Eine ältere Frau, die lacht.

Midlife Queen

Die Hälfte des Lebens ist schon vorbei? Falsch: Die Hälfte des Lebens liegt noch vor dir! Eine Ermutigung, nach der Kinderphase durchzustarten. Du bist eine Midlife Queen!

Deine To-do-Liste ist immer zu lang und nie abgearbeitet? In deinem Körper zwickt und zwackt es? Dinge, die früher einfach von der Hand gingen, fallen dir plötzlich schwer? Deine Emotionen gleichen verdächtig denen einer Teenagerin – in ihren Schwankungen und ihrer Intensität? Deine Gedanken kreisen weniger um die Kids und mehr um dich und das, was du brauchst und dir wünschst? Und ganz ehrlich: Manchmal fühlst du dich wie ein anderer Mensch? Schwester, ich sage dir: Eine neue Ära bricht an! Ich nenne sie Halbzeit. Und ich feiere diese Zeit so sehr. Darf ich dich anstecken?

Was heißt Halbzeit? Eine Zeit mit einschneidenden Veränderungen in der Mitte des Lebens. Und eine Phase, über die sehr wenig gesprochen wird. Wenn man heiratet, ist es klar, dass man etwas Neues beginnt. Bevor man Kinder bekommt, wird man gewarnt, instruiert, er- (oder ent-)mutigt. „Jetzt kommt eine schwere, aber schöne Phase“, sagten uns viele Menschen vor der Geburt unserer ersten Tochter. Midlife hingegen beginnt schleichend. Wir sind weniger vorbereitet.

Jongleurin mit zu vielen Bällen

Mich hat es in vielem kalt erwischt. Es begann mit körperlichen Veränderungen um den 40. Geburtstag herum. Dazu kam die Verdichtung des Lebens mit mehr Verantwortung in einer größeren Anzahl an Bereichen. Ergänzt durch eine neue Lust auf Vorwärtskommen im Beruf. Ich begann mich zu fragen: Wann, wenn nicht jetzt? Dazu kam eine Dekonstruktion in meinem Glauben, ein Leben mit Rückenschmerzen … Es fühlte sich ein bisschen so an, als wäre ich eine Jongleurin mit deutlich zu vielen Bällen. Immer in der Gefahr, einen fallen zu lassen oder zwei. Ich bin ehrlich mit dir: Oft hat es sich angefühlt, als würden mir gleich alle Bälle entgleiten. Mein Leben wurde mir fast zu viel.

Ich begann, andere Frauen in meinem Alter zu befragen. Außerdem arbeitete ich mich tiefer in die Thematik ein. Mir hilft es, Dinge zu wissen, und so las ich verschiedene Bücher und abonnierte mehrere Midlife-Podcasts. In mir wuchs der Wunsch, Hilfestellung für diese Jongleurinnen anzubieten. Ich war mir nicht sicher, ob diese Frauen Zeit für einen weiteren „Ball“ hatten. Aber trotzdem entwarf ich mutig ein 9-Monate-Programm für Frauen ab 40, das in kürzester Zeit ausgebucht war. Diese mutigen Halbzeitlerinnen waren tatsächlich bereit, in ihren Aufbruch Zeit und Geld zu investieren. 33 Frauen machten sich auf eine Veränderungsreise in diversen Lebensbereichen und Lebensfragen. Im Jahr danach führten wir den Kurs gleich noch mal durch und sind gerade mit faszinierenden weiteren 27 Frauen unterwegs. Darf ich dir ein Geheimnis verraten? Wenige Dinge in meinem Leben haben mir so viel ungetrübte Freude bereitet wie das gemeinsame Unterwegs-Sein mit diesen Frauen. Ich durfte so unglaublich viel über Midlife-Frauen lernen.

Lustig, frech und wortgewandt

Die Gesellschaft hat noch keine wirklich passenden Bezeichnungen für diese Frauen gefunden. Dr. Sheila de Liz hat ihr Buch über die Wechseljahre „Women on Fire“ genannt (Hallo Hitzewallungen!). „50 and Fabulous“ heißt ein anderes Buch. In der Presse wird von Wechseljahre-Frauen gesprochen oder Midliferinnen. Ich brauche einen neuen Begriff für meine Halbzeit-Ladies, denn „Frauen ab 40“ rollt so gar nicht flüssig von der Zunge. Bis ich etwas Besseres gefunden habe, nenne ich sie Midlife Queens.

Midlife Queens sind schön und gebildet und lustig und frech und wortgewandt und sie benennen Bullshit. Midlife Queens lassen sich eben nicht ein X für ein U vormachen. Midlife Queens stellen gute Fragen und geben sich nicht mit schnellen Antworten zufrieden. Midlife Queens fühlen sich jung und machen gern noch wilde Sachen. Sie denken weniger über ihre Außenwirkung nach und machen einfach. Midlife Queens haben schon viel Verantwortung getragen, können unglaublich gut Entscheidungen treffen, kennen meist ihre negativen Glaubenssätze und haben sich mit ihrer Vergangenheit auseinandergesetzt. Midlife Queens glauben nicht mehr, sie müssten alle Erwartungen erfüllen, allen Rollenbildern entsprechen. Sie können Grenzen setzen und Nein sagen. Midlife Queens beginnen, Lachfalten zu haben und das macht sie unglaublich attraktiv. Midlife Queens kennen Gott, wissen so viel über ihn, trauen sich aber trotzdem zu sagen, dass er sie oft verwirrt. Midlife Queens lernen Gott noch mehr kennen, neue Seiten an ihm, neue Formen in ihrem geistlichen Leben und das ist wohltuend für die Kirche.

Midlife Queens haben einen Wert in der Arbeitswelt, weil sie Energie haben, Dinge umsetzen können und man nicht mehr befürchten muss, dass sie schwanger ausfallen. Midlife Queens haben weniger Geduld und Frustrationstoleranz und das ist gut so. Midlife Queens kennen ihren Körper und seine Bedürfnisse und manchmal gehen sie darauf ein. Midlife Queens kämpfen sich frei. Midlife Queens haben etwas zu sagen und wollen nicht unsichtbar werden und schon an die nächste Generation übergeben. Midlife Queens fangen an, Dinge zu machen, die sie immer machen wollten. Sie denken über ihre Kindheits- und Jugendträume nach und prüfen die Realität an ihnen. Midlife Queens sprechen Unrecht an und machen nicht mehr alles mit. Midlife Queens brechen toxische Beziehungen ab. Midlife Queens lachen laut und tanzen lange und manchmal baden sie nackt im Meer, weil sich das so frei anfühlt. Midlife Queens sind wütend und voller Erfahrungen und bunt und laut und leise und humorvoll und tief und herzlich und verschenkend und authentisch. Viele dieser Queens wollen einen Fußabdruck auf dieser Welt hinterlassen. Ich liebe eine gute Midlife Queen mit Weltverbesserungspotenzial.

Einfach anfangen

Ich könnte noch stundenlang weiter aufzählen, welche faszinierenden Eigenschaften ich an Midlife Queens beobachte. Stattdessen möchte ich lieber noch zwei Beispiele erzählen:

Simone, eine unserer Teilnehmerinnen, hat lange Jahre mit Ohnmacht gekämpft, wenn sie dem Leid der Welt gegenüberstand. Während einer Flüchtlingswelle wurde ihr wichtig, die Individualität von Menschen zu stärken: Babys und Kinder und Jugendliche sollten eine individuelle, mit Liebe handgenähte Decke bekommen. Und so begann sie, Decken für Geflüchtete zu nähen und teilte ihr Anliegen über eine Facebook-Gruppe mit Interessierten. Immer mehr Menschen machten mit und beschlossen, sich und ihre Begabungen in das Projekt zu investieren. Gemeinsam haben sie in neun Jahren 35.000 handgemachte Decken an Geflüchtete verteilt. Eine Midlife Queen, die einfach anfing, ihre Begabungen einzusetzen, um einzelnen Menschen ein Gesicht und einen Wert zu geben.

Regula, eine weitere faszinierende Teilnehmerin mit einem – wie sie es nennt – „holprigen Start ins Berufsleben und nicht normativen Lebenslauf“, arbeitet seit vielen Jahren als Pastorin. Sie bekam im Midlife das Angebot, Radiopredigerin im schweizerischen Radio zu werden. Das – im Gegensatz zu allen anderen Sprecherinnen und Sprechern – ohne Theologiestudium. Mit dem Selbstbewusstsein einer Midlife Queen stellte sie sich dieser Situation und wir feierten ihre ersten Aufnahmen mit der gesamten Gruppe. Kürzlich meldete sich ein Mann im Anschluss an eine Sendung: Er sei kein Kirchgänger, aber er habe sich sehr angesprochen gefühlt. Diese Frau hat der Welt mit ihren Begabungen in ihren nächsten Jahrzehnten bestimmt noch viel zu geben, auf das wir uns freuen können.

Midlife-Wut

Das ist echte Midlife Power aus unseren Gruppen. Weitere Beispiele fallen mir ein: Schon gewusst, dass es Midlife-Wut-Bücher gibt, wie ihre Autorinnen sie nennen? Veronika Schmidts Bücher über Sex oder Veronika Smoors „Problemzone Frau“! Vogue-Redakteurin Vera Wang wurde mit 40 Brautkleid-Designerin, weil es ihrer Meinung nach keine stilvollen Brautkleider für Frauen in ihrem Alter gab. Rosa Parks stand im Bus nicht auf und löste damit einen Aufstand gegen die Rassentrennung in den USA aus. Ihr Alter? 41. Ich kann mir sehr gut vorstellen, wie sie in echter Midlife-Wut im Bauch dachte: Ich habe genug von dem Sch… – und damit hat sie die Welt verändert!

Ich wünsche mir ein bisschen, dass du nach dem Lesen dieser Zeilen aufspringen und loslegen willst. Dann hätte ich mein Ziel erreicht. Denn ich finde: Die Lebensmitte ist aufregend und eine unglaubliche Chance. Wenn wir erst die Hälfte des Lebens hinter uns haben, dann haben wir noch eine ganz schön lange Phase vor uns. Und das ist eine Phase, in der wir wissen, wer wir sind, was wir wollen und was unser Beitrag ist. Und in der wir der Welt entgegenschreien: „Warte es bloß ab! Es gibt noch eine Million Dinge, die ich noch nicht getan habe. Und ein paar davon werde ich umsetzen.“

Simea Gut arbeitet bei Campus WE, einem Arbeitszweig von Campus für Christus, und als Podcasterin bei Frauthentisch. Sie lebt mit ihrem Mann Dave und zwei Töchtern in Lörrach.