Mein Geheimnis

Eine Partnerschaft erfordert grenzenlose Offenheit, oder etwa nicht? Jörg Berger erklärt, was Sie Ihrem Partner verschweigen dürfen.

Lisa und Ben sitzen auf einem roten Sandsteinblock. Sie blicken über den Neckar hinweg auf die Altstadt und das Schloss. Lisa kommt auf einen verhängnisvollen Gedanken: „Wie wäre es, wenn wir reinen Tisch machen, bevor wir heiraten? Jeder erzählt dem anderen, was vor unserer Beziehung alles gelaufen ist.“ Es gibt einiges zu berichten. Als das Licht der Straßenlaternen im Wasser glitzert, frösteln Lisa und Ben. Sie haben einander vieles gebeichtet: einen Abend mit Alkohol, der fast in einem One-Night-Stand geendet hätte; eine große Liebe, die sich abgewandt hat; eine Beziehung, die nur deshalb ein paar Monate hielt, weil es körperlich so gut gepasst hat.

Lisa verabschiedet Ben so wie immer, aber er kommt ihr plötzlich wie ein Fremder vor. Als Lisa am nächsten Morgen aufwacht, ist sie wie betäubt. Die Bilder von dem, was Ben erzählt hat, gehen ihr nicht mehr aus dem Kopf. Sie entwickeln sich zu immer neuen, schmerzhaften Szenen. Das Taubheitsgefühl hält über Wochen an. Lisa hat für nichts mehr Antrieb, sie ist bedrückt und kann sich über nichts mehr freuen. Schließlich bittet sie Ben, den geplanten Hochzeitstermin zu verschieben.

Offenheit und Ehrlichkeit gehören zur Liebe. Offenheit lässt Nähe entstehen, Ehrlichkeit schafft Vertrauen. Aber die Liebe braucht auch den Gegenpol, der ein Paar vor Überforderung schützt: ein Taktgefühl, das nicht jede Tatsache ans Licht zerrt, ein Gespür für die Schamgrenzen – die eigenen und die des geliebten Menschen. Offenheit und Verhüllen, Wahrheiten zumuten oder taktvoll übergehen – mal gebietet die Liebe das eine, mal das andere. Es gibt eine überfordernde Offenheit, die einer Partnerschaft schaden kann. Nicht jeder Mensch kann jede Wahrheit verkraften. Was man in früheren Beziehungen erlebt hat, wen man außer dem Partner noch anziehend findet, wie es einem mit den Macken des anderen geht – nicht alles ist für die Ohren des anderen bestimmt. Dies betrifft vor allem die folgenden vier Themen: Sexualität, die Fehler des Partners, Fremdverliebtheit und Süchte.

Sexuelle Erfahrungen aus der Vergangenheit

Das einführende Beispiel veranschaulicht, welche Komplikationen beim Thema Sexualität auftreten können. Oft will ein Ehepartner gar nicht genauer wissen, welche Erfahrungen der andere vor der Ehe gemacht hat. Dann darf das Thema ruhen. Wer mehr wissen will, sollte seine Motive prüfen. Wenn man vor allem Beruhigung sucht, wird die Frage nach Vorerfahrungen zum Roulettespiel: Die Antwort kann beruhigen oder auch lange quälen. Ein Mittelweg kann darin bestehen, sich abstrakt mitzuteilen: „Es gab Intimität zwischen uns, aber wir haben nicht miteinander geschlafen.“ Details setzen sich als Bilder im Kopf des Partners fest und schaden mehr, als eine Aufklärung nützen könnte.

4 Kommentare
  1. Anonym sagte:

    Hallo Herr Berger,
    vielen Dank für Ihren Artikel. Sicher haben sie viel Erfahrung mit Paargesprächen und haben schon einiges diesbezüglich erlebt.
    Allerdings bin ich der Meinung, dass wenn man heiratet, dass es EINE Beziehung ist die man ein Leben lang versprochen hat. Es ist auch für einen Mann möglich, mit seinen Augen einen Pakt abzuschließen und ihnen zu sagen: Ich werde keine andere Frau ansehen (siehe Hiob). (Ansehen bedeutet für mich: Zum einen sexuelle Gedanken, sich zu sehr mit ihr beschäftigen oder lange Unterhaltungen ect)
    es gibt noch weitere Bibelstellen die auf die absolute Treue in einer Ehe hinweisen.
    Sicherlich ist es schwierig nach Ehehbruch das zerrüttete aufzurichten. Allerdings ist meine Meinung: Wenn man schon nicht in der Lage war sein Versprechen zu halten, dann sollte man doch wenigstens fairerweise dem Partner die Möglichkeit geben entscheiden zu dürfen ob er die Ehe beenden möchte oder nicht. Denn das würde ihm zustehen.
    Wenn man das nicht übers Herz bekommt, dann ist das nach einem Ehebruch die nächste egoistische Verhaltensweise dieser Person. Und Egoismus in einer Ehe passt meines Erachtens nicht.
    Für mich geht es in meiner Ehe um meinen Partnerr, nicht um mich. Und dem gebührt so viel Respekt, dass er respektvoll und ehrlich behandelt werden soll. Wenn ich nicht in der Lage bin mich zu beherrschen, dann muss ich auch die Konsequenzen tragen. Es wäre nicht fair Geheimnisse zu haben und die weitere Ehe auf einem Lügenhaus zu bauen.
    Das weiß ich mit ganzer Gewissheit, dass das nicht Gottes Wille ist.

    Ich habe noch keine Erfahrungen mit Ehebruch. Aber wenn es geschehen sollte, möchte ich selbst entscheiden ob ich diese Ehe weiterführen möchte. Das wünsche ich auch meinem Partner.

    Gott möchte absolute Treue- wie er auch echte Nachfolge möchte. Nichts dazwischen.

    In diesem Sinne

    Grüße

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    • MsX sagte:

      Ich habe den Artikel in der Zeitschrift gelesen und ich bin sehr nachdenklich geworden. Vor allem, weil ich derzeit in einer Situation bin, in der ich überlege, was ich meinem Partner alles sage bzw. was ich mir konkret von ihm wünsche (z.B. dass er eben keine anderen Frauen im Zimmer hängen hat). Ich muss allerdings sagen, dass ich nicht mit allen angesprochenen Punkten im Artikel übereinstimme. Ich bin auch der Meinung, dass man die Vergangenheit nicht immer wieder aufrütteln muss, dass man Dinge auch mal liegen lassen muss. Aber wenn wir wirklich anfangen, dem anderen Dinge zu verschweigen, die mit unseren Gefühlen zu tun haben und mit unserer Sexualität, dann ist für mich die Beziehung nicht mehr viel wert. Ich stimme hier auch sehr dem Schreiber des ersten Kommentars zu. Die Beziehung in einer Ehe lebt vor allem von Ehrlichkeit und nicht von Geheimnissen. Was passiert mit unseren Ehen, wenn wir systematisch anfangen, uns Dinge zu verschweigen? Ich hoffe, dass die Leser in diesem Artikel nicht den Anlass sehen, das unter den Teppich zu kehren, was geklärt werden müsste um die Beziehung zu retten oder Hindernisse aus dem Weg zu räumen. Und ich hoffe, dass sie das, was sie vielleicht verschweigen wollen, mit Gott absprechen, sodass er ihnen das, was angesprochen werden muss, aufs Herz drückt und das, was nebensächlich ist, aus ihren Gedanken nimmt.

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  2. G.R. sagte:

    Hallo Herr Berger,
    ich habe auf der Titelseite den Hinweis zu Ihrem Artikel entdeckt und konnte nicht widerstehen gleich mal „drüberzulesen“, später habe ich mir dann Zeit genommen, ihn genauer zu studieren.
    Ich kann Ihre Absicht gut verstehen, Paare zu ermutigen dem Gegenüber nicht immer schonungslos das um die Ohren zu hauen, wo fehlerhaftes Verhalten Last auf eine Beziehung legt. Schließlich beginnt in solchen Momenten eine Achterbahn in Herz und Hirn, die erst einmal wieder sortiert werden will. Und gleichzeitig geht vieles zu Bruch in diesem Wirbelsturm: Vertrauen in den liebsten Menschen auf dieser Erde, der Schutzraum der Intimität, schlimmstenfalls sogar die Liebe, weil der Schmerz der Verletzung zu groß ist. Das ist alles sehr schlimm und es wird ein langer und mühsamer Prozess erforderlich, wenn solch eine Beziehung wieder heil werden soll.
    Hier komme ich jedoch zu dem Punkt, an dem ich gerne einen Schritt weiter gehen möchte. Paare, die mit Gott und dem Glauben nichts am Hut haben, können den wohl so nicht mitgehen. Aber Sie wenden sich zum Teil ausdrücklich an christliche Paare – das sind meinem Verständnis nach Paare, die in einer persönliche Beziehung zu Jesus Christus leben. Und an dieser Stelle weitet sich für mich der Horizont.
    Christliche Paare glauben an den einen souveränen Gott, der alle Macht hat – im Himmel und auf Erden. So hat Er auch alle Macht über eine aussichtslose, verzweifelte, zu tiefst schmerzhafte, schuldbeladene Situation in einer Ehe. Und deshalb ist er auch die Adresse, an die wir uns mit dem ganzen Durcheinander wenden dürfen und sollen. Wichtig ist natürlich, dass beide Partner das in großer Aufrichtigkeit und mit dem tiefen Bedürfnis nach Heilung tun. Jesus Christus hat uns den Weg freigemacht Schuld zu erkennen, zu bekennen und zu vergeben. Vergeben heißt nicht vergessen und Wunden heilen nicht von heute auf morgen. Heilung braucht viel Pflege und das ist richtig anstrengende Arbeit.
    Meine Erfahrung ist, dass es für unser Leben kein besseres Konzept gibt, als das, was Gott uns in der Bibel sagt. Wenn wir lernen uns und unser Verhalten daran zu orientieren, kann unser Leben nur gelingen. Oft scheitern wir dabei – schließlich sind wir ganz Mensch. Aber wir dürfen uns immer wieder unter das Kreuz flüchten – und Jesus gestattet uns jedes Mal wieder einen Neuanfang.
    Gott sagt uns in seinem Wort, dass ein Mann und eine Frau ihr Leben miteinander leben sollen. Nun kann man sich ja ganz gut arrangieren, perfekt nebeneinanderher funktionieren – dann stört auch ein Geheimnis oder eine verdrängte Wahrheit nicht sehr. Wenn man aber wirkliche, innige, aufrichtige Gemeinschaft als Paar leben möchte, dann wird es unrund, wenn der Eine oder der Andere seinem Gegenüber das verschweigt, was das Miteinander belastet. Denn es belastet – auch wenn es unausgesprochen bleibt. Über die Details bei einem „Geständnis“ denke ich ähnlich wie Sie – da ist sicherlich weniger hilfreich. Es soll ja auch nicht darum gehen noch mehr Steine auf den Weg zueinander zu schaffen, sondern in behutsamer Verantwortungsbereitschaft den Weg frei zu machen von allem, wo man aneinander schuldig wurde und unserem großen Gott zuzutrauen, dass er Heilung schenken kann, wo wir keinen Weg mehr erkennen um sich so in unserem Leben zu verherrlichen.
    Gott liebt die Wahrheit, er hasst die Unwahrheit. Und haben wir es nicht alle schon oft erlebt, dass selbst die bestgehütetsten Geheimnisse irgendwann ihren Weg ans Licht finden? Für mich ist da der aufrichtige, wenn auch weitaus schmerzhaftere und arbeitsintensivere, Weg doch die bessere Wahl. Schließlich müssen denen, die Gott lieben alle Dinge zum Besten dienen. Also gewinnen wir ja auch daraus – jeder für sich in seiner Person, aber auch und gerade als Paar.

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  3. V.W. sagte:

    Hallo Herr Berger,

    ich habe ihren Artikel gelesen und er hat mich sehr ins Nachdenken gebracht. Bisher konnte ich jeden Artikel von ihnen mehr als unterstreichen, diesen jedoch nicht.
    Ich bin ehrlich gesagt etwas geschockt von einigen Aussagen. Vor allem der Teil über das „Sich außerhalb der Ehe verlieben etc.)

    Mein Mann und ich haben uns versprochen gleich zu Beginn darüber zu reden, falls sich jemand von uns in jemand anderen verliebt oder jemand anders einem im Kopf rumschwirrt. Wir sind mit dieser Ehrlichkeit sehr gesegnet, erleben es als unglaublich vertrauensaufbauend und wie eine Art Schutz. Wir haben mehrfach erlebt, dass genau diese Ehrlichkeit dazu geführt hat, dass nichts weiter daraus wurde sowie wir beide enger zusammenkamen dadurch. Natürlich gibt es Dinge, wie beispielsweise das Aufarbeiten einer Sucht, die bei einem Therapeut oder Mentor gut aufgehoben sind, jedoch glaube ich, dass der Austausch grade über diese „heiklen“ Themen (verlieben außerhalb der Ehe etc.) in einer Ehe unglaublich wichtig ist.
    Ich frage mich, ob man ihre Aussagen vllt nicht auf alle Paare beziehen kann/sollte bzw. man die jeweilige Beziehung individuell anschauen muss mit ihrer Geschichte, Charakteren…, um dann Aussagen über Geheimnisse etc. machen zu können.
    Uns jedenfalls tut es sehr gut zu wissen, dass wir „alles“ voneinander wissen. So können wir auch gemeinsam für Dinge beten und erleben uns als Zwei in einem Boot, die gemeinsam gegen potenzielle Aufkommnisse kämpfen.
    Zudem: Wenn man sich darauf einigt, dass man gewisse Dinge nicht erzählt, hätte ich ja nie die Gewissheit, dass jetzt alles ok ist. Ich muss/könnte immer davon ausgehen, dass mein Mann vllt grade was durchmacht, was ich nicht weiß. Komisches Gefühl… Wie will man da gelassen sein und sich gelassen in allem begegnen?

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