gefühle einzugehen, auch wenn mir das noch nichts gebracht hat. Wenn sie erst einmal versteht, wie es mir geht, was ich brauche und dass ich nichts Schlimmes von ihr verlange, können wir sicher einen gemeinsamen Weg finden. Sie ist bereit, mir zuzuhören, wenn ich ihr keine Vorwürfe mache.“

Natürlich sollte man prüfen, ob der Mensch, an den man sich binden möchte, vertrauenswürdig ist. Doch wenn man einem Menschen vertrauen kann und sich das durch das gemeinsame Leben bestätigt, muss man dem anderen das Vertrauen nie mehr entziehen. Dann sollen die Teufelskreise ruhig kommen. Selbst wenn nur einer das Vertrauen aufrecht hält, findet man wieder heraus.

Betrauern, was nicht möglich ist

Wieder ein schweigsames Sonntagsfrühstück. Irinas Mann liest etwas auf dem Smartphone. Sie betrachtet ihn. Plötzlich wird es ganz klar und ruhig in ihr: „Ich mag diesen Menschen nicht. Ich kann ihn nicht lieben, jedenfalls nicht als Ehefrau.“ Irina hatte ihren Mann schnell geheiratet. Sie engagierten sich damals in einer neu gegründeten Kirchengemeinde. Beide waren begeistert und haben viel mit Gott erlebt. Hatte sie das blind gemacht für die Frage, ob sie zueinander passen? Oder haben sie geglaubt, dass Gott alles gut macht, was schwierig ist? Irina kann sich heute nur schwer in ihr jüngeres Ich zurückversetzen.

Um zu verstehen, warum Ehen scheitern und was Ehen schützt, muss man manchmal auf die Partnerwahl zurückblicken. Denn die gelingt nicht immer. Befunde aus der Paarpsychologie legen nahe, dass knapp die Hälfte der Paare umfassend zufrieden mit ihrer Beziehung ist. Sie sagen: „Ich könnte nicht glücklicher sein, auch wenn bei uns natürlich nicht alles perfekt ist.“ Andere zweifeln in dunklen Stunden an ihrer Wahl. Sie sagen: „In manchen Bereichen passen wir gut zusammen, aber in anderen fehlt etwas so Wichtiges.“

Wie nicht jeder den perfekten Beruf oder die perfekte Wohnung findet, verliebt sich nicht jeder Mensch in eine Person, die umfassend passt. Viele Menschen entwickeln erst nach der Hochzeit die Reife, die erkennen lässt, wer man im Tiefsten ist und was man braucht. Doch niemandem würde man raten, deshalb mit der Partnerwahl zu warten, bis man 40 ist. Besser geht man ins Risiko. Mit diesem Risiko kann man einen Weg finden.

Meist kann man den Mangel bewältigen, bevor dadurch die Ehe zerbricht oder sich ein Verliebtsein außerhalb der Ehe entzündet. Dazu ist etwas nötig, das man in der Psychologie Trauerarbeit nennt. Vieles kann fehlen in einer Ehe: tiefere Gespräche, Berührungen, leidenschaftliche Sexualität, gemeinsame Interessen, emotionale Wärme. Wenn klar wird: Das Gegenüber kann das von der Persönlichkeit her nicht geben und möchte sich auch nicht auf eine Entwicklung einlassen, ist das wie ein Verlust, der existenziell erschüttert. Doch Menschen kommen selbst über schwere Verluste hinweg und werden wieder glücklich. Warum sollte das nicht auch funktionieren, wenn in der Ehe etwas fehlt? Doch die Trauer darüber verläuft ähnlich heftig. Sie beginnt, wenn man nicht mehr gegen den Mangel ankämpft, sondern ihn akzeptiert: „Das fehlt mir. Ich würde es so dringend für mein Glück brauchen. Doch ich werde es in meiner Liebesbeziehung nicht bekommen.“

Die Trauer darüber kann überwältigend sein. Man darf damit nicht allein bleiben. Man braucht gute Freunde und Begleiter, die einfach mit aushalten. Trauer verläuft in Wellen. Endlich glaubt man, allmählich damit klarzukommen, schon rollt eine neue Welle heran. Doch irgendwann wird eine Freude spürbar, ein neues Glück. Glaubende Menschen entdecken manchmal: „Genau da, wo mir menschlich etwas fehlt, ist meine Beziehung zu Gott inniger geworden. Hier ist jetzt Gott selbst mein Glück.“ Hätte es Irinas Ehe gerettet, wenn sie vor 15 Jahren getrauert hätte, statt weiter zu kämpfen und zu scheitern, statt weiter zu hoffen und enttäuscht zu sein? Vielleicht. Ihr Irren bei der Partnerwahl wiegt schwer, weil die Persönlichkeit ihres Mannes so wenig von dem abdeckt, was sie braucht. Es ist tragisch, wenn einem das erst im Nachhinein bewusst wird. Doch nicht immer liegt es an der Partnerwahl, wenn man das Gefühl hat: „Wir passen einfach nicht zusammen.“

Ein Fundament für die Ehe bauen, bevor die Stürme kommen

Heiko hat einen tiefen Glauben. Er hat seine Familie mitgezogen und Familienandachten eingeführt. Manchmal hat er die anderen moralisch unter Druck gesetzt. Denn Heiko hatte klare Vorstellungen, wie man als Christ lebt und wie nicht. Umso schockierender war es, dass ausgerechnet er fremdgegangen ist, zunächst heimlich und dann ganz offen. Wie passt das denn zu dem, was Heiko immer so ernsthaft vertreten hat? Doch Heiko hat seinen Glauben einfach an seine Gefühle angepasst: Man müsse auf das hören, was einem das Herz sagt. Gott wisse, dass Menschen scheitern, und er vergibt. Er möchte nicht, dass man in einer Ehe bleibt, die einem wie ein Gefängnis vorkommt. Das hätte Heiko so nie vertreten – bis die andere kam.

Kann man dem vorbeugen? Damit man nicht irgendwann von Gefühlen bestochen und seiner Überzeugung untreu wird? Ja, aber dazu braucht man eine Bindung, die wichtiger ist als das eigene Glück. Für mich persönlich sah das so aus: Ich habe als junger Erwachsener zum christlichen Glauben gefunden, der seither mein Leben prägt und mir mit der Bibel ein gutes Wertefundament gibt, die meine Entscheidungen leitet. Seit 30 Jahren habe ich deshalb Menschen, denen ich davon erzählen darf, wie sich mein Leben entwickelt. Sie helfen mir, auf dem Weg zu bleiben, den ich für mein Leben als richtig erkannt habe. Was sonst könnte mich halten, wenn ich einmal vor einem Abweg stehe?

Wenn mich jemand fragt, wie man eine Ehe aufbauen kann, würde ich daher antworten: „Überlege dir, was du tun möchtest, wenn die Stürme kommen, mit denen jeder rechnen muss: ein Fremdverliebtsein, eine emotional unerträgliche Situation oder auch eine Wüstenzeit, in der schöne Gefühle in der Beziehung fehlen. Und sorge jetzt dafür, dass du dann nach deinen Werten handeln wirst.“ Man kann sich gegenüber einem Freund oder einer anderen Vertrauensperson festlegen: „Wenn ich einmal in eine solche Situation gerate, möchte ich so damit umgehen. Erinnere mich dann bitte daran, frage nach, lass dich nicht abwimmeln.“

Wer glaubt, kann sich auch Gott gegenüber festlegen: „Ich werde mich dann eine Woche in die Stille zurückziehen, um zu hören, wie du mich weiter führen möchtest.“ Auch das ist keine Garantie für das Gelingen einer Ehe, aber es ist ein Fundament dafür, mit Krisen so umzugehen, wie es der eigenen Überzeugung entspricht. Ich habe schon viele Paare begleitet, für die genau das die Ehe gerettet und wieder glücklich gemacht hat.

Jörg Berger ist Psychotherapeut und Paartherapeut mit eigener Praxis in Heidelberg. Er ist mit Vorträgen, Büchern und Online-Kursen unterwegs, um Ehen zu stärken (psychotherapie-berger.de/family).

Als Ruth das Sorgerecht für ihren Sohn verliert, bricht für sie eine Welt zusammen

Ruth Krüger* und ihr Mann trennen sich, als ihr Sohn Pascal* vier Jahre alt ist. Beim Kampf ums Sorgerecht herrscht Krieg.

Als die Ehe von Ruth Krüger* [Alle Namen geändert] und ihrem Mann zerbrach, waren beide zu jeweils 75 Prozent berufstätig. Allerdings war es überwiegend die Mutter, die sich um Pascal kümmerte: ihn zur Kita brachte und abholte, mit ihm zum Kinderarzt ging … Für Ruth war deshalb klar, dass ihr Sohn nach der Trennung bei ihr leben würde. Doch kurz nach der Trennung kündigte sein Vater an, „bis aufs Blut“ dafür zu kämpfen, dass sein Sohn bei ihm wohnt. Nach einem halben Jahr beantragte er das alleinige Sorgerecht für Pascal. Das Jugendamt stellte aber fest: Beide Eltern sind erziehungsfähig. Wo sollte das Kind also hin?

Pascals großer Wunsch: Beim Vater leben

Die Sache nahm eine unerwartete Wendung, als der vierjährige Pascal äußerte, er wolle mit der Familienrichterin sprechen. Daraufhin lud sie ihn und seinen Vater zum Gespräch ein. Darin stellte sie Pascal die Frage: „Wenn eine gute Fee kommen würde, was wären deine drei Wünsche?“ Pascal antwortete: „Den Weltfrieden, dass ich immer Computer spielen kann und dass ich bei meinem Vater leben kann.“ Damit war die Sache für die Richterin klar. Zu dieser Zeit – kurz nach der Kindschaftsrechtsreform 1998 – gab es gerade den Trend, beim Sorgerecht auch den Willen von kleinen Kindern zu berücksichtigen. Deshalb entschied die Richterin, dass Pascal für vier Wochen hauptsächlich bei seinem Vater leben sollte. Danach könne noch einmal neu entschieden werden.

„Doch im Grunde war das Thema damit entschieden“, erinnert sich Ruth Krüger. „Es wurden Tatsachen geschaffen.“ Als die vier Wochen um waren, war es kurz vor Weihnachten. Die Richterin schlug vor, dass Pascal bis zur endgültigen Entscheidung bei seinem Vater bleiben sollte. Ruth Krüger willigte schweren Herzens ein. Es fiel ihr nicht leicht, Pascal nur einen Nachmittag mit Übernachtung pro Woche und alle 14 Tage am Wochenende zu sehen.

Sohn leidet unter dem Sorgerecht-Verfahren

Dass Pascal sich damals dafür entschieden hat, bei seinem Papa zu wohnen, erklärt sich Ruth Krüger damit, dass er sich der Tragweite seiner Entscheidung nicht bewusst war. Immerhin war er erst vier. „Er dachte, mit der Entscheidung, bei seinem Papa zu leben, hätte er mehr Zeit mit ihm. Und die Zeit, die er mit mir hätte, würde so bleiben. Er konnte das nicht absehen, dass viele Sachen, die er mit mir hatte, wegfallen würden.“

Gegen die Entscheidung des Gerichts hätte Ruth Krüger Einspruch erheben können. Aber das wollte sie nicht: „Ich habe gesehen, wie sehr mein Sohn unter dem Verfahren gelitten hat. Ich habe darauf verzichtet, um ihn zu schonen.“ Gut ging es ihr damit nicht: „Mein Kind hat mir gefehlt“, bekennt sie.

Spekulationen: „Das hat mich sehr verletzt“

Als Pascal in der Schule war, drängte sein Vater darauf, den Mama-Nachmittag plus Übernachtung aufzugeben, und setzte das auch gegen Ruth Krügers Willen gerichtlich durch. Sie litt darunter, dass es häufig als Makel angesehen wird, wenn ein Kind nach der Trennung nicht bei der Mutter lebt. „Ich bin offen damit umgegangen und habe das auf der Arbeit und in meiner Gemeinde erzählt.“ Die meisten Menschen aus ihrem Umfeld gingen gut damit um. „Aber einmal hat eine Kollegin gesagt: ‚Na, das wird schon seinen Grund haben, warum dein Sohn bei seinem Vater lebt.‘ Das hat mich sehr verletzt“, gibt Ruth Krüger zu. Und sie kritisiert: „Wenn das Kind überwiegend bei der Mutter lebt, überlegt niemand, warum das so ist. Aber wenn es beim Vater lebt, wird spekuliert, was wohl der Grund ist.“

Inzwischen ist Pascal erwachsen. Mutter und Sohn haben sich offen ausgetauscht. Und Ruth Krüger musste feststellen, dass Pascal manches anders erlebt hat als sie: „Er meint, wir beide hätten ein distanziertes Verhältnis gehabt. Das habe ich nicht so wahrgenommen. Ich habe einen Jungen abgeholt, der sich gefreut hat, dass ich ihn abhole und der unsere gemeinsame Zeit genießt. Ich hatte auch den Eindruck, dass er emotional etwas nachholen muss, weil er meine körperliche Nähe gesucht und viel mit mir gekuschelt hat. Aber er hat das anders wahrgenommen.“

Drei Monate ohne das eigene Kind

Pascal hat seiner Mutter inzwischen erzählt, dass sein Vater ihm verboten hatte, über die Mutter zu reden. Außerdem wurden Päckchen, die Ruth ihrem Sohn schickte, vom Vater schlechtgemacht. Und er verhinderte immer stärker den Kontakt zur Mutter. „Als Pascal elfeinhalb war, habe ich ihn schließlich nur noch in den Ferien bei mir gehabt. Da gab es dann auch schon mal drei Monate, in denen ich ihn gar nicht sehen konnte.“

Ruth Krüger hätte vielleicht durch weitere Verfahren vor dem Familiengericht etwas an der Situation ändern können. Aber sie wollte ihrem Sohn diesen Druck nicht zumuten. „Pascal sieht es inzwischen auch so, dass er ganz schön viel zu tragen hatte. Er hat eigentlich alles mit sich selbst abgemacht. In vielen Dingen konnte er sich mir gegenüber nicht öffnen, weil sein Vater ihm verboten hatte, Dinge aus dessen neuer Familie zu erzählen. Und auch seinem Vater gegenüber konnte Pascal sich nicht wirklich öffnen. Daran hat er heute noch zu tragen“, stellt Ruth Krüger fest.

Kontakt zum Vater abgebrochen

Heute hat sie ein gutes Verhältnis zu ihrem Sohn: „Mit erwachsenen Kindern ist es ja so, dass man sich oft lange nicht sieht. Aber wenn wir uns sehen, dann ist es sehr schön, sehr vertraut.“ Zu seinem Vater hat Pascal nur noch wenig Kontakt. Dass er sich damals dazu entschieden hat, bei seinem Vater zu leben, verursacht ihm noch heute ein schlechtes Gewissen.

Die Frage, ob sie mit ihrem Ex-Mann ein grundsätzliches Gespräch über diese ganze Situation habe führen können, verneint Ruth Krüger. „Das ist nicht möglich. Er hat den Kontakt zu mir komplett abgebrochen.“ Aber sie möchte ihre Geschichte erzählen, um anderen Eltern in Trennungssituationen deutlich zu machen: „Vergesst nie, dass ihr euer ganzes Leben lang Eltern bleibt, auch wenn ihr euch als Paar trennt! Versucht, euren Kindern gemeinsam Eltern zu sein und gemeinsam Entscheidungen für sie zu treffen. Denkt an eure Kinder und nicht an euch und euer vermeintliches Lebensglück!“

Bettina Wendland ist Redaktionsleiterin von Family und FamilyNEXT. Sie lebt mit ihrer Familie in Bochum.

Schmetterlinge auf Irrwegen

Frisch verliebt in den Freund meines Mannes – und dann?

„Was war das?“, dachte ich erschrocken. Dieser Blickkontakt dauerte etwas zu lange und ging mir viel zu tief. Zwar fühlte sich das ungewohnt schön an, aber natürlich auch zutiefst falsch. Mir wurde sofort bewusst, dass etwas Ungewöhnliches passierte, aber dass das der Beginn einer emotionalen Achterbahnfahrt mit heftigen Zerwürfnissen für meine Ehe war, ahnte ich nicht.

Zu Tom (alle Namen geändert), einem langjährigen Freund meines Ehemannes, pflegten wir als Familie ein freundschaftliches Verhältnis und teilten viele Alltagsmomente. Dass wir uns schon so viele Jahre kannten, erschwerte es mir, den Ernst der Lage zu erkennen. Nach diesem Blick nahm ich den jahrelangen Freund plötzlich anders wahr. Ich sammelte meinen Mut, schrieb Tom und konfrontierte ihn mit dem nicht zu leugnenden Knistern zwischen uns. Das war der Beginn vieler Nachrichten.

Zerrissen zwischen Glücksgefühl und Scham

Eine Grenze war überschritten. Es ging nicht mehr nur um Absprachen zur nächsten Grillparty oder zum nächsten Gottesdienstplan. Nein, plötzlich ging es um uns beide. Wir teilten uns einander mit. Wir schrieben über das, was wir fühlten, dachten und erlebten. Damit gossen wir Öl in das beginnende Feuer und beschleunigten die Gefühlslawine massiv.

Eine Zeit der Zerrissenheit in mir hatte begonnen. Auf der einen Seite die Glücksmomente mit Tom in unserer Nachrichtenwelt, auf der anderen die tiefe Scham gegenüber David, meinem Ehemann. Das Tempo der wachsenden Gefühle überstieg meine rationale Entscheidungsfähigkeit.

Kein Kontakt – unmöglich!

Nach wenigen Wochen erzählte ich David von meinen Gefühlen und dem Kontakt zu unserem gemeinsamen Freund. Er reagierte sanft schockiert, aber auch noch zuversichtlich und nicht verurteilend. Darüber war ich sehr dankbar. Jedoch wünschte er sich mit Nachdruck, dass Tom und ich keinen weiteren Kontakt haben sollten, damit es nicht schwieriger für alle Beteiligten werden würde.

Doch zu dem Zeitpunkt dachte ich noch völlig naiv, dass das nicht nötig sei. „Ich habe meine Gefühle doch im Griff und kenne meine Grenzen!“, behauptete ich. Dabei hatte ich die Situation schon lange nicht mehr unter Kontrolle. Ich schrieb Tom noch eine Weile offiziell, später dann heimlich.

Erfüllender als der Ehealltag

All die virtuellen Momente mit Tom erschienen mir schöner, romantischer und erfüllender als mein Ehealltag. Alles fühlte sich so echt, tief und unglaublich nah an, obwohl wir uns ausschließlich in unseren Nachrichten „trafen“. Ich nutzte jede freie Minute, um ihm zu schreiben.

Auf diese Weise nahm ich ihn virtuell fast überall mit – auf Geburtstagspartys, zur Beerdigung, zum Trainieren, zum Unkrautjäten. Ohne dass ich es wahrnahm, entwickelte er sich zu einem riesengroßen Teil meines Lebens. So permanent umgeben von Schmetterlingen gab es allerdings keinen einzigen Tag, an dem mich nicht mein Gewissen plagte und mich stumm anschrie. Ich schrie innerlich eine Menge an Rechtfertigungen zurück: „Wir schreiben uns doch nur und mehr passiert nicht!“, „Es ist doch gar keine echte Affäre!“ …

Die Ehe bröckelt

David spürte, dass ich nicht ganz bei ihm war, dass meine Gefühle und Gedanken bei einem anderen Mann festhingen. Es schmerzte ihn sehr, dass ich es nicht schaffte, den Kontakt zu Tom komplett zu unterbinden. Am meisten verletzte es ihn, dass ich nicht ehrlich zu ihm war. Häufig kam es zu Streit. Derart schwere Auseinandersetzungen hatten wir noch nie zuvor in unserer Ehe miteinander erlebt. Es wurde laut, emotional verletzend und aufwühlend. Nach vielen Diskussionen und Streitereien musste etwas passieren. Als Ehepaar waren wir uns mittlerweile so fremd geworden, dass ich an unserer Liebe zweifelte. Zweimal überlegte ich, ob es vielleicht besser sei, getrennte Wege zu gehen. Wir taten uns nicht mehr gut und verletzten uns permanent mit Worten. Es war keine Freude mehr, in Davids Nähe zu sein. Wir konnten zwar noch gut als Eltern-WG funktionieren, aber natürlich spürten unsere Kinder die Spannungen zwischen uns.

Allerdings gab es hin und wieder Momente der Nähe. Ohne viele Worte zu verlieren, konnten wir uns trotz allem Frust und aller Distanz intim nah sein. Dies war fast unsere einzige Brücke, die noch geblieben war. Wieso konnte es so weit kommen? Ich war doch während der letzten zehn Jahre glücklich in meiner Ehe, oder? Wie konnte Tom einen Platz in meinem Herzen einnehmen, den ich eigentlich meinem Partner versprochen hatte?

„Er hatte etwas in mir geweckt, was viele Jahre schlummerte“

Tom fand mich toll und war begeistert von mir, von meinem Wesen und von Eigenschaften, die David eher nicht so spannend oder erwähnenswert fand. Tom schätzte meine Kreativität, meine Ideen, meine Sensibilität und fand mich als Frau einfach wunderbar. David brachte Lob und Wertschätzung nur sporadisch zum Ausdruck. Eigentlich hatte ich mich damit abgefunden, dass David mir auf andere Weise seine Liebe zeigte.

Ich hatte meine Bedürfnisse vernachlässigt und viel zu selten reflektiert, was mir guttun würde. In den Kleinkindjahren war es leider fast ein Luxus für mich, mal ganz bewusst nach innen zu sehen und zu erkennen, was gerade für mich und uns als Paar dran ist.

Und plötzlich kommt jemand, der mich genau mit meinen Gaben wertschätzt, meine Bedürfnisse versteht und die offenbar brachliegenden Facetten meiner Persönlichkeit wahrnimmt. Er hatte etwas in mir geweckt, was viele Jahre einfach nur schlummerte. Ich sog die Aufmerksamkeit und Wertschätzung von Tom wie ein Schwamm auf. Da war jemand, der mich wirklich sah.

Abschied von Tom

Ein heftiger Streit zwischen David und mir ließ mich plötzlich realisieren, dass es so nicht weitergehen konnte. Meine Gewissensbisse türmten sich zu einer großen Welle, die über mich hereinbrach. Mein Herz schlug, meine Beine zitterten ununterbrochen und ich weinte. David konfrontierte mich damit, dass ich mich entscheiden musste. Das tat ich auch! Nur ein paar Stunden nach diesem Vorfall beendete ich die Verbindung mit Tom. Schweren Herzens, aber klar und bestimmt.

Der Abschied von Tom war schmerzhaft. Es fühlte sich an, als würde ein Teil in mir sterben und zerfallen. Gleichzeitig entwickelte sich eine tiefe Erleichterung und ein Frieden in mir. Endlich gab es keine Gewissensbisse mehr, die mir täglich zusetzten. Außerdem wurde mir mehr und mehr bewusst, was passieren hätte können, wenn wir über das Schreiben hinaus weitere Schritte gegangen wären …

Und heute?

Es hat gedauert, bis ich wieder im Ehealltag ankam. In den Jahren davor waren David und ich mit unseren zwei Kindern vor allem als Team, als WG, als Mini-Management-Group unterwegs. In der Krise haben wir uns als zwei individuelle Persönlichkeiten neu entdeckt. Es war gut, sich selbst neu zu betrachten und zu fragen: Wo stehe ich? Was ist von mir als Persönlichkeit noch da und was ist zu einem großen Wir verschmolzen?

Mittlerweile sind die Gefühle für Tom tatsächlich abgeklungen. Zu Beginn war der Verzicht auf die Nachrichten von Tom wie eine Entwöhnung. Tatsächlich stellten sich mit der Entscheidung für David Vertrautheit, Gefühle und Frieden in unserer Ehe nach und nach wieder ein. Davids Vertrauen in mich und uns musste wieder aufgebaut werden. Es wurde stetig besser, brauchte aber sehr viel Zeit.

Ich bin keineswegs dankbar für diese Erfahrung – zu schmerzhaft und auslaugend war diese Zeit. Dennoch durften wir so viel lernen. Dafür bin ich absolut dankbar!

Unsere Autorin möchte anonym bleiben.

Was hat geholfen?

  • Viele, viele Gespräche zu zweit: Wir versuchten, erst über dieses Thema zu reden, wenn die Kinder schliefen, aber es nicht zu spät werden zu lassen, weil unser Austausch nach 23 Uhr oft aus dem Ruder lief.
  • Körperliche Nähe: Auch wenn dies vielleicht paradox klingt: In manchen Phasen konnten wir uns nur auf körperlicher Ebene nahe sein – das hat unsere Ehe mit gerettet.
  • Freunde und Familienangehörige, die sich trauten, nachzufragen: Dies war leider wirklich eine Seltenheit. Wir versuchten, unsere Ehekrise nicht zu verheimlichen. Die wenigsten trauten sich aber, konkret nachzufragen. Dabei hätte ich mir so sehr mutiges Interesse gewünscht! Seitdem frage ich viel konkreter in meinem Freundes- und Familienkreis nach, wie es in den Ehen geht. Einsamkeit in schweren Zeiten ist kein guter Begleiter.
  • Ehe-Beratung: Wir haben beide schnell gemerkt, dass wir alleine nicht weiterkommen. Die Unterstützung einer Beratungsstelle war für uns massiv hilfreich. Eine Aussage der Beraterin half mir besonders: „Gefühle für jemanden außerhalb der Ehe zu entwickeln, ist völlig normal. Die Frage ist nur: Wie fair und ehrlich gehe ich damit um? Was mache ich draus?“
  • Professionelle Einzelberatung: Jeder von uns nahm persönliche Beratung oder psychologischen Support für sich in Anspruch. Es war gut, einen Rahmen zu haben, um diese Erlebnisse allein und ganz frei mit professioneller Hilfe aufzuarbeiten.
  • Der Eheabend: Unsere Eheberatung empfahl uns, einen festen Abend pro Woche für uns beide zu reservieren, und das machen wir seitdem. An diesem Termin wurde selbst in den schlimmsten Zeiten nicht gerüttelt, selbst wenn es alles andere als romantisch war. Doch diese Abende wurden zu einem emotionalen Anker für uns beide.
  • Eine Freundin: Für ihre Hartnäckigkeit und Ehrlichkeit war ich sehr dankbar. Sie ermutigte mich, an unserer Ehe festzuhalten und daran zu arbeiten. Sie sagte mir sehr oft: „Jeder Mensch hat wundervolle, aber auch herausfordernde Seiten. Das wird auch mit einem anderen Partner so sein.“ Völlig logisch, aber eben nur, wenn man nicht gerade frisch verliebt ist.

„Sie ist fremdgegangen“

„Unsere Tochter war ihrem Mann untreu. Nun lebt sie getrennt von ihm und ihren Kindern. Wir wissen nicht, wie wir mit dieser Situation umgehen sollen. Einerseits wollen wir unserer Tochter helfen, andererseits sehen wir das Leid, das sie unserem Schwiegersohn und unseren Enkeln zugefügt hat. Was sollen wir bloß tun?“

 

„Und sie lebten glücklich und zufrieden bis an ihr Lebensende“ – dieses klassische Ende der Kindheitsmärchen ist in unserer Seele verankert, und wie wünschen wir uns dies auch für die Ehe unserer Kinder!

Es ist eine starke Erschütterung, wenn eine Ehe zerbricht. Dies betrifft nicht nur die beiden Ehepartner und deren Kinder, sondern auch die Familien und Freunde des Paares. Es wird dann empfunden, als ob eine „Welt zusammenbricht“ und das ist es ja auch: Die Ehe- und Familienwelt fällt auseinander. Gerade die Eltern des Paares stehen verzweifelt und oft ratlos vor dem Ehe-Scherbenhaufen. Die Eltern lieben das eigene Kind, haben aber auch den Partner und die Enkel lieb gewonnen und sitzen nun buchstäblich zwischen den Stühlen.

Eltern sind nicht verantwortlich!

Zuerst ist es wichtig, dass die Eltern sich selbst auch eine Traurigkeit über diese starke Ehekrise zugestehen, aber sich gleichzeitig klar darüber werden, dass diese Krise in der Verantwortung der Ehepartner liegt. Auch wenn die Eltern vielleicht im Vorfeld keine Krise wahrgenommen haben, hätte die Mutter oder der Vater wenig Einfluss darauf nehmen können. Die Ehekrise ist in erster Linie ein Geschehen zwischen den Ehepartnern.

Es ist wichtig, dass die Eltern sich nun nicht zu einem Ehetherapeuten entwickeln, sondern – und das ist sehr viel – weiter für die Familie da sind. Dies bedeutet, dass Sie nur etwas zu dem Konflikt sagen, wenn Sie von der Tochter oder dem Schwiegersohn dazu befragt werden. Machen Sie stattdessen das Angebot: Wir sind an der Seite eurer Familie, doch ihr müsst uns sagen, wo ihr Unterstützung braucht.

Oma und Opa können den Enkeln Sicherheit geben

Diese Klarheit  ist wichtig, denn der Fokus der Eltern sollte besonders auf den Enkelkindern liegen, um Freiraum und Sicherheit für die Enkel zu gestalten. Dazu gehört, dass die Eltern nicht schlecht über die oder den eine/n Ehepartner/in vor den Enkeln sprechen. Dagegen können kleine gemeinsame Unternehmungen, Besuche und Übernachtungen mit und bei Oma und Opa Stabilität in dem wankenden Ehe- und damit auch Familienalltag für die Enkel bringen.

Die Liebe der Eltern zu ihrer Tochter, dem Schwiegersohn und den Enkeln bleibt. Doch sollte gerade diese Liebe nicht dazu verführen, über die Krise zu urteilen, sondern versuchen, die Beziehungs- und die Konfliktebene zu trennen. Im besten Fall versöhnen sich die beiden Ehepartner, und dann soll ja die Beziehung zu allen Beteiligten unbelastet und frei sein. Auch in so einer starken Ehekrise liegt immer die Chance, dass die Familie gestärkt daraus hervorgehen kann.

Ute Sinn ist verheiratet mit Martin, hat drei erwachsene Kinder und lebt und arbeitet als Seelsorgerin und Künstlerin in Wetter/Ruhr.

„Ein Wunder“: Vier Mal kämpft Simone gegen den Krebs – und siegt

Mit 13 Jahren wurde bei Simone Heintze das erste Mal Krebs diagnostiziert, ein Lymphdrüsentumor. Dreimal kommt die Krankheit zurück, davon einmal als Brustkrebs. Heute ist Simone Heintze 46 und gilt als geheilt. „Ein Wunder“, sagt sie.

Simone Heintze hat ein gelbes Tuch umgebunden. Gegen den Wind. Ein luftiger Sommertag in Herne im Ruhrgebiet, ein paar Wolken am blauen Himmel. Eine Kanne Tee, Kekse, ein Schälchen mit Kirschen, die sie vom Besuch in ihrer württembergischen Heimat am Wochenende mitgebracht hat. „Wir sitzen in einem windigen Eckchen“, lächelt sie. „Es erinnert mich an die See“.

Aus Krankheitsgründen Rente

Sie erzählt von ihrem Ehrenamt als „Versichertenälteste“ bei der Deutschen Rentenversicherung Westfalen. Als nach der dritten Chemo 2017 klar war, dass sie nicht mehr würde arbeiten können, hat sie sich dem Ehrenamt gewidmet. Einmal die Woche macht sie jetzt Rentenberatung „für Leute wie mich“, die aus Krankheitsgründen berentet werden. Die Arbeit macht ihr Freude, und „ich weiß, wie sie sich fühlen; diese Empathie tut kranken Menschen gut“.

Sorge um die Kinder

Wir sind mitten im Thema. Wie ist es, wenn das Leben durchgerüttelt wird? „Da ist alles drin“, sagt Simone Heintze nachdenklich. Zeitweise war es „ein Kampf“. Erschöpft hat sie in manchen Phasen gesagt: „Ich will und kann nicht mehr!“, als Jugendliche schon gefragt: „Was soll dieses Leben?“ Sie empfindet es als „Gnade, dass ich nicht bitter geworden bin“. Manchmal hat sie trotzig gesagt: „Ich schaff das schon …“ Ist es gut, das zu sagen, oft wider alle Vernunft? „Für einen selber manchmal ja“. Am Anfang einer Krankheitsphase ist so ein Satz auch „eine Botschaft an die Kinder: dass sie nicht in Panik geraten“. Das war bei den Erkrankungen 2013 und 2017 ihre größte Sorge. „Manchmal sagt man sowas auch unbewusst, um die anderen zu beruhigen.“

„Meine Ehe hat’s nicht überstanden“

„Echt schlimm“ war für Simone Heintze die Trennung von ihrem Mann, 2013, im Zuge ihrer Brustkrebserkrankung: „Die Chemo war schon schlimm, aber die Trennung hat das noch getoppt.“ Für sie „war immer klar: Ich bleib mein Leben lang verheiratet. Ich dachte: Irgendwie findet man wieder einen Weg zueinander.“ Es kommt anders. Sie schüttelt den Kopf: „Dass das so auseinanderdriftet, dass wir uns überhaupt nicht mehr kennen, dass jeder sich so verändert – das war erschreckend! Da knabber‘‚ ich heut noch dran.“ Sie möchte nicht näher darüber reden, auch mit Rücksicht auf ihren Ex-Mann. Nur so viel: „Meine Brustkrebserkrankung hab ich überlebt, aber meine Ehe hat’s leider nicht überstanden.“

Endlich wieder Haare

Sie streicht ihre Haare zurück, die der Wind zerzaust. Eine leichte Bewegung nur, aber eine wichtige. Weil neben den medizinischen Fragen auch kosmetische eine Rolle spielen. Andere können die Krankheit sehen. „Auch wenn man selbst morgens die Glatze sieht, wird einem bewusst: Du bist richtig krank!“ An manchen Tagen, wenn sie partout keine mitleidigen Blicke ertragen konnte, hat sie ihre Perücke aufgesetzt – und öfter Komplimente für die „schicke Frisur“ erhalten, schmunzelt sie. Perücken sind mittlerweile so gut, dass viele nicht merken, dass man eine trägt. Vor allem aber freut Simone sich, dass die Haare bei ihr schnell nachwachsen. Nach der letzten Therapie begann es „mit einem weichen Kükenflaum“. Ihre Kinder haben ihr danach doppelt gern über den Kopf gestreichelt. „Selbst die Ärzte fanden das toll! Mein Arzt, Dr. Abdallah von den evangelischen Kliniken Gelsenkirchen, sagte: ‚Ich muss einmal über Ihre Haare streichen‘.“

Kerzenflashmob

Simone Heintze deutet auf ein mehrstöckiges Gebäude nur ein paar hundert Meter Luftlinie entfernt: „Da drüben ist übrigens meine Klinik, das Marienhospital Herne, wo ich in Behandlung war.“ Sie arbeitet da noch als „Grüne Dame“ in der Onkologie und läuft immer mal ihrem Onkologen Professor Strumberg über den Weg. Zu ihren Ärzten hat sich ein „inniges Verhältnis“ entwickelt. „Sie standen wie eine Wand hinter mir, haben mir signalisiert: Wir gehen mit Ihnen zusammen da durch.“ Besonders, als sich ihr Zustand während der Behandlung 2017 dramatisch verschlechtert, eine Lungenentzündung und eine Herzmuskelentzündung sich einschleichen, ihr Leben zeitweilig am seidenen Faden hängt. Es geht ihr „grottenschlecht“, als Prof. Strumberg sagt: „Wir schaffen das zusammen.“ Und Dr. Abdallah nimmt bei Gesprächen ihre Hand in seine, sendet das Signal: Jetzt passe ich auf Sie auf! Dazu kommt eine WhatsApp-Gruppe mit etwa 35 Freunden und Bekannten, aus ihrer Kirchengemeinde, die fast rund um die Uhr für sie beten. Als es ihr besonders dreckig geht, entzünden alle bei einem „Kerzenflashmob“ eine Kerze für sie.

Mehr als Glück

Die Behandlung ist erfolgreich, Simone Heintze als geheilt entlassen. Es war „ein ganzes Gebilde“, das sie mit ihrer Familie da durchgetragen hat. „So, wie ich jetzt dastehe, nach vier Erkrankungen, Chemotherapien, körperlichen Torturen, nach der Herzerkrankung – das kann sich keiner erklären.“ Wieder lächelt sie: „Ärzte tun sich ja schwer, ein Wort wie ‚Wunder‘ in den Mund zu nehmen, vor allem ein göttliches Wunder. Sie sagen dann: Da ist etwas passiert, was wir uns unter normalen Umständen nicht erklären können …“ Für sie ist klar: „Ich sehe es als Wunder; nicht nur eins, sondern viele Wunder sind da passiert. Was Menschen unmöglich ist, das macht Gott möglich.“

„Gott ist bei mir!“

Die Erfahrungen der vergangenen Jahre haben sie gelassener gemacht. Natürlich hat sie Zweifel gehabt: „Gott, hast du mich jetzt doch vergessen?!“ Auch ihre Kinder fragen: Wie kann Gott das zulassen, wo du doch so gläubig bist?! Simone sagt: „Ihr habt recht, aber kein Christ schwebt auf einer rosaroten Wolke.“ Viel wichtiger findet sie „die Erfahrung: Ich bin nicht allein, Gott ist bei mir! Das erlebt man aber nur, wenn’s einem so geht“.

Original Sylter Korb, blau-weiß

Simone Heintze sitzt bei sich im Garten, in einem blau-weißen Strandkorb: ein Sylter Original, vor Jahren auf der Insel ausrangiert. Ein Erinnerungsstück und Geschenk von ihrem Ex-Mann zum 40. Geburtstag. Hier kommt alles zusammen: Sylt ist „meine Erholungs- und Seeleninsel“. Der Blick übers Meer hilft ihr, „als ob die Weite auch mein Inneres weitet“. Eine Erinnerung an 20 Jahre Familien-Urlaub auf der Insel: „Ich war 20 Jahre verheiratet, da war ja nicht alles Mist …“

Heulend auf dem Abiball

Hat sie Träume für die Zukunft? Sie möchte Freunde besuchen, Zeit zum Zuhören haben. Sie freut sich darauf, viel mit ihren Kindern zu erleben, zu sehen, wie sie selbstständig werden, mitfeiern zu können. Als ihr Sohn 2015 seinen Abiball gefeiert hat, hat Simone erst mal geheult – sie hätte nicht gedacht, dass sie das noch erleben würde. „Die Lebensfreude ist bei mir immens. Ich mache mir bewusst, wie viel ich schon erlebt habe, wie viel Wertvolles entstanden ist. Diese Dankbarkeit gibt mir Mut für die Zukunft.“

Über ihren Kampf gegen den Krebs hat Simone Heintze zusammen mit Julia Fiedler auch ein Buch geschrieben: „Wäre schön blöd, nicht an Wunder zu glauben“ (Gerth Medien).

„Ich liebe einen schwierigen Menschen“

Manche Menschen zerstören durch ihr Verhalten auf Dauer jede nahe Beziehung. Kann man mit ihnen zusammenleben? Von Jörg Berger

Manchmal wird es in einem einzigen Augenblick ganz deutlich: „Was mein Partner tut und sagt, ist nicht normal.“ In diesem Moment bricht ein Damm aus Beschönigungen und Entschuldigungen. Eine Flut schmerzlicher Einsichten spült alte Gewissheiten fort. Die Erkenntnis verändert die gesamte Sicht, und das Leben steht unter Wasser. Dem eigenen Umfeld kann man kaum erklären, was da passiert. Schließlich sind Freunde und Verwandte auch davon ausgegangen, dass alles weitgehend in Ordnung ist. Oder haben sie bereits alles geahnt und nur aus Taktgefühl geschwiegen?

Was bitte ist normal?

Doch wie soll man mit Sicherheit sagen können: „Mein Partner ist schwierig.“ Haben nicht beide ihren Anteil? In etwa 90 Prozent aller Paarbeziehungen ist es auch eine gute Regel, dass sich jeder am besten an die eigene Nase fassen sollte. Doch in etwa zehn Prozent der übrigen Paarbeziehungen führt das nicht weiter. Die Lebensweisheit, dass immer beide schuld sind, verdeckt dann eine schmerzliche Wahrheit, denn es gibt Menschen, die sich in nahen Beziehungen so verhalten, dass mit ihnen ein Zusammenleben konfliktreich und frustrierend ist. Es gibt extreme Verhaltensmuster, die in einer Paarbeziehung schwer erträglich sind. Folgende kommen am häufigsten vor:

Dominanz und Kontrolle. Ein Partner versucht, das gemeinsame Leben weitgehend allein zu bestimmen. Er verwickelt den anderen in zähe Machtkämpfe, wenn dieser mitbestimmen will. Es kommt häufig zu Grenzüberschreitungen: zum Versuch, das zu beeinflussen, was eindeutig in der Entscheidungsfreiheit des anderen liegt. Auch übermäßige Kritik kann ein Mittel von Kontrolle sein.

Verschlossenheit. Ein Partner zieht sich bei Konflikten zurück und verweigert sich emotionaler oder sexueller Nähe. Vielem, was andere Paare gemeinsam tun, entzieht sich der verschlossene Partner ebenfalls.

Verantwortungsflucht. Ein Partner vernachlässigt den Einsatz für das Familieneinkommen, den Haushalt oder die Kindererziehung in schwerwiegender Weise. Er kümmert sich kaum um die eigene Entwicklung und auch nicht um die Paarbeziehung.

Aggression. Ein Partner kann seine Aggression nicht zurückhalten, die sich in lautem Streit, Beleidigungen, Abwertungen, Drohungen, Gewalt oder Racheakten entfesselt.

Sucht. Sie ist ein Sonderfall schwierigen Verhaltens. Ein Suchtmittel wie Alkohol wird zunehmend zum Mittelpunkt des Lebens, und für Partnerschaft und Familie fallen nur noch Reste ab. Hier ist es die Macht der Sucht, die einen Partner schwierig macht, der, abgesehen davon, ein umgänglicher Mensch sein kann.

Ein sicheres Unterscheidungskriterium findet sich außerhalb der Paarbeziehung. Ein schwieriger Partner hat entweder keine nahen Beziehungen außerhalb der Partnerschaft oder es treten ähnliche Probleme wie in der Paarbeziehung auf, sobald Beziehungen näher und verbindlicher werden. Wenn Sie solche Differenzen im Umfeld Ihres Partners feststellen, dann ist die Diagnose eindeutig: „Nicht ich bin schwierig, sondern ich liebe einen schwierigen Menschen.“

Was kann ich tun, damit sich mein Partner ändert?

Partner von schwierigen Menschen suchen meist erst nach leidvollen Jahren eine Seelsorge, Beratung oder Psychotherapie auf. Oft stellen sie eine Frage, auf die es nur eine ernüchternde Antwort gibt. Sie fragen: „Was kann ich tun, damit sich meine Frau/mein Mann anders verhält?“ – „Nichts“, müssen Fachleute dann ehrlich sagen. „Ändern kann sich nur jeder selbst.“ Schwierige Partner sind nicht bereit, in eine Paarberatung oder -therapie zu gehen. Wenn sie dies tun und ernsthaft mitarbeiten, dann stimmt die Einschätzung „schwierig“ nicht, denn dass sie sich nicht korrigieren lassen, ist ein charakteristisches Merkmal schwieriger Menschen. Wenn sich schwierige Partner unverhofft doch selbst in Beratung oder Therapie begeben, ist das eine Chance. Ich kenne jedoch auch Fälle, in denen schwierige Menschen ihre Probleme und Lebenssituation in der Therapie verschleiert haben. Gestärkt von der persönlichen Begleitung leben sie dann ihre unguten Muster umso selbstbewusster aus: „Ich habe gelernt, mich abzugrenzen.“ – „Ich muss auch einmal für mich selbst sorgen.“

Im Zusammenleben mit einem schwierigen Menschen müssen sich betroffene Partner ihrer Ohnmacht stellen: „Selbst wenn ich mich auf der Stelle in eine Heilige/einen Heiligen verwandle, wird das am schwierigen Verhalten meines Partners nichts ändern.“ Als Ausweg öffnen sich drei Wege: eine Trennung als letzte Konsequenz ins Spiel bringen, ein Gleichgewicht aus Unabhängigkeit und Einsatz finden oder die Selbstaufopferung in der Bindung an Gott.

Der erste Weg: Die Trennung als letzte Konsequenz

Für diesen Weg entscheiden sich heute viele, die jahrelang unter einem schwierigen Ehepartner gelitten haben. Sie gehen ihn allerdings zu spät, dann nämlich, wenn sie mit der Beziehung bereits abgeschlossen haben. Es gibt schwierige Menschen, die tatsächlich den Weg der Veränderung suchen, wenn eine Trennung droht. Etliche habe ich in dieser Situation schon begleitet. Aber ihr ernsthaftes Bemühen und ihre Fortschritte nützen manchmal nichts mehr. Sie klopfen wieder beim Partner an. Aber die Tür bleibt verschlossen.

Wenn man dem Partner mit Trennung droht, dann sollte man das früh genug tun, zum Beispiel mit einer Haltung wie dieser: „Ich bin nicht mehr bereit, deine Verschlossenheit zu ertragen. Unser gemeinsames Leben kann man schon längst nicht mehr Ehe nennen. Wenn sich im nächsten halben Jahr nichts ändert, werde ich mich trennen. Zunächst in der Hoffnung auf Änderung, wenn nötig, auch endgültig.“

Ich habe Ethikpapiere unterschiedlicher Kirchen zu diesem Thema studiert. Keines sieht die Ehe als einen Freibrief für einen Partner, sich gehen zu lassen. Keines bindet Menschen in einer bereits gescheiterten Ehe fest. Wenn der veränderungsbereite Partner alle Möglichkeiten ausgeschöpft hat, tragen Kirchengemeinden aller Denominationen einen Weg der Trennung mit. Besonders bei Aggressionsdurchbrüchen, sadistischem Verhalten, schwerer Verantwortungsflucht und Suchtverhalten wird man Mitstreiter finden, die auch helfen, die praktischen Auswirkungen einer Trennung aufzufangen. Vielleicht ist das aber gar nicht nötig, weil dem schwierigen Partner am Ende die Ehe doch wichtiger ist als das Beharren auf seinen Eigenarten, wie auch im folgenden Fall.

Rainer hat sich von der Sexualität zurückgezogen, weil er sich von Leonore kritisiert gefühlt hat. Seit Jahren gibt er kaum noch etwas preis, behält seine Gedanken und Gefühle für sich. Dafür öffnet er sich einer Arbeitskollegin. Rainer gibt sich gar keine Mühe, die Innigkeit mit ihr zu verbergen. Als Leonore nachfragt, räumt er Komplimente, Umarmungen und französische Begrüßungsküsschen ein. „Mir gibt das viel“, sagt Rainer.

Nach einem halben Jahr hat Leonore genug. Sie ist zur Trennung entschlossen, wenn Rainer sich nicht von der Kollegin distanziert. Einige Wochen steht die Zukunft auf der Kippe, dann gibt Rainer nach. Dadurch wird der Alltag auch wieder angenehmer. Leonore und Rainer kommen besser ins Gespräch, die Unternehmungen als Familie machen wieder Freude.

Der zweite Weg: Einsatz bringen und sich unabhängig machen

Es gibt Partner von schwierigen Menschen, die für sich einen zweiten Weg entdeckt haben: Sie investieren in ihre Ehe und grenzen sich gleichzeitig ab, wo es nötig ist. Man kann ihre Ehe in drei verschiedene Bereiche unterteilen: Den ersten Lebensbereich, in dem es trotz allem schön ist, können sie genießen und ausbauen. Dann gibt es einen zweiten Bereich, der nur dann gut läuft, wenn einer einseitig investiert, zum Beispiel einseitig Gelegenheiten zu Nähe sucht und nutzt. Solche Beziehungsbereiche können dann schön und befriedigend sein, wenn man die Einseitigkeit akzeptiert und sich nicht daran aufreibt, dass vom anderen nichts zurückkommt. Drittens gibt es die Beziehungsbereiche, die auch dann nicht schön werden, wenn einer einseitig investiert, weil der andere Partner hier zu stark blockiert. In diesen Bereichen kann man sich unabhängig machen.

Wenn ein Partner zum Beispiel nicht reden will, wird der andere seine Freundschaften vertiefen und dafür auch Zeit einsetzen, die andere mit ihrem Partner verbringen. Das kann man so vertreten: „Eigentlich hätte ich lieber mit dir mehr vertrautes Gespräch. Wenn das aber nicht möglich ist, verbringe ich diese Zeit lieber mit Freunden.“ In einer anderen Situation kann Unabhängigkeit so klingen: „Du drohst mir und beleidigst mich gerade. Wenn du das tust, brauche ich Abstand. Ich werde die Zeit bis zum Wochenende mit den Kindern bei meinen Eltern verbringen.“ Akzeptanz und Loslassen sind hier die Schlüssel, die eine glückliche Ehe ermöglichen, auch wenn im Vergleich zu anderen Ehen vielleicht Wichtiges fehlt.

Leonore steht vor einer weiteren Entscheidung. Wie stellt sie sich zu Rainers sexueller Verweigerung? Eine Paarberatung lehnt er ab, und tiefer gehende Gespräche sind nur alle paar Monate möglich, wenn Rainer einmal sehr gelöst ist. Soll sie noch mal alles aufs Spiel setzen, um ihren Mann hier in Bewegung zu bringen? „Nein“, entscheidet Leonore, „auf keinen Fall, solange die Kinder uns als Eltern brauchen.“ Stattdessen entschließt sie sich zu Unabhängigkeit. Sie öffnet sich gegenüber ihren besten Freundinnen: „In manchem habe ich es sehr gut mit Rainer, aber als Frau muss ich mit unerfüllten Bedürfnissen leben.“ Es tut gut, sich nicht mehr verstecken zu müssen. Außerdem entschließt sich Leonore zu einer anspruchsvollen Fortbildung. Rainer meckert manchmal, weil sie nun viel außer Haus ist und sich oft zum Lernen zurückzieht. Rainer scheint jedoch zu ahnen, dass sie hier eine Erfüllung sucht, die ihr mit ihm fehlt. Letztlich unterstützt er sie bei ihrer Fortbildung.

Der dritte Weg: Eine selbstaufopfernde Liebe

Wenn ich mit Betroffenen nach Wegen suche, stelle ich auch diesen dritten Weg vor. Es ist ein spiritueller Weg, den zum Beispiel Menschen in der Nachkriegsgeneration gegangen sind. Hier sind mir einige Beispiele bekannt. Betroffene haben in einer schwierigen Ehesituation alle Wünsche losgelassen: nach Sicherheit, nach emotionaler und intimer Erfüllung, nach Wertschätzung und Respekt. Stattdessen haben sie sich entschlossen, ihrem Partner zu dienen und ihn zu lieben, ganz gleich, wie sich dieser verhält. Dies ist keine erotische Liebe mehr, sondern eine Nächstenliebe oder sogar Feindesliebe. Das geht freilich nur, wenn Betroffene ihre Bedürfnisse in eine tiefe Gottesbeziehung einbringen wie es Menschen tun, die im Zölibat leben. (Die Nachkriegsgeneration ist auch die letzte, die in größerer Zahl zu einem zölibatären Leben befähigt war.) Ein solcher Weg entspannt eine schwierige Beziehung oft. Mit den Jahren bessern sich schwierige Partner angesichts einer überraschenden und bedingungslosen Liebe.

Dieses Happy End fand die Beziehungsgeschichte von Marga und Heinz-Dieter. Sie blieben kinderlos und dies auch wegen Margas Alkoholproblem. Nüchtern war Marga über viele Ehejahre kaum zu ertragen. Sie war nervös und selbstbezogen. Die meiste Hausarbeit fiel Heinz-Dieter zu, Marga fehlte im Umgang mit ihm jedes Taktgefühl und jede Bereitschaft, seine Bedürfnisse wahrzunehmen. War es Bequemlichkeit oder sein Wachstum im Glauben, die Heinz-Dieter bei Marga hielten? Es war wohl beides. Mit der Entschlossenheit eines Liebenden verschlang Hans- Dieter geistliche Literatur, besuchte Exerzitien und brachte sich ins kirchliche Leben ein. Er gewann dort die Liebe, Ruhe und Großzügigkeit, die er zuhause verschenkte. Als Marga wegen des Trinkens ihren Job verlor, zwang sie das in eine Therapie. Marga reifte über die Jahre. Weil Hans- Dieter sie nicht verurteilte, konnte sich Marga für die Tatsache öffnen, dass sie ihrem Mann manches schuldig blieb. Sie lernte, fürsorglicher und aufmerksamer zu sein, was ihr je nach Tagesform manchmal besser, manchmal schlechter gelang. Rainer brachte die Entwicklung so auf den Punkt: „Eigentlich führen wir eine recht glückliche Ehe.“

Einen Weg aus Überzeugung gehen

Das Zusammenleben mit einem schwierigen Partner zieht Betroffene in einen Strudel der unterschiedlichsten Gefühle. Daher wechseln sie häufig ihre Strategie: Selbstaufopferung schlägt in eine Trennungsdrohung um, dem folgen Beschönigungen und dem wiederum der Versuch, dem Partner ins Gewissen zu reden. Diese wechselnden Verhaltensweisen heben nicht nur ihre Wirkung gegenseitig auf, sie erzeugen auch eine Verwirrung darüber, wo die Probleme liegen und wie es um die Paarbeziehung steht.

Deshalb sollte man sich nach reiflicher Überlegung für einen Weg entscheiden und diesen konsequent durchhalten. Nur dann helfen die genannten Strategien. Wer in der Beziehung den Halt verliert, muss ihn bei seinen tiefsten Überzeugungen finden. Wem das gelingt, der reift als Persönlichkeit und im Glauben enorm. Wenn ein schwieriger Partner dann doch zu einer Veränderung aufbricht, findet sich ein Glück in ungeahnter Tiefe.

 

Wenn Sie einen schwierigen Menschen lieben …

Es gibt Menschen, deren Charakter das Eheleben fast unerträglich macht. Ihre Partner sollten Folgendes beachten:

  • Suchen Sie die Schuld dafür, dass es nicht gelingt, echte Nähe zu Ihrem Partner herzustellen, nicht bei sich.
  • Schwierige Menschen lassen sich nicht ändern. Auch Sie können das nicht.
  • Investieren Sie in Bereiche, in denen Sie mehr Erfüllung finden als in Ihrer Ehe, zum Beispiel in Freundschaften, in die Karriere oder in Ihr geistliches Leben.
  • Suchen Sie nach einer Strategie, die für Sie funktioniert – drei mögliche Wege werden im Artikel beschrieben – und halten Sie mit großer Überzeugung daran fest. Ein ständiger Strategiewechsel wird Ihre Situation verschlimmern.

Jörg Berger ist Psychotherapeut in eigener Praxis. Er lebt mit seiner Familie in Heidelberg.

Zum Weiterlesen: Jörg Berger: „Stachlige Persönlichkeiten – Wie Sie schwierige Menschen entwaffnen“ Francke Verlag, Marburg.

Dieser Artikel ist erschienen in Family 1/16. Ein neuer Folgeartikel ist zu finden in der Ausgabe 5/20 von Family und FamilyNEXT.

Zur Vertiefung: Unter www.derherzenskompass.de/schwereliebe finden Sie einen Kurs des Autors zum Thema „Ich liebe einen schwierigen Menschen.“

 

Im Training bleiben

Fast jeder Mensch träumt vom Glück in der Liebe. Aber warum tun wir so wenig für die Beziehung, wenn wir erst mal den Partner fürs Leben gefunden haben? Von Marc Bareth

Es ist ein schwülheißer Dezembernachmittag in Kenia. Meine Frau und ich sind als Referenten beim dreitägigen Leadership-Training einer lokalen Kirche im Einsatz. Jetzt, nach getaner Arbeit, lassen wir uns gerne vom Bischof die Gegend zeigen. Wir kaufen einer Frau die letzten Mangos des Tages ab. Sie schneidet sie uns gleich auf. Als wir mit ihr sprechen, erscheint ihr Sohn Carlos. Ein schlanker Junge, etwas scheu, aber mit einem verschmitzten Lächeln auf dem Gesicht.

Carlos Kiprop ist dreizehn Jahre alt und hat einen Lebenstraum, dem er vieles unterordnet: Er möchte Profiläufer werden und gehört zum Stamm der Kalendjin. Und die Kalendjin sind Läufer. „Die einzig wahren Läufer“, so ihr Selbstverständnis. Tatsächlich kommen viele der weltbesten Stars aus diesem Dorf, an dessen Eingang ein großer Bogen mit der Aufschrift „Home of Champions“ steht. Auf dem Gelände der St. Patricks High School etwas außerhalb des Ortskerns dürfen nur die ehemaligen Schülerinnen und Schüler einen Baum pflanzen, die Weltmeister, Olympiasieger oder Weltrekordhalter sind. Es sind unzählige Bäume. Als wir durch die Anlage geführt werden und die Namen der Ausnahmeathleten auf den Schildern vor den Bäumen lesen, verstummen wir ehrfürchtig. Und fragen uns gleichzeitig: Wie kann ein so verschlafenes Kaff irgendwo im Hinterland von Kenia so viel Exzellenz hervorbringen?

Carlos investiert einiges, damit sein Traum in Erfüllung gehen wird. Um 6 Uhr früh macht er das, was einem dreizehnjährigen Teenager in Europa so ziemlich zuletzt einfallen würde: Er läuft ganz allein 5 Kilometer den Berg hoch und dann wieder runter. Das macht er jeden Tag, selbstverständlich auch am Wochenende. Nach dem morgendlichen Berglauf geht er zur Schule. Doch Carlos freut sich vor allem auf die Nachmittage, denn dann absolviert er mit seinem Schulteam das zweite Training des Tages. Er ist stolz darauf, dass er seine Schule im 3000-Meter-Hindernislauf repräsentieren darf.

Die Geschichte von Carlos klingt in uns bis heute nach. Wir haben uns gefragt, was wir im Westen bereit sind, in unsere Lebensträume zu investieren, zum Beispiel und im Besonderen in das Ziel einer langjährigen glücklichen Partnerschaft. In einer Umfrage gaben 81 Prozent aller deutschen Frauen und Männer an, dass eine dauerhafte Partnerschaft ein Lebenstraum von ihnen ist. Eine gelingende, erfüllende Beziehung ist für uns also ein sehr wichtiges Ziel. Das ist auch ein Grund dafür, dass das Auseinanderbrechen einer Partnerschaft immer ein massiver Einschnitt ist.

NUTZEN EINER STARKEN BEZIEHUNG

Der Nutzen einer starken, lebenslangen Partnerschaft ist wissenschaftlich klar erwiesen. Sie macht nicht nur glücklicher, sondern auch wohlhabender sowie körperlich und geistig gesünder. Und nicht zuletzt bietet sie ein sicheres Umfeld für das Aufwachsen von Kindern. Die Harvard Study of Adult Development läuft seit 1938 und ist eine der aussagekräftigsten Studien über das Leben und die Entwicklung von Erwachsenen. Die gesammelten Daten über das Leben der Studienteilnehmer und ihrer Partner, ihrer Kinder und ihrer Großkinder würden eine ganze Bibliothek füllen. Der mittlerweile vierte Direktor dieser Studie, Robert Waldinger, beschreibt eine wichtige Erkenntnis so: „Wir haben den Weg unserer Männer verfolgt, bis sie über 80 waren. Dann wollten wir auf ihre Lebensmitte zurückschauen, um zu sehen, ob wir vorhersagen können, wer zu einem glücklichen, gesunden 80-Jährigen werden würde und wer nicht. Als wir alles ausgewertet hatten, was wir über sie im Alter von 50 wussten, war es nicht ihr Cholesterinspiegel, der vorhersagte, wie alt sie werden würden, sondern wie zufrieden sie in ihren Beziehungen waren. Die Menschen, die mit 50 am zufriedensten in ihren Beziehungen waren, waren die gesündesten im Alter von 80.“ Und in seinem über 30 Millionen Mal geschauten TED-Talk fasst es Waldinger so zusammen: „Die wichtigste Botschaft der Studie lautet: Gute Beziehungen machen uns glücklicher und gesünder. Punkt.“

PARTNERSCHAFT UND GOTTESBEZIEHUNG

Dabei kann unsere Partnerschaft nicht isoliert von unseren anderen Lebensbereichen betrachtet werden, sie strahlt aus und beeinflusst unser ganzes Leben. Ungelöste Konflikte haben immer auch einen Einfluss auf unsere Spiritualität. Viele würden diese Bereiche gerne trennen, doch das geht nicht. Unsere Beziehung zu Gott und die zu unserer Partnerin oder unserem Partner sind untrennbar miteinander verbunden.

Schon vor rund 2000 Jahren schrieb ein guter Freund und Weggefährte von Jesus: „Entsprechend gilt für euch Männer: Zeigt euch im Zusammenleben mit euren Frauen verständnisvoll und nehmt auf ihre von Natur aus schwächere Konstitution Rücksicht. Sie sind ja durch Gottes Gnade Erben des ewigen Lebens genau wie ihr. Respektiert und achtet sie also, damit der Erhörung eurer Gebete nichts im Weg steht.“ (1. Petrus 3,7)

Vielen springt beim Lesen dieser Bibelverse der erste Teil ins Auge. Noch spannender finde ich aber den letzten Satz. Wer meint, er könne schlecht mit seiner Frau umgehen und seine Gebete würden trotzdem erhört, der irrt. Wir müssen unsere Partnerin oder unseren Partner respektieren und achten, wenn wir wollen, dass der Erhörung unserer Gebete nichts im Weg steht. Der Verfasser beschreibt hier sehr eindeutig eine Verbindung zwischen dem Eheleben und dem geistlichen Leben. Ich denke, dieser Bibelvers ist wenig populär, weil dieser Zusammenhang nicht gerne gehört wird. Doch auch das positive Gegenbeispiel scheint wahr zu sein: Eine liebevolle Beziehung führt offensichtlich dazu, dass der Erhörung unserer Gebete nichts mehr im Weg steht. Wenn wir in unserer Partnerschaft eine Atmosphäre der Annahme und Beziehungssicherheit schaffen, ist das eine wesentliche Grundlage, auf welcher wir wachsen und uns immer mehr in das hinein entwickeln können, was Gott für uns vorgesehen hat.

ZU WENIG INVESTIERT

Wir bekennen uns entschlossen zum Lebenstraum „dauerhafte glückliche Partnerschaft“. Doch was investieren wir wirklich, um unsere Beziehung zu stärken? Stehen wir – im übertragenen Sinn – jeden Morgen um 6 Uhr auf, um zusätzlich zu unserem normalen Teamtraining noch 10 Kilometer zu laufen? Die Kluft zwischen dem hohen Stellenwert einer langjährigen glücklichen Beziehung und den kleinen Investitionen dafür ist manchmal erschreckend. Es ist kaum zu erklären, dass wir etwas als unseren Lebenstraum bezeichnen, aber dann nicht bereit sind, wenigstens bewusst zwei Stunden pro Woche dafür einzusetzen. Nur wenigen Paaren gelingt es über die Jahre, sich regelmäßig Zeit zu nehmen, um an ihrer Beziehung zu arbeiten. Im Alltag drängen sich immer wieder Karriere, Kinder, Stress und Hobbys vor. Was uns eigentlich wichtig wäre, hat dann keinen Platz mehr.

Vielleicht liegt es daran, dass wir glauben, wir seien bereits mit der Fähigkeit zur Welt gekommen, eine gute Liebesbeziehung zu führen. Wir denken, wir müssten das nicht trainieren und keine Zeit extra dafür aufwenden, der normale Paaralltag sei genug Beziehungspflege. In anderen Lebensbereichen ist für uns das Konzept „wenig investieren und viel erwarten“ sehr irritierend. Ein Bauer beispielsweise, der auf einem Feld nichts sät und trotzdem reiche Ernte erwartet – er ist ja schließlich Bauer. Genauso absurd wäre es, wenn Carlos erwarten würde, ein guter Läufer zu werden, ohne dafür trainieren zu müssen.

BEZIEHUNGSTRAINING

Doch wie kann dieses Beziehungstraining aussehen? Es beginnt ganz banal damit, dass wir regelmäßige Zeiten zu zweit planen, um unsere Beziehung zu pflegen. Diese Zeiten müssen wir priorisieren, ja, wir müssen sie verteidigen wie eine Löwenmutter ihren Nachwuchs. Als nächstes müssen wir uns Mut antrainieren. Probleme ansprechen, den ersten Schritt machen, vergeben, uns unserem Partner öffnen, zusammen beten und uns verletzlich zeigen. Das alles braucht eine große Portion Mut, vertieft aber auch unsere Beziehung.

Der dritte Trainingstipp besteht darin, sich jährlich neue Impulse zu suchen. Sei es durch einen Ehe-Kurs, ein Paarwochenende, ein Beziehungsbuch oder ein Coaching – solche externen Anstöße bringen uns weiter auf dem Weg zum Lebenstraum „langjährige glückliche Beziehung“.

Marc Bareth schreibt regelmäßig in Family und FamilyNEXT und hat Impulse für die Ehe in seinem neuen Buch „Beziehungsstark – 5 Minuten für deine Partnerschaft“ zusammengetragen. Mehr dazu: www.familylife.ch/beziehungsstark

Hoffen, wo es nichts zu hoffen gibt

Er will sich trennen, hat sogar schon eine andere. Sie will an der Ehe festhalten und ihn weiterlieben. Kann das gut gehen? Die amerikanische Bloggerin Shauna Shanks hat ein Buch über den Kampf um ihre Ehe geschrieben. Von Christof Klenk

„Könntet ihr nicht mal das Thema Scheidung und Trennung in eurer Zeitschrift aufgreifen?“, fragt eine Leserin. Ja, wir tun das regelmäßig. Immer wieder erscheinen im Partnerschaftsteil von Family und FamilyNEXT Artikel, die sich mit dem Scheitern von Ehen befassen. Wir sind der Überzeugung, dass Familien, die eine Trennung erleben, derart einschneidende Veränderungen durchmachen, dass sie jede Hilfestellung, jeden Rat, jeden Erfahrungswert von anderen brauchen können. Manchen ist zu wenig davon in Family und FamilyNEXT zu lesen, anderen ist das eher zu viel. Sie erinnern uns daran, dass es doch die Aufgabe einer christlichen Familienzeitschrift sein müsste, Ehen zu stärken und zu fördern. Ja, das sehen wir als elementare Aufgabe von Family und FamilyNEXT. Wir wollen das eine tun und das andere nicht lassen. Manchmal fallen Trennung und Erneuerung in einer Ehe zusammen. Die Geschichte von Shauna Shanks, festgehalten in ihrem Buch „Ich muss verrückt sein so zu lieben“, ist ein Beispiel dafür. Sie wirft spannende Fragen auf: Inwieweit können die Worte der Bibel und die Beziehung zu Gott helfen, wenn eine Ehe zu scheitern droht? Kann die Liebe wirklich alles (er)dulden (1. Korinther 13)? Warum scheitern viele Ehen trotz aller guten Ansätze?

HARTE BOTSCHAFT

Kurz vor dem zehnten Hochzeitstag erklärt Shaunas Mann Micah, dass er aus der Ehe aussteigen will. Die Mutter von drei Söhnen hat überhaupt nicht damit gerechnet. Sie schildert die Situation recht eindrücklich in ihrem Buch: „Unsere Beziehung lief gut, dachte ich. Natürlich war unsere Ehe nicht perfekt. Aber wer führt schon eine perfekte Ehe? Doch als Micah dann zu reden begann, traute ich meinen Ohren nicht. Zuerst lachte ich und war mir sicher, dass er sich einen Spaß mit mir erlaubte. Dann weinte ich. Micah erklärte allen Ernstes, dass er nicht mehr mit mir verheiratet sein wollte. Während er redete, verschwand mein geliebter Mann vor meinen Augen. An seine Stelle trat ein Fremder, böse und kalt, berechnend und gefährlich.“ Er sei nicht glücklich mit ihr, fände sie nicht mehr attraktiv und wolle nicht mehr mit ihr zusammen sein. Ja, er ist sich sogar sicher, dass er sie nie geliebt hat.

Für Shauna bricht eine Welt zusammen. Nicht nur die Sicht auf ihren Mann verändert sich, auch ihr Selbstbild zersplittert. Sie hat eine schlaflose Nacht, in der die gläubige Frau mit dem vernichtenden Urteil ihres Mannes ringt und bei ihrem Gott Halt sucht. „Bitte, Gott, gib mir irgendetwas!“, fleht sie. Und sie hat den Eindruck, dass Gott tatsächlich zu ihr redet und ihr drei Wörter sagt: „Halte durch. Hoffe.“

Shauna fühlt sich an eine berühmte Stelle im ersten Korintherbrief erinnert. „Die Liebe ist langmütig und freundlich … sie erträgt alles, sie glaubt alles, sie hofft alles, sie duldet alles.“ Diese Passage aus dem 13. Kapitel des Briefes ist als „Hoheslied der Liebe“ bekannt und für die verzweifelte Ehefrau sind die Worte zugleich Anweisung und Verheißung. Sie will alles ertragen und erdulden, was auf sie zukommt, und auf eine Wende hoffen, auch wenn es eigentlich keine Anzeichen für eine Besserung gibt. Wobei ihr der erste Teil leichter erscheint als der zweite: „Micahs Entschluss stand fest. Er wollte mit mir nichts mehr zu tun haben. Besser wäre es, mich zu verschließen, mein Herz zu schützen, Micah gegenüber unempfindlich zu sein. … Hoffnung. In meiner hoffnungslosen Situation eine riskante Haltung. Dennoch versprach ich Gott: Ich will es versuchen.“

DER „LIEBESFILTER“

In Tagen, Wochen und Monaten danach beginnt sie, um ihre Ehe zu kämpfen. Micah betont zwar ständig, dass er sie verlassen will, dass er sie nicht liebt, ja er eröffnet ihr sogar, dass er eine andere hat, doch er bleibt erst einmal im Haus wohnen – angeblich wegen der Kinder. Einem Freund berichtet er, dass er „seine Optionen abwägen“ würde.

Dass sie nur noch eine Option ist, trifft Shauna hart, aber sie versucht sich von Micahs ständigen Feindseligkeiten nicht runterziehen zu lassen, ihm geduldig zu begegnen und ihn weiter zu lieben. Die Liebe, die in 1. Korinther 13 beschrieben wird, kennt keinen Zorn, sie ist nicht nachtragend, sondern immer geduldig und gütig, sucht nicht den eigenen Vorteil. Die Worte aus der Bibel setzt sie ein wie einen Filter: „Entsprach eine Reaktion (von mir) der Liebesdefinition aus 1. Korinther 13, dann wurde sie durchgelassen; wenn nicht, hielt ich sie zurück. […] Wenn mir Sätze auf der Zunge lagen, die nicht freundlich, geduldig und hoffnungsvoll, sondern destruktiv und gemein waren, dann sprach ich sie nicht aus, egal wie Micah sich mir gegenüber verhielt. Das wurde zu meinem Lebensstil.“ Shaunas Geschichte kann durchaus zwiespältige Gefühle auslösen. Auf der einen Seite kann man sie für ihr Durchhaltevermögen, Gottvertrauen und ihre Hingabe bewundern. Auf der anderen Seite erscheint ihr Handeln doch recht naiv. Kann man die Worte aus 1. Korinther 13 in so einer Situation wortwörtlich nehmen? Müsste Shauna dem Mann, der sie betrogen hat, nicht einen Tritt in den Hintern geben, statt ihn mit Liebe zu pampern? Bei genauerem Hinsehen wird jedoch klar, dass Shaunas Reaktionen nichts mit Unterwürfigkeit, Passivität oder Einfalt zu tun haben, denn sie ist sich sehr wohl bewusst, dass ihr Verhalten nicht den Wünschen ihres Mannes entspricht. Indem sie seiner Verachtung mit Wertschätzung begegnet, erteilt sie ihm nicht die Legitimation für sein Handeln, die er sich erhofft hat. Hätte sie ihn mit Vorwürfen überhäuft, beschimpft und beleidigt, wäre ihm der Ausstieg aus der Ehe sicherlich leichter gefallen. Sie macht deutlich: „Was aber stattdessen von ihm verlangt wurde, war beinahe noch schlimmer: Er musste die Gnade ertragen, die ihm entgegengebracht wurde und die er nicht verdient hatte.“

Shauna Shanks mit ihrem Mann bei einer Autorenlesung in Würzburg.

Wie geht die Geschichte nun aus? Man ahnt, dass ein christliches Buch über Hoffnung und Liebe nicht im Desaster endet, insofern ist es sicherlich kein Spoiler, dass ich oben schon angedeutet habe, dass die beiden wieder zusammenkommen. Micah beendet die andere Beziehung, beginnt sich wieder auf seine Frau einzulassen und die beiden besuchen ein Eheseminar. Es ist spannend zu lesen, wie Shauna das Ganze durchhält, warum Micah so handelt, wie er handelt, und wie die Ehe Erneuerung erfährt. Die Lektüre des Buches lohnt sich also auch, wenn man weiß, wie es ausgeht.

NUR RICHTIG GLAUBEN?

Hinter der Geschichte steckt aber sicher noch eine ganz andere, fast noch wichtigere Frage: Ist die Autorin überzeugt, ein Allheilmittel für Ehen gefunden zu haben? Muss man nur richtig beten, lieben und hoffen? Sollten Menschen, die mit schwierigen Partnern verheiratet sind, mit notorischen Ehebrechern, mit Suchtkranken oder mit Leuten, die psychische und körperliche Gewalt ausüben, einfach durchhalten und um ihre Ehe kämpfen? Shauna Shanks hat dazu eine eindeutige Meinung: „Mangelt es an Glauben, wenn Ehen scheitern? Es ist mir sehr wichtig, zu betonen: Alles, was ich hier erzähle, ist ausschließlich meine Geschichte. Mir hatte Gott gesagt, dass ich durchhalten und an meiner Ehe festhalten sollte. Vor Kurzem musste ich mitansehen, wie die Ehe meiner Freundin zerbrach. … Ihr Mann hatte schon lange eine heimliche Beziehung mit einer anderen Frau. Meine Freundin fand es heraus und die beiden machten eine Ehetherapie. Der Mann behauptete dann, die Beziehung beendet zu haben, aber ein paar Monate später stellte sich das Gegenteil heraus. … Niemals würde ich auf den Gedanken kommen, dass diese Beziehung nicht gerettet werden konnte, weil meine Freundin zu wenig Glauben hatte. Bei meiner Freundin sah der Gehorsam Gott gegenüber jedoch ganz anders aus. In ihrem Fall war es richtig, dass ihre Ehe gelöst wurde.“

Ich bin froh, dass die Autorin hier so eindeutig Stellung bezieht, denn die Liebe und die Hoffnung, von denen Paulus im Korintherbrief spricht, hat nichts mit einem Zukleistern der Wahrheit zu tun. Es gibt Menschen, die viel zu lange in schädlichen Beziehungen leben. Wenn darunter auch noch Kinder zu leiden haben, kann unsere Botschaft nicht lauten: „Erdulde und ertrage alles. Halte um jeden Preis an deiner Ehe fest. Das wird schon wieder!“

INDIVIDUELL UND DOCH BEISPIELHAFT

Aber inwieweit kann die Geschichte von Shauna Shanks nun beispielhaft sein, wenn sie ihr Festhalten an der Ehe mit dem persönlichen Hinweis von Gott begründet? Letztlich glauben Christen, dass Gott durch die Bibel zu ihnen redet. Insofern kann sich jeder von 1. Korinther 13 angesprochen fühlen, egal, ob die Ehe nun gut oder schlecht oder so mittelmäßig läuft.

Ich bin sicher, dass der „Liebesfilter“, von dem Frau Shanks schreibt, tatsächlich einen Unterschied macht. Suche ich nach meinem eigenen Vorteil oder möchte ich das Beste für meine/n Partner/in? Reagiere ich kleinlich und misstrauisch auf alles, was mein Gegenüber sagt und tut, oder entscheide ich mich für eine grundsätzlich großzügige und liebevolle Haltung? Kann ich Fehler, verletzendes Verhalten und falsche Entscheidungen vergeben, oder schreibe ich innerlich mit, um alles bei der passenden Gelegenheit wieder auftischen zu können?

An den schlechten, stressigen und schwierigen Tagen ist diese Haltung alles andere als naheliegend und muss hart erkämpft werden, aber gerade dann kommt es darauf an. Klingt unrealistisch, übermenschlich? Absolut! Genau das ist die Erfahrung, die Shauna Shanks gemacht hat. Sie schreibt dazu: „Meine Liebe kam von Gott, es war Gottes Liebe, die ich empfing und weitergab, und sie war anders als menschliche Liebe. … Diese überwältigende, bedingungslose Liebe, die ich für Micah spürte, ließ mich ahnen, wie groß die Liebe sein muss, mit der Gott mich – und jeden anderen Menschen – liebt.“

 

Foto: Matt Day

Christof Klenk ist Redakteur bei Family und FamilyNEXT.

Shauna Shanks ist Autorin und Bloggerin (www.shaunashanks.com). Sie hat drei Söhne und lebt mit ihrer Familie auf einer Farm in Ohio. Ihr Buch „Ich muss verrückt sein, so zu lieben“ ist im Brunnen Verlag Gießen erschienen

 

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