„Mein Kind spricht nicht“

„Mein Sohn ist gerade zwei Jahre alt geworden. Mit einem Jahr hat er schon ‚Mama‘ und ‚Papa‘ gesagt. Seitdem macht er aber wenig Versuche, mehr zu sprechen. Was kann ich tun?“

Zunächst einmal sollten Sie sich keine Sorgen machen. Der Verlauf des Spracherwerbs ist sehr unterschiedlich. Mit einigen Hilfen können Sie jedoch die sprachliche Entwicklung Ihres Kindes unterstützen. Viele Dinge werden Sie aber schon automatisch und intuitiv richtig machen, ohne darüber nachzudenken.

DAS EIGENE SPRACHVERHALTEN
So ist es hilfreich, Ihr Handeln und das Ihres Kindes sprachlich zu begleiten. Auch wenn Ihr Kind im Moment wenig oder gar nicht spricht, profitiert es doch sehr von diesem Verhalten. Es versteht, dass Sprechen ganz normal und notwendig ist. Wenn Sie im Alltag zusammen spielen oder etwas unternehmen, beschreiben Sie, was Ihr Kind tut. Suchen Sie im Gespräch den Blickkontakt. Wenn Sie über einen Gegenstand sprechen, zeigen sie auf diesen und achten Sie darauf, dass Ihr Kind ihn auch fokussiert. Generell ist es sinnvoll, normale, kurze und einfache Sätze zu verwenden. Bauen Sie bestimmte Wörter in Sätze ein und benennen sie nicht, wie bei einer Fremdsprache, nur das einzelne Wort. Vermeiden sie es in der „Baby-“ oder „Robotersprache“ mit ihrem Kind zu sprechen. Zum Erlernen von Wörtern ist es wichtig, diese oft zu wiederholen und in unterschiedliche Sätze einzubauen, auch wenn dies anfangs ungewöhnlich erscheinen mag. „Welchen Pullover möchtest du anziehen, den grünen Pullover oder den blauen Pullover? Schau mal, der Pullover ist ganz weich.“ Achten Sie auf die Art der „Korrektur“, wenn Ihr Kind ein falsches Wort verwendet. Es muss viele Wörter erst verknüpfen und Netzwerke aufbauen, damit es die Worte korrekt verwenden kann.

WERTVOLLE GEMEINSAME ZEIT
Manchmal kann Druck entstehen, wenn das eigene Kind noch nicht viel spricht. Vermeiden Sie es jedoch, Wörter wie Vokabeln abzufragen. Kinder merken das und haben dann wenig Lust zu sprechen. Auf der anderen Seite ist es auch wichtig, dass die Notwendigkeit zum Sprechen besteht. Nehmen Sie Ihrem Kind daher nichts vorweg, unterbrechen Sie es nicht oder sprechen für es. Dann ist es viel wahrscheinlicher, dass sich das Kind der Sprache bedient. Der Alltag ist oft sehr hektisch und voll von Terminen. Dennoch ist es wichtig, sich jeden Tag bewusst Zeit für Ihr Kind zu nehmen. Dabei ist nicht immer die Dauer entscheidend, auch kurze gemeinsame Zeiten sind wertvoll. Bilderbücher anschauen ist ebenfalls gut, um das Sprechen anzuregen. Auch wenn manches ohne das Beisein Ihres Kindes schneller geht, sollten Sie es in den Alltag einbinden. Gehen Sie zusammen einkaufen, lassen Sie es, je nach Möglichkeit, beim Kochen, Backen und Putzen dabei sein. Sollten Sie unsicher sein, ob Ihr Sohn in seiner sprachlichen Entwicklung verzögert ist, sprechen Sie einfach beim nächsten Besuch mit Ihrem Kinderarzt.

Luisa Kaminski ist Logopädin und lebt in Siegen.

„Immer seid ihr die Bestimmer!“

Wie viel Mitspracherecht soll ich meinem Kind einräumen? Ab welchem Alter kann ich was erlauben? Wie viel Freiheit ist gut für mein Kind? Antworten von Sonja Brocksieper

Vielen Eltern ist es ein Anliegen, ihre Kinder in Entscheidungsprozesse einzubeziehen. Sehr bewusst wollen sie nicht allein bestimmen, wo es langgehen soll. Stattdessen fragen sie die Kinder nach ihrer Meinung und wägen gemeinsam mit ihnen ab. In unserer Gesellschaft hat es einen Wandel gegeben, der sich mittlerweile auch in einem veränderten Erziehungsverhalten zeigt. Die Familienstudie von Tobias Künkler und Tobias Faix („Zwischen Furcht und Freiheit“) hat gezeigt, dass in christlichen Familien die autoritären Strukturen immer mehr zurückgegangen sind und stattdessen Kommunikation und die Wertschätzung des kindlichen Standpunkts eine wichtige Rolle spielen. Kinder werden als gleichwürdige Persönlichkeiten gesehen, die Achtung, Respekt und damit auch ein Mitspracherecht verdienen. Ein Ergebnis der Familienstudie ist, dass 69 Prozent der Eltern ihre Kinder oft oder sehr oft nach ihrer Meinung fragen, nur 3 Prozent tun dies selten. Aber es ist klar, dass diese Mitbestimmung auch ihre Grenzen hat. Denn ohne solche Grenzen gäbe es bei manchen Kindern nur noch Schokolade auf dem Speiseplan, und Kindergartenkinder würden ihr Bedürfnis erfüllen, ein eigenes Smartphone zu besitzen. Wie schaffen Eltern also den Spagat zwischen Mitspracherecht und klaren Vorgaben?

WACHSENDE MITBESTIMMUNG
Zunächst ist es hilfreich, wenn sich Eltern Gedanken darüber machen, welche Ziele sie in der Erziehung ihrer Kinder haben. Sicherlich wünscht sich jede Mutter und jeder Vater, dass ihre Kinder einmal das Elternhaus als eigenständige Persönlichkeiten verlassen, die in der Lage sind, vernünftige und reife Entscheidungen zu treffen. Aber diese Selbstständigkeit müssen Kinder im Laufe der Familienzeit erst mal lernen und einüben. Kommt ein Baby auf die Welt, ist es zunächst absolut hilfsbedürftig und benötigt die verlässliche Fürsorge der Bindungspersonen. Die elterliche Kontrolle und Einflussnahme sind zu Beginn des Lebens also stark ausgeprägt, müssen aber mit der Reifung des Kindes nach und nach abnehmen. Schritt für Schritt erlangt der kleine Mensch neue Fähigkeiten, entdeckt seinen eigenen Willen und möchte Dinge allein tun. Die meisten Eltern erleben das sehr einschneidend in der so genannten Trotzphase, wenn ihr Kind die Worte „nein“ und „ich“ entdeckt. Dieser Selbstbehauptungstrieb ist ein wichtiger Entwicklungsschritt, den die Eltern begleiten und in gute Bahnen lenken sollten. In dieser Zeit braucht das Kind die Erfahrung, dass der eigene Wille wünschenswert ist. Deswegen ist es wichtig, dass die Eltern die Bedürfnisse und Gefühle ihrer Kinder ernst nehmen, gleichzeitig aber auch vermitteln, dass die eigenen Bedürfnisse nicht das Maß aller Dinge sind: „Jetzt bist du richtig sauer, dass du nicht die ganze Schokolade haben darfst. Das verstehe ich. Aber Sophie möchte auch was von der Schokolade essen, und deswegen teilen wir jetzt.“ Im Laufe der Kindheit und der Teenagerjahre müssen die Eigenständigkeit und Selbstkontrolle des Kindes immer mehr zunehmen. Je älter die Teenager werden, desto mehr sind sie in der Lage, abzuwägen und reife Entscheidungen zu treffen. Genau das können Eltern fördern, indem sie überwiegend eine beratende und begleitende Funktion übernehmen. Und das bedeutet auch, dass das Mitbestimmungsrecht in der Familie unbedingt mehr Platz einnehmen muss. Schreiben Eltern ihrem fünfzehnjährigen Teenager immer noch vor, wann er abends ins Bett gehen muss, ist die Einflussnahme zu groß. Er kann nicht selbst die Erfahrung machen, welche Auswirkungen es hat, wenn er bis spät in die Nacht chattet.

EIN GESUNDES MASS
Leider gibt es keine Patentantwort auf die Frage, in welchem Alter wie viel Mitbestimmungsrecht sinnvoll ist. Welche Grenze wann gesetzt wird, bleibt eine individuelle Entscheidung, die von der Lebenssituation, von den persönlichen Werten und vom Temperament und der Reife des Kindes abhängt. Der Familientherapeut Achim Schad gibt folgenden Ratschlag: „Beim Ermessen von Entscheidungsspielräumen für Kinder sollte nach dem Motto verfahren werden: So viel Mitbestimmung wie möglich, so viel elterliche Entscheidung wie nötig.“ Auf dieser Grundlage sollten sich Eltern immer wieder die Frage stellen: Führen meine Erziehungsmaßnahmen in größere Eigenständigkeit, oder zu größerer Abhängigkeit oder in die Überforderung? Das Mitspracherecht muss ein gesundes Maß haben. Auf der einen Seite sollten Eltern ihren Kindern viel zutrauen und sie altersangemessen in ihrer Eigenständigkeit bestärken. Auf der anderen Seite können Kinder aber noch nicht auf einen so großen Erfahrungsschatz wie Erwachsene zurückgreifen. Deshalb brauchen sie einen Rahmen, in dem sie ohne Überforderung oder Verunsicherung lernen können. Einige Beispiele sollen deutlich machen, wie eine angemessene Mitbestimmung aussehen kann: In der Grundschulzeit wird eine feste Mediennutzungszeit für eine Woche festgelegt. Das Kind kann entscheiden, ob es diese Zeit am Computer oder vor dem Fernseher verbringt und wie die Medienzeiten innerhalb der Woche verteilt werden. Bei einem Kindergartenkind entscheiden die Eltern, ob es im Winter ein Kleid oder eine warme Hose anzieht. Das Kind kann aber mitbestimmen, welche Hose es anzieht. Die Eltern bestimmen, welche Lebensmittel auf dem Tisch stehen, das Kind darf sich aus diesem Angebot sein Frühstück zusammenstellen. Geht die Mutter mit ihrer Teenagertochter shoppen, ist ein Budget festgelegt. Die Tochter kann entscheiden, ob sie sich die teure Markenhose kaufen möchte, dann aber auf ein Paar neue Schuhe verzichten muss.

IMMER MEHR VERANTWORTUNG
Es ist hilfreich, die Mitbestimmung eines Kindes an die Übernahme von Verantwortung zu knüpfen. Ein Vorschulkind trägt zunächst für seinen eigenen kleinen Lebensraum Verantwortung. Dazu gehört, selbst an das Zähneputzen zu denken, die Spielsachen wegzuräumen und selbstständig zu essen. Wird das Kind älter, bekommt es mehr Verantwortung: kleine Aufgaben im Haushalt, die Versorgung des Haustiers, das selbstständige Erledigen der Hausaufgaben und ähnliche Pflichten. Je mehr Verantwortung ein Kind übernimmt, desto mehr wächst auch das Recht, eigene Entscheidungen zu treffen. Hat ein Kind die Aufgabe übernommen, ein Mittagessen zu kochen, kann man ihm die Entscheidung überlassen, was auf dem Tisch stehen soll. Mit den Aufgaben wächst das Mitbestimmungsrecht und somit auch der Freiraum, eigene Erfahrungen zu machen.

GRENZEN DER MITBESTIMMUNG
Sobald die eigene Gefährdung im Raum steht, ist es notwendig, die Mitbestimmung zu begrenzen. Niemand würde sein dreijähriges Kind an einer viel befahrenen Straße allein laufen lassen, auch wenn das Kind auf sein Mitbestimmungsrecht pocht. Außerdem kann ein Kind durch zu viel Freiheit überfordert werden. Zum Beispiel wünschen sich viele Kinder spätestens zum Wechsel auf die weiterführende Schule ein Smartphone. Stellen Eltern ihrem Fünftklässler nun ein internetfähiges Handy zur Verfügung mit dem Kommentar „Aber spiel nicht so lange“, ist das weniger ein Zeichen von angemessenem Mitspracherecht als von grober Fahrlässigkeit. Die Freiheit hat auch dann eine Grenze, wenn die Rechte anderer verletzt werden. Rücksichtnahme, Teamfähigkeit und Beziehungsfähigkeit sind wichtige Kompetenzen, die Kinder im engen Zusammenleben in der Familie erwerben können. Kinder sind Teil einer Gemeinschaft und müssen deswegen auch lernen, dass sie ihre eigenen Bedürfnisse hin und wieder zurückstellen müssen.

EIGENE ENTSCHEIDUNGEN
Eine zentrale Aussage der oben genannten Familienstudie ist, dass Eltern, gerade im Hinblick auf die Glaubenserziehung ihrer Kinder, in einem Dilemma stecken: Sie wollen, dass sich ihre Kinder frei für den Glauben entscheiden, und gleichzeitig ist der christliche Glaube für sie alternativlos. Fakt ist, dass Eltern den Glauben ihrer Kinder nicht „machen“ können, und diese Spannung sollten sie aushalten können. Sie können Grundlagen schaffen, Angebote machen und vorleben. Aber je älter die Kinder werden, desto mehr müssen Eltern zurücktreten und akzeptieren, wenn die Kinder Entscheidungen treffen, die sie nicht gut finden. Einen Teenager in die Jugendgruppe oder in den Gottesdienst zu zwingen, ist äußerst schwierig, auch wenn die Not und Sorge der Eltern verständlich ist. Äußert ein zwölfjähriges Kind dagegen, dass es sonntags lieber ausschlafen will, ist es angemessen, wenn Eltern den Entscheidungsspielraum ihres Kindes einschränken. Ein Kompromiss kann sein, dass das Kind an einem Sonntag im Monat „frei“ hat. Bei ihren sechzehn- oder siebzehnjährigen Jugendlichen können Eltern nur noch Empfehlungen aussprechen und ihnen in erster Linie auf der Beziehungsebene begegnen. Darüber hinaus können sie ihr Kind im Gebet immer wieder vor Gott bringen. Letztlich sind Kinder ihren Eltern nur für eine begrenzte Zeit anvertraut und müssen als erwachsene Söhne und Töchter auf allen Ebenen ihre eigenen Entscheidungen treffen.

 

Sonja Brocksieper ist Diplom-Pädagogin und arbeitet für das Kindergottesdienstmaterial SevenEleven und Team.F. Sie lebt mit ihrer Familie in Remscheid, www.sonja-brocksieper.de.

 

 

Buchtipp: Dieser Artikel ist ein gekürzter Auszug aus dem Buch „Frei erziehen – Halt geben“ (SCM R. Brockhaus), das von Tobias Künkler, Tobias Faix und Damaris Müller herausgegeben wird. Es enthält zahlreiche Artikel unterschiedlicher Autorinnen und Autoren zur christlichen Erziehung.

 

Nachhilfe, ja oder nein?

„Ich habe das Gefühl, mein Kind kommt im Unterricht nicht mit. Ab wann ist Nachhilfe sinnvoll?“

Nachhilfe ist sinnvoll, wenn ein Schüler versetzungsgefährdet ist, viel krank war und dadurch große Lücken entstanden sind, oder in einem Fach regelmäßig Probleme bei den Hausaufgaben und Klassenarbeiten entstehen. Auch bei Leistungsunterschieden durch einen Schulwechsel ist sie empfehlenswert. Kurz gesagt: Nachhilfe ist dann sinnvoll, wenn Wissenslücken geschlossen werden müssen. Wenn Ihr Kind sich oft krank fühlt und die Noten in den Keller rutschen, kann das aber auch auf andere Gründe, wie zum Beispiel Mobbing hindeuten. Dann kann Nachhilfe unterstützen, aber die Ursache sollte parallel gefunden und bearbeitet werden.

WIE VIEL KOSTET NACHHILFE UND WER GIBT SIE?
Individuelle Förderung ist oft teurer als das Lernen in kleinen Gruppen. Für eine private Nachhilfestunde bei Schülern oder Studenten kann man zwischen 10 und 18 Euro investieren. Ausgebildete Pädagogen können schon mal bis zu 30 Euro nehmen. Der Vorteil dieser 1:1-Betreuung ist die individuelle Ausrichtung auf die Bedürfnisse des Schülers. Wenn die Chemie stimmt, kann es Ihr Kind motivieren, mit einem Studenten zusammenzuarbeiten, der selbst noch mitten im Lernprozess steckt und weiß, was es heißt, Klausuren schreiben zu müssen. Außerdem sind Studenten altersmäßig näher an den pubertierenden Kindern und können sich anders einfühlen. In der Zeitung oder im Internet findet man die Angebote zahlreicher geeigneter Lehrer. Eine Unterrichtsstunde (45 Minuten) in Kleingruppen kostet dagegen zwischen acht und dreizehn Euro, wobei oft 90 Minuten gearbeitet wird. Sprechen Sie mit Ihrem Kind und beobachten Sie, wie es besser lernt. Arbeitet es gerne in einer Gruppe, dann ist ein Nachhilfeinstitut sicherlich empfehlenswert. Qualitätsmerkmale dort sind das Angebot einer Probestunde sowie ein persönliches Gespräch, in dem die Bedürfnisse des Schülers abgefragt werden, das Angebot von Fachpersonal, ansprechendes Lernmaterial sowie nachweisbares Qualitätsmanagement und eventuell sogar ein TÜV-Siegel.

AN WEN SOLL ICH MICH WENDEN?
Mit dem eigenen Kind über die Nachhilfe sprechen. Idealerweise sollte es selbst motiviert sein, Unterstützung beim Lernen zu bekommen, sonst bleibt oft der Erfolg aus. Den Lehrer des Kindes um ein Gespräch bitten. Eventuell hat er auch gleich eine Adresse für eine Nachhilfemöglichkeit. Wie viel individuelle Förderung erhält ihr Kind schon schulintern? Steht die Frage im Raum, ob das Kind unter Lese- und Rechtschreibschwäche (LRS) oder Matheschwäche (Dyskalkulie) leidet, braucht es gezielte Förderung. Suchen Sie daher das Gespräch mit dem Schulpsychologen. Auch Schulangst kann der Grund für eine Lernblockade sein. Hier ist die Erziehungsberatungsstelle oder der Schulpsychologe der richtige Ansprechpartner.

WAS GILT ES ZU BEACHTEN?
Achten Sie darauf, dass in der Nachhilfe nicht nur der aktuelle Lernstoff wiederholt wird, sondern auch der Lernstoff bearbeitet wird, den Ihr Kind nicht verstanden hat. Außerdem gilt: Nachhilfe sollte keine Dauerlösung sein! Nach einem halben Jahr sollte man überprüfen, ob die Nachhilfe erfolgreich und weiterhin nötig ist.

Stefanie Böhmann ist Grund- und Hauptschullehrerin und lebt mit ihrer Familie in Hamburg.

 

Ein Truckerfrühstück für die Freundschaft

Christof Matthias startet später, dafür aber mit voller Kraft in den Arbeitstag.

Eigentlich haben wir beide keine Zeit. Der Terminer ist voll, und einige unerledigte Baustellen verlangen jetzt eher Vollgas als ein freundschaftliches Treffen am Morgen. Zum Glück kann ich meine Arbeitszeit relativ frei einteilen und mein Freund hat die Möglichkeit, auch mal erst um 09.30 zu beginnen, wenn er dafür am Nachmittag länger bleibt. Also setze ich mich nach der üblichen Morgenroutine ins Auto und fahre zehn Kilometer über Land, um mich mit einem Freund zum Frühstücken zu treffen. In dem Café brummt es an dem Morgen wieder. Viele Tische sind bereits besetzt, einige noch frei, aber reserviert. Im hinteren Bereich finden wir noch ein Plätzchen für uns beide. Eine eher gehetzt wirkende Frau bringt uns die Speisekarte. Ich weiß eigentlich schon, was ich will: das Truckerfrühstück – reichlich Rührei und Speck, frisches Brot. Mein Freund braucht etwas länger, entscheidet sich schließlich für das Vitalfrühstück. Na ja, jedem das Seine. Erst jetzt nehme ich eine bequemere Sitzposition ein und frage: „Nun, mein Freund, wie schaut‘s?“ Aus dieser Frage entwickelt sich ein tief gehender, persönlicher Austausch. Wir erfahren voneinander und hören aufeinander. Es geht um die letzte Nacht, Träume, Beruf und Berufung, alte Eltern, Kinder, Enkelkinder, Ehe, Pläne, Visionen – haben wir die noch? Eine geordnete Struktur ist weder angedacht, noch erkennbar. Was interessant erscheint, wird vertieft, bevor ein neuer Gedanke ins Spiel kommt. Ausgemacht haben wir eine gute Stunde. Die ist aber längst vorbei. Nun müssen wir beide unbedingt los. Die Pflichten rufen unüberhörbar. Ich mache immer wieder die gleiche Erfahrung – Männer können reden und wollen es auch. So viele Gelegenheiten, anderen im vertrauten Rahmen von dem zu berichten, was mich beschäftigt und umtreibt, habe ich nicht. Freunde fallen nicht vom Himmel, und Freundschaften müssen gepflegt werden. In einer Gruppe fremder Leute lädt mein Akku nicht. Ich suche und brauche eher das Vertraute. Da, wo ich sein kann, tiefere Töne angeschlagen und Oberflächlichkeiten durchdrungen werden. In der herzhaften, männlichen Umarmung zur Verabschiedung spüre ich noch etwas, das Worte nicht ausdrücken können. Als ich wieder nach Hause komme, weiß meine Frau sofort, dass ich eine gute Zeit hatte. Sie merkt mir an, dass ich aufgetankt habe. Sie hat Recht.

Christof Matthias ist freiberuflicher Supervisor und Regionalleiter von Team.F, Vater von drei leiblichen Söhnen, einem mehrfach behinderten Pflegesohn, zwei Schwiegertöchtern und Opa von zwei Enkeltöchtern.

 

Die Sorgenkralle bezwingen!

Stefanie Diekmann ist anfällig für Sorgen.

Das Gemeine an der Sorgenkralle in meinem Leben ist: Sie krampft sich unvermittelt um mein Herz. Ich gebe mein Schulkind zum Segeln ab und realisiere den erstaunlichen Größenvergleich von Frachter und Segeljolle mit meinem Kind (das sehr fröhlich winkt). Dann auf einmal gibt die Sorgenkralle ihr Bestes: „Wenn sie kentert? Und was ist, wenn sie dann unter dem Boot bleibt?“ Eng wird es mir und vor Sorge bleibt fast die Luft weg. Die Sorgenkralle scheint auch meine wunden Punkte zu kennen. Beim Klaviervorspiel hat meine Tochter besonders großes Herzklopfen und möchte sich am liebsten drücken. Sie drückt sich sogar tatsächlich! Und ich spüre von einem Moment auf den anderen zermürbende Sorgen: Wieso traut sie sich so wenig zu? Was habe ich vermittelt, was ihr nicht guttut und sie bremst? An einigen Tagen bin ich sehr vertraut mit der Sorgenkralle und komme kaum dazu, einen Blick auf etwas anderes zu werfen. Ich sorge mich rein in ein Gefühl der Machtlosigkeit und der groben Erziehungsfehler und bin mehr und mehr gefangen in einer rostigen Kralle der „Wenns“ und „Achs“ … Jesus kennt unsere Anfälligkeit zum Sorgen und hat eine Idee: „Sorgt nicht!“, sagt er wiederholt. Was zu banal klingt, übe ich täglich. Spüre ich den Druck der Enge im Herzen, habe ich eine Art Spezialöffner für Sorgenkrallen. Ich schüttele ab, was sich für Szenarien in mir abbilden wollen und atme betend durch. Ich richte mich auf, als Mutter, als Frau, als Ich. Manchmal entweicht mir ein kleines: „Herr, segne du!“ oder ein „Jesus, hilf mir!“, manchmal nutze ich die scheinbare Enge, um über Freiheit und Mut zu beten. Das mag die Sorgenkralle gar nicht. Wenn ich bei Bekannten mitbekomme, wie sie in ihrer Ehe um Vorteile zerren, reagiert die Sorgenkralle verzögert. Erst nicke ich beim Zuhören zustimmend, wenn eine Frau über ihren Mann schimpft. Doch dann will mir die Sorgenkralle das Gefühl von Beziehungsmüdigkeit und von lieblosen Missverständnissen vor Augen führen. Bis ich meine eigene Ehe sorgenvoll betrachte. Auch hier will ich mich schneller aus dem Zugriff der Sorgenkralle befreien. Ich versuche, Gutes über meinen Mann und unser Miteinander zu sagen. Ich strecke der Sorgenkralle die Zunge raus, denn ich übe mich darin, meinem Mann direkt einen fast unaussprechlichen Wunsch an unsere Beziehung zu nennen. Was mir in letzter Zeit aufgefallen ist: Die Zeit in der Sorgenkralle verbringe ich allein, und sie kostet mich viel Kraft. Wenn ich mich herauswinde, habe ich die Chance, Gestalterin zu sein und nicht ausgelieferte Untätige. Ich setze mich zum Bügelperlen bezwingenden Kind dazu. Oder ich mache meinem Jugendlichen, der einen Studienort sucht, einen Tee. Ich bin Teil ihrer Gedanken, anstatt mich in der Distanz zu sorgen. Ich richte meinen Blick auf das Jetzt und das Miteinander. Ich lebe, sehe in die Augen des anderen, lache, schimpfe, höre zu. So wird mein Herz stark und lebendig. Die Sorgenkralle passt gar nicht mehr richtig drum … Beim Segeln ist übrigens nie etwas passiert.

Stefanie Diekmann ist Diplom-Pädagogin und lebt mit ihrem Mann und ihren drei Kindern in Ingelheim am Rhein.

 

 

Flohmarkt

GENERVTE VÄTER GESUCHT

Katharina Hullen verhökert jede Menge Kindersachen, doch der Keller ist immer noch voll.

Katharina: Nach zehn Jahren Großfamilie sind Keller und Garage deckenhoch vollgestopft mit Kinderkleidung, Schuhen und Spielzeug. Und da die Kinder unaufhörlich wachsen, produzieren ihre Schränke nahezu wöchentlich eine neue Keller-Kiste. Es muss etwas geschehen. Wir melden uns also Anfang des Jahres bei einem Flohmarkt an. Ich nehme 17 Kisten in Angriff, um sie in drei Haufen zu zerlegen: den Sommerflohmarkt-, Winterflohmarkt- und Kleiderspendehaufen. Eigentlich gibt es da noch einen vierten, „Ichkann- mich-nicht-trennen-Korb“. Ich bemühe mich aber, ihn klein zu halten. Es gelingt mir fast. Der erste Markt, ein Late-Night-Shopping für Mütter, ist ernüchternd. Nicht nur die finanzielle Ausbeute: gerade mal etwas mehr als die Standmiete und Fahrtkosten erziele ich. Nein, es wird auch klar, nur die perfekt organisierten Stände machen hier Geschäft. Unser Tisch ist viel zu klein für all die Wäscheberge. Das ist nicht übersichtlich genug. Wo war nochmal der Schlafanzug in Größe 80? Bis ich ihn gefunden habe, ist die Kundin nicht mehr kaufwillig. Insgesamt fehlen diesem Mütter-Markt die Kinder und Väter. Fröhliche, gierige Kinder, die all die tollen Spielsachen kaufen möchten, und genervte Väter, die jede unschlüssige Kaufentscheidung der Frau beschleunigen, nur damit dieser Markt endlich für sie endet. Also rüsten wir für die nächsten zwei Märkte auf. Alle Teile werden mit Größe und Preis etikettiert. Die Kleiderstange bekommt aufwendig laminierte Größenringe verpasst. Wir laden vier statt einem Tisch als Ausstellfläche ein. Hinweisschilder werden gebastelt. Und wirklich, es funktioniert. Bestimmt zehn Prozent der Dinge sind verkauft – das heißt aber auch, neunzig Prozent des Plunders nehmen wir wieder mit nach Hause. Ganz zu schweigen von dem Kram, den unsere Kinder fröhlich und gierig erworben haben und den Dingen, die ich wiederum für die Kinder gekauft habe. Es ist zum Haare raufen. Es wird nicht weniger. Der dritte Markt läuft wie von selbst. Alles ist ja schon bestens vorbereitet. Wir lernen: Je weniger Kram auf den Tischen liegt, umso mehr kaufen die Leute einem ab. Eine ganze Kiste weniger tragen wir diesmal nach Hause. Nur noch 5 statt 7 Sommerflohmarktkisten stehen nun im Keller. Sieben Winterkisten warten noch auf die Vorbereitung. Ich stehe vor den Bergen und denke mir: Im letzten Haufen, dem Kleiderspendehaufen, liegt viel Leichtigkeit. Ich beginne zu verstehen, warum so viele Menschen lieber alles verschenken, als diesen Aufwand zu betreiben. Lebe leichter! Weniger ist mehr! Vielleicht probieren wir das dann im nächsten Jahr mal aus.

Katharina Hullen (Jahrgang 1977) ist Bankkauffrau und Dolmetscherin für Gebärdensprache. Sie und Ehemann Hauke haben fünf quirlige Kinder und leben in Duisburg. Gemeinsam bilden die beiden das Kirchenkabarett „Budenzauber“.

 

HOCHREGALLAGER FÜR KINDERAUSSTATTUNG

Hauke Hullen bewundert die großartige Auswahl an Babysachen im Partykeller.

Hauke: Das erste, was der Besucher beim Betreten des Areals erblickt, sind Plüschtiere. Von A wie Affe bis Z wie Zebra – hier findet jedes Kind sein Lieblingskuscheltier! Direkt daneben gibt es Kinderschuhe in allen Größen und Farben, so dass man locker einen ganzen Kindergarten einkleiden könnte. Gegenüber: Hosen. Und Kleidchen. Und Bodys soweit das Auge reicht … Nein, das ist nicht der Kinderflohmarkt der benachbarten KiTa, sondern unser Partykeller, der sich inzwischen zu einem Hochregallager für Kinderausstattung entwickelt hat. Der Bestand ist immens! Wenn ich in der Kinderabteilung eines Kaufhauses stehe, ertappe ich mich manchmal dabei, wie ich verächtlich lächle angesichts der mickrigen Auswahl. „Selbst schuld!“, denken Sie vielleicht, „warum entsorgen die Hullens den ganzen Kram nicht beizeiten!?!“ Ich gebe Ihnen Recht. Doch das entscheidende Wort ist „beizeiten“. Bislang war es nämlich so: Kaum war unser jüngstes Kind aus einer Kleidergröße herausgewachsen, kündigte sich bereits der nächste Nachwuchs an. Also hoben wir alles auf, damit es nochmal getragen werden kann, und verwandelten unseren Keller in ein Warenverteilzentrum. Dazu kommen große Tüten aus dem Bekanntenkreis, wo Freunde von Freunden von Freunden uns zentnerweise Kinderkleidung überlassen. Verstehen Sie mich nicht miss, die Tüten sind großartig! Die Haushaltskasse hätte eine derartige Ausstattung niemals hergegeben – nur muss eben alles erst einmal verstaut werden. Nicht ganz so praktisch ist das Säuglingszubehör. Jede Geburt spülte eine Lawine neuer Plüschtiere, Rasseln und pädagogisch hochwertigen Holzspielzeugs ins Haus. Vieles ist derart robust, dass man spätestens beim 3. Kind mehr als genug davon hat. Ich würde das Zeug ja gerne bei nächstbester Gelegenheit im Freundes- und Bekanntenkreis weiterschenken, aber leider haben wir uns nicht gemerkt, von wem wir was erhalten haben … Bleibt also der Flohmarkt, wo wir mit abgeschlossener Familienplanung und mehreren Campingtischen aufschlagen. Neben uns der Stand einer befreundeten Familie, wo die Mutter mühsam hier ein T-Shirt und da ein Mützchen verkauft, während ihr Göttergatte derweil mit einem riesigen Playmobilschiff („20 Euro, da kann man nichts falsch machen!“) durch das Menschenmeer zu seinem Familien-Van segelt. Wir bleiben tapfer und kaufen nichts. Haben eh schon alles. Die meisten Besucher leider auch. Erkenntnisse des Tages? Etliche. Zum Beispiel, dass man nicht auf nennenswerte Einnahmen hoffen sollte. Dass die Freude am Feilschen auch bei eingeschweißter Neuware keine Grenze nach unten kennt. Dass schwangere Frauen alles kaufen, wenn es das erste Kind ist. Dass man lernt, sich über Kleinigkeiten zu freuen, wenn man ein Paar Schuhe für zwei Euro verkauft hat. Dass dieser ganze Spaß es eigentlich wert wäre, noch Geld obendrauf zu legen.

Hauke Hullen (Jahrgang 1974) ist Lehrer für Deutsch und Sozialwissenschaften. Er und Ehefrau Katharina haben fünf quirlige Kinder und leben in Duisburg. Gemeinsam bilden die beiden das Kirchenkabarett „Budenzauber“.

 

Streit um die Zeit

„Wie viel Familienleben kann man als Eltern von Teenagern einfordern? Ist eine gemeinsame Mahlzeit am Tag zu viel verlangt? Oder kann man gar nichts fordern, sondern sich nur wünschen?“

Teens streben zunehmend nach Selbstbestimmung und Unabhängigkeit. Dies kann sich im Bedürfnis nach Ruhe und Rückzug äußern oder im häufigen Zusammensein mit Gleichaltrigen. Welche Form Ihr Kind bevorzugt, kann im Temperament oder in der aktuellen Stimmungslage begründet sein. In der Pubertät ist vieles im Umbruch. Der Körper und das Gehirn verändern sich, die Stimmung schwankt und neue Herausforderungen stürmen auf die Teens ein. Sich in dieser Zeit verstanden zu fühlen, eine Meinung zu bilden und seine Zeit selbstbestimmt zu füllen, ist reizvoll und natürlich. Rückzug oder Aktionen mit Freunden werden immer wichtiger. Dies steht oft im Widerspruch zum Familienleben und wird häufig zu einem Kampf um die gemeinsame Zeit. Ein jahrelanges Ritual, wie eine gemeinsame Mahlzeit, kann da schon mal zur Nervenprobe für die Eltern werden, ein schöner Familienausflug mit schlechter Laune oder gar Verweigerung enden.

SICH SELBST HINTERFRAGEN
Es gilt den Fragen nachzugehen: Wann bestehe ich auf gemeinsame Zeiten und warum? Bin ich zu neuen Sichtweisen oder Kompromissen bereit, und wie könnten diese aussehen? Auf solche Fragen sollten Sie eine Antwort finden, um überzeugender, klarer und gestärkt in Ihren Aussagen zu sein. Aussprüche wie „Das ist einfach so und du kommst jetzt gefälligst mit“ sind nicht so überzeugend wie „Wir verbringen gerne Zeit mit dir.“ So erhöht sich die Chance, dass sich Ihr Kind ernstgenommen fühlt. Auch Bedenken können und dürfen dann Platz finden. Kurze Aussagen wie „Ach, ich bin froh, einfach mal zu Hause sein zu können, in der Schule war so viel los diese Woche …“, können ein Türöffner für gegenseitiges Interesse und weiteren Austausch sein.

EIGENVERANTWORTUNG ÜBEN
Die hohe Kunst ist, aufmerksam zu sein, Bedürfnisse nicht zu ignorieren und auch den wachsenden Raum für Selbstbestimmung und Eigenverantwortung wahrzunehmen und anzuerkennen. Das kann z.B. bedeuten, das Kind klinkt sich aus und darf mal alleine zu Hause bleiben oder sich mit einem Freund verabreden, während die Familie eine Runde wandert. Es gilt, offen zu sein für neue Ideen und kreative Lösungen, um gewinnbringende Gemeinsamkeiten zu finden. Auch neue Konstellationen für die Freizeitgestaltung sind denkbar. Es könnte z.B. ein Freund mitkommen, Vater und Sohn planen eine Aktivität für „Männer“, oder der Teen verreist mit einer Jugendgruppe. Bei Themen, die Ihnen wichtig und auch wiederkehrend sind, bleiben Sie bei sich und seien Sie transparent in Ihren Wünschen und Erwartungen. Sie sind nach wie vor verantwortlich für Ihr Kind, wohlwissend, dass seine Eigenverantwortung zunimmt und eingeübt werden sollte. Vielleicht hilft das Bild eines Leuchtturms: Geben Sie regelmäßig Lichtsignale zur Orientierung in stürmischen oder nebligen Zeiten. Die größte Herausforderung ist, eine gewisse Nähe beizubehalten und zugleich im Vertrauen immer mehr loszulassen.

Sonja Krebs ist Erzieherin und Heilpädagogin, verheiratet und Mutter von zwei Jungs (14 und 5 Jahre alt). Sie wohnt in Königswinter.

Lebe kreativ!

Moor Jovanovski erlebt glückliche Stunden beim Bau eines Vogelhäuschens.

Ich bin kein Künstler oder Poet. Aber irgendwie finde ich kreative Dinge auch ansprechend. Grundsätzlich gefällt mir der Gedanke, mich einfach auszuklinken und etwas zu tun, was nicht zwingend effizient ist. Doch häufig kommt es nicht so weit, weil ich mich dann frage: „Wer hat schon Zeit für sowas?“ Oder vielleicht auch: „Was würde es denn ändern?“ Umso überraschter war ich über mich selbst, als mir aus heiterem Himmel die Idee kam, etwas zu bauen. Gerade waren mein Sohn und ich im Begriff, vom Garten zurück ins Haus zu gehen, als ich zu ihm sagte: „Lass uns ein Vogelhaus bauen!“ Er schaute mich so verwundert an, wie ich mich selbst fühlte. Dann flammte die Begeisterung in seinen Augen auf und schon machten wir uns auf den Weg. Und zwar nicht in den Baumarkt, sondern in den Wald – ausgerüstet mit einer Säge. Und fürs Protokoll: Wir haben nichts Illegales gemacht! Wir haben nur umgefallene Stämme und Äste zurechtgesägt und eingepackt. Und dann kam der große Moment: Wir haben ohne Vorlage, ohne Bauanleitung, ohne Youtube-Tutorial einfach drauflos gebaut. So wie das Vogelhaus in unserem Herzen war, haben wir es in die Realität gebaut. Alles in allem verbrachten wir drei Stunden und sind nun stolze Besitzer eines „Dreibein-Vogelhaus“. So haben wir unsere Schöpfung benannt. Es ist 1,50 hoch und hat ein Spitzdach mit Tannengrün. Und schon bald zog ein Rotkehlchen ein, das wir Robin tauften. Erst im Nachhinein wurde mir deutlich, wie sehr mich diese Aktion erfüllte. Ich konnte mich einfach ausklinken. Ich hatte Zeit mit einem Menschen, den ich sehr liebe. Es gab keine Deadline für die Fertigstellung. Wir haben etwas mit unseren Händen gemacht (analog, nicht digital). Wir konnten ein inneres Bild Wirklichkeit werden lassen! Ja, wir haben etwas erschaffen, was es noch nicht gab. Ich spürte die Kraft der Kreativität in mir und plötzlich fühlte ich mich Gott sehr nahe. Ich bin seine Schöpfung und wenn ich kreiere, dann bin ich in seiner Nähe. Ohne Gebete. Ohne Gesang. Ohne Andacht. Nur in dieser Erinnerung, dass ich sein Geschöpf bin und mit ihm verbunden bin, wenn ich etwas erschaffe. Kreatives Leben ist eine Gottesbegegnung. „Was würde es ändern?“ hatte ich mich bisher gefragt. „Mich“ habe ich mir dann gedacht.

 

 

Moor Jovanovski hat zwei Kinder und ist verheiratet mit Monica. Er arbeitet als Pastor und Gemeindegründer in Frankfurt und Wiesbaden.

Unsere Tochter klaut

„Unsere Tochter ist ein fröhliches, kluges Mädchen. Seit einiger Zeit steckt sie aber immer wieder Sachen ein. Wenn wir sie fragen, sagt sie, die habe sie geschenkt bekommen. Wir machen uns Sorgen, dass ihr etwas fehlt. Was können wir tun?“

Fangen Kinder an zu stehlen, ist es immer ratsam, nach den Motiven für dieses Verhalten zu fragen. In den meisten Fällen kann man davon ausgehen, dass das Kind unbedingt ein Spielzeug oder eine Süßigkeit haben und nicht darauf warten wollte. Ist das Stehlen ein einmaliger Ausrutscher, kann man das gelassen mit dem Kind besprechen und mit einer angemessenen Wiedergutmachung aufarbeiten. In der Regel sind die meisten Kinder einsichtig und haben ein Gespür dafür, dass ihr Verhalten nicht richtig war.

RAUM FÜR EHRLICHKEIT
Allerdings beschreiben Sie, dass Ihre Tochter wiederholt gestohlen und im Gespräch auch ausweichend reagiert hat. Ihre Sorge, dass Ihrer Tochter etwas fehlen könnte, ist berechtigt, und es ist gut, dass Sie hier genau hinsehen. Wenn Kinder immer wieder etwas mitgehen lassen und anscheinend auch nicht ehrlich sein können, ist es durchaus möglich, dass eine innere Not vorliegt. Dann braucht das Kind unbedingt Hilfe. Es ist auf jeden Fall der richtige Weg, dass Sie Ihre Tochter auf die eingesteckten Dinge angesprochen haben. Solche Gespräche sollten Sie in Ruhe und ohne Beschuldigungen und Vorwürfe führen, damit sich Ihr Kind öffnen und die Wahrheit sagen kann. Hier ist Ihr Ton ganz entscheidend. Versichern Sie Ihrem Kind, dass es keine Angst vor Strafe haben muss und mit all dem, was es beschäftigt, zu Ihnen kommen kann. Wichtig ist, dass Sie Ihr Kind nicht bloßstellen, sondern Raum für Offenheit und Ehrlichkeit geben.

URSACHENFORSCHUNG
Stehlen Kinder immer wieder, kann das ganz unterschiedliche Ursachen haben. Manche Kinder erleben in ihrer Schule ein Umfeld, in dem andere Kinder viel mehr besitzen. Der Wunsch, mithalten zu können und dazuzugehören, ist groß, und so scheint Stehlen für sie eine Lösung zu sein. Andere Kinder versuchen, sich durch das Verschenken von stibitzten Süßigkeiten Anerkennung bei den Mitschülern zu erwerben. Wieder andere füllen durch die geklauten Dinge einen emotionalen Mangel innerhalb der Familie oder in der Schule. Steckt eine größere innere Not hinter dem Verhalten eines Kindes, wird sich das aber vermutlich auf mehrere Lebensbereiche auswirken. Konkret könnten Sie überlegen: Gab es in den letzten Wochen gravierende Veränderungen im Leben Ihres Kindes? Wie erleben Sie grundsätzlich ihre Tochter im Alltag? Ist sie das fröhliche und kluge Mädchen – so, wie Sie sie kennen? Wie erleben Ihr Partner, die Lehrer oder Großeltern Ihre Tochter? Wenn Sie sich mit diesen Fragen auseinandersetzen, können sie vermutlich den Motiven für das Verhalten Ihres Kindes auf die Spur kommen. Und dann gilt es, zunächst dafür zu sorgen, dass Ihr Kind hier Entlastung bekommt. Erklären Sie Ihrem Kind aber auch die Folgen seines Verhaltens. Stehlen und Vertuschen sind keine Lösung für die Probleme, sondern bewirken, dass das Vertrauen zwischen Eltern und Kindern verlorengeht. Ein vertrauensvolles Verhältnis zwischen Eltern und Kindern ist ein hohes Gut – und Ihr Kind sollte wissen und erleben, dass Ihnen das am Herzen liegt.

Sonja Brocksieper ist Diplom-Pädagogin, arbeitet in der Redaktion von SevenEleven und ist Mitarbeiterin von Team.F. Sie lebt mit ihrer Familie in Remscheid. www.sonja-brocksieper.de

Bevor alles erledigt ist…

… darf man sich durchaus Schönes gönnen. Von Elisabeth Vollmer

„Nehmt euch Zeit für die Dinge, die euch glücklich machen“, steht jetzt seit 30 Tagen auf unserem Familienplaner. Und bevor sich das Kalenderblatt wendet, schaue ich noch einmal bewusst auf die Termine dieses Monats. Ich finde viel Alltag, ein paar herausfordernde Schwierigkeiten und – einige echte Glücksmomente. Mittendrin in diesem Monat steht eine Konzertlesung von 2Flügel. Jürgen hat mir diesen Abend zu Weihnachten geschenkt, und spontan haben wir an einem ganz normalen Samstag beim Frühstück beschlossen, nicht nachts die 140 km wieder nach Hause zu fahren, sondern uns in einem kleinen Landgasthof vor Ort einzuquartieren. Es war ein wunderschöner Abend, und als ich morgens neben meinem Mann aufgewacht bin, habe ich das Glück mit jeder Faser meines Körpers und meiner Seele wahrgenommen und genossen. Es ist ein Geschenk, so genießen zu können und der Abend war natürlich auch etwas Besonderes. Aber ich finde auch alltäglichere Glücksmomente wie eine Verabredung mit meiner Tochter: Wir haben ein gemeinsames Projekt gestartet, von dem noch nicht klar ist, ob es was werden wird. Aber allein die Tatsache, dass wir gemeinsam daran denken und träumen, macht mich glücklich. Mit meinen Geschwistern (fünf an der Zahl) und meinen Eltern habe ich mich getroffen, und wir verbrachten einen wunderschönen Nachmittag und Abend. Was für ein Glück, dass ich zu dieser Familie gehöre! Aus der Zugehörigkeit zu dieser Familie kommt aber auch ein weniger glücklicher Satz: „Erst die Arbeit, dann das Vergnügen“, war und ist die Maxime meiner fleißigen Eltern, der mir bis heute immer mal wieder in den Ohren klingt … Seit ein paar Jahren halte ich ihm aber frech und zunehmend gelassener einen anderen Satz entgegen: „Spaßmenschen dürfen sich zuerst Schönes gönnen und schöpfen daraus die Kraft für den schnöden Alltag mit seinen ungeliebten Aufgaben, den sie dann trotzdem erledigen.“ Ich zähle mich zu der Spezies dieser „Spaßmenschen“ und bin Ute Passarge dankbar für den (inzwischen fast zehn Jahre alten) Joyce-Artikel dazu, der mir seitdem die Erlaubnis gibt, mir Schönes zu gönnen, bevor alles erledigt ist. Dass auch noch ein Professor Günter Bauer das (hoffentlich seriös, ich hinterfrage das lieber nicht) wissenschaftlich untermauert, was ich schon lange fühle, lässt mich gelassener werden. Er findet, Spaß sei eine Überlebenshilfe, schaffe Freiräume und bringe Elan, Kraft und Kreativität in einer Weise ins Leben, die wir uns mit aller Anstrengungsbereitschaft nicht erkämpfen könnten. Was für eine wunderbare Erlaubnis! Denn es sind nicht nur und nicht einmal vor allem die Glücksmomente, die als Termin in meinem Kalender stehen, die ich immer mehr entdecken und genießen möchte. Es sind die kleinen Dinge des Alltags: die Wärmflasche, die mir mein Mann ins Bett gelegt hat, als ich spät abends nach Hause komme, spontane gute Gespräche am Familientisch oder die nette WhatsApp, die mir ein Lächeln aufs Gesicht zaubert. Ich brauche nicht nur Zeit für die Dinge, die mich glücklich machen, sondern vor allem einen wachen Blick dafür und die Freiheit, sie zu genießen. Sonst kann es nämlich passieren, dass all diese schönen Dinge mit „Glückspotenzial“ im Alltagsgrau unsichtbar werden, anstatt mich glücklich zu machen.

 

 

Elisabeth Vollmer ist Religionspädagogin und lebt mit ihrer Familie in Merzhausen bei Freiburg.