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Innere Stärke: Mit fünf Knöpfen machen Sie Ihr Kind glücklicher

Wie können Eltern dafür sorgen, dass sich ihr Kind in seiner Haut wohlfühlt? Laut Kinderbuchautorin Dela Kienle braucht es dafür nicht viel.

Endlich Sommerfest! Fröhlich schlendert meine Elfjährige in die Schule, in ihrem neuen knatschroten Kleid und mit selbstgebackenem Kuchen. Doch als sie zurückkommt, ist sie übellaunig und verbarrikadiert sich in ihrem Zimmer. Erst beim Ins-Bett-Bringen verrät sie mir, was passiert ist: Zwei Klassenkameraden, mit denen sie sich sonst gut versteht, haben sie wegen des roten Kleids ausgelacht. Sie würde aussehen wie eine Tomate. „Und das hat dir das ganze Sommerfest verdorben?“ Meine Tochter nickt mit Tränen in den Augen.

Natürlich ist das kein riesiges Drama – nur ein winziges Beispiel. Wohl allen Eltern fallen Gelegenheiten ein, in denen ihr Kind sich von Gleichaltrigen kränken oder einschüchtern ließ. In denen es „Kann ich eh nicht!“ murmelt oder an sich zweifelt, weil es nicht zu einem Geburtstagsfest eingeladen wurde. Vielleicht gibt es auch Momente, in denen es sich zu unsportlich, uncool oder sonst irgendwie nicht gut genug fühlt. Am liebsten würde man sein Kind dann gleichzeitig umarmen und schütteln, weil es wirklich begreifen soll: Du bist wunderbar, genau wie du bist! Lass dir nichts von anderen einreden! Und sei bitte nicht so streng mit dir!

Sei selbst dein bester Freund!

Es ist eine wichtige Lektion, die ein junger Mensch lernen muss, wenn er halbwegs zufrieden durchs Leben gehen will: Sei selbst dein bester Freund! Wer gut mit sich umgeht und positiv denkt, entwickelt Selbstvertrauen, quält sich seltener mit Zweifeln und kann sich schneller aufheitern, wenn etwas nicht so richtig klappt. Er kümmert sich um sich und nimmt seine Stärken und Schwächen an. Mit Egoismus hat gesunde Selbstliebe übrigens nichts zu tun. Wer in sich ruht, muss sich nicht dauernd aufs Neue beweisen, wie toll er ist. Er kann sich auch mal zurücknehmen und fragt nicht ständig, was er zurückbekommt, wenn er anderen etwas gibt.

Unser Denken formt das Gehirn

Gedanken haben eine erstaunlich große Macht. In unserem Gehirn sind Milliarden Nervenzellen miteinander verwoben. Ein Gedanke saust wie ein Elektroblitz von einer Zelle zur nächsten. Je häufiger wir eine Verbindung benutzen, desto stärker wird sie. Das Gehirn ändert sich also ständig – indem wir denken und uns mit bestimmten Dingen beschäftigen. Wir alle sind wie Bildhauer: Durch unser Denken und Tun formen wir Teile des Gehirns!

Und dann hört ein Kind Sätze wie: „Das kannst du nicht!“, oder: „Ist ja typisch für dich!“ Oder es denkt selbst voller Entmutigung: „Was stimmt bloß nicht mit mir?“ Solch ein Satz wird im Gehirn gespeichert. Und je öfter das Kind ihn gedanklich wiederholt, desto leichter kommt er ihm wieder in den Sinn, sobald etwas nicht gleich klappt. Das Negative verstärkt sich selbst. Doch zum Glück stimmt auch das Gegenteil: Das Kind kann sich angewöhnen, auf Positives zu achten, sich selbst zu bestärken und freundliche Gedanken zu denken! Je häufiger es das tut, desto leichter fällt es ihm, aus einem negativen Muffel-Modus auszubrechen.

Das Knopf-Experiment

Manche Psychologinnen und Psychologen glauben, dass es eine Formel gibt: Es geht uns richtig gut, wenn wir dreimal mehr positive Gedanken haben als negative. Nur ist das manchmal ja leider gar nicht so einfach. Nehmen wir einen typischen Montagmorgen. Beim Frühstück kippt Orangensaft um, die Geschwister streiten, alle sind hektisch. Doch wir haben es selbst in der Hand, wie der Tag danach weitergeht. Wir können unsere Sinne schärfen – und auf die vielen erfreulichen Kleinigkeiten achten, von denen ich glaube, dass Gott sie uns täglich schenkt.

Wie wäre es mit einem Experiment? Jedes Kind bekommt morgens fünf hübsche Knöpfe, steckt sie in die Hosentasche und hält nach Gutem und Erfreulichem Ausschau. Vielleicht entdeckt es auf dem Schulweg einen Marienkäfer, einen duftenden Strauch oder eine lustig geformte Wolke? Die Natur ist wundervoll, wenn man nur genau hinschaut! Wer etwas Positives bemerkt, lässt einen Knopf in die andere Tasche wandern. Auch Erfolgserlebnisse zählen – und Spaß. Vielleicht versteht das Kind plötzlich etwas Kompliziertes in Mathe, oder es lacht sich in der Pause mit seinen Freunden schlapp. Wenn alle wieder zu Hause sind, bietet sich so der Einstieg für ein wunderbares Gespräch beim Familienessen: Wie oft haben eure Knöpfe heute die Seite gewechselt? Was war an diesem Tag besonders erfreulich?

Auf die Eltern kommt es an

Auch ich versuche, mich an duftenden Sträuchern zu erfreuen, statt immer nur durch die Stadt zu hetzen. Aber es gibt eine Übung, die ich für uns Eltern sogar noch wichtiger finde: Dass wir uns immer wieder ganz bewusst unseren Kindern zuwenden! Ob sie ein gesundes Selbstwertgefühl entwickeln, hängt nämlich auch davon ab, wie wir Erwachsene auf sie reagieren. Hören wir ihnen richtig zu, wenn sie etwas erzählen wollen? Oder geben wir ihnen häufig das Gefühl, lästig zu fallen? Lassen wir uns ständig vom Handy ablenken, selbst wenn man gerade zusammen spielt oder isst? Fehlende Aufmerksamkeit vermittelt dem Kind: „Ich bin es wohl nicht wert, dass man mich beachtet.“

Manchmal muss ich mich auch dazu ermahnen, das Positive im Blick zu behalten: all die guten Eigenschaften, Verhaltensweisen und Erfolge der Kinder. Bei einem Baby feiern wir Eltern noch täglich jeden winzigen Fortschritt. Doch bei älteren Kindern starren wir manchmal zu sehr auf Fehler und Schwächen, versuchen in bester Absicht, diese zu korrigieren. Doch dabei betonen wir viel zu selten, was bereits wunderbar läuft und was wir an unseren Kindern lieben. Warum eigentlich?

Anstrengungen loben

Für die Familienstimmung ist es so viel besser, wenn wir einen positiven Fokus beibehalten. Allerdings heißt das nicht, dass wir Kinder wahllos mit Lob überschütten sollten. Erziehungswissenschaftler warnen sogar davor, alles mit „Suuuper, ganz toll!“ zu bejubeln. Viel besser sei es, aufrichtig zu loben und ganz genau zu beschreiben, was einem gefällt. Es ist auch empfehlenswert, eher die Anstrengung zu loben, als Können oder Ergebnis. „Toll, dass du so fleißig für die Mathe-Arbeit gelernt hast!“, ist besser als „Du bist Mamas Mathe-Genie!“

Manchmal schadet es auch nichts, sich eine Bewertung ganz zu verkneifen. Wir neigen dazu, Dinge in gut und schlecht, in richtig und falsch einzuteilen. Schenkt mir mein Kind ein selbstgemaltes Bild, will es mir eine Freude machen. Doch mir rutscht fast automatisch eine Beurteilung heraus: „Wow, das sieht ja toll aus!“ Warum bedanke ich mich nicht einfach mit einem dicken Kuss? Auch in der Schule werden Kinder tagein, tagaus bewertet. So entsteht die Gefahr, dass Kinder ständig auf Bestätigung von außen warten und womöglich nur dann mit sich zufrieden sind, wenn ihre Eltern oder die Lehrerin sie loben.

Bestätigung nicht von anderen erwarten

Es gibt noch andere Quellen für Selbstwert, die problematisch sind: Manche Kinder (und Erwachsene!) fühlen sich zum Beispiel vor allem gut, wenn sie denken, dass sie anderen überlegen sind. Oder wenn sie mehr besitzen. Oder wenn sie besser aussehen und von anderen für irgendetwas bewundert werden. Auf den ersten Blick wirken solche Menschen manchmal sogar „selbstbewusster“ als schüchterne Zeitgenossen. Aber ihr Selbstwert ist brüchig, und sie befinden sich in einer unguten Abhängigkeit. Denn wie fühlen sie sich wohl, wenn Erfolg oder Bestätigungen plötzlich ausbleiben?

Nein, das wollen wir unseren Kindern nicht wünschen! Sie sollen sich selbst bestärken, anstatt auf das Lob anderer zu warten. Sie sollen positiv denken, statt über Unerfreuliches zu nörgeln. Sie sollen mit den Schultern zucken, wenn andere unfreundlich zu ihnen sind – und knatschrote Sommerkleider tragen, wenn sie ihnen gefallen. Meiner Meinung nach haben gläubige Familien zudem einen Trumpf in der Hand, wenn es darum geht, gesunden Selbstwert zu vermitteln: Sie können ihrem Kind nahebringen, dass es für Gott unendlich kostbar ist. Dass er es mit all seinen Stärken und Schwächen liebt. Der christliche Gott sagt voller Überzeugung „Ja“ zu jedem Menschen. Auch unser Kind ist eine wunderbare Original-Ausgabe, die es nur ein einziges Mal weltweit gibt. Und es ist goldrichtig, wie es ist!

Dela Kienle ist Journalistin und Kinderbuchautorin („Dein bester Freund? Bist du!“, Ravensburger Verlag GmbH). Mit ihrer Familie lebt sie in der holländischen Grachtenstadt Leiden.

Pädagogin verrät: So steigern Sie das Selbstbewusstsein Ihrer Teenie-Tochter

Vielen Teenagern fehlt das Selbstvertrauen. Genau hier können Eltern sie unterstützen, sagt Diplompädagogin Sonja Brocksieper.

„Unsere Tochter (13) ist total schüchtern und wirkt oft verunsichert. Ich habe das Gefühl, dass sie gar kein Selbstvertrauen hat. Wie können wir sie stärken und unterstützen?“

Die Teenagerjahre sind oft von Unsicherheiten und Selbstzweifeln geprägt, und Eltern sollten in dieser Phase sowohl das Wertgefühl ihres Kindes stärken als auch ein gesundes Selbstvertrauen vermitteln. Denn genau genommen müssen wir zwischen diesen beiden Begriffen „Selbstwertgefühl“ und „Selbstvertrauen“ unterscheiden.

Selbstwertgefühl ist nicht gleich Selbstvertrauen

Für ein gesundes Selbstwertgefühl braucht Ihre Tochter zunächst die Gewissheit, dass sie eine wertvolle Persönlichkeit ist, die um ihrer selbst willen geliebt wird, und das unabhängig von dem, was sie leistet. Nehmen Sie Ihr Kind als ganze Person ernst, mit all ihren Meinungen, Empfindungen und ihrem Temperament. Das bedeutet, dass Sie Ihrer Tochter vermitteln: „Du bist okay so, wie du bist. Und auch wenn ich nicht immer mit allem einverstanden bin, was du tust, bist du geliebt und angenommen.“ Wenn ihre Tochter oft schüchtern wirkt, ist das erst mal okay. Nicht jeder steht gerne im Mittelpunkt und hat das Bedürfnis, sich anderen mitzuteilen. Sprechen Sie Ihrer Tochter zu, dass dieser Wesenszug okay ist und sie sich nicht verbiegen muss.

Selbstvertrauen ist dagegen etwas ganz anderes. Es ist das Wissen um die eigenen Fähigkeiten und Begabungen. Und dieses Vertrauen in die eigenen Stärken kann Ihre Tochter entwickeln, wenn Sie ihr etwas zutrauen. Jedes Kind bringt ein Potenzial mit, das man lobend hervorheben und bestärken kann. Überlegen Sie gemeinsam mit Ihrer Tochter, was sie richtig gerne macht, was sie auszeichnet und besonders macht. Eine gute Schulnote in einem bestimmten Fach, ein gelungenes Musikvorspiel, Erfolg im Sport – all das kann gefeiert werden.

Ermutigen Sie Ihr Kind!

Nutzen Sie dafür die Macht der Worte. Diese haben eine nicht zu unterschätzende Kraft. „Du schaffst das.“ „Ich bin stolz auf dich.“ „Probiere es ruhig aus. Wenn es nicht klappt, helfe ich dir.“ Solche Sätze haben eine starke Wirkung und fördern das Selbstwertvertrauen Ihres Kindes. Wenn ein Kind dagegen ständig hört, was alles nicht gut läuft, dann entwickelt es schnell ein einseitiges Bild von sich selbst. „Pass bloß auf!“ „Das musste ja schiefgehen.“ „War ja klar, dass du die Mathearbeit verhaust.“ All das sind negative Botschaften, die das Selbstvertrauen schwächen. Schaffen Sie stattdessen eine Atmosphäre der Ermutigung.

Manchmal lässt sich aber auch Kritik im Umgang mit Kindern nicht vermeiden. Hierbei sollten Sie sich vor Augen führen, wie vernichtend manch kritische Äußerung sein kann. Vor diesem Hintergrund sollten Sie Kritik möglichst in Maßen, behutsam und besonnen äußern. Und je mehr ein gutes Polster an Wertschätzung und Anerkennung vorhanden ist, desto eher wird die Kritik auf offene Ohren stoßen.

Schwächen sind normal

Übrigens sollte jede Form der Ermutigung und des Lobes angemessen und realistisch sein, damit Kinder kein falsches Selbstbild entwickeln. Jedes Kind hat Schwächen und Begrenzungen, die nicht ignoriert werden sollten. Erzählen Sie von Ihren eigenen Schwächen und Ihrem Umgang damit. Solche persönlichen Erfahrungen können Ihrer Tochter helfen, mit ihren eigenen Misserfolgen selbstsicher umzugehen. Je besser das Selbstwertgefühl eines Kindes ist, desto leichter können Kinder motiviert werden, an ihren weniger starken Seiten zu arbeiten.

Sonja Brocksieper ist Diplom-Pädagogin. Sie lebt mit ihrer Familie in Remscheid und ist Mitarbeiterin bei Team.F. sonja-brocksieper.de

Alles andere als egoistisch

Warum Selbstfürsorge gerade für Eltern wichtig ist. Und wie sie das richtige Maß finden. Von Julia Otterbein

Dem einen oder anderen schwirrt vielleicht folgender Gedanke durch den Kopf, wenn er das Wort Selbstfürsorge hört: Selbstfürsorge ist egoistisch; als Mutter oder Vater muss ich doch voll und ganz für die Kinder da sein.

Besonders Mütter denken, sie müssten sich immer und zuerst um die Belange aller anderen Familienmitglieder kümmern. Der eigene Anspruch, alles unter einen Hut zu bringen und eine perfekte Mutter zu sein, wirkt dabei häufig wie ein innerer Antreiber. Bei den Bemühungen, stets allen Anforderungen gerecht werden zu wollen, vergessen sie jedoch häufig sich selbst.

Auf der Liste immer ganz unten

Auch mir ging das phasenweise so. Meine Aufmerksamkeit galt lange Zeit voll und ganz meinen Kindern, dem Haushalt, meinen Ehrenämtern und ab irgendwann auch wieder meiner Arbeit als Pädagogin. Ich habe viel für andere gegeben, funktionierte dabei aber oft nur auf Sparflamme, und meine eigenen Bedürfnisse standen auf der Liste immer ganz unten. Bei dieser Herangehensweise entsteht aber schnell der Eindruck, dass Auszeiten eine Belohnung sind, die einem erst zusteht, wenn man es geschafft hat, alle anderen Aufgaben zu erledigen. Da das aber nie eintritt, gibt es folgerichtig keine Belohnung. Ein großer Zusammenbruch blieb mir damals zum Glück erspart und ich erkannte rechtzeitig, dass sich etwas ändern musste. Ich brauchte mehr Raum für mich und meine Bedürfnisse.

Zwischen Selbstfürsorge und Egoismus

Selbstfürsorge wird in unserer Gesellschaft häufig mit Egoismus verwechselt, und dieser verträgt sich so gar nicht mit unserem Bild von einer vermeintlich perfekten Mutter. Egoismus ist meist negativ belegt. Wir verbinden damit Begriffe wie Eigennutz oder Selbstsucht. Egoistische Menschen werden als rücksichtslose Personen wahrgenommen, die für ihren eigenen Vorteil bewusst Nachteile für andere in Kauf nehmen. Aber ist Selbstfürsorge tatsächlich egoistisch? Und leiden Kinder wirklich darunter, wenn Mama oder Papa sich mal Zeit für sich selbst nehmen?

Wie heißt es im Flugzeug bei den Sicherheitshinweisen doch immer so schön: „Setzen Sie zuerst Ihre eigene Sauerstoffmaske auf und helfen Sie dann anderen Personen.“ Meiner Familie ist also nicht damit geholfen, wenn ich monate- oder sogar jahrelang auf allen Straßen meines Lebens Vollgas gebe, ohne zwischendurch an die Tankstelle zu fahren. Dann bleibe ich irgendwann wie ein Auto liegen, gehe „kaputt“ und komme nicht dort an, wo ich hinwollte.

Selbstfürsorge ist Wertschätzung

Für mich hat Selbstfürsorge sehr viel mit Selbstwert zu tun. Was bin ich mir selbst wert? Steht es mir zu, jeden Tag eine Mittagspause zu machen, so wie es zum Beispiel im Arbeitsrecht ganz klar verankert ist? Warum scheint das für die unbezahlte „Kümmer-Arbeit“ in den Familien nicht zu gelten? Oder warum haben wir den Eindruck, dass es an dieser Stelle egoistisch sei, sich zwischendurch eine Pause zuzugestehen?

Fangen wir doch an, uns als Eltern selbst dafür wertzuschätzen und investieren in uns selbst und unsere eigenen Kräfte, indem wir uns regelmäßig Pausen nehmen, statt jahrelang über die eigenen Grenzen zu gehen und Raubbau an unserer Gesundheit zu betreiben. Auch im biblischen Doppelgebot der Liebe sind Selbstliebe und Nächstenliebe untrennbar verbunden und bedingen sich beide gegenseitig: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.“ (Markus 12,31)
Stress und Überforderung sind in unserer Gesellschaft mittlerweile zu sehr treuen Dauerbegleitern geworden. Gerade in den letzten Monaten waren wir Eltern besonders gefordert. Ein neuer Alltag im Homeoffice, zum Teil mit Homeschooling, und das ganz ohne die gewohnte Unterstützung von Oma und Opa und unserem modernen „Dorf“, also der Kita, Tagesmutter und sonstigen Menschen, die uns bei der Betreuung unserer Kinder unterstützen. Daher ist es jetzt wichtiger denn je, unsere Antennen regelmäßig nach innen auszurichten. Denn dauerhafter Stress hat fatale Folgen – körperlich und geistig. Und er überträgt sich auch auf unsere Kinder!

Ab wann ist es Egoismus?

Selbstfürsorge kann dann von anderen als Egoismus wahrgenommen werden, wenn man sich seine Freiräume ohne jegliche Absprache nimmt. Oder wenn einer der Partner ganz selbstverständlich davon ausgeht, dass er sich täglich mehrere Stunden Zeit für sich nehmen kann, während der andere von früh bis spät ohne den Hauch einer Pause durchackert.

Ich empfehle daher gerne drei Schritte für eine gesunde Selbstfürsorge:

1 Wahrnehmen
Im ersten Schritt geht es erst mal darum, dass du regelmäßig eine Bestandsaufnahme bei dir selbst machst: Was ist gerade in mir los? Wie fühle ich mich? Was brauche ich gerade? Was tue ich jetzt als nächstes?

2 Kommunizieren
Der nächste Schritt kann und sollte dann die Kommunikation mit deinen Liebsten (Partner und Kinder) sein, denn häufig können die gar nicht sehen, dass deine „Tankanzeige“ schon im roten Bereich liegt. Benenne klar, wo deine Grenzen sind, wann du Unterstützung oder eine Pause brauchst.

3 Umsetzen
Wie genau die Umsetzung für dich aussehen kann und welches Maß an Selbstfürsorge für dich das richtige ist, lässt sich hier natürlich nicht allgemein beantworten. Einige bewährte Ideen habe ich in der Infobox zusammengestellt. Nutze sie wie ein Buffet und nimm dir das für dich Passende als Inspiration heraus.

Und wenn du das Gefühl hast, dass du bei einem der drei Schritte nicht allein zurechtkommst, dann suche dir dafür (professionelle) Unterstützung, um deine für dich passende Strategie zu entwickeln. Du bist es wert! Deine Bedürfnisse sind wichtig und du darfst dich selbst wichtig nehmen!

Julia Otterbein lebt mit ihrem Mann und ihren beiden Kindern im Rhein- Main-Gebiet. Sie ist Sozialpädagogin und Selbstfürsorge-Coach für Mütter. www.familywithlove.de

Wunderschön

Uns mit unseren Schwächen und Beeinträchtigungen als schön anzunehmen, fällt uns nicht immer leicht. Was unserer Autorin geholfen hat: ganz besondere Fotos …

Mein rechtes Knie schmerzt. In meinem Kopf geht ein kleines rotes Alarmlämpchen an. Überbelastung. Die rechte Körperseite muss die linke mittragen. Die Hemipareseseite. Die schwache Seite. Der Grund: eine vorgeburtliche Schädigung meiner rechten Gehirnhälfte (Fachbegriff: Infantile Zerebralparese). Ich hatte Glück. Nur selten fragt jemand, warum ich hinke.

Das Tippen ist ein .Äegernis. Denn es sieht so aus. Der linke Zeeigedfibnger haut mirt eine Menge fehler rein.

„In Ihrem Alter …“

Mein Orthopäde ist gründlich: linker Oberschenkel 7 cm weniger Umfang, linker Unterschenkel 4,5 cm, linker Arm 4 cm kürzer. Deshalb Beckenschiefstand, Wirbelsäulenverkrümmung, Schulterschiefstand. Er hält kurz inne. „Keine Sorge. Sie sind nicht schwer krank.“ Dann sagt er: „Beim jungen Körper ist alles noch sehr dehnbar und beweglich. Da gleicht der Körper das aus. In Ihrem Alter …“ Ich bin 32 Jahre alt. Auf dem Nachhauseweg kommt mir ein Seniorenpaar entgegen. Die Dame sitzt im Rollstuhl. Das Kopfkino startet.

Zersprungen

Ich starre auf die zersprungene Glastür unserer Dusche. Hunderte Scherben werden durch das Sicherheitsglas nur noch auf fragile Weise zusammengehalten. Es war mitten in der Nacht, als wir durch ein lautes Geräusch geweckt werden. Der Handwerker meint, das sei ein seltener Fall, ähnlich wie bei Holz, das arbeitet. Bis er kommt, bleibt uns fünf eine Woche Gäste-WC und Nachbarschaftshilfe. So lange hält mir die zersprungene Tür einen Spiegel vor Augen für mein Innerstes, mein Selbstbild. Eine Freundin bringt das Gefühl auf den Punkt: „Behinderung auf Abruf“.

Ganz kleine Schritte

Nach dem allmorgendlichen „Ich will aber nicht zuerst die Zähne putzen“, „Bitte zieh jetzt endlich die Schuhe an“ und meinem Sieben-Uhr-Mantra im Treppenhaus „Pssssssssssst!“ sitze ich neben dem leeren Kinderwagen auf der Treppe zur Ergotherapie und überlege, was mich wohl erwartet. 20 Minuten lang, weil ich die erste und viel zu früh bin. Weil auch beim dritten Kind unvorhersehbar bleibt, wie viele Windeln sich unversehens füllen, wenn man gerade aus der Tür will. Und wie viele Feuerkäfer auf dem Weg zum Kindergarten noch gejagt werden müssen. Heute haben sie sich gut versteckt. Dann folgt die Ernüchterung. Ganz kleine Schritte, Geduld und üben, üben. Ich könnte zu Hause kleine Bälle suchen und mit den Kindern zusammen üben, schlägt die Ergotherapeutin vor. Oh ja, male ich mir aus: Der Kleine schreit freudig „Balla, Balla“ und stürzt los. Der große Bruder ist aber schneller. Der Fokus liegt dann eindeutig auf einem anderen Schwerpunkt im Nervensystem, nämlich da, wo die Nerven einer Mama am besten Drahtseilstärke erreichen sollten.

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„Wie wunderschön. Das bin ich!“

Es tut weh

Nach langer Sommerpause beginnt die Erkältungszeit. Erst wird der ältere Sohn krank. Dann folgt der jüngere. Und dann ich. Ein einfacher grippaler Infekt. Doch auch dafür fehlt mir die Kraft. Und dann passiert es. Da war auf einmal diese Wut. „Die Mama hat sich auf den Kopf gehauen“, sagt mein Sohn und lacht unsicher. Als die Kinder schlafen, schließe ich die Arme fest um meinen Mann. So stehen wir eine ganze Weile schweigend. Weil ich gelernt habe, dass es mit meinen Gefühlen schwer ist für meinen Mann, ringe ich mir die Worte ab: „Es ist ein Gefühl, das so weh tut in der Brust.“ Nun wird er aktiv und richtet unsere Kuschelecke (weil der Jüngste in unserem Bett schläft). So lange schaue ich mir Fotos an. Aktfotos. Nur drei Wochen ist das her. Es kommt mir vor wie aus einer anderen Welt.

Wunderschön

Als ich unsere Fotos betrachte, bleibt mein Blick bei meinem Gesicht hängen: Wie entspannt. Wie glücklich. Wie verliebt. Wie wunderschön. Das bin ich! Das habe ich Dana, der Stylistin, zu verdanken. „So schöne Augen hast du. Und solche Wimpern. Viele tun viel dafür … Toll, dass ihr euch das traut. Aus welcher Richtung kommt ihr denn?“ „Theologie“, sage ich. Und Dana völlig gelassen „Spannend, erzählt …“ Als ich die Fotos zum ersten Mal betrachtete, dachte ich: Wahnsinn, was das Spiel mit Licht und Schatten bewirkt. Einzelne Fotos sind so „perfekt“ wie in einem professionellen Kalender. Mit meiner Realität hat das wenig zu tun. Ist das nicht eine „Beschönigung“, wie wir sie überall in der digitalen und realen Welt erleben? Nein, denke ich. Es ist nicht so, dass etwas wegretuschiert wäre. Wenn ich ganz nah herangehe, sind da immer noch meine Asymmetrien, meine blassen und meine Sonnenseiten. Sie treten im Lichtspiel aber in den Hintergrund, machen den Blick frei. Es ist für mich eine ganz persönliche Umkehrung der Paradieserfahrung. Als ich mich so nackt sah, erkannte ich: Ich bin wunderschön.

Mut zum Mittelmaß

„Jeder Mensch ist etwas Besonderes“ – diese Botschaft, die wir oft an unsere Kinder vermitteln, kann motivieren. Aber sie kann auch gewaltig nach hinten losgehen. Von Jennifer Zimmermann

Mein Sohn zählt Klavier. Er hat damit kurz nach Beginn des ersten Schuljahres angefangen, als die obligatorischen Einladungen für die Probestunden der Musikschule in der Ranzenpost lagen. Ich würde nie wagen zu schreiben, dass er Klavier lernt. Oder gar spielt. Es wäre einfach nicht wahr. Alle zwei Tage begibt er sich planmäßig an sein Instrument. Dann wanken diese tastenden, manchmal qualvoll schleichenden Töne von „Summ, summ, summ“ durch die Wohnung, die auch ich schon vor 25 Jahren auf meiner Kindergitarre fabriziert habe. Und dazwischen kann man ihn flüstern hören. 1, 2. 1, 2, 3.

Musizieren nach Zahlen

Mein Sohn liebt Musik, denn Musik hat Regeln. Man kann Pausen abzählen und wichtige Worte auswendig lernen. Es gibt einen Takt und einen Notenschlüssel und wirklich viele Zahlen. Man könnte sagen, es ist genau sein Ding. Mein Sohn ist nur wirklich kein leidenschaftlicher Musiker. Es ist ihm relativ egal, wie das Instrument klingt, das er spielt. Wie der Text des Liedes ist. Ob es irgendeine Stimmung mit sich trägt. Irgendein Temperament. Egal. Mein Sohn zählt.

Keine Musik im Blut

So hatte ich mir das mit dem ersten Instrument nicht vorgestellt. Ich persönlich arbeite mehr „nach Gefühl“. Das gilt für alle Lebensbereiche. Als also der obligatorische Zettel mit den Probestunden in der Ranzenpost lag, da dachte ich an leuchtende Musiklehreraugen, an Worte wie „Naturtalent“ und „Überflieger“, an Talentwettbewerbe. Jetzt sitze ich hier im Wohnzimmer, höre „Summ, summ, summ“ im Schneckentempo und fühle mich, als wäre ich im Sport als Letzte in die Völkerballmannschaft gewählt worden. Warum? Weil mein Sohn zwar ein begeisterter Mathe-, aber ein ziemlich durchschnittlicher Musikschüler ist.

Irgendwann zwischen dem letzten Weltkrieg und dem ersten Social-Media-Account sind wir westlichen Gesellschaften auf die Idee gekommen, dass Selbstbewusstsein eine wirklich wichtige Sache für unsere persönliche Entwicklung sein muss. Für unseren Erfolg. Unsere Leistungsfähigkeit. Wir haben uns auferlegt zu denken, dass jeder von uns etwas ganz Besonderes ist. In vielfacher Hinsicht.

Sehnen nach dem „Ah“ und „Oh“ der anderen

Wir wachsen mit der Vorstellung auf, dass sich tief in unserem Inneren ein ganz eigenes Leuchten verbirgt wie die Perle in der Auster. Es braucht vielleicht nur die richtigen Umstände, den richtigen Anreiz, um die Auster zu knacken und dieses Leuchten an die Oberfläche zu bringen, damit es über die ganze Welt strahlt. Wir lechzen nach dem „Ah“ und „Oh“ der anderen, die unser Leuchten in ihren Augen widerspiegeln. Wir sagen es uns selbst, wir sagen es jedem Menschen, der es gerade vergessen hat. Sogar unseren Kindern.

Für jeden Menschen gibt es den richtigen Beruf, in dem seine besonderen Fähigkeiten zur Entfaltung kommen. Jeder Mensch ist zu Großem berufen. Vielleicht sogar von Gott. Jedes Kind hat ein Talent. Es gibt das richtige Instrument für jeden Erstklässler. All die zu oft gehörten Motivationssätze, sie fangen an, mich gewaltig zu nerven. Denn sie behalten ihre motivierende Wirkung nur so lange, bis wir uns an ihrer Grenze gewaltig die Zehen stoßen. Der Autor und Coach Mark Manson schreibt es laut und geradeheraus: „Die Botschaft schmeckt super, wenn man sie runterschluckt, aber im Grunde sind es leere Kalorien, von denen man nur emotional fett und aufgeblasen wird, der sprichwörtliche BigMac für dein Herz und Hirn.“

Keine Wettkampfbilder

Ich habe meine Gitarre an den Nagel gehängt, als ich feststellte, dass ich zwar viel Rhythmus im Blut, aber wenig Lust zum Üben hatte. Und keinerlei Sinn für Musiktheorie. Ich habe Sozialarbeit studiert, nicht weil meine Fähigkeiten in einer helfenden Tätigkeit am besten zur Geltung kommen, sondern weil ich, um ehrlich zu sein, ein kleines Helfersyndrom in meiner Handtasche versteckt halte. Meine Facebook-Chronik ist ziemlich langweilig. Ich bin in der Elternzeit nicht um die Welt gereist. Es gibt keine Bilder von mir und meinen Kindern im Partnerlook. Keine Wettkampfbilder von meinem so sportlichen Nachwuchs. Keine extrem emotionalen Bekundungen meiner Liebe zu meinem Mann.

Nichts Besonderes

Mein Leben ist ziemlich durchschnittlich. Das meiner Kinder auch. Sie jetten nicht von einem Termin zum nächsten. Sie räumen keine Preise ab. Können sie auch gar nicht, weil sie nämlich ständig krank sind. Irgendwann auf meiner Reise durch das Leben habe ich festgestellt, dass die allermeisten Menschen auf dieser Welt keine Naturtalente sind. Dass die allermeisten Menschen auf der Welt in einem Moment großartig sind und im nächsten wirklich furchtbar. Dass sie glänzen und im Dreck liegen. Dass sie, kurz gesagt, wirklich nichts Besonderes sind. Und dass ich dazugehöre.

Vom Versagen zur Erleichterung

Aber jedes Mal, wenn ich es wage, so ehrlich zu mir zu sein, dann fühlt sich das an wie Sterben. Wie, wenn ich jemandem meine schlaflose Nacht mit dem rotznasigen Kind haarklein darlege, demonstrativ Kaffeedampf inhaliere und lediglich ein „Normal“ zu hören bekomme. Wie, wenn ich auf einer Party den Witz meines Lebens reiße und keiner lacht, manche nur verlegen auf ihre Schuhe gucken. Sich einzugestehen, dass man überwiegend so normal ist wie die allermeisten Menschen auf diesem Planeten, sich seine eigene Großartigkeit abzuerkennen, ist schmerzhaft. Peinlich. Kränkend. Und befreiend. Weil endlich pfeifend die Luft aus dem Ego entweicht, die mir die ganze Zeit aufs Herz gedrückt hat. Es fühlt sich kurz an wie Versagen. Und dann muss man schrecklich über sich selbst lachen.

Geduld statt geniale Pläne

Ich wünsche mir für meine Kinder nicht, dass sie möglichst viel und möglichst großartige Leistung erbringen. Dass sie ihre Berufung finden, auf den Bühnen dieser Welt stehen und dabei ihren unverwechselbaren Stil präsentieren. Was ich mir wirklich wünsche, ist, dass meine Kinder Menschen werden, die sich selbst vergessen können. Dass sie aufgehen können in einer Tätigkeit. Dass sie Zeit haben, unverplante Zeit, in der ihnen etwas wichtig werden kann und seien es Zahlen – auch wenn ich das am wenigsten verstehen kann. Ich wünsche ihnen, dass sie Geduld lernen. Ich wünsche ihnen, dass sie sich unterbrechen lassen in ihren vermeintlich genialen Plänen. Dass sie von ihrer eigenen Großartigkeit absehen, um einem anderen Menschen Platz zu machen, um jemanden ausreden zu lassen, jemanden zu halten, der weint.

Eine Revolution des Weniger

Ich wünsche mir eine Revolution des Weniger. Eine Revolution der Ruhe gegen den Zeitgeist, der mit seinen ständigen Erinnerungen und bimmelnden ach-so-wichtigen Nachrichten an meinem Hosenbein zuppelt und mich und meine Familie zur Hektik ruft. Der uns heiser ins Ohr wispert, dass wir irgendetwas verpassen, irgendetwas falsch machen, irgendeine Chance ungenutzt lassen und versagen, weil wir nur mittelmäßig sind. Dass wir uns einfach noch nicht genug angestrengt haben, unser inneres Leuchten zu finden und die Anerkennung zu kassieren, die uns zusteht.

Es braucht Menschen, die leidenschaftlich lieben

Die Welt braucht nicht unbedingt noch mehr leidenschaftliche Klavierspieler. Aber sie braucht unbedingt noch mehr Menschen, die leidenschaftlich lieben. Mitten im „Normal“ des Alltags. Menschen, die in die Politik gehen, weil sie sich dafür einsetzen wollen, dass die Autos auf der Hauptstraße nicht mehr länger den Gehweg zuparken. Menschen, die sich von ihren pubertierenden Kindern stundenlang alle wichtigen YouTuber zeigen lassen. Menschen, die ehrenamtlich verletzte Fledermäuse aufpäppeln. Menschen, die ein Foto von ihrem Samstagnachmittagsesstisch schießen, von ihren stinkenden verwelkten Blumen und der Plastikverpackung vom Fertigkuchen und damit Instagram unsicher machen.

Leid lässt uns reifen

Es gibt beeindruckende Menschen, wirklich mutige, charakterstarke, tiefvertrauende Menschen, die genau deshalb so besonders sind, weil sie sich kein bisschen dafür interessieren, welches Instrument ihnen am besten steht. Es gibt sie in allen Altersklassen. Oft sind sie durch Leid, Verluste und Fehler hindurchgegangen. Sie haben erlebt, dass das Leben weh tut. Dass es traurig ist. Dass es langweilig ist. Dass es in Hochs und Tiefs verläuft. Dass es konfliktreich ablaufen kann. Und dass das alles nicht nur nicht zu ändern, sondern auch ziemlich okay ist.

Einfach Mensch sein

Wenn unser Leben nicht nur aus Hoch-Zeiten und Highlights, aus wehenden Haaren im Sonnenuntergang und leuchtenden Kinderaugen besteht, dann sind wir so, wie jeder andere Mensch auf dieser Welt. Wir sind Menschen. Wir gehören zu dieser handgemachten, verrückten, grausamen, liebenswerten Truppe, die diese Erde bevölkert. Das ist eine Ehre. Unser Leben wird nicht wertvoller, weil wir den Talentwettbewerb gewonnen haben. Weil wir etwas ganz besonders gut können. Oder ganz besonders große Probleme haben. Wir sind Menschen. Gottes Menschen. Das ist alles.

Jennifer Zimmermann lebt mit ihrem Mann und ihren drei Kindern in Bad Homburg. Gerade ist ihr erstes Buch erschienen: „Als Gott mich fallenließ. Vom Ausharren und Weitergehen mit ihm“ (SCM R.Brockhaus).

Das Baby und ich: Keine Ahnung vom Muttersein?

Das Gefühl, keine gute Mutter zu sein, kann sehr lähmend wirken. Rachel Hollis kennt diese Gedanken und hat sie als Lüge enttarnt.

Ich bin die schlimmste Schwangere, die du je getroffen hast. Ich hasse einfach jeden Aspekt an einer Schwangerschaft – abgesehen davon, dass man am Ende ein Baby hat. Ich bin dankbar für meine Schwangerschaften – aus tiefstem Herzen dankbar dafür, dass Gott es mir geschenkt hat, drei wundervolle kleine Jungs und ein Mädchen austragen zu dürfen. Das ist nicht selbstverständlich. Aber jeder einzelne Aspekt einer Schwangerschaft setzt mir zu.

Die Wehen sind das Schlimmste

Doch als das wundervolle Ereignis schließlich geschah, war ich in Ekstase. Erstens, weil ich endlich Jackson Cage kennenlernen konnte – unser Wunschkind, dessen Namen wir schon vor Jahren bei einer Reise quer durchs Land festgelegt hatten. Zweitens, weil ich meinen Körper nun wieder für mich allein haben würde. Ich war euphorisch, dass ich die Wehen überstanden hatte, die ich offen gesagt für das Schlimmste am Muttersein halte.

Aber als wir mit Jackson in seiner ganzen Pracht zu Hause ankamen, traf mich völlig unvorbereitet das Gefühl, als frisch gebackene Mama vollkommen ungeeignet zu sein. Ich liebte ihn unbändig. Und ich hatte Angst um ihn. Ich konnte nachts kaum schlafen, weil ich mir sicher war, dass er aufhören würde zu atmen. Das Stillen war schwierig und schmerzhaft und ich produzierte nie genug Milch, um diesen gigantischen Nachwuchs satt zu kriegen. Mein Mann war immer mein bester Freund und mein Lieblingsmensch auf Erden, aber ich erinnere mich noch an die Zeit, in der Jackson anderthalb Monate alt war, und ich Dave ansah und ernsthaft dachte, ich würde ihn hassen. Aus tiefster Seele hassen.

Elternwerden ist ein Schwindel

Jackson war sechs Wochen alt – was übrigens genau die Zeit ist, in der ungetrübter Hass am häufigsten auftritt – und wachte nachts immer noch auf. Es ist wichtig an dieser Stelle die Worte immer noch zu betonen, denn mein junges, ahnungs- und kinderloses Ich hatte gedacht, am Ende des ersten Monats hätten wir alles überstanden und befänden uns auf bestem Wege ins elterliche Paradies. Ach, mein reines, unschuldiges Herz …

Elternwerden ist ein großer Schwindel. In den ersten Wochen schwimmt man auf der großen Euphoriewelle. Liebe Menschen bringen einem Aufläufe vorbei, die Mama ist noch da und hilft und man hat diesen wundervollen kleinen Engel. Aber dann vergehen die nächsten zwei Wochen und man gerät in eine Zombieroutine. Die Brüste tropfen durch die Kleidung und man hat schon eine Woche nicht gebadet. Die Haare sehen so schlimm aus wie nie zuvor – egal. Du schaffst das schon.

In mich reingefressen

Aber nach sechs Wochen ist die Luft raus. Man denkt: Warum bin ich so erschöpft? Warum sehe ich immer noch so aus, als wäre ich im fünften Monat schwanger? Warum mache ich immer noch nichts anderes außer stillen?

Nach sechs Wochen war ich ein wenig … äh … frustriert darüber, wie sehr ich damit beschäftigt war, mich ums Baby zu kümmern. Ich hatte das Gefühl, dass Dave nicht sehr viel dazu beitrug und fand die Verantwortung, das meiste allein stemmen zu müssen, ziemlich erdrückend. Aber ich sagte kein Wort zu ihm. Ich wickelte das Gefühl fest ein und schluckte es ganz tief hinunter, wo es niemandem in die Quere kam. Eines Tages unterhielten wir uns über irgendetwas, als die Bombe platzte. „Ich bin müde.“ Das war es, was er sagte. Das waren seine Worte. Meine Welt wurde aus den Angeln gerissen, und meine Augen nahmen das Achtfache ihrer normalen Größe an. Aber er war zu sehr mit Reden beschäftigt: „Ich bin todmüde, weil ich heute Morgen so früh aufgewacht bin … blablabla … weitere falsch verstandene Worte.“

Komplett ausgerastet

Ich rastete komplett aus. Ich weinte, ich lachte, ich überlegte, wer dieses Baby aufziehen würde, wenn ich Dave mit dem Plastikschlauch meiner Milchpumpe erdrosselte. Und um eins der berühmtesten Zitate unserer gesamten Ehe zu wiederholen: „Bei unserer Hochzeit hätte ich nie gedacht, dass ich dich einmal so sehr hassen könnte wie jetzt!“ Das war sicher nicht meine Sternstunde. Aber zu meinem Glück stecken Beziehungen voller Chancen für Gnade.

Selbst als das Baby anfing, durchzuschlafen (und wir auch), war ich ein Wrack. Ich liebte Jackson, aber ich hatte das Gefühl, keine richtige Bindung zu ihm zu haben. Ich hatte solche Angst, etwas falsch zu machen, dass ich mich nie entspannte. Ich war so darauf bedacht, den Haushalt zu erledigen und dafür zu sorgen, dass sein Strampler fleckenfrei blieb, dass ich es nie einfach nur genoss, eine junge Mutter zu sein. Ich glaube, ich hatte solche Angst, ihm gegenüber zu versagen, dass ich mir selbst gegenüber versagte.

Ich habe vergessen, wer ich bin

Weil ich so sehr darauf bedacht war, wie wir als Familie wirkten, hatte ich mir nie die Zeit genommen, eine Verbundenheit zu spüren. Und weil ich das Gefühl hatte, keine gute Mutter zu sein – die eine Sache, die man doch von Natur aus beherrschen sollte –, war ich mir sicher, restlos zu versagen. Im Rückblick erkenne ich, dass meine Wahrnehmung von Bildern aus dem Internet und aus Zeitschriften geprägt war. Ich verschwendete so viele Sorgen daran, irgendeinem Pinterest-Standard nicht zu entsprechen, dass ich komplett vergaß, wer ich eigentlich war.

Die einzig wahre To-do-Liste

Das hier ist wichtig für junge und werdende Mamas: Hör zu! Du brauchst nicht schon vorher alles geplant zu haben. Du brauchst auch nicht alles zu wissen. Die Handgriffe, die ein Neugeborenes am Leben erhalten, sind ziemlich simpel: füttern, kuscheln, liebhaben, feuchte Windeln wechseln, warmhalten, wieder kuscheln.

Die tägliche To-do-Liste einer frischgebackenen Mama sollte auf zwei Punkte zusammengestrichen werden:

1. Sich um das Baby kümmern.
2. Sich um sich selbst kümmern.

Peng. Ende.

Mist, du hast die Wäsche heute nicht gemacht? Guck auf deine Liste: Hast du dich um das Baby gekümmert? Ja. Hast du dich um dich selbst gekümmert? Auch ja. Na also, ich glaube, du hast die Mamasache drauf. Ich schätze, die Wäsche kann warten.

Wie bitte? Du bist traurig, weil du die Kilos von der Schwangerschaft noch nicht wieder runter hast? Nimm dir deine prima-praktische To-do-Liste mit den exakt zwei Punkten noch mal zur Hand. Lebt das Baby noch? Super. Was ist mit dir – atmest du noch ein und aus? Na dann – es klingt, als seist du die beste Mama überhaupt. Mach weiter!

Keine Angst vor dem Versagen

Pinterest ist klasse, und das Kinderzimmer in perfekt aufeinander abgestimmten Farben zu dekorieren, ist der halbe Spaß am Kinderkriegen. Durch Instagram surfen? Klar, ich sehe immer noch gern bei den ganzen schwangeren Insta-Frauen vorbei, immer auf der Suche nach tollen Outfits, die zur Kugel passen! Es ist gut, über den Tellerrand zu blicken, wenn wir unsicher sind, weil Neues anbricht – und selten sind wir so unsicher wie als junge Eltern. Aber lass mich dir eins sagen:

Der Gott, der Mond und Sterne und Berge und Meere geschaffen hat, glaubte, dass du und dein Baby zusammenkommen sollten. Das heißt nicht, dass ihr perfekt zusammenpasst. Das heißt nicht, dass du nicht auch Fehler machen wirst. Das heißt aber, dass du keine Angst vor dem Versagen haben brauchst, denn es ist unmöglich, in einer Aufgabe zu versagen, für die du geschaffen wurdest.

Du bist gut

Irgendwo denkt eine zynische Leserin gerade an all die Eltern, die dennoch versagen. Es gibt viele Mütter, die schlechte Entscheidungen treffen, die sich selbst oder ihren Kindern Verletzungen zufügen. Als frühere Pflegemutter weiß ich aus eigener Erfahrung, dass gerade jetzt in diesem Moment Säuglinge misshandelt und vernachlässigt werden, und selbst wenn ein heiliger Plan sie zu ihren Müttern brachte, ist es für sie vielleicht nicht das Beste, auch dort zu bleiben.

Aber über diese Mütter rede ich hier nicht. Ich spreche mit dir. Lass dich nicht von der Sorge zermürben, ob dein Kind einem festen Schlafrhythmus folgt, nur Bio-Gläschen isst oder schnell sitzen lernt. Ich spreche mit derjenigen, die all die Bücher und Artikel liest und sich überfordert fühlt bei der Frage, was denn das Richtige ist, wenn man doch so viele falsche Entscheidungen treffen kann. Allein, dass du dir so viele Gedanken machst, zeigt doch schon, dass du voll bei der Sache bist und das Beste erreichen willst. Das zeichnet die besten Eltern aus. Und der Rest regelt sich dann schon von allein.

Was mir geholfen hat:

1. Eine Clique finden. Suche dir eine Gruppe von Frauen, die wissen, was es bedeutet, eine junge Mutter zu sein. Solidarität ist eine große Kraft. Es tut gut, sich mit einer Frau zu unterhalten, deren Baby ihr auch aufs Shirt spuckt.
2. Mich von Pinterest fernhalten.
Aus Liebe zu allem, was mir heilig ist – niemand sollte nach einem großen Lebensereignis Zutritt zu Pinterest haben. Warum? Weil man entweder das Gefühl hat, etwas zu verpassen oder das eigene Leben, Kinderzimmer oder Gewicht dem anpassen zu müssen, was man im Internet sieht. Achte einmal darauf, was dir Angst macht und wodurch du an dir zweifelst. Wenn es die Sozialen Medien sind, tu deinem Herzen einen Gefallen und lege eine Pause ein. Ich verspreche dir, dass sie noch da sind, wenn du mehr Schlaf bekommst und emotional stabiler bist.
3. Aus dem Haus gehen.
Jeden. Tag. Wieder. Das Beste, was du für dich selbst, deine Gesundheit und dein Kind tun kannst, ist, den Ort des Verbrechens zu verlassen. Verabschiede dich für eine Weile von dem Ort mit dem Geschirr in der Spüle und dem überquellenden Windeleimer. Pack dein Kind in die Trage oder Karre und spaziere durchs Viertel. Steck dir Kopfhörer ins Ohr und höre Beyoncé oder Adele oder einen Podcast über Firmenethik. Tu, was nötig ist, damit du nicht vergisst, dass ein Leben außerhalb deines Nestes existiert und dass du immer noch dazugehörst.
4. Mit jemandem über meine Gefühle sprechen. Lügen lassen sich wirksam aufdecken, wenn wir sie vor jemandem laut aussprechen. Egal, ob du dir dafür deinen Mann, deine Freundin oder eine liebe Verwandte aussuchst: Zu erzählen, dass du zu kämpfen hast, kann dir die notwendige Unterstützung verschaffen, um all die Irrtümer aufzuklären, die dein Leben bestimmen.

Rachel Hollis ist die Gründerin der Website The-ChicSite und Geschäftsführerin von Chic Media. Mit ihrem Mann und ihren vier Kindern lebt sie in Austin, Texas. Dieser Text ist ein Auszug aus ihrem Buch „Schmink’s dir ab. Lass die Lügen los und lebe“, das gerade bei SCM Hänssler erschienen ist.

Irrtum Selbstliebe

Warum man sich selbst nicht lieben kann. Von Jörg Berger

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