„Nicht verboten, auf Bäume zu klettern“

Elisabeth Vollmer über ihre Sehnsucht nach einem Zuhause.

Willi Weitzel – der von „Willi will’s wissen“ – erzählt im Konzerthaus in Freiburg von seinen wilden Wegen. Die Massen strömen. 800 Kinder sitzen im großen Saal. Begleitet von ihren Eltern. Und wir. Zu zweit. Einfach nur, weil uns Willi Weitzel als Mensch und sein Reisebericht interessieren. Es ist ein beeindruckender, toller und langer Nachmittag. Die Kinder bleiben bei der Stange. Willi macht das einfach großartig. Auch ich bin fasziniert und froh, dass wir uns das gegönnt haben. Der letzte Satz von Willi klingt mir nach: „Zuhause ist dort, wo dein Herz glücklich schlägt!“ Etwas kitschigaltbacken stand dieser Spruch auf einem seiner Wege an ein Haus gepinselt. Und im Nachhall dieses Satzes spüre ich Dankbarkeit und Sehnsucht. Ich bin dankbar. Von ganzem Herzen dankbar für mein Zuhause. Und damit meine ich nicht (nur) das Haus, in dem ich lebe, oder das Haus, in dem ich aufgewachsen bin. Dankbar bin ich vor allem für die Menschen, die mir Raum geben und in deren Gegenwart mein Herz glücklich schlägt. Wo ich sein darf. Angenommen und geliebt bin. Glücklich. Und das nicht einmal vor allem, wenn ich gerade froh und unbeschwert bin. Sondern dann, wenn ich traurig, gescheitert, enttäuschend und unleidig bin. Und für die ich (hoffentlich) auch ein Stück Zuhause bin, in dem ihr Herz glücklich schlägt. Womit ich bei meiner Sehnsucht ankomme. Denn es gelingt mir viel zu selten, solch ein Zuhause zu sein. Und immer wieder bleibt auch meine Sehnsucht nach einem Zuhause in diesem Sinne ungestillt. Vermutlich ist es die Sehnsucht nach dem Zuhause in der Ewigkeit, die da in mir ruft. Und diese Sehnsucht möchte ich als Antrieb und Wegweiser nehmen, um immer mehr Zuhause in meinem Leben zu ermöglichen. Die erste Hürde, die ich dabei nehme, bin ich selbst. „Es ist alten Weibern nicht verboten, auf Bäume zu klettern“, ist von Astrid Lindgren überliefert. Wie oft stehe ich dem glücklichen Herzschlag mit ungeprüft übernommenen Dos und Don’ts im Wege. Wer sagt denn, dass Riesenrutschen im Schwimmbad nur von Eltern mit Kindern und Teenagern genutzt werden dürfen? Wer hindert mich, auf der Straße zu tanzen, wenn die Geige spielt und die Nacht zauberhaft ist? Mein Bruder hat neulich in unserer WhatsApp-Familiengruppe ein Video von meiner Mutter gepostet: schaukelnd, prustend vor Lachen. Sie ist 84 Jahre alt. Auf Bäume klettert sie nicht mehr. Aber ihr Herz schlägt glücklich, wenn sie schaukelt. Ich möchte mir und anderen erlauben, was glücklich macht. Nach dem Motto von Augustinus: „Liebe und tue, was du willst.“ Die zweite Hürde ist die Bereitschaft, mich mit „Okay“ zu versöhnen und darin glücklich zu sein. Ich habe keinen perfekten Haushalt, keinen perfekten Job, keine perfekten Kinder und keinen perfekten Mann. Das passt insofern ganz gut, als ich keine perfekte Frau bin und weder einen perfekten Körper noch einen perfekten Charakter vorweisen kann. Aber ich bin okay. Und meine Lieben und mein Leben sind es auch. Natürlich hoffe ich, dass manches sich noch zum Besseren hin entwickeln wird (also theoretisch vor allem ich, praktisch lieber alle anderen …). Aber zuerst einmal möchte ich dankbar wahrnehmen und annehmen, was mir geschenkt ist und darin mein glückliches Zuhause finden. Diese beiden Hürden habe ich für mich gerade im Blick. Es gibt weitere. Natürlich. Und auch weit mehr als drei. Aber ich habe ja mein Leben lang Zeit. Darf wachsen und wachsen lassen. Ein Zuhause geben und spüren, dass ich immer wieder zu Hause bin, wo mein Herz glücklich schlägt.

 

Elisabeth Vollmer ist Religionspädagogin und lebt mit ihrer Familie in Merzhausen bei Freiburg.

Wir müssen reden

„Wie kann ich mit meinem Teenager über Sex sprechen? Sollte ich das überhaupt tun, und was muss ich beachten?“

Sollte ich mit meinem Teenager über Sex sprechen?“ – Natürlich! „Wie gehe ich dabei vor?“ – Natürlich! Eigentlich liegt in diesem Wort schon eine klare Antwort auf diese wichtige Frage: Wer, wenn nicht wir Eltern, können mit unseren Kindern und Jugendlichen angemessen über dieses Thema reden? Unsere Kinder sind in den meisten Fällen seit dem Kindergarten bestens über die körperlichen Aspekte von Sexualität aufgeklärt. Das Meiste erfahren sie „auf der Straße“, im Kreis von Freunden und Bekannten oder im Internet. Was können wir als Eltern dann noch tun? Und warum sollten wir auch noch mit ihnen reden? Wir können unseren Kindern und Jugendlichen früh vermitteln, dass dies ein natürliches Thema ist, das wir immer gern offen mit ihnen besprechen. Eine offene Gesprächs- Atmosphäre seit Kindheitstagen ist die beste Grundlage für spätere Gespräche mit unseren Kindern. Wichtig ist, dass wir sachlich darüber reden und nicht beschämt oder ironisch oder Sexualität vielleicht sogar nur in „zweideutigen Andeutungen“ besprechen. Genauso wichtig ist es, dass wir die natürliche Schamgrenze unserer Teens beachten. Vielleicht wollen sie nicht mit uns über das Thema reden. Und meistens wollen sie auch nichts von unserem Sexualleben wissen, denn das ist Teenagern oft peinlich.

WICHTIGE THEMEN
Die körperliche Entwicklung vom Kind zum Erwachsenen, Hormone und ihre Auswirkungen, Selbstbefriedigung, Verhütung, Geschlechtsverkehr, Pornografie, Missbrauch, sexuelle Orientierungen – all das sind Themen, auf die unsere Jugendlichen Antworten suchen und brauchen. Anders als zu Kindheitstagen, wo wir diese Themen unsererseits ansprechen konnten, müssen wir bei unseren Jugendlichen die Gelegenheiten wahrnehmen, die diese uns eröffnen. Alltagssituationen lassen sich dafür nutzen: Hochzeiten, Geburten, Frauenarzttermine, Kondomwerbung im TV, AIDS-Kampagnen in den Medien. Besonders die zaghaften Fragen, Bemerkungen, Meinungen, die sie im Gespräch mit uns einstreuen, sind wertvolle Situationen, um einzuhaken. Dann sollten wir den Fernseher ausmachen, den Schlaf unterbrechen oder das Telefongespräch beenden. In diesem Alter sind es oft keine langen Gespräche, sondern kurze Momente, die uns die Möglichkeit geben, Informationen und Werte zu vermitteln.

WICHTIGE WERTE
Etwas, was bei aller organisierten Aufklärung und vielen Kampagnen in den Medien recht kurz kommt, ist die Weitergabe von Werten. Diese können wir als Eltern beim Reden über Sexualität betonen. Für uns Christen ist Sexualität ein Geschenk Gottes an jeden Menschen. Gott beurteilt die Sexualität als „sehr gut!“ (1. Mose 1, 27+31). Sexualität ist nie als Last und Frust, sondern als Freude zum sich gegenseitig Beschenken gegeben worden. Sie ist so wertvoll, dass wir sie nicht verschleudern wollen, sondern bewahren und schützen. Es ist aber auch wichtig, dass wir die Entscheidungen unserer Jugendlichen ernst nehmen. So wie sie in anderen Lebensbereichen eigene Entscheidungen treffen, können sie auch hier andere Werte haben als wir, ihre Eltern. Unsere Kinder sollten immer gewiss sein, dass wir sie bedingungslos lieben – unabhängig von ihren Werten und ihrer Lebensgestaltung. So wie Gott auch uns bedingungslos liebt.

Ekkehard Kosiol hat als Pastor und Heilpraktiker (Psychotherapie) eine Beratungspraxis für Ehe-, Familien- und Lebensberatung in Siegen. Seine sechs Kinder sind alle erwachsen, meist verheiratet, und sieben Enkelkinder sind bereits da.

„Ich rede mit dir!“

„Unserer Tochter (5) reagiert häufig nicht, wenn wir sie um etwas bitten. Oft wissen wir uns nicht anders zu helfen, als bis drei zu zählen, damit sie reagiert. Was können wir tun?“

Wenn Eltern das Gefühl haben, dass ihr Kind auf akustische Aufforderungen nicht reagiert, sollte zunächst beim Arzt abgeklärt werden, ob eine medizinische Ursache dahintersteckt. Eine akute Mittelohrentzündung oder vergrößerte Rachenmandeln können bei Kindern zu einer vorübergehenden Schwerhörigkeit führen. Die meisten Kinder sind jedoch topfit und hören trotzdem nicht. Zunächst sollten Eltern genauer hinschauen, in welchen Situationen das Kind nicht hört. Wenn Kinder ins Spiel vertieft sind oder ihren Gedanken nachhängen, ist es schwer, zu ihnen durchzudringen. Manchmal passiert es auch, dass sie einfach nur vergessen zu antworten. Auf die Frage „Bist du satt?“ registriert das Kind für sich „Ja, ich bin satt“, sagt es aber nicht laut.

NÄHE UND PRÄSENZ
Je kleiner das Kind ist, desto weniger bringt es, ihm aus der Entfernung etwas zuzurufen. Versuchen Sie stattdessen eine Verbindung herzustellen. Konkret bedeutet das: Körperkontakt. Gehen Sie zum Kind und knien Sie sich auf den Boden, wenn es dort spielt. Legen Sie eine Hand auf seine Schulter und nehmen Sie Augenkontakt auf. Erst, wenn Sie merken, dass das Kind Sie wahrnimmt, wird die Bitte ausgesprochen. Auf diese Weise wird die Spirale durchbrochen, dass Eltern Aufforderungen immer wiederholen und Kinder sich daran gewöhnen, nicht auf das Gesagte zu achten. Eltern können üben, ihre Kinder immer mit Namen anzusprechen und möglichst konkrete Anweisungen zu geben. Statt „Setz dich ordentlich hin“ ist es besser „Lass bitte die Beine unter dem Tisch und leg die Hand neben den Teller“ zu sagen. Positive Formulierungen helfen, denn unser Gehirn kann Verneinungen nur über Umwege verarbeiten. Das Beispiel „Denken Sie nicht an einen rosa Elefanten!“ zeigt, dass im Kopf keine negativen Bilder entstehen. Zunächst wird an das Verbotene gedacht. Im Alltag heißt das, den Kindern z u s agen, w as s ie tun s ollen, a nstatt e twas z u verbieten: „Bleib bei mir auf dem Bürgersteig“ und nicht „Lauf nicht auf die Straße!“.

STRUKTUREN UND RITUALE
Festgelegte Strukturen und Rituale helfen, Abläufe nicht immer neu diskutieren zu müssen – jedoch braucht es einen langen Atem und vor allem unser Vorbild, bis Kinder diese verinnerlicht haben. Trotzdem bewirkt es, dass wir auf lange Sicht weniger ermahnen müssen. Beim Thema Aufräumen ist es außerdem hilfreich, wenn alle Dinge einen festen Platz haben, den die Kinder kennen. Nennen Sie konkret den Ort, wohin das Kind seine Dinge aufräumen soll.

KONSEQUENZEN
Manchmal erscheinen Drohungen uns als letzter Ausweg. Es ist verführerisch zu sagen: „Wenn du jetzt nicht kommst, dann gehe ich ohne dich!“ Kinder sollten jedoch nie aus Angst gehorchen. Gleichzeitig spüren sie, ob Eltern nur leere Drohungen aussprechen, weil sie sich hilflos fühlen. Wenn Sie öfter in solche Situationen geraten, überlegen Sie in einer ruhigen Minute: Wann passiert das? Was regt mich auf? Gibt es statt einer Bestrafung natürliche Konsequenzen, die folgen können? Das könnte zum Beispiel sein: Wir haben keine Zeit mehr, bei Oma vorbeizufahren.

 

Elisa Hofmann hat Publizistik, Psychologie und Linguistik studiert, ist verheiratet und wohnt mit ihrem Mann und drei Kindern in Heidesheim am Rhein.

Losgelaufen

„Unsere Tochter zieht sich mittlerweile überall hoch. Bald beginnt sie zu laufen. Wann sollten Kinder die ersten Schuhe tragen, und was müssen wir beachten?“

Bevor sich ein Kind aufrichtet, haben die kleinen Beine und Füße ein wahres Trainingsprogramm absolviert: Muskeln aufbauen, Gelenke stärken, Untergründe fühlen und erspüren, Zehen krallen und öffnen – denn von nun an müssen sie viel Gewicht tragen. Der Fuß ist ein anatomisches Meisterwerk. Er besteht aus 26 Knochen, 30 Gelenken, 60 Muskeln, 100 Bändern, 200 Sehnen, Blutgefäßen und Nerven. Kinderfüße wachsen sehr schnell und verdienen daher besondere Beachtung. Schauen Sie sich die Füße Ihres Kindes genau an. Sollte Ihnen etwas Ungewöhnliches auffallen, besprechen Sie es mit dem Kinderarzt, denn Deformierungen verwachsen sich meistens nicht von selbst. Fußprobleme können weitreichende Folgen haben, zum Beispiel eine veränderte Körperhaltung, verlangsamte Bewegungen, geringes Selbstwertgefühl und somit weniger Entdeckerfreude. Fürs Laufenlernen brauchen Kinder keine Schuhe. Am besten bewegen sich die Kleinen barfuß oder in Socken. Sie spüren den Untergrund und seine Qualität (weich, glatt, rau), trainieren ihre Muskeln und den Gleichgewichtssinn und wechseln vom Zehen- auf den Sohlengang.

DIE RICHTIGE GRÖSSE
Erst wenn sie frei laufen, lohnen sich Schuhe, welche die Füße vor Kälte und harten Untergründen schützen. Messen Sie den Fuß ihres Kindes aus. Viele Geschäfte besitzen Messgeräte, um Länge und Breite der Füße zu bestimmen. Der neue Schuh sollte 12 bis 17 mm (eine Daumenbreite) größer sein als der Fuß. Prüfen Sie immer beide Füße, denn die wenigsten Körperteile sind symmetrisch. Die Daumenprobe ist ungünstig, weil Kinder die Zehen bei Druck einziehen. Da Kinderknochen weich und biegsam sind, spüren die Kleinen nicht, wenn der Schuh drückt. Selbst ein Verdrehen oder Verstauchen muss ihnen nicht zwangsläufig wehtun. Wenn der Schuh eine herausnehmbare Sohle hat, ist es günstig, die Füße auf die Sohlen zu stellen, um zu sehen, ob der Schuh passt. Alternativ können Sie zuhause eine Schablone von beiden Füßen anfertigen.

SCHUHE UND SOCKEN
Die Größenangaben von Kinderschuhen sind nicht europaweit genormt, daher messen Sie am besten jedes Mal neu. Wenn Sie eine Schablone anfertigen, braucht Ihr Kind beim Einkauf nicht einmal dabei zu sein. Die Füße wachsen schnell, überprüfen Sie daher alle zwei Monate die Größe und achten Sie auch auf passende Socken. Es muss kein Markenschuh sein, aber er sollte flexible Sohlen und atmungsaktives Material haben. Klettverschlüsse erleichtern die Selbstständigkeit. Wenn Sie gebrauchte Schuhe kaufen, prüfen Sie Sohlen, Ferse und Innenfutter auf Abnutzung. Manchmal findet man kleine Schuhe auf den Basaren, die nie getragen wurden. Hausschuhe sind häufig geschlossen, damit sie den Kindern Halt geben. Das führt jedoch zu einem feuchten Fußklima – angenehmer sind ABSSocken, Hüttenschuhe oder Puschen mit Lammfell. Je mehr Beweglichkeit der Fuß hat, umso besser lässt sich Stabilität für eine ausbalancierte Körperhaltung trainieren.

 

Susanne Ospelkaus ist Ergotherapeutin. Sie lebt mit ihrer Familie in Zorneding bei München und bloggt unter www.buchstabenkunst.de.

Die Stürme des Vaterseins

Wenn seine Kinder angegriffen werden, wird bei Stefan Gerber der Angriffsmodus aktiviert.

Wir Eltern sind ja manchmal ganz schön irrational, wenn es um unsere Kinder geht. Ich denke zum Beispiel an eine Kinderärztin, die es gewohnt ist, im Notfall rasch und rational zu agieren. Und das tut sie auch. Normalerweise. Wenn aber ihre eigenen Töchter betroffen sind, ist diese intelligente Frau plötzlich wie verwandelt: zutiefst unsicher und beängstigend hilflos. Wenn es um die eigenen Kinder geht, sinkt die Fähigkeit zur Selbstreflexion in den Keller, und es wird mit fragwürdigen Mitteln für jeden erdenklichen Vorteil des eigenen Nachwuchses gekämpft. Natürlich kenne ich als Vater solche Situationen auch. Da wird mein Sohn zu Recht oder zu Unrecht angegriffen, und schon wird der „Turbo Booster“ aktiviert. Es fühlt sich an, als würde ich innerhalb von Sekunden zum wilden Tier mutieren. Einmal saß ich in unserem Garten, während mein Sohn Fußball spielte. Dem Nachbarn war das zu laut. Er hielt es für angebracht, meinen Sohn anzubrüllen. Da saß ich dann natürlich auch nicht mehr ruhig in meinem Garten und wies den Nachbarn „in aller Liebe“ darauf hin, dass die Kinder doch am Mittwochnachmittag spielen dürften. Wahrscheinlich ist eine solche Reaktion genauso „von der Natur“ gedacht, damit wir unsere Kinder bei einem Angriff mit aller Kraft verteidigen. Nur leben wir inzwischen nicht mehr im Freien – ich musste meine Kinder bis jetzt noch nie vor einem Raubtier beschützen. Da frage ich mich, wie ich mit diesen wilden Gedanken und Gefühlen konstruktiv umgehen kann. Ich habe die Lösung noch nicht (abschließend) gefunden und ich vermute, dass der „Turbo Booster“ Teil meines Vaterseins bleibt – mindestens, bis unsere Kinder volljährig sind. Was ich aber schon herausgefunden habe: Wenn ich zu lange keine Auszeit habe, werde ich viel schneller reizbar und stehe in Gefahr zur Überreaktion. Timeouts sind für mich einerseits unbeschwerte Momente mit Freunden, besondere Familienerlebnisse oder auch Auszeiten zu zweit. Dies alles hilft mir, trotz Kräfte raubender Aufgaben, die innere Balance nicht zu verlieren. Doch neben diesen punktuellen Timeouts brauche ich meine wöchentliche Tankstelle. Im Idealfall ist jede Woche ein halber Tag dafür reserviert. Normalerweise kann ich mittwochs 2-3 Stunden dafür einplanen. Mein persönliches Timeout besteht aus Stille genießen, Zeit fürs Lesen, Beten und Tagebuchschreiben – wenn möglich an einem inspirierenden Ort. Diese Tankstelle ist oft umkämpft – denn als Macher liebe ich es, Aktivitäten am Laufen zu halten. Doch wenn ich mir diese Zeit gönne, hilft sie mir, Stress abzubauen und die Alltagsprobleme mit etwas Distanz aus einer anderen Perspektive zu sehen. Dieses Timeout hält mich – in der Regel – auch in stürmischen Zeiten über Wasser.

 

Stefan Gerber, Geschäftsführer Willow Creek Schweiz, ist Leiter der Netzwerk-Kirche „gms“ und freiberuflich als Autor („Glück finden – hier und jetzt“), Referent und Coach tätig. Er ist verheiratet mit Brigitte Gerber-Urfer und Vater von Joy Nina und Janosch Noah.

Angst vor Abhängigkeit

„Ich habe im Zimmer meines Sohnes (15) einen Joint gefunden. Was soll ich tun?“

ie Pubertät ist die Phase, in der Jugendliche viel ausprobieren und ihre Grenzen austesten – unter Umständen gehört dazu auch das Experimentieren mit Alkohol und illegalen Drogen. Ob Jugendliche ein Drogenproblem entwickeln, hängt jedoch von verschiedenen Faktoren ab. Meist sind es familiäre, psychische oder gesellschaftliche Schwierigkeiten, die zu einem problematischen Konsum führen können. Auch wenn jugendlicher Probierkonsum nicht zwangsläufig in eine Abhängigkeit führt, so ist er aber immer mit einem Risiko verbunden, das umso höher ist, je niedriger das Einstiegsalter. Hinweise für einen problematischen Cannabiskonsum können ein Leistungsabfall in der Schule, der Wechsel des Freundeskreises, Wesensveränderungen und die Vernachlässigung von Pflichten und Hobbys sein. Diese Anzeichen sind häufig auch pubertätsbedingt, sollten aber Anlass für eine erhöhte Aufmerksamkeit geben.

EIGENE POSITION FINDEN
Wenn Sie einen Joint im Zimmer Ihres Kindes gefunden haben, heißt es erst einmal „Ruhe bewahren“. Verfallen Sie nicht in Panik und atmen Sie tief durch! Angst und Panik verhindern klares Denken und Handeln. Sie als Eltern machen sich in solch einer Situation verständlicherweise große Sorgen. Um die Situation besser einschätzen zu können, informieren Sie sich zunächst über Cannabis und andere Drogen. Hierbei können die unten aufgeführten Internetseiten eine Hilfe sein. Reflektieren Sie Ihre Haltung und Ihren eigenen Umgang mit legalen und illegalen Drogen. Fragen Sie sich zum Beispiel: „Wie stehe ich zu Alkohol? Wann und wo ist meine Grenze beim Alkoholkonsum? Bin ich ein gutes Vorbild im Umgang mit Rauschmitteln?“ Nehmen Sie sich Zeit für ein gemeinsames Gespräch. Nehmen Sie sich Zeit für ein gemeinsames Gespräch, Sprechen Sie offen über Ihre Ängste und Befürchtungen. Machen Sie deutlich, dass gewisse Verhaltensweisen an Ihre persönlichen Grenzen stoßen, die Sie so nicht tolerieren können. Das schafft klare Verhältnisse und bildet die Grundlage für gegenseitiges Vertrauen. Interessieren Sie sich dafür, warum Ihr Sohn kifft. Geben Sie ihm die Möglichkeit, seine Erfahrungen mit Cannabis mitzuteilen. Wichtig ist es, die Situation nicht zu dramatisieren und Ihr Kind nicht zu beschuldigen, damit es nicht in eine Verteidigungshaltung gedrängt wird.

INTERESSE ZEIGEN
Bleiben Sie im Kontakt und geben Sie Ihrem Kind immer das Gefühl, dass Sie jederzeit ansprechbar sind. Zeigen Sie Ihr Interesse, indem Sie auch andere Themen ansprechen, die Ihren Sohn betreffen, zum Beispiel: Wie geht es in der Schule? Wie geht es mit den Freundinnen und Freunden? Wie fühlt er sich innerhalb der Familie? Wie sieht er seine Zukunft? Gibt es Dinge, die ihn beunruhigen? Das Thema Drogenkonsum ist für Eltern und Angehörige mit großen Unsicherheiten und Ängsten verbunden. Grundsätzlich empfiehlt sich der Besuch einer Drogenberatungsstelle. Eine Beratung kann Orientierung bieten und zu Entlastung und mehr Handlungssicherheit führen.

Jakob Kraemer ist Sozialarbeiter und arbeitet in der Beratungsstelle inechtzeit. der Krisenhilfe e.V. Bochum. Hier berät er Konsumenten/Konsumentinnen von Cannabis und synthetischen Drogen und deren Bezugspersonen.

 

Hilfreiche Informationen zum Thema „Drogensucht“:
www.stark-statt-breit.de
www.dhs.de
www.drugcom.de
Buchtipp: Jörg Böckem, Henrik Jungaberle: High sein: Ein
Aufklärungsbuch (Rogner & Bernhard)

„Wir sehnen uns nach Gemeinschaft“

In einer „klassischen“ Gemeinde haben Jessica Schlepphege und ihr Mann keine Heimat gefunden. Deshalb probieren sie neue Formen der Gemeinschaft aus.

Manchmal wage ich es gar nicht auszusprechen: Mein Mann, unsere Kinder und ich haben kein „geistliches Zuhause“. Wir gehen nicht jeden Sonntag in den Gottesdienst und sind auch in keinem Hauskreis. Zwar sind wir noch Mitglieder in unserer Heimatgemeinde, die wir hin und wieder besuchen, aber regelmäßige „Gemeindeaktivitäten“ pflegen wir dort nicht mehr. Seit gut zehn Jahren befinden mein Mann und ich uns auf der Suche nach dem, was Gemeinde für uns bedeutet. Angefangen hat dieser Prozess, als wir studiumsbedingt Richtung Norden zogen. Für uns war klar, dass wir auch in unserer neuen Heimat einer Kirchengemeinde angehören wollten. Also besuchten wir kurz nach dem Umzug die ersten Gottesdienste. Doch auch nach längeren Zeiträumen, die wir in einzelnen Gemeinden verbrachten, fühlten wir uns nirgendwo zu Hause. Sicherlich gab es auch hier und da Formen oder Strukturen, die uns befremdlich waren oder sogar irritierten. Doch der Illusion, einer perfekten Gemeinde zu begegnen, waren wir schon lange entwachsen. Schließlich wurde uns klar, dass unsere Gemeinde unbedingt vor Ort sein sollte. Wir sehnten uns nach Gemeinschaft, die regelmäßig ohne größeren Aufwand praktiziert werden konnte. Doch in den Gemeinden vor Ort kamen wir nie richtig an.

SCHLECHTES GEWISSEN
Immer seltener machten wir uns am Sonntagmorgen auf den Weg zum Gottesdienst, bis wir uns schließlich bewusst dazu entschieden, nicht mehr Teil einer Gemeinde vor Ort zu sein. Durch unsere gemeindliche Prägung meldete sich nicht selten das schlechte Gewissen: Ist es okay, wie wir unseren Glauben leben? Tun wir uns, anderen oder Gott damit Unrecht? Auch die sorgenvollen Fragen anderer Christen ließen uns manches Mal zweifelnd zurück. Wir suchten mehrmals wieder Kontakt zu einer Gemeinde, merkten aber beide relativ bald, dass unsere Bedürfnisse nicht gestillt wurden. Mit der Zeit kristallisierte sich heraus, wonach wir uns sehnten. Denn eigentlich klangen all unsere Gründe ‚gegen’ diese oder jene Gemeinde wie faule Ausreden. Wir sehnten uns nach anderen, vielleicht neuen oder eben nur ganz einfachen Formen des Gemeindelebens. Eine Gemeinschaft, die nahezu ohne Strukturen auskam. Strukturen, die wir immer mehr als hinderlich empfanden. Wir wollten eine Gemeinde nach dem Prinzip: Weniger ist mehr. Weniger Leute. Weniger Programm. Weniger Hierarchie. Weniger …

VERÄNDERTES GEMEINDEBILD
Schließlich traf das Buch „Der Schrei der Wildgänse“ von Wayne Jacobsen und Dave Coleman genau unseren Nerv. Es waren gar nicht so sehr einzelne Zitate oder Sätze, die mich berührten, sondern die Geschichte als Ganzes, der Lernprozess der Hauptfigur und seine oft dämlichen Fragen, die exakt so von mir hätten stammen können. Die Autoren beschreiben den Weg eines Gemeindeleiters und Pastors, der aus den Strukturen seiner (Mega-)Kirche ausbricht. Auf seiner Suche nach dem, was „Gemeinde“ bedeuten kann, begegnet er immer wieder einem mysteriösen Mann, der ihn herausfordert, seinen Weg ehrlich zu reflektieren. Im Grunde geht es in der Geschichte um die Einfachheit von Gemeinde. Um die Frage: Wo fängt Gemeinde eigentlich an? Auch meinen Mann und mich beschäftigen die Fragen, was Gemeinde eigentlich ist und welche Formen sie annehmen kann. Früher bedeutete Gemeinde für uns das, was die meisten Christen unter einer herkömmlichen Gemeinde verstehen: Sie hat einen Namen, einen Ort und ein Programm. An verschiedenen, über die Woche verteilten Terminen findet das Gemeindeleben statt. Das Gemeindeleben beziehungsweise die Gemeinschaft entstehen also durch diese Strukturen. Im Laufe der Jahre veränderte sich unser Bild von Gemeinde. Obwohl wir unser Leben oft als gemeindefern bezeichnet hatten, würden wir heute sagen, dass wir eigentlich schon lange, wenn nicht sogar immer, ein lebendiges Gemeindeleben führen. Wir leben enge Beziehungen zu anderen Christen, teilen mit ihnen die Tischgemeinschaft und ermutigen uns in unserem Weg mit Gott. Bei allem, was wir tun und in allen Beziehungen, die wir leben, möchten wir uns der Nähe von Jesus bewusst sein. Diesem Gedanken folgend fängt Gemeinde mit Gemeinschaft an. Ein organischer Prozess, bei dem authentische Beziehungen im Mittelpunkt stehen. Beziehungen, wie Jacobsen schreibt, in denen „man einen offenen, ehrlichen Austausch pflegt, ein ehrliches Interesse am geistlichen Wohlergehen der anderen zeigt und sich gegenseitig ermutigt, Jesus zu folgen, wie auch immer er die Einzelnen führt“.

ERFAHRUNGEN
Wenn wir auf die vergangenen zehn Jahre mit unserer Form des Gemeinde- und Gemeinschaftslebens zurückblicken, wird uns Folgendes wichtig:

1. Mehr Eigeninitiative Eine Herausforderung war zunächst, dass wir mehr Eigeninitiative für unser Glaubensleben aufbringen mussten. Während wir früher mindestens jeden Sonntag und Donnerstagabend einfachen Zugang zu Lobpreis, Bibelauslegung und Gemeinschaft hatten, mussten wir uns nun bewusst darum bemühen, diese Komponenten in unseren Alltag einzubauen. Das versuchen wir, indem wir zum Beispiel Predigten über das Internet ansehen, eigene Lobpreiszeiten mit CD oder Klavier gestalten und die Gemeinschaft mit anderen Christen suchen. Je länger wir ohne festen Gemeindebezug auskommen wollten, umso natürlicher fühlte es sich an, Verantwortung für unser Glaubensleben zu übernehmen (was nicht heißen soll, dass Mitglieder einer herkömmlichen Gemeinde das nicht tun).
2. Missionales Leben Durch die Einfachheit von Gemeinde, wie wir sie leben wollen – das Weglassen von Strukturen und Terminen –, wurden Zeit und Kraft für einen anderen Bereich freigesetzt, der uns wichtig geworden ist: missionales Leben. Das bedeutet, wir möchten Gottes Licht und seine Liebe in den Beziehungen leben, die ganz natürlich in unserem Lebensumfeld entstehen. Obwohl wir dieses Prinzip auch schon vorher gelebt hatten, merkten wir, wie unser Alltag ohne die Veranstaltungen in der Gemeinde viel mehr Raum für Beziehungen bot: in der Nachbarschaft, bei Veranstaltungen für und mit den Kindern, bei der Arbeit und unseren Hobbys. Uns persönlich geht es dabei nicht darum, Menschen zu bekehren, sondern Gottes Liebe und all das Gute, das er uns schenkt, an die Menschen um uns herum weiterzugeben.
3. Kinder integrieren Im Laufe der Zeit wurden wir mit drei tollen Kindern beschenkt. Wir fragen uns immer wieder, wie auch sie Teil unseres Gemeindelebens sein können. Gerade sind sie im Baby-, Kindergarten- und Grundschulalter, und wir empfinden das Vorleben des eigenen Glaubens wichtiger als den Besuch eines Kindergottesdienstes oder der Jungschar. Aber auch unsere Kinder sehnen sich nach regelmäßiger Gemeinschaft vor Ort, sodass unser Ältester nun den Wunsch geäußert hat, eine Jungschar zu besuchen. Wir glauben nicht, dass das unserem Gemeindeverständnis widerspricht. Auch unsere Kinder sollen authentische Beziehungen zu anderen Gotteskindern leben und dürfen sich mit zunehmendem Alter für die Gemeindestrukturen entscheiden, die zu ihnen passen. Wie mit allem in unserem Gemeindeleben sind wir auch hier Suchende und Fragende. 4. Netzwerk Seit etwa vier Jahren sind wir Teil eines Netzwerkes, in dem wir uns über missionales Leben und alternative Gemeindeformen austauschen. Zwei- bis dreimal im Jahr treffen wir uns, um diese Themen zu vertiefen und voneinander zu lernen. Das Netzwerk hilft uns sehr, um mit all unseren Fragen nicht allein dazustehen. Es ermutigt uns zu erleben, dass andere Christen ähnliche Fragen haben und sich nach neuen Formen des Lebens mit Jesus sehnen.

BEZIEHUNGEN LEBEN
Gemeinde bedeutet für uns authentisch gelebte Beziehungen unter Gläubigen. Und ganz gleich, wie die einzelnen Gemeinden aussehen – wir sind überzeugt, dass jede Form ihre Berechtigung hat und gebraucht wird: ob mit traditionellen Strukturen im Gemeindehaus oder ganz hip im Stadtcafé; ob klein und persönlich, in der MegaChurch mit Eventcharakter oder irgendwo dazwischen. Mein Mann und ich leben Gemeinde seit gut zehn Jahren nach dem Beziehungsprinzip. Und vielleicht werden wir irgendwann auch wieder in einer „herkömmlichen“ Gemeinde zu Hause sein. Momentan träumen wir von kleinen Gemeinde-Zellen und wünschen uns Beziehungen mit anderen Gläubigen, die wir vor Ort leben können. Damit wir füreinander und gemeinsam den Menschen um uns herum Nachbarn und Nächste sein können. Wir sind mit Gott auf einem Weg, auf dem wir nicht alle Antworten kennen und auf seine Leitung angewiesen sind. Letztes Jahr zogen wir zurück in die alte Heimat und sind nun gespannt, was Gott hier mit uns vorhat.

 

 

Jessica Schlepphege hat Englische Fachdidaktik und Erziehungswissenschaften studiert. Sie ist Botschafterin der Anti-Sklaverei- Bewegung www.ijm-deutschland.de, arbeitet als freie Autorin und lebt mit ihrem Mann und den drei Kindern in der Nähe von Karlsruhe.

Aufatmen im Terminstress

Wie gut es tun kann, andere wertzuschätzen, hat Ingrid Jope erlebt.

Urlaubsreif. Mit diesem Wort ließ sich bestens beschreiben, wie es mir ging. Ein volles (Schul-) Jahr lag hinter mir. Der Schulwechsel unserer großen Tochter steckte darin und das letzte, intensive Kindergartenjahr unseres inzwischen auch großen Sohnes. Aufgrund meines beruflichen Wiedereinstiegs und einer damit verbunden Weiterbildung hatte ich ein Jahr lang eine 75-Prozent- Stelle und musste nebenbei noch eine Abschlussarbeit und einiges an Fortbildungsterminen stemmen. Die letzte Woche vor den großen Ferien hatte es mit sämtlichen Abschiedsfeiern und beruflichen Herausforderungen besonders in sich. Da musste der Termin fürs Abschlussgespräch im Kindergarten in die erste Urlaubswoche verschoben werden. Müde stand ich an diesem Tag morgens auf und hätte am allerliebsten darauf verzichtet, heute überhaupt einen Termin zu haben. Ich schleppte mich mehr zum Kindergarten, als dass ich radelte. Dann saß ich zwei freundlichen Erzieherinnen gegenüber. Sie hatten sich sorgfältig vorbereitet und stellten mir die Bildungsdokumentation meines Kindes vor. Nach wenigen Minuten war das Gefühl „Ich hätte keinen Termin gebraucht“ verdrängt vom Eindruck: „Toll, dass diese aufmerksamen und engagierten Erzieherinnen unseren Wirbelwind von Sohn durch seine Kindergartenzeit begleitet haben.“ Ich erfuhr Einzelheiten aus dem Kindergartenalltag, ich schnupperte die Sichtweise der Erzieherinnen auf mein Kind, kam so manches Mal ins Schmunzeln, weil ich typische Verhaltensweisen, Stärken und Schwächen vom Alltag zu Hause wiedererkannte. Und ich habe ganz viel Zugewandtheit gespürt, Wertschätzung und Respekt vor dem ureigenen Wachstumsprozess, den jedes Kind nach seiner „inneren Uhr“ und in seiner Einzigartigkeit durchläuft. In mir wuchs ein Glücksgefühl, es schmeckte nach Dankbarkeit, nach beschenkt sein und nach tief durchatmen. Ich fasste eine Erkenntnis, die uns schon lange begleitete, in Worte: Das war genau der richtige Kindergarten für unser Temperamentsbündel. Ich könnte mir keinen besseren für unser Kind und unsere Familiensituation vorstellen. Ich zählte einige Beispiele auf, die ich am Kindergartenalltag und dem ihn prägenden Erziehungsstil schätzte. Die vier Augen der Erzieherinnen strahlten. Meine Erschöpfung war wie weggeblasen. Achtsamkeit und Respekt zu erleben und Wertschätzung zu geben – das tat durch und durch gut. Auch wenn der Alltag voll ist und ich eigentlich viel zu erschöpft bin, will ich das nicht aus dem Blick verlieren: Danke sagen, Gutes wertschätzen, Menschen zeigen, dass ich wahrnehme, wie sehr sie sich einsetzen. All das tut auch mir und meiner Seele gut.

Ingrid Jope ist Theologin und Sozialpädagogin. Sie lebt mit ihrer Familie in Wetter/Ruhr.

Schreiben lernen?

„Unser Sohn (6) ist mit digitalen Medien aufgewachsen. Wir befürchten, dass sich die Mediennutzung negativ auf seine schulischen Leistungen auswirkt.“

Wenn ich Bus fahre, beobachte ich immer wieder fasziniert Kinder beim Umgang mit dem elterlichen Smartphone. Ganz selbstverständlich agieren schon die Kleinsten mit dem Gerät. Diese Entwicklung spiegelt sich auch in der regelmäßig erscheinenden KIM-Studie wieder. Sie untersucht das Medienverhalten und die Rolle der Medien bei 6- bis 13-Jährigen. Die Ergebnisse zeigen, dass 2016 die Hälfte aller Befragten ein Handy besaß. Die digitalen Medien gehören zur Lebenswelt unserer Kinder dazu. Daher steht auch im Strategiepapier der Kultusministerkonferenz 2016 klar die Forderung: „Da die Digitalisierung auch außerhalb der Schule alle Lebensbereiche und – in unterschiedlicher Intensität – alle Altersstufen umfasst, sollte das Lernen mit und über digitale Medien und Werkzeuge bereits in den Schulen der Primarstufe beginnen.“

ERSTER KONTAKT
Durch die Mediennutzung kommen unsere Kinder heute sehr früh in Erstkontakt mit der Schriftsprache. Interaktive Bilderbücher erscheinen auf dem Tablet, die Hauptdarsteller machen beim Klick eventuell noch ein Geräusch. So wird einem Kind ein Buch vorgelesen, auch wenn Mama oder Papa gerade keine Zeit haben. Auch in der Schule spielt der Umgang mit digitalen Medien eine Rolle. Trainieren die Kinder schon früh den medialen Umgang, sind Hemmschwellen für den Gebrauch viel geringer, und die Schüler probieren Programme ganz selbstverständlich aus. So erleichtert die Digitalisierung die Präsentation von schulischen Ergebnissen, lässt Gruppen interaktiv arbeiten und kann Lernprozesse unterstützen. Lern-Apps helfen Schülern, Unterrichtsinhalte zu wiederholen. Einzelne Pädagogen erklären in höheren Klassen beispielsweise auch gerne Lerninhalte über YouTube. So kann nicht Verstandenes beliebig oft wiederholt werden, ohne dass jemandem der Geduldsfaden reißt. Auch für Kinder mit motorischen Defiziten bieten die digitalen Medien Zugang zu einem vergleichsweise normalen Schulalltag, da sie zum Beispiel am Laptop einen Text tippen können, ohne verkrampft versuchen zu müssen, einen Stift zu halten. Oder die Transkription von Sprachnachrichten in Schriftsprache lässt körperbehinderte Kinder ganz anders am Unterricht teilnehmen.

SCHREIBEN MIT DER HAND
Dennoch kann man nicht auf das Schreibenlernen der Buchstaben per Hand verzichten. Verschiedene neurologische Studien haben ergeben, dass durch das Schreiben mit der Hand die Feinmotorik geschult wird. Sie erleichtert uns nicht nur den Alltag, sondern hilft uns bei vielen Arbeitsprozessen. Die motorische Umsetzung von Gedanken führt außerdem dazu, dass ein Begriff viel besser gespeichert wird, da Motorik, Sensorik, Sinnhaftigkeit und auch Gefühle beim Schreibprozess aktiviert werden. Das Gehirn kann so eine Gedächtnisspur verfolgen, die durch das Formen der Buchstaben mit der Hand tief „eingegraben“ wird. Die Koexistenz der digitalen Medien mit dem klassischen Schriftspracherwerb birgt viele Chancen. Unsere Aufgabe als Eltern ist es, unseren Kindern im Umgang mit den Medien ein Vorbild zu sein. Sie lernen von uns, in welchem Maß sie am besten genutzt werden sollten. Sie freuen sich aber auch, wenn sie einen handschriftlichen Brief von uns bekommen.

Stefanie Böhmann ist Grund- und Hauptschullehrerin und lebt mit ihrer Familie in Hamburg.

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GLITZERSTICKER FÜR DIE PARTYHÖHLE

Katharina Hullen hofft, dass ihre Kinder einen guten Umgang mit Geld lernen – schließlich gehen die Eltern mit schlechtem Vorbild voran.

Katharina: Ich komme vom Einkauf nach Hause und grüble, wie ich es finde, dass unsere Tochter gerade dem Bettler vor Aldi ihr halbes Monatstaschengeld geschenkt hat. Dass die andere Tochter ihrerseits alles in Süßigkeiten umsetzt und die dritte trotz voller Brotdose zum Schulkiosk geht. Was ist der richtige Umgang mit dem eigenen Geld? Sie sollen doch vernünftige Entscheidungen treffen lernen! Dann fällt mein Blick auf meinen Einkauf und ich bin ertappt: Kaufrausch! Oh! Ein Spiel für den Großen, das spielt er im Kindergarten doch so gerne! Und da – Glitzersticker für die Mädchen. Auch gut für Kindergeburtstagsgeschenke! Zahlenrätsel für die Eltern! Lustige Plätzchenausstecher für Freunde! Ah! Strumpfhosen für die Kinder – davon kann man nie genug haben! Ich neige zu Fehlkäufen! Ich bin ja voller Erkenntnis und sage inzwischen immer öfter „Nein, wir brauchen das nicht!“, aber der Einkauf heute muss wohl als Rückschlag gewertet werden. Hauke kann das übrigens auch sehr gut: Unnützes Zeug kaufen! Ich bin eher die „Beeren-Sammlerin“ – viele Kleinigkeiten, die uns die Schränke zumüllen. Er ist vom Ursprung der Jäger. Er schießt nur die ganz großen Sachen! So recherchierte er wochenlang, was wir für ein Gerät kaufen könnten, um die Luftfeuchtigkeit in den einzelnen Räumen zu messen, damit wir Schimmelbildung vorbeugen können. Er bestellte schließlich eine Wetterstation für 150 Euro. Dieses dolle Ding konnte alles – Temperatur, Luftdruck, Windstärke – alles außer Luftfeuchtigkeit! Im Keller liegt Zubehör für ein Schrank-/Regalsystem für über 300 EUR. Inzwischen kann man es nicht mehr umtauschen – einbauen auch nicht. Kein Platz! Überall sind schon Regale und Schränke. Dann brauchten wir dringend ein Beschriftungsgerät, so ein Maschinchen, welches sofort passende Etiketten ausdruckt, die man überall hinkleben kann. Die erste Rolle Etiketten steckt immer noch im Gerät. Nein – wir brauchten es nicht! Und vor kurzem kam Hauke mit glitzernden Augen vom Bauhaus-Einkauf zurück. Er hatte rotierende Disco-Lampen ergattert. Nicht nur eine – nein, gleich fünf, damit eine ganze Etage zur Partyhöhle umgebaut werden kann. Großartig! Manchmal frage ich mich, wie wir den Kindern den richtigen Umgang mit Geld beibringen sollen, wenn wir es selbst so oft nicht schaffen. Vielleicht ist das Geheimnis, die Kinder jetzt mit ihrem kleinen Taschengeld ihre „Fehlkäufe“ machen zu lassen, damit sie lernen, später bessere Entscheidungen zu treffen. Und vielleicht muss auch beim Thema „Geld ausgeben“ nicht alles immer dem Diktat der Notwendigkeit gehorchen. Für ein fröhliches Leben können ja auch mal Glitzersticker unter der Discolampe aufblitzen!

 

Katharina Hullen (Jahrgang 1977) ist Bankkauffrau und Dolmetscherin für Gebärdensprache in Elternzeit. Sie und Ehemann Hauke haben fünf quirlige Kinder und leben in Duisburg. Gemeinsam bilden die beiden das Kirchenkabarett „Budenzauber“.

 

GUMMILAPPEN VOM OMELETTE-MEISTER

Hauke Hullen kann sich mit den Einkäufen seiner Frau nicht immer anfreunden, auch wenn sie ihm zugutekommen sollen.

Hauke: Shoppen ist ein Erlebnis! Und zwar nicht nur für meine Frau, sondern insbesondere für mich, wenn ich abends sehe, welchen Krempel Kathi mit nach Hause gebracht hat. Ich verstehe das nicht – es gibt doch einen Einkaufszettel, auf dem Dinge draufstehen und Dinge nicht draufstehen, daher sollte doch klar sein, was man in den Wagen packt und was nicht! Doch leider interessieren sich maßgebliche Teile meiner Familie nicht so sehr für das schnelle Geldverdienen, eher für das schnelle Geldausgeben. Die bekannte Regel lautet ja, dass man nicht hungrig einkaufen gehen soll. Dummerweise würde es nichts bringen, wenn Kathi sich nur gut gesättigt auf den Weg in den Supermarkt machen würde. Denn Kathis Antrieb ist nicht der leere Magen, sondern das große Herz! Da ist Platz für so viele Menschen, die sie beglücken will. Gibt es auf der Aktionsfläche tatsächlich eine Kekspackung, wo links oben der Name einer unserer Töchter draufsteht? Tatsache! Das muss gekauft werden, auch wenn es sich um ein recht garstiges Marzipangebäck mit 54 Prozent Zuckeranteil handelt, welches weder ich noch die Kinderschar, vor allem aber nicht besagte Tochter essen mag. Sollen unsere Kinder nicht bestmöglich auf die Schule vorbereitet werden? Welch ein Zufall, dass es just jetzt Rätsel-, Rechen- und Schreiblernhefte auf dem Wühltisch gibt! Ich korrigiere: gab. Eine komplette Kommode im Flur ist nun bis an den Rand gefüllt mit Lernhilfen aller Art. Und obwohl sich unsere Vorschulkinder in den Sommerferien tapfer durch das schriftliche Dividieren gekämpft haben, kauft meine Frau schneller Lektüren nach, als die Kinder sie wegarbeiten können. Der Esstisch sah während der Vorbereitung aufs neue Schuljahr aus wie ein pakistanischer Sweat-Shop, wo kleine Kinderhände im Schummerlicht Akkordarbeit leisten. Und, natürlich, die Tupper-Party! Im Vorfeld verkündet die beste Ehefrau von allen, wie überflüssig sie solche Veranstaltungen fände und dass sie ganz gewitzt nur das Begrüßungsgeschenk abstauben wolle. Wenig später konnte sie allerdings weder der Salatschüssel, den Wurstdosen noch dem „Omelette-Meister“ (der heißt wirklich so) widerstehen, wo doch ihr Göttergatte sich gerne mal ein Omelette brät. Dieses Tupper-Teil für die Mikrowelle wurde übrigens genau einmal benutzt, weil es statt knusprig gebrutzelter Eierspeisen nur einen fettfreien Gummilappen hervorbringt. Und so geht das mit vielen Einkäufen. Das letzte Holzspielzeug war pädagogisch wertvoll (und damit gleichermaßen ohne jeglichen Spielanreiz), die urigen Brotfladen waren appetitlich anzusehen, bis sie sich in blauen Pelz kleideten, und mir bleibt es weiterhin ein Rätsel, warum Kathi Blumen kauft, wenn Gäste kommen, die ihrerseits Blumen mitbringen. Hier wie da ergibt der Satz „Ach, das wäre doch nicht nötig gewesen!“ wirklich einen Sinn!

 

 

Hauke Hullen (Jahrgang 1974) ist Lehrer für Deutsch und Sozialwissenschaften. Er und Ehefrau Katharina haben fünf quirlige Kinder und leben in Duisburg. Gemeinsam bilden die beiden das Kirchenkabarett „Budenzauber“.