Nach der Scheidung: „Ich musste zu mir zurückfinden“

Nach ihrer Scheidung fühlte Christine Poppe sich völlig zerbrochen. Trotz Druck und zerstörten Selbstbildern kämpfte sie sich ins Leben zurück.

Ein zerbrochenes Selbstbild

Scheidung bedeutet Zerbruch – von Liebe, Freundschaften, Zukunftsträumen, Idealen. Wie hast du das erlebt?
Ja, mir ging es sehr ähnlich. Vor allem war mein Selbstbild damals auch zerbrochen. Ich hatte bis zu der Scheidung geglaubt, dass ich alles schaffen kann, dass es nichts gibt, was mir zu schwer ist und dass mit Gottes Hilfe und Gebet alles möglich ist. In diesem Glauben bin ich auch in diese Ehe gegangen. Jahrelang habe ich mir größte Mühe gegeben, alles versucht, bin über meine Grenzen gegangen. Aber es hat nie gereicht, und wir sind gescheitert.

Wie hat dein Umfeld auf die Scheidung reagiert?
Leider habe ich viele Freunde und Bekannte, vor allem aus der Gemeinde, verloren und bin auf Unverständnis gestoßen, weil ich diejenige war, die die Beziehung beendet hat. Zwar habe ich auch viel Unterstützung und Mitgefühl erfahren, auch von Menschen, von denen ich es nicht erwartet hätte. Allerdings konnte ich mich damals nicht gut innerlich von anderen abrenzen, da tat jede Bemerkung weh. Und es gab auch Leute, von denen ich mich verraten gefühlt habe. Von einigen Personengruppen musste ich mich ganz abschotten, um mich zu schützen.

Identifizierst du dich als „geschiedene Frau“?
Nein, das spielt keine entscheidende Rolle. Es ist Teil meiner Geschichte. Jede Geschichte hat Brüche und Fehler. Ich war 21, als ich geheiratet habe. In einem Umfeld ohne diese Prägung mit sehr enger Sexualmoral hätte ich nicht so früh geheiratet. Daher ist es eher wie eine schlechte Ex-Freund-Geschichte. Ich habe viel daraus gelernt und mich weiterentwickelt. Aber es bestimmt nicht meine Identität. Ich bin jetzt jemand anderes. Ich bin in erster Linie einfach ich. Und dann die Frau meines zweiten Ehemanns, ich bin die Mutter meiner Tochter, ich bin Traumasensible Coachin – diese Dinge machen mich aus. Heute fühlt es sich so an, dass nicht mein wahres Selbst damals geheiratet hat, sondern etwas in mir, das sehr zerbrochen war und inzwischen heilen konnte.

Meilensteine auf dem Weg der Heilung

Du hast – das beschreibst du auch in deinem Buch – bis zur Selbstaufgabe für deine Ehe gekämpft. Wie ist es dir gelungen, dein Selbst wieder zurückzugewinnen?
Das ist ein langer Prozess, der noch bis heute andauert. Das Wichtigste war die Therapie, die ich bei einem christlichen Therapeuten gemacht habe, der auf Trauma spezialisiert war. Mit dem habe ich direkt nach der Trennung circa zwei Jahre gearbeitet. In der Zeit habe ich meine Trennung aufgearbeitet. Jahre später, nachdem ich meine Tochter geboren habe, ist bei mir noch mal einiges aufgebrochen, was in meiner Kindheit passiert ist und wozu ich vorher keinen Zugang hatte. Mir wurde klar, dass diese Erfahrungen erst der Grund waren, warum ich mich auf jemanden eingelassen hatte, der selbst nicht wusste, ob er mich liebte oder nicht. Ich konnte Zugang zu meinem unversehrten Kern finden, zu dem in mir, was trotz allem, was mir passiert ist, in Ordnung geblieben ist. Ich durfte verschiedene innere Anteile in mir kennenlernen, auch Anteile, die miteinander in Konflikt sind, sie in Einklang bringen, und konnte ein, wie man sagt, kohärentes Selbst finden. Ich habe gelernt, was eine sichere Beziehung ist: eine Beziehung, in der ich nicht abgewertet werde, in der meine Gefühle relevant sind, in der meine Grenzen akzeptiert werden. Durch meinen jetzigen Mann und meine beste Freundin durfte ich lernen, was Bindungssicherheit bedeutet. Ich habe gelernt, dass es okay ist, zu zeigen, wer ich wirklich bin und was ich möchte. Ich konnte eine Beziehung zu mir selbst gewinnen und das war entscheidend.

Gab es denn spezielle innere und äußere Schritte oder Meilensteine auf diesem Weg?
Ein wichtiger Schritt war, als ich das erste Mal bei meinem Therapeuten Michael saß und ihm gesagt habe, dass ich glaube, dass ich komplett kaputt bin, dass alles furchtbar ist, ich überhaupt keine Hoffnung habe, dass ich Hilfe brauche und nicht weiß, wie ich weiterkomme. Er konnte mir glaubhaft vermitteln, dass ich nicht kaputt bin, sondern nur das Bild, das ich von mir habe. Das hat mich aufatmen lassen und mir Hoffnung gegeben, dass ich mich davon wieder erholen kann. In der Therapie hatte ich dann eine krasse Begegnung mit Jesus. Er hat mir den Rucksack mit meiner Schuld abgenommen. Da habe ich gemerkt, dass ich tief im Inneren überzeugt war, dass ich schuld war, weil ich einfach generell schlecht bin. So hatte ich das immer gelernt. In der Jesusbegegnung habe ich erlebt, dass er zu mir sagt, dass ich nicht selbst schuld bin und dass er mir da, wo ich Mist gebaut habe, die Schuld abnimmt. Gott macht mir keinen Vorwurf – nur ich mir selbst. Korrigierende Erfahrungen in Beziehungen waren für mich relevante Meilensteine. Die Beziehung zu meiner besten Freundin und die zu meinem zweiten Mann. In diesen zwei Beziehungen habe ich zum ersten Mal im Leben wirkliche emotionale Sicherheit gespürt. Das war eine sehr positive Erfahrung für mich.

Was war für dich nötig, um wieder neu ins Leben und in eine neue Beziehung zu starten?
Eigentlich bin ich in die Beziehung zu meinem zweiten Mann gestolpert, ohne dafür bereit gewesen zu sein. Ich hatte ausgeprägte Bindungsängste. Mein Mann war sehr sensibel und hat mir durch sein Verhalten immer wieder signalisiert, dass er da ist und sich kümmert. Anfangs war es auch keine feste Beziehung. Er hat sich aber immer verhalten wie ein fester Freund. Er hat mir handwerklich geholfen und als ich immer wieder ins Krankenhaus kam, hat er seine beruflichen Termine abgesagt und ist zu mir gekommen. Ich hatte ihm das gar nicht erzählt, aber er hat es mitbekommen, fand heraus, wo ich war und hat mich damit nicht alleine gelassen. Immer wieder hat er sich gekümmert und mich priorisiert. So ein Verhalten kannte ich nicht und mir wurde klar, dass mir das immer gefehlt hat. Gerade weil er so war, hatte ich Angst und wollte deswegen die Beziehung immer wieder beenden. Ich dachte, er ist jetzt so nett, weil er verliebt ist, ich gewöhne mich daran und komme dann nicht mehr klar, wenn er so wird, wie ich es bisher von Menschen kannte. Daher brauchte ich Mut, mich auf die Beziehung einzulassen, der Angst entgegenzutreten und das Gute zu erwarten.

Erkenntnisse aus der Scheidung

Was war für dich die größte Hürde, wieder du selbst zu sein?
Ich glaube, die Loyalität, die ich gespürt habe, gegenüber meiner Familie und auch der Glaubensgemeinschaft. Die Entwicklung, die ich in meinem Glauben erlebt habe, widersprach dem, was mein engstes Umfeld glaubte und das fühlte sich an wie Verrat. Dazu kam die Angst, dass ich, wenn ich so bin, wie ich bin, meine wichtigsten Bezugspersonen verliere. Aber durch die Verbindung zu mir selbst, meiner besten Freundin und meinem Mann war ich schließlich in der Lage, das Risiko, ich selbst zu sein, einzugehen.

Empfindest du Groll gegenüber deinem Ex-Mann?
In den ersten zwei Jahren nach der Trennung war das schon so. Ich war sehr verletzt und hatte das Gefühl, er tut absichtlich Dinge, um mich zu verletzen. Dann habe ich versucht, zu vergeben und loszulassen. Ich wollte alles hinter mir lassen und mich auf mein neues Leben fokussieren. Einmal sagte meine Mutter zu mir, wie sauer sie darüber sei, dass er mein Leben zerstört habe. Einerseits hat mich ihre Solidarität getröstet. Aber ich habe dann zu ihr gesagt, dass er es nicht zerstört hat. Mir geht es gut, er hat keine Macht mehr über mein Leben. Ich kann mich um meine Angelegenheiten kümmern. Ich habe mich von ihm getrennt. Ich übernehme Verantwortung für mein Leben und gestalte meine Zukunft.

Was hat dir geholfen, deine Zukunft aktiv zu gestalten?
Es gab einen entscheidenden Moment. Es war ein Tiefpunkt, an dem ich dachte, es würde alles nur immer schlimmer werden. Danach habe ich mich zusammengerissen, habe mir überlegt, wie ich denn leben will. Ich habe für alle Lebensbereiche aufgeschrieben, was ich mir vorstelle. Wer sollen meine Freunde sein? Wie sollen sich Freundschaften anfühlen? Welchen Job möchte ich machen? Welche Träume habe ich? Und so weiter. Dann habe ich bewusst meine Energie auf die Zukunft fokussiert. Kurz entschlossen habe ich Wirtschaftspsychologie studiert, eine Ausbildung zur Traumasensiblen Coachin gemacht, den Job gewechselt, mir unterschiedliche berufliche Standbeine aufgebaut. Dann bin ich schwanger geworden. Insgesamt habe ich mir ein Leben gebaut, das mir entspricht. Diese Freiheit und Ausrichtung hat mir unfassbar viel Motivation und Energie gegeben.

Wenn du ein Resümee ziehen solltest, was wäre deine wichtigste Erkenntnis aus oder nach deiner Scheidung?
Die wichtigste Erkenntnis ist, dass wir einen unversehrten Kern haben, der unfassbar stark ist, der sehr viel überstehen kann. Unsere Fehler definieren nicht, wer wir sind. Und dass das Einzige, was Gott mir schenken will, Liebe ist. Das hat mein Leben verändert.

Vielen Dank für das Gespräch!

Die Fragen stellte Family-Redakteur Marcus Beier.

Das steckt hinter den Gefühlen

Starke Gefühle werden häufig von unerfüllten Wünschen und Bedürfnissen ausgelöst. Wie gehen wir damit um?

Die eigenen Bedürfnisse wahrzunehmen und auszudrücken, fällt vielen Menschen schwer. Wenn Kleinkinder Bedürfnisse haben, äußert sich das in einem Ausdruck von Gefühlen. Es wird lautstark gerufen, geschrien oder geweint. Sobald wir Menschen sprechen lernen, fangen wir an, unsere Bedürfnisse verbal auszudrücken. Dennoch bleibt da auch immer eine gewisse Unfähigkeit, sie transparent in Worte zu fassen.

Die Maslowsche Bedürfnispyramide

Es gibt grundlegende Bedürfnisse, deren Erfüllung wir zum Überleben brauchen. Die sogenannte Bedürfnispyramide nach Maslow geht davon aus, dass bestimmte Grundbedürfnisse erfüllt werden müssen, bevor andere Arten von Bedürfnissen angestrebt werden können. Die Bedürfnispyramide besteht aus fünf Ebenen. Zur untersten und überlebenswichtigsten Ebene gehören die körperlichen Bedürfnisse. Sie beziehen sich auf grundlegende Dinge wie Schlaf und Nahrung. Auf der zweiten Ebene steht Sicherheit. Hier geht es um einen Zustand der Stabilität in Bezug auf unsere Umgebung, aber auch um finanzielle und seelische Sicherheit. Auf der dritten Ebene stehen soziale Bedürfnisse. Dazu gehören Freundschaften und ein gutes Beziehungsnetzwerk. Die vierte Ebene ist Anerkennung. Hier geht es darum, Respekt und Wertschätzung von anderen Menschen zu bekommen. Auf der fünften Ebene geht es schließlich um Selbstverwirklichung. Auf dieser Ebene möchten Menschen ihre Potenziale ausschöpfen, Ziele erreichen und Neues erschaffen.

Die ersten vier Ebenen werden als Defizitbedürfnisse bezeichnet und die höchste Stufe als Wachstumsmotiv. Werden Defizitbedürfnisse nicht befriedigt, kann der Mensch physischen oder psychischen Schaden erleiden. Hingegen wird das Wachstumsmotiv, also Selbstverwirklichung, nie vollkommen erfüllt werden. Wir brauchen Selbstverwirklichung also nicht zum Überleben, aber wir brauchen sie für unsere Zufriedenheit.

In meinem Nachdenken über Bedürfnisse möchte ich nicht vergessen, dass sich Selbstverwirklichung nur wenige Menschen auf der Erde leisten können. Viele Menschen werden durch Krieg, Flucht, Armut und aus weiteren Gründen niemals die Chance haben, sich um dieses Bedürfnis zu kümmern. Trotz aller Probleme in unserer Gesellschaft möchte ich niemals vergessen, dass es ein Privileg ist, sich um Selbstverwirklichung kümmern zu dürfen.

Gefühle nicht kleinhalten

Ich bin aufgewachsen mit Eltern und Großeltern, die mit dem Wahrnehmen von Bedürfnissen wenig anfangen konnten. Der Umgang mit Schwächen, Bedürfnissen und Gefühlen ist kulturell geprägt und abhängig von dem pädagogischen Mainstream der Zeit. Weder meine Großeltern noch meine Eltern durften als Kinder lernen, über ihre eigenen Bedürfnisse, Gefühle oder Schwächen zu sprechen. Seitdem hat sich viel verändert. Unsere Kinder erleben eine bedürfnisorientierte und gleichwürdige Erziehung. Uns ist es wichtig, was sie fühlen und was hinter ihren Gefühlen steckt. Bestenfalls bieten wir ihnen Wörter für ihre Gefühle an. Das bedeutet nicht, dass wir ihre Bedürfnisse immer erfüllen müssen. Aber wir möchten sie wahrnehmen, anhören und mit ihnen im Gespräch darüber bleiben.

Marshall B. Rosenberg hat mit dem Ansatz der Gewaltfreien Kommunikation den Satz geprägt, dass hinter jedem Gefühl ein Bedürfnis steckt. „Ach so ist das“, dachte ich, als ich diesen Ansatz vor zehn Jahren kennenlernte. Dann steckt hinter meiner Wut also ein Bedürfnis. Aber welches? Zu Hause wurde mir keine Sprache dafür mitgegeben. Gefühle wurden kleingehalten und nicht akzeptiert. Wie soll ich denn jetzt an mein Bedürfnis herankommen?

Bedürfnisse herausfinden und anerkennen

Der erste wichtige Schritt dafür ist, das Bedürfnis hinter dem Gefühl herauszufinden. Der zweite ist, mich mit diesem Bedürfnis mitzuteilen. Unsere Gefühle zeigen uns, in welchem Maße unsere Bedürfnisse erfüllt werden oder auch nicht. Gefühle sind wichtige Boten. Wenn wir unser Bedürfnis hinter dem Gefühl erkennen und dieses mitteilen, dann gibt man dem Gegenüber die Möglichkeit, das Gefühl zu verstehen.

Als ich vor zehn Jahren auf eine Liste von Bedürfnissen blickte, wurde mir klar: „Ja, ich habe da einige Bedürfnisse, die nicht gestillt sind und die anfangen zu schmerzen. Aber ich kann ja sowieso nichts daran ändern.“ Außerdem hatte ich gelernt, dass ich nicht bedürftig zu sein habe und dass meine Bedürfnisse nicht wichtig sind. Inzwischen weiß ich: Das ist Blödsinn. Natürlich darf ich bedürftig sein und Bedürfnisse aussprechen. Nur so schaffe ich Nahbarkeit. Erst wenn mein Gegenüber weiß, was ich brauche und was mir wichtig ist, kann ein gesundes Gleichgewicht in einer Beziehung entstehen. Bedürfnisse können auch ausgehandelt werden: Können wir gerade umziehen? Kann ich meinen Job wechseln? Können wir etwas an unserer Partnerschaft verändern? Können wir weniger arbeiten? Kann ich in der Woche Zeit nur für mich allein haben? Bedürfnisse zu teilen, kostet Mut, denn ich zeige mein Inneres und mache mich verletzlich. Es besteht die Gefahr, dass mein Gegenüber die Bedürfnisse nicht versteht. Jeder von uns hat unterschiedliche Bedürfnisse. Das kann uns in Konflikte bringen. Aber es hat auch die Kraft, uns zu verbinden. Das Risiko, das damit einhergeht, wenn wir uns ehrlich mitteilen, lohnt sich. Denn am Ende steht die Chance einer tieferen Verbundenheit.

Sich von Wünschen nicht beherrschen lassen

„Ein Bedürfnis ist Hunger, ein Wunsch ist Pizza“, meinte neulich ein Freund zu mir. Wünsche resultieren aus Bedürfnissen. Dabei haben wir oft eine klare Vorstellung davon, wie unsere Bedürfnisse gestillt werden sollen. Ich war Gott schon ab und an dankbar, dass er mir meine Wünsche nicht erfüllt hat. Gleichermaßen habe ich schon oft gelitten, weil ich einen Wunsch hatte, wie jenes Bedürfnis gestillt werden sollte, und es ist ebenfalls nicht passiert. Das sind manchmal qualvolle Zeiten, in denen ein Wunsch nicht in Erfüllung geht und ein Bedürfnis nicht gestillt wird. Es ist ein Ringen. Und doch darf ich erleben, dass Bedürfnisse oft anders erfüllt werden als gedacht. Manchmal habe ich versucht, meine Bedürfnisse mit meiner Vernunft abzuschneiden. Erfolglos. Sie machen sich an anderer Stelle wieder bemerkbar. Bedürfnisse sind wichtig und können nicht einfach abgeschnitten werden. In ihnen liegt auch ein Teil meiner Persönlichkeit. Meine Bedürfnisse geben mir Antrieb für Veränderung. Ist etwas im Hier und Jetzt nicht gut, dann melden sich meine Bedürfnisse durch ein ungutes Gefühl. Bedürfnisse schaffen neue Ideen, Räume und Begegnungsflächen.

Sehnsüchte und Wünsche, wie ein Bedürfnis erfüllt werden soll, haben auch die Schlagkraft, mich zu beherrschen. Wenn mein ganzer Fokus auf der Erfüllung meines Wunsches liegt, dann wird er zerstörerisch und sorgt dafür, dass ich das Schöne, das neben dem unerfüllten Wunsch steht, nicht mehr wahrnehme. Dankbarkeit für das, was da ist, hilft gegen den Frust der unerfüllten Wünsche. Auch helfen weitere Perspektiven, wie Bedürfnisse gestillt werden könnten. Es gibt viele Wege dafür und wenn sie mir selbst nicht in den Sinn kommen, haben Freunde und Gott oft weitere kreative Ideen. Folgende Haltung hilft mir: Ich halte meine Handflächen nach unten und lasse los: Alles, was mich beschwert, gebe ich an Gott ab. Ich halte inne. Dann drehe ich meine Handflächen nach oben: Ich empfange. Ich bete mein persönliches Gebet. Mein Taufvers lautet: „Denen, die Gott lieben, werden alle Dinge zum Besten dienen“ (Römer 8,28). Darauf will ich vertrauen.

Tamara von Abendroth arbeitet in der entwicklungspolitischen Bildungsarbeit. Sie lebt mit ihrem Mann und ihren zwei Kindern in Berlin.

Wenn das innere Kind dazwischenfunkt

Ausraster, Hilflosigkeit und Ohnmachtsgefühle: Das innere Kind bringt die Harmonie zwischen vielen Ehepartnern durcheinander. Psychotherapeutin Melanie Schüer erklärt die Zusammenhänge.

„Tut mir leid, ich weiß auch nicht, warum ich mich so aufgeregt habe. Irgendwas hat mich daran total getroffen … aber es ist nicht deine Schuld“, murmelt Lea. Wieder mal ist sie ziemlich wütend geworden in einer Situation, die so ähnlich immer wieder für Konflikte sorgt.
„Wenn ich darüber ­nachdenke, fühle ich mich bei meinen Ausrastern, als wäre ich vergessen worden.“ Und tatsächlich: Gerade hat ihr Mann den Käse vergessen, den sie gern morgen zum Frühstück genossen hätte. Ihr Sohn hat gestern nicht daran gedacht, ihren Brief zur Post zu bringen, und ihre beste Freundin hatte sich nicht, wie angekündigt, gemeldet. In all diesen Situationen hatte Lea übertrieben wütend reagiert – eigentlich unreif, kindlich. Tatsächlich wecken diese Situationen Dinge in Leas Biografie, die das innere Kind betreffen.

Innerer Erwachsener – inneres Kind

Manchmal nehmen wir Menschen in uns verschiedene Stimmen wahr. Das ist die normale Tatsache, dass jeder Mensch verschiedene innere Anteile besitzt. Diese hängen auch mit unseren unterschiedlichen Rollen zusammen, die wir im Alltag einnehmen – zum Beispiel der Rolle als Freundin, als Partner, als Mutter, Vater, Angestellter oder als Schülerin.

Zwei sehr gegensätzliche innere Anteile sind das sogenannte ‚Erwachsenen-Ich‘ und das ‚innere Kind‘. Wenn wir sicher in der Rolle als Erwachsene agieren und uns dem, was uns begegnet, gewachsen fühlen, dann ist das Erwachsenen-Ich in uns besonders präsent. Wir fühlen uns dann souverän, selbstsicher und kompetent. Diese Gefühle sind stärker als Ängste, Sorgen oder Selbstzweifel. Es ist buchstäblich der erwachsene, reife Teil in uns – man könnte auch sagen, „die Stimme der Vernunft“. Das mag positiv klingen, beinhaltet aber auch negatives Potenzial wie Perfektionismus und Verlust von Lebensfreude. Wer immer nur auf den inneren Erwachsenen hört, schwächt oft wichtige Aspekte des Lebens wie Fantasie, Unbeschwertheit, Freude oder Spontaneität.

In diesen Zuständen kommt ein anderer Anteil besonders stark zum Vorschein: unser inneres Kind. Es kann uns befähigen, das Leben zwischendurch leicht zu nehmen und zu genießen. Wir können herumalbern und völlig im Moment sein. Gleichzeitig sind mit dem inneren Kind auch bestimmte negative Erfahrungen verbunden. Wenn das innere Kind in uns stark wird, dann kann es passieren, dass wir uns unzulänglich, gedemütigt, abgelehnt, hilflos oder belächelt fühlen. Diese Gefühle hängen mit Erfahrungen aus unserer Kindheit zusammen, die natürlich individuell unterschiedlich sind. Sie werden in Momenten wach, in denen wir an Situationen aus unserer Kindheit erinnert werden – oft sprechen wir dann von „Triggern“. Es fühlt sich an, als wären wir in die Situation von früher zurückversetzt. So wie Lea, die in Trigger-Situationen ein Muster erkennt, dass sie sich fühlt wie die kleine Lea in bestimmten Momenten.

Grundüberzeugungen auf der Spur

Prägende und wiederkehrende Erfahrungen in der Kindheit führen zur Entwicklung fester Grundüberzeugungen. Das sind Glaubenssätze, die unbewusst unsere Sicht auf uns selbst, andere Menschen und Situationen formen, zum Beispiel:

  • Wenn ich nicht alles perfekt mache, werde ich nicht akzeptiert.
  • Wenn ich anders als andere bin, werde ich zurückgewiesen.
  • Egal, was ich tue, es ist nie genug.
  • Meine Meinung und Wünsche zählen nicht.
  • Ich muss alles kontrollieren, weil ich sonst nicht sicher bin.
  • Die anderen können alles besser.

Selbstverständlich gibt es auch positive Überzeugungen, zum Beispiel „Ich kann etwas leisten!“ oder „Meine Meinung zählt etwas!“. Aber in Krisen und Problemen, insbesondere in der Paarbeziehung, bekommen die negativen Grundüberzeugungen stärkeres Gewicht. Das liegt daran, dass wir uns in einer Paarbeziehung besonders öffnen und dadurch verletzlich machen und an unser Gegenüber Bedürfnisse und Erwartungen herantragen, die denen eines Kindes gegenüber den Eltern ähneln.

Lea könnte die negative Grundüberzeugung so formulieren: „Ich werde oft vergessen, weil ich nicht wichtig bin.“ Lea wuchs bei ihrem alleinerziehenden Vater auf, der völlig überfordert war. Oft vergaß er, Lea etwas zu essen vorzubereiten oder sie vom Kindergarten abzuholen. Sie erinnert sich genau, dass sie oft als letztes Kind wartete, während ihr Erzieher versuchte, den Vater zu erreichen. Wenn Lea ihren Vater dann weinend begrüßte, nahm er sie nicht ernst: „Mach doch nicht so ein Theater. Ich komme doch immer!“ Irgendwann mischte sich Leas Traurigkeit mit Wut. Diese Wut über das Verhalten ihres Vaters konnte das Gefühl von Hilflosigkeit und Ohnmacht ein wenig abschwächen. Und genau diese Gefühle kommen auch jetzt wieder hoch, wenn sie sich vergessen und nicht wertgeschätzt fühlt.

Das innere Kind und die Paarbeziehung

Solche negativen Grundüberzeugungen aus der Kindheit mit den dazugehörigen Gefühlen wie Scham, Angst, Traurigkeit, Wut, gepaart mit Verhaltensweisen wie Konfliktvermeidung, übertriebener Anpassung oder mangelnder Offenheit haben einen enormen Einfluss auf die Paarbeziehung.

Im Paar-Alltag entstehen immer wieder Situationen, die uns unbewusst an Erlebnisse aus der Kindheit erinnern. Die Ähnlichkeit der Situation (zum Beispiel eine frustrierte Reaktion meines Partners, weil ich etwas nicht schaffe) kann die vertrauten Denkmuster, Gefühle und entsprechende Verhaltensweisen auslösen, zum Beispiel, wenn Lea ihren Mann anschreit, weil sie sich in diesem Moment wieder wie die kleine, vergessene Lea fühlt, sie von Traurigkeit überwältigt ist und mit Wut reagiert.

Diese Dynamik kann Konflikte immer wieder befeuern, weil beide Partner nicht verstehen, was eigentlich gerade passiert. Scheinbar kindische, unreife Verhaltensweisen treten immer wieder auf, denn handlungsleitend ist in diesen Fällen tatsächlich das innere Kind!

Das innere Kind auf frischer Tat ertappen

Um diese Zusammenhänge zu erkennen, ist es wichtig zu verstehen, welche Situationen zu Konflikten führen. Welche Muster sind erkennbar? Was haben die letzten Konfliktanlässe, an die Sie sich erinnern, gemeinsam? Was sind Themen, die ähnlich sind – zum Beispiel Äußerung von Kritik, Umgang mit Verschiedenheit, Einstellungen zu bestimmten Fragen wie Haushaltsführung, Finanzen, Alltagsgestaltung. Meist kommen schnell Muster zum Vorschein und zeigen an, was Ihr inneres Kind oder das Ihres Gegenübers triggert.

Dann gilt es, ein wenig in der Zeit zurückzureisen: Inwiefern kennen Sie dieses Thema beziehungsweise ähnliche Situationen aus Ihrer Kindheit? Was haben Sie damals empfunden? Was war damals belastend und stressig? Was hat Sie verletzt, beschämt, wütend gemacht oder geängstigt?

Das innere Kind beruhigen

Wichtig ist, in so einem Reflexionsprozess das innere Kind nicht einfach beiseitezuschieben. Das wäre auf Dauer nicht hilfreich. Denn das innere Kind meldet sich an ähnlichen Stellen wieder, weil dieses Thema in der Kindheit nicht ausreichend verarbeitet werden konnte. Es gilt daher, die Verletzung des inneren Kindes ernst zu nehmen und wie ein liebevoller Erwachsener mit Verständnis zu reagieren.

Es klingt vielleicht komisch, aber hier hilft ein wenig Kopfkino. Stellen Sie sich sich selbst als Kind in einer belastenden Situation vor, an die Sie sich noch erinnern können. Und dann gehen Sie in Ihrer Fantasie als heutiges, erwachsenes Ich auf Ihr jüngeres Ich zu und blicken es freundlich an. Sagen Sie ihm das, was Sie damals schon hätten hören müssen. Sprechen Sie ihm Mut und Trost zu und erklären Sie, dass die Situa­tion heute anders ist als damals. Wenn Sie offen dafür sind, stellen Sie sich auch gerne vor, wie Sie sich dem inneren Kind zuwenden, es trösten und stärken.

Grundüberzeugungen verändern

Der nächste Schritt ist die Frage, welche Grundüberzeugung hinter dem Konflikt stehen könnte – im Beispiel von Lea: „Ich werde vergessen, weil ich nicht wichtig bin.“ Welche Erfahrungen haben zu dieser Überzeugung geführt – und welche anderen, positiven Erfahrungen und Erkenntnisse stehen dagegen? Sammeln Sie Argumente, was gegen die Wahrheit dieser Überzeugung spricht. Und wenn sie der Realität nicht standhält, dann formulieren Sie – am besten schriftlich – eine positive, realistische Grundüberzeugung – wie beispielsweise „Ich bin Gott so wichtig, dass er sogar die Zahl der Haare auf meinem Kopf kennt. Ich bin mir selbst wichtig. Und es gibt Menschen, denen ich wichtig bin, wie …“

Vergegenwärtigen Sie sich die positiven Sätze immer wieder, um neue Denkpfade zu prägen, die Ihre Wahrnehmung prägen und zur Realität werden. Womöglich fühlt sich das anfangs künstlich an – das ist normal, denn Ihr Gehirn hat ja jahrelang das Gegenteil gedacht! Geben Sie dem Training also etwas Zeit.

Nicht alles geht in Eigenregie

Vieles können wir selbst durch Reflexion erreichen. Manche Prozesse brauchen aber Begleitung und Hilfe. Einige Grundüberzeugungen sitzen so tief, haben eine so destruktive Wirkung, manche Erfahrungen unseres inneren Kindes waren so massiv, dass eine Aufarbeitung allein nicht gelingt. Ein freundliches, professio­nelles Gegenüber macht einen großen Unterschied und kann einen sehr heilsamen Prozess in Gang bringen.

Melanie Schüer ist Mutter von zwei Kindern und berufstätig als Kinder- und Jugendlichenpsycho­therapeutin und Autorin im Osnabrücker Land. In Freundschaften und ihrer Paarbeziehung stößt auch sie immer wieder auf ihr inneres Kind.

Fürsorge und Verlangen

Wir kümmern uns um die Sorgen und Bedürfnisse unserer Liebsten. In der Partnerschaft kann das jedoch das sexuelle Verlangen stören. Wie der Gegensatz aus Begehren und Unterstützung eine Bereicherung wird, verrät Tabea Müller.

Endlich schlafen die Kinder. Luise räumt auf, legt frische Kleidung raus und macht das Nachtlicht an. Dann geht sie in die Küche, um die Brotboxen für den nächsten Tag zu füllen. Tim schlurft aus dem Büro und schenkt sich und Luise einen Schluck Wein ein. Zu müde für eine geistreiche Konversation setzen sie sich, um zumindest den Tag in stiller, aber zufriedener Zweisamkeit zu beenden. Seit die Kinder ihre Ehe bereichern, hat sich vieles geändert. Das sexuelle Verlangen leidet darunter.

Mehr Zeit fließt in Alltagsorganisation und Versorgung. Zeiten der Muße und der Langeweile sind rar geworden. Das entbehrliche Schöne in ihrem Leben stellen sie hinten an, bis die vermeintlich dringlichen Dinge erledigt sind – so auch den Sex. Als letzter Punkt auf der To-do-Liste am Abend muss er mit dem ersehnten Schlaf konkurrieren und zieht dabei oft den Kürzeren. Die wenigen Male, die er gewinnt, ähnelt er mehr einem Sandwich im Drive-in als einem festlich gedeckten Mahl: uninspirierend, fantasielos, unkreativ.

Auf andere ausgerichtet

Luise und Tim sind in dieser Hinsicht keine Ausnahme. Je länger eine Beziehung dauert, desto mehr erlebt ein Paar miteinander. Neben all den schönen und aufregenden Dingen kommen auch Stressphasen, Zusammenbrüche und Krankheiten hinzu, in denen der Partner mehr Fürsorge braucht als in den ersten gemeinsamen Urlauben. Den Kaffee ans Bett zu bringen ist dann nicht mehr nur romantisch, sondern notwendig, da die Partnerin das Bett nicht verlassen kann.

Diese Phasen gemeinsam zu meistern, ist einer der vielen Vorteile einer lebendigen Beziehung. Durch die gegenseitige Fürsorge fühlen sich die Partner zugehörig, sicher und geliebt. Sie lässt beide spüren, dass sie jemandem so viel bedeuten, dass dieser nachts für sie aufsteht und seine eigenen Bedürfnisse zurückstellt.Betreten Kinder die Bühne, wird es komplizierter: Plötzlich reicht es nicht mehr, sich nur umeinander und um sich selbst zu kümmern. Tag, Nacht und Hormone werden über den Haufen geworfen, um den Bedürfnissen der neuen hilflosen Wesen nachzukommen. Sogar das mütterliche Gehirnvolumen schrumpft während Schwangerschaft und Kleinkindphase, um sich laut wissenschaftlicher Vermutung auf die Erkennung der nonverbalen Zeichen des Kindes zu spezialisieren. In dieser Zeit mutieren Eltern zu wahren Fürsorgeprofis, immer auf das Wohl eines anderen bedacht.

Selbstfürsorge, und damit die Quelle für sexuelles Verlangen, bleibt häufig auf der Strecke. Denn während Fürsorge stets gedanklich und emotional auf einen anderen ausgerichtet ist, bleibt Verlangen bei sich selbst.

Lustkiller Fürsorge

So edel Fürsorge auch sein mag, wenn du deine Identität darin findest, verwandelt sie sich in selbstgefällige Bemutterung. Statt dem anderen gutzutun, schränkt sie dessen Individualität ein und wird kontrollierend. Sie betrachtet ihn oder sie nicht mehr als Gegenüber, sondern als Hilfsbedürftigen – und wirkt dadurch wie ein echter Lustkiller. Wenn du deinen Partner bemutterst, dann habt ihr sicherlich weniger Sex. Es fällt schwer, jemanden zu begehren, den du als hilfsbedürftig wahrnimmst.

Genauso schwer ist es aber auch, den attraktivsten und selbstständigsten Partner auf dem Planeten zu begehren, wenn du selbst erschöpft und ausgelaugt bist. Von der Mutterrolle in die erotische Ehefrau zu wechseln, sobald die Kinder schlafen, ist nicht einfach. Ebenso schwer kann es sein, als Vater den Stress beiseitezuschieben, um ganz im Hier und Jetzt der müden Frau zuzuhören und dabei sexuelles Begehren aufflammen zu lassen. Hier hilft immer wieder eine Standortbestimmung, wie du dich nicht nur gegenüber deiner Partnerin oder deinem Partner verhältst, sondern auch gegenüber dir selbst.

Um deinen Partner oder deine Partnerin wieder zu begehren, musst du zuerst dich selbst lieben und dafür sorgen, dass deine Bedürfnisse gestillt und dein Liebestank gefüllt ist. Eine Gedichtzeile von Bernhard von Clairvaux drückt das ganz passend aus: „Lerne auch du, nur aus der Fülle auszugießen und habe nicht den Wunsch, freigiebiger zu sein als Gott.“ So machst du das Geliebtwerden nicht mehr vom anderen abhängig. Du begehrst aus der Fülle heraus und nicht aus Mangel. Doch auch das Verlangen kann Schatten werfen. Wenn du dich so auf deine eigenen Wünsche fokussierst, dass du den Zustand des anderen nicht mehr richtig wahrnimmst, verwandelt sich dein Begehren in Begierde.

Darin steckt ein schönes Wortspiel: Ehre wird zur Gier. Gier ehrt den Partner nicht, selbstsüchtig und rücksichtslos trampelt sie über dessen moralische und emotionale Grenzen. Das kann dazu führen, dass deine Partnerin oder dein Partner Druck empfindet. Sex passiert dann mehr aus Pflichtgefühl als aus freien Stücken.

Erotik statt Aufopferung

Lassen wir Fürsorge und Verlangen also wieder miteinander tanzen, so führt die Fürsorge das Verlangen so, dass dieses die Grenzen seines Gegenübers wahrt und ihn begehrt. Gleichzeitig sorgen die Tanzfiguren des Verlangens dafür, dass die Fürsorge beeindruckt bleibt und ihr Gegenüber nicht diskreditiert, sondern bewundernd zu ihm aufschaut. Fürsorge und Verlangen sind Gegensätze, die einander brauchen, um eine Beziehung dynamisch zu halten. Sie spannen einen Raum auf, in dem Spannung und Abenteuer, aber auch Sicherheit und Heimat Platz finden.Monate vergehen, bis der Leidensdruck von Tim und Luise groß genug ist, um etwas dagegen zu unternehmen. So sehr Tim auch die Hingabe und Aufopferung von Luise bewundert, so stark vermisst er ihre verspielte, erotische Seite.

Auch Luise vermisst diese Seite an sich, hat aber keine Idee, wie sie sie auf die Schnelle hervorzaubern kann.Um ihre Sexualität wieder wie ein Kunstwerk zu behandeln, krempeln sie ihr Leben um. Sie schaufeln sich einen Vormittag in der Woche frei, an dem die Kinder versorgt sind. Ohne Müdigkeit und Zeitdruck verabreden sie sich regelmäßig zu einer erotischen Begegnung, bei der sie ihre Lust kultivieren können.

Diese Entscheidung kostet sie nicht wenig. Da Tim dafür seine Arbeitszeit auf 80 % reduziert, bleibt weniger Geld übrig, das an anderen Stellen gespart werden muss. Doch die frische Lebendigkeit ihrer Beziehung ist ihnen jeden Euro wert.Dieser Lösungsansatz ist ziemlich radikal und sicherlich nicht für jedes Paar geeignet. Die Frage dahinter kann aber jeder beantworten: Wie viel ist mir eine Veränderung unserer aktuellen Situation wert? Kostet mich die Lösung mehr, als einfach das Problem zu behalten? Dann ist vielleicht die Lösung das Problem und ihr habt gar keins mehr. Oder ihr versucht es erst einmal mit kleineren Veränderungen.

Vier Stellschrauben, um das sexuelle Verlangen nach dem Partner zu erhalten:

1. Kümmere dich zuerst um dich selbst
Wie bei der Sicherheitseinweisung im Flugzeug: Erst die eigene Maske, dann anderen helfen. Es lohnt sich ein regelmäßiger Self-Check: Auf einer Skala von 1 (zu wenig) bis 10 (tiptop): Wie viel Schlaf erlaube ich mir? Plane ich regelmäßig Zeit für Sport ein? Wie viel Wert lege ich auf gute Ernährung? Nehme ich meine Bedürfnisse gut genug wahr? Wie begehrenswert fühle ich mich? Wo du keine 10 Punkte vergeben kannst, lohnt sich eine Anpassung.Ein häufiges Selbstsabotage-Symptom ist die sogenannte Bedtime-Prokrastination, also das sinnfreie Hinauszögern der Schlafenszeit trotz Müdigkeit. Hier gibt es viel Energie zu holen. Also: Handy aus, Schlafi an!

2. Entrümpele deinen Alltag
Je weniger du besitzt, umso weniger Dinge wollen, dass du dich um sie kümmerst. Einmal komplett zu entrümpeln ist zwar viel Arbeit, danach bleibt aber definitiv mehr Zeit für Muße und Selbstfürsorge. Auch ein kritischer Blick in den Kalender lohnt sich: Sind all deine Termine sinnvoll, notwendig oder beflügelnd? Wende auch hier wieder die 10-Punkte-Skala an. Was nicht mindestens eine 9 bekommt, kann weg.

3. Plane bewusste Intimität ein
Es geht nicht nur um die Häufigkeit von Sex und ob beide Partner zum Orgasmus kommen. Vielmehr geht es um die Qualität der gemeinsamen Zeit, wohin die Erfahrung euch trägt und welche Träume und Fantasien sie anregt. Es kann sehr intim sein, sich gegenseitig zu berühren, ohne Sex haben zu dürfen. Auch spielerisch mal den Liebesdiener zu spielen und beim nächsten Mal den Bestimmer, kann aufschlussreich darüber sein, ob dir das Geben oder das Nehmen leichterfällt. Bist du mental gern ganz bei dir oder lieber beim anderen? Wie hast du dich in der jeweiligen Rolle gefühlt?

4. Tauscht regelmäßig die Rollen
Oft werden die Aufgaben nach Kompetenz und Präferenz aufgeteilt. Dadurch wirst du in manchen Dingen zum Experten, während du andere Dinge vielleicht sogar verlernst. Die Rollen immer wieder zu tauschen, hilft, dem Partner ebenfalls alles zuzutrauen und schützt vor der Bemutterungs- oder Bevaterungsfalle.

Tabea Müller ist Psychologin und lebt mit ihrer Familie bei Karlsruhe. www.tabeasarah.de

Empathisch

Was ist Empathie? Nicht das, was viele denken.

Wenn ich mit Menschen über ihre Partnerschaft spreche, sagen mir viele, dass sie sich wünschten, ihr Partner oder ihre Partnerin hätte mehr Empathie. Vor allem von Frauen höre ich, dass es ihren Männern schwerfällt, das Mitgefühl aufzubringen, das sie eigentlich bräuchten. Stattdessen bekommen sie viele gut gemeinte Hinweise, wie man die Situation lösen könnte. Auch Aufmunterungen im Sinne von „Du schaffst das schon!“ stehen hoch im Kurs.

Anknüpfungspunkte

Wenn uns der andere erzählt, was ihn bedrückt, ist es manchmal schwer, einfühlsam darauf zu reagieren. Wenn wir ehrlich sind, finden wir das Gehörte oft schwer nachvollziehbar, manchmal sogar haarsträubend. Meistens findet der Zuhörer keinen Anknüpfungspunkt an die Erfahrungen seines Gegenübers, weil er selbst die gleichen Ereignisse ganz anders wahrgenommen und interpretiert hätte. Wie kann man mitfühlen, wenn man selbst nie etwas Ähnliches erlebt hat? Und wahrscheinlich auch nie etwas Ähnliches erleben wird, weil man anders gestrickt ist und anders mit dem Leben umgeht?

Diesen Überlegungen liegt ein großes Missverständnis über Empathie zugrunde. Als Gesellschaft haben wir hier eine kollektive Bildungslücke. Empathisch zu sein, bedeutet nämlich nicht, dass ich das Erleben meines Partners/meiner Partnerin nachvollziehen kann. Vielmehr bedeutet es, dass ich ihm/ihr aufmerksam zuhöre und ihm/ihr glaube, wenn er/sie mir davon erzählt, was ein bestimmtes Erlebnis bei ihm/ihr ausgelöst hat. Auch wenn das nicht mit meinem Erleben zusammenpasst. Die Empathieforscherin Brené Brown bringt es auf den Punkt: „Empathie bedeutet nicht, sich mit einer Erfahrung zu verbinden, sondern mit den Gefühlen, die durch eine Erfahrung ausgelöst wurden.“

Ungerecht behandelt

Als empathische Zuhörerinnen und Zuhörer versuchen wir also, in uns selbst etwas zu finden, das das Gefühl kennt, das unser Gegenüber beschreibt, und daran anzudocken. Ein Beispiel: Nadine erzählt Tobias, wie schwierig es für sie ist, dass ihr Kollege alle Lorbeeren für ein Projekt erhält, zu dessen Erfolg hauptsächlich sie beigetragen hat. Gerade heute hat ihr Vorgesetzter wieder vor dem ganzen Team die hervorragende Arbeit des Kollegen gelobt und ihren Beitrag mit keinem Wort erwähnt.

Tobias liegt die Lösung auf der Zunge: „Dann musst du dich halt wehren.“ So hätte er es gemacht. Ist ja absurd, dass man sich so etwas bieten lässt. Doch stattdessen fragt er sich: „Gibt es etwas in mir, das mir helfen könnte, zu erkennen und mich mit dem zu verbinden, was Nadine fühlt?“ Und tatsächlich kennt auch Tobias Situationen, in denen er sich ungerecht behandelt fühlt oder das Gefühl hat, dass ihn niemand wahrnimmt. Und wenn er dort anknüpft, wird es ihm gelingen, einfühlsam auf Nadine zu reagieren.

Marc Bareth und seine Frau Manuela stärken mit FAMILYLIFE Schweiz Ehen und Familien. Marc Bareth ist der Leiter dieser Arbeit. Er bloggt unter: familylife.ch/five

Als Paar einen Treuebruch überleben

Wenn ein Treuebruch passiert, fällt die betrogene Person oft aus allen Wolken. Ist eine Ehe nach einer Affäre noch zu retten? Von Christina Glasow

Kati (alle Namen geändert) hatte schon wochenlang so ein Gefühl … Jetzt hält sie Tills Handy in der Hand und starrt mit klopfendem Herzen auf seinen Chatverlauf mit Lena. Kati kennt sie schon lange. Sie arbeitet für die gleiche Firma wie Till. Was sie da liest, lässt sie erstarren: Herzchen, Küsschen, „Ich vermisse dich“, „Ich sehne mich nach dir“ …

In Katis Kopf und Herz bricht Chaos aus: Schmerz. Wut. Angst. Enttäuschung. Scham. Wie konnte er das nur tun? Bin ich nicht gut genug? Ist unsere Beziehung eine einzige Lüge? Wie lange geht das schon so? Was hat er ihr über uns erzählt? Ich werfe ihn raus. Ich will ihn nicht verlieren.

Mit Katis Entdeckung konfrontiert, kommt Till stammelnd mit der Wahrheit heraus. Er hat Angst und ist gleichzeitig von einer tonnenschweren Last befreit. Till hatte sich mit Lena so lebendig gefühlt, so begehrt. Aber Kati anzulügen, war schwer. Er liebt sie doch. Er war ständig in Angst, aufzufliegen. Aber auch unfähig, aufzuhören.

Wo und wie beginnt Treuebruch?

Treuebruch ist ein Durchbrechen der getroffenen Vereinbarung über die Exklusivität einer Partnerschaft. Ein Aufbauen von Intimität mit einer dritten Person. Wie genau diese aussieht, wo die Grenze liegt, ist sehr unterschiedlich. Treuebruch hat viele Gesichter: einmalig oder länger andauernd, mit einer Person aus dem Umfeld oder jemand Unbekanntem, mit oder ohne Gefühle, „nur“ emotional oder auch körperlich … Es finden Heimlichkeiten, Hintergehen und damit ein Vertrauensbruch statt, der die betrogene Person in unterschiedlichem Maße erschüttert.

Oft entsteht Untreue schleichend und mit einer Person aus dem Lebensumfeld (Freundeskreis, Job, Hobby, Gemeinde), der man mehr und mehr Aufmerksamkeit schenkt, die auch erwidert wird. Unmerklich wird so der Punkt der Freundschaftlichkeit überschritten. Der Partner oder die Partnerin dürfte jetzt nicht mehr danebenstehen, wenn Nachrichten ausgetauscht werden. Ist dieser Punkt erreicht, wird es schwierig, aus der Situation wieder herauszukommen.

Was ist jetzt wichtig?

Auch wenn die Hürde riesengroß ist: Es ist besser, wenn die untreue Person den Treuebruch selbst beichtet, als dass es durch andere oder durch die betrogene Person herausgefunden wird. Nach dem Aufdecken der Untreue können auf beiden Seiten schwer aushaltbare Gefühle wie Enttäuschung, Verrat, Hilflosigkeit, Schmerz, Angst, Zerrissenheit, Wut und Scham aufkommen. Eine Trennung scheint eine naheliegende, schnelle Lösung zu sein. Es ist jedoch wichtig, keine vorschnellen Entscheidungen zu treffen.

Ein Treuebruch muss nicht das Ende einer Beziehung sein. Wenn beide grundsätzlich die Beziehung weiterführen möchten (von diesem Fall gehe ich im Weiteren aus), ist es möglich, einen Treuebruch zu verarbeiten. In meiner Praxis durfte ich schon viele Paare begleiten, die sich diesem schmerzhaften Prozess gestellt haben und anschließend als Paar gestärkt aus dieser Krise hervorgegangen sind. Ob ein Treuebruch verarbeitet werden kann, hängt davon ab, wie empathisch der Verursacher mit der Verletztheit des Gegenübers umgeht, sodass das verlorene Vertrauen wieder wachsen kann. Im zweiten Schritt muss geschaut werden, ob und welche Faktoren es in der Beziehungsdynamik gibt, die den Boden für den Treuebruch bereitet haben könnten.

Wichtige Schritte für die Verarbeitung

Kontaktabbruch und Transparenz: Die untreue Person um die grenzüberschreitenden Interaktionen beziehungsweise muss den anderen Kontakt beenden. Und zwar in Form von klarer und fairer Kommunikation, zum Beispiel: „Meine Frau/mein Mann weiß jetzt über uns Bescheid. Ich entscheide mich, an meiner Beziehung zu arbeiten. Das zwischen uns ist aus.“ Etwaige Kontaktversuche der dritten Person sollten sofort mitgeteilt werden.

Faktencheck und Gefühlslage: Es braucht jetzt Zeit, über die Gefühle und das Geschehene zu sprechen. Immer wieder und solange es nötig ist. Die betrogene Person hat jetzt Gedankenspiele darüber, wie genau der Treuebruch ausgesehen haben mag. Auch wenn es schmerzhaft ist, ist es wichtig, die Fakten zu kennen, damit die Gedanken darüber irgendwann zur Ruhe kommen können. Manchmal sind die Befürchtungen schlimmer als das, was tatsächlich geschehen ist. Bitte nicht, um die eigene Haut zu retten oder den anderen zu schonen, die „Salamitaktik“ anwenden und Informationen erst nach und nach preisgeben. Das erschüttert immer wieder das Vertrauen und sorgt für Rückschläge im Prozess.

Zum eigenen Schutz sollte nicht zu detailliert nachgefragt werden. Welche genauen Wortlaute oder Zärtlichkeiten ausgetauscht wurden, ist nicht unbedingt relevant, um ein Bild vom Geschehenen zu bekommen. Die Devise lautet: so viel Information wie nötig und so wenig wie möglich. Sollten auch nach dem Aufdecken noch Emotionen für die dritte Person vorhanden sein, durchläuft die ehemals untreue Person parallel einen Prozess des Loslassens und der Trennung.

Oft ist mit dem Aufdecken jedoch die Affäre auch emotional vorbei. Die Gedanken und Gefühle sind bald wieder sortiert und fokussiert auf die ursprüngliche Beziehung. Für die betrogene Person fängt aber alles erst an. Die Verarbeitung dauert ihre Zeit und ist anstrengend. Je geduldiger und gründlicher sich beide Partner dem Prozess der Verarbeitung stellen, desto besser sind die Chancen, die Krise zu bewältigen. Es braucht jetzt von beiden Personen vor allem Geduld.

Sätze wie „Darüber haben wir doch jetzt schon x-mal gesprochen, du musst jetzt auch mal darüber wegkommen“ oder „Wir haben doch nur geschrieben, es ist doch nichts passiert“ bringen den Verarbeitungsprozess nicht voran. Im Gegenteil: Die verletzte Person fühlt sich nicht gesehen und im Schmerz alleingelassen. Nun ist es wichtig, Empathie zu zeigen, die emotionale Achterbahn des oder der anderen liebevoll auszuhalten und die Konsequenz des eigenen Handelns verantwortungsvoll zu tragen. Wenig hilfreich für den Prozess ist es, wenn die betrogene Person verdrängt und schnell und oberflächlich vergibt. Es ist wichtig, die Gefühle zuzulassen, auch wenn das unangenehm ist.

Nur durch gemeinsames Tragen dieser schmerzhaften Folgen kann die Beziehung heilen und wachsen. Es führt kein gesunder Weg daran vorbei! Es kann in dieser Phase zu langen, kräftezehrenden Gesprächen kommen. Hilfreich ist es hier, vor dem Gespräch einen Zeitrahmen zu vereinbaren, um zu einem Ende zu finden, auch wenn noch nicht alles besprochen ist.

Freiwillige Rechenschaft: Für die meisten betrogenen Partner ist es in der ersten Zeit schwierig, mit bestimmten Trigger-Situationen umzugehen, ohne ständig zu kontrollieren, zum Beispiel wenn die ehemals untreue Person allein ausgeht. In der ersten Zeit kann es helfen, freiwillig Rechenschaft abzulegen: Wenn Till ins Büro fährt, hat Kati jedes Mal Angst, dass er dort Lena treffen und sich wieder Heimlichkeiten zwischen den beiden einstellen könnten. Till versteht das. Die beiden haben verabredet, dass er von sich aus erzählt, wenn er Lena gesehen hat. Wenn Kati unsicher ist, fragt sie zusätzlich nach. Langsam kann so Vertrauen und Sicherheit zurückkehren.

Es ist eine besondere Herausforderung, wenn sich die dritte Person weiterhin im Umfeld des Paares befindet. Den Job oder den Freundeskreis zu verlassen, sind große Schritte, die man nicht unbedingt gehen kann oder möchte. Diese Situationen können sehr knifflig sein und werden am besten professionell begleitet. Als Richtschnur kann dienen, dass die betrogene Person das Tempo vorgibt, wie und ob wieder ein Treffen oder gar eine Annäherung an die dritte Person stattfindet. Es muss weder alles schnell wieder normal sein, noch muss es bedeuten, dass nie wieder miteinander gesprochen wird. Zunächst ist es am wichtigsten, dass das Paar wieder zueinander findet. Alles, was das weitere Umfeld betrifft, kann dann zu seiner Zeit folgen, sofern das gewünscht ist.

Wie konnte das passieren?

In Studien zum Thema Untreue geben 40 Prozent der Befragten an, in ihrem Leben schon einmal untreu gewesen zu sein, wobei es Männer und Frauen etwa gleichermaßen betrifft. Wie kommt es dazu? Die Gründe sind sehr individuell und können an dieser Stelle nur angerissen werden. Oft beobachte ich in meiner Arbeit mit betroffenen Paaren aber das gleiche Grundprinzip:

Die Lebensumstände eines Menschen verändern sich stetig. Sie wandeln sich in Bezug auf den Job, Wohnort, Kinder, Hobbys, Ehrenamt oder Freundschaften. Aber auch Krankheiten oder der Verlust eines geliebten Menschen führen zu Veränderungen. Man passt sich den Gegebenheiten an und setzt Prioritäten. Manches muss weichen, weil die Kraft oder die Zeit dazu fehlt. Vor allem in der Kleinkind-Phase bleibt häufig wenig Raum für anderes.

Oft fällt diesem Lauf des Lebens die Pflege der Paarbeziehung, also die ungeteilte Zeit mit dem Partner/der Partnerin, als Erstes zum Opfer. Man funktioniert zusammen als Team, aber den Bedürfnissen des Gegenübers wird weniger Beachtung geschenkt. In seinem Buch „Die 5 Sprachen der Liebe“ beschreibt Gary Chapman, was Menschen brauchen, um sich geliebt zu fühlen und wie man es schaffen kann, trotz Unterschiedlichkeit beim Gegenüber keinen Mangel aufkommen zu lassen. Das Bedürfnis nach ungeteilter Zeit mit dem Partner spielt eine große Rolle. Tritt über einen längeren Zeitraum ein Mangel auf, der von einer dritten Person gestillt wird, besteht die Gefahr, dass sich eine Außenbeziehung anbahnt.

Die eigene Prägung, alte Glaubenssätze, das Selbstbewusstsein und auch bereits vorangegangene ungeklärte Verletzungen in der Beziehung tragen außerdem dazu bei. Das bedeutet, dass für die Umstände, die den Treuebruch begünstigt haben, in der Regel beide Verantwortung tragen. Für den Treuebruch an sich trägt aber ausschließlich die untreue Person die Verantwortung. Die Gründe sind also sehr individuell und oft komplex. Es lohnt sich, hier mit professioneller Unterstützung hinzuschauen, um die Basis der Beziehung nachhaltig zu festigen. Das gilt besonders, wenn Untreue wiederholt ein Thema ist. Meist spielen die psychologischen und lebensgeschichtlichen Hintergründe eine relevante Rolle. Aber auch als Opfer wiederholter Untreue ist es wichtig, sich Hilfe zu holen und abzuwägen, ob eine Trennung die bessere Alternative wäre, als sich immer wieder so tief verletzen zu lassen.

Wann ist die Krise bewältigt?

Um mit einem erlittenen Treuebruch abzuschließen, ist es wichtig, sich irgendwann zu entscheiden, die zugefügte Verletzung loszulassen und zu vergeben. Nicht, weil man das tun müsste oder das Gegenüber das erwartet, sondern um des eigenen Herzens willen. Ich glaube, dass Gott uns die Möglichkeit zu vergeben hauptsächlich um unseretwillen geschenkt hat, damit unser Herz nicht bitter wird. Unvergebenes liegt als Last auf der eigenen Seele. Vergebung ermöglicht es einem selbst, wieder frei zu werden. Vergeben bedeutet nicht vergessen. Es ist aber der Schritt, den beide brauchen, damit das Geschehene irgendwann nicht mehr zwischen ihnen steht.

Jedes Paar sollte an den Stellschrauben für eine gesunde und reife Beziehung arbeiten: Kommunikation auf Augenhöhe, Arbeit an den eigenen Themen sowie ein aufmerksames, wertschätzendes und liebevolles Miteinander. Wer gerade in einer Krise dieser Art steckt, dem möchte ich Mut machen: Es wird sich nicht für immer so anfühlen. Wer die wichtigen oben genannten Punkte beachtet, hat eine gute Chance, das Geschehene zu verarbeiten und reifer daraus hervorzugehen. Es braucht Zeit und Vertrauen in den Prozess. Aber es lohnt sich!

Ein Jahr später schauen Kati und Till auf eine schmerzhafte Zeit zurück. Inzwischen ist Ruhe eingekehrt. Die aufreibenden Gespräche sind vorbei. Ab und zu kommen Erinnerungen hoch, aber sie schmerzen nur noch kurz. Die beiden sind wieder aufmerksamer füreinander geworden und haben gelernt, über ihre Gefühle und Bedürfnisse zu sprechen. Tills Kontakt zu Lena beschränkt sich auf ein „Hallo“ im Büro. Katis Groll ihr gegenüber hat sich abgeschwächt. Aber ob und wie Kati ihr wieder begegnen möchte, darüber ist sie sich noch nicht sicher.

Christina Glasow ist Heilpraktikerin für Psychotherapie und lebt mit ihrer Familie in Pulheim. christinaglasow.de

Die wahren Gründe hinter dem Streit

Wo Menschen zusammenleben, kommt es zu Streit, oft über Kleinigkeiten. Dahinter verbergen sich häufig tiefliegende emotionale Bedürfnisse. Jörg Berger erklärt, wie wir ihnen auf die Spur kommen.

Können Sie bei Ihrer Spülmaschine die Tellerhalter einklappen? Dann entsteht Platz, zum Beispiel für große Tassen oder Schüsseln. Vielleicht entsteht auch ein Streit. Meine Frau hat nämlich neulich die Tassen und Schüsseln umgeräumt, die Tellerhalter wieder ausgeklappt und befüllt. Das ist nicht in Ordnung, oder? Wenn einer etwas anfängt, darf es der andere nicht einfach umstoßen. Meine Frau hält dagegen, dass sie gerade öfter die Spülmaschine einräumt. Warum soll sie es dann nicht auf ihre Weise machen, statt sich meinen Vorstellungen anzupassen?

Ich stelle klar: Sie soll sich ja gar nicht meinen Vorstellungen anpassen. Aber wenn ich auf diese Weise anfange, warum kann sie meinen Plan nicht fortführen? Dann wird es grundsätzlicher. Meine Frau empfindet es so, dass ich meine Vorstellungen für wichtiger und besser halte. Ich dagegen empfinde meine Frau einfach als unachtsam, was meine Freiheit und meine Grenzen angeht. Meine Frau wiederum glaubt, dass ich so misstrauisch über meine Freiheit und Grenzen wache, dass es im Alltag unmöglich sei, auf alles so Rücksicht zu nehmen, wie ich es brauche.

Streit um Zahnpasta, Socken und Co.

Lohnt sich ein Streit über Kleinigkeiten? Eigentlich nicht. Aber wir würden uns nicht streiten über die offene Zahnpastatube, die Socken im Bad oder was man Kindern durchgehen lässt, stünden nicht wichtige Themen dahinter. Sobald man die entdeckt, lohnt es sich. Man kann über sie sprechen und liebevolle Kompromisse finden. Das ist leichter, als man ahnt. Dann werden strittige Kleinigkeiten zur Chance, Liebe zu zeigen und zu beweisen, dass man den anderen versteht. Doch wenn das so ist, warum drehen sich manche Konflikte im Kreis? Man streitet schon Jahre und kommt nicht weiter. Das geschieht, weil wir uns mit unseren Schutzmechanismen beschäftigen, statt zu den wunden Punkten vorzudringen, um die es eigentlich geht.

Wenn ich mich schütze, dann werde ich überkritisch. Ohne es zu wollen, unterstelle ich meiner Frau charakterliche und andere Mängel. Meine Frau wiederum wird unnachgiebig. Damit unterstellt sie mir tyrannische Eigenschaften, was sie auch nicht beabsichtigt. Darüber zu streiten ist müßig. Denn uns beiden ist klar: Weder eine übertrieben kritische Haltung noch die Unnachgiebigkeit sind gut. Und auch die Unterstellungen sind nicht berechtigt. Damit muss man sich nicht aufhalten. Ein Eingeständnis, eine Entschuldigung, und es kann weitergehen zu dem, was wirklich spannend ist.

Auf der Suche nach dem wunden Punkt

In vielen Fragen des Alltags sind wir gelassen und großzügig. Wo Dinge jedoch einen wunden Punkt berühren, wird es emotional und vielleicht auch bedrohlich. Meine Lebenswunde besteht darin, dass jemand zwischenmenschliche Spielregeln außer Kraft setzt. Dann bleibt nichts mehr, was mich schützt, was verlässlich ist oder worauf ich mich berufen könnte. Diese Erfahrung bildet einen emotionalen Hintergrund, auf dem ich meinen Alltag erlebe. Regelverletzungen nehme ich rasch wahr und spüre sie auch intensiv. Auch unsere Spülmaschinengeschichte kann man als Regelverletzung wahrnehmen: Wenn einer etwas anfängt, darf es der andere nicht einfach umstoßen. Über wichtige Dinge sprechen wir, Kleinigkeiten darf jeder auf seine Weise machen. Ob hier schon der Ernstfall eingetreten ist, den mein Gehirn ausruft, darüber kann man reden.

Eine Lebenswunde meiner Frau besteht in der Erfahrung, in den eigenen Wahrnehmungen, Gefühlen und Bedürfnissen unterdrückt zu werden, weil die Vorstellungen des anderen nicht verhandelbar sind. Dann bleiben nur Unterwerfung oder Rebellion und letztere fühlt sich besser an. Auf diesem Hintergrund liegt der Tellerhalter da wie ein Gesetz, das Gehorsam fordert. Wenn man zum wunden Punkt durchgedrungen ist, werden Kleinigkeiten zu Kleinigkeiten, Wichtiges aber kann wichtig genommen werden. Für uns beide ist es nicht wichtig, wie die Spülmaschine eingeräumt wird. Mir ist es sogar egal, solange ich das Gefühl habe, dass in unserer Beziehung verlässliche Spielregeln gelten. Umgekehrt geht meine Frau gern auf mich ein, wenn sie sich dazu nicht gezwungen fühlt.

Der Weg zum Punkt, um den es geht

Am Anfang steht die Neugier: „Bestimmt geht es nicht um eine Kleinigkeit. Es geht um etwas Wichtiges, das dahinterliegt. Hättest du Lust, das mit mir herauszufinden?“ Der nächste Schritt erfordert eine Härte gegen uns selbst, die der gleicht, wenn wir ein verklebtes Pflaster mit einem Ruck abziehen. Alles wehrt sich dagegen. Es schmerzt. Wir opfern ein paar Härchen, doch der Rest des Körpers überlebt. Ähnlich erleben wir es, wenn wir unsere Aufmerksamkeit mit sanfter Gewalt von der Verletzung oder Kränkung wegreißen, die uns der Streit um Kleines zugefügt hat. Genauer gesagt waren es die Schutzmechanismen unseres Partners: Zurückweisung, Kritik, Vorwürfe, Gemeinheiten, Drohungen, Erpressung, Rückzug, Austricksen, Druck machen, Abwertung oder empörend unwahre Behauptungen – das ganze Gruselkabinett von Reaktionen, mit denen wir uns wehren wollen und doch alles schlimmer machen.

Wenn Paare zu mir in die Praxis kommen, wollen sie so gern darin verstanden werden: dass das Verhalten des Partners nicht in Ordnung ist und wie schlimm es ist, das zu erleben. Das halte ich so kurz wie möglich. Denn hier geht es nicht weiter. Das geschieht erst in einem weiteren Schritt.

Worum geht es mir eigentlich in diesem Streit? Was steht hier auf dem Spiel, das mir wichtig ist? Welche Erfahrungen und Erinnerungen werden wach, die ich hinter mir lassen möchte? Welcher Wert ist bedroht, der für mein Leben und meine Liebe unverzichtbar ist? Und vielleicht sogar: Worauf habe ich beim Kennenlernen geachtet, und nun kommt es mir vor, als ob sich ausgerechnet das in unserer Beziehung nicht verwirklichen lässt?

Was wir nie mehr erleben wollen

Diese Fragen führen zu einem wunden Punkt, auf den man im Alltag stößt. Bei anderen Paaren geht es oft um folgende Erfahrungen: „Als Kind war ich oft zu viel mit meinen Bedürfnissen. Ich brauche ein Mindestmaß an Raum bei dir für meine Gedanken, Gefühle und Wünsche. Und ich muss spüren, dass ich dir damit nicht zu viel bin.“ „Ich muss spüren, dass ich dir im Zweifelsfall wichtiger bin als Dinge wie Pünktlichkeit, Ordnung, Projekte schaffen und Geld verdienen. Davon habe ich genug. Meinen Eltern war das oft wichtiger als die Frage, wie es mir geht.“

„Ich bin früher so brutal überfordert worden. In einer Liebesbeziehung muss es okay sein, wenn ich einmal sage: ‚Ich kann nicht mehr.‘ Oder: ‚Das schaffe ich leider nicht.‘“
„Ich kann es nicht mehr ertragen, wenn Liebe an Bedingungen geknüpft ist. Wenn ich Dinge schaffe und so bin, wie es der andere braucht, werde ich geliebt. Ansonsten sehe ich die kalte Schulter oder werde zurückgewiesen.“

„Meine Eltern haben nicht immer zu mir gehalten, gerade wenn es darauf ankam. Ich brauche es heute, dass du zu mir stehst und mir nicht in den Rücken fällst, wenn ich mal einen Konflikt mit deiner Mutter, mit Freunden oder unseren Kindern austrage. Es ist okay für mich, wenn du die Dinge anders siehst als ich, aber nicht, wenn du dann zu den anderen hältst.“ „Ich brauche es unbedingt, dass Menschen heute meine Grenzen achten: wenn ich mich mit etwas nicht wohlfühle oder etwas nicht will. Wer mich dann trotzdem nötigt oder über meine Grenzen hinweggeht, mit dem bin ich fertig. Wenn du das bist, habe ich ein Problem.“

„Ich möchte nie mehr nach starren Normen leben: wie ‚man‘ das macht, wie andere das sehen, was ‚normal‘ ist. Lass mich einfach sein, wie ich bin. Ich liebe dich und ich werde auf meine Weise auf das eingehen, was du brauchst.“

Liebevolle Zeichen setzen

Ein abschließender Schritt führt zu einem lohnenden Ziel. Wenn man Erfahrungen, wie in den Beispielen beschrieben, aussprechen darf und darin verstanden wird, fühlt sich ein Konflikt nicht mehr an wie ein Streit. Im Gegenteil: Er tut unglaublich gut. Dann zeichnen sich auch Möglichkeiten ab, dem anderen ein wenig entgegenzukommen. Ein liebevoller Kompromiss berücksichtigt die wunden Punkte beider und stellt eine Situation her, mit der beide leben können.

Die Spülmaschine ist für uns gerade ein Anlass für Liebe im Alltag. Ich achte darauf, meiner Frau das Gefühl zu geben, dass ihre Herangehensweise genauso zählt. Eine Spülmaschinenphilosophie beantwortet viele Fragen: Was wird vorgespült? Wie sorgfältig puzzelt man, um viel hineinzubekommen? Darf sich in den Mulden der Tassenböden Wasser sammeln oder verhindert man dies mithilfe der schrägen Stellflächen? In alledem vergewissert mich meine Frau, dass unsere Regel „Freiheit in Kleinigkeiten“ weiterhin gilt. Von außen betrachtet könnte das banal wirken. Oder merkwürdig, warum wir an so etwas überhaupt Aufmerksamkeit verschwenden. Doch weil der Alltag hier unsere wunden Punkte berührt, wird er zu einem Ort, an dem wir uns verstehen, unterstützen und Liebe zeigen können – in einer Intensität, die nur versteht, wer unser Geheimnis kennt.

Jörg Berger ist Psychotherapeut und Paartherapeut in Heidelberg. psychotherapie-berger.de/family

Inakzeptabel!

Über die befreiende Kraft, sich seinen Schwachpunkten zu stellen.

Warum sorgen immer wieder Menschen für Skandale, von denen man es am wenigsten erwartet hätte? Menschen, die hohe moralische Ansprüche an sich selbst und an ihr Umfeld stellen. Die in der Öffentlichkeit stehen und Vorbilder sind. Politikerinnen, Pastoren und Geschäftsleute gehen plötzlich fremd, veruntreuen Geld oder missbrauchen ihre Macht. Wenn dann jemand auffliegt, sind wir überrascht und empört. Dabei vergessen wir, dass auch ganz normale Menschen wie du und ich Gefahr laufen, verheerende Fehler zu machen.

Ein Beispiel: Herr Müller fühlt sich seit Jahren einsam. Aber er würde es nie zugeben, nicht sich selbst und schon gar nicht einem anderen Menschen gegenüber. Es macht ja keinen Sinn. Er, der glücklich verheiratet zu sein scheint. Er, der immer von Menschen umgeben ist, die ihn schätzen. Warum sollte er sich einsam fühlen?

Ausweichmanöver

Für Herrn Müller ist bald klar, dass es an seiner Frau liegen muss, dass er sich einsam fühlt. Bei ihr müsste es ihm doch gut gehen, aber das tut es nicht. Aber natürlich ahnt auch Herr Müller, dass es Unsinn ist, seiner Frau die alleinige Schuld zu geben. Deshalb löst jede Begegnung mit seiner Frau eine innere Zerrissenheit bei ihm aus.

Um nicht ständig mit diesen widersprüchlichen Gefühlen konfrontiert zu werden, zieht er sich immer mehr von seiner Frau zurück. Er beginnt, wie verrückt Sport zu treiben. Einen Ironman hat er absolviert, geholfen hat es nichts. Jetzt ist er drauf und dran, sich auf andere Ersatzhandlungen einzulassen, die seiner Ehe noch mehr schaden werden, um dieses Gefühl der Einsamkeit für kurze Zeit zu betäuben.

Wir alle haben Persönlichkeitsanteile und Gedanken, die nicht besonders vorzeigbar sind. Natürlich versuchen wir, unsere schwierigen Seiten so gut wie möglich zu verbergen. Manchmal sogar vor uns selbst, weil wir uns schämen, uns einsam, minderwertig, zornig, lüstern oder eifersüchtig zu fühlen. Aber das Problem ist: Wenn wir unsere inakzeptablen Seiten verdrängen, verschwinden sie nicht. Nur weil sie nicht sein dürfen, sind sie nicht plötzlich weg. Im Gegenteil: Sie werden dann auf Umwegen und besonders in unserer Partnerschaft umso heftiger wieder auftauchen.

Selbstannahme und Veränderung

Um das zu verhindern, braucht es Ehrlichkeit und Mut. Die Ehrlichkeit, sich einzugestehen, dass man selbst auch problematische Persönlichkeitsanteile hat. Und den Mut, sich seine Abgründe anzusehen. C. G. Jung hat es einmal so formuliert: „Nur was ich annehme, kann ich verändern.“ Herr Müller kann seine Einsamkeit entweder weiter verdrängen und sich in Süchte oder in eine neue Partnerschaft flüchten. Oder er kann sich ihr stellen. Wenn es ihm gelingt, ehrlich mit seiner Frau ins Gespräch zu kommen, stehen die Chancen gut, dass seine Einsamkeit keine destruktiven Ventile mehr braucht oder sogar geheilt werden kann.

Für Menschen, die in der Öffentlichkeit stehen und für ihre hohen moralischen Ansprüche bekannt sind, ist die Gefahr besonders groß, ihre inakzeptablen Seiten zu verdrängen. Auf der Bühne beklatscht zu werden und sich gleichzeitig einzugestehen, dass man bedürftig ist und hässliche Persönlichkeitsanteile hat, ist anspruchsvoll. Es scheint einfacher zu sein, diese inakzeptablen Seiten zu verdrängen. Doch genau das führt dazu, dass sich diese Anteile ein anderes Ventil suchen und so wesentlich zu den Skandalen beitragen.

Marc Bareth und seine Frau Manuela stärken mit FAMILYLIFE Schweiz Ehen und Familien. Marc Baret ist der Leiter dieser Arbeit. Er bloggt unter: familylife.ch/five

Mein Begehren – dein Begehren

Wenn Ehepartner unterschiedlich stark ausgeprägte sexuelle Lust haben, kann das die Beziehung sehr belasten. Was hilft, damit die Lust nicht zum Frust wird? Von Susanne und Marcus Mockler

„Wie oft habt ihr beide Sex?“ Als uns in einer anonymen Fragerunde bei einem Eheseminar diese Frage gestellt wurde, waren wir uns einig: Darauf geben wir keine konkrete Antwort! Garantiert keine Zahl – denn wem sollte das helfen? Anders Martin Luther, der einst frei heraus den Ratschlag gab: „In der Woche zwier, schaden weder ihm noch ihr, macht im Jahre hundertvier.“ Doch wir glauben, dass Sexualität sich nicht so verallgemeinern lässt. Es gibt kein Richtig oder Falsch in Praktiken oder Häufigkeit. Entscheidend ist, wie es beiden damit geht. Viel wichtiger als die genaue Zahl der Sexualkontakte ist die Qualität der Paarbeziehung. Allerdings bedingt sich beides oft: Paare, die in Befragungen eine hohe Beziehungszufriedenheit angeben, haben in der Regel häufiger Sex als Paare, die insgesamt unzufrieden sind.

Unzufriedenheit und Konflikte

Das Problem kennt fast jedes Paar: unterschiedliches sexuelles Verlangen und verschiedene Vorstellungen darüber, was eine angemessene Frequenz für Intimverkehr sei. Tendenziell beobachten wir mehr Interesse an Sex bei Männern. Das variiert aber von Paar zu Paar. Immer häufiger sind es auch Frauen, die sich mehr intime Aktivitäten erhoffen, während ihre Partner sich zurückziehen. Die Gründe sind vielfältig: Stress, Erschöpfung, medizinische Probleme, hormonelle Schwankungen, traumatische Vorerfahrungen, psychische Erkrankungen, häufiger Pornokonsum. Oft ist es eine Störung der Beziehungsdynamik insgesamt, Unzufriedenheit über die Qualität des gemeinsamen Lebens und mit dem gegenseitigen Umgang, die einem (oder beiden) die Lust rauben.

Die Kluft im sexuellen Begehren führt zu Unzufriedenheit und Konflikten. Schließlich ist Sexualität ein starker Motor und Teil der Identität. Wer immer wieder im Bett abgewiesen wird, entwickelt Frustgefühle und fühlt sich manchmal sogar persönlich abgewertet. Allerdings gerät auch die Person, die weniger Lust hat, unter Druck. Viele plagt ein schlechtes Gewissen, wenn sie nicht auf das Drängen des anderen eingehen. Sie fühlen sich möglicherweise auf ihren Körper reduziert und als Ehepartner ungenügend. Wenn dann Sex regelrecht eingefordert oder einzig aus Angst vor Ablehnung ertragen wird, hilft das der Liebe auf keiner Seite weiter.

Was sind gute Strategien, um mit diesen unterschiedlichen Bedürfnissen umzugehen?

Offen über Sex reden

Wer Probleme mit der Sexualität hat, sollte darüber reden, und zwar offen und mit der ehrlichen Absicht, die Sicht des anderen zu hören und zu verstehen. Vielen ist das Thema unangenehm und sie ziehen sich zurück oder attackieren einander auf anderen Ebenen. So halten sie den anderen auf Abstand, um sich dem eigentlichen Problem nicht mehr stellen zu müssen. Das verfestigt aber den Keil zwischen beiden.

Ein ehrliches Gespräch über unterschiedliche Wünsche, Bedürfnisse und sexuelle Gefühle hilft, einander wieder näherzukommen und möglicherweise auch die Gründe hinter der starken Lust oder Lustlosigkeit zu entdecken. Dabei ist wichtig: Man darf den anderen nicht angreifen oder Vorwürfe machen, sondern sollte ausschließlich die eigenen Gefühle und Erwartungen beschreiben. Währenddessen sollte der Partner einfühlsam und interessiert zuhören. Nicht selten führt allein schon diese offene Kommunikation dazu, dass sich etwas in der Paardynamik bewegt und sich Lösungen, mit denen beide gut leben können, finden lassen.

Forschungen weisen sogar darauf hin, dass Einfühlungsvermögen, aktives Zuhören und die Bereitschaft, auf den Partner einzugehen, sexuelles Verlangen fördern können.

Wichtig ist, dass sich das Gegenüber wertgeschätzt und geliebt fühlt: „Auch wenn du meine Sehnsüchte gerade nicht befriedigen kannst, liebe und achte ich dich.“ „Auch wenn mir deine sexuelle Energie manchmal zu heftig ist, glaube ich dir, dass du mich als Person liebst und es dir nicht nur ums Körperliche geht. Ich respektiere deine größere Lust und kann sie als Ausdruck deiner Leidenschaft für mich annehmen.“ „‚Nein, nicht heute‘ bedeutet nicht, dass ich dich nicht liebe. Es liegt nicht an deiner Attraktivität und deinem Wert.“

Zugegeben, das klingt idyllisch und manchmal ist es ein schmerzlicher Weg, bis Paare dahin kommen. Einige schaffen es nicht ohne therapeutische Hilfe. Die Moderation einer dritten Person und der neutrale, wohlwollende Blick von außen können hilfreich sein, um gute Lösungen zu finden.

Sex ist nicht alles

Wie steht es um die Paarbeziehung insgesamt? Paare, die Probleme im sexuellen Bereich haben, sollten viel Zeit in andere Aktivitäten investieren, die beiden guttun: gemeinsame Hobbys, Ausflüge, ehrenamtliches Engagement, sportliche Aktivitäten. Wer auf dem sexuellen Pfad so gar nicht weiterkommt, muss Druck rausnehmen. Es hilft nicht, wenn einer dem anderen permanent ein schlechtes Gewissen macht. Vielleicht ist es für den sehr bedürftigen Partner auch dran, Selbstbeherrschung zu lernen und sich bei der geliebten Person weniger auf den Körper als vielmehr auf die inneren Werte zu konzentrieren.

Manche Paare gehen einander regelrecht aus dem Weg, um ja nicht in die Situation zu geraten, nach Sex gefragt zu werden. Da kann es helfen, zu vereinbaren, das Thema für eine gewisse Zeit ganz ruhen zu lassen und sich stattdessen bewusst auf andere Gemeinsamkeiten zu fokussieren. Manche brauchen diese Sicherheit, um wieder vertrauen zu können.

Gott um Hilfe bitten

Einige Christen tun sich schwer, Gott in das Thema Sexualität einzubeziehen. Aber auch so eine „fleischliche Angelegenheit“ wie sexuelle Unzufriedenheit ist etwas, womit man sich direkt an den Schöpfer wenden darf. Immerhin war das seine Idee! Wer sonst wüsste am besten, welche Wege einem Paar zu mehr Freiheit und Zufriedenheit verhelfen könnten? Wer leidet, sollte Gott um Hilfe bitten. Am besten gemeinsam, laut und im Vertrauen, dass er Wege kennt, wo wir noch keinen Ausweg sehen. Aber auch das persönliche Gebet wird nicht unerhört bleiben.

Die Lust auf Sex anregen

Oft leidet der Partner mit geringerer Libido darunter und würde eigentlich dem anderen zuliebe, aber auch für sich selbst gerne mehr sexuelle Intensität entwickeln. Die Forschung sagt: Menschen, die öfter Sex haben, empfinden auch ein höheres Maß an Lust auf Sex und wollen öfter intim werden. Ist Sex eine gute Erfahrung, möchte man sie häufiger machen.

Insofern könnten Partner, die eine geringere Libido haben, versuchen, sich in Stimmung zu versetzen. Eine Frau kann sich gedanklich auf Lust programmieren, indem sie im Lauf des Tages immer wieder bewusst ihre Geschlechtsorgane wahrnimmt, den Beckenboden durch Anspannen trainiert, hübsche Unterwäsche trägt, in der sie sich schön fühlt. Angenehme erotische Anspielungen des Partners, schmeichelnde Bemerkungen und zärtliche Berührungen im Alltag können luststeigernd wirken. Manchen hilft es, Termine für Sex zu setzen. Was für manche befremdlich klingt, hilft anderen, weil sie sich kontrolliert auf diese Paarzeit vorbereiten und intensiv darauf einstellen können.

Sich auf die unterschiedlichen Empfindungen einlassen

Es klingt ein bisschen verrückt, aber tatsächlich: Der Appetit kommt mit dem Essen. Befriedigender, lustvoller und erfüllender Sex steigert die Lust auf Wiederholung. Enttäuschende Erfahrungen beim körperlichen Zusammensein haben gegenteilige Wirkung. Das heißt auch: Der Partner mit der stärkeren Lusterfahrung sollte intensiver danach fragen, wie Sex für den anderen zu einem beglückenderen Erlebnis werden könnte.

Vor allem Frauen haben oft nicht spontan Lust auf Sex, können aber durch liebevolles Werben des Partners und durch erotische Berührungen, die sie mögen, dafür gewonnen werden. Hier ist Kommunikation besonders wichtig! Viele Partner wissen nämlich gar nicht, was sich für den anderen tatsächlich gut anfühlt und was der andere erotisch findet. Auch ändert sich das im Verlauf des Zyklus einer Frau stark. Während zum Beispiel in einem Stadium die Berührung der Brustwarzen elektrisiert, kann es an anderen Tagen wehtun und abschrecken. Ein bisschen ist Sex eben wie ein Tanz: Einer fordert auf, der andere lässt sich ein, beide finden in den Rhythmus und erst nach einigen Takten ist die Harmonie hergestellt.

Kompromisse aushandeln

Wenn die Erwartungen an die Häufigkeit der sexuellen Begegnungen stark abweicht, können Paare versuchen, Kompromisse auszuhandeln. Vielleicht hätte er gerne am liebsten täglich Sex, während ihr alle zwei Wochen vollkommen ausreichen. Wie wäre es, wenn die beiden sich zum Beispiel auf einmal pro Woche einigen? Dann sind die Parameter klar und beide können sich darauf einstellen und diese Begegnungen bewusst gestalten.

Sicher wird es nicht für alle die vollkommen zufriedenstellende Lösung geben. Einige körperliche oder hormonelle Ursachen sind zwar medikamentös behandelbar, aber manchmal kommt die Medizin an ihre Grenzen. Nebenwirkungen von Medikamenten hemmen teilweise die Lust und machen es schwer bis unmöglich, sexuelle Leidenschaft zu entwickeln. Auch psychische Belastungen wie Stress oder Depressionen können nicht einfach durch einfühlsame Kommunikation überwunden werden.

Aber auch solche Paare können Wege finden, wie sie einander dennoch nah bleiben: Zärtlichkeiten müssen nicht immer im Beischlaf enden, sorgen aber für die Ausschüttung von Glücks- und Bindungshormonen und stärken damit das Wohlbefinden. Alternative Formen von Intimität ohne Penetration können helfen, dass der lustbetonte Partner trotzdem auf seine Kosten kommt.

Marcus und Susanne Mockler – er ist Journalist, sie ist Paartherapeutin mit eigener Praxis und Vorsitzende der MarriageWeek Deutschland.

Schweigen ist Silber, Reden ist Gold

Mit Nicht-Gläubigen über Gott und den Glauben zu sprechen, ist nicht einfach. Das gilt umso mehr in der Familie. Wie es aber trotzdem gelingen kann und uns nebenbei noch selbst weiterbringt, berichtet Matthias Kleiböhmer.

Wir sitzen vor dem Kamin und sprechen darüber, wie die letzten Jahre gelaufen sind. Meine Frau sagt: „Wir können doch ganz zufrieden sein: Job okay, Kinder gesund und wir wohnen in einer guten Gegend.“ Ich denke: „Ja, Gott hat uns gesegnet.“ Aber ich sage es nicht. Meine Frau glaubt nicht an Gott. Und ich möchte den Augenblick nicht kaputt machen. Denn davon zu sprechen, was Gott in unserem Leben tut, führt eigentlich immer zu Diskussionen. In diesem Fall wäre das Thema: „Wieso segnet er dich und andere nicht?“ Aber wir werden noch darüber sprechen. Aufgeschoben ist ja nicht aufgehoben.

Außerhalb der Kirchenmauern

Es braucht Mut, über den Glauben zu sprechen. Nicht in der Gemeinde – da geht es einfach. Aber fast überall sonst. Meine letzte Blitzumfrage nach dem Gottesdienst hat gezeigt: Es geht vielen so. Was Businesstrainer für den Smalltalk empfehlen, haben wir schon längst verinnerlicht. Geld, Politik und Glaube lässt man besser außen vor, sonst wird es zu persönlich, übergriffig oder einfach zu emotional – und es kann eskalieren. Deswegen bleiben wir mit unserem Glauben unter uns in der Gemeinde oder in der Anonymität unserer Social Media-Bubble. Alle anderen lassen wir besser außen vor.

Wenn man – wie ich – „die anderen“ direkt in der Familie hat, geht das nicht. Für den Moment kann man Gott schon mal aus einem Gespräch ausklammern. Aber auf Dauer gelingt es nicht. Man kommt sich sonst vor, als müsste man öffentlich erklären, dass die Erde eine Scheibe ist. Wir können unser Christsein nicht an der Haustür neben dem Schlüsselbrett ablegen. Wir bringen den Glauben mit. Er begleitet uns durch eine Gesellschaft, in der der Unterschied zwischen denen, die glauben, und „den anderen“ immer größer wird. Immer mehr haben Gott nicht nur vergessen; sie vergessen, dass sie ihn vergessen haben. Schon allein deshalb glaube ich, dass es in Zukunft mehr Beziehungen wie unsere geben wird. Zu Hause kann man sich aber nicht dauerhaft verbiegen. Deswegen können wir nicht permanent auf den Gottesdienst verzichten. Und wir können Gott – wie alles andere Wichtige im Leben auch – nicht für immer aus allen Gesprächen verbannen.

Also braucht es Mut. Denn wir wissen ja selbst, wie brüchig, unvollständig und schwach unser Glaube manchmal ist. Und das kann ein solches Gespräch offenbaren. Wie peinlich! Dabei ist das nicht einmal das Schlimmste. Viel schlimmer ist es, dass es uns oft schwerfällt, unsere Liebe zu Gott in Liebe zu den Menschen zu übersetzen. Schließlich erleben uns unsere Angehörigen immer und überall in der Nahaufnahme. Sie kennen unsere Stärken und Schwächen sehr genau. Der Mut besteht nicht nur darin, von Gott zu erzählen und die verständnislosen Blicke, das Desinteresse oder die anschließende Diskussion auszuhalten. Er besteht vor allem darin, sich selbst mit dem Maßstab des Glaubens messen zu lassen.

Der Anspruch ist gewaltig

Viele Menschen haben zwar Gott vergessen, aber trotzdem gewaltige Ansprüche an Christinnen und Christen, was Geduld, Barmherzigkeit und Nächstenliebe angeht. Drei Disziplinen, in denen ich ständig versage. Als Bibelleser denke ich dabei oft an Paulus, und das macht es nicht leichter. Er ist nämlich der Meinung, dass in Beziehungen wie meiner nicht-gläubige Partnerinnen und Partner gewonnen werden können durch die vorbildliche Lebensweise der Christinnen und Christen. Das ist die wichtigste Art, wie wir über unseren Glauben sprechen, und es ist die schwierigste.

Man kann das alles maximal groß und kompliziert denken oder man kann die Freiheit des Glaubens ernst nehmen. Was ich meine: In meiner Situation spürt man den Erwartungsdruck der anderen, man liest Paulus und hört vielleicht sogar Jesu Aufforderung, „alle Welt“ mit dem Evangelium in Kontakt zu bringen. Das überfordert nicht nur mich, sondern auch Menschen, die im Glauben fester sind als ich. Tatsächlich hat Gott aber die Neigung, Menschen mit großen Schwächen zu Zeugen seiner Liebe zu machen. Petrus war ein Verräter, Paulus ging keinem Streit aus dem Weg und ein Berufssoldat der verhassten Römer erkennt als Erster: „Dieser Mann ist Gottes Sohn gewesen!“ Willkommen in der Gemeinschaft der Unvollkommenen!

Nicht-Gläubige, die wissen, dass wir Christen sind, werden sich sicher immer mal wieder fragen, wie glaubwürdig wir leben. Aber sie verstehen darunter meist etwas anderes, als Gott darunter versteht. Sie meinen meist eine moralische Christlichkeit mit selbstlosem Einsatz für den Nächsten. Dabei sind sie so ungnädig, wie wir Menschen eben sind. Gott kann da liebevoller drüber hinwegschauen und das sollte unser Maßstab sein. Wir müssen es trotzdem mit aller Kraft versuchen. Wir sind dran, weil es eben niemand anderen gibt, der es tun kann. In der Familie kann man sich nicht vertreten lassen.

Aber wie macht man das?

Wie findet man Worte für den Glauben und wie spricht man ihn aus? Ich meine, der einfachste Weg ist, mit einem eigenen Erlebnis zu beginnen. Da braucht man keine große Theologie und keine Argumente. Man darf einfach erzählen, wie man etwas erlebt hat. Zum Beispiel, dass man Gott erlebt hat, wo andere nur einen glücklichen Zufall sehen. Beispielsweise so, dass Gott in mein Leben positiv eingreift.

So habe ich es gemacht, als ich mich bei einem Beinahe-Unfall auf der Autobahn „bewahrt“ gefühlt habe. Das ist so ein typisches „Christenwort“, aber so habe ich es erlebt: Ein BMW fuhr viel zu schnell an meinem und einigen anderen Fahrzeugen vorbei und prallte in die Leitplanke. Dabei drehte er sich nur wenige Meter vor mir um die eigene Achse. Beim Aussteigen war ich geschockt – und fühlte mich bewahrt. Ich habe das bewusst auch denen genau so erzählt, die meinen Glauben nicht teilen. Was ich erlebe, darf ich auch so erleben. Wenn dann daraus eine theologische Fragestunde entsteht, in der ich nicht alle Antworten habe – sei es drum. Da bin ich trotz Studium und Predigtdienst manchmal nicht so gescheit, wie ich gern wäre. Aber was macht das schon? Ein anderer Christ oder eine andere Christin ist eben nicht da.

Bestätigung statt Zweifel

Was wir erleben, ist das eine. Das andere sind die Worte dafür. Und die kann man sehr gut mit Menschen üben, die den Glauben teilen. Nicht, weil es ein Formulierungstraining braucht, sondern weil man sich am Anfang etwas dazu überwinden muss. Und das geht leichter in einem Umfeld, das ein solches Erlebnis nachempfinden kann. Der Partner oder die Partnerin ahnt ja vielleicht nicht, dass die Situation auch für uns eine Herausforderung ist. Wir wissen es aber und wir brauchen gerade am Anfang Bestätigung und nicht Zweifel. Deswegen kann man solche Erlebnisse (ich meine solche mit Gott, sie müssen nicht unbedingt so spektakulär sein wie in meinem Fall) gut zunächst in der Gemeinde oder im Hauskreis erzählen. Später dann in der Familie.

Als dritte Möglichkeit, neben einem authentischen christlichen Lebensstil und dem Reden über den Glauben, bleibt noch die subtilere Sprache der Symbole. Wer keine Worte findet, kann die Kunst in Bild oder Ton sprechen lassen. Dabei geht es weniger darum, die Wohnung sakral zu möblieren. Aber wenn der Glaube zu deinem Leben dazugehört, findet er auch einen Platz im Wohnraum, in der Spotify-Playlist oder beim Streaming. Ich selbst schaue die Streaming-Version der Jesusgeschichte („The Chosen“) zwar meist allein, aber ich erzähle davon, was ich daran gelungen finde und was nicht. Solange es nicht zu nerdig wird, ist es in Ordnung. Solange es kein dogmatischer Vortrag ist, sondern persönlich, darf es einen Platz im Familienleben haben. Deswegen gibt es im Wohnzimmer auch ein Kreuz, obwohl es nicht allen Familienmitgliedern etwas bedeutet. Es berührt mich, also darf es bleiben.

Aushalten

Trotzdem ist meine Erfahrung, dass man im Gespräch mit Nicht-Gläubigen einiges aushalten muss. Und das empfinden die Gesprächspartner umgekehrt auch manchmal so. Die gegenseitige Zumutung besteht darin, sich zu lieben und dennoch wichtige, grundlegende Sichtweisen auf das Leben nicht zu teilen. Das lässt sich aushalten, wenn man sich der Beziehung grundsätzlich sicher ist und die Tagesform passt. Bei beiden. Denn auch der Partner oder die Partnerin erlebt dann im Gespräch einen „Die-Erde-isteine-Scheibe“-Moment. Deswegen kommt es auf den richtigen Moment für das Gespräch an.

Ich weiß, dass solche Gespräche trotz guter Vorbereitung, entspannter Stimmung und tiefer, inniger Liebe scheitern können. Niemand möchte das und doch passiert es. Ich kann nur für mich selbst sprechen. Aber ich muss sagen, dass mich solche Gespräche letztlich immer weitergebracht haben. Denn sie führen dazu, dass ich meine Gedanken neu ordne und meine Antworten neu durchdenke. Und das stärkt auch meinen eigenen Glauben. Mein Christsein wird tiefer, wenn es regelmäßig durchgeschüttelt wird. Denn manchmal lernt man aus gescheiterter Kommunikation mehr als aus gelungener.

Matthias Kleiböhmer ist mit einer atheistischen Naturwissenschaftlerin verheiratet. Der Theologe leitet den YouTube-Kanal der Stiftung Creative Kirche.

BUCHTIPP

Matthias Kleiböhmer „Sonntagmorgensingle – Wie es ist, der einzige Christ in der Familie zu sein“ (Gütersloher Verlagshaus)