Jetzt komm ich!

„Unser Sohn (3) fordert oft ungeteilte Aufmerksamkeit von uns ein. Jetzt bekommen wir ein zweites Kind. Wie bereite ich mein Kind auf das neue Geschwisterchen vor?“

Wenn ein Kind da ist, richtet sich bewusst und unbewusst die gesamte Aufmerksamkeit auf das Kind aus. Oft können sich Eltern nicht vorstellen, wie in diese Lebenssituation ein weiteres Kind passen soll. Die entlastende Nachricht vorweg: Die Forderung nach ungeteilter Aufmerksamkeit kann beim Erstgeborenen ausgeprägter wahrgenommen werden als bei den Geschwisterkindern später. In der Vorbereitung können diese Gedanken dennoch helfen:

WARTEN LERNEN
Wir haben unserem Kleinkind in dieser Phase das Wort „Warte“ nähergebracht. Uns war klar, dass es durch das Stillen oder Anziehen eines Säuglings Momente geben wird, wo die dreijährige Schwester genau im selben Augenblick unsere Aufmerksamkeit einfordert. Wenn sie also während des Kochens mit einem Buch um die Ecke kam, haben wir nicht viele Worte verloren. Komplizierte Erwachsenen-Erklärungen erfassen Kinder sowieso nicht. Wir haben in unserem Hirn auf die Wiederholungstaste gedrückt und sehr ähnlich geantwortet wie: „Warte. Ich sehe, du möchtest mir ein Buch zeigen. Warte. Ich fülle die Nudeln ins heiße Wasser, dann schau ich mir den Hund an, den du mir zeigen möchtest.“ Dabei haben wir uns als Eltern ermahnt, dass das Wort „Warte“ nicht zu einem undefinierbaren, dehnbaren Wort wie „Gleich“ und „Später“ wird. Warten heißt: Ich richte meine Aufmerksamkeit im nächsten Moment auf dich.

REIFUNGSPROZESS
Irgendwann hörten wir aber unsere Tochter zum Säugling sagen: „Warte! Mama kommt. Sie muss noch kurz meine Schuhe binden.“ Uns war wichtig: Wir sind nah und zugewandt, aber nicht sofort abrufbar. Das Warten hilft dem Kind ab drei Jahren, zu reifen und seine Umwelt wahrzunehmen. Den eigenen Radius zu erweitern. Es ist keine seelische Verletzung des älteren Kindes, wenn es erlebt, dass es nicht als Einziger seine Bedürfnisse anmeldet. Zu warten, zu verzichten und sich in den anderen hineinzuversetzen, trainiert sogar sehr wichtige soziale Fähigkeiten, die ein Kind bis zur Schulfähigkeit benötigt. In chaotischen Situationen zwischen vollen Windeln, angebranntem Milchreis und Creme-Kunstwerken auf dem Sofa, mit Tränen bei mir und beiden Kindern, habe ich versucht, mir das vor Augen zu stellen: Es fühlt sich an wie eine Niederlage, ist aber Reifungsprozess. Ein weiteres Wort, das neu in unserer Familie Bedeutung bekam, ist „Schau!“. Wir haben gemeinsam mit dem Kleinkind geschaut, wie es dem Säugling geht. Sieht er zufrieden aus? Wie weint er? Wir haben das Baby zusammen entdeckt, Babyfotos vom älteren Kind angeschaut und sind als Team in die Kennlernphase von Baby Nummer zwei gestartet. Dabei war unsere ältere Tochter nur „die Große“, wenn sie es sein wollte. Sie durfte genauso kleines Kind bleiben und auch mal getragen oder verwöhnt werden. Das braucht schließlich jeder ab und zu.

Stefanie Diekmann ist Diplom-Pädagogin und lebt mit ihrem Mann und ihren drei Kindern in Ingelheim am Rhein.

Kaisergeburt

„Mein Kind wird per Kaiserschnitt zur Welt kommen. Meine Bekannten sind der Meinung, eine Kaisergeburt sei besser. Ist die Kaisergeburt tatsächlich eine gute Alternative zur herkömmlichen Methode?“

Seit einigen Jahren bieten Kliniken die sogenannte Kaisergeburt an – einen Kaiserschnitt, bei dem die Mutter beziehungsweise die Eltern zuschauen können, wie ihr Kind aus dem Bauch der Mutter „aufsteigt“. Dies wird dadurch ermöglicht, dass der Sichtschutz, der eigentlich vor dem Gesicht der Mutter hängt, beiseite genommen wird. Diese Art des Kaiserschnittes kann natürlich nur dann durchgeführt werden, wenn keine weiteren Komplikationen zu erwarten sind.

GEBURTSERLEBNIS
Wie können Sie als Eltern nun entscheiden, ob Sie sich eine Kaisergeburt zutrauen? Zunächst einmal sollten Sie überlegen, wie groß Ihre Angst oder Unsicherheit vor einem Operationssaal generell ist. Zwar werden Sie auch bei einer Kaisergeburt das Operationsfeld nicht sehen können, aber wenn grundsätzlich große Berührungsängste existieren, kann die Anspannung allein durch den Gedanken daran noch größer werden. Solche Ängste sollten im Vorfeld mit dem operierenden Arzt besprochen werden, um Klarheit zu erlangen. Manche Frauen erleben einen Kaiserschnitt generell als eine Enttäuschung, weil sie sich gewünscht haben, ihr Kind auf ganz natürlichem Weg auf die Welt zu bringen, oder weil sie es sogar als Versagen empfinden, es „nicht geschafft zu haben“. Für diese Frauen könnte die Kaisergeburt das Geburtserlebnis positiv beeinflussen, weil sie sehen, wie das Kind geboren wird, und weil sie in der Regel aufgefordert werden zu pressen, also selbst aktiv zu werden. Bei einem Kaiserschnitt, in welcher Form auch immer, empfiehlt es sich, ein besonderes Augenmerk auf das Bonding nach der Geburt zu legen. Die Mutter sollte ihr Baby, wenn es ihm gut geht und es keine medizinische Versorgung braucht, direkt auf die Brust gelegt bekommen.

VORTEIL IM WOCHENBETT
Ein wesentlicher Vorteil der Kaisergeburt liegt darin, dass die Hormonausschüttung verstärkt wird, das heißt, dass die Mutter (und oft auch der Vater) durch den sofortigen Blickkontakt zu ihrem Kind eine gute Bindung zu ihm aufnehmen können und es schneller als ihr Kind annehmen. Auch das Stillen klappt dadurch häufig früher und besser. All das führt zu einer stabileren emotionalen Situation der Mutter im Wochenbett. Trotz aller positiven Aspekte besteht aber durchaus die Gefahr, dass durch diese „sanfte“ Art des Kaiserschnitts der Eindruck entsteht, dass er der Spontangeburt ebenbürtig oder sogar zu bevorzugen sei. Ein Kaiserschnitt ist und bleibt eine große Operation und sollte daher nicht leichtfertig durchgeführt werden, auch nicht in Form einer Kaisergeburt. Weder für die Mutter noch für das Kind ist er im Normalfall die schonendere Art der Geburt. Wenn es jedoch eine eindeutige Indikation – medizinischer oder psychischer Art – gibt, können wir dankbar für unsere gut ausgestatteten Kliniken und gut ausgebildeten Ärzte sein. Für werdende Eltern in dieser Situation bietet die Kaisergeburt eine Möglichkeit, sich der natürlichen Geburt so nahe wie möglich zu fühlen.

Martina Parrish ist Hebamme und Stillberaterin und arbeitet in der Hebammenpraxis Fokus Leben in Berlin.

Als Eltern versagt?

Eltern wollen gern alles richtig machen, um ihren Kindern keine Steine für ihr späteres Leben in den Weg zu legen. Doch ohne Fehler geht es nicht. Von Debora Güting

Ich habe als Vater versagt.“ Daniel* sitzt vor mir und weint. Ich bin erschüttert. Er ist ein Vater wie aus dem Bilderbuch. Wir kennen uns seit etwa 15 Jahren, in denen seine beiden Söhne geboren sind. Ich weiß, wie wichtig es ihm ist, ein guter Vater zu sein. Denn sein eigener Vater war abwesend bis abweisend. Daniel unternimmt viel mit seinen Jungen. Er ist ein Abenteurer, und seine beiden Kinder erleben viel mit ihm. Linus, der Ältere, war gerade in einer schweren Phase in der Schule, hörte nicht auf seine Eltern und sortierte sich als Teenager neu. Da passierte es: Linus wollte auf ein Wochenende mit Freunden. Kurz vorher gab es einen Konflikt, und Daniel nahm ihm als Konsequenz das Handy weg. So wie das Wochenende geplant war, würde Linus es nicht wirklich brauchen und sich hoffentlich mal mehr offline beschäftigen. Aber das Wochenende verlief anders. Linus geriet in eine traumatisierende Notlage, die über das ganze Wochenende anhielt. Er konnte sich nicht mit seinen Eltern in Verbindung setzen, weil ihm das Handy fehlte. „Ich habe ihn im Stich gelassen“, sagt Daniel gebrochen. „Als er mich brauchte, konnte ich ihn nicht schützen. Ich bin schuld an dem, was er erlebt hat.“ Als ich mit Daniel rede, ist der Vorfall schon ein Vierteljahr her. Sie waren zusammen in einer Beratungsstelle, Linus hatte psychologische Betreuung, und die Situation in der Schule ist noch schwerer als vorher. Zu Hause ist der Umgang mit Linus so unerträglich und voller ungelöster Konflikte, dass Daniel überlegt, ihn in einem Heim unterzubringen. Er und seine Frau Petra sind mit ihrer Erziehung am Ende. Daniel weint. So hat er sich das Vatersein nicht vorgestellt. Ich leide mit, als ich seine Geschichte höre. Ich habe Daniel noch nie weinen gesehen. Was würde ich in einer Situation machen, in der mein Kind, teilweise durch mein Zutun, in eine solche Notlage gerät? Wie würde ich mit so einer Schuld umgehen?

DAS LEBEN VERMASSELT?
Das Wort „Schuld“ erinnert mich schmerzlich an einen Artikel, den ich von einer Freundin empfohlen bekam. Darin ging es um „sechs wahre Ursachen von Süchten“ Erwachsener, die alle auf die Erziehung ihrer Eltern zurückzuführen seien. Ursache könne sowohl sein, dass der Erwachsene als Kind überbehütet wurde, als auch dass er allein gelassen und seine Bedürfnisse nicht befriedigt wurden. Nach dem Lesen dieses Artikels hatte ich Schuldgefühle und sah meine vier Kinder als verkorkste Erwachsene vor mir, die mir vorwerfen, ich habe ihr ganzes Leben vermasselt. Nach Aussage dieses Artikels hatte ich schon alles Mögliche falsch gemacht. Ich fühlte mich fast schuldig, dass ich meinen Kindern angetan hatte, meine Kinder zu sein. Mit etwas Abstand fragte ich mich: Wie vielen Eltern, die diese Auflistung lesen, hilft dieser Artikel, gute Eltern zu sein? Sind wir alle von Schuldgefühlen getrieben? Bemüht, nur nichts falsch zu machen? Sind wir Eltern wirklich an allem schuld, was unsere Kinder in ihrem Erwachsenenleben tun oder nicht tun? Ich bin gern Mutter von meinen vier Kindern. Ich freue mich, wenn meine Kinder etwas erobern, wenn sie aus ihren Fehlern lernen, wenn sie Freude aneinander haben, wenn sie einander trösten oder mit sich selbst ringen. Ich freue mich, wenn wir Zeit miteinander verbringen, lesen, spielen, die Sonne genießen. Ich finde, Elternsein sollte Freude machen – und nicht ständig von möglichen Mängeln oder falschen Entscheidungen beherrscht sein.

ZEHN ERZIEHUNGSFEHLER
Vor ein paar Jahren war ich bei einem Vortrag zum Thema Erziehung. Ich erinnere mich, dass der Referent sagte, dass wir als Eltern auch Fehler machen dürfen – und dass selbst kleine Kinder Erziehungsfehler verzeihen würden. Sein Argument war, dass Kinder merken, wie wir es grundsätzlich mit ihnen meinen, selbst wenn wir mal anders handeln oder überreagieren. Wenn wir unsere Kinder im Allgemeinen mit ihren Bedürfnissen wertschätzen und annehmen, wird aus einem Mal, an dem wir sie übergehen, keine Problematik entstehen. Bis zu zehn Erziehungsfehler am Tag seien völlig normal. Erst ab über zwanzig Fehlern pro Tag verliere ein Kind die Orientierung in der Erziehung. Was für eine Befreiung! Ich darf als Mama auch noch Mensch sein! Meine Kinder sind robust und können mich als Otto-Normal-Mutter aushalten und einordnen – auch wenn ich nicht immer alles richtig mache. Ein wunderbarer Ratschlag kommt von Christof und Hedwig Matthias von der christlichen Beratungsorganisation Team.F. Sie wissen um die Problematik, dass wir als Eltern unseren Kindern nicht alles sein und alles geben können. Sie geben diese Sorge um ihre Kinder in Gottes Hand, indem sie beten und ihn bitten, die Lücken zu füllen. Das Gebet könnte so aussehen: „Herr, hilf uns, die guten Eltern zu sein, die du dir in uns vorgestellt hast. Fülle du die Lücken und gib unserem Kind die Dinge, die es braucht, die wir aber nicht geben können.“ Gott ist mit im Spiel. Er ist der Schöpfer von Eltern und Kindern. Er hat uns als Familie zusammengestellt. Gott findet offenbar, dass ich meinem Kind eine gute Mutter sein kann. Und das will ich, so gut ich kann, erfüllen. Gott weiß, dass ich menschlich bin, Fehler habe und meinem Kind nicht alles vermitteln kann. Aber Gott hat noch mehr Möglichkeiten. Ich will ihm zutrauen, mein Kind in der Hand zu halten und sich um mein Kind zu kümmern – besser und umfangreicher, als ich es kann.

LAST ABGEBEN
Aber was ist, wenn etwas kolossal schiefläuft wie bei Daniel und Linus? Hier gibt es natürlich keine universalen Antworten. In Daniels und Linus‘ Fall hat Daniel es grundsätzlich gut gemeint, aber im entscheidenden Moment tatsächlich das Unglück mit provoziert. Was passiert ist, ist aber nicht Daniels Schuld. Das Leben auf diesem Planeten läuft nicht reibungslos oder gar schmerzlos ab – für niemanden. Nicht für Daniel, nicht für Linus, nicht für mich oder für Sie. Dafür immer nach dem Schuldigen zu suchen, führt niemanden in die richtige Richtung: weder „Opfer“ noch „Täter“. Natürlich sollte sich Daniel bei Linus entschuldigen und seinen Anteil an dem Vorfall besprechen – aber die Schuld an dem, was andere Linus angetan haben, trägt er nicht. Er konnte nicht wissen, wie sich sein Handeln auswirken würde. Jesus hat die Schuld der Welt am Kreuz getragen. Er hat auch unsere Schuld getragen, egal, ob wir etwas absichtlich oder aus Versehen falsch gemacht haben. Er kann diese Last tragen. Wir können es nicht. Es macht uns kaputt. Wir dürfen diese Last an Jesus abgeben – immer wenn sie uns drückt oder erdrückt.

SEGEN GESCHENKT
Ich denke da gern an Josef aus der Bibel: Josef hat einen Weg gefunden, mit einem „Vorfall“ fertig zu werden. Seine Brüder hatten ihn aus Neid als Sklaven in ein fremdes Land verkauft. Sicherlich grollte Josef ihnen. Aber als er den Brüdern viele Jahre später begegnete, war er nicht ein verbittertes Opfer. Josef hatte unterwegs gelernt, seinen Lebensweg anzunehmen und Schritte von da aus zu gehen, wo er war – so deplatziert das auch schien und so gern er seine Schritte woanders gegangen wäre. Gott gab Josef eine Schlüsselposition, um später seine ganze Familie zu retten. Josef vergab seinen Brüdern. Er ließ das geschehene Unrecht in Gottes Hand – und Gott konnte Schritte mit Josef gehen. Er konnte Josefs Leben lenken und einen Segen schenken, der ohne das Leid in Josefs Leben nicht so enorm groß und faszinierend ausgefallen wäre. Trauen wir Gott zu, dass er das Leben unserer Kinder heute in seiner Hand hält, auch wenn sie – wie wir ja auch – Leid erleben und ertragen müssen. Gott hat die Kontrolle – nicht wir Eltern. Was für ein Befreiungsschlag!

 

Debora Güting ist Referentin und Teil des Pastoralteams der Kirche des Nazareners in Seligenstadt, verheiratet mit Johannes und hat vier Kinder.

Der einsame Wolf hat ausgedient

Männer kommen schon alleine klar? Christof Matthias hat festgestellt, dass er nur in Beziehungen wachsen kann.

Die ersten Anmeldungen für unseren Männertag kommen immer von Frauen. Sie wollen ihren Männern etwas Gutes tun und ihnen Begegnungen und Beziehungen ermöglichen. Der Leidensdruck scheint bei ihnen höher zu sein als bei ihren Männern selbst. Eine Anruferin fragte, ob sie ihren Mann denn schicken dürfe, denn er hätte ja gar keine Freunde. Viele Männer, die ich kenne, mich selbst eingeschlossen, kommen ganz gut alleine klar und empfinden das auch nicht als Mangel. Manche wünschen sich auch Freunde, wissen aber nicht, wie sie es anstellen können. Aber warum sollte Mann etwas ändern, wenn er doch scheinbar gar nicht leidet? Aus meiner Sicht gibt es dafür drei Gründe: Der Horizont erweitert sich, Freundschaften bieten Chancen zu persönlichem Wachstum und machen das Leben schöner. Wo immer ich den Weg des einsamen Wolfes verlassen und die Gemeinschaft zu anderen Männern gesucht habe, konnte ich mich mit anderen Sichtweisen auseinandersetzen und dazulernen. Jedermann erlebt und beschreibt die Welt aus anderen Augen und hat persönliche Erfahrungen gemacht. Die Geschichten, die dahinter liegen, sind immer spannend und bereichernd. Ich habe den Kontakt und den Austausch mit anderen Männern noch nie bereut. Ganz egal, ob es dabei um das Gespräch mit einem Nachbarn auf der Straße ging oder den Austausch am Lagerfeuer nach einer Motorradtour in der Wüste Arizonas. Wenn wir bei unseren Eheseminaren die Paare in Männer- und Frauenrunden aufteilen, reden die Männer meist länger als die Frauen. Ich habe den Eindruck, dass alle froh sind, ihrer inneren Einsamkeit zumindest für diese Zeit entflohen zu sein. Mir fällt es nicht zu, mein Herz sofort für andere zu öffnen. Aber wenn es gelingt, empfinde ich Entlastung, Freude und inneren Frieden. Hier scheint das innere Bedürfnis nach Anteilnahme und Verständnis befriedigt zu werden. Das ist für mich ein Stück Lebensqualität. Dazu kommt, dass uns die Bibel dazu auffordert, charakterlich zu reifen und geistlich zu wachsen (Epheser 4,13+14). Wäre es nicht bedauerlich, wenn dich ein alter Freund nach vielen Jahren mit den Worten begrüßt: „Du bist ganz der Alte geblieben“? Wo erfährt der einsame Wolf eine Reflexion seiner Schwächen? Wenn ich auf mein Leben zurückblicke, ist jede meiner Veränderungen in einem Beziehungskontext begründet. Wir sind aufgefordert, einander zu ermutigen, zu korrigieren und zu ermahnen. Korrigieren lasse ich mich aber eher von Menschen, denen ich vertrauen kann. Ich musste und muss mich deshalb immer fragen: Wo sind denn meine Vertrauten? Vertraute wachsen nicht an Bäumen, Vertrauen muss vorsichtig und langsam entwickelt werden, braucht Zeit und Pflege. Ich habe für mich entschieden, dass ich nicht einsam alt werden möchte und nicht als Wolf Angst und Schrecken verbreiten will. Deshalb nehme ich den Kalender in die Hand, schaue frühzeitig nach freien Zeiten, schreibe Einladungsmails oder telefoniere. Wenn ich die Pflege von Beziehungen nicht bewusst einplane, ist am Ende oft keine Zeit mehr übrig. Ich weiß gewiss: Gott hat mich nicht als Einzelgänger geschaffen, aber um mit jemandem zusammen ein Stück zu gehen, muss ich auf ihn zugehen.

 

Christof Matthias ist in der Leitung von Team.F und freiberuflicher Supervisor, Vater von drei leiblichen Söhnen, einem mehrfach behinderten Pflegesohn, zwei Schwiegertöchtern und Opa von zwei Enkeltöchtern.

Herzenswärme

Was eine Badfliese mir über Gott zeigen kann. Von Stefanie Diekmann

Wie eine Marionette des täglichen Lebens lasse ich mich führen und steuere nach dem Aufstehen durch das Bad, durch die Küche zum Frühstück, dann ins Arbeitszimmer, um das Handy aus der Ladestation zu nehmen. Mechanisch lasse ich mich ins Auto fallen und checke, ob ich Schlüssel, Portemonnaie und Kalender habe. Während ich noch ganz herzenstaub vor mich hinfahre, werde ich von einem Radfahrer am Kreisverkehr geschnitten. Vollbremsung. Ein Gefühl wie eine Dusche aus Eiswürfeln. Der Radfahrer guckt zwar erschrocken, nickt aber freundlich. Ich atme tief voller Erleichterung, dass nichts geschehen ist. Nichts geschehen? Wie erstarrt ist mein Herz? Ich bin so gedankenlos, dass eben fast etwas Schlimmes passiert wäre. Ich schüttele meine unsichtbaren Marionettenfäden ab, um wacher und bewusster weiterzufahren. Ich habe an diesem Morgen überhaupt nicht gespürt, wie warm meine Füße durch die Heizung auf den Badfliesen sind, wie wohltuend das Wasser und der Duft meines Apfelshampoos. Ich habe überhaupt nichts dabei gedacht, als ich im Kühlschrank nach meinem Lieblings-Joghurt griff und meinen Hund begrüßte. Es ist, als wolle meine To-do-Liste mir das Spüren vermiesen. Als wäre mein Kopf auf lautlos gestellt. Im Büro muss ich noch an etwas anderes denken, eine kleine Situation vor ein paar Tagen: Ein kleiner Junge (1) sitzt mir im Kindersitz im Van seiner Eltern gegenüber. Er sucht meinen Blick, macht Laute, wenn ich wegsehe und ist begeistert, wenn meine Augen seine endlich finden. Er blinzelt und juchzt. Ein kleines Spiel und doch: Es erwärmt mein Herz. Was für ein kleiner Schatz! Später stelle ich mir vor, wie sehr Gott meinen Blick sucht, mir Gelegenheiten schenkt, ihn zu treffen und mich durch und durch zu erwärmen. Und ich? Ich bin damit beschäftigt, mich zu beklagen, zu seufzen, meine Tätigkeiten zu resümieren und mein Wollen voranzutreiben. Dabei wird mein Herz ganz taub. Ich möchte mehr den Blick Gottes suchen und dann wahrnehmen, wie sehr mir diese kleine Geste am Tag Kraft gibt! Ich brauche keine großen Ereignisse und besonderen Events. Ich darf spüren, was schon ist. Darf ersinnen, was mir nah kommt mit Gottes Herzenswärme. Ich darf mich ärgern, mich freuen und mir etwas dringend wünschen. In meinen Tee pusten und spüren, wie heiß er ist. Den Backofen-Kürbis würzen und kosten. Was für ein voller und auch wundervoller Tag. Meine Aufgaben werden nicht weniger durch mehr Blickkontakt mit Gott. Aber mit Herzenswärme bleibe ich lebendiger. Vielleicht bleibe ich morgen einfach mal auf den wärmenden Badfliesen stehen und lächle in mich hinein. Stelle mir vor, wie Gott meinen suchenden Blick trifft und sich über mich freut. Wie er einen Laut der Begeisterung macht, weil ich ihn entdeckt habe. Weil Gottes Herz voller Wärme für mich schlägt …

 

Stefanie Diekmann ist Diplom-Pädagogin und lebt mit ihrem Mann und ihren drei Kindern in Ingelheim am Rhein.

Rechtschreibung

UMZINGELT VON LEHRERN

Katharina Hullen muss sich in ihrer Familie mit Sprachfetischisten herumschlagen.

Katharina: Kennen Sie das? Fünf Jahre im Büro, auf dem Bau oder im Verkauf und schon denkt, fühlt und glaubt man wie alle anderen der Branche. Man wird scheinbar völlig betriebsblind für die „normalen“ Verhaltensweisen der restlichen Welt. Der Bankangestellte kann nicht verstehen, was so kompliziert am Ausfüllen von Formularen sein soll. Und die Sprechstundenhilfe kann sich nicht vorstellen, dass der neue Patient den Weg zum Laborraum nicht kennt, obwohl sie ihn heute doch schon zwanzigmal erklärt hat. Jeder Experte scheint im täglichen Kampf mit der völligen Unwissenheit seines Umfeldes zu sein, und das nervt offenkundig. Aber vielleicht ist es auch andersherum. In unserer Familie ist es so, dass wir umgeben – ich würde sogar sagen: umzingelt! – sind von Lehrern. Ich komme auf zehn Personen im unmittelbaren Freundes- und Familienkreis, die es von Berufs wegen immer besser wissen. Die zwei unausweichlich nächsten Lehrer sind Hauke und seine Mutter! Beide haben einen stark ausgeprägten Sprach-Fetisch, worunter jeder hier manchmal zu leiden hat. Nichts Schriftliches in diesem Haus entgeht ihren zwanghaften Rechtschreibkorrekturen. Vielleicht kommen die Kinder deshalb gern zu mir oder dem Opa, um ihre kindlichen Aufsätze inhaltlich würdigen zu lassen, bevor Papa und Oma mit dem Text ins Gericht gehen. Selbst Untertitel im Fernsehen, die jeder normale Mensch kurz überfliegt und ignoriert, lassen Hauke und Rosi stereo zusammenzucken, wenn sich dort ein Rechtschreibfehler eingeschlichen hat: Das geht doch nicht! Im Fernsehen! Wie peinlich! Das lesen doch Hunderttausende! Sie sehen überall buchstäblich rot! Irgendwo fehlt immer ein Komma oder eine Endung! Unsere geknechteten Grundschulkinder wissen bereits alle Zeitformen fachsprachlich auszudrücken und selbstverständlich darüber hinaus auch, was eine Alliteration und ein Palindrom ist. Ich wundere mich, dass sie immer noch so gerne Geschichten schreiben, obwohl ihnen die Rechtschreibung schon so oft um die Ohren geflogen ist. Bei unseren Mädchen ist es eindeutig – sie haben das Deutschlehrer-Gen! Wortwitze, Kalauer und sprachliche Spitzfindigkeiten, wo auch immer die Hullens beisammen sind. Am Tisch, im Auto, im Bett (!) – überall lauert eine sprachliche Pointe. Ich danke Gott, dass er mir so viel Humor geschenkt hat, denn sonst wäre das nicht lebenslang zu ertragen. Und wie gut, dass wir Menschen so anpassungsfähig sind. Ich konnte in den letzten 20 Jahren meine Aussprache durch die liebevolle Korrektur meines großartigen Privatlehrers auf hochsprachliches Niveau emporwuchten. Die Kommas in diesem Text hat übrigens meine Schwiegermutter gesetzt, und ab und an rutscht mir auch noch ein „Helf mir bitte mal …“ heraus. Aber dat sind de Gene – da machste nix!

Katharina Hullen (Jahrgang 1977) ist Bankkauffrau und Dolmetscherin für Gebärdensprache in Elternzeit. Sie und Ehemann Hauke haben fünf quirlige Kinder und leben in Duisburg. Gemeinsam bilden die beiden das Kirchenkabarett „Budenzauber“.

 

DER DEPPENAPOSTROPH UND DER UNTERGANG DES ABENDLANDES

Hauke Hullen leidet unter einer Berufskrankheit.

Hauke: Als Lehrer, zumal als Deutschlehrer, lebt man auf der Sonnenseite des Lebens: Vormittags hat man recht, ab 12 Uhr frei, das fürstliche Gehalt verprasst man in zwölf Wochen Ferien, und einmal im Jahr gibt’s sogar eine Woche Extra-Urlaub, den man mit der 8d in der Jugendherberge Kleinstrupp-Wüsthausen verbringt! Doch es gibt als Lehrer, zumal als Deutschlehrer, leider auch einen Aspekt, der diesen paradiesischen Zustand immer wieder stört: Man entdeckt ständig Rechtschreibfehler! Nicht nur in Schülertexten, nein, auch in freier Wildbahn! Für Menschen, die mit einer, nun ja, hohen Toleranz gegenüber sprachlichen Normverstößen gesegnet sind, mag meine Pein unverständlich sein. Doch für mich ist ein falsch gesetztes Komma wie ein Pickel, der ein hübsches Antlitz verunstaltet und der die Aufmerksamkeit gerade deshalb auf sich lenkt, weil man krampfhaft versucht, ihn nicht wahrzunehmen. Es geht hier wohlgemerkt nicht um Schüleraufsätze, sondern um Texte, die Erwachsene verunstalten. Zum Beispiel der Aushang beim Arzt, demnach die Praxis „mittwoch’s von 9-12 Uhr“ geöffnet hat. Oder suchen Sie mittels Internet-Bildersuche nach dem „Deppenapostroph“! Die Ergebnisse dürften Sie ausgiebig erheitern oder zutiefst frustrieren. Und wenn Sie nichts Außergewöhnliches sehen, dann leben Sie bitte einfach zufrieden weiter. Sie sind ja nicht alleine – selbst eine Partei, deren Name hier nicht genannt werden soll, forderte im Wahlkampf eine „Schule für’s Leben“, in der offenbar liberal mit Rechtschreibung umgegangen werden sollte. Ein Hort zwiespältiger Freuden ist auch die Kommasetzung. Viele halten sie für unwichtig, dabei ist sie lebensrettend: „Komm wir essen Opa!“. Setzen Sie bitte Kommas nach Belieben. Aber auch bei „Max sein bester Freund und Moritz griffen nach den beiden Fallschirmen“ oder beim Befehl „Tötet ihn nicht freilassen!“ ist der Beistrich von größter Bedeutung. Ein geradezu tragikkomisches Beispiel lieferte auch eine große Baumarktkette. Sie plakatierte: „Geht nicht, gibt’s nicht!“ Ich bin geneigt, hinzuzufügen: „Kriegen wir auch nicht wieder rein.“ Und auf die zahlreichen unfreiwilligen Mehrdeutigkeiten durch unklaren Satzbau à la „Freund von Prinz William getötet“ (Süddeutsche Zeitung) kann ich aus Platzgründen an dieser Stelle leider gar nicht erst eingehen. Doch was bedeutet das für unser Familienleben? Ich will es etwas anders machen als meine Mutter damals. Als ich ihr nach dem Abi stolz meinen ersten Artikel in der Lokalzeitung zeigte, war ihr erster Kommentar: „Hier fehlt aber ein Komma.“ Sie hatte natürlich recht, hätte an dieser Stelle aber diskret am Pickel vorbei auf meinen ersten Bericht gucken sollen. Ich möchte die beste Ehefrau von allen und unsere Kinder nicht mit meiner Besserwisserei frustrieren. Ich will aber auch nicht für den Untergang des Abendlandes verantwortlich sein, dessen sicherstes Merkmal bekanntermaßen die Verlotterung der Sprache ist. Meiner Frau ist dieses Dilemma egal. Sie würde sagen: „Es ist schwer für Deutschlehrer eine Lösung zu finden.“

Hauke Hullen (Jahrgang 1974) ist Lehrer für Deutsch und Sozialwissenschaften. Er und Ehefrau Katharina haben fünf quirlige Kinder und leben in Duisburg. Gemeinsam bilden die beiden das Kirchenkabarett „Budenzauber“.

Null Bock auf Schule

„Vor kurzem habe ich erfahren, dass mein Sohn (15) regelmäßig die Schule geschwänzt hat. Ich habe Angst, dass er seinen Abschluss so nicht schafft. Gespräche über das Thema wehrt er immer ab. Was kann ich tun?“

Mein Kind ist ein Schulschwänzer“ – das zu realisieren ist für Eltern meist ein Schock. Schließlich ist der Schulbesuch ja nicht nur Pflicht, sondern auch ein bedeutsamer Faktor im jugendlichen Reifungsprozess – und eine wichtige Vorbereitung aufs Berufsleben. Tröstlich mag sein: Sie sind nicht allein! Pubertät, Lernunlust, Schulverweigerung – das müssen Jahr für Jahr tausende Eltern durchstehen. Doch Jugendliche kann man kaum noch zwingen. Vielmehr muss man ihnen dabei helfen, selbst zu einer vernünftigen Entscheidung zu kommen. Mögliche Gründe fürs Schule-Schwänzen gibt es viele: Mobbing oder Stress mit der Clique, eine familiäre Beziehungsstörung oder berufliche Aussichtslosigkeit – vielleicht auch „nur“ anhaltende Überforderung oder die Langeweile eines Hochbegabten. Ich müsste also genauer wissen: Seit wann existiert das Problem, in welcher Form und in welchem Ausmaß? Wie waren seine bisherigen Schulerfahrungen? Was sind seine Pläne, was seine Wünsche für die Zukunft? Nicht zuletzt: Wie ist Ihre familiäre Situation, die Beziehung zwischen Sohn und Eltern?

ERSTE REAKTION
Eltern sollten versuchen, die erschreckende Ordnungswidrigkeit vor allem als Symptom anzusehen. Eine Art Notlösung, eine Revolte, ein Hilferuf aus vermeintlicher Ausweglosigkeit. Dann fällt es leichter, ungünstige Erstemotionen wie Ärger, Hilflosigkeit oder Überfürsorge hinten anzustellen. Ganz wesentlich ist jetzt nämlich, dass Sie das verlorengegangene Gespräch miteinander wieder aufnehmen. Sie sollten mit Ihrem Sohn gemeinsam besprechen, wie sich das Problem angehen lässt. Gleichzeitig ist es günstig, das Blaumachen zu erschweren – ihn zur Schule zu bringen, sich regelmäßig mit dem Klassenlehrer auszutauschen, bei Krankheit Arbeitsaufträge zu erteilen oder Abholdienste durch Mitschüler zu organisieren. Dazu kann man auch eine schriftliche Vereinbarung treffen – mit Aussagen über Belohnungen oder Sanktionen.

UNTERSTÜTZUNG VON AUSSEN
Viele Eltern machen außerdem die Erfahrung, dass die Hilfe eines nichtelterlichen Erwachsenen bei problematischen Entwicklungen im Jugendalter hilft. Er muss Sicherheit und Reife ausstrahlen und der strauchelnde Jugendliche muss ihm ein persönliches Anliegen sein bzw. werden (der Familienpsychologe Steve Biddulph nennt das „Mentor“). Vielleicht haben Sie das Glück, dass ein Lehrer bereit und in der Lage ist, Ihren Sohn eine Zeit lang besonders unter seine Fittiche zu nehmen. Dieser Mentor könnte mit Ihrem Sohn seine Stärken sowie berufliche Perspektiven durchsprechen – und ihm anbieten, ihn in einem überschaubaren Zeitraum (z.B. ein halbes Jahr) besonders zu unterstützen. Das kann in Form von regelmäßiger Begleitung, Kontrolle seiner schulischen Arbeiten oder auch kleinen Lerngesprächen sein. Oder gibt es einen Onkel oder Opa (oder sonstigen vertrauenswürdigen männlichen Freund der Familie), der diese Mentorenrolle übernehmen kann? Ein solcher Mentor dürfte sich natürlich von ersten Rückschlägen nicht aus der Bahn werfen lassen, sondern müsste eine Weile dicht am Ball bleiben.

Michael Felten hat 35 Jahre als Gymnasiallehrer gearbeitet. Neben Erziehungsratgebern veröffentlichte er zahlreiche Beiträge zu Bildungsfragen. www.eltern-lehrer-fragen.de

Hör auf zu träumen!

Warum ich versuche, keine Träumerin mehr zu sein. Von Stefanie Diekmann

Träume geben Kraft und sind Motor für Entwicklungen. Ich habe es in meinem Leben aber auch anders erlebt: Wie ein Schwamm sauge ich bunte Lebensbiografien und Geschichten auf. Von Menschen, die den Trott verlassen haben. In die Weite gehen, auswandern, ein Projekt starten, unbequem leben. Spuren hinterlassen. Ich höre hin und spüre das bekannte Sehnen in meinem Herzen.

SCHLECHT BEWERTET
In meinem Leben gab es fast 20 Jahre lang den Traum, anders zu leben. Irgendwie anders. Unbedingt. Ich wollte ein Freizeitheim gründen in Spanien oder Frankreich, damit Familien und Gruppen einen bezahlbaren Urlaub erleben dürfen und auftanken können. Und wenn das nicht hinhaut, wollte ich unbedingt in einer Kommune leben. Wo Menschen eine Weggemeinschaft sind. Einen Unterschied machen in einer Stadt. Eine Adresse für andere sein. Mit offenporigem Herzen saugte mein Traumschwamm Berichte von Christen auf, die Leben teilen und Ideen umsetzen. So was wäre doch zu schön! Gleichzeitig bestand mein Leben aus Fakten. Die Ideen in meinem Schwamm blieben. Und wie Bakterien in einem Küchenschwamm fingen sie an zu gären und sorgten für unschöne Reaktionen und „Gestank“. In mir war es, als spalte sich der Anspruch, anders zu sein und diesen Traum zu pflegen, ab von meinem wirklichen Alltag. Von meinem Alltag mit Kindern, Laminat-Pflege und Gemeinderoutine. Mehr und mehr habe ich mein Leben im Jetzt in unbequemen Momenten schlechter bewertet. Denn eigentlich wartet da ja noch der große Traum vom anderen Leben. Ein muffiger Geruch voller Sehnsuchtsgedanken, dass dieses Leben nicht alles sein kann. Gott hat sicher noch mehr mit mir vor …

BLICK AUF DIE FAKTEN
Mein Bericht könnte hier zu Ende sein. Ich kann nicht richtig beschreiben, was meinen Traum-Mix verändert hat. Ich denke, der Wille, meinen Alltag zu lieben, hat den Herzensschwamm durchspült. Nicht jede Faser ist „traumfrei“, aber der unangenehme Geruch klebt nicht mehr in mir fest. Das Gefühl, im falschen Leben zu stecken und auf etwas „Tolles“ zu warten, ist deutlich weniger geworden. Mir hat geholfen, meinen Traum immer wieder mit meinem Mann durchzudenken. Dabei half mir ein Blick auf die Fakten: Freizeitheim im Ausland: Bei null Sprachkenntnissen wenig realistisch. Und bei dem Druck, ein Haus effizient zu führen, bleibt die Idee, Kostengünstiges anzubieten, nur Theorie. Kommune: Nicht alles ist Zusammenhalt im Zusammenleben. Um diese Idee zu forcieren, braucht es viel Kraft, die ich nicht immer habe. Welche Menschen investieren sich mit in diesen Traum? Oder muss ich sehr lange mit Mut und Gestaltungswillen in Vorleistung gehen? Und der Faktencheck ergibt auch, dass meine Begabung nicht mit dem ausdauernden, langen Atem einer Organisation zu verknüpfen ist. Die gesammelten Träume im Schwamm könnten also eine stinkende Gefahr für mich bedeuten. Sie sind ja Träume: Immer im Sonnenschein glücklich vor einem Haus mit lachenden Menschen sitzen – unrealistisch und geträumt …

EINE ZU GUTE TRÄUMERIN
Hilfreich war für mich auch, meinen Herzensschwamm genau anzusehen. Was sauge ich so eifrig auf? Was nährt meinen Traum? Was bringt mich beim Träumen zum nächsten passenden Schritt für mein Leben? Wie reinigende Spülungen habe ich entdeckt, dass nicht mein Beruf falsch ist, meine Fähigkeiten falsch sind, mein Mann und seine Berufung falsch sind. In meinem Herzen ist mein Traum zu einem freundlichen bunten Bild geworden, aber es überlagert mit seinem Drängen nicht mehr mein Heute. Durch meine Träume habe ich die Themen meines Lebens besser kennengelernt: Ich sehne mich nach Beziehungen, nach kreativem Lebensraum voller Weite. Dazu brauche ich kein Freizeitheim und keine Kommune. Ich bin gefordert, diese Sehnsucht mit meiner Familie, meinen Kollegen und meiner Kirchengemeinde zu leben. Dieses Ausdrücken alter Träume aus meinem Schwamm macht mich bereit, Neues aufzunehmen. Ich höre heute schneller auf zu träumen, weil es mich nicht im Hier bereichert, sondern mich wegtreibt. Ich bin keine gute Träumerin, weil ich eine zu gute Träumerin bin. Es macht mich heute traurig zu sehen, wenn eine junge Frau ihrem Berufswunsch als Traum so viel Raum gibt, ohne den Mut zu haben, den ersten Schritt zur Verwirklichung auch zu tun. Oder wenn Ehepaare sich in einen Traum aus Familie flüchten, der sehr unterschiedlich und in beiden Fällen unreal ist. Ich spüre eine Gefahr, wenn das geschenkte Jetzt weniger wert ist als die Vergangenheit oder die Zukunft. Ich spüre es, weil es meine Gefahr war und ist. Für Gott bleibe ich Berufene, Beauftragte: Ich erkenne, dass unser Haus Heimat für Menschen wird, dass Wegbegleitung auch ohne feste Formen möglich ist. Ich stelle fest, dass mein Traum auch dann Realität wird, wenn das Traumbild nicht deckungsgleich hergestellt wird. Ich übe mich im Leben. Ja, davon träume ich heute. Das Leben zu füllen mit dem, was Gott für mich erdacht hat.

Stefanie Diekmann ist Diplom-Pädagogin und lebt mit ihrem Mann und ihren drei Kindern in Ingelheim am Rhein.

„Ich will zuhause bleiben!“

„Meine Tochter (10) hat auf Klassenfahrten, oder wenn sie auswärts übernachtet, extremes Heimweh. Sollten wir sie immer abholen? Was können wir tun, damit es besser wird?“

Die meisten Kinder erleben mehr oder weniger starkes Heimweh, wenn sie nicht in ihrer vertrauten Umgebung sind. Sich diesen schmerzhaften Gefühlen zu stellen und einen guten Umgang damit zu finden, ist ein wichtiger Entwicklungsschritt für Kinder.

GEFÜHLE ORDNEN
Wichtig ist zunächst, dass Sie den Trennungsschmerz Ihres Kindes von Anfang an ernst nehmen und Ihrem Kind die Möglichkeit geben, darüber zu reden. Äußert Ihre Tochter schon vor der Klassenfahrt ihre Befürchtungen, fragen Sie nach, was sie genau beschäftigt: Wie fühlt sich das Heimweh an? Welche Erfahrungen hast du damit gemacht? Geht das Gefühl irgendwann auch weg? Mit solchen Fragen können Sie Ihrer Tochter helfen, sich dem Thema zu nähern und Ordnung in ihre Gefühlswelt zu bekommen. Ihre Tochter sollte wissen, dass viele Kinder ähnliche Gefühle haben und dass sie damit nicht allein ist. Und gleichzeitig sollten Sie ihr auch vor Augen malen, wie schade es ist, wenn sie von diesen Gefühlen gelähmt wird und somit viele schöne Dinge im Leben verpasst.

VORBEREITUNG
Steht eine längere Klassenfahrt an, sollte die Trennung frühzeitig in kleinen Schritten geübt werden. Suchen Sie Gelegenheiten, bei denen Ihr Kind für eine Nacht bei Freunden oder den Großeltern, die in der Nähe wohnen, übernachten kann. So kann sich ihre Tochter in einem vertrauten Umfeld an die Trennungssituation gewöhnen. Sogenannte Übergangsobjekte sind für manche Kinder auch eine gute Hilfe, das Heimweh zu überwinden. Ein Kuschelkissen oder ein Kuscheltier können auch im Alter Ihrer Tochter noch gute Dienste erweisen und eine emotionale Brücke nach Hause spannen. Und wenn dann in Absprache mit dem Klassenlehrer alle Kinder ihren Teddy im Gepäck haben (müssen), ist das Ganze auch weniger peinlich. Übertragen Sie dem Lehrer für die Zeit der Klassenfahrt die Verantwortung. Die meisten Lehrer bringen viel Erfahrung mit, wie sie mit Heimwehsituationen ihrer Schüler umgehen können und zeigen Verständnis. Sagen Sie Ihrer Tochter, dass sie ihren Lehrer ansprechen kann, wenn sich Heimweh breitmacht. Das kann für Sie als Eltern eine hilfreiche Entlastung sein, setzt allerdings auch voraus, dass ein vertrauensvolles Verhältnis zwischen Ihnen, Ihrer Tochter und dem Lehrer besteht.

ABHOLEN?
In der Regel ist es nicht ratsam, ein Kind von der Klassenfahrt wieder abzuholen, wenn es Heimweh äußert. Denn so bringen Sie Ihr Kind um die Erfahrung, dass es in der Lage ist, schmerzhafte Gefühle zu überwinden und eine herausfordernde Situation meistern zu können. Allerdings gibt es hier auch Grenzen. Je nach Situation und je nach Kind kann die Sehnsucht so groß werden, dass die Trennung zur Überforderung wird. In besonderen Fällen kann es in Absprache mit dem Lehrer oder Freizeitleiter der bessere Weg sein, das Kind abzuholen. Das sollte dann nicht als Versagen gesehen werden – vielleicht braucht Ihr Kind einfach noch ein bisschen länger. Dann ist wichtig, dass Sie Ihrer Tochter immer wieder Mut zusprechen, dass es diese Hürde irgendwann sicher überwinden wird.

Sonja Brocksieper ist Diplom-Pädagogin und lebt mit ihrer Familie in Remscheid, www.sonja-brocksieper.de.

Den Drahtesel zähmen

„Ab welchem Alter sollten Kinder Fahrradfahren lernen? Warum ist das wichtig und wie bringe ich es ihnen richtig bei?“

Wenn wir mit dem Fahrrad unterwegs sind, ist uns nicht bewusst, wie komplex die Bewegungsabläufe und wie vielfältig die Informationsverarbeitungen sind. Radfahren ist ein Zusammenspiel aus Motorik, Planung, Orientierung, Geschwindigkeit, Gleichgewicht, Sequenzierung von Handlungen und Regelwerk. Aus diesem Grund findet die Fahrradprüfung erst in der 4. Schulklasse mit neun oder zehn Jahren statt.

DAS RICHTIGE ALTER
Obwohl man schon für Kleinkinder Fahrräder kaufen kann, bedeutet dies nicht, dass es das ideale Lernalter ist. Erst wenn Kinder von sich aus Interesse am Rad zeigen, sollten sie es ausprobieren. Dabei sind manche ein Kindergartenkind und andere gehen schon in die Schule. Lassen Sie sich nicht verunsichern, wenn jüngere Kinder durch die Straßen sausen und Ihres noch auf einem Laufrad herumkurvt. Lernen braucht Zeit, und die Voraussetzungen fürs Radfahren lassen sich gut mit Roller und Laufrad trainieren. Das Kind entwickelt ein Gespür für Balance und Geschwindigkeit. Es wird merken, wie schnell es sein muss, um die Beinchen zu heben. Und es wird wissen, wie ruckartig es den Lenker drehen kann, ohne auf die Nase zu fallen. Viele Eindrücke müssen eingeordnet werden: Geräusche, Bewegungen von Personen und Autos oder Hindernisse auf dem Weg. Das Kind lernt Wichtiges von Unwichtigem zu unterscheiden, und nach und nach automatisieren sich Bewegungsabläufe. Wenn es dann ein Fahrrad ausprobieren möchte, kann auch ein Rad von Geschwistern oder Nachbarskindern hilfreich sein. Eine Anschaffung lohnt sich erst, wenn sich Fahrerfolg einstellt. So sparen Sie sich zum Beispiel ein kleines 12-Zoll-Rad und können gleich ein größeres anschaffen.

UNTERSTÜTZEN
Vermeiden Sie Stützräder. Sie sind eher hinderlich als hilfreich, denn mit ihnen lässt sich nicht der entscheidende Gleichgewichtssinn trainieren. Am Anfang fehlt den Kindern häufig die Kraft, um anzufahren. Geben Sie dem Rad einen Schubs, aber schieben Sie es nicht ständig. Das lenkt Ihr Kind ab, und es guckt mehr nach hinten als nach vorne. Sie sollten außerdem darauf achten, nicht ständig zu reden, denn ihr Kind ist mit so vielen Dingen auf einmal beschäftigt, dass es kaum auf Ihre Worte achten wird. Fahrradfahren ist körperbetont, es lässt sich nicht durch verbale Erklärungen erlernen. Wenn Sie Ihr Kind anfeuern wollen, dann rennen Sie vor und lotsen es ins Ziel, so fokussiert es sich nach vorne. Mancher Sturz lässt sich nicht vermeiden, sorgen Sie mit Helm, Knieschützern und robuster Kleidung vor. Radeln Sieselbst gerne? Ihre Begeisterung wird andere anstecken. Machen Sie aus dem Radelausflug ein schönes Familienerlebnis. Suchen Sie sich ruhige Wege und leicht erreichbare Ziele: einen Lieblingsplatz im Park, die Eisdiele, den Bäcker oder das Tiergehege. Nichts ist frustrierender, als wenn aus dem Genussradeln ein Pedalenkampf wird. Die Freude wächst mit der Routine und dann „kommt Radfahren dem Flug der Vögel am nächsten“ (Louis J. Halle).

Susanne Ospelkaus ist Ergotherapeutin. Sie lebt mit ihrer Familie in Zorneding bei München und bloggt unter www.buchstabenkunst.de.