Erben und weitergeben

Manche Werte „vererben“ sich von Generation zu Generation. Manchmal muss man sich aber bewusst für oder gegen einen Wert entscheiden, der in der Herkunftsfamilie wichtig war.

Es gibt wohl kein wertvolleres Geschenk, als der nächsten Generation gute Werte mitzugeben. In der Kindheit vermittelte Werte prägen den Menschen ein Leben lang. Besonders als Eltern haben wir einen sehr großen Einfluss auf das Werteempfinden unserer Kinder. Andererseits sind wir selbst von den Werten in unserer Herkunftsfamilie geprägt. Das w irft für mich Fragen auf: Welche Werte habe ich aus meiner Herkunftsfamilie mitbekommen? Welche Werte haben mein Leben bisher geprägt? Und gibt es Werte, die ich ablehne? Als Christin ist es mir wichtig, unseren Kindern nicht irgendwelche Werte zu vermitteln, sondern solche, die aus Gottes Sicht gut sind. Wenn ich das Wertefundament meiner eigenen Herkunftsfamilie genauer unter die Lupe nehme und daraufhin prüfe, stelle ich fest: Ich habe sowohl gute christliche Werte erfahren als auch solche, die gesellschaftlich nicht als schlecht gelten, aus Gottes Sicht aber nicht in Ordnung sind. Es gibt Werte, die ich bewusst oder unbewusst übernommen habe. Aber es gibt auch welche, die ich ganz bewusst nicht übernehmen möchte. Werte, die ich ablehne und auf die ich schon bei kleinsten Bemerkungen, die manchmal im Familienleben fallen, extrem allergisch reagiere.

VERGEBEN UND VERZEIHEN
Wenn ich zum Beispiel an Situationen zurückdenke, in denen „kleine“ Notlügen innerhalb der Familie in Ordnung waren, sträuben sich mir heute noch die Haare. Ich habe für mich entschieden, dass in unserer Familie diese Art von gesellschaftlich akzeptierten Notlügen keinen Platz hat. Ich lehne es rigoros ab, weil es für Gott keine kleinen, großen, guten oder bösen Lügen gibt. Ich weiß, dass der eigentliche Grund dahinter oft Angst, Bequemlichkeit oder Stolz ist. Und genau deshalb wollen wir in unserer Familie absolute Ehrlichkeit leben, in dem Wissen, dass wir gnädig miteinander umgehen, wenn wir uns gegenseitig Fehler eingestehen. Das hat einen weiteren Wert zur Folge: Vergeben und Verzeihen. Wie oft habe ich als Kind darunter gelitten, wenn es Streit in der Familie gab, eine Person sich beleidigt zurückzog und stundenlang wortlos in meiner Nähe war. Solche Situationen waren f ür m ich u nerträglich. Fast immer habe ich den ersten Schritt zur Versöhnung gemacht. Wie sehr wünschte ich mir, dass einmal der andere diesen ersten Schritt wagen würde. Diese Erfahrungen haben dazu geführt, dass ich mir in meiner eigenen Familie eine aktive Versöhnungskultur wünsche. Kein Familienmitglied darf durch sein Beleidigt- Sein Macht auf den anderen ausüben. Jeder sollte seinen eigenen Stolz erkennen und überwinden lernen, um sich beim Gegenüber zu entschuldigen. Natürlich darf das nicht als Floskel und ohne jegliches Mitgefühl oder Schuldeingeständnis geschehen. Die Situation muss offen und ehrlich besprochen werden. Es kostet zwar immer wieder Kraft, in solchen Situationen den Kindern zu erklären, warum Versöhnung wichtig ist. Bei kleineren Kindern hilft es, eine passende Geschichte zu erzählen oder vorzulesen und darüber ins Gespräch zu kommen. Vor einiger Zeit bin ich auf das sehr hilfreiche Buch „Werte für Kinder“ von Bärbel Löffel-Schröder (Gerth Medien) gestoßen, auf das ich in gegebenen Situationen zurückgreifen kann. Zum Weiterdenken Welche Werte waren in meiner Herkunftsfamilie wichtig? Welche Werte habe ich übernommen? Welche Werte sind mir nicht so wichtig? Welche Werte sind mir wichtig, die in meiner Herkunftsfamilie keine Rolle spielten?

GUTES ÜBERNEHMEN
Natürlich wurden in meiner Herkunftsfamilie nicht nur Werte gelebt, die ich heute ablehne, sondern auch gute Werte, die ich gerne weitergeben möchte wie Zuverlässigkeit und Verbindlichkeit. Gerade in unserer schnelllebigen digitalen Zeit beobachte ich, dass die Verbindlichkeit immer mehr abnimmt. Wie schnell ist per WhatsApp ein Treffen abgesagt, das Kind vom Training entschuldigt oder eine Verspätung angekündigt, weil spontan etwas dazwischengekommen ist. In meiner Kindheit wurden Termine, Trainingszeiten, Verabredungen eingehalten, auch wenn man manchmal lieber eine andere Option gewählt hätte. Dadurch habe ich gelernt, dass Zuverlässigkeit und Verbindlichkeit wichtig sind, um Vertrauen zu stärken und dem anderen Respekt entgegenzubringen. Und ich erwarte diese Verbindlichkeit auch von meinen Mitmenschen, weil sie die Basis für ein gutes Miteinander ist. Unseren Kindern leben wir diesen Wert bestmöglich vor und erinnern sie immer mal daran. Die Gastfreundschaft ist ein weiterer Wert, der in meiner Herkunftsfamilie über mehrere Generationen hochgehalten wurde. Jederzeit konnten unverhofft Gäste kommen – ob zum Essen oder Übernachten. Ich habe die Anwesenheit von Gästen immer als wertvoll und bereichernd empfunden. Deshalb möchten auch wir als Familie offen und herzlich Gäste begrüßen, ohne dass es für uns in Stress ausartet. Die Gäste sollen sich wie zu Hause fühlen und nicht den unbehaglichen Eindruck haben, dass wir ihretwegen unseren Familienalltag, das Haus oder die Essensplanungen auf den Kopf stellen. Das verstehe ich unter wertvoller Gastfreundschaft. Dabei beobachte ich, dass unsere Kinder sich außerordentlich freuen und wissbegierig alles aufsaugen, was sie in dieser Zeit von den Gästen hören und sehen.

MEGA-WERT
Ich bin davon überzeugt, dass es wichtig ist, gute Werte zu leben und an die nächste Generation weiterzugeben. Jedoch können sämtliche Werte nichts bewirken und keinen positiven Einfluss auf unser Umfeld und unsere Familie haben, wenn nicht über allem ein Mega-Wert liegt. Und zwar der Mega-Wert schlechthin, der nur in Gott in seiner vollkommenen Ausprägung zu finden ist: die Liebe.

Carolin Schmitt arbeitet als Wirtschaftsingenieurin und lebt mit ihrem Mann und ihren beiden Söhnen in Karlsdorf/Baden. Sie veröffentlicht von Zeit zu Zeit ihre Gedanken auf dem Blog www.morethanpretty.net.

 

 

Zum Weiterdenken
– Welche Werte waren in meiner Herkunftsfamilie wichtig?
– Welche Werte habe ich übernommen?
– Welche Werte sind mir nicht so wichtig?
– Welche Werte sind mir wichtig, die in meiner
– Herkunftsfamilie keine Rolle spielten?

Keine Angst vor Verbindlichkeit

Ein wunderschönes Brautkleid, zu Tränen gerührte Gäste, Blumenmädchen und eine Bilderbuchehe bis der Tod uns scheidet. Das waren meine Vorstellungen von Hochzeit und Ehe, bevor es mit dem Heiraten konkret wurde. Wie diese Entscheidung nach Außen wirkte, darüber habe ich mir keine Gedanken gemacht.

Als es dann soweit war, war ich 22 Jahre alt und wollte einfach nur meinen David heiraten. Für mich war wichtig, eine Verbindlichkeit für das gemeinsame Leben mit dem Mann einzugehen, den ich liebe.

Doch so klar und einfach diese Entscheidung für uns war, war sie nicht für alle Menschen in unserem Umfeld. Ich studierte zu diesem Zeitpunkt noch und bei meinen Kommilitonen warf diese Entscheidung viele Fragen auf. Ganz vorne dabei waren zwei Fragen: „Wie alt seit ihr denn?“ und „Woher nehmt ihr das Geld?“. Scheinbar war für viele die Heiratsfrage eine Frage des Alters und des Geldes. In Gesprächen mit Altersgenossen wurde oft zum Ausdruck gebracht, dass man mit Anfang 20 so eine Entscheidung gar nicht treffe könne, weil das Leben doch jetzt gerade erst anfinge. Wer weiß schon, wo man in 10 Jahren steht? Natürlich kann man nicht in die Zukunft sehen, aber mit 30 weiß ich genauso wenig wie sich meine Zukunft entwickelt. Den Rest seines Lebens mit einem Partner zu verbringen, scheint für die meisten jungen Leute wenig attraktiv zu sein. Eine Ehe wird eher als Hindernis für die persönliche Entfaltung gesehen. Ich kann für mich nur sagen, dass ich mich in meiner Persönlichkeit noch nie so gut entfalten konnte, wie mit meinem Mann an der Seite, der mich in jeder Herausforderung des Lebens begleitet und bestärkt. Der mir Ideen gibt, wenn ich keine mehr habe und der oft eine andere Sichtweise auf die Dinge hat. Zu zweit ist jede Herausforderung nur noch halb so groß.

Eine Frage des Geldes?

Dann war da ja noch die Sache mit dem Geld. Ja, eine Hochzeit kostet Geld. Doch obwohl ich mich im Studium befand, hat es hingehauen. Schlussendlich geht es doch darum, die Liebe zueinander zu feiern. Ob in einem Schloss oder im Gemeindehaus von nebenan, spielt dabei eigentlich keine Rolle. Für uns war einfach wichtig, im Kreis unserer Familien und Freunde „Ja“ zu einem gemeinsamen Leben zu sage und dieses „Ja“ unter Gottes Segen zu stellen. Dafür brauchte es nicht viel Geld und keiner der Gäste hat sich je beschwert, dass es keine Stuhl-Hussen gab, dass die Deko ein wenig zusammengewürfelt war oder dass der ein oder andere Gast Kuchen mitbringen musste.

Hand in Hand durch stürmische Zeiten

Dass eine Ehe zu führen nicht immer einfach ist und dass man nicht jeden Tag gut miteinander auskommt, scheint für die meisten jungen Leute nicht in der Vorstellung von Ehe enthalten zu sein. Die wichtigen Dinge des Lebens, wie Zusammenhalt, Loyalität, Kompromissbereitschaft, Vergebung und Empathie habe ich noch nie so intensiv erlebt, wie in den vergangenen drei Ehejahren. Mein Mann und ich führen keine perfekte Beziehung, wir verstehen uns auch nicht jeden Tag gleich gut, aber wir sind durch das Band der Ehe fest verbunden. Ich kann darauf vertrauen, dass wir zueinander halten, auch wenn wir uns ab und zu mal streiten. Wir haben eine gemeinsame Basis, von der alle Entscheidungen ausgehen. Dieses Fundament lässt sich nicht so einfach durch Streit oder Unstimmigkeiten zerschlagen, weil wir wissen, dass der Partner sich entschieden hat, für ein gemeinsames Leben, so wie wir sind.

So hart das vielleicht klingt, ich weiß nicht, ob mein Mann und ich noch zusammen wären, wenn wir nicht geheiratet hätten. Vielleicht hätte ich in Krisenzeiten einfach aufgegeben und den leichteren Weg der Trennung gewählt, wenn es die gemeinsame Basis nicht gegeben hätte. Umso schöner ist es doch zu sehen, das man viele Krisen oder Streits auch als Ehepaar überwinden kann.

Doch dieses Verständnis von Ehe ist, meiner Erfahrung nach, in unserer Gesellschaft verloren gegangen. Der Drang nach Perfektion und Vollkommenheit in allen Lebensbereichen ist groß, sodass die Entscheidung für eine verbindliche Partnerschaft schwer fällt. Ständig muss alles abgewogen und bewertet werden, damit man den perfekten Zeitpunkt oder das perfekte Alter nicht verpasst. Doch die Menschen sind nicht vollkommen. Ist es nicht viel einfacher nicht perfekt sein zu müssen? Die Gewissheit, dass man nicht alles richtig machen muss, um geliebt zu werden. Das Gott mir jemanden an die Seite stellt, mit dem ich mein Leben leben darf, so wie es eben kommt. Das ist für mich Ehe.

Eine richtige Entscheidung

Zum Glück standen unsere Familien immer voll hinter uns und freuten sich mit uns über die Entscheidung zu heiraten. Wir waren beide 23 Jahre alt und die Hochzeit war der schönste Tag unseres Lebens, weil wir unsere Liebe zueinander feierten. Ich glaube es wäre ganz egal gewesen, wie dieser Tag verlaufen wäre. Es war etwas ganz besonderes „Ja“ zueinander zu sagen. Auch wenn es den ganzen Tag geregnet hat (und das im Hochsommer), die Eisbombe schon halb geschmolzen war und der Standesbeamte mich mit Daniel anstatt David verheiraten wollte. Wenn ich mich an meine Hochzeit erinnere, dann habe ich immer ein Gefühl von Geborgenheit. Wir müssen unser Leben jetzt nicht mehr alleine bewältigen, wir haben jemanden zur Seite gestellt bekommen, mit dem wir durch Leben gehen dürfen.

Doch auch nach diesem Fest muss ich mich noch oft rechtfertigen. Die Frage nach meinem Alter ist allgegenwärtig, noch viel häufiger seit unsere Tochter auf der Welt ist. Fast niemand, der uns als Paar oder als Familie sieht, geht davon aus, dass wir verheiratet sind. Am häufigsten tauchen  die Fragen in meinem beruflichen Umfeld auf. Oft finde ich diese ganzen Erklärungen lästig, manchmal macht es mich aber auch stolz diesen Weg gegangen zu sein.

Insgesamt bin ich froh in jungen Jahren das Leben von dieser spannenden Seite kennenlernen zu dürfen. Wenn ich 10 Jahre lang darüber nachgedacht hätte, ob Heiraten die richtige Entscheidung ist oder ob David wirklich der richtige Mann ist, ich hätte vermutlich die eigentliche Bedeutung von Ehe aus den Augen verloren. Ich habe letztlich auf mein Gefühl gehört und hatte keine Angst vor falschen Entscheidungen, denn ich lebe in dem Vertrauen, dass mein Leben nicht allein in meiner Hand liegt, sondern dass es einen Gott gibt, der am Ende alles gut werden lässt. Auch eine Ehe, die mit Anfang 20 beginnt.

 

Annabell Meyer ist seit 3 Jahren verheiratet und lebt mit ihrem Mann und ihrer Tochter in Essen.

 

Weitere Beiträge zu diesem Thema sind in der Family 1/2018 zu lesen.

HPV-Impfung: Ja oder Nein?

„Der Kinderarzt hat unserer Tochter (12) kürzlich die Impfung gegen Humane Papillomviren empfohlen. Nun bin ich unsicher, ob ich sie wirklich impfen lassen soll.“

Jede Impfung kann potenziell Nebenwirkungen haben, die in seltenen Fällen auch sehr schwerwiegend sein können. Deshalb sollten Nutzen und Risiko einer Impfung immer gut abgewogen werden. HPV (Humane Papillomviren) werden hauptsächlich sexuell übertragen. Die frühe Aufnahme von Geschlechtsverkehr sowie häufig wechselnde Sexualpartner führen mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einer Infektion mit dem Virus. Deshalb lautet die Empfehlung der ständigen Impfkommission in Deutschland, dass jedes Mädchen von 9-14 Jahren geimpft werden soll, da die Impfung vor dem ersten Geschlechtsverkehr abgeschlossen sein sollte (in der Schweiz gibt es eine ähnliche Empfehlung). Bis zum 18. Lebensjahr ist eine Nachholimpfung empfohlen und wird auch von den Krankenkassen bezahlt, allerdings sind dann drei Impfdosen statt zwei erforderlich.

SCHUTZ
Man kann nicht direkt gegen Gebärmutterhalskrebs impfen, sondern gegen zwei bis neun HPV-Typen. Diese sind in 70 bis 90 Prozent der Fälle für die Entwicklung unter anderem des Gebärmutterhalskrebses und dessen Vorstufen verantwortlich. Auch seltene Krebsarten wie Vaginal-, Vulva- und Analkrebs sowie unangenehme Genitalwarzen können durch HPV entstehen. Das Virus kann durch kleine Verletzungen in die Haut eindringen und dort Zellen infizieren. Oft heilt die Infektion spontan aus, infizierte Zellen können jedoch auch langsam zu krankhaften Veränderungen wachsen. Diese sind zu Beginn noch nicht sichtbar, können aber durch den PAP-Abstrich bei der Frauenärztin erkannt werden. Solche Veränderungen können sich auch von selbst zurückbilden oder entfernt werden. Wenn nicht, können hochgradige Veränderungen und invasiver Krebs entstehen. Jährlich erkranken daran in Deutschland ca. 4.600 Frauen, Todesfälle gibt es etwa 1.400 (wobei die Statistik nicht zeigt, wie viele durch Vorsorge vermeidbar gewesen wären).

KRITISCHE STIMMEN
Es gibt Kritik an der Impfung, unter anderem die noch viel zu kurze Nachbeobachtungszeit. Die Hersteller gehen zwar von einem anhaltenden Schutz aus, Studien umfassten bisher jedoch nur einen Zeitraum von fünf bis zehn Jahren und können nicht abschließend beantworten, ob nach längerer Zeit wirklich noch ein Schutz besteht. Auch die Impfung kann nicht mit Sicherheit vor Gebärmutterhalskrebs schützen. Deshalb besprechen Sie neben Pro und Contra der Impfung unbedingt mit Ihrer Tochter, wie Gebärmutterhalskrebs entsteht und wie sie selbst Verantwortung für ihren Körper und ihre Gesundheit übernehmen kann. Dazu gehört:

  • keine wechselnden Geschlechtspartner (verringert die Möglichkeit einer Infektion drastisch)
  • zumindest konsequente Verwendung von Kondomen bei wechselnden Geschlechtspartnern (Verringerung der Übertragungswahrscheinlichkeit)
  • die jährliche Vorsorge bei der Frauenärztin (eventuelle Krebsvorstufen können erkannt und behandelt werden)
  • wenn möglich, keine hormonelle Verhütung (diese erhöht etwas das Krebsrisiko)
  • gesunder Lebensstil, gesunde Ernährung, nicht rauchen etc. als Basis für ein funktionierendes Immunsystem (bessere Chancen für spontanes Ausheilen einer Infektion)

 

Dr. med. Katrin Kämmerzell ist Ärztin in Weiterbildung für Gynäkologie und Geburtshilfe und arbeitet zurzeit in einer gynäkologischen Praxis. Sie ist verheiratet und hat zwei Kinder.

Warten mit Mehrwert

Warum gerade die Herausforderungen und Schwierigkeiten des Elternseins segensreich sein können.

Ein Zahnarztbesuch steht an. Im Wartezimmer blättere ich in einem bunten Magazin und lese mich in einer Reportage fest. Diese Lebensgeschichte fasziniert mich. Eine Frau erzählt: Früher sei sie zurückhaltend und schüchtern gewesen, habe sich wenig zugetraut. Dann wurde ihr Sohn geboren. Er war ein besonderes Kind mit einer geistigen und körperlichen Behinderung. Und sie spürte, dass dieses Kind es brauchen würde, dass sie Rückgrat beweist, dass sie sich in den Gegenwind stellt und für seine Bedürfnisse kämpft. So kam es auch. Sie setzte sich für ihren Sohn ein und erreichte viel mehr, als sie erwartet hätte. Sie lernte, den Mund aufzumachen, sie wurde mutig und schaffte es, aus sich heraus zu gehen. Als ihr Kind mit 16 Jahren starb, war sie nicht mehr dieselbe Frau wie vorher. Nach einer Zeit der Trauer begann sie, ihre neu gewonnenen Fähigkeiten für andere einzusetzen. Inzwischen engagiert sie sich in einem Kinderhospiz. Sie begleitet Kinder und Eltern durch leidvolle Zeiten. Sie tritt als Clownin für kranke Kinder auf, um sie zum Lachen zu bringen und ihnen zu Lebensmut zu verhelfen. Heute, so fasst sie es zusammen, ist ihr Leben erfüllter, und sie ist viel mehr sie selbst als vor der Geburt ihres Sohnes. Ich finde dieses Beispiel tief berührend. Und ich denke, es kann allen Eltern Mut machen. „Der höchste Lohn für unsere Bemühungen ist nicht das, was wir dafür bekommen, sondern das, was wir dadurch werden.“ Diese Erkenntnis von John Rushkin gilt besonders für alle Mühe und Liebe, die Eltern in ihre Kinder investieren. Nicht alle Familien haben eine so große Hürde wie die Behinderung eines Kindes zu bewältigen. Aber jedes Kind bringt individuelle Herausforderungen für seine Eltern mit. Und gerade sie sind es, die uns herausfordern, das zu entfalten, was in uns steckt. Wir Mütter und Väter haben zum Beispiel Geduld zu lernen, Gelassenheit, Verständnis. Wir sind gefordert, uns gegen Widerstände durchzusetzen, für unsere Ziele und Werte zu kämpfen. Vielleicht müssen wir lernen, Grenzen zu ziehen oder Grenzen zu akzeptieren, die uns und unseren Kindern gesetzt sind. Nicht selten sind es gerade die Charakterzüge an unserem Kind, die wir uns nicht ausgesucht hätten, oder Probleme, denen wir lieber ausgewichen wären, die das Potenzial haben, unser Leben reicher zu machen. Gerade sie können dazu beitragen, dass wir als Eltern am inneren Menschen wachsen. Sie tun es nicht automatisch. Ob es gelingt, hat damit zu tun, wie wir uns ihnen stellen. Und mit dem heilsamen und herausfordernden Wirken Gottes in unserem Leben. Dieses Geheimnis bringt Paulus in der Bibel einmal so auf den Punkt: „Wir wissen ja, dass für die, die Gott lieb haben, alle Lebensumstände am Ende zum Guten zusammenwirken“ (Römer 8,28). Wenn wir im Vertrauen auf Gott durch Nöte und Leidenspunkte in unserer Familiengeschichte nicht hart und bitter werden, sondern in Lebensweisheit wachsen und zu reifen, liebesfähigen Persönlichkeiten werden, dann ist das ein Wunder im Alltag, in dem wir den Segen Gottes spüren.

 

 

Ingrid Jope ist Theologin und Sozialpädagogin. Sie lebt mit ihrer Familie in Wetter/Ruhr.

Seuchenalarm

ALLES JUCKT

Durch eine beiläufig gestellte Diagnose gerät Familie Hullen in einen Ausnahmezustand, den Katharina eigentlich nicht gebraucht hätte.

Katharina: Es ist Freitagnachmittag. Heute gab es einen Elternbrief, in dem über einen Krätzmilbenbefall bei einem Kind der Schule berichtet wird. Dazu eine To-do-Liste, sollte man selbst jemals davon betroffen sein. Da unser Jüngster heute noch geimpft werden soll, kommt unsere Kinderärztin, die in der Nachbarschaft wohnt, netterweise bei uns vorbei. Wir kommen ins Gespräch über diesen Krätzebrief und unsere Zwillinge zeigen ihr der Form halber die seit Tagen juckenden Stellen unter dem Arm und am Rücken. Die Ärztin schaut kurz auf die Stellen, dann mitleidig zu mir und sagt: „Ja, das sieht nach Krätzmilbe aus! Aber ist noch nicht viel.“ Worte sind mächtig! Denn was diese zwei Sätze auslösen, wünsche ich niemandem. Ich flitze in die nächste Apotheke, um die Großfamilienpackung Krätzecreme zu kaufen. Zu Hause stellt sich heraus, dass die Hälfte der Familie diese Creme überhaupt nicht benutzen darf, weil zu jung, stillend oder zu Krampfanfällen neigend. Inzwischen sind bereits alle Betten abgezogen, alle Kissen, Decken, Kuscheltiere in einem Plastiksäcke-Gebirge im Keller aufgetürmt, alle Böden und Polster abgesaugt. Sämtliche Wäsche muss bei mindestens 60 Grad gewaschen werden, Betten täglich zwei Wochen lang frisch bezogen und Handtücher zweimal täglich gewechselt werden. Es ist nicht so, als wäre ein 7-Personen-Haushalt nicht ohnehin schon wäschereich. Mir stehen buchstäblich die Haare zu Berge. Alles juckt plötzlich. So wie bei Ihnen gerade in diesem Moment. Aber es gibt ja auch noch dieses Creme-Problem. Die Kinderärztin können wir an dem Abend nicht mehr erreichen. So rufen wir eine Freundin an, die ebenfalls Kinderärztin im Duisburger Norden ist, und sich bestens mit Krätze auskennt. Sie empfiehlt uns sofort ein Mittel, das für uns alle geeignet und schneller wirksam ist. Die Notfallapotheke hat sogar genug vorrätig und so vercremen wir noch am späten Abend die ganze Herde. Derweil laufen unsere Waschmaschine und der Trockner auf Hochtouren. Insgesamt jagen wir 30 (!) Ladungen an diesem Wochenende durch die Maschine. Die Kinder sind nun Profis im Bettenbeziehen und somit zu 100% klassenfahrttauglich. Es kommt aber noch schlimmer. Eine Woche zuvor habe ich meinen 40. Geburtstag mit 50 Leuten gefeiert, davon knapp 30 Kinder. Bei Krätzebefall muss man alle informieren, die in den letzten vier Wochen engeren Kontakt zu dir hatten. Also erst mal eine Infomail an alle Gäste. Vorsichtshalber. Arrrgh! Montags gehen wir alle zur Notfallsprechstunde beim Hautarzt, der uns entseucht-schreiben sollte, damit alle wieder in Schule und Kiga gehen können. Ein kurzer Blick auf die betroffenen Hautstellen, und sein Urteil steht: Das ist und war auf keinen Fall Krätze. Allenfalls Neurodermitis. Wir gehen leicht verstört, aber erleichtert nach Hause. Immerhin können wir unsere Freunde entwarnen und genießen ein paar Tage lang den Zustand einer völlig entwesten Wohnung. Jemandem die Krätze an den Hals zu wünschen, ist echt gemein!

 

Katharina Hullen (Jahrgang 1977) ist Bankkauffrau und Dolmetscherin für Gebärdensprache in Elternzeit. Sie und Ehemann Hauke haben fünf quirlige Kinder und leben in Duisburg. Gemeinsam bilden die beiden das Kirchenkabarett „Budenzauber“.

 

GHOSTBUSTER

Hauke Hullen stürzt sich mit viel Leidenschaft in die Schädlingsbekämpfung.

Hauke: Schnee-Chaos, Überschwemmung, Stromausfall – herrlich! Wer kennt nicht dieses wohlige Gefühl, das einen mitten in der Katastrophe befällt? So produziert der Wintereinbruch stets eine warme Welle von Solidarität: Beim Scheibenkratzen nickt man dem Nachbarn nicht nur beiläufig zu, sondern tauscht mit dem Leidensgenossen ein paar freundliche Worte; nebenan helfen wildfremde Passanten bereitwillig, entsaftete Autos anzuschieben, und im Büro hat jeder eine spannende Geschichte zu erzählen, wie er der Winterhölle entkommen konnte. Und alle, wirkliche alle fühlen sich verbunden im Überlebenskampf der Spezies Mensch gegen die Naturgewalt! Die letzte Naturgewalt, die durch unsere Wohnung stob, war die Diagnose der Kinderärztin am Freitag: „Ja, das ist Krätze!“ Krätze! Dieses Wort kannte ich bislang nur aus historischen Romanen über das Mittelalter. Schnell steht fest, dass im Gegensatz zu anderen Katastrophen keine echte Bedrohung für Leib, Leben oder Konto besteht. Es ist nicht wirklich gefährlich, sondern nur ein bisschen gruselig, so wie ein Kinofilm, wo man sich im Schutz der Sessel gerne auf fiktive Monster, Mörder und Meteore einlässt. Daher verspüre ich eine tatendurstige Packen-wir-es-an-Stimmung: Krätze? Kleinigkeit! Meine Frau hat hingegen so überhaupt gar keine Lust auf diese Art von – Achtung, Wortwitz! – Nervenkitzel und fährt erst mal shoppen. In die Apotheke. Inzwischen streife ich mit den Kindern durch die Wohnung. Das Hullensche Ghostbuster-Team macht kurzen Prozess mit allem, was auch nur entfernt nach Textilien aussieht. Der Wäscheberg im Flur erreicht beachtliche Höhen. Eine Wohnung schön einzurichten ist sicherlich eine befriedigende Angelegenheit, alles wieder auseinanderzureißen aber auch! Vandalismus für einen guten Zweck – was für ein Spaß! Auch das weitere Krisenmanagement ist spannend wie ein Thriller: Die Salbe aus der Apotheke ist riskant, es folgen Telefonate mit der Giftnotrufzentrale, eine andere befreundete Kinderärztin wird angerufen, anschließend die Notfallapotheke, ob das alternative Mittel in ausreichenden Mengen vorrätig ist. Im Netz mache ich mich derweil über die zwei Zentimeter langen Fressgänge der Milben schlau und wie man sie unter der Haut erkennen kann. Dann wird die ganze Meute duschen geschickt. Aus der Apotheke kommt ein Sammelsurium von Tuben. Die Knobelaufgabe besteht nun darin, aus diversen Packungsgrößen exakt die Grammzahlen zusammenzustellen, die jeder von uns je nach Alter auftragen muss. Danach ist der Krieg zwar noch nicht gewonnen, aber die erste Schlacht erfolgreich geschlagen. Am Sonntag regen sich bei mir die ersten Zweifel, ob das ständige Waschen auf Dauer vielleicht doch nicht so aufregend sein könnte, die Moral der Truppe sinkt. Als der Hautarzt uns dann am Montag für porentief rein befindet, bin ich dann doch ein wenig erleichtert. Katastrophen machen nur Spaß, wenn sie maximal zwei Tage dauern!

 

 

Hauke Hullen (Jahrgang 1974) ist Lehrer für Deutsch und Sozialwissenschaften. Er und Ehefrau Katharina haben fünf quirlige Kinder und leben in Duisburg. Gemeinsam bilden die beiden das Kirchenkabarett „Budenzauber“.

Hoch, runter, drüber, drunter

„Wie kann ich in meiner kleinen Wohnung dem Bewegungsdrang meines Kindes gerecht werden?“

Das Kinderzimmer ist der perfekte Ort, da es das eigene Reich der Kinder ist. Das Kind soll sich darin wohlfühlen und seine Bedürfnisse nach Bewegung, Spiel, Rückzug und Selbsttätigkeit stillen können. Um dem gerecht zu werden, bietet es sich an, den zur Verfügung stehenden Raum auf die kindlichen Bedürfnisse anzupassen.

UMRÄUMEN
Wie bei jeder Neugestaltung wird erstmal gemeinsam „Inventur“ gemacht. Womit spielt/lernt das Kind noch, womit nicht? Für was ist es zu alt? Ist etwas kaputt? Kann Spielzeug ausgelagert werden? Sind diese Fragen geklärt, empfehle ich, das Zimmer komplett leer zu räumen und dann neu einzurichten. In kleinen Räumen ist es wichtig, jeden Quadratzentimeter ideal zu nutzten. Hochbetten sind eine gute Lösung, denn sie sind Multifunktionsmöbel. Unter ihnen kann eine Spiel- oder Kuschelecke, der Schreibtisch oder der Kleiderschrank eingerichtet werden. Die Seitenteile können als Regale oder Ablagen genutzt werden. Um dem Bewegungsdrang der Kinder Freiräume zu schaffen, sollte möglichst viel Bodenfläche frei sein. Regale sollten entweder an der Wand hängen oder so stabil sein, dass sie bestiegen und bespielt werden können. Es ist nicht sinnvoll, einen Spieletisch mitten ins Zimmer zu stellen. Verwenden Sie lieber robuste Hängeregale in verschiedensten Ausführungen, um Ihrem Kind das Spielen im ganzen Zimmer zu ermöglichen. Somit fördern Sie Kreativität, Orientierungsvermögen und Raum-Lage- Kompetenz, wenn zum Beispiel das Spielzeugauto in der Hand durch das ganze Zimmer, hoch, runter, drüber und drunter fährt. Wenn der Kleiderschrank nicht unter dem Hochbett eingerichtet wird, können Hängeregale einen Meter unter der Decke angebracht werden und dienen als Kleiderablage. Mit Treppenregalen können die Kinder leicht selbst an die Kleider kommen und haben gleichzeitig Bewegung! Mit Schmirgelpapierstreifen macht man die Stufen rutschfest. Die Treppenregale sind ihrerseits wiederum Stauraum für Spielzeug oder Kleidung.

WENIGER REGELN, MEHR SPASS
Bei kleinen Zimmern ist es wichtig, dass die Kinder nicht noch durch zu viele Regeln eingeschränkt sind, das frustriert unnötig. Überlegen Sie genau, welche Regeln sein müssen und stellen Sie auch nur diese auf! Im Kinderzimmer sind empfindliche Oberflächen fehl am Platz. Sie müssen widerstandsfähig sein. So ermöglichen Sie dem Kind, sein ganzes Zimmer zum Spielen zu nutzen. Die Autos können auf dem Regal fahren, aufgebautes Spielzeug darf dort stehenbleiben! Und der Boden ist zum Toben immer noch frei! Dieser sollte mit einem Teppich ausgelegt sein, als Wohlfühlfaktor, als Fallschutz und als Schallschutz. Er ist rutschsicher und ermöglicht es den Kindern, auf Strümpfen im Kinderzimmer zu spielen, was wiederum förderlich für die Fußgesundheit und die Sinneswahrnehmung ist. Es nimmt etwas Zeit, Arbeit und vielleicht auch Geld in Anspruch, aber es steigert die Ausgeglichenheit Ihres Kindes!

Anika Sohn ist Erzieherin und bietet Bewegungs-Kurse für Eltern und Kinder an: familiebewegt. de. Sie lebt in Neuhofen (Pfalz).

Wenn gut nicht gut genug ist

Die Perfektionismus-Falle schnappt immer häufiger zu. Warum ist das so? Und wie kann man sich daraus befreien?

Unser Garten macht mich nervös, weil er „wilder“ aussieht als die gepflegten Gärten unserer Nachbarn. Die Staubmäuse unter dem Sofa muss ich noch wegsaugen, bevor meine Schwiegereltern da sind. Die Muffins für das Schulfest backe ich heute Abend selbst, weil niemand mit gekauften Sachen aufkreuzt. Viel zu oft überkommt es mich: Alles muss perfekt sein. Und das stresst mich. Ich habe dann keine Zeit, eine Pause einzulegen, mich entspannt mit meinen Kindern zu beschäftigen oder andere, schönere Dinge zu tun, weil ich so hohe Ansprüche an mich selbst stelle. Vor allem möchte ich vor anderen den Eindruck vermitteln, dass bei mir alles perfekt läuft. Und ich entdecke den zwanghaften Wunsch, alles perfekt machen zu wollen bei vielen Menschen meiner Generation: Wohnung, Job, Ehe, Kinder. Alles perfekt durchgestylt.

Ist Mittelmaß besser?
Zwei Drittel der Menschen haben – in unterschiedlichen Ausprägungen – perfektionistische Tendenzen. Ungefähr die Hälfte davon lässt sich als „funktionale Perfektionisten“ bezeichnen. Der funktionale Perfektionismus ist die gesunde Variante. Ich würde mich in diese Kategorie einordnen. Mittlerweile müssen die Staubmäuse nicht mehr ausziehen, wenn sich die Mutter meines Mannes ankündigt. Nur die Muffins backe ich noch selbst. Ich will zwar richtig gut sein in dem, was ich tue, habe aber keine Angst, auch mal einen Fehler zu machen. Passiert mir ein solcher, stelle ich mich und meine Fähigkeiten nicht in Frage. Meistens merke ich rechtzeitig, wenn ich übertreibe und eine Erholungspause brauche. Perfektionismus ist nicht grundsätzlich etwas Schlechtes. Ich möchte nicht von einem Chirurgen operiert werden, der in seinem Beruf das Mittelmaß okay findet. Es gibt aber auch den „dysfunktionalen Perfektionismus“. Menschen, die an diesem ungesunden Perfektionismus leiden, setzen sich unerreichbare Standards für alles, was sie tun. Für dysfunktionale Perfektionisten ist es nicht vorstellbar, dass man geliebt wird, wenn man keine perfekte Leistung bringt. Wenn sie einen Fehler machen, geben sie sich selbst die Schuld. Sie zweifeln an sich und ihrer Leistungsfähigkeit. Folglich geben sie immer mehr, und am Ende sind sie ausgebrannt.

Höhere Anforderungen
Warum wird der Perfektionismus zusehends zum Problem für viele Menschen? Wir sind nicht unbedingt perfektionistischer als unsere Eltern und Großeltern, aber die Anforderungen haben sich gewandelt. „Früher hatte ein Mann perfekt im Beruf zu sein und eine Frau perfekt im Haushalt. Er draußen, sie drinnen. Heute müssen alle überall perfekt sein“, schreibt Florentine Fritzen in ihrem Buch „Plus minus 30. Oder die Suche nach dem perfekten Leben“. Wir befinden uns auf Rollensuche und im Rollenstress: fürsorgliche Mutter, gut ausgebildete Karrierefrau, gleichberechtigte und gleichzeitig aufregende Ehefrau, aufmerksame Freundin und ordentliche Haushälterin. Für die Männer ist es nicht einfacher: Versorger und Ernährer der Familie, engagierter Vater, unterstützender Ehemann. In allen Rollen haben wir den Anspruch an uns, perfekt zu sein. Es mangelt aber an Rollenvorbildern, die uns zeigen, wie wir das gemanagt bekommen. Wo klar definierte Standards fehlen und gleichzeitig viele verschiedene Erwartungen an uns gestellt werden, kommt schnell Unsicherheit und Angst auf, etwas falsch zu machen. Man will einfach alle Erwartungen erfüllen und perfekt sein. Und das kann fast nur scheitern.

Oasen des Perfektionismus
Doch was mache ich, damit mir mein Streben nach Perfektion nicht zu viel wird? Ich habe mir bewusst einige Wege aus dem Streben nach Perfektion gesucht: Ich nehme mir Auszeiten zum Durchatmen. Unser Körper und unser Geist brauchen Pausen, um Kraft zu tanken. Im Kleinen reichen da verschiedene Entspannungstechniken „für zwischendurch“: zurücklehnen, kurz die Augen schließen, vielleicht etwas Lieblingsmusik hören. Für längere Pausen kann man sich ein Hobby suchen, das entspannt. Aber Vorsicht! Das Hobby soll der Entspannung dienen und nicht zusätzlich Druck aufbauen, perfekt zu sein. Deshalb habe ich mir „Oasen des Perfektionismus“ geschaffen. Ich habe mir regelrecht antrainiert, nicht überall perfekt zu sein: Meinen Unterricht bereite ich perfekt und detailliert vor – für meine Steuererklärung suche ich jedes Jahr die Unterlagen wieder mühsam zusammen. In meinem Bücherregal herrscht Ordnung – in meinen Kleiderschrank nicht. Ich höre auf mein Bauchgefühl, vor allem da, wo Standards fehlen, zum Beispiel bei der Erziehung meiner K inder. Ich versuche, m ich n icht mehr von dem, was man hört oder liest, verunsichern zu lassen, sondern vertraue vor allem auf meinen Instinkt.

Mehr Ehrlichkeit
Außerdem versuche ich, ehrlich zu sein. Eine Freundin hat mir erzählt, dass sie nicht zu Krabbelgruppen geht. Sie fühle sich dort schlecht, weil alle anderen Mütter ihren Alltag problemlos zu meistern scheinen. Aber wenn nicht in so einer Gruppe, wo sonst könnte man ehrlich sagen: „Ich gehe gerade auf dem Zahnfleisch! Mein Kind schläft schlecht und ich bin total übermüdet!“ Ich wette, wenn eine der Mamas damit anfängt, platzt es auch aus den anderen heraus. Das gilt auch, wenn die Kinder schon groß sind: „Mein Sohn hat die Ausbildung abgebrochen.“ – „Ach tatsächlich? Meiner hat das Studium geschmissen …“ Mein bester Weg aus der Perfektionismus-Falle ist allerdings mein Vertrauen auf Gott. Denn er liebt mich genau so wie ich bin, mit all meinen Fehlern. Wenn ich mir bewusst mache, dass ich vor Gott Fehler machen darf, dass es ihm egal ist, was andere von mir denken, nimmt mir das den Druck. Da darf das Unkraut im Vorgarten auch mal etwas mehr sprießen.

Tanja H. ist in der Erwachsenenbildung tätig und lebt mit ihrer Familie in Norddeutschland.

Zeterzank

„Meine Kinder (5 und 3) streiten sehr oft. Mehrmals am Tag gehe ich dazwischen, damit sie sich nicht gegenseitig verletzen. Aber sollte ich eigentlich eingreifen?“

Kinder erleben das Streiten und Rangeln als Teil ihres Alltags und lernen dabei sehr viel. Sie lernen, wie es ist, mit einer Idee nicht durchzukommen. Im Kräftemessen werden sie erfinderisch und entwickeln Strategien, mit Erfolgen und Niederlagen umzugehen. Greifen Eltern zu oft ein, werden Kinder der Möglichkeit beraubt, eine Idee zur Lösung zu finden. Mischen Eltern sich häufig ein, kann beim Kind sogar das Gefühl entstehen, Streitereien nicht selbst regeln zu können und immer einen Fürsprecher zu benötigen. Das Eingreifen der Eltern hat aber auch noch eine andere Dimension: Der Streit besteht nicht erst ab Heulen und Schreien, sondern entwickelt sich aus Missverständnissen, Egoismus, Wut, der persönlichen Tagesform oder kleinen Gesten und Situationen. Tritt ein Elternteil in dieses Geschehen ein, ist es schwierig zu erfassen, wer Trost und wer eine Ermahnung braucht – ein ungerechtes Urteil kann die Folge sein.

BEOBACHTEN
Eltern sind gut damit beraten, sich ihre Kinder im Streit bewusst anzusehen und wahrzunehmen, ob wiederkehrende Muster auftreten. Ist zum Beispiel ein Kind wütend und empört, weil ein anderes mitspielen wollte und verleiht seiner Empörung lautstark Ausdruck, könnte es gut sein, den Mitspieler zur Seite zu nehmen und zu erklären: „Er wollte so gern allein spielen!“ Sollte dies zur Regel werden, ist es notwendig, sich mit dem Einzelspieler auseinanderzusetzen, um ihm zu helfen, sich auf andere einzustellen. Sind in einer Geschwister- oder Freundeskonstellation beide Kinder mal die Nachgebenden und die Durchsetzungsstarken, dürfen Eltern sich aus den ungemütlichen Situationen heraushalten – egal, wie lautstark es wird.

EINGREIFEN?
Eingreifen wird dann nötig, wenn ein Kind in Gefahr steht, verletzt zu werden. Eine Rangelei um ein Haargummi oben auf einer hohen Rutsche ist keine entwicklungsfördernde, sondern eine gefährliche Situation. Kneifen, kratzen, schubsen kann nach einem Konflikt als unpassend erklärt werden, wenn Kinder beißen oder würgen, müssen Eltern deutliche Zeichen setzen. Je jünger die Kinder sind, umso mehr dürfen die Streitereien mit Ritualen eingeübt werden: das Auto, um das man sich „kloppt“, kommt auf den Schrank. Beide suchen sich etwas Neues. Wichtig – auch für spätere Zusammenstöße aller Art: Es ist nicht immer der Gleiche „schuld“ und damit auch auf keinen Fall der Mensch „doof“. Eltern dürfen Vorbild sein, indem sie bei beiden Kindern nachfragen: „Alles ok?“ „Habe ich dich richtig verstanden? Du möchtest, so gern mit dem Bagger spielen?“ Dabei ist es erlaubt, zornig und ärgerlich zu werden und sich zu streiten. Eingreifen bei Streit: so wenig wie möglich. Bei jüngeren ganz konkret, um Verletzungen zu vermeiden. Bei älteren Kindern besonders, um Streit mit allen wiederstreitenden Gefühlen zu verstehen.

Stefanie Diekmann ist Diplom-Pädagogin und lebt mit ihrem Mann und ihren drei Kindern in Ingelheim am Rhein.

„Wie leises Gift…“

Andere meinen, wir seien eine richtige „Vorzeigefamilie“: Wir haben ein schönes, selbst renoviertes Haus mit Garten, Hund und Kater. Eine gute Ehe und zwei Töchter (17 und 19), die fleißig lernen. Alle vier sind wir in eine lebendige Kirchengemeinde integriert und übernehmen jeweils kleinere Ehrenämter. Doch dieses Bilderbuchidyll bekam einen Riss, als unsere Jüngste vor vier Jahren nach einer ärztlichen Untersuchung ihr Gewicht zu hoch fand und eine Diät begann …

ZURÜCKGEZOGEN
Nach einem halben Jahr sprach eine Freundin mich an, dass Anneli (Name geändert) so abgenommen habe. Sie sagte, ich solle mal genauer hinschauen. Nicht dass sie noch eine Essstörung bekommt. Anneli verzichtete zu dieser Zeit total auf Süßes und joggte regelmäßig. Ich fand es gut, dass sie plötzlich Sport machte. Doch ich merkte, dass sie immer schmaler und stiller und unglücklicher wurde. Ich sprach sie auf ihr Essverhalten an. Sie meinte, dass sie gewisse Dinge nicht mehr essen könne. Nach und nach verweigerte sie immer mehr. Sie aß nun weder Eis noch Kuchen, mochte keine Schokolade oder Limo mehr! Dazu kam, dass sie sich immer mehr zurückzog. Sie bekam keine Besuche von Freundinnen mehr, wollte sich mit niemandem verabreden. Ein paar Monate zuvor war sie die Lebhafteste in unserer Familie gewesen. Unser Haus war oft voll mit ihren Freunden. Doch nun wirkte sie traurig, war in sich gekehrt und bekam keine Besuche mehr. Nach einigen Gesprächen willigte sie schließlich ein, mit mir zu einer Ernährungsberatung zu gehen. Sie hörte aufmerksam zu und nickte, konnte aber keinen der gut gemeinten Tipps umsetzen. Stattdessen aß sie immer weniger und nahm ständig ab. Wir gingen zum Arzt, informierten uns im Internet und hatten schließlich die Diagnose: Anorexia nervosa – Magersucht!

TRAURIGER GEBURTSTAG
Anneli begann eine ambulante Therapie. Wir wussten, dass es auch Kliniken gibt, die diese Krankheit stationär behandeln. Doch in meinem Kopf sperrte sich alles gegen einen Klinikaufenthalt. Dort konnte man frühestens mit 14 Jahren hin. „Davon sind wir weit entfernt“, dachte ich. Annelis 14. Geburtstag war ein trauriger Tag: Sie war freudlos und depressiv und wog nur noch 34 Kilo. Der Arzt wollte sie in eine Klinik einweisen. Ich heulte, denn das wollte ich auf keinen Fall. Wir versuchten immer wieder, Anneli zum Essen zu bringen: mit Liebe und Zuneigung, mit Gesprächen und Gebeten, mit Strenge … Nichts half! Als sie nur noch 31 Kilo wog, musste sie ins Krankenhaus. Sie kam auf die Kinderonkologie. Ich konnte es kaum ertragen: Da sind kleine Kinder ohne Haare, die kämpfen tapfer ums Überleben, und meine Tochter isst nichts mehr! Ich weinte verzweifelt wie noch nie in meinem Leben. Ich verstand diese Krankheit nicht. „Iss doch endlich!“, dachte ich nur.

LANGE WOCHEN
Vom Krankenhaus kam Anneli direkt in eine Spezialklinik für Essgestörte. Dort konnte man sie etwas aufpäppeln und stabilisieren. Es war eine anstrengende Zeit für uns alle: Zu Hause kamen wir zu dritt zwar zurecht, aber Anneli fehlte uns sehr. An den Wochenenden mussten wir weit fahren, um sie zu besuchen. Und wir lebten mit der Angst, dass Anneli noch viele Jahre so leiden muss und vielleicht nie geheilt wird. Umso glücklicher waren wir, als sie nach 13 Wochen endlich nach Hause kam. Doch damit war die Geschichte nicht zu Ende. Wir bemühten uns sehr, alles zu tun, damit sie zu Hause wieder zurechtkam. Aber irgendetwas machten wir falsch: Innerhalb von sechs Wochen nahm sie fünf Kilo ab. Wir mussten sie wieder in eine Klinik bringen. Dort blieb sie für 16 lange Wochen. Die Magersucht ist wie leises Gift in unsere harmonische Familie getröpfelt und hat uns alle bis zur Erschöpfung gefordert. Unsere Ehe wurde stark geprüft. Wir hatten nur noch Vorwürfe und böse Worte füreinander. Unsere ältere Tochter hat sich in dieser Zeit zurückgezogen, sie war oft bei ihrem Freund und hielt sich – wie wir damals meinten – aus allem raus. Immer lebten wir zwischen Hoffen und Verzweifeln. Ständige Überlegungen quälten mich: Was mache ich falsch? Wieso trifft es uns? Es gab kein einschneidendes Erlebnis wie einen Umzug oder eine Trennung oder andere Auslöser. Deshalb klagte ich mich selbst an: Bin ich als Mutter an ihrer Erkrankung schuld?

GEMEINSAM HELFEN
Damit unsere Ehe nicht weiter leidet, sind wir irgendwann zur Eheberatung gegangen. Dort konnte man uns mit Paargesprächen nachhaltig helfen. Zusätzlich verbrachten wir eine Woche mit drei Paaren und den beiden Ehe-Therapeuten an der Ostsee. Diese intensive Ehe-Zeit hat uns gezeigt, dass wir zusammengehören und unserem Kind nur gemeinsam helfen können.Ein wichtiger Anker für mich waren Freundinnen, mit denen ich beten kann. Oft hatte ich keine Worte für Gott, nur pure Verzweiflung! Wenn ich aber wusste, die anderen beten für uns, hat mich das sehr getröstet. Auch meine Schwester ist mir in dieser harten Zeit zu einem Anker geworden. Während eines Gebets sah ich ein inneres Bild: Anneli lag fast tot auf einer Bahre. Doch dann kam Gott und hauchte ihr wieder seinen Odem, seinen göttlichen Atem ein, und Anneli öffnete ihre Augen. Ich habe mich an diesem Bild festgeklammert. Das war eine eindrückliche und intensive Verheißung. Ich vertraue darauf, dass dieses Bild von Gott kam und er mir damit versprochen hat, Anneli zu helfen.

KEIN ENDE DES TALS IN SICHT
In unserer Gemeinde behandelten wir einige Wochen lang den Psalm 23. Wir lasen dazu das gleichnamige Buch von Jörg Ahlbrecht. Als ich das Kapitel um den 4. Vers las – „Und ob ich schon wanderte im finsteren Tal, so fürchte ich kein Unglück, denn du bist bei mir“ – habe ich bitterlich geweint. Es war noch lange kein Ende des dunklen Tals in Sicht. Doch zu wissen und manchmal auch zu spüren, dass Gott neben mir geht und mich stützt, ist eine so tröstende Hoffnung, dass ich mich auch an diesem Bild festklammere. Außerdem habe ich mich über die Erkrankung informiert, habe Sachbücher und Erfahrungsberichte gelesen. Der Feind ist nicht so gefährlich, wenn man ihn kennt. Das hilft mir, zwischen Anneli und der Essstörung zu unterscheiden. Wenn sie uns wieder einmal belügt oder austrickst, weiß ich: Das ist nicht Anneli, sondern die Essstörung in ihr.

OFFENHEIT UND KLARHEIT
Ich musste lernen, alle Kontrolle über Anneli loszulassen. Ich muss vertrauen, dass die Therapeutin den richtigen Weg mit ihr geht, dass die Kliniken das Richtige tun, dass Anneli lernt, sich wieder „normal“ zu ernähren, dass sie von Gott gehalten und geliebt ist, dass ich als Mutter kaum noch Einfluss habe. Außerdem muss unsere Familie jetzt lernen, unangenehme Dinge anzusprechen und auszudiskutieren. Unser obers-tes Familiengebot ist nicht mehr Harmonie, sondern Offenheit und Klarheit. Seit ich weiß, dass diese Art der Essstörung hauptsächlich in konfliktscheuen, harmoniesüchtigen Familien vorkommt, hat das Wort Harmonie bei mir einen negativen Beigeschmack bekommen. Und eine weitere Erkenntnis möchte ich teilen: Es ist absolut sinnlos, nach dem Warum zu fragen. Diese Frage hat mich immer nur in Sackgassen und dunkle Räume geführt. Sie bringt überhaupt nichts, sie hilft nicht, sondern verbittert nur. Ich schaue lieber nach Veränderungen und stelle fest, dass ich weicher geworden bin, gnädiger und verständnisvoller für Menschen mit psychischen Erkrankungen. Unser Miteinander in der Ehe ist aufmerksamer geworden, wir können wieder lachen und lassen uns nicht zu sehr von Annelis Launen anstecken. Und wir besprechen unsere Kritik aneinander nicht im Affekt, sondern in Ehegesprächen, im geschützten Rahmen, wenn der „Dampf“ abgelassen ist. Unser Blick ist nicht mehr nur noch auf Anneli gerichtet, sondern auch auf uns und unsere große Tochter. Inzwischen wissen wir, dass sie unglaublich unter der Situation gelitten und ihre Traurigkeit vor uns verborgen hat, um uns Eltern nicht noch mehr Sorgen zu machen. Jetzt ist Anneli 17 und seit vier Jahren erkrankt. Im Schnitt dauert diese Krankheit sechs bis sieben Jahre! Wir sind noch lange nicht durch, haben aber einen Weg gefunden, uns damit zu arrangieren. Wir lernen täglich weiter: Gott zu vertrauen, Anneli das Essen zuzutrauen, wieder Pläne zu machen, das Leben zu genießen.

Die Autorin möchte anonym bleiben.

Brei war gestern

 „In unserem Freundeskreis werden kaum noch Kinder mit Brei gefüttert, stattdessen liegt Fingerfood im Trend. Was ist dran an der neuen Methode?“

Generationen von Eltern und Großeltern machten dem Nachwuchs das Essen vom Löffel mit einem Gemüse-Kartoffel-Fleisch-Brei oder einem Obst- Getreide-Brei schmackhaft. Nun soll der Löffel weg und das Baby selbst entscheiden, was und wie viel es essen möchte. – Geht das denn? Ja, behauptet die Gesundheitsberaterin Gil Rapley aus Großbritannien. Ihre These lautet: „Macht euch keinen Stress und lasst das Baby selbst entscheiden.“ Allmählich schwappt die Welle aus Großbritannien auch zu uns herüber: Eltern können austesten, wann ihr Baby Lust auf Fingerfood hat. Der Zeitpunkt richtet sich dabei nicht nach der als sinnvoll angesehenen Nährstoffergänzung, sondern allein nach dem Kind. Zum Beispiel bieten Eltern ihren Kindern ein Stück Melone (vorher die Kerne entfernen), einen gegarten Broccoli oder auch ein Stück Fleisch zum Rumknabbern an. Rapley meint, dass die Babys ein sehr gutes Gespür dafür haben, was sie wann brauchen. „Baby led weaning“ heißt diese vom Kind gesteuerte Methode.

DIE MISCHUNG MACHT’S
Doch Fingerfood und Babybrei müssen nicht zwangsläufig gegeneinander stehen. Beides zu kombinieren ist sicherlich eine gute Lösung. Beim traditionellen Brei können Eltern sicher sein, dass ihr Kind genau die Nährstoffe bekommt, die es zu diesem Zeitpunkt braucht. Zum Beispiel sollte Eisen, wichtig für Wachstum und Blutbildung, nach vier Lebensmonaten über die Nahrung zugeführt werden. Fleisch ist ein guter Eisenlieferant, aber auch Vollkorngetreide und verschiedene Gemüsesorten. Wie viel Eisen bekommt das Baby aber, wenn es an einem Fleischstück lutscht? Denn abbeißen und zerkauen kann es das mit fünf oder sieben Monaten sicher noch nicht. Kombiniert man beide Methoden, so gibt der Brei die Sicherheit einer ausgewogenen Nährstoffzusammensetzung und das Fingerfood dem Baby die Möglichkeit, sein Essen mit allen Sinnen zu genießen: Das Kind kann die Nahrung in ihrer natürlichen Form sehen, riechen, schmecken und fühlen und somit ganzheitlich erleben. Das kann eine echte Bereicherung in der Erfahrungswelt des Kindes sein. Allerdings gilt auch hier, genauso wie bei der guten alten Brotkruste, auf der schon unsere Großeltern ihre Sprösslinge herumkauen ließen: Nie das Kind damit allein lassen! Manchmal schafft das Baby es doch, selbst ohne Zähne, ein großes Stück davon abzureißen und dann kann es gefährlich werden, wenn es versucht, dieses hinunterzuschlucken.

WAS ANBIETEN?
Sticks aus gegarten Karotten, Äpfel- oder Birnenstücke, Salatgurkensticks oder Melonen-, Mango- oder Papaya- Streifen sind Köstlichkeiten für kleine Finger. Nussstücke, ganze Nüsse, Sardellen, Chips, also Scharfes, Salziges, Süßigkeiten oder Lebensmittel, die leicht verschluckt werden können, sind für Kleinkinder ungeeignet. Bei den Kleinsten gilt also genauso wie bei uns Erwachsenen: Fingerfood ist toll, aber das Essen mit Besteck hat ebenso einen Stellenwert im Rahmen der Ernährungserziehung, es gehört zur Tischkultur.

Elke Decher ist Diplom-Oecotrophologin (Ernährungswissenschaftlerin) und unterrichtet Ernährung und Hauswirtschaft, hauswirtschaftliche Versorgung und Naturwissenschaften an einem Berufskolleg.