„Narzisstisch gestörte Menschen machen andere Menschen krank“

Elena Digiovinazzo ist Heilpraktikerin für Psychotherapie und in einer psychosomatischen Klinik für Menschen mit Persönlichkeitsstörung therapeutisch tätig. Sie erklärt, was eine Narzisstin oder einen Narzissten ausmacht.

Frau Digiovinazzo, was ist ein Narzisst?

Es ist ein Mensch, der tief in sich ein unterentwickeltes Selbstwertgefühl hat. Er muss andere Menschen dominieren, kontrollieren und abwerten, um sich besser zu fühlen. Man geht davon aus, dass die narzisstische Persönlichkeitsstörung eine Selbstwert-Regulations-Störung ist. Das DSM-5, das amerikanische Klassifikationssystem für psychische Erkrankungen, definiert es so, dass mindestens fünf von neun Punkten zutreffen müssen: Die Person ist sehr arrogant. Sie hat wenig Empathie. Sie ist neidisch oder glaubt, andere seien neidisch auf sie. Sie hält sich für sehr wichtig. Sie ist eingenommen von Fantasien grenzenloser Macht, Schönheit, idealer Liebe und Erfolg. Sie glaubt, einzigartig und besonders zu sein. Sie verlangt übermäßige Bewunderung. Sie hat Ansprüche auf eine Sonderbehandlung. Sie nutzt andere zum Erreichen der eigenen Ziele aus.

Das ist die Definition für einen krankhaften Narzissmus. Gibt es auch einen gesunden Narzissmus?

Ja. Ein gesunder Narzissmus ist wichtig dafür, dass wir ein gutes Gefühl für unsere Grenzen und unseren Wert haben, dass wir uns behaupten können und zielstrebig sind. Auch das Streben nach Erfolg ist normal, solange ich in der Lage bin, Rücksicht auf die Gefühle anderer Menschen zu nehmen. Problematisch ist es, wenn ein Mensch kein Selbstwertgefühl hat und die Sichtweise anderer Menschen nicht nachvollziehen und ihre Grenzen nicht respektieren kann. Ein krankhafter Narzisst giert nach Aufmerksamkeit und Bewunderung. Er nutzt andere Menschen aus, um gut dazustehen. Auf Kritik reagiert er übermäßig empfindlich, wohingegen ein Mensch mit einem gesunden Narzissmus nicht gleich aus der Bahn geworfen wird, wenn er Kritik bekommt.

Wie viele Menschen sind denn von einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung betroffen?

Es sind ungefähr ein Prozent, bei Frauen etwa 0,7 Prozent, bei Männern etwa 1,2 Prozent. Wobei es hier sicher eine Dunkelziffer gibt. Denn Narzissten suchen sich in der Regel keine Therapie.

In unserem Family-Artikel einer betroffenen Frau kommt der Begriff des verdeckten Narzissmus vor. Was versteht man darunter?

Die Definition aus dem DSM-5 bezieht sich auf den sogenannten grandiosen oder offenen Narzissmus. Der verdeckte Narzisst agiert subtiler und ist schwerer zu erkennen. Er zeigt sich nach außen selbstlos und ist oft in Hilfsorganisationen oder der Kirche tätig. Aber eigentlich nur deshalb, weil er das Ansehen braucht und nicht, weil er anderen helfen möchte. Einen grandiosen Narzissten kann man leichter erkennen, weil er das offen zur Schau trägt. Der verdeckte Typ stellt sich als wohlwollender, altruistischer Mensch dar, hat aber genauso wenig Mitgefühl anderen Menschen gegenüber. Er macht das alles nur für sich.

Welche Auswirkungen kann es für Kinder haben, wenn ein Elternteil Narzisst ist?

Ein narzisstischer Vater oder eine narzisstische Mutter sind nicht in der Lage, auf die Bedürfnisse des Kindes einzugehen, Liebe zu zeigen oder eine sichere Bindung herzustellen. Eine Folge kann sein, dass das Kind selbst auch eine narzisstische Persönlichkeitsstörung oder starke narzisstische Züge entwickelt. Bei betroffenen Kindern kann man beobachten, dass sie nur schwer anderen Menschen Grenzen setzen, Nein sagen oder für sich selbst sorgen können. Sie haben oft starke Insuffizienzgefühle, also Gefühle von Wertlosigkeit. Weitere mögliche Auswirkungen sind Angststörungen, Süchte, Essstörungen, Depressionen und psychosomatische Beschwerden. Betroffene sind häufig anfällig für Sekten oder andere toxische Beziehungen, wo sie wieder manipuliert werden.

Wenn jemand den Verdacht hat, dass ein Elternteil eine narzisstische Persönlichkeitsstörung hat – muss man den Kontakt abbrechen?

Das kommt auf den Schweregrad der Persönlichkeitsstörung an und wie resilient die betroffene Person nach dem emotionalen Missbrauch noch ist. Es gibt Fälle, in denen Betroffene in der Lage sind, mit beschränktem Kontakt ein glückliches Leben zu führen. Dann wiederum gibt es Konstellationen, in denen ein Kontaktabbruch unumgänglich ist. In beiden Fällen kann psychotherapeutische Unterstützung sehr hilfreich sein.

Aber wenn die Eltern schon alt sind und Unterstützung brauchen, stelle ich mir das schwierig vor, den Kontakt abzubrechen.

Es kann passieren, dass Betroffene sich schuldig fühlen. Aber noch schlimmer, als die Eltern im Stich zu lassen, ist, sich selbst und seine eigene Familie im Stich zu lassen. Es muss noch genügend Energie da sein, sich um sich selbst, seine Kinder und seinen Partner zu kümmern. Narzisstisch gestörte Menschen machen andere Menschen krank, körperlich und psychisch. Das sollte man nicht unterschätzen. Wenn die Eltern pflegebedürftig sind, kann es helfen, möglichst viel Unterstützung für die Eltern an andere zu delegieren: Pflegedienst, Nachbarn, Menschen aus dem Freundeskreis oder der Gemeinde der Eltern, wenn vorhanden.

Die Fragen stellte Bettina Wendland.

BUCHTIPPS:

  • Elena Digiovinazzo: Narzissmus in der Familie. Untersuchung eines Verbrechens
  • Elena Digiovinazzo: Verlorenes Ich. Ein Essay zur narzisstischen Persönlichkeitsstörung

Beide Bücher und weitere Infos sind hier erhältlich.

  • Jörg Berger: Stachlige Eltern und Schwiegereltern. Wie Sie Konflikte befrieden und versöhnt leben (Francke)
  • Annika Felber: Wenn die Familie nicht guttut. Toxische Beziehungen erkennen und lösen (Junfermann)
  • Reinhard Haller: Die Narzissmusfalle (ecoWing)

Facebook-Gruppe: „Christen helfen Christen im Umgang mit Narzissten“, moderiert von Elena Digiovinazzo (Link)

Narzisstische Mutter: „Ich wurde ständig manipuliert“

Fast ihr ganzes Leben wird von Ängsten bestimmt. Als unsere Autorin sich ihnen stellen will, kommt sie der möglichen Ursache auf die Spur: dem Narzissmus ihrer Mutter.

Ich kenne dich nur zusammen mit deinen Ängsten“ – diese Aussage meines Mannes bringt mich ins Nachdenken. Immerhin kennen wir uns seit über 20 Jahren. Meine Gedanken gehen zurück in meine Jugendzeit. In den oberen Schulklassen war ich öfter wegen Übelkeit zu Hause. War das der Beginn meiner Ängste? Die schulische Phase meiner Berufsausbildung konnte ich genießen. Doch als die praktische Arbeit begann, zu der Besprechungen mit Kolleginnen dazugehörten, merkte ich: Das Zusammensein mit anderen Menschen bereitet mir Schwierigkeiten. In dieser Zeit lernte ich meinen jetzigen Mann kennen. Er hat recht: Er kennt mich nur mit meinen Ängsten. Diese wurden nicht weniger, das Leben wurde immer anstrengender. Entweder zwang ich mich, irgendwo hinzugehen und quälte mich, oder ich blieb zu Hause. Die Vermeidung begann.

Die Ängste anschauen

Wir heirateten, bekamen Kinder und ich war mit deren Betreuung beschäftigt. Als sie aus dem Gröbsten raus waren, kam mir die Idee, mich für ein Ehrenamt fortbilden zu lassen. Lange wog ich ab, ob ich dies mit meinen Ängsten schaffen könnte. Die Aufgabe reizte mich so sehr, dass ich mich für die Fortbildung anmeldete. Die ersten beiden Abende waren nicht einfach, aber dennoch gut. Am dritten Abend bekam ich eine Panikattacke. Völlig erschöpft kam ich nach Hause. Mir war klar: Das kann so nicht weitergehen. Ich schaffe diese Fortbildung nicht. Außerdem mag ich nicht mehr auf die schönen Dinge im Leben verzichten.

Ich suchte mir eine Psychotherapeutin und begann, meine Ängste anzuschauen. Seit vielen Monaten bin ich dort in Behandlung, es ist ein wellenartiges Auf und Ab. Durch meine kleinen Fortschritte will ich mich ermutigen lassen, dranzubleiben, auch wenn es viel Kraft kostet. Im Zuge der Psychotherapie kam die Frage auf, woher diese Ängste kommen könnten. „Keine Ahnung“, war lange meine Antwort. Dadurch, dass ich eine Verhaltenstherapie mache, stehen die Vergangenheit und die Kindheit nicht im Vordergrund. Ängste haben jedoch oft ihren Ursprung im Elternhaus oder in der Schulzeit, was den sporadischen Blick zurück nahelegt.

Blick in die Kindheit

Nach über einem Jahr in der Therapie begegnete mir zum ersten Mal der Begriff „Narzissmus“. Es stand die Frage im Raum, ob meine Mutter eine verdeckte narzisstische Persönlichkeitsstörung haben könnte. Ich verfolgte dies zuerst nicht. Monate später kam der Begriff „Narzissmus“ wieder auf, und ich begann zu recherchieren. So gelangte ich an ein Video von Pet Anthony, in dem es um Töchter narzisstischer Mütter geht. In meiner Psychotherapie hatte ich Glaubenssätze herausgearbeitet, die zu meinem Unwohlsein in Gegenwart anderer Menschen führten. Nun begegneten mir genau diese Glaubenssätze wieder. Der Zusammenhang zwischen meinen Glaubenssätzen und den Spuren, die eine narzisstische Mutter bei ihrer Tochter hinterlassen kann, machte mich sprachlos. Einer der Glaubenssätze lautet: „Ich darf nicht laut sein. Ich muss mich der Gesellschaft anpassen.“ Ein anderer: „Ich muss immer (der Mutter) dienen.“

Ich wagte einen Blick in meine Kindheit und versuchte, die Gefühle von damals zuzulassen: Meine Mutter war sehr launisch und hatte extreme Stimmungsschwankungen. Wurde ich beachtet, wenn ich nach Hause kam, folgte Erleichterung. Wurde ich ignoriert, war klar, dass etwas vorgefallen sein musste. Hatte ich etwas falsch gemacht? Ich lebte in ständiger Anspannung und entwickelte einen vorauseilenden Gehorsam, der mich bis heute begleitet. Ich war damit beschäftigt, die Erwartungen und Bedürfnisse meiner Mutter herauszufinden und zu erfüllen. Bloß keinen Fehler machen – sonst war tagelanges Schweigen die Folge. Mein Vater erwartete, dass ihr Verhalten akzeptiert wird. Er rechtfertigte ihre Stimmungsschwankungen: „Sie hat heute einen schlechten Tag, bitte nimm Rücksicht auf sie!“ Wie viele der „schlechten Tage“ ich in meiner Kindheit miterleben musste, kann ich nicht ermessen. Ich wurde ständig manipuliert, musste machen, was sie wollte, und konnte nicht ich selbst sein. Das war emotionaler Missbrauch.

Wenig Liebe und Empathie

Das alles führte dazu, dass ich keine eigene Meinung hatte und auch nicht haben durfte. War ich anderer Ansicht als meine Mutter und äußerte diese, musste ich mit Schweigen rechnen. Vermutlich nahm sie andere Meinungen als Kritik wahr und konnte damit nicht umgehen. Ich lernte nicht, wie man miteinander kommuniziert, Konflikte aushandelt und löst. Erst im Nachhinein wurde mir bewusst, mit wie wenig Liebe und Empathie ich großgeworden bin. Ein Lob oder eine Umarmung gab es selten. So konnte ich kein Selbstbewusstsein entwickeln. Angststörungen, Stimmungsschwankungen, Depressionen und Süchte sind oft die Folgeerscheinungen bei Kindern mit einem narzisstischen Elternteil. Ich bin nicht auf der Suche nach einem Schuldigen für meine Angststörung. Ich möchte meine Mutter nicht schlechtreden – schließlich habe ich auch gute Dinge von ihr mit auf den Weg bekommen. Doch es hilft mir, eine Idee zu haben, woher meine Schwierigkeiten kommen könnten. So kann ich vieles einordnen, auch wenn es mein „Problem“ an sich nicht löst.

In Gedanken gehe ich meine nähere Verwandtschaft durch. Gehäuft finde ich Ängste, Depressionen und Süchte. Ist das ein Zufall? Ich denke nicht. So wie es aussieht, ziehen sich der Narzissmus und seine Folgen schon über viele Generationen. Ich fasse den Entschluss, diesen Kreislauf zu durchbrechen. Auf keinen Fall möchte ich ihn an meine Kinder weitergeben. Also werde ich tun, was ich kann, und mich mit meiner Vergangenheit und meinen Ängsten auseinandersetzen.

Freiheit durch Distanz

In einem Newsletter von team-f bringt es die Ärztin und Therapeutin Maria Steuer auf den Punkt: „Wer Klarheit darüber hat, wie er zu dem Menschen heute geworden ist, hat die Chance, sich zu ändern und eine neue Selbstliebe zu entdecken. Und er muss auch nicht sein Kindheitspaket unbewusst und unreflektiert an die eigenen Kinder weitergeben.“ Es braucht oft jahrelang, bis man erkennt, was einem widerfahren ist. Es braucht Zeit, bis man akzeptiert, dass die eigene Mutter so ist und man sie nicht ändern kann. Erst dann beginnt Heilung, indem man sich die Fragen stellt, „Wer bin ich?“ und „Was brauche ich?“.

Damit mir dies möglich ist, habe ich mich von meinen Eltern distanziert. Ich spürte sofort, wie viel Freiheit ich dadurch bekam. Mein Weg ist noch nicht zu Ende, und es gibt auch (noch) kein Happy End. Doch ich bin auf einem guten Weg.

Die Autorin möchte anonym bleiben.

 

Weltentdecker haben’s leichter

Wie werden Kinder fit für die Schule? Johannes Köster hat aus seinen Erfahrungen mit Grundschulkindern vier Empfehlungen zusammengestellt.

Sascha sitzt missmutig am Tisch und fummelt mit seinen Händen im Gesicht herum. Er reagiert nur langsam auf meine Versuche, das Schulaufnahmegespräch im Frühjahr vor der Einschulung irgendwie in Gang zu bringen. Auch auf die Frage, ob er denn gern zur Schule wolle, reagiert er nur einsilbig. Er ist sich unsicher und starrt auf die Tischplatte.

Zehn Minuten später – Sascha hat mein Schulleiterbüro bereits wieder verlassen und seine Mutter Richtung Auto gezogen – springt die Tür auf und Maya betritt die Bühne. Die Mama soll draußen warten. Maya aber gibt mir die Hand und schaut mich an. Alles an dem Kind strahlt aus, dass das Mädchen es kaum erwarten kann, diese neue Herausforderung zu meistern: Schulaufnahme. Begierig ist sie darauf, zu zeigen, was sie kann. Gekonnt greift sie zu Stift und Papier, kann ihren Namen schreiben und ein Lied vorsingen. Sie weiß, dass Krokodile Eier legen und kann ausführlich beschreiben, was ihr Vater beruflich macht. Sie freut sich „wie Hulle“ auf die Schulzeit.

Immer wieder frage ich mich, wie es sein kann, dass gesunde und normal entwickelte Kinder so unterschiedlich gut auf den Schuleintritt vorbereitet sind. Was haben die Eltern von Maya richtig gemacht? Was ist bei Sascha schon verloren gegangen? Diese Fragen sind wichtig.

Oft steht schon bei Fünfjährigen auf schrecklich klare Weise fest, ob sie die ersten Schuljahre mühelos meistern werden oder ob die Grundschulzeit des Kindes ein anstrengendes Riesenprojekt für die ganze Familie wird. Was also ist zu tun, um seine Kinder bestens auf die Schule vorzubereiten?

Diese Frage lässt sich beantworten, wenn man schaut, welche Gemeinsamkeiten Kinder haben, die den Bildungserwartungen mühelos entsprechen können. Dabei lenkt sich der Blick auf die ersten Lebensjahre. Ich denke mittlerweile, es sind vier Dinge, die erfolgversprechende „i-Männchen“ kennzeichnen:

  1. Neugier und selbstbewusstes Weltentdeckertum
  2. eine wortgewandte und empathische Kommunikationsfreude
  3. Beweglichkeit und Ausdauer
  4. eine gewisse Unabhängigkeit und Selbstständigkeit

1 Die große weite Welt

Ich bin zutiefst überzeugt, dass Kinder von Beginn an sehr neugierig sind und alles wissen und ausprobieren wollen. Am allerliebsten gehen sie mit. Mit auf die Dienststelle der Eltern. Mit zur Tankstelle, zum Gottesdienst, zur Forstarbeit, zur Hausbesichtigung, zur Beerdigung oder zum Einkauf. Und es entstehen besondere Momente, wenn kleine Kinder mitgenommen werden in die Welt der Großen. Es erwachsen Fragen, tausende davon, und auch der Wunsch, selbst aktiv zu werden. Wichtig ist es, die Entdeckerfreude der Kleinen zu fördern und alle Fragen stets redlich zu beantworten. Kinder wollen eben nicht nur Lernspiele bearbeiten. Sie wollen auch Papier zusammentackern, Werkzeuge erproben, mit Buchstaben experimentieren, an Instrumenten herumspielen, die Waschmaschine anstellen, Suppe kochen und Salat pflanzen. Und sie wollen wissen, warum die Mutter weint, der Opa im Krankenhaus ist und die Katze hinkt.

Wenn Sie Ihre Sprösslinge mit in die echte Welt hineinnehmen und ihnen keine Frage verbieten, erreichen Sie etwas, das unglaublich wertvoll ist: Sie erhalten jene natürliche Neugierde, die man auch in der Schule braucht.

Weltläufigkeit gewinnen aus Vorschulsicht hieße dann, hier gute und umfangreiche Erfahrungen zu machen: Naturphänomene beobachten und erklären, Geld gebrauchen, Bilder gestalten, mit Tieren umgehen, sinnvoll im Haushalt helfen, die Uhr lesen oder sich selbst passend anziehen.

2 Der Zauber der Sprache

Sprechen lernen heißt verstehen lernen. Der Philosoph Ludwig Wittgenstein brachte es auf den Punkt, als er schrieb: „Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt.“ Unsere Schulärztin Heike Ahrens ergänzte auf einem Vortrag: „Die Sprachentwicklung der Kinder beginnt auf dem Wickeltisch.“ Babys und Kleinkinder betrachten am liebsten das singende und schwatzende Gesicht der Mutter oder des Vaters. Dafür sind Wickeltisch und Kinderwagen die besten Orte. Hier können die ersten Gespräche und Sprachspiele beginnen! Und dann gibt es später noch so viele andere Gelegenheiten, um miteinander zu reden, zu reimen, zu spielen, vorzulesen oder zu singen: Bei Wartezeiten am Flughafen, auf der Wanderung, auf Autofahrten oder während früher Morgenstunden im Elternschlafzimmer.

Sprechen lernen aus Vorschulsicht hieße dann, hier gute und umfangreiche Erfahrungen zu machen: Lieder und Gedichte erlernen, Gefühle und Bedürfnisse erkennen und artikulieren, einen Witz machen, gute Fragen formulieren, höflich und respektvoll auftreten.

3 Schau mal, was ich kann!

Entwicklungsverzögerte oder beeinträchtigte Kinder sind oft nicht besonders sportlich. Kluge Grundschüler sind dagegen fast immer auch sportlich. Sie haben besondere Bewegungserfahrungen im Sportverein, beim Reiten oder beim Tanzunterricht machen dürfen. Es reicht nicht, einfach viel draußen zu sein oder den Waldkindergarten zu besuchen. Es ist für Vorschulkinder und ihr Selbstbewusstsein sehr bedeutsam, auch zielgerichtet die Grenzen des körperlich Machbaren zu erkunden.

Beweglichkeit gewinnen aus Vorschulsicht hieße dann, hier gute und umfangreiche Erfahrungen zu machen: schwimmen und tauchen, lange wandern, klettern und rennen, tanzen und Seil springen, turnen und springen.

4 Lass mich mal!

Ein Letztes: Kinder brauchen auch Zeiten, in denen sie auf sich gestellt bleiben und Probleme selbst lösen müssen. Sie müssen fallen und wieder aufstehen lernen. Sie brauchen Zeiten ohne elterliche Präsenz. Sie brauchen Ruhe und zweckfreie Muße, vielleicht sogar etwas Langeweile. So können intellektuelle Ressourcen reifen und weiterwachsen.

Selbstständigkeit gewinnen aus Vorschulsicht hieße dann, hier gute und umfangreiche Erfahrungen zu machen: vorhandenes Spielzeug kreativ einsetzen, Schmerzen richtig einschätzen, sich selbst beruhigen, Langeweile selbst überwinden, Grenzen des Erlaubten erkunden, aus Fehlern lernen.

Johannes Köster ist Leiter der Primarstufe der Freien Christlichen Schule Ostfriesland. Er lebt mit seiner Frau im Landkreis Leer und hat zwei erwachsene Kinder.

Familienurlaub auf dem Rad

Kann Radfahren, Zelten, Baden und Nudeln mit Tomatensoße ein echter Urlaub für die Familie sein? Ja! Wie das geht, berichtet Familienvater Manuel Lachmann.

Drei Fahrräder, ein Laufrad, ein Fahrradanhänger, zwei Packsäcke und vier Radtaschen – damit starteten wir unseren Urlaub: eine Radreise auf dem Elberadweg in Sachsen. Für unseren Sohn Nathanael (zu der Zeit sechs Jahre alt) begann mit der Ankunft am Bahnhof in Halle/Saale der nervenaufreibendste Teil der Reise: „Schaffen wir den Zug?“, fragte er immer wieder. Und: „Passen wir denn alle in den Zug mit unseren Fahrrädern und dem Anhänger?“ Wir passten hinein!

In unserem Abteil saß ein älteres Ehepaar, ebenfalls mit dem Rad unterwegs, mit dem wir leicht ins Gespräch kamen. Die Zugfahrt verging dadurch wie im Nu. Nach etwa zwei Stunden kamen wir in Coswig an. Nun fuhren wir per Rad die drei Kilometer zum ersten Zeltplatz. Am Zeltplatz angekommen hieß es erst einmal Zelt aufbauen, auspacken und etwas essen. Die Kinder haben direkt den Spielplatz ausfindig gemacht und das Freibad entdeckt, das zum Zeltplatz gehört. Natürlich wurden Freibad samt Rutsche und Spielplatz ausgiebig getestet.

Urlaub pur: Pause mit Eis

Unser Ziel am nächsten Tag hieß Dresden-Mockritz – 22 Kilometer entfernt. Wir fuhren entlang der Elbe durchs Grüne mit wunderschöner Landschaft. Da die Strecke nur wenige Steigungen enthielt, gab es für den dreijährigen Isaak genug Gelegenheiten, auf seinem Laufrad neben uns herzufahren. Wenn er nicht selbst fahren wollte, fuhr er im Anhänger mit. Das Laufrad haben wir dann am Anhänger mit Spanngummis befestigt.

Der Stadtrand von Dresden war schon in Sicht, als wir hinter einer Kurve ein Café mit Eiswagen entdeckten. Es war dort so schön, dass wir gleich zwei Eis gegessen haben. Zudem hatten die Kinder ihren Spaß im Sandkasten und wir Eltern konnten uns bei einem Kaffee mit Blick auf die Elbe und Dresden entspannt zurücklehnen. Der letzte Teilabschnitt des Tages führte uns quer durch Dresden. Auf gut ausgebauten Radwegen hieß es für Nathanael: immer Mama mit dem Radanhänger folgen! Papa fuhr als Schlusslicht hinterher. Souverän meisterte Nathanael die lange Strecke mit viel Autoverkehr bis zum Zeltplatz. Zur großen Freude unserer Jungs hatte der Zeltplatz einen eigenen Swimmingpool. Nathanael hatte erst wenige Tage vor dem Urlaub sein Seepferdchen gemacht. Umso schöner war es, dass er hier jeden Tag üben konnte.

Beliebte Rituale

Radfahren und Schwimmen macht hungrig. Da gibt es nichts Besseres als frisch gekochtes Essen von Papa. Das klappt auch auf einem einflammigen Campingkocher. Die Speisekarte ist meist begrenzt auf drei Gerichte. Am liebsten mögen die Jungs Nudeln mit Tomatensoße und Würstchen. Das geht auch einen ganzen Radurlaub lang. Während ich die Kochutensilien verstaue, geht meine Frau Franzi mit den Kindern zur allabendlichen Abwasch-Session. Die Kinder verhandeln täglich neu, wer abwaschen darf und wer abtrocknen muss.

Vor Eintritt der Dämmerung heißt es umziehen, Zähne putzen und in den Schlafsack kuscheln, damit Mama die Vorlesezeit beginnen kann. Diese Zeit hat sich zu einem beliebten Urlaubsritual entwickelt. Da beiden Kindern nur eine Radtasche zur Verfügung steht, kann die Gute-Nacht-Lektüre nur aus einem gemeinsamen Buch bestehen, das die gesamte Urlaubszeit abdeckt.

Sonnenuntergang am See

Am nächsten Tag fuhren wir weiter nach Pirna – eine Tour von etwa 24 Kilometern. Auch diese Etappe war sehr schön, allerdings kam immer mal eine kleine Steigung dazwischen. Erst einmal fuhren wir ein Stück durch Dresden, bis wir wieder auf den Elberadweg zurückkehren konnten. Ab da konnten wir die Landschaft genießen. Immer wieder dachte sich Franzi Geschichten aus, um die aus Nathanaels Sicht langweiligen Streckenteile zu überbrücken und ihn bei Laune zu halten.

Auf diesem Wegabschnitt erwartete uns eine ordentliche Steigung hinauf zum Schloss Pillnitz. Nicht nur Nathanael kämpfte mit dem Berg, auch wir Erwachsenen – mit voller Beladung und Anhänger. Belohnt wurden wir mit dem Blick auf das Schloss und der schönen Aussicht ins Tal.

Am Zeltplatz angekommen, bauten Franzi und ich das Zelt auf, während die Kinder Stöcke, Moos und Tannenzapfen sammelten und zu einem Lagerfeuer aufschichteten. Nathanael und Isaak sind kreative Kinder, die in der Natur mit viel Fantasie spielen. Das Lagerfeuer wurde vor unserem Zelt aufgebaut und wie ein „echtes Feuer“ behandelt, an dem wir sitzen und Würstchen grillen.

Bei diesem Zeltplatz lag der Badesee mit Sandstrand gleich nebenan. Da wir Eimer und Schaufel immer dabeihaben, ging es nach dem Zeltaufbau zum Spielen, Sandburgenbauen und Planschen an den See. Nach dem Abendessen kehrten wir zum Badesee zurück und genossen die untergehende Sonne.

Staudamm bauen

Wenn man mehrere Tage mit Fahrrad und Zelt unterwegs ist, verfolgt man den Wetterbericht genauer als sonst. Da für den kommenden Tag Regen gemeldet war, entschieden wir, eine Etappe mit Zeltplatz auszulassen und ein Stück mit dem Zug zu fahren. Dafür wollten wir dann drei Nächte an unserem letzten Zeltplatz in Bad Schandau bleiben.

So ging es am nächsten Tag von Pirna eine gute halbe Stunde an der Elbe entlang bis in die Stadt Wehlen. Während wir auf den Zug warteten, gesellten sich Paddler mit einem großen aufblasbaren Schlauchboot zu uns. Schnell kamen wir ins Gespräch. Sie kamen aus der Gegend und meinten, wir hätten eine gute Entscheidung getroffen, gerade diese Strecke mit dem Zug zu fahren. Die Gegend ist hier besonders reizvoll, da die Elbe sich mit ihren vielen Kurven und Biegungen durch die Landschaft schlängelt, was man vom Zug aus am besten sieht.

In Bad Schandau angekommen, ging es entlang der Kirnitzsch zu unserem letzten Zeltplatz. Wir kannten ihn schon von einem früheren Kletterurlaub. Das Gelände ist stufenartig gebaut, wir hatten unseren Platz ganz oben. Bei wunderbarem Sonnenschein war alles schnell aufgebaut. Danach ging es mit den Kindern hinunter an die Kirnitzsch zum Spielen, Bootfahren und Staudammbauen im eiskalten Wasser. Franzi fuhr nach Bad Schandau, um Postkarten und Lebensmittel zu kaufen. In der Touristeninformation erkundigte sie sich nach dem Wetter. Die Verkäuferin versicherte ihr: „Die letzten Tage war schon häufig Regen gemeldet, es kam aber nie etwas herunter!“ Mit dieser Aussage kehrte sie fröhlich zum Zeltplatz zurück.

Nächtliche Überraschung

Müde vom Spielen im kalten Fluss waren wir alle zunächst schnell eingeschlafen. Nach einiger Zeit wurde ich wach, weil ich Regen hörte. Ich spürte ihn auch im Zelt – meine Isomatte war nass! Es gewitterte ordentlich. Meine große Sorge war, dass die Kinder davon wach werden könnten, aber sie schliefen seelenruhig weiter. Franzi und ich versuchten, die Kinder mitsamt ihren Schlafsäcken immer wieder auf die noch trockenen Stellen im Zelt zu platzieren. Mittlerweile floss ein kleiner Fluss durchs Zelt. Daher war an Schlafen nicht mehr zu denken. Am nächsten Morgen beschlossen wir einstimmig, unseren Urlaub zu beenden. Nun mussten wir bei Regen packen. Wegen der schweren nassen Sachen ging es nur langsam zum Bahnhof nach Bad Schandau. Von dort fuhren wir bis Halle/Saale mit dem Zug.

Unser Fazit: Es war ein wundervoller Urlaub, auf den wir mit einem lachenden und einem weinenden Auge zurückblicken. Es gab tolle unerwartete Schwimmgelegenheiten, Natur pur, Sonne, Zeit zum Erholen. Und es gab Wasser im Zelt. Wir hatten uns das Zelt – ein älteres Modell – für den Urlaub geliehen. Nach dem Urlaub stand fest, dass es Zeit für ein eigenes neues und regenfestes Zelt ist. Wir sind sehr dankbar für die gemeinsame Zeit, die wir als Familie erleben durften. In diesen Tagen haben wir gelernt, gemeinsam stark zu sein und aus jedem Erlebnis das Positive hervorzuheben.

Manuel Lachmann ist Hausmann, lebt mit seiner Familie in Halle/Saale, leitet dort „Die Männerreise – Abenteuer Identität“ 

3 bis 5 – Auf’s Fahrrad umsteigen?

Elternfrage: „Meine Frau und ich sind uneins darüber, wann unser Sohn (3) Rad fahren lernen soll. Ich meine, wir sollten jetzt beginnen, meine Frau findet es zu früh. Wann ist der beste Zeitpunkt für das Fahrrad? Und was sollte man sonst noch beachten?“

Wenn wir mit dem Fahrrad unterwegs sind, ist uns nicht bewusst, wie komplex die Bewegungsabläufe und wie vielfältig die Informationsverarbeitungen sind. Radfahren ist ein Zusammenspiel aus Motorik, Planung, Orientierung, Geschwindigkeit, Gleichgewicht, Sequenzierung von Handlungen und Regelwerk.

Obwohl man schon für Kleinkinder Fahrräder kaufen kann, bedeutet dies nicht, dass es das ideale Lernalter ist. Erst wenn Kinder von sich aus Interesse am Rad zeigen, sollten sie es ausprobieren. Dabei sind manche ein Kindergartenkind und andere gehen schon in die Schule.

Balance und Geschwindigkeit

Lassen Sie sich nicht verunsichern, wenn jüngere Kinder durch die Straßen sausen und Ihres noch auf einem Laufrad herumkurvt. Lernen braucht Zeit und die Voraussetzungen fürs Radfahren lassen sich gut mit Roller und Laufrad trainieren: Das Kind entwickelt ein Gespür für Balance und Geschwindigkeit. Es wird merken, wie schnell es sein muss, um die Beinchen zu heben. Und es wird wissen, wie ruckartig es den Lenker drehen kann, ohne auf die Nase zu fallen.

Viele Eindrücke müssen eingeordnet werden: Geräusche, Bewegungen von Personen und Autos oder Hindernisse auf dem Weg. Das Kind lernt Wichtiges von Unwichtigem zu unterscheiden und nach und nach automatisieren sich Bewegungsabläufe. Wenn es dann ein Fahrrad ausprobieren möchte, kann auch ein Rad von Geschwistern oder Nachbarskindern hilfreich sein. Eine Anschaffung lohnt sich erst, wenn sich Fahrerfolg einstellt. So sparen Sie sich zum Beispiel ein kleines 12-Zoll-Rad und können gleich ein größeres Rad anschaffen.

Ohne Stützräder fahren!

Vermeiden Sie Stützräder am Fahrrad! Sie sind eher hinderlich als hilfreich, denn mit ihnen lässt sich nicht der entscheidende Gleichgewichtssinn trainieren. Am Anfang fehlt den Kindern häufig die Kraft, um anzufahren. Geben Sie dem Rad einen Schubs, aber schieben Sie es nicht ständig. Das lenkt Ihr Kind ab und es guckt mehr nach hinten als nach vorn. Sie sollten außerdem darauf achten, nicht ständig zu reden, denn Ihr Kind ist mit so vielen Dingen auf einmal beschäftigt, dass es kaum auf Ihre Worte achten wird. Fahrradfahren ist körperbetont, es lässt sich nicht durch verbale Erklärungen erlernen. Wenn Sie Ihr Kind anfeuern wollen, dann rennen Sie vor und lotsen es ins Ziel, so fokussiert es sich nach vorn. Mancher Sturz lässt sich nicht vermeiden – sorgen Sie mit Helm, Knieschützern und robuster Kleidung vor.

Radeln Sie selbst gern? Ihre Begeisterung wird andere anstecken. Machen Sie aus dem Radausflug ein schönes Familienerlebnis. Suchen Sie sich ruhige Wege und leicht erreichbare Ziele: einen Lieblingsplatz im Park, die Eisdiele, den Bäcker oder das Tiergehege. Nichts ist frustrierender, als wenn aus dem Genussradeln ein Pedalenkampf wird. Die Freude wächst mit der Routine und dann „kommt Radfahren dem Flug der Vögel am nächsten“ (Louis J. Halle).

Susanne Ospelkaus ist Ergotherapeutin und Autorin. Sie lebt mit ihrer Familie in Zorneding bei München und bloggt unter: susanne-ospelkaus.com

Auf die Väter kommt es an

Väter spielen eine entscheidende Rolle in der Entwicklung der Kinder. Warum Väter nicht wie Mütter sein müssen und was wirklich wichtig ist, erklärt Hannsjörg Bachmann.

Seit ca. 50 Jahren wird gezielt über Väter geforscht. Diese Forschung zeigt auch, dass vieles von dem, was Väter ausmacht, in der Vergangenheit oft nur geringe Chancen hatte, sich zu entfalten und gelebt zu werden. In dem traditionellen Familienmodell wurde Vaterschaft meist auf das indirekte Engagement als Versorger der Familie reduziert. Andere Vater-Kompetenzen waren in diesem Modell wenig gefragt.

Dass Väter auch noch andere Qualitäten in sich tragen, haben erst die neuen Familienmodelle richtig sichtbar gemacht. Sie geben den „neuen“ Vätern viele Möglichkeiten, sich auch direkt in der Familie zu engagieren – in der Beziehung zu den Kindern und in der Partnerschaft. Persönliche Erfahrung und Forschung zeigen, wie wertvoll, wohltuend und inspirierend Väter und diese Form ihres fürsorglichen Engagements für die Familie sind. Indem Väter sich so einbringen, setzen sie viele innovative Prozesse in der Familie in Gang. Diese Entwicklung gelingt am besten, wenn sie von Beginn an in enger Abstimmung mit der Partnerin erfolgt – in gemeinsamer Elternschaft. Lohnend ist diese Entwicklung aber auch dann, wenn sie erst mit zeitlicher Verzögerung erfolgt. Viele Väter sind überrascht davon, wie fundamental sich ihre Sicht auf das Leben und die Gesellschaft verändert, wenn sie sich auf die Sicht ihres Kindes einlassen.

Die aktuellste Übersicht zu allen entwicklungspsychologischen Aspekten der Väterforschung findet sich in dem Buch von Lieselotte Ahnert, dessen Titel ich als Überschrift für diesen Artikel gewählt habe. Ich beschränke mich hier auf einige wenige Aspekte, die ich für besonders relevant halte.

Eine eigenständige Vater-Kind-Beziehung suchen und finden

Väter sind keine Mütter. Sie sind, wie sie sind – anders. Und das ist gut so. Von dem dänischen Familientherapeuten Jesper Juul stammt die Aussage: „Man kann nicht von Müttern lernen, wie man ein guter Vater wird.“ Jeder Vater wird für sich selbst herausfinden (müssen), was Vatersein für ihn bedeutet und wie er es authentisch leben kann. Das Vorbild des eigenen Vaters kann überzeugen, es kann vielleicht aber auch dazu herausfordern, einen anderen Weg zu suchen. Anregend ist es auf jeden Fall, sich mit anderen Vätern über die eigenen Erfahrungen auszutauschen.

Unterschiedlichkeit als Gewinn. Väter gestalten die Beziehung zu ihrem Kind auf ihre eigene Art und Weise – oft ganz anders als die Mütter. Auch wenn Mütter und Väter die gleichen Werte vertreten, wirkt sich diese Unterschiedlichkeit überall aus (beim Sport, beim Spiel, dem Umgang mit Schulproblemen, bei kleineren oder auch größeren Krisen im Leben der Kinder). Diese Unterschiedlichkeit von Mutter und Vater, Feinfühligkeit bei beiden vorausgesetzt, ist für die Kinder kein Problem, sondern ein großer Gewinn. Sie erleben so sehr konkret, wie verschieden Menschen sind, wie unterschiedlich sie mit allem umgehen und dass es nur sehr selten „richtig“ oder „falsch“ gibt. Über die Mütter finden die Kinder oft eher einen Zugang zur emotionalen Welt, über die Väter häufiger zur Welt der Gedanken und Vorstellungen, zur mentalen Welt.

Weichenstellung mit Langzeitwirkung. Die Entscheidung des Vaters, eine eigenständige Beziehung zu seinem Kind zu suchen, gehört zu den wichtigsten Weichenstellungen in der Familie. Optimalerweise erfolgt sie schon in den Wochen um die Geburt herum. Sie trägt dann wesentlich dazu bei, dass der Vater im emotionalen Zentrum der Familie bleibt und dass er sich zusammen mit seinen Kindern weiterentwickelt, Vater und Kind „wachsen“ gemeinsam. Die Familie entwickelt sich „um beide Elternteile herum“.

Zu unserer Realität gehört, dass viele Väter diese Weichenstellung verpassen – nur vorübergehend oder auch auf Dauer. Oft fehlt ihnen in ihrer Umgebung einfach ein Vater-Vorbild, das diese Form des Vaterseins authentisch vorlebt. Für einen Richtungswechsel ist es nie zu spät – Nachlernen ist auch im fortgeschrittenen Alter durchaus möglich.

Väter und ihre Eigenarten

Feinfühlige Väter? Väter bringen alle Voraussetzungen mit, um zu ihrem Kind eine eigenständige, lebendige Beziehung aufzubauen. Wir wissen heute, dass Väter genauso feinfühlig sein können wie Mütter – manchmal sogar noch feinfühliger. Auch zwischen Vätern und Kindern kann sich eine sichere emotionale Bindung entwickeln – als stabiles Fundament für das ganze Leben. Väter vermitteln ihre Liebe und Akzeptanz auf ihre eigene Art, unverwechselbar. Dann erleben sie – oft mit großem Erstaunen – dass sie von ihren Kindern bedingungslos geliebt werden. Es entsteht eine tiefe Vertrauensbeziehung. Viele Väter erleben diese emotionale Erfahrung als tiefes Glück.

Väterliche Feinfühligkeit ist in jedem Lebensalter gefragt, nicht nur im Säuglings- und Kleinkindalter, auch danach, im Schulalter, in der Adoleszenz, in der Beziehung zu den erwachsenen Kindern. Es geht um die Fähigkeit und den Willen des Vaters, sich in die Welt des Kindes hineinzuversetzen, die Bedürfnisse des Kindes wahrzunehmen und so gut wie möglich zu verstehen. Und gleichwürdig mit dem Kind umzugehen.

Gleichwürdig meint, Tochter und Sohn so zu behandeln, wie man als Erwachsener auch selbst behandelt werden möchte. Diese innere Haltung verändert auch das Zuhören und Reden des Vaters. Das Kind spürt unmittelbar, ob der Vater mit echtem Interesse zuhört oder nur flüchtig, und wie er mit ihm redet – bewertend, kommentierend, kritisierend, bevormundend – oder ob er ein Gespräch ermöglicht, in dem sich Kind und Vater öffnen können. Wenn ein Kind immer wieder, an guten und schlechten Tagen, die Erfahrung macht, dass es vom Vater gesehen, gehört und verstanden wird, verinnerlicht es tief, dass es bei ihm sicher aufgehoben ist und dass es so, wie es ist, geliebt und wertgeschätzt ist.

Bemerkenswert ist, wie unmittelbar diese neue Qualität des Zuhörens und Redens die Familienatmosphäre und die Beziehung zwischen Kind und Vater in eine positive Richtung verändert. Ich zitiere ein 8-jähriges Mädchen, dessen Vater sich ohne Wissen des Kindes entschlossen hatte, eine neue Gesprächskultur in die Familie zu bringen und mit dem Kind so respektvoll zu reden wie mit Erwachsenen: „Vater, es gefällt mir, wenn du so anders mit mir redest.“

Gegenüber und Modell. Mit Mutter und Vater als verlässlichem, feinfühligem Gegenüber erlernen Kinder schon früh, die eigenen Gefühle ernst zu nehmen, einzuordnen und zu benennen. Alle Gefühle, auch die für die Eltern „herausfordernden“ (wie Wut, Ärger, Angst …), sind erlaubt. Sie werden nicht negativ bewertet – Gefühle sind einfach da; sie sind, wie sie sind. Die Kinder lernen, in Übereinstimmung mit sich selbst zu leben. Sie entwickeln Selbst(wert)gefühl und Empathie. Die Interaktion mit dem Kind berührt und aktiviert auch bei Vater und Mutter viele bislang wenig bekannte Emotionen und hinterlässt oft tiefe Spuren in ihrer Seele.

Väter mit Defiziten im „seelischen Fundament“ und/oder biografischen Brüchen. Nicht alle Väter haben eine „glückliche“ Kindheit erlebt und in ihren Familien konstruktive Beziehungsmuster kennengelernt. Oft waren die eigenen Eltern – trotz bester Absicht – nicht in der Lage, ihrem Kind ein stabiles seelisches Fundament mitzugeben. Dass ihnen etwas Wesentliches fehlt, entdecken diese Väter häufig erst im Erwachsenenalter, wenn Lebenskrisen darauf hinweisen, dass es gravierende Leerstellen in ihrem seelischen Fundament gibt.

Ein aktuelles Interview in der ZEIT (Nov. 23) mit Lance Armstrong und Jan Ullrich zeigt eindrucksvoll, dass selbst tiefgreifende existenzielle Krisen, wie beide sie über viele Jahre erlebt haben, nicht das letzte Wort haben müssen. „Nachlernen“ ist auch dann noch möglich. Besonders gute Lehrmeister sind – neben den psychotherapeutischen Fachleuten – oft die eigenen Kinder. Lance Armstrong sagte: „Ich selbst habe in meinen dunkelsten Momenten nur an meine Familie gedacht … vor allem an meine Kinder. Ich wollte, dass sie ihren Vater respektieren können. Ich wollte ihr Bild von mir nicht zerstören, das war meine größte Furcht – und mein Antrieb, mich nicht aufzugeben.“

Zum Nachlernen gehört, die Verantwortung für das eigene Leben mit allen Brüchen voll zu übernehmen – und dies auch gegenüber den Kindern zu artikulieren, verbunden mit der Aussage „Es tut mir leid“. Kinder sind dann meist sehr bereit für einen Neuanfang.

Die Partnerschaft bereichern

Oft liegt der Fokus beim Vatersein auf der Beziehung zum Kind. Genauso wichtig ist es, gleichzeitig auch die Dynamik der Paarbeziehung im Blick zu haben. Denn die Veränderung, die mit der Vaterschaft verbunden ist, betrifft immer das gesamte Familiensystem, auch die Partnerschaft. Es gilt die alte Weisheit: „Wenn es beiden Eltern als Paar gut geht, geht es gewöhnlich auch dem Kind gut.“ Forschungsergebnisse zeigen eindeutig, dass sich Väter besonders gerne in ihrer Vaterschaft engagieren, wenn sie auch mit ihrer Partnerschaft zufrieden sind.

Gleichberechtigte Partnerschaft. Für viele Väter ist es heute selbstverständlich, dass sie sich an den vielen Tätigkeiten beteiligen, die nötig sind, um den Alltag in der Familie gut zu bewältigen. Die im Haushalt und bei der Kinderbetreuung anfallenden Aufgaben werden möglichst „gerecht“ verteilt.

Weniger selbstverständlich ist es – oft betrifft das die Väter –, sich auch ebenso aktiv in die Prozesse einzubinden, die mit der inneren Struktur der Familie zu tun haben, also mit dem, was die Familie im Kern zusammenhält: der Qualität der Beziehungen – zu sich selbst, zu der Partnerin, zu den Kindern –, der Art der Kommunikation, dem Umgang mit Konflikten, der feinfühligen Begleitung der Kinder in den Höhen und Tiefen des Alltags. Diese Bereiche kann man nicht aufteilen; wünschenswert ist, dass beide Partner hierfür gemeinsam Verantwortung übernehmen.

Emotionale Sprachfähigkeit. Von großer Relevanz ist, dass beide Partner sprachfähig sind bzw. werden – nicht nur auf der Ebene der Fakten, des Wissens, des Verstandes, des Alltäglichen, sondern vor allem auch auf der emotionalen Ebene – im Austausch über Gefühle wie Freude, Dankbarkeit, Sorgen, Zweifel oder Ängste. Eine Begegnung beider Partner von Herz zu Herz gibt es eben nur auf dieser emotionalen Ebene. Hier entsteht Verbundenheit, Nähe und Vertrautheit.

Viele Frauen wünschen sich, dass ihre Männer auf diesem Sektor zusätzliche Kompetenzen erwerben. Sie erleben „emotionale Spracharmut“ als schmerzhafte Leerstellen – in der Partnerschaft ebenso wie in der Vater-Kind-Beziehung und der Beziehung der Männer zu sich selbst. Viele Männer und Väter nehmen dieses Defizit gar nicht wahr.

Ein exzellenter Führer in das Land der emotionalen Sprachfähigkeit ist das Buch „8 Gespräche, die jedes Paar führen sollte“ der US-amerikanischen Paartherapeuten und -forscher John und Julie Gottman. Mütter und Väter, die sich auf diesen Weg begeben, verändern nicht nur ihr eigenes Leben, sie beeinflussen und bereichern auch das Leben ihrer (kleinen und großen) Kinder, die Paardynamik und das ganze Familiensystem.

Einige persönliche Anmerkungen

Optimal ist es, wenn dieser Schritt zum „neuen“ Vatersein zu Beginn der Familienphase erfolgt. Meine eigene Biografie zeigt, dass es aber auch später noch möglich ist, sich auf einen neuen Weg zu begeben. Ich habe viele meiner wichtigen persönlichen Weichenstellungen in diesem Bereich erst in der zweiten Lebenshälfte vollzogen. Der Rückblick auf die in den Jahren zuvor verpassten Möglichkeiten war und ist oft schmerzhaft. Gleichzeitig gab es in dieser zweiten Lebensphase einen großen Zugewinn an lebendigen Beziehungen; ich hätte es mir vorher nie so vorstellen können – in den ganz nahen Beziehungen (zu mir selbst, meiner Frau, zu unseren erwachsenen Kindern plus Schwiegerkindern, zu unseren Enkelkindern), aber auch darüber hinaus. Die „Familienwerkstatt“ und auch das Vater-Tochter-„Familien leben“-Buch gäbe es ohne diese Erfahrungen nicht.

Prof. Dr. Hannsjörg Bachmann, geboren 1943, war 20 Jahre lang Leiter einer Kinderklinik in Bremen. Er machte Ausbildungen bei Jesper Juul und Karl-Heinz Brisch und ist Mitbegründer der „Familienwerkstatt im Landkreis Verden e. V.“.

11 bis 15 – Gefährliche TikTok-Challenges

Elternfrage: „Ich habe gelesen, dass ein 15-Jähriger nach einer Challenge gestorben ist, die er auf TikTok gesehen und nachgemacht hat. Auch meine Kinder nutzen diese Plattform. Wie kann ich sie schützen?“

TikTok-Challenges kann man als moderne Mutproben bezeichnen. Es geht darum, sich etwas zu trauen oder etwas Außergewöhnliches zu machen und Aufmerksamkeit zu erzeugen. Bei TikTok finden wir ein ganzes Spektrum an Challenges – von kreativen bis gefährlichen. Es gibt Activity-Challenges, also sportliche Herausforderungen, oder Spaß-Challenges, wo man sich zum Beispiel Witze erzählt. Sehr bekannt sind auch Beauty-Challenges. Da wird es schon schwierig, wenn junge Frauen sich beispielsweise die Oberlippe mit Sekundenkleber ein Stück nach oben kleben, um breitere Lippen zu haben. Richtig gefährlich wird es, wenn in Waschmittelpods gebissen, aus einem springenden Fahrzeug gesprungen oder sich gegenseitig gewürgt wird.

Was finden Teenager daran nachahmenswert?

Im Kindheits- und Jugendalter ist die Frage „Was traue ich mich?“ und „Was trauen sich die anderen?“ sehr zentral. Es geht auch um die Fragen: „Wie weit soll ich gehen? Was schaffe ich?“, also darum, Grenzen zu testen. Das ist zunächst einmal nichts Schlechtes, sondern auch richtig und wichtig in dieser Entwicklungsphase. Aber wenn es gefährlich wird aufgrund dessen, was man tut und wo dann der Content verbreitet wird, sind Grenzen zu setzen.

Gespräche und Aufklärung über TikTok

Wie sollten Eltern mit ihren Kindern über die Gefahren sprechen?

Es ist wichtig zu wissen, was das Kind beschäftigt und begeistert, sich das auch mal gemeinsam anzuschauen und zusammen zu überlegen: Springt da gerade wirklich jemand aus einem fahrenden Auto oder aus dem zehnten Stock in einen Pool? Schauen Sie hinter die Kulissen und reflektieren Sie gemeinsam. Wir reden hier ja häufig von Kindern, die unter 13 Jahre alt sind, also eigentlich noch gar nicht auf TikTok sein sollten. In diesem Alter sind sie schon rein kognitiv noch gar nicht so weit, diese Videos zu durchschauen und zu reflektieren, ob das wahr ist, was sie da sehen und ob sie da mitmachen sollten.

Neben der Aufklärung geht es auch um Sicherheit. Man kann inzwischen bei TikTok allerhand eingeschränkte Modi nutzen, sodass die Gefahren erst gar nicht auf das Kind zukommen.

Als dritten Punkt finde ich wichtig, dem Kind Selbstbewusstsein zu vermitteln: „Auch, wenn alle deine Kumpels das cool finden, kannst du trotzdem sagen, dass du da nicht mitmachst. Damit zeigst du keine Schwäche, sondern Stärke.“

Ein vierter Punkt ist: Vorbild sein. Wenn wir als Erwachsene uferlos auf Social Media unterwegs sind, uns dort beeinflussen lassen und möglicherweise auch bei Challenges mitmachen, fällt es den Kindern, die sich an uns orientieren, schwerer, sich zu distanzieren.

Möglichkeiten zur Reflexion

Sollten Eltern ihren Kindern Strafverbote fürs Handy erteilen?

Wenn das Kind immer wieder vorher besprochene Regeln bricht, kann es sinnvoll sein, einen klaren Schnitt zu machen. Dann kann das Kind Abstand gewinnen und hat Zeit zu reflektieren und sich neu zu sammeln, um dann wieder neu zu starten. Aber ich würde davon abraten, es als grundsätzliches Erziehungsmittel einzusetzen. „Räum dein Zimmer auf! Mach die Hausaufgaben! Putz die Zähne – sonst ist dein Handy weg“, macht es sehr beliebig und steigert auch die Begeisterung, die das Digitale bei Kindern eh schon hat.

Iren Schulz ist Kommunikationswissenschaftlerin, Medienpädagogin und Mediencoach bei der Initiative SCHAU HIN! (irenschulz.de).

Interview: Ruth Korte

Wir sind alle so erschöpft

Das Familienleben ist häufig erschöpfend. Warum das so ist und wie Familien zu neuer Stärke finden, erklärt der Psychotherapeut Jörg Berger.

Erschöpft zu sein ist anders als müde oder erholungsbedürftig. Wer müde ist, schläft ein paar Nächte und fühlt sich wieder fit. Wer Erholung braucht, verbummelt ein Wochenende oder genießt einen Urlaub. Dann ist der Akku wieder geladen. Doch Erschöpfung geht tiefer. Man schläft und bleibt müde. Man ruht und wird nur antriebslos. Der Akku bleibt leer. Wer müde und erholungsbedürftig ist, kann es sich außerdem erklären: Vielleicht waren die Nächte schlecht oder ein Infekt hat den nächsten abgelöst. Oder einer steigt wieder in den Beruf ein und die Kinderbetreuung fällt aus. Das kostet Kraft. Doch wenn die Belastung nachlässt, kommt auch die Energie wieder. Das ist bei Erschöpfung anders. Man ist in normalen Lebensphasen k. o. und fragt: „Warum bin ich so erschöpft?“

Dann gibt es offenbar immer Dinge, die zu viel Energie kosten. Das betrifft erschreckend viele Menschen. Die Sozialforschungsgesellschaft Forsa hat 2019 im Auftrag der Kaufmännischen Krankenkasse 1.000 Eltern mit Kindern unter 18 Jahren befragt. Über ein Drittel der Eltern hat angegeben, unter Erschöpfung und Burnout zu leiden. Etwa genauso viele haben auch Gereiztheit, Nervosität, Müdigkeit und Schlafstörungen erlebt. Jugendlichen und jungen Erwachsenen geht es nicht anders, wie die Befragung „Jugend in Deutschland“ 2022 zeigte: Von den 1.000 repräsentativ ausgewählten jungen Menschen zwischen 14 und 29 Jahren berichteten 45 Prozent von Stress, 35 Prozent von Antriebslosigkeit und 32 Prozent von Erschöpfung. In der Forsa-Umfrage wurden gestresste Eltern auch gefragt, was ihnen helfen würde. Sie wünschen sich vor allem zweierlei: mehr Zeit (70 Prozent) und innere Gelassenheit (72 Prozent). Hier können vier Strategien ansetzen, die aus der Erschöpfung führen.

1. Den Selbstwert stärken

Selbstwert und Energie hängen eng zusammen. Menschen, die sich wertvoll fühlen, spüren Energie in ihrem Körper. Sie können sich auf den Augenblick einlassen, genießen ihre Lieben und ihre Aufgaben. Und sie können über sich lachen und nehmen selbst Dinge, die schiefgehen, gelassen. Wer sich dagegen oft hinterfragt, kritisiert und schuldig fühlt, hemmt sich bis in sein körperliches Energielevel hinein. Er nimmt Dinge schwer und persönlich. Wer über Erschöpfung nachdenkt, sollte daher zuallererst am Selbstwert ansetzen: einander ermutigen, einander vertrauen und zutrauen, geräuschlos vergeben, auch das annehmen, was unvollkommen ist.

Aber macht das nicht selbstbezogen und rücksichtslos? Im Gegenteil, Annahme und Ermutigung machen korrigierbar. Wer sich wertvoll fühlt, bei dem kommen Signale an: „Ups, damit fühle ich mich nicht wohl.“ – „Wolltest du nicht noch …?“ – „Ich glaube, du bringst XY gerade in eine unangenehme Situation.“ Wer sich einer Korrektur verschließt, hat meist das Gefühl, nicht zu genügen und dass es ohnehin nie gut genug ist.

Selbstwert brauchen wir vor allem, wenn wir uns gegen das Zuviel wehren, mit dem fast jede Familie zu kämpfen hat. Es ist schrecklich überfordernd, was wir alles wissen, können, tun, leisten, haben und schaffen müssen. Aber müssen wir das wirklich? Vieles nicht. Gerade Verpflichtungen gegenüber Verwandten, Freunden und Bekannten, gegenüber Institutionen wie Kindergarten, Schule, Verein und Kirche können wir überprüfen: Müssen wir wirklich alles tun, was von uns erwartet wird? Wo nicht, können wir lernen, uns fröhlich zu schämen. Doch wer sich wertvoll genug fühlt, kann Erwartungen enttäuschen. Ich könnte eine lange Liste mit Punkten schreiben, in denen ich hinter dem zurückbleibe, was man von einem gebildeten, rücksichtsvollen und engagierten Menschen erwartet. Wo das sichtbar wird, schäme ich mich. Manchmal lassen es mich andere auch spüren, dass sie mehr von mir erwarten. Das lässt mich nicht kalt. Es kränkt, es schmerzt. Aber niemals würde ich mir die Freiheit nehmen lassen, so zu leben, wie es mir entspricht und wie es auch denen guttut, die ich liebe. Dann schäme ich mich lieber fröhlich.

2. Gefühle und Konflikte willkommen heißen

Kennen Sie den Gedanken: „Auch das noch!“, wenn wir es mit Gefühlsausbrüchen oder Konflikten zu tun bekommen? Etwa bei einem Wutausbruch unserer Kinder, einer Sinnkrise unseres Partners oder einem Streit? Doch wenn wir so reagieren, offenbart das: Unser Leben ist so voll, dass für Gefühle und Konflikte keine Kraft mehr da ist. Schon Bücher über berufliche Zeitplanung empfehlen: „Planen Sie in Ihren Arbeitstag Zeit für unvorhergesehene Dinge ein, denn die kommen immer. Wenn Sie den ganzen Tag bereits verplant haben, bringt Sie alles, was unerwartet kommt, unter Druck.“ Was für die Arbeit gilt, trifft in ähnlicher Weise für unser Privatleben zu.

Für Gefühle und Konflikte etwas übrig zu haben, ist schon deshalb entlastend, weil sie sich nicht verhindern lassen. Es gibt aber noch einen besseren Grund. Gefühle tragen viel Energie in sich: Sie brechen aus, reißen uns mit, sie bewegen oder überwältigen uns. Wo wir unsere Gefühle und die unserer Lieben bekämpfen, versiegt eine Energiequelle. Wo wir Gefühle dagegen verstehen, liebevoll beantworten und deren Energie in eine gute Richtung lenken, erhöht sich unser Energielevel. Auch die unvermeidlichen Konflikte können wir unter diesem Gesichtspunkt betrachten: Wo wir verstehen, worum es geht und einen guten Kompromiss finden, setzen wir Motivation und Kraft frei. Das Gegenteil wäre der ungelöste Konflikt, in dem wir uns gegenseitig blockieren, beschneiden, zensieren und das Leben eng machen, damit an dieser Stelle nicht schon wieder ein Streit ausbricht. Das macht nicht nur gereizt und traurig. Es lähmt unsere Lebenskräfte, die wir doch für unseren Alltag brauchen.

3. Energieräuber ausladen

Nichts greift tiefer in unser Nervensystem als das, was sich in unseren Beziehungen abspielt. Hier erneuert sich unsere Kraft, hier verlieren wir sie. Menschen ermutigen uns zu einem Leben, wie es uns entspricht. Menschen versuchen, über uns zu bestimmen und uns zu verbiegen. Für unseren Kräftehaushalt ist es daher entscheidend, wen wir in unsere Nähe lassen und wem wir emotionale Macht über uns geben.

Sozial eingestellte und gläubige Menschen sind großzügig gegenüber den Eigenarten anderer Menschen. Sie übernehmen Verantwortung für das Gelingen von Beziehungen, zur Not einseitig. Sie suchen im Zweifelsfall den Fehler bei sich. Doch manchmal ist das schädlich. Denn wenn andere sich unfair oder ausnutzend verhalten, brauchen wir eine starke Liebe, die den Schwächen anderer Grenzen setzt. Sie stellt andere vor die Wahl: „Möchtest du eine liebevolle, gesunde Beziehung mit mir leben? Oder bestehst du darauf, dich weiterhin unfair zu verhalten? Dann aber ohne mich.“

Nur wer fair und vertrauenswürdig ist, darf in unsere Nähe kommen. Viele Beziehungen sind gesetzt: Verwandtschaft, Nachbarn, Kollegen. Doch wir bleiben frei darin, wie viel Zeit wir mit jemandem verbringen und ob wir uns öffnen. Auch in einer oberflächlichen Beziehung, die sich auf das unvermeidliche Miteinander beschränkt, kann man freundlich, wertschätzend und hilfsbereit sein. Christlich geprägte Menschen erinnere ich manchmal daran, dass selbst Feindesliebe keine seelische Nähe erfordert. Beispiele für Feindesliebe in der Bibel sind beten, ein Kleidungsstück überlassen, etwas zu trinken oder etwas zu essen geben. Das alles ist möglich, ohne einen bösen oder schädlichen Menschen in sein Leben zu lassen. Manchmal spreche ich mit Menschen auch über die Frage, wie sozial man sein muss. Denn wenn sich jeder von schwierigen Menschen abwenden würde, blieben sie ja ganz allein. Doch man sollte das Potenzial schwieriger Menschen nicht unterschätzen, sich auf eine gesündere Beziehung einzulassen. Die Motivation dafür entsteht aber erst, wenn es nicht mehr genug Personen gibt, die sich unfair und ausnutzend behandeln lassen. Wenn das schwierige Verhalten Ausdruck einer psychischen Erkrankung ist, schenkt man einer Person besser in einem kleinen Netzwerk Gemeinschaft – alles andere überfordert oft.

4. Glück ist analog

Als Werkzeug ist die digitale Welt unendlich nützlich, als Lebensform erschöpft sie uns. Denn einerseits überreizt sie, andererseits schneidet sie uns von dem ab, was Kraft gibt: Berührungen, persönliche Begegnungen, in der Natur sein, etwas mit den Händen tun, die Welt mit allen Sinnen erfahren, die Wohltat des Nichtstuns genießen, in der Langeweile erleben, wie sich kreative Kräfte entfalten. Was einem schon der gesunde Menschenverstand sagt, können Studien präziser fassen. In der BLIKK-Medien-Studie 2017 wurden zum Beispiel über 5.000 Familien zum Umgang mit digitalen Medien befragt. Gleichzeitig wurde die Gesundheit und Entwicklung von Kindern untersucht. Das Ergebnis: Die Nutzung digitaler Medien begünstigt Schlafstörungen, Fütterstörungen, motorische Entwicklungsstörungen, Verhaltensauffälligkeiten, Sprachentwicklungsstörungen, Konzentrationsstörungen und anderes. Je früher der Mediengebrauch einsetzt und je intensiver er ist, desto ausgeprägter sind die Effekte. Sowohl für die betroffenen Kinder als auch für Eltern, die sich Sorgen machen, sind die Folgen des Medienkonsums kraftraubend. Ins Positive gewendet liegt hier ein großes Potenzial für Wohlbefinden. Es gibt zwar den Sog in die digitale Welt und oft auch einen sozialen Druck. Doch wir bestimmen, inwieweit wir dem nachgeben. Je glücklicher wir in der analogen Welt sind, desto leichter wird es.

Wenn ich erschöpfte Menschen begleite, wünschen sie sich nichts mehr, als wieder Kraft zu haben. Um dann so weiterzumachen wie bisher? Lieber nicht. Denn Erschöpfung hat eine Botschaft, die uns etwas Wichtiges zu sagen hat. Wir haben uns von dem abschneiden lassen, was uns Kraft gibt. Wir haben den falschen Menschen oder Dingen Macht über uns gegeben. Wer die Botschaft hört und beherzigt, wird seine Erschöpfung feiern. Denn sie führt auf einen Weg, der das Leben leichter und glücklicher macht. Sie bringt mehr in Übereinstimmung mit dem, was einem wirklich wichtig ist.

Jörg Berger ist Psychotherapeut und Paartherapeut in eigener Praxis in Heidelberg (psychotherapie-berger.de/family).

Enttäuschung: Wenn mein Kind nicht so ist, wie ich es dachte

Kinder entsprechen nicht immer den Erwartungen, die ihre Eltern an sie haben. Stefanie Diekmann über die schädliche Dynamik der Enttäuschung und wie wir sie durchbrechen können.

Über ein Thema in der Eltern-Kind-Beziehung wird wenig gesprochen und geschrieben: die Enttäuschung über das eigene Kind. Dabei kennen dieses Gefühl wohl die meisten Eltern mehr oder weniger stark. In manchen Momenten ist mir mein Kind vertraut und herzensnah. Aber je älter das Kind wird und je deutlicher die Persönlichkeit sichtbar wird, desto eher müssen wir uns dem Gefühl der Enttäuschung stellen.

Unerfüllte Wünsche

Aber darf ich als Mutter oder Vater überhaupt enttäuscht von meinem eigenen Kind sein? Vorsichtig formuliere ich eher: „Ich mache mir Sorgen“ oder „Ich verstehe nicht, warum …“. Ich wage es nur selten, meine Gedanken über meine innere Zerrissenheit zu teilen. In der Psychologie gibt es eine Sicht auf diese Irritation zwischen Eltern und Kindern. Die Definition des Begriffes Enttäuschung ist darauf zurückzuführen, dass die Betroffenen darunter leiden, dass ihre Wünsche oder Hoffnungen nicht in Erfüllung gegangen sind. Wenn die Wünsche der Eltern nicht erfüllt werden, entsteht bei ihnen Kummer und Enttäuschung.

Das sind oft kleine Alltagsmomente: So kann zum Beispiel ein Kind, das ständig die Nähe seiner Mutter sucht und an ihr klebt, für sie zur Herausforderung werden. Wenn sie ehrlich ist, eskaliert es schon in ihr, wenn sie spürt, dass das Kind sich im Raum näher zu ihr orientiert. Immer wieder bekommt sie Rückmeldungen, wie wichtig es sei, dass sie ihr Kind ermutigt, sich von ihr zu lösen. Sie gibt sich alle Mühe, hat aber das Gefühl, ihr anhängliches Kind lässt sich nicht darauf ein. Nach überstandenen Stresssituationen sammelt sich in ihr eine Mischung von Erschöpfung und Ratlosigkeit, die sie in ihrem mütterlichen Handeln lähmt. Das innere Bild ihres Kindes nimmt die Mutter mit zum nächsten Geburtstag, wo scheinbar alle Kinder miteinander spielen – ihr Kind aber auf ihrem Schoß wie festgeklebt ist. Das Bild verstärkt sich beim Besuch in der Stadtbücherei, wo das Kind jammert und keine Ruhe zum Verweilen hat. Das Gefühl der Verunsicherung und der inneren Abwehr klebt an dieser Mutter und lässt sie nicht los.

Die Enttäuschung ansehen

Die Dynamik der Enttäuschung kann vor allem dann zerstörerisch sein, wenn ich die Enttäuschung nicht bewusst wahrnehme, sondern verdränge. Sogar vor Gott, dem ich doch vertraue, fällt es mir oft schwer, ehrlich zu sein. Die inneren Enttäuschungsmomente führen dann mehr und mehr zu einer Distanz zum Kind. Diese Distanz spürt das Kind und wird dadurch noch mehr verunsichert.

Es können viele unterschiedliche Dinge sein, die bei mir als Mutter ein Gefühl der Enttäuschung auslösen: Mein Kind ist nörgelig oder unmusikalisch oder ängstlich oder unfreundlich oder unsportlich … Dabei ist es wichtig, meine Enttäuschung anzusehen und auszusprechen. Wenn ich wegsehe, machen mich die gesammelten Enttäuschungsmomente immer weniger liebesfähig. Enttäuschungen haben so viel mit meinen Hoffnungen, Wunschvorstellungen und Erwartungen zu tun. Bei Enttäuschungen handelt es sich um eine subjektive Wahrnehmung. Das bemerke ich allein dadurch, dass mein Mann ganz anders mit bestimmten Situationen umgeht.

Es ist wichtig, meine Emotionen, Erwartungen und Handlungen zu verstehen, um letztendlich meinen Frieden mit der Enttäuschung zu schließen: Ich wäre so gern verständnisvoll. Ich verstehe mein Kind nicht. Ich hatte es mir anders vorgestellt. Je mehr ich meinen Kummer vor Gott ausbreite, desto mehr fällt mir mein „Ich“ auf. Ja, mein Kind ist vom Charakter und vom Handeln her anders, als ich es mir ausgemalt habe. Es geht hier aber tatsächlich um mich!

Eigene Erwartungen

Die Dynamik der Enttäuschung hat etwas mit meinem Bild von meinem Kind und von mir als Mutter zu tun. Die Enttäuschung fühlt sich so an, als würde ich meinen eigenen Erwartungen nicht gerecht. Die ursprüngliche Erwartung war demnach höher als das tatsächliche Ergebnis. Aber die Beziehung zu meinem Kind ist keine abrufbare Investition. Sie ist ein offener Prozess voller Nähe- und Distanzübungen.

Wenn nun diese Dynamik der Enttäuschung erneut loslegen will, möchte ich mich hinterfragen: Die Entwicklung einer Persönlichkeit ist keine Gleichung: Liebe rein – Charakter raus. Situationen, die nicht meinen Erwartungen gerecht werden, sollten nicht immer als komplett negative Situationen gewertet werden. Ich darf versuchen, der Situation etwas Positives abzugewinnen und sie als Chance für mich und mein Kind zu betrachten. Ich möchte diese objektiv beurteilen und hinterfragen: Was will mir mein Kind mit seinem Verhalten mitteilen? Als Mutter kann ich Vorbild sein und einen Platz zum Austausch unserer Gefühle finden, um diese zu verarbeiten.

Mutige Schritte

Dabei verzichte ich auf negativ festlegende Gedanken und Aussagen über mich. Mich als Mutter an den Pranger zu stellen und mir Vorwürfe zu machen, belastet nicht nur mich, sondern auch die Nähe zum Kind. Um mich von meiner Enttäuschung zu lösen, gebe ich meine Vorstellungen, Hoffnungen und Wünsche ganz bewusst an Gott zurück. Ich bemühe mich um ein Miteinander mit meinem Kind, sodass es sich angenommen und geliebt weiß. Dabei können diese kleinen Übungen helfen:

  • Ich lächle mein Kind an, wenn es den Raum betritt.
  • Ich kommentiere das Spiel meines Kindes nicht.
  • Ich frage: Wie ging es dir in dieser Situation?
    Oder: Was schlägst du vor?

Vielleicht finden wir zusammen eine Idee für mutige Schritte. So lange übe ich mich darin, das Gute in meinem Kind zu sehen und zu benennen.

Stefanie Diekmann ist Gemeindereferentin in Göttingen, verheiratet und Mutter von drei erwachsenen Kindern.

3 bis 5 – Was tun im Kindernotfall

Elternfrage: „Mein Sohn (3) ist motorisch ganz schön umtriebig und ich habe häufig Angst, dass ihm etwas passiert. Was tue ich im Kindernotfall? Und was sind eigentlich die häufigsten Kindernotfälle im Familienalltag?“

Infekte, Verletzungen und Krampfanfälle – das sind typische Beispiele für einen Kindernotfall. Besonders häufig sind Atemwegs- und Magen-Darm-Infekte. Diese können, gerade bei Babys, die durch die verlegte Nasenatmung schlechter trinken beziehungsweise durch ständiges Erbrechen und/oder Durchfall Flüssigkeit verlieren, zur Austrocknung führen und so zu einem Notfall werden. Auch Verletzungen, zum Beispiel durch Stürze oder Verbrühungen und Verbrennungen, können rasch zum Notfall werden, wenn innere Organe oder große Flächen betroffen sind. Krampfanfälle wirken auf Eltern besonders bedrohlich. Fieberkrämpfe treten typischerweise zwischen dem sechsten Lebensmonat und sechsten Lebensjahr auf, dauern zwei bis drei Minuten und hören von allein auf. Die Kinder haben offene Augen, einen starren Blick und zittern symmetrisch. Dauert der

Krampf länger, hört nicht von allein auf, tritt innerhalb von 24 Stunden mehr als einmal auf oder zeigt eine Asymmetrie, muss das dringend abgeklärt werden.

Woran erkenne ich einen Notfall?

Um einzuschätzen, ob ihr Kind wirklich kritisch krank ist, können sich Eltern am sogenannten „pädiatrischen Beurteilungsdreieck“ orientieren. Mit diesem Tool beurteilt man durch Hören, Sehen und Fühlen:

  • Den Allgemeinzustand: Lässt sich das Kind beruhigen? Ist es noch agil? Spielt und interessiert es sich noch? Lässt sich das Fieber zwischendurch senken und scheidet es noch gut aus? Dann heißt es oft Entwarnung! Schreit es schrill, ist apathisch, trinkt nicht mehr und fiebert unter Therapie weiter hoch auf, dann ab zum Arzt!
  • Die Atmung: Zeigt das Kind Luftnot, atmet es angestrengt, also schneller und flacher oder weniger als sonst? Macht es komische Geräusche bei der Ein- oder Ausatmung? Hustet es so stark, dass es nicht mehr in den Schlaf kommt? Dann besser früher als später zum Arzt.
  • Den Kreislauf: Ist das Kind blass-marmoriert, hat kalte Arme und Beine oder blaue Lippen? Dann handelt es sich um einen Notfall!

Was gehört in jede Hausapotheke?

Meine Top Five sind:

  • Kochsalz- und abschwellende Nasentropfen, um die Nasenatmung freizuhalten
  • Fiebersenkende und schmerzlindernde Mittel in Zäpfchen- und in Saftform
  • Verbandskoffer mit Wunddesinfektionsmittel, Verbänden/Pflaster und Pinzette
  • Antihistaminika in Tropfen-, Gel- und Saftform zur Bekämpfung allergischer Reaktionen oder Juckreiz
  • Mittel gegen Stuhlunregelmäßigkeiten wie zum Beispiel Kümmelzäpfchen, Milchzucker, Elektrolytlösungen

Sollten Eltern in einem Kindernotfall ihr Kind selbst ins Krankenhaus fahren?

Wenn man mithilfe des pädiatrischen Beurteilungsdreiecks zu dem Schluss gekommen ist, dass das Kind stabil genug ist, kann man problemlos selbst in die Klinik fahren. Dabei ist es generell von Vorteil, zu zweit zu fahren, damit sich eine Person ums Kind kümmern kann. Wenn das Kind gerade einen Fieberkrampf hatte oder etwas verschluckt hat, sollte man das Kind auf keinen Fall mit dem PKW selbst in die Klinik transportieren. Das Kind könnte auf der Fahrt nochmals krampfen und dabei erbrechen oder der verschluckte Gegenstand auf einer holprigen Fahrt doch noch in die falsche Röhre gelangen. Sind Atmung, Kreislauf und Allgemeinzustand oder Bewusstsein stark beeinträchtigt, sollte immer ein Notruf abgesetzt werden.

Dr. med. Katharina Rieth ist Kinderfachärztin, Intensivmedizinerin und Notärztin. Sie engagiert sich auf Social Media unter drrieth für Aufklärung und Prävention in Sachen Kinder- und Familiengesundheit und ist Buchautorin von „Fit für den Kindernotfall“.