„Grenzen werden akzeptiert!“

Katrin und Christian Rommert machen sich für den Kinderschutz stark. Im Interview erklären sie, was Eltern tun können, damit ihre Kinder weder Opfer noch Täter werden.

Wie kann ich mein Kind vor sexuellem Missbrauch schützen?

Christian Rommert: Das Wichtigste ist, eine Beziehung und echte Bindung zum Kind zu haben. Nur so gelingt offene Kommunikation. Und nur so wird sich das Kind im Fall des Falles öffnen und signalisieren: Da ist was komisch, da ist was, was ich nicht mag.
Katrin Rommert: Ich finde es wichtig, Kinder zu stärken und mit ihnen über ihre Gefühle zu reden – über gute und schlechte Gefühle.
CR: Wichtig ist uns auch der Umgang mit Grenzen. Kinder lernen in erster Linie durch das Vorbild der Eltern. Werden bei uns Grenzen geachtet? Darf ein Kind Grenzen setzen? Uns ist wichtig, dass Kinder lernen: Grenzen werden akzeptiert – auch von den Erwachsenen. Wir klopfen bei uns zum Beispiel alle in der Wohnung an die Tür und fragen: Kann ich reinkommen? Nur, wenn drinnen jemand Ja ruft, betreten wir das Kinderzimmer.
KR: Grenzen zu setzen bedeutet zum Beispiel auch, ernst zu nehmen, wenn Kinder das Küsschen von Oma oder Opa nicht mögen. Dann ist es wichtig, den Kindern zu vermitteln, dass das okay ist. Und den Großeltern zu sagen: „Die Kinder wollen das nicht, können wir da einen anderen Umgang finden?“ Dadurch merken Kinder, dass sie ernst genommen werden.
CR: Und sie spüren: Auch ein Erwachsener darf nicht alles. Meine Meinung zählt etwas! Das ist entscheidend.

Muss ich mit meinem Kind vorbeugend über sexuellen Missbrauch sprechen?

KR: Wenn es sich natürlich ergibt, kann ich das machen. Manchmal gibt es einen Anlass. Kinder schnappen etwas auf oder es kommt ein Bericht im Fernsehen … Dann ist ein guter Zeitpunkt, darüber zu reden. Aber ich würde einem Kind nie sagen: Komm, jetzt setzen wir uns hin, ich will dir mal was erzählen. Ein Kind zeigt, wenn es Interesse an dem Thema hat.
CR: Ich glaube auch, dass die Initiative vom Kind ausgehen muss. Aber ich kann initiativ werden bei Themen wie Grenzen setzen, Nein sagen, gute und schlechte Geheimnisse.

Man weist Kinder darauf hin, dass sie nicht zu fremden Leuten ins Auto steigen sollen. Aber der meiste Missbrauch passiert ja mit vertrauten Personen. Wie kann ich das verhindern?

KR: Wenn das Verhältnis zwischen Eltern und Kind in Ordnung ist, wenn das Kind weiß, es kann zu Mama oder Papa gehen und über schlechte Gefühle reden, dann wird ein Kind auch sagen: Ich möchte nicht mehr zum Fußballtraining. Oder: Ich will nicht mehr zum Musiklehrer. Dann kann man als Elternteil nachfragen: Warum denn nicht? So findet man heraus, dass da vielleicht wirklich etwas schräg läuft.
CR: Wenn das Kind bei mir gelernt hat, dass Grenzen okay sind und es auch Nein sagen kann, wird es auch Nein sagen, wenn sich ihm ein anderer Mensch auf intime Art nähert. Die wenigsten Missbrauchsfälle passieren von Null auf Hundert sofort. Meist wird eine missbräuchliche Beziehung langsam aufgebaut. Es wird angetestet, wie das Kind und das Umfeld reagieren. Wenn ein Kind zu Hause einen gesunden Umgang mit Grenzen gelernt und eine gute Beziehung zu den Eltern hat, wird es irgendetwas signalisieren. Dann gilt es, dies wahrzunehmen.

Welche Anzeichen gibt es denn?

CR: Plötzliche, seltsame Verhaltensänderungen. Plötzliches Einnässen, plötzliches Verstummen. Das muss kein Hinweis auf Missbrauch sein, es gibt tausend andere Ursachen. Aber es kann ein Hinweis sein. Wenn es dann auch noch zum Beispiel einen neuen Nachhilfelehrer gibt, wäre ich alarmiert. Das Kind sagt vielleicht: „Ich will nicht mit dem nach oben, um meine Nachhilfe zu machen, ich will hier bleiben bei dir.“
KR: Bei älteren Kindern und Teenagern ist selbstverletzendes Verhalten oft ein Anzeichen.
CR: Oder Vernachlässigung des Körpers. Sich nicht zu waschen ist eine typische Reaktion, um den Täter von sich fern zu halten.

Kann man potenzielle Täter erkennen?

KR: Das eigene Bauchgefühl ist immer ganz gut. Manchmal hat man bei Leuten ja ein komisches Gefühl. Da muss man überlegen: Warum habe ich dieses Gefühl? Und sich Rückversicherung bei anderen holen.
CR: Täter gibt es in allen Bildungsschichten. Es sind zwar mehr Männer, aber auch Frauen. Mein Bauchgefühl springt bei diesen Machtgeschichten an: Wo nehme ich wahr, dass jemand Grenzen übertritt? Probiert, durch seine Worte zu verführen? Wenn ich in eine Gruppe komme und alle hängen einer Person an den Lippen und keiner sieht, dass die Person regelmäßig Grenzen überschreitet – körperlich oder verbal, dann werde ich misstrauisch. Wenn ich wahrnehme, dass Leute vor einem Mitarbeiter kuschen, dass sie sich nicht trauen, offen zu reden, weil er auch so etwas wie ein Heiliger, ein Unanfechtbarer ist. Dieser schräge Umgang mit Macht ist ein Kennzeichen von Tätern. Wobei das natürlich nicht heißt, dass jeder, der mit Macht komisch umgeht, auch ein Täter ist.

Was kann ich tun, damit mein Kind später nicht selbst irgendwann zum Täter wird?

KR: Auch hier geht es wieder um Grenzen: Wenn eigene Grenzen gewahrt werden und diese einem bewusst sind, dann weiß man auch, wo der andere ein Signal sendet, dass das eine Grenze für ihn ist. Wenn man das früh einübt, kann man das als Teenager und Erwachsener auch.
CR: Wir als Väter haben eine hohe Verantwortung. Ich bin immer mehr sensibilisiert worden, was wir unter Männern manchmal für einen Mist reden. Ich will weiter an mir arbeiten und Alltagssexismus aufdecken. Es gibt viele Sachen, bei denen ich mich frage: Bin ich grenzüberschreitend? Stärke ich ein System, das Frauen strukturell benachteiligt? Und lebe das auch meinem Sohn vor? Ich habe mir angewöhnt, geschlechtergerechter zu sprechen. Ich habe das lange Zeit für Blödsinn gehalten. Inzwischen bin ich da sensibel und versuche das zu ändern. Durch mein Rollenvorbild habe ich meinen Sohn hoffentlich zu einem besseren Mann gemacht, als ich gestartet bin.

 

Katrin Rommert arbeitet als Erzieherin in einem Kindergarten, Christian Rommert ist als Redner, Autor und Berater tätig. Sie leben mit ihren drei Kindern in Bochum. Das Interview führte Bettina Wendland.

 

Buchtipp
Christian Rommert: Trügerische Sicherheit. Wie wir Kinder vor sexueller Gewalt in Gemeinden schützen (SCM R. Brockhaus)
Hilfetelefon sexueller Missbrauch: 0800-2255 530
hilfeportal-missbrauch.de

Trageliebe

„Sollte ich mein Baby tragen? Was spricht dafür, was dagegen? Wie lange ist das gut für mein Kind und auch für mich?“

Für kleine Kinder ist Getragenwerden ein großes Plus hinsichtlich Wahrnehmung und Vertrauen. Über die Haut wird dem Kind beim Tragen ein positives Körpergefühl vermittelt, die eigene Begrenzung als Geborgenheitsgefühl verankert. Auch der Gleichgewichtssinn wird durch diese Art der passiven Bewegung stimuliert, kleine Blähungen lösen sich. Ganz natürlich lieben Kinder es, getragen zu werden. Und so hilft es Kindern oft aus Unwohlsein heraus. Eltern lernen ihr Kind kennen, je näher sie ihm sind.

TRAGEN, NICHT ERTRAGEN
Tragen sollte dennoch niemals zum „Ertragen“ werden. Wenn mit Ihrem Kind auf dem Arm verschiedene Tätigkeiten und Bewegungen nicht verrichtet werden können oder Ihr Körper ein „Genug“ signalisiert, nehmen Sie Ihre Grenzen ernst. Haben Sie mal ein Tragetuch ausprobiert? Damit schaffen Sie nicht nur Erleichterung, damit liegen Sie voll im Trend. Tragetücher und Tragesysteme gibt es in allen Bequemlichkeitsstufen, unter variationsreichen Gebrauchsanleitungen und in munteren Farben. Wussten Sie, dass die Hüftgelenke Ihres Kindes beim Tragen im Tragetuch in eine optimale Position geschoben werden können? Eine Position, in der die Hüfte sehr natürlich nachreifen kann, erreichen Sie, wenn Sie das Kind im Tragetuch zu sich gerichtet auf dem Bauch tragen. Ganze Nationen bevorzugen Tragetücher, um das eigene Kind unkompliziert bei sich zu haben und zu transportieren.

MOTIVE HINTERFRAGEN
Wenn Sie dennoch einen innerlichen Konflikt in Bezug auf das Hochnehmen Ihres Kindes erleben, prüfen Sie, warum Sie Ihr Kind hochnehmen möchten: Wann handelt es sich beim Aufnehmen Ihres Kindes um den eigenen Wunsch, Ihr Kind zu tragen, wann um eine Gelegenheit für Sie beide, wann um reine Forderung Ihres Kindes, wann um Erwartungsdruck durch das Umfeld und wann um wahre Notwendigkeit? Verwechseln Sie „Tragen“ nicht mit „Aufmerksamkeit geben“. Für Nähe brauchen sie Ihr Kind nicht hochnehmen. Legen Sie sich doch einfach runter zu Ihrem Kind auf den Boden. Es gibt echte Alternativen zum Tragen. Auch Menschen, die ihr Kind rein körperlich nicht heben können, können dennoch fantastische Eltern sein. Machen Sie sich frei von Druck und Erwartungen. Genießen Sie die gesunde Bindung zu Ihrem Kind. Wann immer Sie Ihr Kind tragen möchten, tun Sie es. Wenn Sie es schaffen, Ihrem Kind zu vermitteln, dass eine reine Erwartung an das Tragen nichtig ist, werden Sie gewisse Schemata durchbrechen und schnell Ihren persönlichen Mittelweg finden. Ein Kind zu tragen oder nicht zu tragen hat nichts damit zu tun, eine gute Mutter oder ein guter Vater zu sein. Und trotzdem kann Tragen so wunderschön sein.

Irina Kostic ist Kinderkrankenschwester, Autorin und Mutter von vier Kindern. Sie lebt mit ihrer Familie in Nordfriesland. www.irinakostic.de

Den Schambereich schützen

„Wie gehen wir damit um, wenn unser Sohn mit seinem Penis spielt?“

Zunächst gilt es zu unterscheiden: Nicht jede Berührung der Genitalien ist mit Selbstbefriedigung gleichzusetzen. Die Geschlechtsorgane von Jungs sind dem Körper zentral und gut „begreifbar“ vorgelagert. Harn- und Geschlechtswege sind gleich. Jungs kommen nicht umhin, sich mit dem Penis zum Wasserlassen zu beschäftigen. Beim Mädchen sind Harn- und Geschlechtswege getrennt. Das Lustorgan Kitzler liegt bis auf die Spitze verborgen unter der Haut. Mädchen entdecken lustvolle Gefühle ihrer Geschlechtsorgane etwas weniger selbstverständlich als Jungs, teils beim Abtrocknen nach dem Bad oder wenn der Duschstrahl diese berührt. Berührungen von Kindern im eigenen Intimbereich können unterschiedliche Gründe haben, Selbstbefriedigung ist nur einer davon. Es hängt mit von der sexuellen Lerngeschichte der Eltern ab, wie entspannt oder besorgt sie solche Berührungen wahrnehmen und wie sie dies einordnen. Nicht nur aus diesem Grund ist es für Eltern lohnenswert, sich mit ihrer eigenen Lerngeschichte auseinandersetzen, um besser zu verstehen, wie diese in die Erziehung ihrer Kinder mit hineinwirkt.

VON ANFANG AN GUT
Selbstbefriedigung kommt bei manchen Kindern vor, bei anderen nicht. Es ist weder eine lebenswichtige Entwicklungsphase, ohne die man etwas verpassen würde, noch eine Krankheit oder per se schädigend, wie man früher Menschen glauben machen wollte. Bei manchen spielt sie vorübergehend eine Rolle, bei anderen wird sie zur Gewohnheit, manche Menschen erleben sie als suchtartig. Doch zunächst gilt: Die Geschlechtsorgane inklusive der möglichen Gefühle in diesem Bereich gehören als Grundausstattung des Menschen von Beginn seines Lebens an dazu und nicht erst ab der Pubertät. Sie sind damit Teil des schöpferischen „sehr gut“ am 6. Schöpfungstag. Die Bibel nimmt zum Thema Sexualität an vielen Punkten Stellung, zur Selbstbefriedigung jedoch schweigt sie. Der explizite Begriff kommt nicht vor.

INTIMSPHÄRE SCHÜTZEN
Eltern sollten ihre Kinder daher nicht beschämen. Ein abfälliger Umgang kann zur Selbstverurteilung und negativen Wahrnehmung von Sexualität an sich führen: „Wie schlimm bin ich, schon als unschuldiges Kind habe ich so etwas Schlechtes getan.“ Stattdessen sollten Sie Ihren Kindern helfen, ihren Schambereich zu schützen. Intimität ist etwas sehr Persönliches und gehört daher nicht in die Öffentlichkeit, sondern in die Privatsphäre des eigenen Zimmers. Es ist wichtig, dass Kinder dies im Kindergartenalter lernen, damit sie in der Schule nicht von anderen beschämt oder ausgeschlossen werden. Weiterhin ist es bedeutsam, ihre Gesamtentwicklung im Blick zu haben, etwa ob sich Selbstbefriedigung zum Tröster entwickelt. Im Rahmen der Aufklärung können Eltern Kindern deutlich machen, dass sie selbst immer mehr Verantwortung für ihre eigene sexuelle Lerngeschichte übernehmen können. Das gilt insbesondere für die Kombination von Selbstbefriedigung mit pornografischen Bildern, die Kinder heutzutage über Smartphones immer früher erreichen.

Dr. med. Ute Buth ist Frauenärztin und Fachberaterin für das Weiße Kreuz Deutschland e.V. Sie hat das Aufklärungskonzept „Sexualaufklärung – Aufgabe und Chance©“ entwickelt, das Eltern ermutigt, früh Verantwortung für die Aufklärung ihrer Kinder zu übernehmen: www.aufgabe-und-chance.de

 

Zum Weiterlesen:
Weiterführende Artikel zum Thema finden Sie in der Mediathek des Weißen Kreuzes: www.weisses-kreuz.de.
Die Ausgabe 45 aus dem Jahr 2011 befasst sich mit dem Thema Selbstbefriedigung.

Quelle oder Quartier?

Moor Jovanovski räumt seinen MP3-Player auf und landet bei ganz grundsätzlichen Lebensfragen.

Es wird wieder Zeit für eine neue Playlist. Mein kleiner Mp3-Player ist gerade an meinem PC angeschlossen und ich durchforste meine digitalen Musikalben. Ich habe es mir zur Gewohnheit gemacht, beim Joggen eine besondere Auswahl an geistlichen Liedern zu hören, die mein Herz erreichen. So fungiert meine Zeit des Sports auch zum Aufbau meiner geistlichen Fitness. Dass es mal wieder Zeit für eine neue Liste war, fiel mir daran auf, dass mich die Lieder anfingen zu langweilen. Das musste ich zugeben: Auch geistliche Aussagen können mich irgendwann langweilen. Aber halb so wild meine ich, denn Langeweile ist auch ein Hinweis darauf, dass es weitergehen darf. Denn was ich verinnerlicht habe, kann mir zur Quelle werden, aus der ich dann schöpfe. Es wird logischerweise Zeit für Neues, damit mein Herz nicht zu einem Quartier für fromme Binsenweisheiten wird. Denn das hätte dann weder etwas mit Fortschritt noch mit Fitness zu tun. Während ich also eine neue Auswahl von Liedern auf meinen Player verschiebe, kommen mir die Worte aus Sprüche 4,23 in den Sinn: „Mehr als alles, was man sonst bewahrt, behüte dein Herz! Denn in ihm entspringt die Quelle des Lebens.“ Das ist schon eine große Aufgabe. Ich pflege viele Dinge in meinem Leben und ich sehe meistens auch, wann es wieder an der Zeit ist, das zu tun. Ich stelle aber fest, dass ich mit meinem Herzen doch etwas zu nachlässig bin. Da kann es schon mal sein, dass sich hier „alte Listen“ wiederfinden, die ich nicht mehr hören will (oder die auch kein anderer hören sollte). Manchmal weiß ich genau, dass es wieder Zeit für etwas Neues wäre. Aber so unbrauchbar die alten Listen manches Mal sind, so sehr habe ich mich auch an sie gewöhnt. Und da liegt die Herausforderung: Zu erkennen, dass nicht alles Vertraute auch Fortschritt oder Fundament bedeutet. Mein Herz bedarf der Aufmerksamkeit und Achtsamkeit. Ich stelle mir die Frage, was sich im Laufe der letzten Wochen so alles in meinem Herzen aufgelistet hat. Welche Songs laufen gerade? Klagelieder? Trauerlieder? Freudenlieder? Welche „Alben“ habe ich kreiert? Ärger? Neid? Ängste? Verletzungen? Es wäre schön, wenn sich manches in meinem Herzen so einfach neu aufsetzen ließe wie eine Playlist. Aber ich bin sicher, dass es Gott möglich ist. Wenn ich mit ihm diese Listen und Alben durchgehe, dann kann er sicher das ein oder andere umgehend löschen. Mancher Song muss umbenannt oder behutsam umgeschrieben werden. Auch da bin ich sicher, dass Gott das kann. Ich will ihm die Listen meines Herzens nicht vorenthalten, damit mein Herz eine Quelle ist und bleibt und damit ich meine Fitness bewahre.

Moor Jovanovski hat zwei Kinder und ist verheiratet mit Monica. Er arbeitet als Pastor und Gemeindegründer in Frankfurt und Wiesbaden.

Beten und arbeiten?

Elisabeth Vollmer reibt sich an einem bekannten Luther-Zitat.

Es gibt Sprüche, die begleiten mich durchs Leben. Einen davon fand ich lange gut und habe ihn dann und wann auch zitiert und weitergegeben. Jetzt habe ich mich von ihm verabschiedet und merke, wie entlastend und wohltuend das für mich ist. Ich rede von Martin Luthers Satz: „Bete, als ob alles Arbeiten nichts nützt, und arbeite, als ob alles Beten nichts nützt.“ Eigentlich soll dieser Satz ja motivieren – zu Gebet und Arbeit gleichermaßen. Aber für mich liest er sich, je länger desto mehr, wie das Lebenskonzept einer frommen schwäbischen Hausfrau auf dem direkten Weg in den Burnout. Er überfordert mich und ist ein Antreiber, dem ich gekündigt habe. Stattdessen möchte ich beten im Bewusstsein, dass ich als Christin in dieser Welt eine Aufgabe habe, die ich ausfüllen kann und darf. Dass ich ausgestattet bin mit Begabungen, die wichtig und es wert sind, gelebt zu werden. Und ich möchte arbeiten im Bewusstsein, dass ich das Meine, andere das Ihre und Gott das Seine tun kann und wird. So wie Paulus es im 1. Brief an die Korinther schreibt: „Ich habe gepflanzt, Apollos hat begossen, Gott aber ließ wachsen.“ Im Zusammenspiel mit Gott möchte ich meine Verantwortung in dieser Welt wahrnehmen. Arbeit und Gebet möchte ich nicht als getrennte Bereiche sehen oder gar gegeneinander aufrechnen. Stattdessen möchte ich leben (und das beinhaltet auch Arbeit und Gebet) in der Gelassenheit und Zuversicht, dass ich es nicht bin, die die Welt retten muss. Und das ist noch ein Punkt, weshalb ich mich an besagtem Zitat gerade so reibe: Es fordert mich doch quasi dazu auf, nicht zu leben, was ich glaube – nämlich, dass mein Gebet und/oder meine Arbeit fruchtbar sein kann. Neben dem Antreiber zur Höchstleistung, den ich dabei im Nacken spüre, ist es vor allem auch die innere Haltung, die mich verkrümmt, wenn ich sie einnehme. Wie schrecklich wäre es doch, wenn ich in der Überzeugung leben und beten müsste, als wäre all mein Arbeiten wirkungs- und wertlos? Und wie unfassbar anstrengend, wenn ich so arbeiten müsste, als hinge von meinem Einsatz alles ab? Ich bin wirklich froh, dass beides nicht der Fall ist! Stattdessen möchte ich im Vertrauen leben, was ich glaube und wovon ich überzeugt bin. Klingt ja so banal und gelingt mir doch immer wieder im Alltag so wenig … Ich bin davon überzeugt, dass der Sonntag ein Ruhetag ist, an dem es gut ist, nicht zu arbeiten, sondern aus der Ruhe heraus in die neue Woche zu starten. Aber dann war da neulich wieder einmal so viel los und ich habe mir überlegt, dass ein paar Stunden am Sonntagnachmittag den Arbeitsberg der Woche so weit abbauen könnten, dass ich dann eine ruhigere Woche habe. Und schon war sie dahin, meine Überzeugung, und ich drehte das Hamsterrad auch noch über den Sonntag hinaus. Keine gute Idee. Ich habe es direkt gespürt und meine Umgebung leider auch … Oder die Sache mit der Sorge um meine Kinder. Die buchstabiere ich seit Jahren durch. Immer wieder und wieder. Ich bin sozusagen Meisterin im Sorgenmachen. Denn: ja, ich glaube, dass Gott als guter Hirte meine Lämmchen im Blick hat und ihnen nachgeht. Aber dann lebe ich es so wenig. Wälze mich stattdessen in unruhigen Nächten hin und her und kreiere Horrorszenarien. Bis ich es dann wieder merke und mir eingestehe, dass ich ja nur das Mutterschaf und nicht der gute Hirte bin. Dass ich meines tun kann, aber nicht der Hirte sein kann und muss. Und das entlastet so ungemein. Irgendwie bin ich Luther doch dankbar für das Zitat, an dem ich mich die letzten Wochen so gerieben habe. Ich weiß jetzt besser, was ich glaube. Jetzt muss es mir nur noch gelingen, das zu leben.

 

Elisabeth Vollmer ist Religionspädagogin und lebt mit ihrer Familie in Merzhausen bei Freiburg.

Filmabend

MÖRDERISCHER FLASCHENÖFFNER

Katharina Hullen übersteht den gemeinsamen Kinoabend nur mit geschlossenen Augen.

Katharina: Kino – laufen da schon Filme in Farbe? Gefühlt so lange sind wir nicht mehr zu zweit dort gewesen. Doch wenn man schon mal zwei Kinofreikarten kriegt … Wir organisieren also kurzfristig den Babysitter. Während ich die Kinder zur Übergabe fertig mache, verschafft sich Hauke im Internet schnell einen Überblick über das aktuelle Programm. So können wir auf der Fahrt besprechen, was wir uns ansehen wollen. Drei Filme stehen zur Auswahl: eine Gauner-Komödie, ein Action-Roadmovie und ein Agentenfilm. Hauke gibt mir zu jedem der drei einige Stichworte zum Inhalt und meint, ihm persönlich hätte ja der Agentenfilm am meisten zugesagt, da nicht vorhersehbar und komplexere Geschichte und so … Ok, nehmen wir den. Ich nicke wie ein Wackeldackel, weil ich es hier ohnehin nicht besser weiß. So plumpsen wir in gemütliche Sessel und müssen uns erst wieder an die riesige Leinwand gewöhnen. Endlich – es geht los. Mit jeder Filmvorschau, die nun folgt, wird mir allerdings klarer, was für eine Art Film Hauke da ausgesucht hat. Superhelden zermalmen teuflische Riesenmonster, andere Helden verwandeln sich in ebensolche. Da wird geschossen, geflogen, gemetzelt und geschrieen, was die Monsterlunge hergibt. Ein kurzer verstörter Blick zu meinem Göttergatten – da sitzt er mit leuchtenden Augen und ist ganz fasziniert! Am liebsten würde er sich all diese Filme ansehen, besonders gern den mit dem grünen Riesenmonster, vielleicht weil es ihm in diesem Licht ein bisschen ähnlich sieht? Ich könnte eigentlich schon gehen, aber naja, ein Agentenfilm – vielleicht wird er ja doch gut. Nein, wird er nicht! Was folgt, sind 100 Minuten Mord und Totschlag, jede Menge Blut, eine verworrene Geschichte. Mord durch Schuhabsatz, Mord durch Flaschenöffner, Mord durch Gartenschlauch … Ich sitze den Großteil des Films mit geschlossenen Augen im Kino und warte ab, bis alle Leute dieser Szene wohl tot sind und es weiter gehen kann zum nächsten Tatort. Nach dem Film möchte Hauke gern noch was essen gehen. Echt jetzt? Appetit zählt gerade nicht zu meinen Neigungen. Ich möchte gern nach Hause – und duschen vielleicht. „Lass uns lieber mal der Oma die Kinder wieder abnehmen.“ Wir schlendern zum Auto und reflektieren, was wir gesehen haben. Also vor allem mein zufriedener Mann. Er analysiert ganz klar, was er richtig gut und was er nicht so gelungen fand. In meinem Kopf schreit es wie aus einem dieser Riesenmonster: DER FILM WAR SCH …! Aber das will ich lieber nicht laut sagen. Ich weiß auch nicht so richtig, was ich fühlen soll. Bin ich wütend, dass wir diese kostbaren Karten so vergeudet haben? Oder freue ich mich für meinen Mann, weil er einen tollen Abend hatte, und für mich, weil es Freikarten waren und wir immerhin nichts für dieses Blutbad bezahlen mussten? Eins weiß ich genau – dass ich Stoff habe für die Family-Kolumne!

Katharina Hullen (Jahrgang 1977) ist Bankkauffrau und Dolmetscherin für Gebärdensprache in Elternzeit. Sie und Ehemann Hauke haben fünf quirlige Kinder und leben in Duisburg. Gemeinsam bilden die beiden das
Kirchenkabarett „Budenzauber“.

 

ACTION FÜR DEN EHEABEND

Hauke Hullen freut sich über gut gemachte Unterhaltung.

Hauke: Heutzutage preisen die großen Schriftzüge auf der Oberbekleidung die finanziellen Möglichkeiten des Eigentümers an. Zu meiner Schulzeit ging es dagegen noch um wahre Liebe: Man(n) zeigte mit seinen T-Shirts der Umgebung demonstrativ, welcher Band man sein Ohr schenkte. Durch die (Schul-)Bank waren überall martialische Cover und verzerrte Schriftzüge zu sehen, selbstredend auf schwarzgefärbter Baumwolle. Es war die Hoch-Zeit des Heavy-Metals. Wir waren fasziniert von harten Gitarrenriffs und malträtierten Trommelfellen, die sowohl auf der Bühne als auch im Publikum schwer zu leiden hatten. Neben dem Musikgeschmack verkündete man mit seinem Shirt auch immer eine zweite Botschaft: Ich bin hart! Ein ganzer Kerl! Ein richtiger Mann! Kuschelrock- CDs hörte man nur heimlich; und für all die schmachtenden Boygroups hatten wir nur Verachtung übrig, erst recht weil es uns wurmte, dass die Mädchen der Klasse an diesen Retortenbands mehr Gefallen fanden als an ehrlicher Rockmusik und damit auch irgendwie an uns. Warum erzähl ich das? Nun, jüngst katapultierten uns zwei Freikarten spontan zu einem Eheabend ins Kino. Eheabende sind wie Joggen – eigentlich will man nach einem langen, anstrengendem Tag lieber auf der Couch versacken, aber wenn man sich dann aufraffen kann, tut es schließlich doch ganz gut. Da es dauerte, bis das letzte Kind („Ich will auch mit!“) im Bett verstaut war, blieben nur noch drei Filme zur Auswahl. Doch wir hatten Glück: Wir setzten uns in einen ehrlichen Actionfilm – durchaus hart und heftig, dafür aber realistisch (soweit dies einem Actionfilm möglich ist). Zu Jugendzeiten reichten noch Arnies Muskeln, Jean-Claudes Kampfkunst oder Explosionen in Zeitlupe, um von hohlen Dialogen und Logiklöchern abzulenken, doch inzwischen stelle ich höhere Ansprüche. Umso erfreuter war ich also, dass die Hauptfigur nach artistischen Kampfeinlagen erkennbar erschöpft ist und dass der Ausgang der Geschichte nicht schon nach den ersten 20 Minuten vorhersehbar war. Ebenso erfreut nahm ich zur Kenntnis, dass sich die beste Ehefrau von allen während des Films romantisch an mich kuschelte, meine Hand halten wollte und manchmal sogar ihren Kopf mit selig geschlossenen Augen an meine Schulter lehnte … Um den bis hierhin bereits gelungenen Abend perfekt zu machen, schlug ich nach dem Film noch ein Candle-Light-Dinner im Steakhouse vor. Es folgte: ein Fiasko. Hart und heftig, in seinem Ausgang für mich nicht vorhersehbar. Nach artistischen Argumentationseinlagen kam ich erkennbar erschöpft zu Hause an. Ich fürchte, die nächsten Kinokarten werden einer romantischen Komödie geopfert werden müssen, wo am Ende jeder jeden kriegt. Das wäre dann immerhin einem Eheabend angemessen!

Hauke Hullen (Jahrgang 1974) ist Lehrer für Deutsch und Sozialwissenschaften. Er und Ehefrau Katharina haben fünf quirlige Kinder und leben in Duisburg. Gemeinsam bilden die beiden das Kirchenkabarett „Budenzauber“.

 

 

Unperfekt und trotzdem fröhlich

Vatersein zwischen Wunsch und Wirklichkeit. Von Cornelius Haefele

Sie sind bestimmt ein toller Vater, nicht so wie ich“, sagt der Herr, der mir in meiner Praxis gegenübersitzt. Er hat mir gerade erzählt, wie schwer es ihm fällt, den Kontakt zu seinen Kindern aufrechtzuerhalten, von denen er getrennt lebt. In meinem Kopf sind zwiespältige Gedanken unterwegs. Der selbstgerechte Kerl in mir sagt: „Stimmt, du siehst deine Kinder jeden Tag. Du versuchst, ihnen jeden Tag auf die eine oder andere Weise zu vermitteln, dass sie dir wichtig sind und du gern an ihrem Leben teilnimmst.“ Aber dann ist da auch noch die andere Seite. Denn mir ist klar, dass ich alles andere als der perfekte Paps bin.

SCHNAPPATMUNG
Da ist zum Beispiel meine Ungeduld. An einem dunklen Winterabend komme ich nach Hause und sehe es schon von weitem. In jedem, wirklich jedem nur verfügbaren Zimmer unseres Einfamilienhauses brennt das Licht. Ich fange schon mal an, leicht asthmatisch zu schnaufen, dann betrete ich das Haus. So freundlich, wie es mir noch möglich ist, rufe ich in die Stille: „Hallo!“ Ich bin selbst erstaunt, es klingt ein bisschen wie das Bellen eines Bullterriers. Meine Jüngste kommt aus ihrem Zimmer gesaust: „Hallo Papi.“ Sie fliegt mir um den Hals. Ich bin gar nicht in Stimmung und frage: „Wo sind denn alle anderen?“ „Mami ist noch schnell was einkaufen, Joni ist bei einem Freund und Luki und Sammy sind in der Jungschar.“ Ich schnappe innerlich nach Luft. Wie ich befürchtete. Keiner im Haus und alle Lichter an. Das geht gar nicht. Wie oft hab ich schon gesagt: „Macht die Lichter aus, wenn ihr aus dem Zimmer geht.“ Ich blaffe meine Tochter an: „Und wieso brennen hier im ganzen Haus die Lichter?“ Sie zieht eine Schnute und sagt beleidigt: „Ich hab die nicht angemacht, das waren die anderen.“ Ja, das ist meine Lieblingsantwort. Ich fange an, mit finsterer Miene durch das ganze Haus zu stiefeln und alle Lichter auszumachen. Dabei grummle ich vor mich hin: „Unverantwortlich, so eine Verschwendung, und an die Umwelt denkt auch keiner, was das kostet.“ Als endlich überall die Lichter aus sind, laufe ich durch den dunklen Flur Richtung Wohnzimmer und stoße mir ganz fürchterlich den großen Zeh an einer herumliegenden Schultasche. Das gibt mir den Rest. Leise schimpfend sitze ich im finsteren Wohnzimmer, reibe meinen Zeh und fange langsam an, mich selbst zu fragen: „Was machst du eigentlich hier? Bist du wirklich der Meinung, du hättest gerade den Lauf der Welt geändert, weil du alle Lichter ausgemacht hast?“ Plötzlich stelle ich mir vor, wie das wohl in fünfzehn Jahren sein wird, wenn ich abends nach Hause kommen werde. Dann wird das Haus dunkel sein, weil meine Kinder ausgeflogen sind. „Was bin ich doch für ein ungeduldiger Trottel“, denke ich. „Du kamst nach Hause und dein Haus sagte dir: ‚Hier ist Leben. Hier sind alle die am Werk, die du liebst – und alles, woran du denken kannst, ist dein schwäbischer Geldbeutel.‘“ Ich stehe auf, gehe durchs Haus und mache wieder ein paar Lichter an, nicht alle, aber immerhin. Dann geh ich zu meiner Tochter und sage: „Tut mir leid, mein Schatz, dass ich dich eben so angepflaumt habe.“ Sie grinst mich an und sagt: „Tja, Paps, mach dir nichts draus, keiner ist perfekt.“

AUF DURCHZUG GESTELLT
Und dann ist da noch meine Unaufmerksamkeit. Wenn ich im Stress bin, bin ich in meiner Familie mit Autopilot unterwegs. Ich kriege schon irgendwie mit, dass alle da sind und dass um mich herum der Bär steppt, aber die Einzelheiten gehen an mir vorbei. Das nervt mich selbst kolossal, aber ich krieg es einfach nicht abgestellt. Schon meine Kinder haben das kapiert. Beim Essen geht es mal wieder hoch her, alle erzählen was. Plötzlich kriege ich mit, dass einer der Jungs morgen ins Schullandheim fährt. „Wie, du fährst ins Schullandheim?“, frage ich. Mein Sohn schaut mich mit einer Mischung aus leichtem Spott, Erstaunen und vielleicht auch etwas Verletztheit an und sagt: „Ach, Papi hat mal wieder was nicht mitgekriegt? Ja, Papi, ich fahre morgen ins Schullandheim. Und das hab ich dir schon ungefähr hundertmal erzählt.“ Solche Momente bealtanaka schämen mich. Da sitze ich den ganzen Tag in meiner Praxis und höre aufmerksam meinen Klienten und Patienten zu, und bei meiner eigenen Familie hab ich auf Durchzug gestellt. Was stimmt nicht mit mir? Leider bin ich an manchen Stellen auch noch unerträglich perfektionistisch. Und das, obwohl ich eigentlich eher ein Chaot bin. Wie passt das bitte zusammen? Nun, es gibt so ein paar Bereiche, da will ich die Sachen so, wie ich sie will. Basta. Meine Werkbank und mein Werkzeug zum Beispiel. Mein Werkzeug hätte ich am liebsten sauber sortiert im Werkzeugkasten, meine Maschinen ordentlich in der Werkbank und nach jedem Gebrauch schön abgestaubt. Es gibt da nur ein Problem: Ich habe drei Söhne. Also kann ich das vergessen. Meine Jungs kommen zu den unmöglichsten Zeiten auf die unmöglichsten Ideen. Da muss einer nun unbedingt aus alten Brettern ein Laserschwert basteln. Kurz darauf komme ich in den Keller und falle fast in Ohnmacht. Auf der Werkbank liegt die Stichsäge, daneben steht, noch eingesteckt und vor sich hin tropfend, die mit Sägemehl bestäubte Heißklebepistole. Ein offener Farbtopf steht auch noch da und der Pinsel steckt in der Farbe. Selbstverständlich wurde keine Unterlage benutzt, was zur Folge hat, dass meine schöne, frisch geölte Werkbank nun fette blaue Farbkleckse aufweist. Ich könnte heulen. Wie oft ich schon verzweifelt Schraubenzieher, Zangen, Hämmer, den Akkuschrauber oder was auch immer suchte und dann irgendwann in einem Jungs-Zimmer – am besten noch unter dem Kopfkissen – fand, ich weiß es nicht. Natürlich habe ich das immer pädagogisch wertvoll genutzt, um meinen Söhnen eindringlich den Wert von Ordnung und Sauberkeit und den sachgerechten „Umgang mit dem Material“ beizubringen … Nur um mich dann gleich wieder aufzuregen: Hört mir eigentlich mal einer zu?

FESTGETROCKNETE FARBE
Aber dann gibt es die anderen Momente: Wenn ich mit meinen inzwischen baumlangen Jungs am Feuerkorb sitze und wir alle gemeinsam immer noch Spaß daran haben, Holzstöcke in die Flammen zu halten und nach Herzenslust zu kokeln. Oder wenn ich spätabends auf meinem Kopfkissen einen Zettel meiner Zwölfjährigen finde, auf dem steht: „Papi, ich hab dich soooo lieb. Du bist der beste Papi der Welt.“ Dann wird mir bewusst, wie reich ich eigentlich bin. Und dann geh ich in den Keller, räume meine Werkbank auf, fahre mit dem Finger über die festgetrocknete Farbe auf der Arbeitsplatte und denke: „Dich lass ich genau da, wo du bist, denn du wirst mich auch in zwanzig Jahren noch an die wunderbaren Zeiten erinnern, als ihr noch klein wart.“ Nein, ich bin gewiss nicht perfekt, manchmal bin ich sogar ziemlich unerträglich. Aber ja, ich bin trotzdem von Herzen gern ein Paps und will gar nichts anderes sein. Die Freude, der Stolz und das Glück, das mir meine Kinder bereiten, überwiegt alles andere bei weitem. Manchmal sehe ich das und kann es schätzen, manchmal vergesse ich es und nehme es nicht wahr. Dann wäre ich gern ein Vater, wie Gott es ist, „barmherzig, geduldig und von großer Güte“. Aber das bin ich nicht – noch nicht.

Cornelius Haefele ist Theologe, Berater und Coach in eigener Praxis (www.theologische-dienstleistungen.de). Er ist verheiratet und Vater von vier Kindern. Im Betulius-Verlag erschien sein Buch „1+1=6. Der ganz normale Wahnsinn in der Familie“.

 

 

 

Dieser Artikel ist auch in MOVO PAPS erschienen, einem Special des Männermagazins MOVO. Wie sieht das Männerleben mit Kindern wirklich aus? Was wünschen sich Kinder von ihren Vätern? Wie lässt sich eine Vaterzeit umsetzen und gestalten? Dies und mehr können Papas in MOVO PAPS lesen. www.movo.net

 

 

Falsche Freunde

„Mein Sohn hat einen Kumpel, den ich nicht mag. Ich habe Angst, dass er ein schlechter Einfluss ist. Was kann ich tun? Wie sollte ich mich verhalten?“

Solange die Kinder klein sind, organisieren viele Eltern neben den Freizeitaktivitäten auch die Freundschaften ihrer Kinder. Kontakte in der KiTa werden von den Eltern in die Wege geleitet. So haben die Eltern eine optimale Übersicht darüber, mit wem ihr Kind in näheren Kontakt kommt. Die Frage, ob das Kind „falsche Freunde“ hat, stellt sich gar nicht.

TEENIES SUCHEN IHRE FREUNDE SELBST AUS
Wenn die Kinder älter werden, schwindet naturgemäß auch der Einfluss der Eltern. Die Kinder suchen sich ihre Freunde selber. So wie der vierzehnjährige Kai, der seit kurzem einen neuen Freund hat, der so gar nicht zu ihm zu passen scheint. Die Eltern, Michael und Eva, bringen diesem Leo großes Misstrauen entgegen. Sie stellen fest, dass Kai auf einmal nicht mehr so „pflegeleicht“ ist wie früher. Er kommt unpünktlich nach Hause, macht seine Hausaufgaben nur widerwillig und reagiert pampig auf fast alles, was von den Eltern an ihn herangetragen wird. Michael und Eva stellen fest, dass sich Kai verändert und argwöhnen, dass Leo einen schlechten Einfluss auf Kai ausübt. Die Eltern wollen ihren eigenen Einfluss auf Kai geltend machen und versuchen, ihm diesen neuen Freund „auszureden“. Doch je mehr sie auf ihn einreden, umso bockiger reagiert Kai. Er zeigt sich unzugänglich und zieht sich von den Eltern zurück.

FREUNDE AKZEPTIEREN, STATT AUSREDEN
Wenn sich Ihr Kind Freunde sucht, die so gar nicht Ihren eigenen Vorstellungen entsprechen, sollten Sie Ihrem Sohn diese Freunde nicht ausreden. Spätestens im Teenager- Alter, möchte Ihr Nachwuchs seine Freunde selbst auswählen. Idealerweise akzeptieren Sie den neuen Freund Ihres Sohnes und öffnen sich für diese neue Person. Lernen Sie die Freunde Ihres Kindes kennen, auch wenn sie nicht Ihren Vorstellungen entsprechen.

KEINE VORURTEILE PFLEGEN
Begegnen Sie dem neuen Kumpel Ihres Sohnes vorurteilsfrei. Ihr Kind wird immer wieder mit Menschen zu tun haben, die anders „ticken“ als die eigene Familie. Vielleicht ist es ja auch gerade diese Andersartigkeit, die Ihr Kind in den Bann zieht. Versuchen Sie nachzuempfinden, was Ihrem Sohn an diesem Freund gefällt. Auch wenn dieser Freund ganz andere Werte mitbringt, muss das nicht zwangsläufig dazu führen, dass Ihrem Sohn die Werte in Ihrer Familie nichts mehr bedeuten. Am besten, Sie behandeln jeden Freund Ihres Kindes mit Wohlwollen. Denn vielleicht bringt er auch absichtlich „falsche“ Freunde mit nach Hause – einfach, um zu provozieren. Wenn Sie jedoch jeden Freund vorurteilsfrei willkommen heißen, läuft diese Provokation ins Leere. So wie bei Michael und Eva. Seit sich die Eltern mit dem Freund ihres Sohnes abgefunden haben, verbringt Kai viel weniger Zeit mit ihm. Ihr Kind will „cool“ sein, deshalb sucht es sich „coole“ Freunde. Bleiben Sie auch „cool“ und lassen Sie sich nicht provozieren, auch nicht mit Freunden, die Sie niemals für ihn ausgesucht hätten.

Ingrid Neufeld ist Erzieherin und Mutter von drei inzwischen erwachsenen Töchtern. Sie lebt in Mittelfranken.

Ausreisser

„Unsere Tochter (8) ist nun schon zum zweiten Mal weggelaufen. Wie verhalten wir uns richtig, wenn das wieder passiert?“

Wenn ein Kind wegläuft, machen sich alle Beteiligten große Sorgen. Die Eltern fragen sich häufig: „Was haben wir falsch gemacht?“ Diese Gedanken sind nachvollziehbar. Ein Kind, vor allem wenn es noch so jung ist, hat auf der Straße nichts zu suchen. Es ist dort verschiedenen Gefahren schutzlos ausgeliefert. Auch Kinder wissen das teilweise. Wenn eine Achtjährige also ein solches Risiko auf sich nimmt, muss schon ein ziemlicher Leidensdruck herrschen.

VERTRAUEN ALS BASIS
Es gibt eine Menge Probleme, die Kinder in diesem Alter haben können. Das müssen nicht immer Schwierigkeiten im Elternhaus sein. Konflikte oder Mobbing in der Schule können ihnen sehr zu schaffen machen. Wenn die Beziehung zwischen Eltern und Kind gut funktioniert, kommt es normalerweise zu ihnen, um sich Hilfe und Rat zu holen. Fehlt jedoch diese Vertrauensbasis, versucht das Kind, allein klarzukommen. Manchmal gibt es andere Erwachsene, zu denen es Vertrauen hat. Dann kann es sein, dass das Kind zu ihnen „flüchtet“. Wenn eine Vertrauensperson fehlt, landet das Kind vielleicht wirklich allein auf der Straße. Meist dauert es nicht sehr lang, einen solchen „Ausreißer“ zu finden. Hunger, Einsamkeit und Reue treiben ihn bald wieder Richtung Elternhaus. Ich selbst habe als Kind mehrmals überlegt, wegzulaufen. Ich wusste nur nicht, wohin. Wirkliche Vertrauenspersonen hatte ich nicht. Einfach abzuhauen ohne bestimmtes Ziel war mir dann doch zu riskant. Viele Nachmittage verbrachte ich allein im Wald, wenn die Situation zu Hause wieder besonders schwierig war. Mit 18 war ich dann wirklich zwei Wochen unangekündigt von zu Hause weg. Mir war klar, dass es nicht in Ordnung war, ohne Vorwarnung abzuhauen. Jetzt im Nachhinein kann ich mir sehr gut vorstellen, welche Sorgen meine Eltern damals gequält haben. Doch ich weiß auch, wie ich bei meiner Rückkehr gern empfangen worden wäre – trotz allem.

ANNAHME UND VERSTÄNDNIS
Ein Kind, das zurückkommt, weiß ganz genau, dass es falsch war, wegzulaufen. Eine Strafpredigt oder Vorwürfe helfen deshalb nicht weiter. Die Eltern können ruhig sagen, dass sie sich Sorgen gemacht haben. Aussprüche wie: „Was hast du uns bloß angetan!“, körperliche Züchtigung oder Drohungen lösen das Problem aber nicht. Auch Schweigen, vielleicht aus Angst, etwas Falsches zu sagen, ist keine Lösung. Was das Kind jetzt braucht, ist Annahme und Verständnis. Nehmen Sie es in den Arm. Drücken Sie Ihre Freude aus, dass es wieder da ist. Servieren Sie ihm sein Lieblingsessen. Wenn sich die Emotionen etwas beruhigt haben und das Kind auch innerlich wieder „angekommen“ ist, können Sie versuchen, ein klärendes Gespräch zu führen. Manchmal hilft es, jemand Dritten mit dazu zu nehmen. Es ist auf jeden Fall wichtig, die Sache ernst zu nehmen und die Ursache des Weglaufens herauszufinden. Vielleicht ist es notwendig, bei einer offiziellen Stelle Hilfe zu suchen. Manchmal kann eine Familientherapie allen Beteiligten helfen. Wie auch immer Ihr Weg aussieht – machen Sie sich gemeinsam als Familie auf den Weg!

Maria Lang lebt mit ihrer Familie in Wieselburg (Österreich) und arbeitet als Buchautorin, Illustratorin und Referentin.

Immer nur Mama

„Meine 15 Monate alte Tochter fremdelt. Papa darf ihr nicht mal ihren Becher reichen, wenn ich in der Nähe bin. Sie will immer nur zu mir. An Babysitting ist gar nicht zu denken. Was kann ich tun?“

Wenn Kleinkinder fremdeln, ist das ganz natürlich. Nicht jedes Kind zeigt dieses Verhalten, einige sind auch sehr kontaktfreudig. Dennoch ist es völlig normal, dass einige Kleinkinder, häufig solche, die auch sonst eher sensibel sind, sehr auf einen Elternteil bezogen sind. Wichtig ist, dem Kind Zeit zu lassen und es nicht zu drängen, neue Bezugspersonen zu akzeptieren. Das würde Ihrem Kind nur Druck machen und die Angst noch verstärken. Wenn man hingegen das Bedürfnis des Kindes ernst nimmt und sehr behutsam vorgeht, legt sich das Fremdeln oft bis zum Alter von drei oder vier Jahren von selbst.

KLEINSCHRITTIG ÜBEN
Wichtig ist, dass der Papa sich regelmäßig Zeit nimmt, in der er sich ganz seiner Tochter widmet. Anfangs ist es hilfreich, wenn Sie als Mama dabei sind: Sie spielen wie gewohnt mit Ihrer Tochter oder füttern Sie und der Papa macht einfach ein bisschen mit. Dann können Sie nach und nach versuchen, sich etwas mehr im Hintergrund zu halten und dem Papa eine aktivere Rolle zukommen lassen. So sind Sie als wichtigste Bezugsperson weiter in der Nähe, aber das Kind lernt, dass sich auch der Papa gut kümmert. Danach können Sie versuchen, sich noch mehr zurückzuziehen und auch mal den Raum zu verlassen. Dass Kleinkinder einen Elternteil bevorzugen, wenn beide da sind, ist keine Seltenheit. Gerade wenn sie ein bisschen müde oder angestrengt sind, möchten sie alles so gewohnt wie möglich haben. Wichtig ist, dass Ihre Tochter auch mit dem Papa Zeit verbringt und sich von ihm versorgen lässt, wenn Sie als Mama mal Zeit für sich brauchen. Das lässt sich, wie oben beschrieben, üben.

BABYSITTER
Wenn Sie sich einen Babysitter für Ihr Kind wünschen, sollten Sie eine einfühlsame, zuverlässige Person wählen, die Verständnis dafür hat, dass Ihr Kind Zeit braucht. Es sollte keine ständigen Wechsel geben – natürlich können es auf Dauer auch zwei wechselnde Babysitter sein, aber dann sollten Sie für beide eine Eingewöhnungszeit einplanen. Gleiches gilt übrigens für die Betreuung in einer Kita oder bei Tageseltern. Eingewöhnung bedeutet, dass der Babysitter ein paar Mal (mit höchstens einer Woche Abstand, besser nur ein paar Tagen) für eine kurze Zeit zu Besuch kommt und Ihre Tochter ganz entspannt kennenlernt. Die ersten drei Male sollten Sie auf jeden Fall dabei bleiben, damit Ihre Tochter sich sicher fühlt. Die erste Trennung kann man versuchen, wenn Ihre Tochter offen mit dem Babysitter spielt und sich von ihm auch füttern und wickeln lässt. Gehen Sie dann aber nur kurz aus dem Raum und kommen Sie, wenn Ihr Kind weint und sich nicht beruhigt, nach etwa fünf Minuten wieder. Wenn es gut klappt, können Sie auch zehn Minuten wegbleiben und die Zeiten danach steigern. Wenn Sie abends ausgehen wollen, ist es zumindest in der ersten Zeit gut, wenn Ihr Kind vor dem Einschlafen noch etwas Zeit mit Ihnen und dem Babysitter hatte, damit es sich nicht erschreckt, wenn es aufwacht und der Babysitter ins Zimmer kommt. Je älter Ihre Tochter wird und je besser sie den Babysitter kennt, desto unkomplizierter werden diese Situationen werden.

Melanie Schüer ist Erziehungswissenschaftlerin und Gesundheitsberaterin für Schwangere. Sie bietet Onlineberatung für Eltern von Babys und Kleinkindern mit Schrei- und Schlafproblemen sowie für Schwangere (www.neuewege.me).