Ein Paar, zwei Perspektiven: Musik

„ÜBER SIEBEN BRÜCKEN MUSST DU GEHEN“

Katharina Hullen musste als Kind viel Schlager hören. Ihre eigenen Kinder wollte sie für richtig gute Musik begeistern. Eigentlich.

Katharina:

Die Geschichte wiederholt sich ständig – im Großen wie im Kleinen. Katastrophen und Krisen ebenso wie Mode- und Musikgeschmack. Bei Letzterem scheint es eine wichtige Komponente für jede neue Generation zu geben: Abgrenzung! Für die Entwicklung des eigenen Geschmackes gilt: Den Eltern darf es auf keinen Fall gefallen!
Als ich ein Teenie war, fuhr ich am liebsten mit meinem Vater allein im Auto, denn obgleich er nicht meinen Lieblingsjugendsender einstellte, konnten wir uns dennoch auf den Mainstream-Sender einigen, und da lief ja immerhin aktuelle Musik. Meine Mutter hörte den lieben langen Tag Schlager auf WDR 4. Schon zum Frühstück läuteten die „Glocken von Rom“ und insgesamt gehörte der Sender zu uns wie unser „Name an der Tür“.Noch heute belegen unzählige Schlager-Liedtexte wertvolle Hirnregionen in meinem Kopf. Das wollte ich auf jeden Fall bei meinen Kindern anders machen – sie sollten sich dank mir nur für richtig gute Musik begeistern.
Doch gerade entwickelt es sich leider gar nicht wie geplant, denn unsere drei Teenies haben dank des Digitalradios ihren eigenen Lieblingssender entdeckt. Wer Tischdienst hat, hat für diese Zeit auch Radiogewalt. So wummert dreimal täglich ein Sender mit den „absoluten TOP-HITS“ durch die Wohnung. Alle fünf Kinder tanzen und singen mit, so gut es eben geht. Es wäre so schön, wenn die Musik nicht so nervig wäre!
Schwierig wird es mit den verschiedenen Musikgeschmäckern auf gemeinsamen Autofahrten. Da reicht die Spanne von WDR Maus über Mainstream, die besten Hits von heute, Bildungsradio bis zum Kuschelrocksender und ja, irgendwie ist WDR 4 auch inzwischen gar nicht mehr so schlecht. Denn mittlerweile läuft da „unsere“ Musik der 80er- und 90er-Jahre. Puh, wie alt du wirklich bist, zeigt sich an der Wahl deines Radiosenders!
Hauke hört auch sehr, sehr gerne einen Sender, der viele alte Rocknummern spielt. Wie gut, dass ich da die Mehrheit der Kinder hinter mir habe, denn das geht nun wirklich gar nicht. Ausgenommen ist da nur unser Vierjähriger, der auf der Suche nach seiner Identität Männlichkeit noch mit E-Gitarren-Solos gleichsetzt. Was irgendwie vielleicht auch für meinen Mann gilt.
So will nun jeder seinen Lieblingssender hören. Für dieses Dilemma haben wir eine Lösung gefunden. Wir spielen einfach ein Quiz mit ständigem Senderhopping und raten Titel und Künstler. So sind die Chancen gleich verteilt. Auf den neuen Digital-Sendern sind die Kinder uns weit überlegen, beim Rocksender trumpft Hauke auf, bei WDR 4 wohl ich, und beim Mainstreamradio gewinnen wir alle – damals wie heute.

Katharina Hullen (Jahrgang 1977) ist Bankkauffrau und Dolmetscherin für Gebärdensprache in Elternzeit. Sie und Ehemann Hauke haben fünf quirlige Kinder und leben in Duisburg. Gemeinsam bilden die beiden das Kirchenkabarett „Budenzauber“.

 

„WEIL LIEBE NIE ZERBRICHT“

Hauke Hullens musikalische Geschmacksausbildung war recht eingeschränkt. Trotzdem schwelgt er in Erinnerungen an die eigene Jugendzeit.

Hauke: Auf Drängen meiner ältesten Tochter haben wir uns zu Weihnachten einen Musik-Streamingdienst gegönnt. Seitdem warten sagenhafte 60 Millionen Songs und unzählige Neuentdeckungen auf uns. Doch was mache ich mit meinen neuen, unbegrenzten Möglichkeiten? Ich fülle meine Playlist mit den Evergreens meiner Jugendzeit. Wie beim Erstkontakt mit Google Earth: Man könnte den ganzen Planeten erkunden und zoomt sich doch nur an das eigene Haus heran.
Die Playlists haben eine ganz eigentümliche Wirkung auf mich. Man muss dazu wissen: Meine Eltern hörten keine Musik. Das Radio blieb bei Autofahrten stumm. Wir Kinder besaßen keine Abspielgeräte. Musiziert wurde zwar viel, aber keine Musik konsumiert. In der frommen Blase meines Elternhauses war ich nur von Klassik und Gemeindegesang umgeben.
Umso prägender war darum der Einfluss, den der Musikgeschmack meiner Freunde und die Hits der Oberstufenpartys auf mich hatten. Wie bei frischgeschlüpften Gänseküken bin ich seitdem festgelegt auf das, was ich direkt nach meinem (musikalischen) Erwachen kennengelernt habe, auch wenn ich es anschließend kaum mehr hörte.
Stattdessen malträtieren nun unsere Teenager unsere Ohren mit … Nun ja, was sie halt so Musik nennen. Seichtes Popzeug, mit Instrumenten und Stimmen, die allein dem Computer ihre Existenz verdanken. Und am schlimmsten ist dieser Sender, der stolz damit wirbt, nur die aktuellen Top-Hits zu spielen. Von Platz 1 bis 30. Und dann wieder von vorne. Jede Stunde. Jeden Tag.
Mit blutenden Ohren rette ich mich zu meiner Playlist. Bei jedem Song, jedem dieser musikhistorischen Kleinode flackern Assoziationen durch die Brust: ewige Sommerabende, Fahrten und Freizeiten, durchtanzte Nächte – alles Erinnerungen an den Rausch einer flirrenden, verklärten Jugendzeit!
Doch was ist das? Besteht der Text dieser stampfenden Dancefloor-Nummer aus den 80ern wirklich nur aus zwei banalen Sätzen? Und ist dieser Rocksong – jetzt, wo man den englischen Text wirklich versteht – tatsächlich so unglaublich sexistisch? Peinlich! Und hier – das ist ja der gleiche Synthesizer-Sound wie beim E-Pop-Genudel meiner Töchter! Und ein paar meiner Hits der 80er- und 90er-Jahre laufen sogar, man höre und staune, in der Dauerschleife des Folter-Senders, und zwar als Coverversion. Da wundern sich meine Mädels immer mal wieder, wenn ihr alter Herr einen Song eher erkennt als sie.
So allmählich finde ich darum einige aktuelle Songs tatsächlich auch ganz annehmbar. Und wer weiß – wenn ich sie in 20 Jahren wieder höre, werden sie mich vielleicht auch wieder zurückführen in eine turbulente, rauschhafte Zeit voller Leben.

Hauke Hullen (Jahrgang 1974) ist Lehrer für Deutsch und Sozialwissenschaften. Er und Ehefrau Katharina haben fünf quirlige Kinder und leben in Duisburg. Gemeinsam bilden die beiden das Kirchenkabarett „Budenzauber“.

Ein Paar, zwei Perspektiven: Kochen

HÜTERIN DER TRADITION

Katharina Hullen weiß, wie bestimmte Gerichte gekocht werden müssen. Trotzdem darf sich ihre Tochter gerne ausprobieren, aber nicht unbedingt ihr Mann.

Katharina:

Unsere älteste Tochter (13) hat sich zu Weihnachten ein leeres Rezeptbuch gewünscht. „Ich möchte schon mal anfangen, all die leckeren Familienrezepte aufzuschreiben, damit ich sie später nachkochen kann!“ Ich weiß ja nicht, wie konkret ihre Auszugspläne schon sind, hoffte aber beim Lesen des Wunschzettels, dass das noch ein bisschen Zeit hat. Sei’s drum – sie bekam ein schönes Buch, hat sich sehr darüber gefreut und es auch schon mit einem knappen Dutzend Rezepten gefüllt.

Denn sie ist unsere Backfee, und wann immer sich Lust oder Frust in ihr breitmachen, wird der Vorratsschrank geplündert. Das ist wirklich wunderbar – mit 13 Jahren wäre mir das im Traum nicht eingefallen. Vermutlich hätte ich es auch gar nicht allein gedurft, da Kochen und Backen ja auch irgendwie gefährlich sind. Nicht nur das Hantieren mit heißen Töpfen, Geräten und Flüssigkeiten hielt meine Mutter davon ab, mir die Küche zu überlassen. „Wie du das Messer schon hältst!“ war ein mehrfach geäußerter Satz, bevor mir selbiges entrissen wurde, was mir die Lust am freudigen Kochlöffelschwingen kräftig vermieste. Aber auch die unterschwellige Gewissheit, das richtige Würzen und Portionieren ohnehin nicht hinzubekommen, nahm mir das Selbstvertrauen, einfach mal drauflos zu kochen oder zu backen.

Unsere Große ist das totale Gegenteil. Sie ist herrlich souverän im Umgang mit „Fehlern“ und sie wird bestimmt mal eine großartige Köchin. Beispiel: Einmal produzierte sie aus Versehen einen gigantischen Hefeteig, weil sie irrtümlich 12 Eier in den Teig geschlagen hatte. Eine falsch abgespeicherte Erinnerung an ihren letzten Pfannkuchenteig! Egal – sie borgte sich noch ein paar Kilo Mehl von Oma, und wenig später verteilte sie die Berge von köstlichen, warmen und duftenden Zimtschnecken kurzerhand in der Nachbarschaft mitsamt der netten 12-Eier-Pannengeschichte.

Hauke ist auch so ein Improvisationstalent. Wenn er Hunger hat, steht er in der Küche und zaubert aus dem, was er finden kann, irgendein leckeres Essen. Rezepte findet er eigentlich eher lästig, schließlich hat er doch selbst ganz gute Ideen, welche Zutaten er mit welchen Gewürzen zusammenstellt. Und natürlich ist es fast immer lecker. Außer …
Außer er hält sich nicht ans Familienrezept! Daran, wie es immer gekocht wird! Was Neues ausprobieren? Soll er ruhig machen! Aber die Gewürze oder die Art zu verändern, wie ein traditionelles Gericht gekocht wird? Da werde ich nervös – das ist nämlich dann falsch!

Ja, Prägung ist manchmal eine schwierige Sache! Ich freue mich, dass ich es trotzdem geschafft habe, meinen Kindern schon Freiheiten in der Küche zu lassen.
Aber Hauke? Wie der das Messer schon hält!

Katharina Hullen (Jahrgang 1977) ist Bankkauffrau und Dolmetscherin für Gebärdensprache in Elternzeit. Sie und Ehemann Hauke haben fünf quirlige Kinder und leben in Duisburg. Gemeinsam bilden die beiden das Kirchenkabarett „Budenzauber“.

 

KULTURKAMPF AM HERD

Hauke Hullen improvisiert gerne und bewegt sich mit seinen Kochkünsten auf schwierigem Terrain.

Hauke: Die Küche ist der Nahe Osten unserer Wohnung. Gleich mehrere Teile der hier wohnhaften Bevölkerung haben den Anspruch, in dieser Region das Sagen zu haben. Selbst die erst vor Kurzem eingewanderte jüngere Generation macht sich hier breit und nimmt dabei leider keine Rücksicht auf die Traditionen der Alteingesessenen.

Wobei – selbst bei den Alteingesessenen prallen uralte kulturelle Unterschiede aufeinander, die immer wieder zu heftigen Konflikten führen. Obschon die Küche als Mittelpunkt des Hauses mythisch aufgeladen und damit quasi heiliger Boden ist, toben gerade hier die erbittertsten Schlachten. Kommt das Salz ins Nudelwasser, bevor es kocht – oder erst danach? Müssen Zwiebeln, die später im Eintopf verschwinden, angebraten oder gedünstet werden? Ist der Zitronensaft im Salatdressing obligatorisch oder kann man ihn auch weglassen, weil das Grünzeug sonst ungenießbar wird und der Zahnschmelz wegplatzt?
Man könnte meinen, in einer Ehe seien diese Fragen von untergeordneter Bedeutung und man findet im Zweifel sicher schnell eine Lösung. Weit gefehlt!

Liebe geht durch den Magen, und wenn dieser Liebesbeweis absichtlich und heimtückisch falsch zubereitet wird, dann kann man auch gleich die Scheidungspapiere neben den Teller legen. So deute ich zumindest die Reaktion meiner Frau, wenn ich irgendwo den Muskat vergessen habe. Denn Katharina bemüht sich nach Kräften, die uralten Schriften und Legenden, die in ihrer Familie seit Jahrtausenden von Mutter zu Tochter weitergegeben werden, aufs Gramm genau zu befolgen. Ihre Kochkunst ist eine Buchreligion – und wehe, der Göttergatte erdreistet sich einer kleinen Improvisation! Laut geäußerte Überlegungen, ob der Kuchen nicht auch mit 510 Gramm Mehl gelingt, sind Ketzerei und rufen heiligen Zorn hervor. Da in dieser Umgebung Messer, Spieße und siedendes Öl nicht weit sind, habe ich inzwischen gelernt, die verworrenen Rituale stillschweigend mitzutragen.

Trotzdem bleibt die gemeinsame Zubereitung eines Partybuffets eine Herausforderung. Doch je knisternder die Stimmung in der Küche war, umso mehr freuen wir uns dann, wenn endlich die Gäste kommen. Die feiern dann mit uns einen runden Geburtstag, und die beste Ehefrau und ich feiern, dass wir das Kochduell beide überlebt haben.

Hauke Hullen (Jahrgang 1974) ist Lehrer für Deutsch und Sozialwissenschaften. Er und Ehefrau Katharina haben fünf quirlige Kinder und leben in Duisburg. Gemeinsam bilden die beiden das Kirchenkabarett „Budenzauber“.

Ein Paar, zwei Perspektiven: Routine und Abwechslung

MÖGLICHST ALLES WIE GEHABT

Katharina Hullen liebt die Routine.

Katharina: Der Mensch ist ein Gewohnheitstier. Rituale und Routinen bringen Stabilität und Ordnung ins Chaos des Lebens. Sie sind der sichere Hafen unseres Großfamilienkreuzers.
Im Alltag weiß man oft kaum zu sagen, was in einer halben Stunde los sein wird. Da schätze ich Routinen doch sehr. Zum Beispiel: Ein überschaubares Repertoire an Gerichten im Kopf zu haben, vereinfacht das Kochen im Alltag ungemein. Es gibt zwar immer dieselben 15 Gerichte, aber alle machen satt und für jeden ist mal etwas dabei!
Mehrmals die Woche die gleiche Spazierrunde mit unserem autistischen Kind drehen? Die frische Luft und Bewegung tut uns beiden gut: Win win!
Im Urlaub immer an denselben Ort fahren? Finde ich nicht schlimm, sondern entspannend. Ich weiß: Dort auf dem Bauernhof stören wir niemanden, auch wenn wir laut sind. Wir wissen genau, was uns vor Ort erwartet, und die Kinder können nicht allzu viel kaputt machen. Für alle ist es ein bisschen wie nach Hause kommen.
Hauke, mein Bester, ist da ganz anders gestrickt: Neulich kam er mit einem Gänsebraten nach Hause. Er hatte Lust, etwas Neues auszuprobieren: „Einfach mal sehen, wie das geht.“ Während ich die Steuererklärung fertig machte, steckte der beste Ehemann von allen bis zum Ellenbogen in einem Gänsetorso. Um es direkt aufzulösen – es hat nicht geklappt, der Vogel war weitestgehend vertrocknet. Die Großeltern, die ob der Fülle des bevorstehenden Fleischgenusses eingeladen worden waren, konnten nur noch ein bisschen Gänsegulasch mit uns verzehren.
Auch die Spazierrunde meidet Hauke eher. Er findet es langweilig, immer nur im eigenen Viertel herumzulaufen. Er kann nicht einfach aufstehen und losgehen – nein, er sucht sich im Internet eine neue Strecke heraus, zu der man erst hinfahren muss, um dort zu sein, wo man noch niemals zuvor gewesen ist. Oder er setzt sich mit den Jungs in die nächste S-Bahn und fährt einfach mal los. So vor einigen Monate geschehen. Er sollte spazieren gehen und zwei Stunden später bekomme ich ein Foto aufs Handy – meine drei Männer vor’m Kölner Dom! Einfach mal ein spontanes Abenteuer – käme mir niemals in den Sinn!
Auch der immer gleiche Urlaubsort macht Hauke mehr zu schaffen als mir. In diesem Jahr waren wir tatsächlich mal auf seine Initiative hin ganz woanders und wir alle mochten die Abwechslung der Aktionen sehr, wenngleich die Unterkunft viel unentspannter war.
„Der Verstand liebt die Abwechslung, das Herz die Wiederholung.“ (Esther von Kirchbach) Eine schöne Erkenntnis – denn so wollen wir Familie leben, mit Herz und Verstand!

Katharina Hullen (Jahrgang 1977) ist Bankkauffrau und Dolmetscherin für Gebärdensprache in Elternzeit. Sie und Ehemann Hauke haben fünf quirlige Kinder und leben in Duisburg. Gemeinsam bilden die beiden das Kirchenkabarett „Budenzauber“.

 

ROUTINIERTE ABWECHSLUNG

Hauke Hullen sorgt für kleine Varianten im Alltag.

Hauke: Nach diesem Jahr kann ich jeden verstehen, der von Abwechslung die Nase voll hat. In den letzten Monaten folgten die Neuerungen in so schneller Folge, dass man schier schwindelig werden konnte: Ist Deutschland noch Fußballgroßmacht oder nach dem 0:6 gegen Spanien doch nur eine Art Brasilien? Muss ein abgewählter amerikanischer Präsident tatsächlich abdanken oder kann er sich einfach zum Regenten aus Gottesgnadentum erklären? Darf man noch ohne Maske den Müll rausbringen? Was, wenn man dort zwei Personen trifft, ist das jetzt noch erlaubt – oder war das letzte Woche?
Wie wohltuend langweilig war da doch rückblickend das Leben 2019, wo Angestellte ein ödes Büro, Kinder einen muffigen Klassenraum und Gastronomen anstrengende Arbeit hatten!
Doch natürlich ist es unfair, hier nur die negativen Seiten des Unvorhergesehenen darzustellen. Routine beruhigt, aber um diese Ruhe auch aushalten zu können, braucht man zwischendurch kleine Abwechslungen. In meinem Fall sind deren Auswüchse lächerlich, ich weiß. Mir graust es vor den Mühen eines neuen Jobs, eines Umzuges, gar in ein fernes Land – aber zwischendurch mal auf einem anderen Weg nach Hause fahren, weil man sich an der alten Strecke sattgesehen hat, das geht! Für einen Phlegmatiker ist es eben auch eine Art, neue Welten zu erkunden, wenn man das Navi auf „Autobahnen vermeiden“ stellt.
Für meine beste Ehefrau von allen ist aber schon das zu viel der Aufregung. Kleine Alltagsfluchten scheint sie nicht so nötig zu haben wie ich. Was tun? Vielleicht einen Kompromiss schließen: Wir achten darauf, dass sich in unserem Leben Routine und Abwechslung ergänzen, dann haben wir regelmäßig Abwechslung – was dann aber dazu führen würde, dass die Abwechslung zur Routine wird. Dann wäre es geradezu ausgefallen, doch wieder alles wie immer zu machen – was für ein Dilemma!
Manchmal verhilft uns eine glückliche Fügung zu einer Entscheidung: Im letzten Sommer bot uns ein Bekannter an, für sehr kleines Geld in einer sehr schönen Ferienwohnung im Allgäu Urlaub zu machen. Wir rangen nichtsdestotrotz mit uns: Reicht denn nicht der Urlaub an der Nordsee, wo unsere Sippe seit unglaublichen 55 Jahren den Sommer verbringt?
Um es kurz zu machen: Es war ein wunderbarer Urlaub. Statt endloser Felder bis zum Horizont gab es hinter jeder Kuppe neue prachtvolle Aussichten, und statt altbekannte Attraktionen abzuklappern, entdeckten wir jeden Tag etwas Unbekanntes. Was für eine gelungene Abwechslung! Das machen wir jetzt jedes Jahr so.

Hauke Hullen (Jahrgang 1974) ist Lehrer für Deutsch und Sozialwissenschaften. Er und Ehefrau Katharina haben fünf quirlige Kinder und leben in Duisburg. Gemeinsam bilden die beiden das Kirchenkabarett „Budenzauber“.

12 Ideen für ein reiches Ehe-Jahr

Ob das Jahr erst angefangen hat oder schon eine Weile läuft – für die Partnerschaft kann man immer etwas tun. Ira Schneider stellt eine 12-Monats-Challenge vor für ein bereicherndes Jahr.

Nicht nur der Jahresanfang öffnet einen weiten Raum, um Neues zu wagen und voller Hoffnung in die Zukunft zu schauen. Auch unter dem Jahr gibt es immer wieder Neuanfänge, die wir ergreifen und selbst gestalten können.

Gemeinsam unterwegs

Zu wissen, dass mein engster Vertrauter, mein bester Freund und Lieblingsmensch an meiner Seite ist, beflügelt mich. Wir können gemeinsam losgehen. Staunen. Lernen. Loslassen. Annehmen. Uns Vortasten. Ausprobieren. Fallen. Aufstehen. Trösten. Das Leben leben. Mein Mann und ich lieben es, den Alltag zu feiern und uns kleine Challenges, sprich kleine Strategien zu überlegen, um dem anderen eine unerwartete Freude zu bereiten. Hier findet ihr eine Auswahl kleiner Portionen Extraliebe zum Ausprobieren. Das könnt ihr jederzeit starten.

Bevor ihr die 12 Challenges lest, empfehle ich, die Monate zu verteilen. Im besten Fall wechselt ihr euch ab. So hat jeder sechs Challenges. Oder machen beide alles? Auf geht’s in 12 Monate lieben und sich lieben lassen. Bist du dabei?

Januar

Draußen ist es kalt. Die Festlichkeiten liegen hinter uns. Vielleicht schleppen wir ein paar Kilo mehr mit uns. Jedenfalls ist es nachmittags schnell dunkel, und der Frühling lässt noch auf sich warten. Der Weihnachtsbaum ist erloschen, der Adventskranz abgebaut. Trotzdem wollen wir hell erleuchtet ins neue Jahr starten.

Da helfen Teelichter! Zünde sie an und erhelle den Raum. Vielleicht muss dein Lieblingsmensch lange arbeiten und kommt dann unerwartet in ein gemütliches Zuhause. Bei einer Tasse Tee kann der Abend noch richtig gut werden.

Februar

Im Februar wird der Winter zäh. Es war nun lange genug kalt, grau und ungemütlich. Nun erwacht die Vorfreude auf längere Tage. Dieser Ungemütlichkeit kann man zum Beispiel mit einem kulinarischen Vergnügen entgegenwirken – Liebe geht ja bekanntlich durch den Magen. Aber nicht nur irgendeine Liebe geht durch irgendeinen Magen, sondern es geht um euch!

Hat dein Schatz hat ein besonderes Lieblingsessen, ein Lieblingsgetränk oder eine Lieblingsleckerei vom Bäcker? Nichts wie hin zum Bäcker, Supermarkt oder zum Coffee-Shop.

März

„Morgenstund hat Gold im Mund“, weiß der Volksmund. Aber vor allem morgens ist es hektisch. Gerade dann nehme ich mir vor der Arbeit, wenn wir zu unterschiredlichen Zeiten gehen, vor, achtsam innezuhalten und eine WhatsApp Nachricht an meinen Mann zu schreiben. Ein paar warme Guten-Morgen-Worte ermutigen, und er darf wissen, dass ich an ihn denke.

Schnapp dir diesen Monat öfter morgens dein Handy und hinterlasse eine liebevolle Nachricht für den Tag.

April

Es gibt Tage, da habe ich große Augenringe, zerzauste Haare, und meine Haut fühlt sich trocken an. Ich stehe vor dem Spiegel und denke: „Alltag halt …“ Doch genau an solchen Tagen ein Kompliment zu erhalten, kann den Tag in ein anderes Licht rücken.

Sprich deinem Partner oder deiner Partnerin diesen Monat bewusste Komplimente zu. Wie wäre es mit mindestens einem besonderen Kompliment pro Woche?

Mai

Zu einer Beziehung gehört, Erinnerungen im Herzen zu bewahren. Sie sind wie Blumen entlang unseres Lebenspfades als Paar.

Kramt euer Fotoalbum raus und feiert eure gemeinsamen Erinnerungen.

Juni

Freunde von mir haben in Zeiten, in denen Zoom, WhatsApp oder E-Mails noch nicht üblich waren, eine Fernbeziehung zwischen Deutschland und Japan geführt. Sie haben sich in langen Briefen aus ihrem Alltag erzählt. Dann mussten sie warten, bis der Brief ankam und sie eine Antwort erhielten. Ein ganzes Jahr haben sie das geschafft. Wirklich beeindruckend!

Wie wäre es, in diesem Monat mit einem Liebesbrief oder einem Brief, in dem du von dem erzählst, was dich bewegt, oder Fragen stellst, um herauszufinden, was dein Gegenüber bewegt?

Juli

Meine Liebessprache sind Geschenke. Wenn ein anderer Mensch an mich denkt und sich in meiner Abwesenheit etwas Liebevolles überlegt, ist das für mich wundervoll. Das Geschenk ist wie ein Stück Liebe, die greifbar wird. Was dann alles toppt, ist, wenn das Geschenk auch noch liebevoll verpackt ist.

Das ist doch mal eine Challenge: Ein unerwartetes und wundervoll verpacktes Geschenk. Es muss nicht teuer sein, aber eine kleine Freude soll es bereiten.

August

Zeitgeschenke sind immer besonders. Wenn ihr Kinder habt, kann es ein kostbares Geschenk sein, dem anderen einen freien Tag zu ermöglichen. So kann der Partner oder die Partnerin einen Tag lang nach Lust und Laune tun, was ihm oder ihr beliebt. Wenn ihr keine Kinder habt, könnt ihr euch dennoch eine größere Aufgabe abnehmen, um einander Zeit für sich oder eigene Aktivitäten zu schenken.

Nimm deinem Schatz Aufgaben oder Kinderbetreuung ab, damit er oder sie einen Tag für sich gestalten kann.

September

Ein Bereich, der Intimität als Paar schafft, ist der intellektuelle und kreative Austausch. Im Alltag prasseln – in Print oder digital – alle möglichen Informationen und Texte auf uns ein.

Was bewegt oder begeistert dich momentan? Lies deinem Lieblingsmenschen etwas Inspirierendes aus einem Buch, einem Artikel oder der Bibel vor.

Oktober

Jetzt wird es experimentell. Ich lade euch ein, zu verweilen und Stille miteinander auszuhalten und zu genießen. Stellt euch einen Timer und ladet einander ein, euch eine Minute lang in die Augen zu schauen. Das ist alles. Welche Erfahrung macht ihr dabei?

November

Von einem Tag auf den anderen bricht die Kuschelsockenzeit an. Die Heizung wird aufgedreht und die Winterjacke liegt bereit.

Das ist die richtige Zeit für Massagen. Ob Kopf-, Fuß- oder Rückenmassage, du weißt am besten, worüber sich deine Liebste oder dein Liebster am meisten freuen würde. Vielleicht holst du noch ein Flasche Zitronen- oder Orangenöl, dann ist die Wellnessoase perfekt.

Dezember

In den Nikolausstiefeln müssen nicht nur Kekse zerbröseln oder die Schokolade schmelzen. Manchmal bringen Worte das Herz zum Schmelzen

Schreibe eine Dankeskarte für all den Dinge, Eigenschaften und wunderbaren Eigenarten, die du an deinem Partner oder deiner Partnerin wertschätzt.

Ira Schneider ist Paartherapeutin und Autorin. Ihr Ratgeber für Paare erscheint im Juni 2024 bei SCM Hänssler. Mehr unter: @ira.schneider_

Ein Paar, zwei Perspektiven: Verschwörung

DER PAKT VON MORDOR

Katharina Hullen kämpft gegen eine innerfamiliäre Verschwörung. Dass ihr Mann Teil des Komplottes ist, macht die Sache nicht einfacher.

Katharina: Es gibt so Tage: Die Spülmaschine heizt nicht mehr, der Kaffeeautomat spuckt nur noch heiße Luft, die Waschmaschine schreit mir Fehler 23 entgegen und verlangt nach einem Techniker. Na super! Ein 7-Personen-Haushalt ohne funktionierende Spül- und Waschmaschine – wie soll man das aushalten? Ohne Kaffee?

Offensichtlich hat sich an solchen Tagen die Welt gegen mich verschworen. Überhaupt Verschwörung: Auch meine eigene Familie, Hauke und die Kinder, treffen offensichtlich ständig geheime Absprachen, um mich zu manipulieren und letztendlich in den Wahnsinn zu treiben.

Dafür gibt es sichtbare Anzeichen, wirklich! Zum Beispiel die Streifen von Schuhsohlen in der ganzen Wohnung. Ich sage zwar täglich mehrmals jedem der sechs Beteiligten: „Zieh bitte deine Schuhe aus!“ Doch offenbar bin ich Teil eines Experimentes, das sich um die Frage dreht, wann eine Mutter resigniert und sich willenlos dem Chaos ergibt. Wahrscheinlich denken die Kinder auch, dass die Sache mit den Schuhen gar keine Familienregel ist, da sich der Papa ja auch nicht daran hält.

Oder die allabendlichen Verzögerungstaktiken der Kinder, um nicht schon ins Bett gehen zu müssen. Es scheint ein Abkommen zwischen dem Vater und seiner Brut zu geben, denn statt einzuschreiten, macht er es sich auf dem Sofa gemütlich. So schlage ich allein die „Jetzt-ist-Schlafenszeit!“-Trommel und fische mir mühsam die jüngsten, widerborstigsten Kandidaten heraus, während der Rest als eingeschworene Gemeinschaft den Tag digital auf dem Sofa beschließt.

Zudem braut sich gerade auch ein Pakt zwischen unserer Ältesten (13) und ihrem Papa zusammen: Seit sie zwölf Jahre alt ist und die entsprechenden Filme theoretisch sehen darf, empfindet Hauke einen cineastischen Lehrauftrag und möchte all die großen und kleinen Blockbuster mit ihr erleben. An sich ja eine schöne Vater-Tochter-Idee, wenngleich ich nicht jeden Film, der ab 12 freigegeben ist, auch geeignet finde. Aber das ist ein anderes Thema …

An unserem Familienfilmabend beteuern die beiden also mit treuherzigen Augen, dass sie jetzt im Obergeschoss einen anderen Film sehen müssen, immerhin habe die Tochter auch das dicke Buch zum Film gelesen. So werden wir unsere bislang gemeinsam erlebten Filmabende nun getrennt verleben, die zwei mit Frodo in Mordor und wir anderen mit der Eiskönigin in Arendelle. Dabei gäbe es dutzende Filme, die eine gemeinsame Schnittmenge hätten und uns einen schönen Familienfilmabend bescheren würden – doch mit Argumenten ist den Verschwörern eben nicht beizukommen.

Ist so ein Tag, an dem sich scheinbar alles gegen mich verschworen hat, aber erst mal vorbei, kann ich Gott sei Dank auch die Wahrheit sehen: Nicht alle Missgeschicke folgen einem bösen Plan. Wenn jemand die Fäden in der Hand hält, dann unser gnädiger Schöpfer, der mit mir mein Leben ideenreich, fröhlich und mutig gestalten will.

Katharina Hullen (Jahrgang 1977) ist Bankkauffrau und Dolmetscherin für Gebärdensprache in Elternzeit. Sie und Ehemann Hauke haben fünf quirlige Kinder und leben in Duisburg. Gemeinsam bilden die beiden das Kirchenkabarett „Budenzauber“.

 

MACHTLOSER FÄDENZIEHER

Hauke Hullen unterliegt regelmäßig, wenn es um die Berufung des Vorsitzenden geht, und kann die Wahl nicht anfechten.

Hauke: Haben Sie die Demonstration gesehen? Plakate und aufwieglerische Sprüche, die Unterdrückung und Freiheitsberaubung behaupteten; eine Minderheit, die sehr lautstark für ihre Wünsche eintrat! Und was wollten die Protestierenden? Ganz einfach: Ein eigenes Zimmer für unsere älteste Tochter, damit die Zwillinge ebenfalls ihre eigenen Reiche bekommen.
Ja, diese Demo fand bei uns im Wohnzimmer statt, doch es gibt Gemeinsamkeiten zu den aktuellen Verschwörungen: Beide setzen mehr auf gefühlte Wahrheiten denn auf Fakten, und beide fabulieren von einer Diktatur, wenn ihren Wünschen nicht entsprochen wird. Dabei vermischen sich sowohl die Anhänger der diversen Ideologien als auch ihre Argumente zu einem allseits kompatiblen Verschwörungsbrei.

Leichtfertig sollte man die Theorien jedoch nicht vom Tisch wischen – es gibt ja tatsächlich perfide Pläne, die im Geheimen vorangetrieben werden. Zum Beispiel das berühmte Brotdosen-Komplott: Um die gesamte Familie schleichend mit Vitaminen und Liebe zu kontaminieren, hat meine Frau  wider jede Vernunft den Kindern bis ins Teenager-Alter hinein jeden Morgen überkandidelte Pausenbrote vorbereitet, umrahmt von allem, was die Obstplantagen weltweit so hergeben. Ich fand immer, jeder könne sich selbst einfach ein Brot mit Wurst belegen – das geht schnell und macht satt, fertig.

Offenbar fanden meine Argumente endlich Gehör: Die drei älteren Mädels machen sich nun ihre Frühstücksboxen selbst. Doch der Sieg der Vernunft war nur vordergründig, musste ich doch mit ansehen, wie die Mädchen in ihren Brotdosen weiterhin filigrane Kunstwerke aus Gemüse, Dips, Obst, Brot und vertaner Lebenszeit anrichteten. Und als ich eines Morgens meine Dose noch mal öffnete, lachte mich ein Gemüse-Obst-Frosch an und der Rest der Familie aus. Wo bin ich hier hineingeraten?

Während ich also einer realen Konspiration ausgesetzt bin, sind die von unseren Kindern behaupteten Verschwörungen nur eingebildet. Sie glauben, dass Kathi und ich eine eingeschworene Gemeinschaft seien, die unbeirrt eine gemeinsame Strategie verfolge. Das mag daran liegen, dass ich auf alle Anfragen stets mit „Das muss ich erst noch mit Kathi besprechen“ geantwortet habe. (Um etwas mehr Würde zu bewahren, habe ich inzwischen das „muss“ durch ein „möchte“ ersetzt.)

Intern geht es bei uns jedoch höchst divers und demokratisch zu: Kathi und ich erörtern die Sachlage und stimmen schließlich ab. Bei zwei Leuten könnte schnell ein Patt entstehen, möchte man meinen, doch nicht bei uns: Bei Gleichstand gibt die Person, die gerade den Vorsitz innehat, den Ausschlag. Es gibt transparente Kriterien für die Berufung in dieses Amt.

In diesem Jahr gab es, wie immer, zwei Bewerber. Am Ende ist es, wie immer, meine Frau geworden, weil das bei uns wie bei anderen Stellenausschreibungen auch funktioniert: „Frauen und Schwerbehinderte werden bei entsprechender Eignung bevorzugt berücksichtigt.“ Ich finde das unfair, weil so immer meine Frau den Vorsitz einnehmen wird, Kathi meint jedoch, wir hätten beide die gleichen Chancen.

So gesehen stimmt die Annahme unserer Kinder nicht, ich wäre Teil einer verschworenen Elite. Andererseits muss man festhalten: Am Ende des Tages stecke ich doch wieder mit der Regierung unter einer Decke.

Hauke Hullen (Jahrgang 1974) ist Lehrer für Deutsch und Sozialwissenschaften. Er und Ehefrau Katharina haben fünf quirlige Kinder und leben in Duisburg. Gemeinsam bilden die beiden das Kirchenkabarett „Budenzauber“.

Ein Paar, zwei Perspektiven: Weichherzigkeit

CLOWNS STATT DÖNER

Katharina Hullen kann manchmal nicht Nein sagen.

Katharina: Neulich beim Abendbrot: Es klingelt an der Tür. Wie üblich stürmt eine Horde neugieriger Kinder zur Tür, um sie lautstark zu öffnen und wenige Sekunden später „Mama“ herbeizurufen. Ich schlurfe los und sehe mich alsbald einem jungen Studenten gegenüber, der einen roten Teppich vor unserem Eingang ausgerollt hat. Er stellt uns sympathisch und hintergründig die gute Arbeit des „Rote Nasen Deutschland e.V.“ vor, einer Organisation, die durch Clownerie Lachen und Lebensfreude zu leidenden Menschen bringt. Umringt von enthusiastischen Kindern, die fröhlich in die Ausführungen des Studenten hineingrätschen mit ihren Geschichten vom eigenen Krankenhausaufenthalt, bei dem man damals um einen Tag den Clown leider verpasst hatte, oder dem tollen Schul-Zirkus-Projekt, bei dem es auch so lustige Clowns gab, erahne ich natürlich schon den Spendenaufruf. Angesichts der freudigen Anteilnahme meiner Kinder, dem wirklich guten Ansatz, Leid mit Humor zu begegnen, und vielleicht auch wegen des prominenten Unterstützers – Dr. Eckart von Hirschhausen – bin ich innerlich schon im Spendenmodus. Wie sich zeigt, ist es leider nicht möglich, nur einmalig zu spenden. Aber gut, die Kinder betteln, doch bitte, bitte, bitte mitzumachen – dann eben monatlich ein kleiner Beitrag. Gesagt, getan. Unter dem Jubel der Mädchen sind die Formalien schnell geklärt. Eine freundliche Verabschiedung und wir strömen zurück zum Abendbrottisch – wo mich ein resigniert kopfschüttelnder, etwas verärgerter Ehemann erwartet. Er murmelt etwas von Familieneinkommen und „Mal sehen, was wir stattdessen mal streichen können, damit wir ab jetzt Clowns unterstützen können“.

Oje, er hat Recht! Es ist schon wieder passiert! Normalerweise versuche ich recht rigoros Haustürgeschäfte abzuwimmeln. Was mir in der Regel auch gelingt. Ich will keine Fassadenreinigung und auch keine neuen Dachfenster.

Aber trotzdem gibt es manchmal Anfragen, die treffen mich so sehr ins Herz – oder besser in den Bauch –, dass plötzlich zum Beispiel eine Malteser-Mitgliedschaft dabei herauskommt.

Hauke ist viel besser in so etwas – bei ihm löst der Bauch (außer an der Dönerbude) niemals den Kopf ab. Er schafft es, angemessen freundlich oder unfreundlich jedes Gespräch zu einem Punkt zu bringen. Er lässt sich nicht von sentimentalen Geschichten einfangen. Ihm passiert es auch niemals, im Wartezimmer oder beim Einkaufen in ein Gespräch verwickelt zu werden. Nein, in der Zeit, in der mir das passieren würde, füttert Hauke seinen Kopf mit den Informationen der Verpackungen, der Rechtschreibung der Werbeschilder oder den Magazinen im Wartebereich.

Ich liebe meinen Mann für seinen klugen, kühlen Kopf! Ich brauche dieses Korrektiv. Aber die Welt braucht auch mitfühlende Warmherzigkeit und impulsive Großzügigkeit. Dann essen wir halt einen Döner weniger im Monat und geben dieses Geld in Hände, die mehr daraus machen als nur einen satten Bauch. Ganz schön klug von mir, oder?

Katharina Hullen (Jahrgang 1977) ist Bankkauffrau und Dolmetscherin für Gebärdensprache in Elternzeit. Sie und Ehemann Hauke haben fünf quirlige Kinder und leben in Duisburg. Gemeinsam bilden die beiden das Kirchenkabarett „Budenzauber“.

 

HOTSPOT FÜR SPENDENSAMMLER

Hauke Hullen könnte Nein sagen, aber dafür ist es oft schon zu spät.

Hauke: Man stelle sich vor: Während des Urlaubs in einer ausländischen Einöde passiert etwas, ein Unfall oder eine schwere Erkrankung – wäre es dann nicht toll zu wissen, dass man kostenlos einfach nach Hause geflogen wird? Eine beruhigende Vorstellung, nicht wahr?

Diese Vorstellung war der besten Ehefrau von allen dann auch direkt eine Mitgliedschaft und einen jährlichen Beitrag wert. Prompt fühlte sie sich sicherer und der Vertreter, der ihr den Deal an der Haustür aufgeschwatzt hatte, zog fröhlich weiter.

Dazu muss man wissen: Wir fahren kaum ins Ausland. Unser Radius endet meist an der Nordsee – die Lust auf längere Fahrten sank proportional mit der Anzahl der quengelnden Kinder auf den Rücksitzen. Auch habe ich nie verstanden, warum Urlaubsorte nur dann attraktiv sein sollen, wenn sie weit weg sind. Und schließlich kommt dazu, dass die Abenteuerlust meiner Frau auf einer Skala von 1 bis 10 bei minus 1 liegt. Letzteres macht verständlich, dass sich Katharina besser fühlt, wenn sie weiß, dass stets ein vollgetankter Jet im Dschungel bereitsteht, um sie nach einem Schlangenbiss nach Duisburg auszufliegen. Nur: Wir sind halt nie im Dschungel.

Nachdem wir die statistische (Un-)Wahrscheinlichkeit ausgiebig erörtert hatten, einen Nottransport in Anspruch nehmen zu müssen, den unsere Krankenkasse nicht bezahlen würde, hat Kathi die Mitgliedschaft schweren Herzens wieder gekündigt. In anderen Bereichen lassen sich die Folgen von Kathis Weichherzigkeit deutlich schwieriger eingrenzen. Und das hat vor allem moralische Gründe. Denn während ich bei der Flugrettung argumentieren kann: „Das brauchen wir nicht!“, sagt Kathi bei all den anderen Großherzigkeiten zu Recht: „Das brauchen die anderen!“ Und in der Tat – die Not in der Welt ist groß, es gibt unzählige unterstützungswerten Anliegen, und natürlich bricht unser Lebensstandard nicht zusammen, wenn einer weiteren Organisation mit 5 Euro im Monat geholfen wird.

Doch wo will und darf man da die Grenze ziehen? Dank meiner Frau ist unsere Haustür zum Hotspot der lokalen Spendensammel-Szene geworden und die Bettlerinnen vor unserem Supermarkt bekommen wahlweise Münzen, komplette Einkäufe oder kistenweise ausrangierte Kinderkleidung geschenkt. Doch was, wenn jetzt alle kommen und die Hand aufhalten? Was, wenn das alle machten?

Tief in meinem Herzen weiß ich, dass genau dies die eigentliche Frage ist: Was, wenn das alle machten? Was, wenn alle sich erweichen ließen und auf ein (durchaus ansehnliches) Stück ihres Wohlstandes verzichteten, um den Nächsten mit dem Nötigsten zu versorgen und um für den Übernächsten die passende Hilfsorganisation zu unterstützen? Während in meinem Kopf noch der Stellungskrieg tobt, ist meine Frau schon längst über meinen Schatten gesprungen und hat ohne groß nachzudenken wieder Geld ausgegeben für irgendetwas, was irgendjemandem eine große kleine Freude bereiten wird.

Streng genommen hat sie dabei auch mein Geld mit ausgegeben – und ich lasse sie gewähren.

Hauke Hullen (Jahrgang 1974) ist Lehrer für Deutsch und Sozialwissenschaften. Er und Ehefrau Katharina haben fünf quirlige Kinder und leben in Duisburg. Gemeinsam bilden die beiden das Kirchenkabarett „Budenzauber“.

Ein Paar, zwei Perspektiven: Schlaf

NACHTSCHICHTEN AUS TROTZ

Katharina Hullen muss mit sehr wenig Schlaf auskommen und beneidet ihren Mann um seine Superkräfte.

Katharina: Schlafen macht schön und klug. Schlafen ist gesund! Ich sage Ihnen was: Schlaf ist überbewertet! Denn all diese Aussagen ergeben nur unter Laborbedingungen Sinn.

Unsere Wahrheit ist derzeit: Schlafen wäre schon schön und wahrscheinlich klug und es wäre auch sicher gesund, früher schlafen zu gehen. Leider liegt unsere Zubettgehzeit weit hinter Mitternacht. Das ist notwendig und ärgerlich zugleich, weil es einfach an so vielen Faktoren hängt, warum es sich nur schwer ändern lässt.

Zum einen: Wir sind Eulen, können abends effektiv Dinge erledigen. Beziehungsweise: könnten. Denn unsere drei Mädels, die theoretisch rund 10 Stunden Schlaf benötigen sollten, kommen abends ebenfalls noch mal richtig in Fahrt und vor allem nicht beizeiten in die Federn. Das bedeutet meist, dass unser Programm erst weit nach 22 Uhr beginnen kann.

Zum anderen ist auch die Kombination von Aufschieberitis und Trotz (jetzt will ich aber auch mal Zeit für mich haben!) oft Ursache für unzählige Nachtschichten. Hauke treibt es hierbei bisweilen auf die Spitze. Ich werkele gern parallel zu meinem Mann abends vor mich hin, aber um 2 Uhr nachts ist auch Schluss. Mein Bester sitzt dann oft noch lange am Küchentisch und korrigiert weiter Klassenarbeiten. Resigniert, weil es mal wieder nicht mit der besseren Planung geklappt hat und weil ich leider selbst zu unvernünftig bin, gehe ich dann schon mal ins Bett.

Wenn wir an normalen Abenden gegen halb 2 beschließen, das Schlafzimmer aufzusuchen, liegt Hauke 60 Sekunden später bereits im Tiefschlaf. Eine bewundernswerte Fähigkeit, denn ich räume auf dem Weg zum Badezimmer noch kurz den Flur auf, stelle Müsli auf den Tisch, stolpere über eine Wäschekiste, die ich kurzerhand im Keller noch aufsetze, drehe eine kleine Zudeck-Runde durch die Kinderzimmer und liege erst 20 Minuten später neben dem besten Ehemann von allen.

Wie schön es hier ist – so weich und warm! Warum liege ich eigentlich nicht schon seit 2 Stunden hier? Wenn‘s gut läuft, habe ich jetzt noch 5 Stunden Schlaf. Wenn‘s normal läuft, hat in 3 Stunden unser Sechsjähriger bereits ausgeschlafen oder der Kleinste träumt schlecht und steht verstrubbelt und schluchzend vor meinem Bett. Natürlich vor meinem, nicht vor Papas!

Hauke bekommt von alledem meist nichts mit. Darum haben wir eine neue Regel: Ich werde zwar wach, wenn etwas mit den Jungs ist, darf Hauke aber anstupsen. Dann schlurft er schlaftrunken ins Kinderzimmer, legt sich mit einer Matratze von innen vor die Tür und nutzt seine Superkraft „Schlafen in allen Lebenslagen“. Während die Kinder fröhlich das Zimmer auf links ziehen, blendet er alles aus und schläft. So stelle ich mir den Schlaf von Jesus bei der Sturmstillung vor.

Achja, sicher ist dies auch nur so eine Phase, und irgendwann kommt wieder mehr Ruhe in unsere Nächte. Den Seinen gibt’s der Herr im Schlaf! Wie gut, dass unser Herr so mächtig ist und nicht viel Zeit zum Geben braucht.

Katharina Hullen (Jahrgang 1977) ist Bankkauffrau und Dolmetscherin für Gebärdensprache in Elternzeit. Sie und Ehemann Hauke haben fünf quirlige Kinder und leben in Duisburg. Gemeinsam bilden die beiden das Kirchenkabarett „Budenzauber“.

 

FRÜHSCHICHT FÜR HELDEN

Hauke Hullen kann sich in den ganz wichtigen Familien-Momenten nicht zeigen, weil er sie schlichtweg verpennt.

Hauke: Erstaunlich, was Schlaf alles bewirkt: Das kratzbürstigste Kind erscheint schlummernd plötzlich wie ein Sinnbild für Frieden und Geborgenheit, im Traum wachsen den Schwachen Superkräfte und im Gegenzug sind selbst die Mächtigsten schlafend völlig wehrlos.

Philosophen sehen darin den Grund, warum Menschen sich zu Gesellschaften zusammengeschlossen haben: Wo in einer Anarchie auch der Starke fürchten muss, morgens ohne Kopf aufzuwachen, geben nur gemeinsame Gesetze Sicherheit. Kurz: Die Existenz des Schlafes führt zu festen Regeln.
Bei uns ist es umgekehrt: Ohne feste Regeln würde kein Schlaf existieren. Nur dank mühsam erkämpfter Rituale gehen bei unseren Kindern irgendwann die Augen zu. Doch kaum erscheinen ein Brückentag oder gar Ferien im Kalender, zerstäuben unsere 10- und 12-jährigen Mädchen den Schlafrhythmus. Plötzlich gilt Mitternacht als angemessene Zielmarke, zwei Tage später murren die Mädels, wenn man sie schon vor 1 Uhr ins Bett schickt.

Doch auch hier gilt der Satz: „Es hat keinen Sinn, Kinder zu erziehen, sie machen sowieso alles nach.“ Denn auch Kathi und ich bleiben oft zu lange auf, weil wir entweder so spät erst in Ruhe arbeiten können oder auf der Couch versacken. Oder beides, was eine unheilvolle Kombination ist, weil unsere kleinen Jungs ausgesprochene Frühaufsteher sind. Dann kommt für uns die Stunde der Wahrheit: Wer liebt den anderen wirklich? Wer verlässt um kurz nach 5 die warmen Decken, weil es im Nachbarzimmer schreit und scheppert?

In meiner Jugend hatte ich mir immer gewünscht, der Frau meines Herzens meine Liebe zu zeigen, indem ich sie aus brennenden Häusern rette. Heute weiß ich: Ein Held wird man erst frühmorgens im Kampf gegen volle Windeln und die sich anbahnende Verwüstung des Kinderzimmers.

Leider kann ich meine heroische Seite oft nicht zeigen – ich höre die Kinder schlichtweg nicht! Meine Frau hingegen vernimmt jedes Rascheln und ärgert sich, dass ich nicht stante pede aus dem Bett hüpfe, um nach dem Rechten zu sehen.

Doch kann man für etwas bestraft werden, was man nicht gemacht hat? Für eine Situation, die man gar nicht wahrgenommen hat? Kathi löst das Problem, indem sie mir unsanft die Faust in die Seite bohrt und mich aus dem Bett schiebt.

Wie gut, dass uns unsere kleinen Aufmerksamkeitsterroristen manchmal länger schlafen lassen, nämlich dann, wenn sie nächtens mit wirren Haaren in unser Zimmer getapst sind. In der Besucherritze schlafen sie dann beide in anatomisch höchst bedenklichen Verrenkungen, die dazu führen, dass Kathi und ich an die Bettkanten geklammert stundenlang ums Gleichgewicht kämpfen.

So richtig erholsam ist das nicht. Und so oder so wache ich zur Unzeit morgens auf, weil entweder die Jungs oder Kathi mir Fuß oder Faust zwischen die Rippen stecken.

Hauke Hullen (Jahrgang 1974) ist Lehrer für Deutsch und Sozialwissenschaften. Er und Ehefrau Katharina haben fünf quirlige Kinder und leben in Duisburg. Gemeinsam bilden die beiden das Kirchenkabarett „Budenzauber“.

Ein Paar, zwei Perspektiven: Renovieren

DER LICHTERKETTENBALDACHIN FÜRS KINDERBETT

Katharina Hullen gräbt sich auf der Suche nach hübschen Einrichtungsideen durchs Internet. Ihr Mann will lieber Strukturen optimieren.

Katharina: Jedes Projekt braucht eine Initialzündung. Unsere Kinder haben inzwischen gelernt, dass sie nur gemeinsam eine Chance haben, ihre phlegmatischen Eltern zu größeren Projekten zu motivieren. So zog im vergangenen Sommer, vermutlich an einem Freitag, eine lautstarke Kinderdemo mit selbstgemalten Plakaten durch unser Haus: „Unser Wohl ist Euer Wohl!“ „Wir sind bald in der Pubertät und brauchen ein eigenes Zimmer!“ und „Ruhe ist wichtig für Hausaufgaben und Konzentration!“

Sofort hatten sie den besten Opa von allen überzeugt und schon wenige Tage später begann dieser, auf dem Dachboden neue Wände zu ziehen. So kam das Zimmer-Karussell für fünf Kinder in Schwung. Heute, ein halbes Jahr später, haben wir ein neues tolles Jugendzimmer – sogar mit eigenem, frisch gebautem Bad –, ein umdekoriertes Mädchenzimmer, und zwei frisch transformierte Räume von „typisch Mädchen“ auf „typisch Junge“. Und alles ist so schön geworden!

Nachdem wir anfänglich den Ehrgeiz hatten, dass unsere Mädchen selbst die Neugestaltung des eigenen Zimmers in die Hand nehmen und dabei lernen, Maße und Möglichkeiten voll auszunutzen, wurde schnell klar: Außer der Wandfarbe ist es 10- und 12-jährigen Kindern völlig egal, welche Möbel oder Wandgestaltungen schön und sinnvoll wären. Aber nicht nur den Kindern war das schnurz, auch mein lieber Ehemann wollte von all meinen schönen Ideen nichts wissen. „Wieso denn andere Tapeten? Wir streichen einfach alles weiß und dann sollen sie sich bunte Kissen oder was auch immer hinlegen!“ Ginge es nach Hauke, hätte es wahrscheinlich auch keine Höhlenmalerei gegeben – die Wand ist doch gut so, wie sie ist! Doch das Internet ist voll von kreativen, praktischen, effektvollen Tipps und Angeboten. „Prüfet alles und das Beste behaltet!“ – Ich habe also viel Zeit damit verbracht, nach passenden Wandtattoos, Tapeten, Bordüren, Teppichen und Kissen zu suchen. Wenn wir schon für jedes Kind ein Zimmer bauen, dann darf es doch bitte auch gut zu ihm passen, oder? „Warum denn so ein Baldachin? Dann ist doch schon wieder ein Loch mehr in der Wand!“ Es liegt vielleicht daran, dass es außerhalb der männlichen Kompetenz liegt, sich vorzustellen, was einem anderen Menschen womöglich gefallen könnte oder was gut zu ihm passt. Ginge es darum, die Funktionalität einer Sache zu verbessern, Strukturen zu optimieren oder einfach um irgendein elektrisches Gerät, dann wäre Hauke voll in seinem Element und er verbrächte Stunden, Tage, Wochen mit der Internetrecherche.

Immerhin ist er ja wirklich ein großer Schatz, denn letztlich verbaut, verklebt, verschraubt und verarbeitet er alles, was ich an Material herbeischaffe. Nun fährt bei den Jungs eine hübsche Eisenbahn die Wand entlang und das Zimmer erstrahlt in frischem Grün und eins unserer Mädchen schlummert selig unterm Lichterkettenbaldachin.

Katharina Hullen (Jahrgang 1977) ist Bankkauffrau und Dolmetscherin für Gebärdensprache in Elternzeit. Sie und Ehemann Hauke haben fünf quirlige Kinder und leben in Duisburg. Gemeinsam bilden die beiden das Kirchenkabarett „Budenzauber“.

 

DEPRIMIERENDE FARBKLECKSE AUF DER RAUFASERTAPETE

Hauke Hullen liebt weiße Wände und hätte wahrscheinlich Apple gegründet, wenn nicht so viel Zeit für Stilfragen im eigenen Hause draufginge.

Hauke: Weiße Wände sind was Wunderbares! Wenn sich diese ebene, makellose Fläche frisch gestrichen vor einem ausbreitet, wenn weder Nagel noch Dübel die Perfektion stören und noch keine kratzende Kommode und kein kritzelndes Kleinkind Spuren hinterlassen haben – dann möchte ich diesen Moment für die Ewigkeit festhalten! Denn eine weiße Wand bietet Raum für Visionen: Welche fantastischen Formen und Farben könnten sich hier manifestieren? Alles erscheint möglich, nie fühlt man sich so frei und losgelöst von allen irdischen Sachzwängen. Alles könnte hier entstehen!

Ich betone: könnte. Denn sobald der erste Farbklecks auf der Raufaser detoniert, ist es vorbei mit der schöpferischen Allmacht – dann ist das Zimmer halt froschgrün und nichts anderes mehr. Aus unendlichen Möglichkeiten wurde – grün. Das ist deprimierend.

Neben diesen eher philosophischen Aspekten gibt es noch weitere gewichtige Gründe, weswegen die Wände lieber weiß bleiben sollten: Es erspart unserer Familie den quälenden Prozess, sich auf irgendeine Farbe einigen zu müssen. So hat ein großer Internet-Händler über 200.000 Treffer beim Stichwort „Tapeten“ – und den größten Teil hat sich die beste Ehefrau von allen auch tatsächlich angesehen, was aber die Entscheidungsfindung nicht erleichtert. Kathi hat dann zwar schon ein paar Favoriten herausdestilliert, in ihr keimt aber das ungute Gefühl, dass sich irgendwo im Netz eine noch schönere Tapete versteckt. Also wird weitergesucht.

Was für eine Verschwendung von Lebenszeit! Was könnte man stattdessen alles machen und schaffen! Apple-Gründer Steve Jobs hat sich ein paar hundert schwarze Pullover angeschafft, Facebook-Chef Marc Zuckerberg trägt jeden Tag ein graues T-Shirt – und prompt wurden sie zu den reichsten Menschen der Welt, einfach weil sie morgens vor dem Kleiderschrank keine Zeit mehr mit Farb- und Stilfragen verplemperten. Wo könnte die Familie Hullen heute sein, wenn wir in den letzten Jahren nicht … ach, lassen wir das.

Zudem bin ich auch kein besonders leidenschaftlicher Handwerker. Meine Freude am Renovieren beschränkt sich darauf, mich zu freuen, dass es vorbei ist. Wenn etwas einen funktionellen Mehrwert bietet, bastele ich gerne daran herum, aber wen außer meiner Frau interessiert es, ob ein Zimmer grün, rot oder lila-getupft ist? Und steht nicht auch schon in der Bibel (wenngleich auch mit einem irritierenden Rechtschreibfehler), dass man nach „Weißheit“ streben solle? Doch ein paar Wochenenden später sehen die Zimmer natürlich so aus, wie es sich die bessere Hälfte erträumt hat. Und ja, irgendwie sind sie auch schön geworden. Jetzt muss ich nur noch hoffen, dass sich Kinder und Einrichtungstrends ab sofort nicht mehr verändern.

Hauke Hullen (Jahrgang 1974) ist Lehrer für Deutsch und Sozialwissenschaften. Er und Ehefrau Katharina haben fünf quirlige Kinder und leben in Duisburg. Gemeinsam bilden die beiden das Kirchenkabarett „Budenzauber“.

Ein Paar, zwei Perspektiven: Autofahren

MIT DEN SCHILDERLESEN HAT ER ES NICHT SO

Katharina hat als Beifahrerin alle Hände voll zu tun.

Katharina: Ja, wir kommen häufig zu spät. Einer der Gründe: Hauke verfährt sich regelmäßig. „Papa, wo fahren wir hin? Wir wollen doch zum Sport? Warum fährst du auf die Autobahn?“ Wir sind ständig unterwegs – wohin auch immer Hauke uns trägt. Meine Hauptaufgabe als Beifahrerin ist, immer hellwach zu sein und frühzeitig zu erkennen, dass wir mal wieder drohen, Richtung Süden zu fahren, obwohl die Reise nach Norden gehen soll. Denn merke ich es erst, kurz bevor es zu spät wäre, ist es bereits zu spät, denn mein Bester ist dann nicht mehr in der Lage, das „Ruder“ herumzureißen. Also drehen wir häufiger mal eine Extra-Runde auf der Autobahn, wenn Hauke seine Ausfahrt verpasst. Die A3 ist vermutlich nur deshalb so eine Dauerbaustelle, weil wir die Fahrbahnen so strapazieren.

Hauke will zum Training fahren und wird erst stutzig, wenn er vor dem Kindergarten steht. Er will zur Arbeit und wundert sich nach einer Weile über das fröhliche Gegluckse eines Kindergartenkindes von der Rückbank. Wieder einmal heißt es: „Bitte wenden!“

Unser Bus verfügt auch über eine Rückfahr-Kamera und viele Sensoren, es piept und blinkt überall laut und klar. Es ist mir ein Rätsel, aber mein Mann hat es in den letzten drei Jahren trotzdem geschafft, vier (!) große Parkschäden zu verursachen. Er räumt zwar ein, dass es schon irgendwie gepiept hat, aber er dachte, es wäre vorne gewesen, und da war ja alles frei! Oder er dachte, er hätte noch ein paar Zentimeter. Oder er hätte einfach die Warntöne gar nicht gehört. Die Wahrheit ist wohl: Die Einparkkompetenz sinkt im Alter – mit dem Verlust der Hörfähigkeit. Vor Kurzem wollte ich ihm daher bei schlechter Sicht durch Einweisen in eine enge Parklücke helfen. Ich konnte sein Gesicht im Rückspiegel sehen und winkte ihn langsam zu mir. Plötzlich rollte unser Ungetüm von Wagen mit Schmackes auf mich zu. Ich rief, winkte, boxte gegen den Kofferraum und konnte noch rechtzeitig beiseite springen, bevor der Bus zum Stehen kam, als er mit der Anhängerkupplung das Nummernschild des Autos hinter uns touchierte. Hauke behauptet beharrlich, er hätte mich nicht gesehen!

Natürlich ist mein Mann ein guter Autofahrer. Er fährt uns stets sicher ans Ziel. Wir brauchen halt nur Zeit und mit dem Schilderlesen hat er es auch manchmal nicht so. So hat er bereits zweimal den Führerschein abgeben müssen, weil er zu schnell war. Natürlich: es war beide Male ein Sonntag auf einer 4-spurigen, leeren Autobahn, bei herrlichem Sonnenschein. Trotzdem ist man mit 170 km/h einfach zu schnell, wenn nur 100 km/h erlaubt sind.

Ja, ich sammle auch meine Knöllchen in den 30er Zonen unserer Stadt und die erste Beule in unserem Bus habe auch ich verursacht, weil eine Sturm-Böe die Tür an der Tankstelle gegen einen Pfosten gerissen hat. Aber die Bilanz, wer von uns beiden besser fährt, ist angesichts aller Beobachtungen eindeutig: Frauen können besser einparken, kommen sicherer und vor allem direkter ans Ziel und sind einfach die besseren Autofahrer!

Katharina Hullen (Jahrgang 1977) ist Bankkauffrau und Dolmetscherin für Gebärdensprache in Elternzeit. Sie und Ehemann Hauke haben fünf quirlige Kinder und leben in Duisburg. Gemeinsam bilden die beiden das Kirchenkabarett „Budenzauber“.

 

ICH WIDME MICH GEISTIG ANSPRUCHSVOLLEREN THEMEN

Hauke muss sich von einem beliebten männlichen Klischee verabschieden.

Hauke: Um es gleich vorweg zu sagen: Ja, es stimmt. Meine Frau fährt besser Auto als ich. Nach diesem Geständnis hat die Kolumne wahrscheinlich den größten Teil ihrer männlichen Leserschaft bereits verloren – warum sollte man(n) auch Zeit damit verschwenden, eine offenkundige Lügengeschichte weiter zu beachten, welche es wagt, das Alleinstellungsmerkmal des Mannes in Zweifel zu ziehen, nämlich die meisterhafte Beherrschung des Automobils? Denn wir wissen es doch alle: Frauen können nur zuhören, Männer hingegen einparken, Frauen und Technik … (lassen Sie beim Lesen hier bitte eine unheilvolle Pause), Frau am Steuer, das wird teuer … und so weiter und so fort.

Diese Macho-Matsche ließe sich noch beliebig fortsetzen. Doch was ist dran an der legendären Verschmelzung von Mann und Maschine? Bei der Beantwortung dieser Frage verlassen wir Männer uns natürlich nicht auf ein diffuses Bauchgefühl, sondern setzen auf knallharte Fakten. Um es gleich vorweg zu sagen: Ja, es stimmt. Auch insgesamt fahren Frauen besser Auto als wir Männer.

So verunglücken in allen Altersgruppen im Straßenverkehr deutlich mehr Fahrer als Fahrerinnen. Und als wäre das nicht schon schlimm genug: Wir sind auch meistens selbst schuld daran! Dieses Ergebnis bleibt auch dann bestehen, wenn man berücksichtigt, dass Männer rund zehn Prozent mehr Kilometer im Jahr zurücklegen. Woran liegt unser zerstörerisches Verhältnis zum Vehikel? Die Antwort kommt aus Flensburg: Dort sind 2,5 Mio Frauen als „Verkehrssünder“ registriert – und 8 Mio Männer! Tempolimit, Abstand, Alkoholverbot – in diesen Bereichen setzt die männliche Vernunft am häufigsten aus, so dass statt der edlen Krone der Schöpfung eher ein triebgesteuerter Testosteron-Torpedo über die Autobahn rast.

Bei mir ist das natürlich anders. Meine Blechschäden resultieren aus der Tatsache, dass ich den banalen Einparkvorgang in Gedanken schon längst abgeschlossen habe und mich geistig bereits anspruchsvolleren Themen widme. Während ich über den türkischen Einmarsch in Syrien sinniere, fällt der Parkpoller in die Fahrertür ein, denke ich an die prägenden Einflüsse der Fremdsprachen auf die deutsche Grammatik, hinterlässt ein fremder Außenspiegel seine Prägung im Seitenblech, und aus den Grübeleien über kulturell bedingte Kommunikationsdistanzen reißt mich das knirschende Geräusch einer Stoßstange, die mir beim Rückwärtsfahren zu nahe gekommen ist.

Und auch das, was die beste Ehefrau von allen despektierlich als „sich verfahren“ bezeichnet, ist in Wirklichkeit nur Ausdruck eines großen Geistes. Ich bin in Gedanken (und alsbald auch physisch) eben einfach woanders. Auf diese Weise lerne ich die nähere Umgebung auch viel intensiver kennen und darf mich mit Fug und Recht vielleicht nicht als den besseren, aber als den erfahreneren Automobilisten bezeichnen. Und was soll noch mal der Dirigent Karajan zum Taxifahrer gesagt haben? „Fahren Sie mich irgendwo hin, ich werde überall gebraucht.“ So wird‘s wohl sein.

Hauke Hullen (Jahrgang 1974) ist Lehrer für Deutsch und Sozialwissenschaften. Er und Ehefrau Katharina haben fünf quirlige Kinder und leben in Duisburg. Gemeinsam bilden die beiden das Kirchenkabarett „Budenzauber“.

Im Sturm der Traurigkeit

Der Mann unserer Autorin kämpft immer wieder mit Depressionen. Wie kommt sie damit klar?

Vor ein paar Jahren, ich war gerade im Auto unterwegs, hörte ich das Lied „Flames“ von Boy. Darin heißt es (frei übersetzt): „Die beständige Angst und Traurigkeit liegt schwer auf deiner aufgewühlten Seele. Ich rufe deinen Namen, aber ich kann nicht zu dir durchdringen. Es tut mir weh, dich so leiden zu sehen. Wenn ich doch nur einen Weg finden könnte, um dich zu beruhigen und zu heilen.“ Als ich so zuhörte, stiegen mir die Tränen in die Augen. Es war, als hätte jemand das in Worte gefasst, was ich gefühlt habe, als ich meinen Mann durch seine Depression begleitete.

Ich wusste von Anfang an, dass er psychische Probleme hat. Als wir uns ineinander verliebten, erzählte er mir, dass er sich gerade von einer Depression erholt habe, die vor ein paar Monaten, während einer Prüfungszeit, aufgetreten sei. Er konnte nichts mehr essen, nicht mehr schlafen und hatte irgendwann einen totalen Blackout. Nichts funktionierte mehr. Er wollte nichts vor mir verheimlichen und mir klar machen, dass ein Ja zu ihm auch ein Ja zu seiner Depression sein würde. Ich wusste also, was mich erwartete und gleichzeitig wusste ich überhaupt nicht, was mich erwartete.

Ein halbes Jahr nachdem wir zusammen waren, war sie wieder da. Eine Depression mit einer Angststörung. Er befürchtete ständig, durch seine Prüfungen zu fallen und sein Studium nicht zu schaffen und lernte Tag und Nacht. Und obwohl die Klausuren immer „sehr gut“ ausfielen, konnte er seinen Erfolg nicht genießen. Er war nicht in der Lage, so etwas wie Freude, Zufriedenheit oder Gelassenheit zu empfinden – und wenn, dann nur für einen kurzen Moment. Es war ein Leben ohne Graustufen. Alles, was ich sagte, schob er, wie es für Depressive typisch ist, entweder in die weiße (gute) oder schwarze (schlechte) Kategorie. Das machte unsere Kommunikation unglaublich schwierig. Gab es etwas, was mir an unserer Beziehung nicht gefiel und ich sagte es ihm, fühlte er sich sehr verletzt. Er zweifelte oft an sich selbst, und, nicht selten, auch an mir. Immer wieder stellte er mich und unsere Beziehung in Frage. Das verletzte mich am allermeisten. Zwei Mal trennten wir uns in den ersten Jahren voneinander. Bis wir ein wirkliches Ja zueinander gefunden hatten, sollten viele Jahre vergehen.

Nicht alle davon waren schlecht. War er medikamentös gut eingestellt und wir in „ruhigen Fahrwassern“ ging es uns sogar sehr gut. Wir reisten zusammen, suchten nach gemeinsamen Hobbys und machten Pläne für die Zukunft. Wir lernten, uns immer mehr so zu lieben, wie wir sind. Wir lernten auch voneinander: Ich lernte von ihm, mehr Ehrgeiz an den Tag zu legen und fing an, mich für Sport zu begeistern. Er lernte von mir, gelassener zu sein und den Moment zu genießen.

Es gab aber auch viele herausfordernde Momente. Als er ins Berufsleben einstieg, war es besonders schwierig. Der Stress und der Erwartungsdruck, der auf ihm lastete, machten ihm so sehr zu schaffen, dass ich befürchtete, er würde nun vollends zusammenbrechen und den Beruf, auf den er so lange hingearbeitet hatte, aufgeben müssen. In Phasen, in denen er psychisch stabil war, versuchte er immer wieder mit Begleitung eines Psychiaters das Antidepressivum, das er inzwischen mehrere Jahre zu sich nahm, auszuschleichen. Doch jeder Versuch scheiterte und warf ihn und uns jedes Mal zurück.

„Wie kommst du da durch?“

Inzwischen sind viele Jahre vergangen. Wir sind verheiratet und haben eine Familie. Mein Mann ist in seinem Beruf inzwischen zufrieden und sehr erfolgreich. Er hat seine Depression und seine Ängste dank der Psychopharmaka und Menschen, die ihn und uns begleiten, im Griff. Die Stürme kommen jetzt seltener, aber es gibt sie noch.

Was hilft mir in stürmischen Zeiten? Diese Frage konnte ich selbst lange nicht beantworten. Fragte man mich, wie ich da durchgekommen sei, gab ich häufig „Mit Gottes Hilfe“ zur Antwort. Und es stimmt: Hätte ich mich in all meiner Verzweiflung, Hilflosigkeit und mit all meinem Schmerz nicht an Gott wenden können, hätte es für uns keine Zukunft gegeben. Aber es sollte nicht nur der Glaube sein, der Angehörige von Depressiven durchträgt. Es sind auch die Freunde, die nachfragen, mitbeten oder, wenn nötig, auch mal ablenken. Es ist wichtig, sich über das, was man an der Seite eines Depressiven erlebt, auszutauschen – und zwar nicht nur mit dem Partner. Je nachdem, wie schwerwiegend seine Depression ist, kann es für ihn sogar zusätzlich belastend und deshalb kontraproduktiv sein. Wenn die Situation so belastend ist, dass ich sie selbst nicht aushalten kann, wende ich mich an meine Eltern, zu denen ich ein sehr gutes Verhältnis habe, und gute, vertrauensvolle Freunde – meistens solche, mit denen ich auch ins Gebet gehen kann. Eine von ihnen ist Psychologin und kann mir auch fachliche Tipps geben.

Überhaupt ist es wichtig, sich mit dem Thema Depression fachlich auseinanderzusetzen. Als ausgebildete Pädagogin dachte ich lange, ich wüsste bereits genug darüber. Ich hatte jedoch nie längere Zeit mit Depressiven zu tun gehabt und wusste schon gar nicht wie es ist, als Angehörige davon betroffen zu sein. Auch ich brauchte Hilfe und Begleitung. Das Internet bietet auf vielen Seiten, wie etwa der Stiftung Deutsche Depressionshilfe, die Möglichkeit, sich zu dem Thema zu informieren. Aber auch ein Gespräch mit einer Person vom Fach, wie etwa einem Psychotherapeuten oder Psychiater, der man direkt Rückfragen stellen kann, ist hilfreich. In vielen Städten gibt es außerdem Selbsthilfegruppen für Angehörige von Depressiven, in denen man sich mit anderen austauschen kann. Je mehr man über Depressionen weiß, desto besser kann man das Verhalten des Partners verstehen und einordnen.

Gleichzeitig ist es wichtig, nicht alle Zweifel und Ängste, die der Partner hat, als übertrieben oder psychisch bedingt abzutun. Es ist nicht die Person selbst, sondern die Depression, die dazu führt, dass diese Gefühle für sie so unerträglich und für uns so unnachvollziehbar werden. Viele verstehen das nicht. „Das ist Quatsch“ oder „Du spinnst ja“ sind Sätze, die mein Mann während einer depressiven Phase manchmal zu hören bekommen hat. Auch Sätze wie „Du bist halt krank“ oder „extrem empfindlich“ sind in so einer Episode wenig hilfreich. Deshalb überlegen wir uns sehr genau, wen wir in dieses Thema einweihen. Mein Mann ist nicht „der Depressive“ oder „der Verrückte“, als den ihn manche abstempeln, weil es ihnen zu anstrengend und unangenehm ist, sich in ihn und seine Gefühlswelt hineinzudenken. Er ist der Mann, den ich liebe und der ab und zu jemanden braucht, der ihn sanft zurück auf die Beine stellt, ohne über seine Gefühle und Gedanken zu urteilen! Das steht niemandem zu – egal, ob gesund oder krank.

Nicht immer die Stärkere

Hilfreich war für mich auch, einzusehen, dass ich als „Gesündere“ von uns, nicht gleichzeitig auch immer die Stärkere sein muss. Natürlich versuche ich für ihn da zu sein, ihn zu trösten und aufzumuntern, wenn es ihm schlecht geht. Aber auch ich habe meine Grenzen, die ich lernen musste anzuerkennen, um nicht selbst krank zu werden. Manchmal bedeutet das auch, ihm vorzuschlagen, mal mit jemand anderem darüber zu sprechen und mich selbst ein bisschen zurückzuziehen. Ja, man darf sein Leben trotzdem genießen und sich selbst etwas Gutes gönnen – auch, wenn es dem Partner gerade nicht gut geht. Für mich bedeutet das, mich mit Freundinnen zu treffen, mir eine Massage zu gönnen oder ausführlich Sport zu machen. Aber auch als Paar darf man sich in solchen Zeiten schöne Abende gönnen und das Leben trotz allem feiern, indem man zum Beispiel einen Babysitter engagiert und ausgeht oder aber sich das Essen nach Hause liefern lässt und einen schönen Film zusammen guckt oder ein Spiel spielt. Umgekehrt gab es übrigens auch schon zahlreiche Situationen, in denen er der Stärkere von uns war, obwohl er der „Kränkere“ ist.

Es wäre falsch zu behaupten, dass wir inzwischen so sturmfest wären, dass uns die Stürme nichts mehr ausmachen würden. Wenn Ängste und Zweifel herumwirbeln und unser Schiff zum Schwanken bringen, erfordert es immer noch viel Kraft und Glauben, Jesus auf dem schwankenden Wasser zu erkennen und darauf zu vertrauen, dass er uns nicht untergehen lässt.

Die Autorin ist der Redaktion bekannt, möchte aber anonym bleiben.