Eine Frau hält ein Kind in den Armen. Das Kind lächelt.

Pflegemutter Christine berichtet: So anstrengend und schön ist es, Eltern auf Zeit zu sein

Christine Gehrig und ihr Mann nehmen regelmäßig Kinder vom Jugendamt für kurze Zeit bei sich auf. Eine Herausforderung, die sich lohnt.

Wenn ich mich morgens an einen Traum erinnern kann, dann sind das in der Regel Bruchstücke eines abstrusen Gebräus. An einem Novembermorgen jedoch erwachte ich mit einem warmen inneren Gefühl, so als würde eine Herdplatte nachglühen. In meinem Traum hatte ich ein kleines, süßes Mädchen in Pflege, das meine vier großen Kinder fröhlich von Schoß zu Schoß wandern ließen. Begeistert sah ich zu.

„Warum träume ausgerechnet ich das? Während der Erziehungsjahre habe ich meine Belastungsgrenzen deutlich gespürt. Ich bin so froh, dass ich wieder Freiräume habe. Wäre ja ein Witz, wenn heute der Pflegekinderdienst anriefe“, ging es mir durch den Kopf, bevor ich zur Tagesordnung überging. Immerhin war die letzte Anfrage des Jugendamtes an uns Pflegeeltern wegen eines Kleinkindes neun Monate her.

Am Nachmittag rief tatsächlich die Frau vom Pflegekinderdienst an: „Ein Notfall. Noch heute müsste ein knapp Zweijähriger für einige Wochen in einer Pflegefamilie untergebracht werden.“ Während einer kurzen Bedenkzeit tigerte ich im Haus auf und ab. Im Traum war es ein Mädchen gewesen. Egal, Kleinkind ist Kleinkind. Beim Rückruf hörte ich mich sagen: „Ja, ich nehme ihn.“

„Ich muss vollkommen durchgeknallt sein“

Auf dem Dachboden wühlte ich das Kinderreisebett hervor und schlug dafür eine Schneise in mein kleines Zimmer. „Ich muss vollkommen durchgeknallt sein, aber wir bekommen nachher einen kleinen Jungen zur Pflege“, begrüßte ich meine jüngste Tochter, als sie aus der Schule kam. „Echt jetzt? Wie cool!“

„Wir bekommen Familienzuwachs“, begrüßte ich meinen Mann, als er hereinschneite. „Ich konnte dich telefonisch nicht erreichen.“ – „Doch nicht etwa noch eine Katze?“ Ich schilderte kurz den Tathergang und freute mich, dass Andreas die Entscheidung akzeptierte.

Schmal und blass kam Florian bei uns an. Ungeahnte Muttergene wallten in unseren beiden Töchtern auf. Die eine sauste zu einer befreundeten Mutter in der Nachbarschaft und borgte Kleidung. Die andere suchte ihre früheren Stofftiere heraus und wurde Florians größter Fan.

Florian bekommt rosige Pausbäckchen

Nachdem ich den Kleinen gebadet hatte, schlief er auf meinem Schoß rasch ein. Er rührte sich auch nicht, als ich ihn ins Bettchen legte. Um halb acht Uhr morgens erst erwachte er. Beim Frühstück griff er zunächst zögerlich zu, dann hörte er nicht mehr auf zu essen. Mein Mann und unsere Söhne trugen ihn immer wieder fürsorglich herum und machten Späßchen mit ihm. Unser Wohnzimmer wandelte sich rasch zur Spiel- und Wickelzone.

So sehr ich einerseits liebgewordene Tätigkeiten und Gewohnheiten einfrieren musste, so froh und stolz war ich andererseits über meine neue Aufgabe. Florian erwies sich nach anfänglichem Heimweh als ausgesprochen robust und lebenszugewandt. Den ganzen November über schien die Sonne, sodass er seinen Mittagschlaf stets im Kinderwagen an der frischen Luft hielt.

In den zehn Wochen seines Aufenthalts bei uns hat er sich sehr verändert, das fiel mir bei den Vorher-Nachher-Bildern auf. „Haben Sie ein neues Pflegekind oder ist es noch dasselbe wie neulich?“, fragte eine Bekannte, weil Florian rosige Pausbäckchen bekommen hatte. Ich bin dankbar, dass ich meine Kräfte für diese Zeit bündeln konnte, doch unmittelbar nach Florians Rückführung zu seiner Herkunftsfamilie erwischte mich die Grippe und wochenlanger Husten. Oft fragten wir uns, was Florian wohl jetzt macht und wie es ihm geht.

War das ein Fehler?

Anfang August wurden wir erneut angefragt, ob wir Florian vorübergehend aufnähmen. Diesmal würde eine Dauerpflegestelle für ihn gesucht. Mir war klar, dass dies unter Umständen viele Monate dauern konnte. Den langen Aufzucht-Atem hatte ich definitiv nicht mehr. Dennoch wollte ich Florian keinen neuen Bezugspersonenwechsel zumuten. So sagte ich Ja und schwankte zwischen Bangen und Zuversicht. Als ich mich in meiner Angst im Gebet bei Gott ausweinte, fragte ich: „War es ein Fehler, dass ich Ja gesagt habe?“ Mir schien, als legte Gott seinen Arm um mich und fragte: „Wie kann es ein Fehler sein, sich um eines meiner Kinder zu kümmern?“

Als Florian leer und erschöpft zu uns gebracht wurde, schlief er wieder ausgiebig. Danach lachte er und tauchte so vertraut ins Familienleben ein, als sei er kaum fortgewesen. Es war eine turbulente Full-House-Ferienzeit. Nach manchem Marathon-Tag meinte ich, abends jeden Knochen zu spüren.

Es heißt Abschied nehmen

16 Tage später: Uns rief eine alte Freundin an, die wir etwa zehn Jahre nicht mehr gesehen hatten. Sie habe an uns denken müssen und würde uns mit ihrem Mann gern besuchen kommen. Überrascht und erfreut sagten wir zu. Die Geschichte mit Florian bewegte die beiden sehr. Sie konnten sich gut vorstellen, seine Dauerpflegeeltern zu werden. Vier Tage später brachten sie ihren elfjährigen Sohn mit, der sehr aufgeschlossen für Florian war.

Das Jugendamt gab sofort grünes Licht. In den nächsten Wochen besuchten wir uns gegenseitig so oft wie möglich. Probehalber übernachtete Florian schon einmal in seiner neuen Umgebung, das meisterte er bewundernswert. Bewundernswert war es auch, wie unsere Freunde ihr Haus komplett umkrempelten, um ein großes freundliches Zimmer für Florian herauszuschlagen.

So schön wie das klingt, so wehmütig fühlte ich mich beim Abschied dann doch. Florian weinte. Aber nur kurz. Mit seiner Aufgeschlossenheit wendete er sich seiner neuen Umgebung rasch zu. Froh stellten wir bei späteren Besuchen fest, dass Florian sich freute, uns zu sehen, aber dass er uns auch leichten Herzens wieder ziehen ließ. Es macht uns ruhig zu wissen, dass es ihm richtig gut geht.

Mit einem Traum hatte das Ganze angefangen. Manchmal sind Träume nicht nur Schäume.

Christine Gehrig ist Familienfrau, Lebe-leichter-Coach und Nordic-Walking-Lehrerin. Sie lebt mit ihrer Familie in Bamberg.