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Großeltern: „Wir haben das früher anders gemacht“ – So funktioniert die Beziehung zwischen Generationen

Zwischen Eltern und Großeltern kommt es oft zu Konflikten über Erziehungsmethoden. Was früher galt, wird heute ganz anders gesehen und gehandhabt. Wie kann man mit solchen Unterschieden konstruktiv umgehen?

Tragehilfen, Familienbetten, moderne Stoffwindelsysteme, zuckerfreie Ernährung, Langzeitstillen, Bedürfnis- und Bindungsorientierung, kitafrei – all das sind Schlagworte unserer Zeit, die es früher in dieser Form nicht gab und die daher manchmal zu Unverständnis bei den Großeltern führen.

„In Diskussionen geht es darum, wie mit Wut umgegangen wird, mit dem Schreien von Kindern. Um Strenge, Konsequenz, Teilen, Schlafenszeiten. Meine Eltern drängen sehr darauf, dass man eine feste Struktur mit den Kindern hat. Mir liegt das nicht so, das ist bei uns manchmal etwas lockerer“, beschreibt eine Mutter Beispiele für Streitthemen. Auch Kleidung, Ernährung (Süßigkeiten), Sicherheit und Gesundheit, Grenzen setzen, Medienkonsum, die Frage, wie sehr man Kinder in Entscheidungen einbezieht und richtige Zeitpunkte für bestimmte Entwicklungsschritte des Kindes bergen Konfliktpotenzial.

Durch neue Forschungserkenntnisse, andere pädagogische Ansätze und aktuelle gesellschaftliche Umstände erziehen wir unsere Kinder heute anders als früher, bisweilen sogar konträr. Die Eltern von früher – die heutigen Großeltern – haben manchmal Probleme, das zu akzeptieren. Sie verstehen nicht, warum jetzt alles anders ist, und bekommen das Gefühl, ihre eigenen Kinder völlig falsch erzogen zu haben. Die Digitalisierung trägt ihren Teil dazu bei. Die heutigen Großeltern wuchsen komplett analog auf, sie verließen sich auf ihre Intuition und Erfahrungen. Den heutigen Eltern steht über das Internet sekundenschnell umfangreiches Wissen zur Verfügung. Früher hoch geschätztes Erfahrungswissen wirkt heute schnell veraltet und verliert in einer sich immer schneller verändernden Welt an Bedeutung. Bei dieser Geschwindigkeit mitzuhalten, ist für Großeltern nicht einfach. „Jungen Menschen fehlen heute oft innere Werte und das Selbstvertrauen, auf ihre eigene Intuition zu vertrauen“, schildert eine Großmutter ihren Eindruck.

Das Großelternprivileg

Vor allem der heute oft vertretene, nach außen scheinbar weniger strenge, bedürfnisorientierte Beziehungsstil scheint viele Großeltern zu irritieren. „Die Großeltern wollen, dass das Kind nach ihrem Willen funktioniert. Es wird eher wenig nach den Bedürfnissen gefragt oder diese werden ignoriert. Aus Sicht der Großeltern lassen wir Eltern zu viel Freiraum“, beschreibt eine Mutter die Sichtweisen. „Wir wünschen uns dagegen, dass sie mehr auf das Kind eingehen und nicht versuchen, es mit Belohnung gefügig zu machen“, fügt sie an.

Doch auch der umgedrehte Fall kann für Streit sorgen: Manche Großeltern sehen in ihren Enkeln eine zweite Chance, etwas aus der Erziehung der eigenen Kinder wieder gutzumachen oder Versäumtes nachzuholen. Oft genießen sie ihr „Großelternprivileg“, verwöhnen die Enkel voller Freude mit Spielzeug, Süßigkeiten, Fernsehen und erlauben ihnen mehr, als Mama und Papa das tun. Bis zu einem gewissen Maß ist das in Ordnung. Kinder können schon früh differenzieren, wenn Sachen bei den Großeltern anders laufen. Oft verhalten sich Kinder bei den Großeltern auch anders als bei den Eltern. Es stärkt ihre soziale Kompetenz und sie lernen, dass ein unterschiedlicher Umgang mit ihnen nicht automatisch ein unterschiedliches Level an Zuneigung bedeutet. Wer von uns kennt aus seiner Kindheit nicht das eine oder andere, was es nur bei Oma gab und worauf man sich immer freute?

Vom Kindsein in die Elternrolle

Mischen sich die Großeltern mit ihren Erfahrungen zu sehr in die Erziehung ein, fühlen sich die Eltern oft zurückversetzt in ihre eigene Kindheit, als sie von den Eltern kritisiert und bevormundet wurden. Manchmal kommen alte Themen und ungelöste Konflikte aus der Vergangenheit wieder ans Licht. Vor allem bei unsicheren Erstlingseltern kann das Vertrauen in die eigene Intuition und in die elterlichen Fähigkeiten geschwächt und letztlich die Bindung zu den Kindern negativ beeinflusst werden. Sich mit den Prägungen durch die eigenen Eltern auseinanderzusetzen, kann helfen, sich in die Elternrolle einzufinden und einen eigenen Erziehungsstil zu entwickeln. Das gibt Stabilität und Sicherheit, auch in möglichen Konflikten mit den Großeltern. Hilfreiche Fragen können sein: Wie bin ich als Kind aufgewachsen? Welche Werte wurden mir vermittelt? Was tat mir gut von meinen Eltern, was möchte ich übernehmen? Was war nicht hilfreich, was möchte ich anders machen?

Letztlich muss jede Familie ihren eigenen Weg finden. „Man muss auch nicht jeden Punkt vor den Großeltern diskutieren. Dort, wo die Kinder auch mal von den Großeltern betreut werden, gibt es Sachen, die mir wichtig sind. Und es gibt Sachen, die Großeltern anders machen, und das ist auch gut. Als Elternteile hat man ja auch manchmal einen unterschiedlichen Umgang mit verschiedenen Sachen. Das Wichtige für Kinder ist der unterschiedliche Umgang mit verschiedenen Bezugspersonen, die sie trotzdem alle lieben“, meint eine Mutter.

Keine ungefragten Ratschläge der Großeltern

Meinungsverschiedenheiten zwischen Eltern und Großeltern sind normal und gesund. Sie erweitern den Horizont und die eigenen Erziehungsansichten. Die meisten Eltern sind auch durchaus interessiert an der Meinung der Großeltern. Diese wollen mit ihren Erfahrungen und Ratschlägen ja nicht bewusst verletzen, sondern helfen. Ihre Einmischungen zeigen ihr Interesse an den Kindern und Enkeln. „Großeltern würden sich wahrscheinlich wünschen, dass man mehr aus ihren Erfahrungen übernimmt. Sie meinen es ja im Grunde gut, nur muss jede Familie ihre eigenen Werte kreieren. Für beide Seiten ein Seiltanz“, schildert eine Mutter das Dilemma.

Hilfreich ist es, wenn Großeltern vorher fragen, ob die Eltern den Ratschlag hören wollen. Die Eltern fühlen sich so nicht bevormundet und können den Rat in Ruhe überprüfen. Großeltern sollten akzeptieren, wenn dieser nicht angenommen wird. Sie sollten den Eltern – ihren Kindern – das Recht auf eigene Ideen, Erfahrungen und Fehler zugestehen. „Es sind andere Zeiten, Lebenssituationen und Anforderungen“, meint eine Großmutter. „Unsere Werte und Methoden aus den guten alten 80ern waren sicher auch nicht immer richtig. Manches würde ich heute anders machen. Meiner Meinung nach muss eine junge Familie ein geschlossenes System sein. Mit der Möglichkeit, sich eigenständig zu entfalten und zu entwickeln.“

Ehrliche und klare Kommunikation

In manchen Situationen müssen sich Eltern als Erziehungsberechtigte klar positionieren und deutlich erklären, dass sie die Verantwortung für die Kinder tragen. Und dass sie genauso ihr Bestes geben wie früher die Großeltern bei den eigenen Kindern. Aber was wünschen sich die Großeltern von ihren Kindern? „Dass sie offen und ehrlich mit uns sprechen. Dass sie ihre Vorstellungen, Erziehungsschwerpunkte und -ziele, aber auch Probleme mitteilen. Dass sie offen sagen, wenn wir in ihren Augen Fehler machen“, drückt es ein Großvater aus. Durch frühzeitige, ehrliche Aussprachen wird Verständnis gefördert. Konflikte können vermieden werden. Frust herunterzuschlucken, lässt Situationen irgendwann eskalieren.

Besonders problematisch ist es, wenn Konflikte vor den Kindern ausgetragen werden. „Wenn wir streiten, geraten die Kinder zwischen die Fronten. Sie wissen nicht richtig, zu wem sie halten oder auf wessen Seite sie sich schlagen sollen“, schildert eine Mutter. Offene Konflikte zwischen Eltern und Großeltern können Kinder verunsichern. Manchmal bekommen sie unbewusst ein negatives Bild von einer Partei. Eine Mutter hat das erlebt: „Unser großes Kind hat bemerkt, dass es Spannungen zwischen uns gibt und ist jetzt nicht mehr so offen gegenüber den Großeltern.“ Daher sollten Konflikte lieber nicht im Beisein der Kinder ausgetragen werden.

Offenheit und Akzeptanz

Stattdessen können bei einem Gespräch in ruhiger Atmosphäre ehrlich und auf sachlicher Ebene Wünsche und Bedürfnisse besprochen werden. Gegenseitiger Respekt, Geduld, Wertschätzung sowie Offenheit und Akzeptanz für unterschiedliche Meinungen helfen dabei. Beide Seiten sollten aktiv zuhören und bei Unklarheiten nachfragen. „Dies bedeutet, dass ich mich in die Lage des anderen versetze und damit sein Tun und Handeln verstehe. Gute Kommunikation entsteht dann, wenn ich nicht wütend, nachtragend und verletzt bin. Deswegen ist Vergebung von gegenseitigen Kränkungen ganz wichtig“, erläutert eine Mutter.

Verallgemeinerungen durch Worte wie „immer“ oder „wieder“ sind eher ungünstig. Nützlicher als Vorwürfe sind Ich-Formulierungen, etwa: „Ich würde mir wünschen, dass ihr unseren Kindern weniger Süßigkeiten gebt, wenn sie bei euch sind.“ Erscheint ein direktes Gespräch zu schwierig, kann ein Brief helfen. Das gibt allen Beteiligten Zeit, sich zu beruhigen und in Ruhe nachzudenken.

Eltern und Großeltern: Liebe als gemeinsamer Nenner

Eltern und Großeltern erleben die (Enkel-)Kinder in verschiedenen Situationen und haben unterschiedliche Perspektiven auf sie, die sich zum Wohl der Kinder gut ergänzen. Eltern, Großeltern und (Enkel-)Kinder können so voneinander lernen. Letztlich wird die gesamte Familie bereichert und gestärkt. Ja, früher war vieles anders, aber nicht automatisch alles besser oder schlechter. „Großeltern hatten ihre Zeit zum Erziehen und sollten jetzt bei den Enkeln nur begleiten“, meint eine Großmutter. Manchmal lernen sie dabei selbst noch etwas Neues. Eltern wiederum dürfen vom reichen Erfahrungsschatz der Großeltern profitieren und ihre eigenen Lehren daraus ziehen.

Alle Generationen erzogen und erziehen ihre Kinder nach dem jeweils aktuell besten Wissen und Gewissen. „Ich höre von meiner Mama oft, dass sie denkt, dass sie vieles falsch gemacht haben“, erzählt eine Mutter. „Das möchte ich ihnen nicht vermitteln. Es war anders, und sie haben nach dem damaligen Kenntnisstand und Wissen so gut erzogen, wie sie konnten. Das Gleiche machen wir heute auch. Auch wenn sich einige Dinge geändert haben, ändert es nichts an der Liebe.“

Lisa-Maria Mehrkens ist Psychologin und Journalistin.

Streit mit erwachsenen Kindern: „Hört auf, mich ständig kontrollieren zu wollen“, schreibt Daniel per WhatsApp

Wenn junge Erwachsene den Eltern Vorwürfe machen oder Forderungen stellen, wird das Bild einer guten Beziehung schnell zerrüttet. Wie Sie in solchen Situationen reagieren können.

„Hört auf, mich ständig kontrollieren zu wollen, das habt ihr bis jetzt mein ganzes Leben lang gemacht!“ Diesen Satz knallte uns Daniel (Name geändert), unser 20-jähriger Sohn, per WhatsApp hin. Obwohl schon tagelang heftige Diskussionen liefen, ließ mich dieser Vorwurf erst einmal völlig gelähmt aufs Sofa sinken.

Es ging um ein Konto für Ausbildungszwecke, über das er selbst verfügen wollte. Ein kräftiger Streit folgte mit der immer stärker werdenden Forderung von Daniel nach Verfügungsgewalt und unseren Bedenken dagegen. Dieser Konflikt gipfelte in dem eingangs genannten Vorwurf: „Ihr habt mich schon mein Leben lang kontrolliert!“ Auch davor waren schon harte Worte gefallen – die meisten davon auf die aktuelle Situation bezogen, vermutlich aus der Wut heraus geschrieben und eindeutig übertrieben. Obwohl sie verletzend waren, konnten wir sie dementsprechend einordnen und nicht so persönlich nehmen.

Die Mütter-sind-an-allem-schuld-Alarmglocken

Dieser Vorwurf aber bezog sich nun auch auf die Vergangenheit. Sofort gingen meine Mütter-sind-an-allem-schuld-Alarmglocken an: Hatte da etwas jahrelang in unserem Sohn gegärt, was nie angesprochen wurde und nun in einem Streit hervorbrach? Haben wir durch unser Verhalten seine gute Entwicklung behindert, eine Belastung in sein Leben gelegt, die ihn negativ prägt und unsere Beziehung nun belastet?

Andererseits kamen mir auch gleich Rechtfertigungen: Ja, manchmal habe ich ihn zum Lernen gedrängt. Aber von sich aus hätte er viel weniger gemacht. Und ja, ich habe nachgefragt, mit wem er abends fortgeht und wann er wiederkommt – ist das schon zu viel Kontrolle? Immerhin haben wir Eltern ihm nie Freundschaften ausgeredet oder gar verboten. Auch konnte er Hobbys und Ausbildung selbst wählen. Wir haben ihn auch dort unterstützt, wo wir mit seiner Wahl nicht glücklich waren. So schlimm kann das mit der Kontrolle ja nicht gewesen sein …

Der Auszug kann zu Konflikten führen

Ich berichte deshalb so ausführlich, weil ich weiß, dass meine Reaktionen ziemlich typisch sind. Vermutlich haben viele Leserinnen und Leser Ähnliches durchlebt oder durchleben es gerade. Der Auszug eines Kindes ist für alle Beteiligten ein großer Umbruch. Da liegen manchmal die Nerven blank. Die Belastung durch viel Neues, das bewältigt werden muss, aber auch die Erregung über all die Möglichkeiten, die sich nun bieten, können dazu führen, dass alte Verletzungen aufbrechen, die bisher verborgen waren. Eltern sind dann oft wie vor den Kopf gestoßen, wenn plötzlich Vorwürfe auftauchen, die das bisherige Bild völlig über den Haufen werfen: „Meine Schwester war ja immer euer Liebling.“ „Euer Einsatz für die Gemeinde hatte immer Vorrang, für uns blieb kaum Zeit.“ „Ich konnte euch nie etwas recht machen.“

Andere Kinder stellen nach dem Auszug Forderungen, aus denen ein heftiger, verletzender Konflikt entsteht: mehr finanzielle Unterstützung etwa, die sich die Eltern nicht leisten können oder die für einen Lebensstil „gebraucht“ wird, den die Eltern nicht gutheißen. Jeder fühlt sich mit seinen Forderungen oder seinem Verhalten im Recht. Zudem werden dabei oft grundlegende Werte berührt, die keiner leicht aufgeben kann. So ein Konflikt kann deshalb schnell eskalieren und die Beziehung in der Familie sehr belasten.

Allerdings sind die „Kinder“ ja erwachsen. Sie sollen und müssen ihre Entscheidungen selbst treffen, ihr Leben selbst gestalten. Die Zeit der Erziehung ist vorbei. Was bleibt uns Eltern an Möglichkeiten, solche Konflikte zu lösen? Oder zumindest einen Weg zu finden, der die Beziehung zum Kind erhält? Und der auch für die Eltern gangbar ist? Hier einige Impulse für die oben genannten zwei Konfliktarten: Vorwürfe über (frühere) Fehler der Eltern und Forderungen, die wir als Eltern nicht erfüllen können oder wollen.

Herausfinden, was dahintersteckt

Wie in unserem Fall tauchen Vorwürfe oft im Lauf eines Streites auf, manchmal aber auch in einem „normalen“ Gespräch. Im Idealfall kann ich nach dem ersten Schock eine kurze Auszeit nehmen, in der ich mir meine Reaktion auf den Vorwurf erst einmal bewusst mache. Dazu kann ich das Gespräch unterbrechen, um es später fortzuführen („Das muss ich jetzt erst mal verdauen – ich ruf dich nachher nochmal an.“). Dann höre ich in mich hinein, was da alles hochkommt: Schuldgefühle, Rechtfertigung, Leugnen, Scham, Trauer usw. – ohne etwas zu bewerten! Dieser erste Schritt ist wichtig, um eine gewisse Distanz zu meinen Gefühlen zu bekommen. Dadurch nehme ich sie wahr, lasse mich aber nicht von ihnen überschwemmen.

Auf dieser Grundlage kann dann eine weitere Klärung erfolgen, die erst einmal hauptsächlich aus Zuhören und Nachfragen bestehen sollte: Kannst du mir ein Beispiel erzählen? Wann hast du das zum ersten Mal/besonders stark erlebt? Hast du früher schon versucht, mir das zu vermitteln? Wie bist du bisher damit umgegangen? Wie hättest du es dir anders gewünscht?

Ob das, was das Kind dann erzählt, objektiv genau so stimmt oder nicht – es ist seine Wahrnehmung und damit für sie oder ihn die Wirklichkeit, das, was sein oder ihr Leben im Moment prägt. Dieser Gedanke kann helfen, nicht vorschnell alles zu relativieren oder zu leugnen nach dem Motto: „So schlimm war das doch nicht.“

Fehler eingestehen

Erst, nachdem ich möglichst konkret erfahren habe, was mein Kind verletzt hat, sollte von mir eine Reaktion kommen. Dafür kann man sich auch wieder Zeit nehmen, wenn nötig. Vielleicht kann ich zunächst die Aussagen von Sohn oder Tochter zusammenfassen, damit sicher ist, dass alles richtig ankam. Dann darf ruhig auch meine Sicht der Ereignisse auf den Tisch, wenn ich Situationen anders erlebt habe – ohne den Anspruch, dass eines falsch und das andere richtig ist! Für Versäumnisse kann ich um Vergebung bitten, Fehler eingestehen oder auch Entscheidungen neu bewerten: „Damals war uns diese Arbeit ein großes Anliegen, es ist uns auch heute noch total wichtig. Aber wenn ich nun höre, wie du dich dadurch nicht genug geliebt gefühlt hast, dann tut mir das sehr leid. Mit diesem Wissen würde ich es heute anders machen.“

Das Vergangene lässt sich nicht mehr ändern, es lässt sich nur vergeben. Und die Auswirkungen lassen sich abmildern. Für den Blick nach vorn kann ich deshalb die Frage stellen: Was würde dir helfen, dass diese Verletzung heilen kann und unsere Beziehung gefestigt wird?

Kompromisse beim Geld finden

Als Eltern kennen wir Forderungen unserer Kinder eigentlich ab deren Geburt. Mit dem Auszug kann es jedoch sein, dass nicht erfüllte Forderungen viel tiefergehende Folgen haben: Ohne ein eigenes Auto ist der Studienort nicht zu erreichen. Wenn die Oma nicht das Baby nimmt, kann die Ausbildung nicht beendet werden. Ohne zusätzliches Geld dauert das Studium länger. – Wo viel davon abhängt, ist auch die Gefahr eines langen Streits darum größer.

Hier wäre für Eltern die erste Überlegung: Kann ich die Forderung erfüllen? Wenn ja – will ich sie erfüllen? Warum nicht? Auch hier ist der nächste Schritt das Gespräch mit dem Kind. Dabei sollten die Bedürfnisse und Möglichkeiten so klar wie möglich auf den Tisch: Wie viel Geld oder wie viele Betreuungstage sind nötig? Was können Eltern höchstens aufbringen? Wenn diese Zahlen weit auseinanderliegen, kann man gemeinsam nach Alternativen suchen.

Wertvorstellungen führen zu Konflikten

Schwieriger wird es, wenn bei den Eltern Wertvorstellungen berührt sind: Der Sohn will eine Wohnung mit der Freundin finanziert haben, aber die Eltern lehnen unverheiratetes Zusammenleben ab. Oder die Tochter strebt eine Model-Karriere an, die die Eltern nicht unterstützen wollen. Da tritt besonders deutlich das Dilemma des Jung-Erwachsenseins auf: Man ist weitgehend selbstständig, aber finanziell noch von den Eltern abhängig.

Konflikte, die sich daraus ergeben, lassen sich – man muss es so klar benennen – nicht wirklich zufriedenstellend für alle lösen. Letztlich werden Eltern entweder dem Kind seinen eigenen Weg verweigern – was zu dauerhafter Entfremdung führen kann – oder sie haben das Gefühl, etwas Falsches auch noch zu unterstützen – was ihr eigenes Gewissen belasten kann. Es bleibt ihnen nicht erspart, zwischen diesen Möglichkeiten abzuwägen und das kleinere Übel zu wählen.

Liebe hat Priorität

Meiner Ansicht nach sollte die Beziehung zum Kind die oberste Priorität haben. In unserem Fall haben wir letztlich entschieden, dass ein Beharren auf unserem „Recht“ die Beziehung zu unserem Sohn nachhaltig vergiften könnte – und deshalb nachgegeben. Das finanzielle Polster war für uns nachrangig. Schließlich sollten sich Eltern immer wieder bewusst machen, dass sie nicht mehr verantwortlich sind für Entscheidungen der erwachsenen Kinder – selbst, wenn sie diese mitfinanzieren!

Als Christin glaube ich, dass Gott uns unsere Kinder anvertraut hat, um sie zu lieben und sie zur Eigenständigkeit zu führen. Die Eigenständigkeit ist irgendwann erreicht – die Liebe aber bleibt. Ich wünsche allen konfliktgeplagten Eltern, dass dieser Gedanke ihnen Mut gibt, auch in Konflikten die Hoffnung nie aufzugeben und die Gesprächstür für die Kinder immer geöffnet zu halten!

Susanne Bosch lebt mit ihrem Mann im Raum Hohenlohe, ihre beiden Söhne sind schon ausgezogen. Sie arbeitet in eigener Beratungspraxis und ist als Referentin unterwegs. seelsorge-susannebosch.de

Streit muss sein

Wenn Kinder miteinander streiten, belastet das nicht nur die Nerven der Eltern, sondern oft auch ihre Vorstellung von Familie. Wie mit Streit umgehen? Anregungen von Judith Oesterle

In der Werbung sitzen Familien oft glücklich gemeinsam am Esstisch. Sie unterhalten sich fröhlich und strahlen Harmonie aus. Mit der Sehnsucht nach diesem Idealbild bin ich Mutter geworden. Es war mir nicht wirklich bewusst. Aber es war da. Ich sehnte mich nach einer glücklichen Familie. Nach Harmonie am Esstisch. Nach fröhlichen Gesprächen. Nach Kindern, die gern miteinander spielen. Und in meinem Kopf setzte sich unbewusst der Gedanke fest, dass sich daran zeigt, ob ich eine gute Mutter bin.

Dann wurde ich Mutter. Ich bekam wundervolle Kinder mit viel Energie, großen Gefühlen und einem starken Willen. Meine Kinder waren nicht immer glücklich. Bei uns war es oft alles andere als harmonisch. Die Kinder weinten und schrien und stritten. Und ich wachte aus meinem Traum auf und fühlte mich als Versagerin.

Wenn Kinder rebellieren, sind sie gekränkt oder überfordert

Heute weiß ich, dass ich einem falschen Ideal gefolgt bin. Die Idee, dass ich nur dann eine gute Mutter bin, wenn immer Harmonie herrscht, darf ich zur Seite legen. Und mir anschauen, wie Familie auch ist. Für mich war es wichtig zu lernen, dass Kinder Teamplayer sind. Sie wollen mit uns kooperieren. Und sie wollen untereinander kooperieren. Wenn sie das nicht tun, hat das in der Regel zwei Gründe: Sie fühlen sich gekränkt. Oder sie sind überfordert.

Diese Überforderung kann aus der Situation heraus entstehen. Weil das Geschwisterkind etwas weggenommen hat, was man selbst möchte. Weil das Geschwisterkind etwas gesagt hat, was man nicht versteht. Diese Überforderung kann aber auch ohne Zusammenhang mit der Situation sein. Weil das Kind einen anstrengenden Schul- oder Kindergartenvormittag hatte. Weil es müde ist. Weil es Hunger oder Durst hat. Weil es zur Toilette muss.

„Bevor du einen Streit beginnst, überlege dir, ob du müde bist, Hunger oder Durst hast oder zur Toilette musst.“ In diesem Satz liegt so viel Wahrheit. Wenn diese körperlichen Bedürfnisse gestillt sind, können wir besser mit herausfordernden Situationen umgehen. Das gilt sowohl für uns als auch für unsere Kinder.

Drei Wahrheiten über Geschwisterstreit

1. Es ist normal, dass Geschwister streiten.
Forscher haben herausgefunden, dass es unter Geschwistern bis zu sechs Auseinandersetzungen in der Stunde gibt. Klingt nach viel. Ist aber normal. Wenn deine Kinder so häufig streiten, sagt das also nichts darüber aus, ob Sie eine gute Mutter oder ein guter Vater sind.

2. Es ist wichtig, dass Geschwister streiten.
Geschwisterstreit ist Training fürs Leben. Beim Streiten lernen die Kinder, wie man sich auf Regeln einigt, wie man verschiedene Interessen unter einen Hut bringt, wie man Kompromisse eingeht, wie man Verhandlungen führt und wie man in schwierigen Situationen gute Lösungen findet. Streit ist ein wichtiger Teil der Moralentwicklung, da es beim Streit oft um Fairness, Teilen und Gerechtigkeit geht. Häufig streiten Kinder um eine Sache: Wer darf mit dem einen bestimmten Playmobil-Männchen spielen? Wer bekommt den letzten Keks? Wer darf auf den Eckplatz beim Sofa? Egal, worum es geht: Wenn wir den Streit gut begleiten, bietet er eine enorme Chance!

3. Ein Streit muss nicht schnellstmöglich beendet werden.
Unsere Aufgabe als Eltern ist es nicht, den Streit so schnell wie möglich zu beenden, sondern ihn zu begleiten und die Kinder in ihrem Lernprozess zu unterstützen. Wie machen wir das am besten?

Sechs Tipps: So können Eltern mit Streit umgehen

  • Ruhig bleiben und die Kinder beruhigen: Einen Streit kann ich nur dann gut begleiten, wenn ich selbst ruhig bin. Deshalb mein Überlebenstipp: Bevor Sie zu Ihren streitenden Kindern gehen, atmen Sie tief durch, sammeln Sie sich und sagen Sie sich: „Alles ist gut. Es ist normal und wichtig, dass Kinder streiten.“ Dann gehen Sie hin und beruhigen Sie Ihre Kinder. Nehmen Sie sie in den Arm. Trocknen Sie die Tränen.
  • Allen Parteien zuhören: Hören Sie Ihren Kindern zu. Und das möglichst wertfrei. Es passiert uns so leicht, dass wir eine Situation vorschnell bewerten und die Kinder in Täter und Opfer einteilen, bevor wir überhaupt wissen, was passiert ist. Deshalb: Hören Sie zu! Fragen Sie, was passiert ist! Nehmen Sie sich Zeit!
  • Beschreiben, was passiert ist: Nach dem Zuhören hilft es, wenn wir in Worte fassen, was passiert ist: „Ach so. Du wolltest einen Polizeieinsatz spielen und brauchst dafür ganz viele Männchen. Und du wolltest, dass die Männchen einen Ausflug zum Zoo machen. Stimmt das?“ Wenn unsere Beschreibung richtig ist, kommt oft ein erleichtertes „Ja!“. Wenn sie falsch ist, melden uns das unsere Kinder sofort zurück. Und wir dürfen noch einmal eine Runde zuhören.
  • Regeln und Werte ansprechen: Wenn sie sich gehört fühlen, sind die Kinder oft bereit, zu hören, welche Regeln uns wichtig sind. Zum Beispiel, dass wir nicht möchten, dass ein Kind dem anderen wehtut.

Lösungen erarbeiten

  • Lösungen erarbeiten: Fühlen sich die Kinder gesehen und gehört, kommen sie oft auf wunderbare Lösungen. Wenn sie es allein nicht schaffen, können wir ihnen mit Fragen helfen: „Wie könntet ihr das denn am besten machen, dass beim Polizeieinsatz genügend Männchen dabei sind und der Zoo trotzdem viele Besucher hat?“ Vielleicht fällt den Kindern ein, dass in einer Kiste noch mehr Männchen sind. Vielleicht können sie einen Kompromiss eingehen und jeder bekommt nur ein paar Männchen. Oder vielleicht tun sie sich zusammen und spielen zuerst gemeinsam den Polizeieinsatz und danach den Zoobesuch. Das Wunderbare ist: Fühlen sich Kinder in ihrer Not gesehen, sind sie wieder in der Lage, miteinander zu kooperieren.
  • Lösungen umsetzen: In der Regel können wir uns an diesem Punkt zurückziehen. Und die Kinder können ihre Lösung selbst umsetzen.

Ist es jetzt also absolut falsch, wenn ich mich nach der Familie aus der Werbung sehne? Nein. Dieses Ideal darf sein. Und wir dürfen solche Harmonie-Momente genießen. Wir dürfen aber genauso wissen, dass es in jeder Familie auch diese anderen Situationen gibt. Und das ist gut so.

Judith Oesterle lebt mit ihrer Familie in Baden-Württemberg. Sie ist Sonderschul-Lehrerin, Coach für Mütter und bloggt unter judithoesterle.de und auf Facebook: JudithOesterle.inVerbindung

Nervige Gewohnheiten

Kleine Schwächen können große Konflikte auslösen. Doch erstreiten lässt sich Veränderung nicht. Jörg Berger hat einen ungewöhnlichen Tipp: Erst mal entspannen!

Meine Frau schaut, wie sie wohl manchmal ihre Schüler ansieht: etwas amüsiert, mitfühlend, aber mit einer Strenge, die kein Verhandeln duldet. Sie hat mich ertappt. „Moment“, denke ich, „ich bin hier zu Hause. Warum soll ich nicht in der Nase bohren, wenn es niemand sieht? Wo, wenn nicht zu Hause, darf ich mich mal gehen lassen? Was hat das außerdem mit dir zu tun? Ich sitze hier doch nur und lese. Schau einfach weg.“ Was eben noch gedankenlos war, kommt mir nun wie der tiefste Ausdruck meiner Freiheit vor: Dem mäandernden Jucken folgen, wohin es mich führt. Mich einer Stimulation hingeben, die das Lesen konzentrierter macht und mich in den geistigen Flow hebt. „Das willst du mir nehmen? Mit welchem Recht?“

Nervige Gewohnheiten lassen keinen Bereich des gemeinsamen Lebens aus: Warum hängt Matthias an seinen ärmellosen Strickjacken, die jede Anziehung ersticken? Warum erledigt Lisa immer noch schnell etwas, obwohl sie wissen müsste, dass sie dann zu spät kommt? Weshalb nur kaut Markus mit offenem Mund? Und aus welchem Grund shoppt und surft Katrin, statt ins Bett zu gehen, auch wenn sie am nächsten Tag so unausgeglichen ist? Manche Gewohnheiten nerven. Andere enttäuschen oder sie stoßen sogar ab. In aller Regel wissen wir, was den anderen stört. Doch trotz Liebe halten wir an unseren Gewohnheiten fest. Woran liegt das? Zunächst daran, dass Gewohnheiten zu Beginn der Beziehung anders wirken.

Was anfangs anzieht, stört später besonders

Im Verliebtsein erscheinen Gewohnheiten in einem anderen Licht. Lisa zum Beispiel war nie pünktlich. Doch Niklas hat gerne auf sie gewartet. Er kommt aus einem Elternhaus, in dem Regeln und Prinzipien alles waren. Lisas Lebensgefühl war Freiheit. Fast immer hat sie etwas Spontanes erlebt, was sie aufgehalten hat. Sie erzählte dann lachend darüber. „Verhängnisvolle Anziehung“, nennt die Paarpsychologie dieses Phänomen: Was anfangs anzieht, stört später besonders.

Außerdem lernt man den Partner in der Öffentlichkeit kennen oder empfängt ihn als Gast bei sich zu Hause. Gehen lässt man sich, wenn man wieder allein ist. Das ändert sich mit dem gemeinsamen Haushalt. Angelika war enttäuscht, als sie mit Markus auf seiner Betriebsweihnachtsfeier war – er zeigte tadellose Tischmanieren. „Warum muss er dann zu Hause mit offenem Mund kauen?“, hat sich Angelika gefragt. „Bin ich ihm weniger wichtig als die Kollegen?“

Manches zeigt sich erst mit der Zeit

Es gibt noch einen dritten Grund, warum Gewohnheiten irgendwann anders wirken. Ihre Folgen werden oft erst im Lauf der Jahre sichtbar. Justus zum Beispiel ist ein Gerechtigkeitsfanatiker. Sonja war schon immer etwas unbehaglich, wenn er Freunde entlarvt oder mit ihren Schwächen konfrontiert hat. Gleichzeitig hat sie seine Geradlinigkeit bewundert. Sonja und Justus haben sich im Studium kennengelernt. Ihr Freundeskreis war groß. Das ist heute anders, Freunde haben sich zurückgezogen. Richtig gute Freunde gewinnen Sonja und Justus immer seltener hinzu. Sonja erschrickt heute, wenn Justus mit seinem Gerechtigkeitsfimmel eine Freundschaft aufs Spiel setzt. Auch bei anderen Gewohnheiten gilt das Gesetz von Saat und Ernte: Mit der Zeit ziehen sie Folgen nach sich. Doch spätestens, wenn sie Folgen hat, müsste man eine Gewohnheit doch ändern?

Bei unseren eigenen Gewohnheiten ist uns bewusst, wie viel Aufmerksamkeit und Kraft uns eine Veränderung kosten würde. Bei den Gewohnheiten unseres Partners dagegen erscheint uns die Veränderung nur als Frage des guten Willens. Die Sozialpsychologie nennt das Akteur-Beobachter-Effekt (actor-observer-bias): Der Handelnde führt sein Verhalten eher auf die Umstände zurück. Er spürt die Einflüsse, die auf ihn wirken. Ein Beobachter jedoch sieht dessen Verhalten als Ausdruck seiner Absichten und seines Charakters.

Alte Wunden werden aufgerissen

Wenn wir uns also von unserer Partnerin oder unserem Partner eine Veränderung wünschen, heißt das zugleich, dass wir ein Stück der begrenzten Aufmerksamkeit und Willenskraft des anderen beanspruchen. Wir schicken unser Gegenüber in einen Kampf gegen den inneren Schweinehund, der viel lieber träge am Gewohnten festhält. Wir aktivieren außerdem emotionale Schemata, die mit der Gewohnheit verknüpft sind. Emotionale Schemata sind wunde Punkte, an denen wir empfindlich reagieren. Der eingangs erwähnte Widerstand meiner Frau hat bei mir sofort ein Kopfkino erzeugt: „Da kommt wieder jemand, dem jede Einfühlung und jedes Wohlwollen für mich fehlt.“ Dieser Film passt zwar nicht zu meiner Frau, er hat sich aber in meiner Kindheit so abgespielt. Mir reicht schon die Anmutung einer Rücksichtslosigkeit, um mein Kopfkino zu starten. Entsprechend abwehrend sind dann meine Reaktionen.

Der Wunsch nach Veränderung kann auch andere emotionale Schemata aktivieren: einen emotionalen Mangel (der vielleicht sogar von der Gewohnheit gelindert wird), Selbstwertverletzungen, die Erfahrung von Überforderung und viele mehr. Als Therapeut freue ich mich, wenn kleine Verhaltensänderungen ein emotionales Schema aktivieren: „Super, dann schlagen wir jetzt zwei Fliegen mit einer Klappe! Sie verbessern an diesem Punkt Ihr Leben und gleichzeitig lindern wir eine Wunde von früher.“ Aber in einer Therapie kommt der Wunsch nach Veränderung nicht von außen und man ist nicht allein in der Herausforderung.

Gewohnheiten aus Liebe annehmen

Was kann man der Person raten, die sich vom anderen eine Veränderung wünscht? Zuallererst: Einen Streit um eine Veränderung, der lange vergeblich war, kann man sich sparen – einfach, weil er nicht zum gewünschten Ergebnis führt. Das klingt nicht nach einer Weisheit, die große Lebenserfahrung erfordert. Doch die Entscheidung, vergebliche Kämpfe aufzugeben, hat schon Ehen gerettet. Auch in weniger kritischen Situationen würde ich raten: „Versuche erst mal, innerlich dahin zu kommen, dass du die nervige Gewohnheit aus Liebe annehmen kannst.“ Wer glaubt, kann das auch zu einer Übung seines Glaubens machen – beten, bis sich die partnerschaftliche Liebe für eine göttliche Liebe öffnet, die alles verzeiht und alles trägt, die einlädt, die aber niemanden zwingt.

Allerdings gibt es einen Unterschied zwischen Partnern, die aus Liebe ihren Wunsch nach Veränderung opfern, und Partnern, die sich zum Opfer machen. Vor den Folgen einer schlechten Gewohnheit darf und sollte man sich schützen. Dann finden die Dinge, die ein Partner im Wohnzimmer verstreut, ihren Platz in einer Box in dessen Arbeitszimmer. Dort entdeckt er, was er im nun ordentlichen Wohnzimmer nicht mehr findet. Dann muss eine Partnerin ertragen, wenn ihr Mann ein offenes Wort an Freunde richtet: „Ich liebe Sybille und ihr Herz für Tiere. Aber wenn sie so ausufernd über Tierschutz spricht, dürft ihr sie ruhig mal stoppen. Das mache ich zu Hause auch. Das soll unsere Freundschaft nicht belasten.“

Mit etwas Positivem beginnen

Wer entspannt ist und eine annehmende innere Haltung gewonnen hat, kann kaum etwas falsch machen, wenn er oder sie den Wunsch nach Veränderung ausspricht. Wenn es überhaupt einen Tipp braucht, dann: Beginnen Sie mit einem positiven Satz. Rechnen Sie mit einer Stressreaktion Ihres Partners und lassen Sie sich von dieser nicht ablenken. Bleiben Sie bei dem, was die Gewohnheit Ihres Partners für Sie bedeutet, und bei Ihrem Wunsch nach Veränderung. Lassen Sie den anderen frei darin, ob er Ihrem Wunsch folgt oder nicht.

Das könnte dann so klingen: Ihr Wunsch: „Markus, ich mag es sehr, dass du so locker und entspannt bist. Es gibt gerade nur eine Ausnahme, wo das nicht so ist: Wenn du den Mund beim Kauen offen hast. Irgendwie ist das eklig für mich.“ Die Stressreaktion: „So esse ich doch immer. Warum stört dich das plötzlich? Es hat sich noch niemand darüber beschwert.“ Ihre gelassene Fortsetzung: „Ist auch kein Drama. Vielleicht habe ich meine Gefühle da selbst nicht ernst genommen. Vielleicht wollte ich dir auch keine Vorschriften machen. Ich möchte nur, dass du weißt, dass ich so einen Ekelschauer bekomme, wenn ich dich ansehe und dir dabei in den Mund gucke …“

Selbst etwas ändern

Warum nicht eine Schwäche abstellen? Unser „Ich liebe dich!“ und „Du bist mir wichtig!“ behalten nur dann ihre Kraft, wenn wir gelegentlich einen Liebesbeweis bringen. Vielleicht ist unsere nervige Gewohnheit eine gute Gelegenheit dazu. Am besten beginnt die Veränderung dann mit Selbstannahme: „Auch mit meiner Gewohnheit bin ich okay. Ich muss nicht perfekt sein. Ich lebe – wie jedes Menschenkind – davon, dass meine Eigenarten ertragen und meine Fehler vergeben werden. Meine Motivation für meine Veränderung ist einfach: mehr zu lieben.“

Am herausforderndsten bei der Veränderung ist vielleicht die Erfahrung des Kontrollverlustes: „Ich will zwar, aber ich kann manchmal nicht. Ich versuche es, aber ich schaffe es nicht immer. “ Das kann verunsichern, entmutigen, enttäuschen oder beschämen. Aber warum sollten wir dieser grundlegenden Erfahrung des Menschseins ausweichen? Dann heißt es: dranbleiben. Billiger als durch diese Erfahrung hindurch ist Veränderung oft nicht zu bekommen. Aber es lohnt sich – als Liebesbeweis und als Charakterschule.

Jörg Berger ist Psychotherapeut und Paartherapeut in eigener Praxis.

Zur Vertiefung
Unter psychotherapie-berger.de/gewohnheiten findet sich ein Onlinekurs zum Thema.

Streit in der Beziehung: Diese sechs Schritte helfen, Konflikte gesund zu klären!

Streit ist nicht unbedingt etwas Schlechtes. Aber richtig streiten müssen Paare lernen. Vor allem auf sechs Punkte kommt es an.

„Jeder ist normal, bis du ihn kennenlernst“, so lautet der Titel eines Buches von John Ortberg. Und tatsächlich: In jeder Beziehung, sei es zu Freundinnen und Freunden, Kolleginnen und Kollegen oder in einer Partnerschaft, entstehen früher oder später Irritationen und Meinungsverschiedenheiten. Der erste Streit ist nicht unbedingt ein schlechtes Zeichen, denn er zeigt, dass in der Beziehung eine gewisse Nähe entstanden ist. Solange Menschen sich noch wenig kennen und das Vertrauen gering ist, wagt es kaum jemand, den anderen wirklich zu konfrontieren. Da schleicht man eher noch vorsichtig umeinander herum und neigt dazu, sein Gegenüber mit der rosaroten Brille zu sehen – gerade in der Verliebtheitsphase, aber auch bei Freundschaften.

Streiten heißt also erst einmal: Es geht voran mit dieser Beziehung, es ist Nähe entstanden. So viel, dass wir jetzt auch Ecken und Kanten aneinander entdecken. Doch wie streitet man gesund, also so, dass Konflikte geklärt werden, ohne der Beziehung zu schaden? Dazu gibt es wertvolle Strategien, unter anderem aus der Gewaltfreien Kommunikation.

Abstand ist wichtig

1. Gefühlen in Ruhe Raum geben: Wut verführt dazu, sich in negative Gefühle hineinzusteigern, was selten zu guten Lösungen führt. Am besten ist es daher, den negativen Gefühlen zunächst eine gewisse Zeit allein Raum zu geben, bevor Sie das Gespräch suchen. Nehmen Sie sich eine Stunde, in der Sie einfach in sich hineinhorchen. Am besten schreiben Sie auf, was Sie wütend oder traurig macht.

2. Perspektivwechsel: Nachdem Sie Ihr eigenes Befinden ernst genommen haben, kommt Schwierigkeitslevel zwei: Versuchen Sie, sich in Ihr Gegenüber zu versetzen. Was könnte ein Grund für ihr/sein Verhalten sein? Wie fühlt er/sie sich womöglich gerade?

Vorwürfe schaden nur

3. Wertfrei einsteigen: Beginnen Sie nicht mit einem Vorwurf oder einer Bewertung (z. B. „Ich finde es richtig verletzend, dass …“ oder „Es nervt mich total, dass …“), denn damit treiben Sie Ihr Gegenüber schnell in eine defensive Position. Starten Sie stattdessen freundlich und vor allem sachlich. Beschreiben Sie so neutral wie möglich die Situation beziehungsweise das Anliegen, das Sie klären wollen – zum Beispiel: „Bei unseren letzten vier Unternehmungen war es so, dass du entschieden hast, was wir machen.“

4. Positives und Verständnis: Wann immer möglich, leiten Sie die Kritik mit einer wertschätzenden oder verständnisvollen Botschaft ein, beispielsweise: „Ich finde es wirklich toll, dass du so viele Ideen einbringst“ oder „Ich weiß, dass du gerade viel Stress hast“.

Bitten nicht vergessen

5. Eigene Gefühle schildern: Hier kommen die berühmten Ich-Botschaften. Versuchen Sie, Ihrem Gegenüber klarzumachen, warum die Situation für Sie schwierig ist. Versuchen Sie, dies als Ihr eigenes Gefühl darzustellen, nicht als Vorwurf – zum Beispiel: „Wenn du mich nicht in die Planung einbeziehst, fühle ich mich übergangen und ein wenig überrumpelt.“ Vielleicht erwischt die Kritik Ihr Gegenüber trotzdem auf dem falschen Fuß – dann gönnen Sie ihm ebenfalls etwas Zeit und Abstand und führen das Gespräch später weiter.

6. Bitte und Danke: Um wirklich eine Klärung herbeizuführen, überlegen Sie sich am besten schon vor dem Gespräch, was Sie sich konkret von Ihrem Gegenüber wünschen, und äußern Sie das dann als Ihre Bitte: „Bitte lass‘ uns in Zukunft gemeinsam planen, was wir unternehmen.“ Manchmal braucht es mehrere Anläufe, doch wenn Sie eine Lösung gefunden haben, erkennen Sie das an, beispielsweise so: „Danke, dass du so gut zuhörst. Wir haben das echt gut klären können, finde ich.“

Melanie Schüer ist Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin und Autorin. Sie bietet (Online-)Beratung für Eltern von Babys und Kleinkindern mit Schrei- und Schlafproblemen an (neuewege.me).

Mücke oder Elefant?

Was im Alltag wirklich wichtig ist

„Wie gut, dass Kinder keine Kuscheltiere sind, die immer nur nett und brav dasitzen, sondern dass sie ihren Willen trainieren und sich mitteilen.“ – Wie oft habe ich diesen Satz wiederholt, wenn Rieky ihr Eis erst in der Hand schmelzen lassen wollte, bevor sie es schlecken konnte. Oder wenn Tarik nicht in sein Bett wollte, „weil jemand seinen Duft weggeschnuppert hat“. Zwischen Routine und Dauerkopfschütteln hatte dann jemand einen Tipp für mich: „Elefant oder Mücke? Entscheide du!“

Ein Elefant ist groß und schwer. Es dauert seine Zeit, bis er seinen Platz verlässt. Was sind Elefantenthemen? Welche Dinge sind mir so wichtig und wertvoll, dass ich sie begleiten und vertiefen möchte, auch wenn es mühsam ist? Eins dieser Elefantenthemen für mich ist das Essen am Tisch. Es ist ein großes Thema, und dafür möchte ich mehrmals täglich trainieren. Und es ist mir den Dauer(ein)satz wert: „Ich möchte mit dir am Tisch sitzen, wenn wir essen!“ Der vorsichtige Umgang mit Spielzeug ist auch so ein Bereich: Für mich erscheint innerlich der Elefant, wenn jemand auf seinen Legosteinen herumläuft oder Bücher achtlos wegwirft. Da reagiere ich deutlich und lasse die Bücher wegräumen.

Wieso geht das nicht?

Und die Mücken? Klingen fast wie „Macken“: Nori, die im Feuerwehranzug den Tag verbringt (und dabei sehr, sehr schwitzt), Antonia, die sich zehnmal umzieht, Silas, der sich eine sehr laute Kreissäge zum Spielen ausdenkt. Im Kindergartenalter hat jedes Kind wechselnde oder begleitende Schrulligkeiten. Sie helfen ihm, der sich stark verändernden Welt und all den neuen Eindrücken die Stirn zu bieten. Der erwachsene Ruf „Das geht doch nicht!“, darf bei Mückenthemen hinterfragt werden. Wieso geht das nicht? Wen stört es, wenn Tinus eine 1A-Baustelle im Garten buddelt? Die Nachbarn, dieeigene innere Ordnung? Wieso darf Lennard nicht einmal in der Wocheseine Gemütlichkeitshose anziehen? Wieso darf Klara nicht sagen, wenn sie nicht mit Dennis spielen will? Da machen wir Eltern schnell aus der Mücke einen Elefanten. Dabei lassen sich oft gute Kompromisse schließen. Nori darf zum Beispiel ihren Anzug gerne zu Hause tragen – wenn sie rausgeht, zieht sie sich um. Eine klare Absprache!

Freundlich in Gummistiefeln

Ich habe viel Kraft beim Erziehen verloren, weil ich dachte, jede kleine Mücke höchstpersönlich verscheuchen zu müssen. Dafür sorgen zu „müssen“, dass meine Kinder nicht schrullig wirken. Irgendwann beim Beobachten der Lebenswirklichkeit der drei Experten habe ich dann gespürt: Wie schön, sie sind speziell, sie sind sie selbst. Unsere Aufgabe als Eltern dabei ist, die Elefanten im Blick zu behalten. Freundlich zu anderen zu sein, geht auch in unpassenden Gummistiefeln.

Eltern sind aufgefordert, miteinander im Austausch zu bleiben: Ist es eine Mücke, dass unsere Tochter so viel allein spielt? Darf unser Kind Gemüse verweigern? Wenn dieses Thema groß wie ein Elefant ist, sollten wir es aktiv und kreativ angehen: zum Beispiel indem wir weiter vielfältig Gemüse essen und an einigen Tagen die süßen Kekse weglassen. Vielleicht machen Sie in den nächsten Tagen ja mal ein Spiel daraus: Schreiben Sie zehn Situationen auf, und diskutieren Sie gemeinsam: Elefant oder Mücke? Bei uns gibt es diesen Dialog auch heute noch.

Stefanie Diekmann ist Diplom-Pädagogin und arbeitet im Gemeindejugendwerk Südwest, um Mitarbeiter für die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen auszubilden. Sie lebt mit ihrem Mann und ihren drei Kindern in Ingelheim am Rhein.