Ein Paar, zwei Perspektiven: Verschwörung

DER PAKT VON MORDOR

Katharina Hullen kämpft gegen eine innerfamiliäre Verschwörung. Dass ihr Mann Teil des Komplottes ist, macht die Sache nicht einfacher.

Katharina: Es gibt so Tage: Die Spülmaschine heizt nicht mehr, der Kaffeeautomat spuckt nur noch heiße Luft, die Waschmaschine schreit mir Fehler 23 entgegen und verlangt nach einem Techniker. Na super! Ein 7-Personen-Haushalt ohne funktionierende Spül- und Waschmaschine – wie soll man das aushalten? Ohne Kaffee?

Offensichtlich hat sich an solchen Tagen die Welt gegen mich verschworen. Überhaupt Verschwörung: Auch meine eigene Familie, Hauke und die Kinder, treffen offensichtlich ständig geheime Absprachen, um mich zu manipulieren und letztendlich in den Wahnsinn zu treiben.

Dafür gibt es sichtbare Anzeichen, wirklich! Zum Beispiel die Streifen von Schuhsohlen in der ganzen Wohnung. Ich sage zwar täglich mehrmals jedem der sechs Beteiligten: „Zieh bitte deine Schuhe aus!“ Doch offenbar bin ich Teil eines Experimentes, das sich um die Frage dreht, wann eine Mutter resigniert und sich willenlos dem Chaos ergibt. Wahrscheinlich denken die Kinder auch, dass die Sache mit den Schuhen gar keine Familienregel ist, da sich der Papa ja auch nicht daran hält.

Oder die allabendlichen Verzögerungstaktiken der Kinder, um nicht schon ins Bett gehen zu müssen. Es scheint ein Abkommen zwischen dem Vater und seiner Brut zu geben, denn statt einzuschreiten, macht er es sich auf dem Sofa gemütlich. So schlage ich allein die „Jetzt-ist-Schlafenszeit!“-Trommel und fische mir mühsam die jüngsten, widerborstigsten Kandidaten heraus, während der Rest als eingeschworene Gemeinschaft den Tag digital auf dem Sofa beschließt.

Zudem braut sich gerade auch ein Pakt zwischen unserer Ältesten (13) und ihrem Papa zusammen: Seit sie zwölf Jahre alt ist und die entsprechenden Filme theoretisch sehen darf, empfindet Hauke einen cineastischen Lehrauftrag und möchte all die großen und kleinen Blockbuster mit ihr erleben. An sich ja eine schöne Vater-Tochter-Idee, wenngleich ich nicht jeden Film, der ab 12 freigegeben ist, auch geeignet finde. Aber das ist ein anderes Thema …

An unserem Familienfilmabend beteuern die beiden also mit treuherzigen Augen, dass sie jetzt im Obergeschoss einen anderen Film sehen müssen, immerhin habe die Tochter auch das dicke Buch zum Film gelesen. So werden wir unsere bislang gemeinsam erlebten Filmabende nun getrennt verleben, die zwei mit Frodo in Mordor und wir anderen mit der Eiskönigin in Arendelle. Dabei gäbe es dutzende Filme, die eine gemeinsame Schnittmenge hätten und uns einen schönen Familienfilmabend bescheren würden – doch mit Argumenten ist den Verschwörern eben nicht beizukommen.

Ist so ein Tag, an dem sich scheinbar alles gegen mich verschworen hat, aber erst mal vorbei, kann ich Gott sei Dank auch die Wahrheit sehen: Nicht alle Missgeschicke folgen einem bösen Plan. Wenn jemand die Fäden in der Hand hält, dann unser gnädiger Schöpfer, der mit mir mein Leben ideenreich, fröhlich und mutig gestalten will.

Katharina Hullen (Jahrgang 1977) ist Bankkauffrau und Dolmetscherin für Gebärdensprache in Elternzeit. Sie und Ehemann Hauke haben fünf quirlige Kinder und leben in Duisburg. Gemeinsam bilden die beiden das Kirchenkabarett „Budenzauber“.

 

MACHTLOSER FÄDENZIEHER

Hauke Hullen unterliegt regelmäßig, wenn es um die Berufung des Vorsitzenden geht, und kann die Wahl nicht anfechten.

Hauke: Haben Sie die Demonstration gesehen? Plakate und aufwieglerische Sprüche, die Unterdrückung und Freiheitsberaubung behaupteten; eine Minderheit, die sehr lautstark für ihre Wünsche eintrat! Und was wollten die Protestierenden? Ganz einfach: Ein eigenes Zimmer für unsere älteste Tochter, damit die Zwillinge ebenfalls ihre eigenen Reiche bekommen.
Ja, diese Demo fand bei uns im Wohnzimmer statt, doch es gibt Gemeinsamkeiten zu den aktuellen Verschwörungen: Beide setzen mehr auf gefühlte Wahrheiten denn auf Fakten, und beide fabulieren von einer Diktatur, wenn ihren Wünschen nicht entsprochen wird. Dabei vermischen sich sowohl die Anhänger der diversen Ideologien als auch ihre Argumente zu einem allseits kompatiblen Verschwörungsbrei.

Leichtfertig sollte man die Theorien jedoch nicht vom Tisch wischen – es gibt ja tatsächlich perfide Pläne, die im Geheimen vorangetrieben werden. Zum Beispiel das berühmte Brotdosen-Komplott: Um die gesamte Familie schleichend mit Vitaminen und Liebe zu kontaminieren, hat meine Frau  wider jede Vernunft den Kindern bis ins Teenager-Alter hinein jeden Morgen überkandidelte Pausenbrote vorbereitet, umrahmt von allem, was die Obstplantagen weltweit so hergeben. Ich fand immer, jeder könne sich selbst einfach ein Brot mit Wurst belegen – das geht schnell und macht satt, fertig.

Offenbar fanden meine Argumente endlich Gehör: Die drei älteren Mädels machen sich nun ihre Frühstücksboxen selbst. Doch der Sieg der Vernunft war nur vordergründig, musste ich doch mit ansehen, wie die Mädchen in ihren Brotdosen weiterhin filigrane Kunstwerke aus Gemüse, Dips, Obst, Brot und vertaner Lebenszeit anrichteten. Und als ich eines Morgens meine Dose noch mal öffnete, lachte mich ein Gemüse-Obst-Frosch an und der Rest der Familie aus. Wo bin ich hier hineingeraten?

Während ich also einer realen Konspiration ausgesetzt bin, sind die von unseren Kindern behaupteten Verschwörungen nur eingebildet. Sie glauben, dass Kathi und ich eine eingeschworene Gemeinschaft seien, die unbeirrt eine gemeinsame Strategie verfolge. Das mag daran liegen, dass ich auf alle Anfragen stets mit „Das muss ich erst noch mit Kathi besprechen“ geantwortet habe. (Um etwas mehr Würde zu bewahren, habe ich inzwischen das „muss“ durch ein „möchte“ ersetzt.)

Intern geht es bei uns jedoch höchst divers und demokratisch zu: Kathi und ich erörtern die Sachlage und stimmen schließlich ab. Bei zwei Leuten könnte schnell ein Patt entstehen, möchte man meinen, doch nicht bei uns: Bei Gleichstand gibt die Person, die gerade den Vorsitz innehat, den Ausschlag. Es gibt transparente Kriterien für die Berufung in dieses Amt.

In diesem Jahr gab es, wie immer, zwei Bewerber. Am Ende ist es, wie immer, meine Frau geworden, weil das bei uns wie bei anderen Stellenausschreibungen auch funktioniert: „Frauen und Schwerbehinderte werden bei entsprechender Eignung bevorzugt berücksichtigt.“ Ich finde das unfair, weil so immer meine Frau den Vorsitz einnehmen wird, Kathi meint jedoch, wir hätten beide die gleichen Chancen.

So gesehen stimmt die Annahme unserer Kinder nicht, ich wäre Teil einer verschworenen Elite. Andererseits muss man festhalten: Am Ende des Tages stecke ich doch wieder mit der Regierung unter einer Decke.

Hauke Hullen (Jahrgang 1974) ist Lehrer für Deutsch und Sozialwissenschaften. Er und Ehefrau Katharina haben fünf quirlige Kinder und leben in Duisburg. Gemeinsam bilden die beiden das Kirchenkabarett „Budenzauber“.

Ein Paar, zwei Perspektiven: Weichherzigkeit

CLOWNS STATT DÖNER

Katharina Hullen kann manchmal nicht Nein sagen.

Katharina: Neulich beim Abendbrot: Es klingelt an der Tür. Wie üblich stürmt eine Horde neugieriger Kinder zur Tür, um sie lautstark zu öffnen und wenige Sekunden später „Mama“ herbeizurufen. Ich schlurfe los und sehe mich alsbald einem jungen Studenten gegenüber, der einen roten Teppich vor unserem Eingang ausgerollt hat. Er stellt uns sympathisch und hintergründig die gute Arbeit des „Rote Nasen Deutschland e.V.“ vor, einer Organisation, die durch Clownerie Lachen und Lebensfreude zu leidenden Menschen bringt. Umringt von enthusiastischen Kindern, die fröhlich in die Ausführungen des Studenten hineingrätschen mit ihren Geschichten vom eigenen Krankenhausaufenthalt, bei dem man damals um einen Tag den Clown leider verpasst hatte, oder dem tollen Schul-Zirkus-Projekt, bei dem es auch so lustige Clowns gab, erahne ich natürlich schon den Spendenaufruf. Angesichts der freudigen Anteilnahme meiner Kinder, dem wirklich guten Ansatz, Leid mit Humor zu begegnen, und vielleicht auch wegen des prominenten Unterstützers – Dr. Eckart von Hirschhausen – bin ich innerlich schon im Spendenmodus. Wie sich zeigt, ist es leider nicht möglich, nur einmalig zu spenden. Aber gut, die Kinder betteln, doch bitte, bitte, bitte mitzumachen – dann eben monatlich ein kleiner Beitrag. Gesagt, getan. Unter dem Jubel der Mädchen sind die Formalien schnell geklärt. Eine freundliche Verabschiedung und wir strömen zurück zum Abendbrottisch – wo mich ein resigniert kopfschüttelnder, etwas verärgerter Ehemann erwartet. Er murmelt etwas von Familieneinkommen und „Mal sehen, was wir stattdessen mal streichen können, damit wir ab jetzt Clowns unterstützen können“.

Oje, er hat Recht! Es ist schon wieder passiert! Normalerweise versuche ich recht rigoros Haustürgeschäfte abzuwimmeln. Was mir in der Regel auch gelingt. Ich will keine Fassadenreinigung und auch keine neuen Dachfenster.

Aber trotzdem gibt es manchmal Anfragen, die treffen mich so sehr ins Herz – oder besser in den Bauch –, dass plötzlich zum Beispiel eine Malteser-Mitgliedschaft dabei herauskommt.

Hauke ist viel besser in so etwas – bei ihm löst der Bauch (außer an der Dönerbude) niemals den Kopf ab. Er schafft es, angemessen freundlich oder unfreundlich jedes Gespräch zu einem Punkt zu bringen. Er lässt sich nicht von sentimentalen Geschichten einfangen. Ihm passiert es auch niemals, im Wartezimmer oder beim Einkaufen in ein Gespräch verwickelt zu werden. Nein, in der Zeit, in der mir das passieren würde, füttert Hauke seinen Kopf mit den Informationen der Verpackungen, der Rechtschreibung der Werbeschilder oder den Magazinen im Wartebereich.

Ich liebe meinen Mann für seinen klugen, kühlen Kopf! Ich brauche dieses Korrektiv. Aber die Welt braucht auch mitfühlende Warmherzigkeit und impulsive Großzügigkeit. Dann essen wir halt einen Döner weniger im Monat und geben dieses Geld in Hände, die mehr daraus machen als nur einen satten Bauch. Ganz schön klug von mir, oder?

Katharina Hullen (Jahrgang 1977) ist Bankkauffrau und Dolmetscherin für Gebärdensprache in Elternzeit. Sie und Ehemann Hauke haben fünf quirlige Kinder und leben in Duisburg. Gemeinsam bilden die beiden das Kirchenkabarett „Budenzauber“.

 

HOTSPOT FÜR SPENDENSAMMLER

Hauke Hullen könnte Nein sagen, aber dafür ist es oft schon zu spät.

Hauke: Man stelle sich vor: Während des Urlaubs in einer ausländischen Einöde passiert etwas, ein Unfall oder eine schwere Erkrankung – wäre es dann nicht toll zu wissen, dass man kostenlos einfach nach Hause geflogen wird? Eine beruhigende Vorstellung, nicht wahr?

Diese Vorstellung war der besten Ehefrau von allen dann auch direkt eine Mitgliedschaft und einen jährlichen Beitrag wert. Prompt fühlte sie sich sicherer und der Vertreter, der ihr den Deal an der Haustür aufgeschwatzt hatte, zog fröhlich weiter.

Dazu muss man wissen: Wir fahren kaum ins Ausland. Unser Radius endet meist an der Nordsee – die Lust auf längere Fahrten sank proportional mit der Anzahl der quengelnden Kinder auf den Rücksitzen. Auch habe ich nie verstanden, warum Urlaubsorte nur dann attraktiv sein sollen, wenn sie weit weg sind. Und schließlich kommt dazu, dass die Abenteuerlust meiner Frau auf einer Skala von 1 bis 10 bei minus 1 liegt. Letzteres macht verständlich, dass sich Katharina besser fühlt, wenn sie weiß, dass stets ein vollgetankter Jet im Dschungel bereitsteht, um sie nach einem Schlangenbiss nach Duisburg auszufliegen. Nur: Wir sind halt nie im Dschungel.

Nachdem wir die statistische (Un-)Wahrscheinlichkeit ausgiebig erörtert hatten, einen Nottransport in Anspruch nehmen zu müssen, den unsere Krankenkasse nicht bezahlen würde, hat Kathi die Mitgliedschaft schweren Herzens wieder gekündigt. In anderen Bereichen lassen sich die Folgen von Kathis Weichherzigkeit deutlich schwieriger eingrenzen. Und das hat vor allem moralische Gründe. Denn während ich bei der Flugrettung argumentieren kann: „Das brauchen wir nicht!“, sagt Kathi bei all den anderen Großherzigkeiten zu Recht: „Das brauchen die anderen!“ Und in der Tat – die Not in der Welt ist groß, es gibt unzählige unterstützungswerten Anliegen, und natürlich bricht unser Lebensstandard nicht zusammen, wenn einer weiteren Organisation mit 5 Euro im Monat geholfen wird.

Doch wo will und darf man da die Grenze ziehen? Dank meiner Frau ist unsere Haustür zum Hotspot der lokalen Spendensammel-Szene geworden und die Bettlerinnen vor unserem Supermarkt bekommen wahlweise Münzen, komplette Einkäufe oder kistenweise ausrangierte Kinderkleidung geschenkt. Doch was, wenn jetzt alle kommen und die Hand aufhalten? Was, wenn das alle machten?

Tief in meinem Herzen weiß ich, dass genau dies die eigentliche Frage ist: Was, wenn das alle machten? Was, wenn alle sich erweichen ließen und auf ein (durchaus ansehnliches) Stück ihres Wohlstandes verzichteten, um den Nächsten mit dem Nötigsten zu versorgen und um für den Übernächsten die passende Hilfsorganisation zu unterstützen? Während in meinem Kopf noch der Stellungskrieg tobt, ist meine Frau schon längst über meinen Schatten gesprungen und hat ohne groß nachzudenken wieder Geld ausgegeben für irgendetwas, was irgendjemandem eine große kleine Freude bereiten wird.

Streng genommen hat sie dabei auch mein Geld mit ausgegeben – und ich lasse sie gewähren.

Hauke Hullen (Jahrgang 1974) ist Lehrer für Deutsch und Sozialwissenschaften. Er und Ehefrau Katharina haben fünf quirlige Kinder und leben in Duisburg. Gemeinsam bilden die beiden das Kirchenkabarett „Budenzauber“.

Ein Paar, zwei Perspektiven: Schlaf

NACHTSCHICHTEN AUS TROTZ

Katharina Hullen muss mit sehr wenig Schlaf auskommen und beneidet ihren Mann um seine Superkräfte.

Katharina: Schlafen macht schön und klug. Schlafen ist gesund! Ich sage Ihnen was: Schlaf ist überbewertet! Denn all diese Aussagen ergeben nur unter Laborbedingungen Sinn.

Unsere Wahrheit ist derzeit: Schlafen wäre schon schön und wahrscheinlich klug und es wäre auch sicher gesund, früher schlafen zu gehen. Leider liegt unsere Zubettgehzeit weit hinter Mitternacht. Das ist notwendig und ärgerlich zugleich, weil es einfach an so vielen Faktoren hängt, warum es sich nur schwer ändern lässt.

Zum einen: Wir sind Eulen, können abends effektiv Dinge erledigen. Beziehungsweise: könnten. Denn unsere drei Mädels, die theoretisch rund 10 Stunden Schlaf benötigen sollten, kommen abends ebenfalls noch mal richtig in Fahrt und vor allem nicht beizeiten in die Federn. Das bedeutet meist, dass unser Programm erst weit nach 22 Uhr beginnen kann.

Zum anderen ist auch die Kombination von Aufschieberitis und Trotz (jetzt will ich aber auch mal Zeit für mich haben!) oft Ursache für unzählige Nachtschichten. Hauke treibt es hierbei bisweilen auf die Spitze. Ich werkele gern parallel zu meinem Mann abends vor mich hin, aber um 2 Uhr nachts ist auch Schluss. Mein Bester sitzt dann oft noch lange am Küchentisch und korrigiert weiter Klassenarbeiten. Resigniert, weil es mal wieder nicht mit der besseren Planung geklappt hat und weil ich leider selbst zu unvernünftig bin, gehe ich dann schon mal ins Bett.

Wenn wir an normalen Abenden gegen halb 2 beschließen, das Schlafzimmer aufzusuchen, liegt Hauke 60 Sekunden später bereits im Tiefschlaf. Eine bewundernswerte Fähigkeit, denn ich räume auf dem Weg zum Badezimmer noch kurz den Flur auf, stelle Müsli auf den Tisch, stolpere über eine Wäschekiste, die ich kurzerhand im Keller noch aufsetze, drehe eine kleine Zudeck-Runde durch die Kinderzimmer und liege erst 20 Minuten später neben dem besten Ehemann von allen.

Wie schön es hier ist – so weich und warm! Warum liege ich eigentlich nicht schon seit 2 Stunden hier? Wenn‘s gut läuft, habe ich jetzt noch 5 Stunden Schlaf. Wenn‘s normal läuft, hat in 3 Stunden unser Sechsjähriger bereits ausgeschlafen oder der Kleinste träumt schlecht und steht verstrubbelt und schluchzend vor meinem Bett. Natürlich vor meinem, nicht vor Papas!

Hauke bekommt von alledem meist nichts mit. Darum haben wir eine neue Regel: Ich werde zwar wach, wenn etwas mit den Jungs ist, darf Hauke aber anstupsen. Dann schlurft er schlaftrunken ins Kinderzimmer, legt sich mit einer Matratze von innen vor die Tür und nutzt seine Superkraft „Schlafen in allen Lebenslagen“. Während die Kinder fröhlich das Zimmer auf links ziehen, blendet er alles aus und schläft. So stelle ich mir den Schlaf von Jesus bei der Sturmstillung vor.

Achja, sicher ist dies auch nur so eine Phase, und irgendwann kommt wieder mehr Ruhe in unsere Nächte. Den Seinen gibt’s der Herr im Schlaf! Wie gut, dass unser Herr so mächtig ist und nicht viel Zeit zum Geben braucht.

Katharina Hullen (Jahrgang 1977) ist Bankkauffrau und Dolmetscherin für Gebärdensprache in Elternzeit. Sie und Ehemann Hauke haben fünf quirlige Kinder und leben in Duisburg. Gemeinsam bilden die beiden das Kirchenkabarett „Budenzauber“.

 

FRÜHSCHICHT FÜR HELDEN

Hauke Hullen kann sich in den ganz wichtigen Familien-Momenten nicht zeigen, weil er sie schlichtweg verpennt.

Hauke: Erstaunlich, was Schlaf alles bewirkt: Das kratzbürstigste Kind erscheint schlummernd plötzlich wie ein Sinnbild für Frieden und Geborgenheit, im Traum wachsen den Schwachen Superkräfte und im Gegenzug sind selbst die Mächtigsten schlafend völlig wehrlos.

Philosophen sehen darin den Grund, warum Menschen sich zu Gesellschaften zusammengeschlossen haben: Wo in einer Anarchie auch der Starke fürchten muss, morgens ohne Kopf aufzuwachen, geben nur gemeinsame Gesetze Sicherheit. Kurz: Die Existenz des Schlafes führt zu festen Regeln.
Bei uns ist es umgekehrt: Ohne feste Regeln würde kein Schlaf existieren. Nur dank mühsam erkämpfter Rituale gehen bei unseren Kindern irgendwann die Augen zu. Doch kaum erscheinen ein Brückentag oder gar Ferien im Kalender, zerstäuben unsere 10- und 12-jährigen Mädchen den Schlafrhythmus. Plötzlich gilt Mitternacht als angemessene Zielmarke, zwei Tage später murren die Mädels, wenn man sie schon vor 1 Uhr ins Bett schickt.

Doch auch hier gilt der Satz: „Es hat keinen Sinn, Kinder zu erziehen, sie machen sowieso alles nach.“ Denn auch Kathi und ich bleiben oft zu lange auf, weil wir entweder so spät erst in Ruhe arbeiten können oder auf der Couch versacken. Oder beides, was eine unheilvolle Kombination ist, weil unsere kleinen Jungs ausgesprochene Frühaufsteher sind. Dann kommt für uns die Stunde der Wahrheit: Wer liebt den anderen wirklich? Wer verlässt um kurz nach 5 die warmen Decken, weil es im Nachbarzimmer schreit und scheppert?

In meiner Jugend hatte ich mir immer gewünscht, der Frau meines Herzens meine Liebe zu zeigen, indem ich sie aus brennenden Häusern rette. Heute weiß ich: Ein Held wird man erst frühmorgens im Kampf gegen volle Windeln und die sich anbahnende Verwüstung des Kinderzimmers.

Leider kann ich meine heroische Seite oft nicht zeigen – ich höre die Kinder schlichtweg nicht! Meine Frau hingegen vernimmt jedes Rascheln und ärgert sich, dass ich nicht stante pede aus dem Bett hüpfe, um nach dem Rechten zu sehen.

Doch kann man für etwas bestraft werden, was man nicht gemacht hat? Für eine Situation, die man gar nicht wahrgenommen hat? Kathi löst das Problem, indem sie mir unsanft die Faust in die Seite bohrt und mich aus dem Bett schiebt.

Wie gut, dass uns unsere kleinen Aufmerksamkeitsterroristen manchmal länger schlafen lassen, nämlich dann, wenn sie nächtens mit wirren Haaren in unser Zimmer getapst sind. In der Besucherritze schlafen sie dann beide in anatomisch höchst bedenklichen Verrenkungen, die dazu führen, dass Kathi und ich an die Bettkanten geklammert stundenlang ums Gleichgewicht kämpfen.

So richtig erholsam ist das nicht. Und so oder so wache ich zur Unzeit morgens auf, weil entweder die Jungs oder Kathi mir Fuß oder Faust zwischen die Rippen stecken.

Hauke Hullen (Jahrgang 1974) ist Lehrer für Deutsch und Sozialwissenschaften. Er und Ehefrau Katharina haben fünf quirlige Kinder und leben in Duisburg. Gemeinsam bilden die beiden das Kirchenkabarett „Budenzauber“.

Ein Paar, zwei Perspektiven: Renovieren

DER LICHTERKETTENBALDACHIN FÜRS KINDERBETT

Katharina Hullen gräbt sich auf der Suche nach hübschen Einrichtungsideen durchs Internet. Ihr Mann will lieber Strukturen optimieren.

Katharina: Jedes Projekt braucht eine Initialzündung. Unsere Kinder haben inzwischen gelernt, dass sie nur gemeinsam eine Chance haben, ihre phlegmatischen Eltern zu größeren Projekten zu motivieren. So zog im vergangenen Sommer, vermutlich an einem Freitag, eine lautstarke Kinderdemo mit selbstgemalten Plakaten durch unser Haus: „Unser Wohl ist Euer Wohl!“ „Wir sind bald in der Pubertät und brauchen ein eigenes Zimmer!“ und „Ruhe ist wichtig für Hausaufgaben und Konzentration!“

Sofort hatten sie den besten Opa von allen überzeugt und schon wenige Tage später begann dieser, auf dem Dachboden neue Wände zu ziehen. So kam das Zimmer-Karussell für fünf Kinder in Schwung. Heute, ein halbes Jahr später, haben wir ein neues tolles Jugendzimmer – sogar mit eigenem, frisch gebautem Bad –, ein umdekoriertes Mädchenzimmer, und zwei frisch transformierte Räume von „typisch Mädchen“ auf „typisch Junge“. Und alles ist so schön geworden!

Nachdem wir anfänglich den Ehrgeiz hatten, dass unsere Mädchen selbst die Neugestaltung des eigenen Zimmers in die Hand nehmen und dabei lernen, Maße und Möglichkeiten voll auszunutzen, wurde schnell klar: Außer der Wandfarbe ist es 10- und 12-jährigen Kindern völlig egal, welche Möbel oder Wandgestaltungen schön und sinnvoll wären. Aber nicht nur den Kindern war das schnurz, auch mein lieber Ehemann wollte von all meinen schönen Ideen nichts wissen. „Wieso denn andere Tapeten? Wir streichen einfach alles weiß und dann sollen sie sich bunte Kissen oder was auch immer hinlegen!“ Ginge es nach Hauke, hätte es wahrscheinlich auch keine Höhlenmalerei gegeben – die Wand ist doch gut so, wie sie ist! Doch das Internet ist voll von kreativen, praktischen, effektvollen Tipps und Angeboten. „Prüfet alles und das Beste behaltet!“ – Ich habe also viel Zeit damit verbracht, nach passenden Wandtattoos, Tapeten, Bordüren, Teppichen und Kissen zu suchen. Wenn wir schon für jedes Kind ein Zimmer bauen, dann darf es doch bitte auch gut zu ihm passen, oder? „Warum denn so ein Baldachin? Dann ist doch schon wieder ein Loch mehr in der Wand!“ Es liegt vielleicht daran, dass es außerhalb der männlichen Kompetenz liegt, sich vorzustellen, was einem anderen Menschen womöglich gefallen könnte oder was gut zu ihm passt. Ginge es darum, die Funktionalität einer Sache zu verbessern, Strukturen zu optimieren oder einfach um irgendein elektrisches Gerät, dann wäre Hauke voll in seinem Element und er verbrächte Stunden, Tage, Wochen mit der Internetrecherche.

Immerhin ist er ja wirklich ein großer Schatz, denn letztlich verbaut, verklebt, verschraubt und verarbeitet er alles, was ich an Material herbeischaffe. Nun fährt bei den Jungs eine hübsche Eisenbahn die Wand entlang und das Zimmer erstrahlt in frischem Grün und eins unserer Mädchen schlummert selig unterm Lichterkettenbaldachin.

Katharina Hullen (Jahrgang 1977) ist Bankkauffrau und Dolmetscherin für Gebärdensprache in Elternzeit. Sie und Ehemann Hauke haben fünf quirlige Kinder und leben in Duisburg. Gemeinsam bilden die beiden das Kirchenkabarett „Budenzauber“.

 

DEPRIMIERENDE FARBKLECKSE AUF DER RAUFASERTAPETE

Hauke Hullen liebt weiße Wände und hätte wahrscheinlich Apple gegründet, wenn nicht so viel Zeit für Stilfragen im eigenen Hause draufginge.

Hauke: Weiße Wände sind was Wunderbares! Wenn sich diese ebene, makellose Fläche frisch gestrichen vor einem ausbreitet, wenn weder Nagel noch Dübel die Perfektion stören und noch keine kratzende Kommode und kein kritzelndes Kleinkind Spuren hinterlassen haben – dann möchte ich diesen Moment für die Ewigkeit festhalten! Denn eine weiße Wand bietet Raum für Visionen: Welche fantastischen Formen und Farben könnten sich hier manifestieren? Alles erscheint möglich, nie fühlt man sich so frei und losgelöst von allen irdischen Sachzwängen. Alles könnte hier entstehen!

Ich betone: könnte. Denn sobald der erste Farbklecks auf der Raufaser detoniert, ist es vorbei mit der schöpferischen Allmacht – dann ist das Zimmer halt froschgrün und nichts anderes mehr. Aus unendlichen Möglichkeiten wurde – grün. Das ist deprimierend.

Neben diesen eher philosophischen Aspekten gibt es noch weitere gewichtige Gründe, weswegen die Wände lieber weiß bleiben sollten: Es erspart unserer Familie den quälenden Prozess, sich auf irgendeine Farbe einigen zu müssen. So hat ein großer Internet-Händler über 200.000 Treffer beim Stichwort „Tapeten“ – und den größten Teil hat sich die beste Ehefrau von allen auch tatsächlich angesehen, was aber die Entscheidungsfindung nicht erleichtert. Kathi hat dann zwar schon ein paar Favoriten herausdestilliert, in ihr keimt aber das ungute Gefühl, dass sich irgendwo im Netz eine noch schönere Tapete versteckt. Also wird weitergesucht.

Was für eine Verschwendung von Lebenszeit! Was könnte man stattdessen alles machen und schaffen! Apple-Gründer Steve Jobs hat sich ein paar hundert schwarze Pullover angeschafft, Facebook-Chef Marc Zuckerberg trägt jeden Tag ein graues T-Shirt – und prompt wurden sie zu den reichsten Menschen der Welt, einfach weil sie morgens vor dem Kleiderschrank keine Zeit mehr mit Farb- und Stilfragen verplemperten. Wo könnte die Familie Hullen heute sein, wenn wir in den letzten Jahren nicht … ach, lassen wir das.

Zudem bin ich auch kein besonders leidenschaftlicher Handwerker. Meine Freude am Renovieren beschränkt sich darauf, mich zu freuen, dass es vorbei ist. Wenn etwas einen funktionellen Mehrwert bietet, bastele ich gerne daran herum, aber wen außer meiner Frau interessiert es, ob ein Zimmer grün, rot oder lila-getupft ist? Und steht nicht auch schon in der Bibel (wenngleich auch mit einem irritierenden Rechtschreibfehler), dass man nach „Weißheit“ streben solle? Doch ein paar Wochenenden später sehen die Zimmer natürlich so aus, wie es sich die bessere Hälfte erträumt hat. Und ja, irgendwie sind sie auch schön geworden. Jetzt muss ich nur noch hoffen, dass sich Kinder und Einrichtungstrends ab sofort nicht mehr verändern.

Hauke Hullen (Jahrgang 1974) ist Lehrer für Deutsch und Sozialwissenschaften. Er und Ehefrau Katharina haben fünf quirlige Kinder und leben in Duisburg. Gemeinsam bilden die beiden das Kirchenkabarett „Budenzauber“.

Ein Paar, zwei Perspektiven: Autofahren

MIT DEN SCHILDERLESEN HAT ER ES NICHT SO

Katharina hat als Beifahrerin alle Hände voll zu tun.

Katharina: Ja, wir kommen häufig zu spät. Einer der Gründe: Hauke verfährt sich regelmäßig. „Papa, wo fahren wir hin? Wir wollen doch zum Sport? Warum fährst du auf die Autobahn?“ Wir sind ständig unterwegs – wohin auch immer Hauke uns trägt. Meine Hauptaufgabe als Beifahrerin ist, immer hellwach zu sein und frühzeitig zu erkennen, dass wir mal wieder drohen, Richtung Süden zu fahren, obwohl die Reise nach Norden gehen soll. Denn merke ich es erst, kurz bevor es zu spät wäre, ist es bereits zu spät, denn mein Bester ist dann nicht mehr in der Lage, das „Ruder“ herumzureißen. Also drehen wir häufiger mal eine Extra-Runde auf der Autobahn, wenn Hauke seine Ausfahrt verpasst. Die A3 ist vermutlich nur deshalb so eine Dauerbaustelle, weil wir die Fahrbahnen so strapazieren.

Hauke will zum Training fahren und wird erst stutzig, wenn er vor dem Kindergarten steht. Er will zur Arbeit und wundert sich nach einer Weile über das fröhliche Gegluckse eines Kindergartenkindes von der Rückbank. Wieder einmal heißt es: „Bitte wenden!“

Unser Bus verfügt auch über eine Rückfahr-Kamera und viele Sensoren, es piept und blinkt überall laut und klar. Es ist mir ein Rätsel, aber mein Mann hat es in den letzten drei Jahren trotzdem geschafft, vier (!) große Parkschäden zu verursachen. Er räumt zwar ein, dass es schon irgendwie gepiept hat, aber er dachte, es wäre vorne gewesen, und da war ja alles frei! Oder er dachte, er hätte noch ein paar Zentimeter. Oder er hätte einfach die Warntöne gar nicht gehört. Die Wahrheit ist wohl: Die Einparkkompetenz sinkt im Alter – mit dem Verlust der Hörfähigkeit. Vor Kurzem wollte ich ihm daher bei schlechter Sicht durch Einweisen in eine enge Parklücke helfen. Ich konnte sein Gesicht im Rückspiegel sehen und winkte ihn langsam zu mir. Plötzlich rollte unser Ungetüm von Wagen mit Schmackes auf mich zu. Ich rief, winkte, boxte gegen den Kofferraum und konnte noch rechtzeitig beiseite springen, bevor der Bus zum Stehen kam, als er mit der Anhängerkupplung das Nummernschild des Autos hinter uns touchierte. Hauke behauptet beharrlich, er hätte mich nicht gesehen!

Natürlich ist mein Mann ein guter Autofahrer. Er fährt uns stets sicher ans Ziel. Wir brauchen halt nur Zeit und mit dem Schilderlesen hat er es auch manchmal nicht so. So hat er bereits zweimal den Führerschein abgeben müssen, weil er zu schnell war. Natürlich: es war beide Male ein Sonntag auf einer 4-spurigen, leeren Autobahn, bei herrlichem Sonnenschein. Trotzdem ist man mit 170 km/h einfach zu schnell, wenn nur 100 km/h erlaubt sind.

Ja, ich sammle auch meine Knöllchen in den 30er Zonen unserer Stadt und die erste Beule in unserem Bus habe auch ich verursacht, weil eine Sturm-Böe die Tür an der Tankstelle gegen einen Pfosten gerissen hat. Aber die Bilanz, wer von uns beiden besser fährt, ist angesichts aller Beobachtungen eindeutig: Frauen können besser einparken, kommen sicherer und vor allem direkter ans Ziel und sind einfach die besseren Autofahrer!

Katharina Hullen (Jahrgang 1977) ist Bankkauffrau und Dolmetscherin für Gebärdensprache in Elternzeit. Sie und Ehemann Hauke haben fünf quirlige Kinder und leben in Duisburg. Gemeinsam bilden die beiden das Kirchenkabarett „Budenzauber“.

 

ICH WIDME MICH GEISTIG ANSPRUCHSVOLLEREN THEMEN

Hauke muss sich von einem beliebten männlichen Klischee verabschieden.

Hauke: Um es gleich vorweg zu sagen: Ja, es stimmt. Meine Frau fährt besser Auto als ich. Nach diesem Geständnis hat die Kolumne wahrscheinlich den größten Teil ihrer männlichen Leserschaft bereits verloren – warum sollte man(n) auch Zeit damit verschwenden, eine offenkundige Lügengeschichte weiter zu beachten, welche es wagt, das Alleinstellungsmerkmal des Mannes in Zweifel zu ziehen, nämlich die meisterhafte Beherrschung des Automobils? Denn wir wissen es doch alle: Frauen können nur zuhören, Männer hingegen einparken, Frauen und Technik … (lassen Sie beim Lesen hier bitte eine unheilvolle Pause), Frau am Steuer, das wird teuer … und so weiter und so fort.

Diese Macho-Matsche ließe sich noch beliebig fortsetzen. Doch was ist dran an der legendären Verschmelzung von Mann und Maschine? Bei der Beantwortung dieser Frage verlassen wir Männer uns natürlich nicht auf ein diffuses Bauchgefühl, sondern setzen auf knallharte Fakten. Um es gleich vorweg zu sagen: Ja, es stimmt. Auch insgesamt fahren Frauen besser Auto als wir Männer.

So verunglücken in allen Altersgruppen im Straßenverkehr deutlich mehr Fahrer als Fahrerinnen. Und als wäre das nicht schon schlimm genug: Wir sind auch meistens selbst schuld daran! Dieses Ergebnis bleibt auch dann bestehen, wenn man berücksichtigt, dass Männer rund zehn Prozent mehr Kilometer im Jahr zurücklegen. Woran liegt unser zerstörerisches Verhältnis zum Vehikel? Die Antwort kommt aus Flensburg: Dort sind 2,5 Mio Frauen als „Verkehrssünder“ registriert – und 8 Mio Männer! Tempolimit, Abstand, Alkoholverbot – in diesen Bereichen setzt die männliche Vernunft am häufigsten aus, so dass statt der edlen Krone der Schöpfung eher ein triebgesteuerter Testosteron-Torpedo über die Autobahn rast.

Bei mir ist das natürlich anders. Meine Blechschäden resultieren aus der Tatsache, dass ich den banalen Einparkvorgang in Gedanken schon längst abgeschlossen habe und mich geistig bereits anspruchsvolleren Themen widme. Während ich über den türkischen Einmarsch in Syrien sinniere, fällt der Parkpoller in die Fahrertür ein, denke ich an die prägenden Einflüsse der Fremdsprachen auf die deutsche Grammatik, hinterlässt ein fremder Außenspiegel seine Prägung im Seitenblech, und aus den Grübeleien über kulturell bedingte Kommunikationsdistanzen reißt mich das knirschende Geräusch einer Stoßstange, die mir beim Rückwärtsfahren zu nahe gekommen ist.

Und auch das, was die beste Ehefrau von allen despektierlich als „sich verfahren“ bezeichnet, ist in Wirklichkeit nur Ausdruck eines großen Geistes. Ich bin in Gedanken (und alsbald auch physisch) eben einfach woanders. Auf diese Weise lerne ich die nähere Umgebung auch viel intensiver kennen und darf mich mit Fug und Recht vielleicht nicht als den besseren, aber als den erfahreneren Automobilisten bezeichnen. Und was soll noch mal der Dirigent Karajan zum Taxifahrer gesagt haben? „Fahren Sie mich irgendwo hin, ich werde überall gebraucht.“ So wird‘s wohl sein.

Hauke Hullen (Jahrgang 1974) ist Lehrer für Deutsch und Sozialwissenschaften. Er und Ehefrau Katharina haben fünf quirlige Kinder und leben in Duisburg. Gemeinsam bilden die beiden das Kirchenkabarett „Budenzauber“.

Im Sturm der Traurigkeit

Der Mann unserer Autorin kämpft immer wieder mit Depressionen. Wie kommt sie damit klar?

Vor ein paar Jahren, ich war gerade im Auto unterwegs, hörte ich das Lied „Flames“ von Boy. Darin heißt es (frei übersetzt): „Die beständige Angst und Traurigkeit liegt schwer auf deiner aufgewühlten Seele. Ich rufe deinen Namen, aber ich kann nicht zu dir durchdringen. Es tut mir weh, dich so leiden zu sehen. Wenn ich doch nur einen Weg finden könnte, um dich zu beruhigen und zu heilen.“ Als ich so zuhörte, stiegen mir die Tränen in die Augen. Es war, als hätte jemand das in Worte gefasst, was ich gefühlt habe, als ich meinen Mann durch seine Depression begleitete.

Ich wusste von Anfang an, dass er psychische Probleme hat. Als wir uns ineinander verliebten, erzählte er mir, dass er sich gerade von einer Depression erholt habe, die vor ein paar Monaten, während einer Prüfungszeit, aufgetreten sei. Er konnte nichts mehr essen, nicht mehr schlafen und hatte irgendwann einen totalen Blackout. Nichts funktionierte mehr. Er wollte nichts vor mir verheimlichen und mir klar machen, dass ein Ja zu ihm auch ein Ja zu seiner Depression sein würde. Ich wusste also, was mich erwartete und gleichzeitig wusste ich überhaupt nicht, was mich erwartete.

Ein halbes Jahr nachdem wir zusammen waren, war sie wieder da. Eine Depression mit einer Angststörung. Er befürchtete ständig, durch seine Prüfungen zu fallen und sein Studium nicht zu schaffen und lernte Tag und Nacht. Und obwohl die Klausuren immer „sehr gut“ ausfielen, konnte er seinen Erfolg nicht genießen. Er war nicht in der Lage, so etwas wie Freude, Zufriedenheit oder Gelassenheit zu empfinden – und wenn, dann nur für einen kurzen Moment. Es war ein Leben ohne Graustufen. Alles, was ich sagte, schob er, wie es für Depressive typisch ist, entweder in die weiße (gute) oder schwarze (schlechte) Kategorie. Das machte unsere Kommunikation unglaublich schwierig. Gab es etwas, was mir an unserer Beziehung nicht gefiel und ich sagte es ihm, fühlte er sich sehr verletzt. Er zweifelte oft an sich selbst, und, nicht selten, auch an mir. Immer wieder stellte er mich und unsere Beziehung in Frage. Das verletzte mich am allermeisten. Zwei Mal trennten wir uns in den ersten Jahren voneinander. Bis wir ein wirkliches Ja zueinander gefunden hatten, sollten viele Jahre vergehen.

Nicht alle davon waren schlecht. War er medikamentös gut eingestellt und wir in „ruhigen Fahrwassern“ ging es uns sogar sehr gut. Wir reisten zusammen, suchten nach gemeinsamen Hobbys und machten Pläne für die Zukunft. Wir lernten, uns immer mehr so zu lieben, wie wir sind. Wir lernten auch voneinander: Ich lernte von ihm, mehr Ehrgeiz an den Tag zu legen und fing an, mich für Sport zu begeistern. Er lernte von mir, gelassener zu sein und den Moment zu genießen.

Es gab aber auch viele herausfordernde Momente. Als er ins Berufsleben einstieg, war es besonders schwierig. Der Stress und der Erwartungsdruck, der auf ihm lastete, machten ihm so sehr zu schaffen, dass ich befürchtete, er würde nun vollends zusammenbrechen und den Beruf, auf den er so lange hingearbeitet hatte, aufgeben müssen. In Phasen, in denen er psychisch stabil war, versuchte er immer wieder mit Begleitung eines Psychiaters das Antidepressivum, das er inzwischen mehrere Jahre zu sich nahm, auszuschleichen. Doch jeder Versuch scheiterte und warf ihn und uns jedes Mal zurück.

„Wie kommst du da durch?“

Inzwischen sind viele Jahre vergangen. Wir sind verheiratet und haben eine Familie. Mein Mann ist in seinem Beruf inzwischen zufrieden und sehr erfolgreich. Er hat seine Depression und seine Ängste dank der Psychopharmaka und Menschen, die ihn und uns begleiten, im Griff. Die Stürme kommen jetzt seltener, aber es gibt sie noch.

Was hilft mir in stürmischen Zeiten? Diese Frage konnte ich selbst lange nicht beantworten. Fragte man mich, wie ich da durchgekommen sei, gab ich häufig „Mit Gottes Hilfe“ zur Antwort. Und es stimmt: Hätte ich mich in all meiner Verzweiflung, Hilflosigkeit und mit all meinem Schmerz nicht an Gott wenden können, hätte es für uns keine Zukunft gegeben. Aber es sollte nicht nur der Glaube sein, der Angehörige von Depressiven durchträgt. Es sind auch die Freunde, die nachfragen, mitbeten oder, wenn nötig, auch mal ablenken. Es ist wichtig, sich über das, was man an der Seite eines Depressiven erlebt, auszutauschen – und zwar nicht nur mit dem Partner. Je nachdem, wie schwerwiegend seine Depression ist, kann es für ihn sogar zusätzlich belastend und deshalb kontraproduktiv sein. Wenn die Situation so belastend ist, dass ich sie selbst nicht aushalten kann, wende ich mich an meine Eltern, zu denen ich ein sehr gutes Verhältnis habe, und gute, vertrauensvolle Freunde – meistens solche, mit denen ich auch ins Gebet gehen kann. Eine von ihnen ist Psychologin und kann mir auch fachliche Tipps geben.

Überhaupt ist es wichtig, sich mit dem Thema Depression fachlich auseinanderzusetzen. Als ausgebildete Pädagogin dachte ich lange, ich wüsste bereits genug darüber. Ich hatte jedoch nie längere Zeit mit Depressiven zu tun gehabt und wusste schon gar nicht wie es ist, als Angehörige davon betroffen zu sein. Auch ich brauchte Hilfe und Begleitung. Das Internet bietet auf vielen Seiten, wie etwa der Stiftung Deutsche Depressionshilfe, die Möglichkeit, sich zu dem Thema zu informieren. Aber auch ein Gespräch mit einer Person vom Fach, wie etwa einem Psychotherapeuten oder Psychiater, der man direkt Rückfragen stellen kann, ist hilfreich. In vielen Städten gibt es außerdem Selbsthilfegruppen für Angehörige von Depressiven, in denen man sich mit anderen austauschen kann. Je mehr man über Depressionen weiß, desto besser kann man das Verhalten des Partners verstehen und einordnen.

Gleichzeitig ist es wichtig, nicht alle Zweifel und Ängste, die der Partner hat, als übertrieben oder psychisch bedingt abzutun. Es ist nicht die Person selbst, sondern die Depression, die dazu führt, dass diese Gefühle für sie so unerträglich und für uns so unnachvollziehbar werden. Viele verstehen das nicht. „Das ist Quatsch“ oder „Du spinnst ja“ sind Sätze, die mein Mann während einer depressiven Phase manchmal zu hören bekommen hat. Auch Sätze wie „Du bist halt krank“ oder „extrem empfindlich“ sind in so einer Episode wenig hilfreich. Deshalb überlegen wir uns sehr genau, wen wir in dieses Thema einweihen. Mein Mann ist nicht „der Depressive“ oder „der Verrückte“, als den ihn manche abstempeln, weil es ihnen zu anstrengend und unangenehm ist, sich in ihn und seine Gefühlswelt hineinzudenken. Er ist der Mann, den ich liebe und der ab und zu jemanden braucht, der ihn sanft zurück auf die Beine stellt, ohne über seine Gefühle und Gedanken zu urteilen! Das steht niemandem zu – egal, ob gesund oder krank.

Nicht immer die Stärkere

Hilfreich war für mich auch, einzusehen, dass ich als „Gesündere“ von uns, nicht gleichzeitig auch immer die Stärkere sein muss. Natürlich versuche ich für ihn da zu sein, ihn zu trösten und aufzumuntern, wenn es ihm schlecht geht. Aber auch ich habe meine Grenzen, die ich lernen musste anzuerkennen, um nicht selbst krank zu werden. Manchmal bedeutet das auch, ihm vorzuschlagen, mal mit jemand anderem darüber zu sprechen und mich selbst ein bisschen zurückzuziehen. Ja, man darf sein Leben trotzdem genießen und sich selbst etwas Gutes gönnen – auch, wenn es dem Partner gerade nicht gut geht. Für mich bedeutet das, mich mit Freundinnen zu treffen, mir eine Massage zu gönnen oder ausführlich Sport zu machen. Aber auch als Paar darf man sich in solchen Zeiten schöne Abende gönnen und das Leben trotz allem feiern, indem man zum Beispiel einen Babysitter engagiert und ausgeht oder aber sich das Essen nach Hause liefern lässt und einen schönen Film zusammen guckt oder ein Spiel spielt. Umgekehrt gab es übrigens auch schon zahlreiche Situationen, in denen er der Stärkere von uns war, obwohl er der „Kränkere“ ist.

Es wäre falsch zu behaupten, dass wir inzwischen so sturmfest wären, dass uns die Stürme nichts mehr ausmachen würden. Wenn Ängste und Zweifel herumwirbeln und unser Schiff zum Schwanken bringen, erfordert es immer noch viel Kraft und Glauben, Jesus auf dem schwankenden Wasser zu erkennen und darauf zu vertrauen, dass er uns nicht untergehen lässt.

Die Autorin ist der Redaktion bekannt, möchte aber anonym bleiben.

Ein Paar, zwei Perspektiven: Mit den Kindern spielen

ZWISCHEN EMPÖRUNG UND STOLZ

Katharina hält viel vom freien Spiel, wenn sie es regeln kann.

Katharina: Kinder lernen am besten durch freies Spielen, Nachahmung und ständige Wiederholung und all das am liebsten mit anderen Kindern. So gesehen hätte man als Eltern lediglich die Aufgabe, freies Spiel zu ermöglichen.

Doch wenn ich den Dingen freien Lauf lasse, läuft die Sache tendenziell aus dem Ruder. Dann werden Wände angemalt, Blumenkästen überschwemmt und ausgeweidet oder im Materialrausch alle Gesellschaftsspiele zusammengekippt. Höhepunkt dieses freien Spiels war, als unser Nachbar meinen Schwiegervater anrief: „Ich will wirklich kein Spielverderber sein, aber auf dem Giebel eures Hausdachs sitzen drei Kinder!“

Opa lotste die Mädchen in aller Ruhe vom Dach und einigte sich mit den Dreien, dass er Mama und Papa nichts verrät, wenn sie so etwas nie wieder tun. Letztlich haben sie es selbst erzählt, woraufhin Hauke noch mal unter Aufsicht sehen wollte, wie genau sie das gemacht haben. In so einer Situation hängt man irgendwo zwischen Empörung, Angst, Verständnis und Stolz. Um so etwas nicht allzu häufig zu erleben, bemühe ich mich, die Kinder – dann halt doch etwas unfreier – in Beschäftigungen zu lenken, die ich besser im Blick haben kann. Also spiele ich mit ihnen Gesellschaftsspiele, und nebenbei lernen sie sprechen, Rücksicht nehmen, verlieren und aufräumen. Wunderbar! Oder ich überlege mir ein Bastelprojekt, damit die drei vorpubertären Mädels eine Idee davon bekommen, was man zu Hause noch alles tun kann, außer mit dem Handy auf dem Sofa zu sitzen. Gern trommel ich auch zum „Alle Kinder Schuhe an! Wir gehen in den Wald!“-Projekt. Dort gibt es ein Picknick, wir spielen Verstecken oder die Kinder toben einfach zu fünft durch den Wald.

Wenn wir dann nach Hause kommen, beseelt von dieser schönen Aktion, treffe ich meinen Liebsten, ebenfalls beseelt, weil er auch eine schöne freie Zeit hatte. Eine Win-Win-Situation, sollte man meinen. Aber oft denke ich: Warum laufe eigentlich immer ich mit allen durch den Wald? Wer ist hier der Pädagoge, der sich mal was überlegen könnte mit den Kindern?

Ist der Papa zuständig, herrscht quasi Anarchie im Hause Hullen. Die Große will, dass Papa jetzt endlich ihr neues Zimmer streicht – er reagiert nicht – sie schnappt sich ihre beiden Schwestern und zu dritt sind kurzerhand alle Wände weiß getüncht – so schwer kann das ja nicht sein! Der Rasen muss gemäht werden, damit man besser darauf spielen kann, Papa arbeitet gerade an anderen Dingen. Ok, dann machen wir das eben selbst. Mit dieser maximalen Freiheit fordert und fördert mein toller Mann jede intrinsische Motivation bei unseren Kindern und sie feiern dabei tolle Erfolge. Meine Nerven sind zu schwach für so eine Pädagogik! Wie gut, dass die Kinder uns beide haben!

Katharina Hullen (Jahrgang 1977) ist Bankkauffrau und Dolmetscherin für Gebärdensprache in Elternzeit. Sie und Ehemann Hauke haben fünf quirlige Kinder und leben in Duisburg. Gemeinsam bilden die beiden das Kirchenkabarett „Budenzauber“.

 

BORING-OUT-ATTACKEN

Hauke fühlt sich vom Spielen mit den Kleinen unter- und überfordert.

Hauke: Das Leben ist bekanntlich eines der schwersten. Da hat man gerade ein freies Zeitfenster erspäht, in dem nichts Dringendes ansteht und alles Wichtige noch ein Stündchen warten kann, so dass man sich mit einem Seufzer und der Zeitung aufs Sofa sinken lässt, um dem erschöpften Körper und dem ermatteten Geist seine wohlverdiente Ruhepause angedeihen zu lassen – da vergällt mir die beste Ehefrau von allen den Genuss mit dem Appell: „Mach doch mal was mit den Kindern!“

Ich will ganz offen sein: Ich mag meine Kinder. Ich mag aber auch meine Zeitung. Leider wollen meine Kinder nicht mit mir Zeitung lesen. Stattdessen möchten sie spontan in weit entfernte Spaßbäder fahren, meinen ausgemergelten Körper zu sportlichen Aktivitäten zwingen oder – und das ist das Anstrengendste – mit mir Eisenbahn spielen. Letzteres halte ich immer nur für wenige Minuten aus, bevor mich heftigste Boring-out-Attacken heimsuchen. Denn meinen Söhnen reicht ein halbes Dutzend Schienen vollkommen aus, die noch nicht einmal einen Kreis bilden müssen. Wenn der Modellbauer in mir dann anfängt, das Kinderzimmer in das Streckennetz der Deutschen Bahn zu verwandeln, reißen meine Jungs hinter mir direkt wieder alles achtlos ein. Ich will nicht überheblich klingen, aber auch die Dampflok-ICE-Rollenspiele mit meinem Dreijährigen unterfordern mich, da sie genauso zusammenhanglos sind wie die im Raum verteilten Schienenstränge. Ich bewundere meine Frau und alle anderen Menschen, die es schaffen, sich in die (Spiel-)Welt von kleinen Kindern hineinzuversetzen und, um der gemeinsamen Zeit willen, eben diese miteinander zu teilen. In meinem Kopf melden sich dann aber immer zwei Dinge: Zum einen eine lange Liste mit viel wichtigeren Dingen, die ich just jetzt erledigen muss. Und zum anderen das schlechte Gewissen: Ist die Familienzeit nicht das Wichtigste und Schönste überhaupt? Sollte ich nicht jede Minute auskosten?

Zumindest ist dies die Erwartung, die an die „neuen Väter“ herangetragen wird. Zu dieser Vaterrolle gehört nicht nur das finanzielle Versorgen, sondern auch das emotionale Kümmern: man(n) reduziert Arbeitszeiten, sitzt nachmittags mit den Kindern am Sandkasten und freut sich darauf, am Wochenende mit den Jungs um den Block zu ziehen – aber halt mit den eigenen. Meinem Naturell entspricht das nur begrenzt. Ich kümmere mich gerne um Dinge, aber nicht um Personen. Zusammen mit den Kindern Rasen zu mähen, Schränke aufzubauen oder Abenteuer zu bestehen macht mir große Freude. Aber eine halbe Stunde neben meinem Sohn zu sitzen, während er wieder und wieder die falschen Puzzleteile zusammensteckt, ist zermürbend, weil es nicht um das Erreichen eines Zieles geht – der Weg das Ziel ist. Das fordert mich. Zum Glück habe ich Katharina, die mich darin fördert.

Hauke Hullen (Jahrgang 1974) ist Lehrer für Deutsch und Sozialwissenschaften. Er und Ehefrau Katharina haben fünf quirlige Kinder und leben in Duisburg. Gemeinsam bilden die beiden das Kirchenkabarett „Budenzauber“.

How to say: I’m sorry!

Genau genommen kann man sich nicht entschuldigen, nur um Entschuldigung bitten. Alles andere wären Rechtfertigungen und selbstbezogene Erklärungen. Eine Anleitung zu ehrlichen Entschuldigungen von Jörg Berger

Um wen geht es bei der Entschuldigung? Um mich? Dass ich es nicht so gemeint habe? Dass es Erklärungen für mein ungutes Verhalten gibt? Oder dass ich die verletzten Gefühle und den berechtigten Zorn meiner Frau aus der Welt schaffe, weil sie mir unangenehm sind? Oder geht es mir um meine Frau? Um die Verletzung oder den Nachteil, den ich ihr zugefügt habe? Um ein Verständnis für ihre Gefühle? Um eine Wiedergutmachung, wo das möglich ist? Wo es mir um mich selbst geht, wird meine Entschuldigung meine Frau nicht berühren, vielleicht sogar verärgern. Nur eine echte Entschuldigung bewirkt Versöhnung und räumt das beiseite, was zwischen uns steht.

Wenn ich Sie in das Geheimnis wirksamer Entschuldigungen einführe, lassen Sie sich bitte nicht unter Druck setzen. Denn eine Entschuldigung muss nicht perfekt sein, um das Herz des anderen zu erreichen. Außerdem genügt es in vielen Fällen, eine Entschuldigung einmal ehrlich und ausführlich auszusprechen – wenn der andere weiß, wie es gemeint ist, genügt beim nächsten Mal auch ein „Entschuldigung!“

Wer um Entschuldigung bittet, muss erst einmal selbst sein inneres Gleichgewicht finden. Denn auch schuldig werden stresst: Es belastet mit Schuldgefühlen, greift das Selbstwertgefühl an und weckt Angst vor der Reaktion des anderen. Weisen Sie, wenn nötig, Selbstanklagen oder Selbstabwertungen ab: Jeder darf Fehler machen und jeder wird in der Liebe schuldig werden. Machen Sie sich bewusst, dass Sie stark genug sind, einen Zorn, eine Enttäuschung oder eine verletzte Überreaktion Ihres Partners auszuhalten. Nun können Sie mit ganzer Aufmerksamkeit für den anderen da sein.

TREFFSICHERE ENTSCHULDIGUNGEN

Worum geht es Ihnen, wenn ein anderer Sie verletzt oder Ihnen einen Schaden zugefügt hat? Vermutlich erst mal um ein ehrliches Eingeständnis. Denn Schuld braucht eine Würdigung und eine Anerkennung. Außerdem muss der Schuldige auch verstanden haben, wie er schuldig geworden ist, denn sonst muss man ja fürchten, dass sich das Gleiche bald wiederholt. Und umgekehrt: Wenn wir schuldig werden, hängt fast alles davon ab, ob wir erkennen, was nicht gut gelaufen ist, und ob wir das aussprechen können. Weil das nicht so einfach ist, habe ich eine Sammlung treffender Entschuldigungen für Sie zusammengestellt. Vermutlich erkennen Sie sich in einigen Formulierungen wieder und entdecken: „Genau das mute ich meinem Partner manchmal zu.“ Außerdem erhalten Sie Anregungen, wie Sie eine Entschuldigung formulieren können, auch wenn Sie dann andere, eigene Worte verwenden. Ich habe die Entschuldigungen in sieben typische Bereiche geordnet, in denen wir in der Liebe aneinander schuldig werden.

Schuldig werden, in dem ich den anderen herabsetze:

  • „Ich habe dich gerade viel zu scharf und viel zu hart kritisiert. Das tut mir leid!“
  • „Ich bin gerade in meinem inneren Film aus meiner Kindheit gelandet: ‚Ich bin von Idioten umzingelt!‘ So habe ich dich gerade auch behandelt. Das stimmt natürlich nicht. Tut mir leid!“
  • „Das muss gerade geklungen haben, als hättest du einen furchtbaren Charakter. Dabei hast du nur einen kleinen Fehler gemacht und dir nichts Böses dabei gedacht. Sorry.“
  • „Ich habe erst an deiner Reaktion bemerkt, wie spöttisch und verletzend meine Bemerkung war. Das hast du nicht verdient. Tut mir leid.“

Schuldig werden, indem ich dem anderen seine Freiheit nehme:

  • „Ich habe dein Nein nicht akzeptiert und so lange auf dich eingeredet, bis du doch zugestimmt hast. Das war bestimmt nicht angenehm für dich. Tut mir leid.“
  • „Ich habe dir gar nicht die Möglichkeit gelassen, mitzuentscheiden. Tut mir leid für diese Vereinnahmung.“
  • „Ich habe dich gerade mit meiner Meinung und meinen Wünschen bedrängt, oder? Sorry.“
  • „Jetzt habe ich dich gar nicht zu Wort kommen lassen. Entschuldige bitte.“

Schuldig werden, indem ich mich selbst darstelle: 

  • „Sorry! Ich habe mehr versprochen, als ich halten kann.“
  • „Ich habe bei dir Erwartungen geweckt und dich dann enttäuscht, oder? Das tut mir leid.“
  • „Ich habe das so dargestellt, dass ich der Tolle bin und du dumm dastehst. Das hast du nicht verdient.“
  • „Ich habe mich in den Mittelpunkt gestellt und dir damit die Aufmerksamkeit genommen, die dir zusteht. Das tut mir wirklich leid.“

Schuldig werden, indem ich mich räche oder den anderen bestrafe:

  • „Ich habe mich zurückgezogen, weil ich sauer auf dich war. Ehrlich gesagt, wollte ich dich das auch spüren lassen. Aber das ist natürlich nicht in Ordnung. Entschuldige bitte.“
  • „Mit meiner Bemerkung eben habe ich dich da verletzt, wo es dir bestimmt sehr wehtut. Irgendetwas in mir wollte das auch. Aber das ist nicht fair. Bitte vergib mir.“
  • „Ich habe da völlig unnötig Nein gesagt und dich blockiert. Eigentlich geht es mir um ein ganz anderes Thema. Tut mir leid.“
  • „Ich habe dir eine unangenehme Szene gemacht. Ich war unzufrieden und verärgert. Aber es gibt natürlich bessere Wege, damit umzugehen. Sorry.“

Schuldig werden, indem ich mich vor Unangenehmem drücke:

  • „Ich habe mich einfach zurückgezogen, statt dir zu sagen, dass mich etwas gestört hat. Entschuldige bitte.“
  • „Da bin ich dir etwas schuldig geblieben, weil ich unsicher war und gezögert habe. Tut mir leid.“
  • „Ich habe dich da sehr eingeschränkt, weil ich mich auf vieles nicht einlassen konnte. Das war bestimmt frustrierend für dich. Tut mir sehr leid.“
  • „Ich habe das so lange aufgeschoben, bis es dir Sorgen gemacht und dich frustriert hat. Vergib mir!“

Schuldig werden, indem ich den anderen in meine Probleme hineinziehe:

  • „Ich habe mich übernommen. Und jetzt musst du aushalten, dass ich so unausgeglichen und erschöpft bin. Tut mir leid!“
  • „Ich habe dich gerade zu meinem Helfer und Retter gemacht, oder? So möchte ich dich nicht strapazieren. Sorry!“
  • „Du machst dir wahrscheinlich Sorgen um mich. Ich wirke wahrscheinlich, als würde ich gleich zusammenbrechen. Entschuldige bitte. Ich möchte dich da nicht so reinziehen, wenn ich mir zu viel zumute.“
  • „Es tut mir leid: Ich bin gerade kopflos, weil ich schon wieder zu lange mit meiner Mutter telefoniert habe – obwohl ich weiß, dass mir das nicht guttut. Und jetzt musst du schon wieder auf mich warten. Das hast du nicht verdient.“

Schuldig werden, indem ich zu kämpferisch oder aggressiv auftrete:

  • „Gerade bin ich laut geworden, weil ich mich durchsetzen wollte. Ich kann mir vorstellen, wie unangenehm das für dich ist. Tut mir leid.“
  • „Du sagst gar nichts mehr. Bin ich zu heftig geworden? Wenn ja, tut es mir sehr leid.“
  • „Mir ist gerade bewusst geworden, dass meine Worte wie Drohungen klingen. Vielleicht waren es sogar welche. Verzeih’ mir bitte!“
  • „Du hast vor zehn Minuten schon angedeutet, dass du lieber drüber nachdenken möchtest als mit mir so hitzig weiter zu diskutieren. Das habe ich einfach ignoriert. Tut mir leid.“

VERSÖHNUNG GENIESSEN

Treffsichere Entschuldigungen sind Balsam auf die Wunden, die man dem anderen zugefügt hat. Zugleich haben Sie beim Lesen vielleicht gespürt: Es ist nicht einfach, dermaßen ehrlich zu sein und seine Schuld so offen auszusprechen. Aber Ehrlichkeit lohnt sich. In vielen Situationen stellt sie in Sekunden wieder eine entspannte Beziehung her. Wenn die Verletzung tiefer oder ein Schaden größer war, braucht der andere noch Zeit, um darüber hinwegzukommen. Aber die ehrliche Entschuldigung verhindert, dass die Situation zu Bitterkeit führt oder im nächsten Streit wieder hochkommt.

Ein letzter Bestandteil einer echten Entschuldigung kommt dann fast von selbst dazu. Denn glaubhaft ist eine Entschuldigung nur, wenn ich den gleichen Fehler nicht gedankenlos wiederhole. Eine gesunde Scham über mein Verhalten, ein Schmerz über das, was ich meiner Frau zugefügt habe, geben mir die Motivation, die ich brauche, um an einem bestimmten Punkt achtsamer zu sein. Natürlich werde ich in einem schlechten Moment wieder einmal in meine Schwäche zurückfallen. Aber wenn das seltener passiert oder wenn ich es früher bemerke, macht das meine Entschuldigung glaubhaft. Und das wiederum wird mich auch glaubwürdig machen, wenn ich mich einmal an anderer Stelle entschuldigen muss.

Manchmal erscheinen Partner nachtragend, unversöhnlich, kleinlich im Verzeihen oder so, als ob sie erwarten würden, dass der andere nie einen Fehler macht. Doch in Wirklichkeit liegt das Problem woanders: Es gab nie eine echte Entschuldigung und deshalb war auch kein echtes Verzeihen möglich. Es ist eine überraschende, befreiende Erfahrung: Je ehrlicher wir sind und je näher uns geht, was wir verschuldet haben, desto großzügiger, versöhnlicher und vergebungsbereiter sind die Reaktionen unseres Partners.

Jörg Berger ist Psychotherapeut und Paartherapeut in eigener Praxis in Heidelberg. Mit seiner Online-Paartherapie epaartherapie.de geht er gerade neue Wege in der Begleitung von Paaren.

Mettwurst oder Spitzenwäsche: So zeigen Sie Ihrem Partner, dass Sie ihn wirklich lieben

Romantische Fünf-Sterne-Dinner mit Sonnenuntergang sind super, ohne Frage. Aber es sind ganz andere Aufmerksamkeiten, die eine Beziehung ausmachen.

Um der Liebe unseres Lebens zu beweisen, wie wunderbar und einzigartig sie ist, geben wir uns viel Mühe, vor allem, wenn wir frisch verliebt sind. Die Verliebtheit aktiviert unsere Hirnwindungen in der rechten Großhirnrinde und treibt uns an. Wir schreiben Gedichte, basteln Karten, sparen für ein Vier-Gänge-Menü, stricken Schals, üben den Kniefall oder eine sinnliche Geste, schnuppern uns durch die Parfumabteilung und holen die Sterne vom Himmel.

Das Beziehungs-Gen

Woher kommt die Sehnsucht, der Liebe einen Ausdruck zu geben? Wir sind Beziehungswesen. Keiner lebt für sich allein. Wir brauchen das Gegenüber, um uns selbst zu erkennen, Bedürfnisse wahrzunehmen und uns weiterentwickeln zu können. Eremiten sind die absolute Ausnahme, aber selbst sie suchen ein Gegenüber. Eine mystische Begegnung. Eine Erkenntnis. Gott. Es scheint eine genetische Struktur in uns zu geben, die sich nach Begegnungen sehnt.

Einmal geklärt. Fertig.

Der Ausspruch: „Ich liebe“ ist nur sinnvoll, wenn es einen Adressaten gibt. Ich liebe Kunst, Sport, Essen – dich! Auch, wenn es praktisch zu sein scheint, ein einmaliges Bekenntnis der Liebe genügt nicht, denn „lieben“ ist ein aktives Verb. Es verlangt die Aktivität von kleinen und großen Liebesbeweisen, um nicht zu verkümmern. In der ersten Phase der Verliebtheit fällt es uns leicht, Aufmerksamkeiten zu ersinnen und zu verschenken. Doch irgendwann kommt unsere Liebesbeziehung im Alltag an, findet sich zwischen Routine und Gewöhnlichem wieder und wir gehen davon aus, dass der/die andere schon weiß, dass wir ihn/sie lieben. Wenn wir wollen, dass unsere Liebe Spuren hinterlässt, muss sie erlebbar sein, zum Anfassen und Spüren, zum Erinnern und Träumen. Doch wie sieht der perfekte Liebesbeweis überhaupt aus?

Hände weg von Hollywood

Hollywood und romantische Romane liefern Ideen, doch die scheinen sich nur umsetzen zu lassen, wenn man viel Geld, einen Adoniskörper, unbegrenzte Risikobereitschaft oder am besten alles zusammen hätte. Die Ansprüche an einen perfekten Liebesbeweis lassen uns erschöpft und überfordert zurück. Wir sind weder Romanheldin noch Prince Charming und dennoch sehnen wir uns danach, unserem Partner auf ganz besondere Weise zu zeigen, wie sehr wie ihn/sie lieben.

Im Kleinen wie im Großen

Aber vielleicht muss es auch nicht immer der ganz große Wurf sein. Wenn man sich nicht an Kleinigkeiten freuen kann, kann man sich auch nicht an den großen Überraschungen freuen. Kann man ein Sternemenü zelebrieren, wenn man die schlichte Mahlzeit verachtet? Kann man den Wellness-Urlaub genießen, wenn man sich nicht im Alltag entspannen kann? Was nützen die spektakulären Liebesbeweise, wenn man sich nicht an den kleinen Gesten der Zuneigung erfreuen kann? Eine Umarmung. Ein Post-it mit Herzchen. Eine gepflückte Blume vom Wegrand. Eine SMS mit: „Du fehlst!“. Die aufgehaltene Tür. Ein Streicheln über den Handrücken. Eine Süßigkeit auf dem Schreibtisch.

Unsere Liebe verdichtet für einen Augenblick in eine liebevolle Geste. Wenn ein Augenblick die Zeit zwischen zwei Lidschlägen ist und wir zwischen 11 und 19 Mal in der Minute blinzeln, dann sind das bis zu 16.200 Augenblicke am Tag. Wird da nicht ein Moment dabei sein, den wir unserem Partner schenken können?

Individuelle Vorlieben

Es mag Frauen geben, die empfinden Handlungen wie Tür aufhalten, in den Mantel helfen oder eine Rechnung zu übernehmen als Bevormundung. Übereifriger Feminismus und Gender Mainstreaming haben der Höflichkeit so manche Kerbe geschlagen. Ich finde es angenehm, wenn mir jemand in die Jacke hilft, damit ich mich nicht mit den verknuddelten Ärmeln plage. Sobald wir die Motivation einer freundlichen Geste entdecken, tut sie einfach nur gut.

Wir kennen doch unseren Partner und wissen, worüber er oder sie sich besonders freut. Ist es ein kleines Geschenk oder eine gemeinsame Unternehmung oder ermutigende Worte?

Wer mag die runde Brötchenhälfte?

Wenn wir nicht wissen, was unserem Partner gefällt, dann müssen wir darüber sprechen und unser Gegenüber muss ehrlich antworten. Wie oft hat man schon ein vermeintliches Lieblingsessen zubereitet und dabei denkt der Mann: „Jetzt hat sie schon wieder gefüllte Paprika gekocht. Ich konnte das Gericht schon als Kind nicht leiden.“ Es wäre doch schade, wenn wir aus Liebe auf die runde Brötchenhälfte verzichten, in der Annahme, dass unser Partner sie mag, und dabei ist es ihm schnurzpiepegal.

Mettwurst und Spitzenwäsche

Mein Mann ist als Außendienstmitarbeiter in verschiedenen Städten unterwegs. Er hat die Möglichkeit, zwischen zwei Terminen in ein Geschäft zu gehen und bringt mir dann Dinge, von denen ich mal gesagt habe, dass ich sie gebrauchen könnte, wie einen Topfkratzer oder eine Tasche für meine Ordner, mit. Manchmal bringt er mir auch Dinge mit, die ich nicht dringend brauche, zum Beispiel ein Spitzenbustier. In meinem Alltag komme ich höchstens beim Bäcker und Metzger vorbei. Dann kaufe ich ihm seine Lieblingsmettwurst, die er mit rohen Zwiebeln isst. Er freut sich, auch wenn er anschließend keine Küsse mehr bekommt. Blumen bringt er mir nie mit und das ist gut so, ich kaufe sie mir selbst, denn sie müssen zu den Vasen, Sofakissen und Tischdecken passen.

Sagt was!

Unter Frauen höre ich solche Klagen: „Mein Mann kennt nicht einmal meine Kleidergröße und bringt mir nie etwas mit.“ „Andere Männer sind viel aufmerksamer als meiner.“ „Nie kocht er für mich.“

An Valentinstag drängeln sich die Männer ins Blumengeschäft und zum Hochzeitstag schleppen sie sich schweratmend durch die Parfumabteilung. Lasst uns die Männer von diesen Vorstellungen an Aufmerksamkeiten befreien! Lasst uns direkt sagen, was uns gefällt und nicht nur hoffen, dass der Partner die indirekten Andeutungen decodieren kann. Wie die kleinen Gesten aussehen, entscheidet jedes Paar für sich. Wir dürfen nicht vergleichen. Der einen Frau sind ihre von ihrem Mann frisch gebügelten Blusen ein Liebesbeweis, dem anderen, dass man zusammengekuschelt einschläft und bei meinem ist es die Zwiebelmettwurst.

Kleine Gesten im Alltag

Eine kleine Geste ist ein lebendig gewordener Gedanke der Zuneigung im Alltag. Ohne großen Aufwand kann ich etwas für den anderen erledigen, was er nur ungern tut, zum Beispiel zur Post gehen, die Flaschen wegbringen, die Betten machen, staubsaugen, die Blumen gießen.

Kleine Gesten haben die Kraft, Missverständnisse zu entwaffnen. Sie schützen uns vor Empfindlichkeiten und zu hohen Ansprüchen. Sobald sich eine Geste mit Dankbarkeit paart, hat sie die Fähigkeit, uns durch Alltagsstürme zu tragen.

Ein Butterbrot voll Liebe

Jeden Morgen richte ich für meine Kinder und meinen Mann eine Brotdose her. Ja, es ist gesünder und kostengünstiger als ein gekaufter Snack, aber es ist auch eine Tupperdose voller Zuneigung. Ein Zettel mit „Du schaffst das“ oder „Ich denke an dich“ oder mit Herzchen signalisiert, dass wir auch während des Arbeitstages miteinander verbunden sind und er lässt mich wissen, dass es ihm gefällt. Wieso sonst sollte ich mir die Brotschmiererei im schlaftrunkenen Zustand antun?

Bleibt authentisch!

Wenn ich mich ständig verbiegen muss, damit mein Partner sich wertgeschätzt weiß, wird die Ehe zur Last. Die kleinen Gesten müssen nicht eingeübt und trainiert werden, sie schlummern in uns, vielleicht müssen sie nur wachgerüttelt werden. Aufmerksamkeiten lassen sich leicht in den Alltag integrieren, wenn sie authentisch sind.

Es fällt mir leicht, meinem Mann körperliche Zuneigung zu schenken, aber es würde mir schwerfallen, mich für Fußball und Stadionbesuche zu begeistern. Der andere wird es sowieso spüren, wenn man etwas ungern tut. Als ich ein Kind war, sagte meine Oma: „Wenn du nicht gern teilst, brauchst du überhaupt nicht zu teilen.“ Ich habe mir dann immer überlegt, wie ich trotz des Teilens freudig aussehen kann. Es geht nicht! Ein Geschenk muss von Herzen kommen, damit es sich im Gesicht widerspiegelt. Ja, und manchmal gibt es die Momente, die man für sich alleine haben möchte. Für diesen Fall hat mein Mann ein kleines Snacklager in seinem Kleiderschrank und ich trockne meine Fruchtgummiteile in meinem Bücherregal, bis sie hart wie Bonbons sind. (Das muss man im Verborgenen tun, sonst futtern die Kinder alles weg.)

Das Aufzählmonster

Kleine Aufmerksamkeiten entfalten sich durch Dankbarkeit und verkümmern durch Vorhaltungen: Es gibt Zeiten, da ist man nicht so aufmerksam, vielleicht weil Stress bei der Arbeit herrscht oder weil man Ärger mit den Nachbarn hat oder weil man körperlich erschöpft ist. In diesen Phasen investiert einer von beiden mehr in die Beziehung. Wenn man jetzt anfängt aufzuzählen, was man schon alles getan hat und wie viel man für den anderen opfert, dann entfesselt man das Aufzählmonster. Es hat die Macht, aus Kleinigkeiten Konflikte zu erschaffen. Plötzlich nervt alles! Zu lautes Einatmen. Zu lautes Ausatmen. Der Schlüssel wird nicht an den gewohnten Platz abgelegt, im Auto rieseln Krümel über die Sitze oder die Spülmaschine wird nicht effektiv eingeräumt. Im gleichen Maß, wie uns Kleinigkeiten erfreuen, können sie uns ärgern. In diesen Momenten müssen wir innehalten, durchatmen und uns dem Aufzählmonster in den Weg stellen. Wir werden kaum die Energie und Kreativität haben, uns etwas Außergewöhnliches für den Partner zu überlegen. Umso besser, wenn wir auf ein Repertoire aus Aufmerksamkeiten zurückgreifen können.

Der Partner ist genervt? Ich gebe ihm Möglichkeiten, sich zurückzuziehen.

Der Partner ist gehetzt? Ich umarme ihn ganz fest.

Der Partner ist entmutigt? Ich bete mit ihm.

Vom Sekundengeizhals zum Zeitschenker

Viele Unglücke passieren, weil man denkt, man hätte nicht genug Zeit. Man hastet durch den Alltag, drängelt sich durch den Verkehr und verbrennt sich am heißen Kaffee den Mund in dem Glauben, dadurch ein paar Sekunden zu sparen. Aus den gleichen Gründen verlieren wir unsere Aufmerksamkeit. Keine Zeit für den Abschiedskuss, weil ein Termin ansteht? Keine Zeit, dem Partner einen gesegneten Tag zu wünschen, weil das Kind quengelt? Die kleinen Aufmerksamkeiten kosten uns nur einen Augenblick und jeder Tag besteht aus wenigstens 16.000 Augenblicken. Wir dürfen nicht zum Sekundengeizhals mutieren. Lasst uns am Tag zehn Minuten Zeit nehmen, die wir in überlegten Portionen an unseren Partner verschenken. Vier Augenblicke, um sich zu umarmen. Zehn Augenblicke, um zwei Cappuccinos zu kochen. Zwei Augenblicke für den Gute-Nacht-Kuss.

Alles, was wir als wichtig erachten, wurde uns geschenkt: Leben, Zeit, Liebe, Beziehungen, Familie, Talente, Hoffnung. Wir sind Beschenkte. Wir dürfen großzügig sein mit unserer Aufmerksamkeit, mit Dank und Lob. Ja, und manchmal schlüpft aus unseren Hirnwindungen eine außergewöhnliche Idee, wie wir unseren Partner auf ganz besondere Weise mit unserer Liebe überraschen können.

Susanne Ospelkaus lebt mit ihrer Familie in Zorneding bei München, bloggt unter susanne-ospelkaus.com und arbeitet als Ergotherapeutin.

Hoffen, wo es nichts zu hoffen gibt

Er will sich trennen, hat sogar schon eine andere. Sie will an der Ehe festhalten und ihn weiterlieben. Kann das gut gehen? Die amerikanische Bloggerin Shauna Shanks hat ein Buch über den Kampf um ihre Ehe geschrieben. Von Christof Klenk

„Könntet ihr nicht mal das Thema Scheidung und Trennung in eurer Zeitschrift aufgreifen?“, fragt eine Leserin. Ja, wir tun das regelmäßig. Immer wieder erscheinen im Partnerschaftsteil von Family und FamilyNEXT Artikel, die sich mit dem Scheitern von Ehen befassen. Wir sind der Überzeugung, dass Familien, die eine Trennung erleben, derart einschneidende Veränderungen durchmachen, dass sie jede Hilfestellung, jeden Rat, jeden Erfahrungswert von anderen brauchen können. Manchen ist zu wenig davon in Family und FamilyNEXT zu lesen, anderen ist das eher zu viel. Sie erinnern uns daran, dass es doch die Aufgabe einer christlichen Familienzeitschrift sein müsste, Ehen zu stärken und zu fördern. Ja, das sehen wir als elementare Aufgabe von Family und FamilyNEXT. Wir wollen das eine tun und das andere nicht lassen. Manchmal fallen Trennung und Erneuerung in einer Ehe zusammen. Die Geschichte von Shauna Shanks, festgehalten in ihrem Buch „Ich muss verrückt sein so zu lieben“, ist ein Beispiel dafür. Sie wirft spannende Fragen auf: Inwieweit können die Worte der Bibel und die Beziehung zu Gott helfen, wenn eine Ehe zu scheitern droht? Kann die Liebe wirklich alles (er)dulden (1. Korinther 13)? Warum scheitern viele Ehen trotz aller guten Ansätze?

HARTE BOTSCHAFT

Kurz vor dem zehnten Hochzeitstag erklärt Shaunas Mann Micah, dass er aus der Ehe aussteigen will. Die Mutter von drei Söhnen hat überhaupt nicht damit gerechnet. Sie schildert die Situation recht eindrücklich in ihrem Buch: „Unsere Beziehung lief gut, dachte ich. Natürlich war unsere Ehe nicht perfekt. Aber wer führt schon eine perfekte Ehe? Doch als Micah dann zu reden begann, traute ich meinen Ohren nicht. Zuerst lachte ich und war mir sicher, dass er sich einen Spaß mit mir erlaubte. Dann weinte ich. Micah erklärte allen Ernstes, dass er nicht mehr mit mir verheiratet sein wollte. Während er redete, verschwand mein geliebter Mann vor meinen Augen. An seine Stelle trat ein Fremder, böse und kalt, berechnend und gefährlich.“ Er sei nicht glücklich mit ihr, fände sie nicht mehr attraktiv und wolle nicht mehr mit ihr zusammen sein. Ja, er ist sich sogar sicher, dass er sie nie geliebt hat.

Für Shauna bricht eine Welt zusammen. Nicht nur die Sicht auf ihren Mann verändert sich, auch ihr Selbstbild zersplittert. Sie hat eine schlaflose Nacht, in der die gläubige Frau mit dem vernichtenden Urteil ihres Mannes ringt und bei ihrem Gott Halt sucht. „Bitte, Gott, gib mir irgendetwas!“, fleht sie. Und sie hat den Eindruck, dass Gott tatsächlich zu ihr redet und ihr drei Wörter sagt: „Halte durch. Hoffe.“

Shauna fühlt sich an eine berühmte Stelle im ersten Korintherbrief erinnert. „Die Liebe ist langmütig und freundlich … sie erträgt alles, sie glaubt alles, sie hofft alles, sie duldet alles.“ Diese Passage aus dem 13. Kapitel des Briefes ist als „Hoheslied der Liebe“ bekannt und für die verzweifelte Ehefrau sind die Worte zugleich Anweisung und Verheißung. Sie will alles ertragen und erdulden, was auf sie zukommt, und auf eine Wende hoffen, auch wenn es eigentlich keine Anzeichen für eine Besserung gibt. Wobei ihr der erste Teil leichter erscheint als der zweite: „Micahs Entschluss stand fest. Er wollte mit mir nichts mehr zu tun haben. Besser wäre es, mich zu verschließen, mein Herz zu schützen, Micah gegenüber unempfindlich zu sein. … Hoffnung. In meiner hoffnungslosen Situation eine riskante Haltung. Dennoch versprach ich Gott: Ich will es versuchen.“

DER „LIEBESFILTER“

In Tagen, Wochen und Monaten danach beginnt sie, um ihre Ehe zu kämpfen. Micah betont zwar ständig, dass er sie verlassen will, dass er sie nicht liebt, ja er eröffnet ihr sogar, dass er eine andere hat, doch er bleibt erst einmal im Haus wohnen – angeblich wegen der Kinder. Einem Freund berichtet er, dass er „seine Optionen abwägen“ würde.

Dass sie nur noch eine Option ist, trifft Shauna hart, aber sie versucht sich von Micahs ständigen Feindseligkeiten nicht runterziehen zu lassen, ihm geduldig zu begegnen und ihn weiter zu lieben. Die Liebe, die in 1. Korinther 13 beschrieben wird, kennt keinen Zorn, sie ist nicht nachtragend, sondern immer geduldig und gütig, sucht nicht den eigenen Vorteil. Die Worte aus der Bibel setzt sie ein wie einen Filter: „Entsprach eine Reaktion (von mir) der Liebesdefinition aus 1. Korinther 13, dann wurde sie durchgelassen; wenn nicht, hielt ich sie zurück. […] Wenn mir Sätze auf der Zunge lagen, die nicht freundlich, geduldig und hoffnungsvoll, sondern destruktiv und gemein waren, dann sprach ich sie nicht aus, egal wie Micah sich mir gegenüber verhielt. Das wurde zu meinem Lebensstil.“ Shaunas Geschichte kann durchaus zwiespältige Gefühle auslösen. Auf der einen Seite kann man sie für ihr Durchhaltevermögen, Gottvertrauen und ihre Hingabe bewundern. Auf der anderen Seite erscheint ihr Handeln doch recht naiv. Kann man die Worte aus 1. Korinther 13 in so einer Situation wortwörtlich nehmen? Müsste Shauna dem Mann, der sie betrogen hat, nicht einen Tritt in den Hintern geben, statt ihn mit Liebe zu pampern? Bei genauerem Hinsehen wird jedoch klar, dass Shaunas Reaktionen nichts mit Unterwürfigkeit, Passivität oder Einfalt zu tun haben, denn sie ist sich sehr wohl bewusst, dass ihr Verhalten nicht den Wünschen ihres Mannes entspricht. Indem sie seiner Verachtung mit Wertschätzung begegnet, erteilt sie ihm nicht die Legitimation für sein Handeln, die er sich erhofft hat. Hätte sie ihn mit Vorwürfen überhäuft, beschimpft und beleidigt, wäre ihm der Ausstieg aus der Ehe sicherlich leichter gefallen. Sie macht deutlich: „Was aber stattdessen von ihm verlangt wurde, war beinahe noch schlimmer: Er musste die Gnade ertragen, die ihm entgegengebracht wurde und die er nicht verdient hatte.“

Shauna Shanks mit ihrem Mann bei einer Autorenlesung in Würzburg.

Wie geht die Geschichte nun aus? Man ahnt, dass ein christliches Buch über Hoffnung und Liebe nicht im Desaster endet, insofern ist es sicherlich kein Spoiler, dass ich oben schon angedeutet habe, dass die beiden wieder zusammenkommen. Micah beendet die andere Beziehung, beginnt sich wieder auf seine Frau einzulassen und die beiden besuchen ein Eheseminar. Es ist spannend zu lesen, wie Shauna das Ganze durchhält, warum Micah so handelt, wie er handelt, und wie die Ehe Erneuerung erfährt. Die Lektüre des Buches lohnt sich also auch, wenn man weiß, wie es ausgeht.

NUR RICHTIG GLAUBEN?

Hinter der Geschichte steckt aber sicher noch eine ganz andere, fast noch wichtigere Frage: Ist die Autorin überzeugt, ein Allheilmittel für Ehen gefunden zu haben? Muss man nur richtig beten, lieben und hoffen? Sollten Menschen, die mit schwierigen Partnern verheiratet sind, mit notorischen Ehebrechern, mit Suchtkranken oder mit Leuten, die psychische und körperliche Gewalt ausüben, einfach durchhalten und um ihre Ehe kämpfen? Shauna Shanks hat dazu eine eindeutige Meinung: „Mangelt es an Glauben, wenn Ehen scheitern? Es ist mir sehr wichtig, zu betonen: Alles, was ich hier erzähle, ist ausschließlich meine Geschichte. Mir hatte Gott gesagt, dass ich durchhalten und an meiner Ehe festhalten sollte. Vor Kurzem musste ich mitansehen, wie die Ehe meiner Freundin zerbrach. … Ihr Mann hatte schon lange eine heimliche Beziehung mit einer anderen Frau. Meine Freundin fand es heraus und die beiden machten eine Ehetherapie. Der Mann behauptete dann, die Beziehung beendet zu haben, aber ein paar Monate später stellte sich das Gegenteil heraus. … Niemals würde ich auf den Gedanken kommen, dass diese Beziehung nicht gerettet werden konnte, weil meine Freundin zu wenig Glauben hatte. Bei meiner Freundin sah der Gehorsam Gott gegenüber jedoch ganz anders aus. In ihrem Fall war es richtig, dass ihre Ehe gelöst wurde.“

Ich bin froh, dass die Autorin hier so eindeutig Stellung bezieht, denn die Liebe und die Hoffnung, von denen Paulus im Korintherbrief spricht, hat nichts mit einem Zukleistern der Wahrheit zu tun. Es gibt Menschen, die viel zu lange in schädlichen Beziehungen leben. Wenn darunter auch noch Kinder zu leiden haben, kann unsere Botschaft nicht lauten: „Erdulde und ertrage alles. Halte um jeden Preis an deiner Ehe fest. Das wird schon wieder!“

INDIVIDUELL UND DOCH BEISPIELHAFT

Aber inwieweit kann die Geschichte von Shauna Shanks nun beispielhaft sein, wenn sie ihr Festhalten an der Ehe mit dem persönlichen Hinweis von Gott begründet? Letztlich glauben Christen, dass Gott durch die Bibel zu ihnen redet. Insofern kann sich jeder von 1. Korinther 13 angesprochen fühlen, egal, ob die Ehe nun gut oder schlecht oder so mittelmäßig läuft.

Ich bin sicher, dass der „Liebesfilter“, von dem Frau Shanks schreibt, tatsächlich einen Unterschied macht. Suche ich nach meinem eigenen Vorteil oder möchte ich das Beste für meine/n Partner/in? Reagiere ich kleinlich und misstrauisch auf alles, was mein Gegenüber sagt und tut, oder entscheide ich mich für eine grundsätzlich großzügige und liebevolle Haltung? Kann ich Fehler, verletzendes Verhalten und falsche Entscheidungen vergeben, oder schreibe ich innerlich mit, um alles bei der passenden Gelegenheit wieder auftischen zu können?

An den schlechten, stressigen und schwierigen Tagen ist diese Haltung alles andere als naheliegend und muss hart erkämpft werden, aber gerade dann kommt es darauf an. Klingt unrealistisch, übermenschlich? Absolut! Genau das ist die Erfahrung, die Shauna Shanks gemacht hat. Sie schreibt dazu: „Meine Liebe kam von Gott, es war Gottes Liebe, die ich empfing und weitergab, und sie war anders als menschliche Liebe. … Diese überwältigende, bedingungslose Liebe, die ich für Micah spürte, ließ mich ahnen, wie groß die Liebe sein muss, mit der Gott mich – und jeden anderen Menschen – liebt.“

 

Foto: Matt Day

Christof Klenk ist Redakteur bei Family und FamilyNEXT.

Shauna Shanks ist Autorin und Bloggerin (www.shaunashanks.com). Sie hat drei Söhne und lebt mit ihrer Familie auf einer Farm in Ohio. Ihr Buch „Ich muss verrückt sein, so zu lieben“ ist im Brunnen Verlag Gießen erschienen