Beiträge

Schutz vor Drogen? Das können Eltern tun

Immer wieder sterben junge Menschen durch Drogenmissbrauch, wie im Juni in Altentreptow. Eltern fragen sich: Was können wir tun, um unser Kind zu schützen? Sicherheit gibt es nicht, aber diese fünf Strategien können helfen, sagt Erziehungsexpertin Daniela Albert.

Dass das eigene Kind in Kontakt mit Drogen kommt, süchtig wird und vielleicht sogar in Folge dieser Sucht verstirbt, ist ein fürchterlicher Albtraum aller Eltern. Meistens schieben wir diese Möglichkeit ganz weit weg und setzen uns erst mit ihr auseinander, wenn es tatsächlich konkrete Hinweise darauf gibt, dass unser Kind auf die schiefe Bahn geraten sein könnte. Doch dann ist es leider oft schon sehr spät, in manchen Fällen zu spät. Suchtprävention beginnt in jungen Jahren.

Eins sei hier jedoch vorweggenommen: Wir Eltern haben niemals zu 100 Prozent in der Hand, wie sich der Lebensweg unserer Kinder entwickelt. Es gibt keine Garantie dafür, dass unsere Kinder niemals Drogen nehmen werden, wenn wir nur alles richtig machen. Letztlich spielen in der Entwicklung unserer Kinder, gerade in den Teenager-Jahren, so viele Unbekannte eine Rolle, dass wir uns von der Illusion verabschieden müssen, dass das eigene Kind vor allen Gefahren gefeit ist und niemals auf dumme Ideen kommt.

Doch ganz machtlos sind wir nicht. Es gibt einige Punkte, mit denen wir zumindest Weichen stellen können.

1. Bindung und Beziehung vor allem anderen

Wenn kleine Kinder von Anfang an verlässlich und liebevoll betreut werden, entwickeln sie Vertrauen in sich und die Welt – sie binden sich sicher an ihre Bezugsperson. Innerhalb dieser Beziehung können sie auch lernen, mit unangenehmen Gefühlen und Situationen umzugehen. Im besten Fall lernen sie von einem zugewandten Erwachsenen, wie sie mit Angst, Frust oder Wut umgehen können. Wenn sie umgekehrt keine verlässlichen Menschen an ihrer Seite haben oder ihre Bindungspersonen sie nicht ernstnehmen, ihre Ängste verlachen, sie wenn sie traurig sind, nicht trösten, sie für Frust oder Wut vielleicht sogar schimpfen und bestrafen, statt ihnen zu zeigen, wie man mit diesen Gefühlen gut umgehen kann, lernen sie nicht, sich selbst zu regulieren. Solche unangenehmen Empfindungen bleiben dann auch im späteren Leben ein Problem, mit dem sie nicht umgehen können. Drogen können hier als Art Ersatz für fehlende Strategien im Umgang mit negativen Gefühlen gesehen werden.

Auch heute hält sich noch hartnäckig das Gerücht, man könnte Kinder verweichlichen, wenn man sie tröstet, sie beruhigt und auf ihre Gefühle eingeht. Das Gegenteil ist jedoch der Fall. Durch unsere Zuwendung lernen sie langfristig, sich selbst zu helfen und Angst, Wut oder Trauer nicht hilflos ausgeliefert zu sein. Deswegen ist es immer richtig, ein weinendes Kind zu trösten, ein ängstliches in den Arm zu nehmen, im Elternbett schlafen zu lassen oder in einer schwierigen Situation zu begleiten. Wut muss nicht bestraft werden, sondern nur begleitet – und zwar so, dass niemand zu schaden kommt.

All das muss natürlich nicht in jeder Situation perfekt umgesetzt werden, sondern nur oft genug gut genug. Es wird immer Situationen geben, in denen uns das weniger gelingt. Solange wir verstehen, dass es grundsätzlich wichtig ist, den Kindern im Umgang mit Gefühlen zu helfen und dass wir sie dadurch nicht verziehen oder verwöhnen, ist schon vieles erreicht.

2. Wertschätzung – du bist gut genug

In unserer Leistungsgesellschaft erwarten wir ziemlich viel von Kindern. Oft fühlen sich schon die Kleinsten eher dadurch beurteilt, was sie können und wie sie nach außen wirken als für das, was sie sind. Suchtprävention ist auch, hier einen Gegentrend zu setzen und den Kindern zu zeigen, dass sie wertvoll sind, ganz unabhängig davon, was sie irgendwo leisten. Kinder müssen von Anfang an erleben, dass sie gewollt und geliebt sind, dass wir ihnen zuhören, dass ihre Worte Gewicht haben und dass sie so sein dürfen, wie sie sind.

Das bedeutet nicht, dass sie der Welt auf der Nase herumtanzen würden, das Thema Grenzen ist ein anderes, sondern nur, dass nicht alle in ein bestimmtes Raster passen müssen und dass wir sie nicht mit unseren eigenen Ansprüchen überfrachten sollten. Stattdessen sollten wir neugierig auf sie bleiben und den Fokus immer wieder auf ihre Stärken legen. Kinder entwickeln so ein gutes Selbstwertgefühl – und das ist ein wichtiger Suchtpräventionsfaktor.

3. Sinnstiftende Lebensinhalte

Hobbys, Ehrenämter, das Eingebundensein in eine positiv erlebte Glaubensgemeinschaft oder einen Verein – all das können ebenfalls Resilienzfaktoren für unsere Kinder sein. Zum einen können sie so gute soziale Kontakte knüpfen und müssen nicht an schlechten Orten nach Anerkennung und Zugehörigkeit suchen. Zum anderen gibt die kontinuierliche Beschäftigung mit etwas, was man gernhat oder indem man vielleicht auch richtig gut ist, gerade in den schwierigen Umbruchjahren der Pubertät Halt und Stabilität.

Hier geht es darum, tatsächlich das Kind und seine Stärken und Vorlieben im Blick zu haben und uns nicht von dem leiten zu lassen, was wir uns vielleicht wünschen würden. Es nützt niemandem, den Klavierunterricht durchzuziehen, wenn das Kind lieber skaten oder zeichnen möchte. Nur eine Beschäftigung, die das Kind selbst gewählt hat, hat auch die Chance, langfristig in seinem Leben eine große Rolle zu spielen.

4. Jugendlichen eine offene Tür bieten

Alkohol, Zigaretten, echt komische Freunde und Musik mit grenzwertigen Texten – ab einem gewissen Alter kann es echt herausfordernd sein, Jugendliche ins Leben zu begleiten. Man möchte ihnen eigentlich ständig sagen, dass das, was sie tun, völlig daneben ist. Viele Eltern entscheiden sich in solchen Phasen dafür, solche Themen auszulagern – die Musik kannst du woanders hören, rauch halt, wir wollen es nur nicht sehen, deine Freunde triff bitte draußen, ich mag sie hier nicht und ich weiß, dass du Alkohol trinkst, aber hier ist das tabu.

Nun hat jede Familie andere Grenzen und niemand sollte seine Werte komplett über Bord werfen, wenn Jugendliche sich selbst austesten und sich dabei schwierig verhalten. Allerdings müssen wir bedenken, dass wir ihnen ab einem bestimmten Alter nicht mehr alles verbieten können – sie werden vieles trotzdem tun. Und gerade wenn wir quasi „wegschauen“ und Themen auslagern, treiben wir unsere Kinder in die Ecken, in denen wir sie eigentlich auf keinen Fall haben wollen. Wenn sich einen 16-jährige mit der Zigarette im Park verstecken muss, wird sie das vielleicht da tun, wo sich auch andere Menschen mit viel schlimmeren Suchtmitteln vor den Augen der Öffentlichkeit verbergen. Besser wäre hier, sich klar zu positionieren und zu sagen, dass man es nicht gut findet, dass sie raucht, aber es erst einmal als ihre persönliche Entscheidung akzeptiert.

Gerade an der kritischen Schwelle zwischen nicht mehr Kind und noch nicht Erwachsen brauchen junge Menschen einen Schutzraum und das kann nur ihr Zuhause sein. Sie müssen wissen, dass sie dort willkommen sind, sogar mit dem komischen Freund, der Musik, auch wenn die Eltern dabei tief durchatmen und mit den Augen rollen – und auch dann, wenn sie richtig Mist gebaut haben. Wenn wir diese Offenheit und diesen Schutzraum nicht bieten, werden sie ihn woanders suchen.

5. Kontrolle und Grenzen

Doch ganz ohne Grenzen werden wir nicht auskommen. Gerade bei jüngeren Teenagern können wir die Dinge nicht einfach laufen lassen. Die Versuchungen sind zu groß, die Tricks derer, die unsere Kinder zum Drogenmissbrauch verführen wollen, immer raffinierter. 13-, 14- oder 15-jährige dürfen sich nicht ohne unser Wissen überall da aufhalten, wo sie wollen. Es ist völlig in Ordnung, gewisse Orte komplett zu verbieten und feste Regeln – wie zum Beispiel Uhrzeiten, zu denen sie zu Hause sein müssen – aufzustellen. Gerade in diesem Alter sind Jugendliche nicht in der Lage die Konsequenz ihrer Handlungen in Gänze abzusehen. Es ist unsere Aufgabe, sie zu schützen. Schützende Verbote, das Intervenieren, wenn sie dabei sind, sich in Gefahr zu begeben und notfalls auch das frühzeitige Einholen von Hilfe von außen, wenn wir den Eindruck haben, etwas könnte richtig schieflaufen, können für sie lebenswichtig sein.

Ich glaube einer der größten Irrwege, auf dem wir uns gesellschaftlich zum Teil befinden, ist die Idee, Teenager könnten bereits allein die Verantwortung für sich übernehmen und wir seien schon bei 14- oder 15-jährigen „raus“. Nein, sind wir nicht. Im Gegenteil, wir sind gefragt wie nie, auch wenn sie nicht mehr ständig in unserer Nähe sein wollen. Es ist an uns, gerade in diesem Alter Begegnungsräume zu schaffen, unser Interesse an ihnen zu zeigen und Teil ihres Lebens zu bleiben!

Daniela Albert ist Autorin und Eltern- und Familienberaterin (familienberatung-albert.de). Sie bloggt unter: eltern-familie.de

Tabuthema: Alkohol- und Medikamentensucht bei Frauen

Überforderung und Traumata sind die häufigsten Ursachen für eine Alkohol- oder Medikamentensucht bei Frauen. Klinikleiter Gotthard Lehner erklärt im Interview, wie eine Abhängigkeit entsteht und wie betroffenen Frauen geholfen werden kann.

Ist Sucht bei Frauen im mittleren Alter ein häufiges Thema im Vergleich zu jüngeren oder älteren Frauen?

Das würde ich jetzt so nicht sagen. Sucht ist in jedem Lebensalter präsent. Die Grenzen zwischen den Altersstufen werden immer unschärfer. Die meisten Frauen, die wir behandeln, sind zwischen 36 und 60 Jahren alt. Die Zahlen sind bei den jüngeren und mittleren Frauen ziemlich konstant. Ältere Menschen hingegen haben häufiger Suchterkrankungen als jüngere Menschen. Zum Beispiel nachdem sie in Rente gegangen sind, weil sie dann ihr Leben wieder neu organisieren müssen. Früher mussten sich Frauen wieder neu definieren, wenn die Kinder aus dem Haus gegangen sind. Heute ist das durch die Berufstätigkeit allerdings kein so großes Thema mehr.

Wovon werden diese Frauen abhängig?

Nach Aussagen der Deutschen Hauptstelle für Suchtgefahren sind 4,5 Prozent der Männer und 1,7 Prozent der Frauen alkoholabhängig. Dann gibt es noch die Medikamentenabhängigkeit. Vor allem ältere Frauen, die häufig über einen längeren Zeitraum Psychopharmaka verordnet bekommen haben, werden medikamentenabhängig. In unserer Fachklinik für suchtkranke Frauen gibt es 60 Plätze. Wir haben immer zwei, drei Frauen mit einer „reinen“ Medikamentenabhängigkeit, bei vielen anderen ist die Medikamentenabhängigkeit mit einer Alkoholabhängigkeit kombiniert. Die Medikamentenabhängigkeit ist eher eine verborgene Sucht: Wenn ich morgens um zehn zu Ihnen komme und Sie um eine Tablette bitte, weil ich Kopfschmerzen habe, dann hoffe ich, dass Sie so nett wären, mir eine zu geben. Aber wenn ich zu Ihnen komme und Sie um zwei Schnäpse bitte, dann würden Sie – ohne mich näher zu kennen – wahrscheinlich meine Bitte ablehnen.

Ist die Medikamentenabhängigkeit also weniger auffällig?

Es wird geschätzt, dass etwa 1,5 bis 1,9 Millionen Personen in Deutschland medikamentenabhängig sind. Zum Vergleich: Laut Bundesgesundheitsministerium sind etwa 1,6 Millionen Menschen alkoholabhängig. Das ist ähnlich viel. Trotzdem werden bei der Deutschen Rentenversicherung deutlich mehr Anträge für die Behandlung alkoholabhängiger Menschen gestellt. Denn Medikamentenabhängigkeit lässt sich, wie schon gesagt, besser verstecken. Bis sie auffällt, dauert es oft lange. Frauen nehmen zum Beispiel auch im Alltag Medikamente, wenn sie ihre Periode haben. Manche gehen dann immer ganz naiv zum Arzt und lassen sich was verordnen. Und sagen: „Das hat mir der Doktor verordnet, dafür kann ich nichts.“ Sie hinterfragen nicht, was sie nehmen. Bei uns in der Suchttherapie kommt also mehr der Alkohol an.

Was sind denn die häufigsten Ursachen für eine Abhängigkeit?

Die Gründe sind immer so individuell wie die Person, jede Frau hat da ihre eigene Lebensgeschichte. Oft spielt das Thema Trennung eine Rolle, Partnerschaften, die, aus welchen Gründen auch immer, nicht mehr funktionieren. Bei Frauen ist es auch häufig eine Frage der Überforderung: Im Durchschnitt übernehmen sie heute immer noch, selbst wenn sie arbeiten gehen, einen Großteil der Hausarbeit. Auch die Pflege von Eltern wird meistens von Frauen übernommen. Die größere Belastung führt oft zur Überforderung. Und dann kommt abends, zunächst erst mal ganz harmlos, das Feierabendbier oder der Wein als Entspannungsmittel dazu. Mütter von kleineren Kindern treffen sich auch gern mal mit einer Flasche Sekt auf dem Spielplatz, für die gute Stimmung, während die Kinder im Sandkasten spielen.

Gibt es noch weitere Gründe?

Eine weitere große Gruppe, die zu uns kommt, sind traumatisierte Frauen, die sexuelle oder körperliche Gewalt erlebt haben und das nie therapeutisch bearbeitet haben. Erst heute Morgen haben wir über eine Patientin gesprochen, die bestimmt 10, 15 Jahre von ihrem Vater sexuell missbraucht wurde. Manche Frauen suchen sich immer wieder toxische Beziehungen und haben Partner, die sie schlagen. Das alles betäuben sie mit einem Suchtmittel. Diese Frauen kommen aber nicht gleich zu uns. Man muss zwei bis fünf Jahre regelmäßig trinken, bis man in eine Suchtmittelabhängigkeit gerät. Oft lässt sich das dann auch noch lange verstecken.

Wenn jemand merkt, dass er oder sie wahrscheinlich ein Suchtproblem hat – was sollte man als Erstes tun?

Zum einen sollte er oder sie Kontakt zu einer örtlichen Suchtberatung aufsuchen. Da bekommt man schnell und unkompliziert kostenlose Beratungstermine. Die nächste Stufe wäre dann eine ambulante Psychotherapie, 22 Gesprächstermine, die bei der Rentenversicherung beantragt werden müssen. Dabei hilft aber auch die Suchtberatungsstelle. Wird in der ambulanten Therapie gemerkt, dass die Situation sehr komplex ist und es helfen würde, die gewohnte Umgebung zu verlassen, dann wird zu einem Klinikaufenthalt geraten. Parallel rate ich immer dazu, Selbsthilfegruppen zu besuchen, die leisten wirklich sehr viel. Viele kommen allein durch den Besuch einer Selbsthilfegruppe, wie die Anonymen Alkoholiker oder das Blaue Kreuz, wieder aus ihrer Sucht heraus. In der Selbsthilfegruppe oder der Suchtberatung kann ich mich dann mit meinem Suchtverhalten auseinandersetzen und überlegen: Wie bin ich da reingerutscht und was muss ich in meinem Leben ändern? Kein Mensch nimmt sich mit 14 oder 15 Jahren vor: „Ich möchte mal suchtmittelabhängig werden.“ Irgendwann im Leben ist etwas passiert, was mich dazu gebracht hat, von der Autobahn meines Lebens herunterzufahren und die falsche Ausfahrt zu wählen.

Was können Angehörige oder Freundinnen tun, wenn sie bemerken: Hier gerät jemand gerade in eine Abhängigkeit oder ist schon abhängig?

Ich würde es als Erstes immer offen ansprechen und sagen: „Weißt du was, mir fällt auf, dass du immer viel trinkst. Könnte es sein, dass du ein Problem damit hast?“ Dann wird mein Gegenüber höchstwahrscheinlich sagen: „Nein, um Himmels willen, wie kannst du so was sagen? Ich bin doch keine Säuferin.“ Man kriegt erst mal einen Eimer Wasser ins Gesicht. Trotz allem halte ich das für den richtigen Weg. So wird der Person bewusst: Es ist aufgefallen. Sie wird sich dann erst mal zurückziehen. Als Freund oder Angehörige können Sie nicht mehr tun, als es anzusprechen. Sie können sie nicht zwangsweise zum Arzt schleppen. Näheren Angehörigen empfehle ich immer, eine Selbsthilfegruppe zu besuchen. Das ist wichtig, um festzustellen: Ich bin nicht der Einzige, den das betrifft. Auch die anderen haben den Eimer Wasser ins Gesicht bekommen.

Und wenn die Person auch langfristig alles abstreitet?

Dann kann ich vielleicht noch mal sagen: „So stelle ich mir mein Leben nicht vor. Da muss sich etwas ändern oder ich gehe.“

Was wäre dann die letzte Konsequenz als Partner? Einen Schlussstrich ziehen? Oder es aushalten?

Ich sage immer: „Drohen Sie mit nichts, was Sie nicht halten wollen.“ Auch die Angehörigen haben ein Recht auf ein zufriedenes Leben. Wir können nicht unser Leben weggeben, weil die andere Person einen Lebensentwurf gewählt hat, der für uns nicht akzeptabel und zerstörerisch ist.

Wie können Angehörige oder Freunde unterstützen, wenn jemand bereits in Therapie ist?

Wichtig sind die Angehörigengespräche während der Therapie. In denen sollte möglichst ehrlich das besprochen werden, was vorgefallen ist. Auch der Angehörige leidet ja. Nichts ist falscher, als nachher wieder eine heile Welt vorzuspielen. In der Klinik sage ich deswegen immer: Bringen Sie mir die Angehörigen. Lassen Sie uns miteinander sprechen, selbst wenn es wehtut. Begeben wir uns dann auf den Weg, dass das wieder gesunden kann. Leider erleben wir in der Klinik auch immer wieder, dass Partner sich dann trennen. Das engste Umfeld ist aber natürlich sehr wichtig in dieser Zeit. Überhaupt jede Form von Gemeinschaft. Wir haben bei uns in der Klinik eine Seelsorgerin, die die Frauen begleitet. Manche Frauen kommen bei uns auch zum Glauben. Und die Seelsorgerin überlegt dann: Welche Gemeinde kann ich ihnen nach dem Aufenthalt empfehlen? Wo gibt es Gemeinden, die auch Menschen ohne eine perfekte Biografie willkommen heißen?

Das ist eine gute Frage. Wie sollten Gemeinden Menschen mit Suchterkrankungen denn willkommen heißen?

Es braucht eine Kultur, in der auch Menschen, die nicht perfekt sind, die gescheitert sind und Narben mitbringen, willkommen sind. Das sind oft hochsensible Menschen, sie haben sehr genaue Antennen und spüren, ob sie gemocht werden oder nicht. Werden sie akzeptiert? Ist man beispielsweise bereit, Abendmahl nur mit Saft zu feiern? Am Ende sind es auch nur Menschen wie du und ich. Wir haben alle unsere Blessuren, die uns das Leben mitgegeben hat. Da kann der Glaube eine zusätzliche Kraftquelle sein. Erkenne ich für mich: „Ich bin eine von Gott geliebte Person“ – dann ist das eine wichtige Ressource, die mir hilft, wenn andere mich ablehnen.

 

Das Interview führte Sarah Kröger, Journalistin und Projektmanagerin.

Gotthard Lehner ist Leiter der Fachklinik Haus Immanuel in Thurnau (Oberfranken). Die Einrichtung hat sich auf die Behandlung von Frauen mit einer Alkohol- oder Medikamentenabhängigkeit spezialisiert. haus-immanuel.de

Er will in eine Burschenschaft

„Unser Sohn überlegt, einer Burschenschaft beizutreten, weil er bei ihnen günstig ein Zimmer mieten kann. Uns ist das nicht geheuer. Wie gefährlich sind Burschenschaften, worauf muss man achten und ab wann sollten wir als Eltern eingreifen?“

Der Übergang in das zunehmend eigene Leben bleibt immer auch riskant. Weg und Ziel sind offen. Sie als Eltern müssen vertrauen – im Wissen, Ihrem Sohn das mitgegeben zu haben, was Ihnen wichtig ist. Und in der Zuversicht, dass er seinen Platz, seine Bezugsgruppen findet, seine eigene Weltsicht entwickelt und politische Fragen selbst beurteilt und passende Formen des Zusammenlebens gestaltet. Ob eine und welche Burschenschaft für ihn ein passender Lebensort ist, gilt es noch herauszufinden.

Gut zuhören

Besprechen Sie doch einmal mit Ihrem Sohn, was Ihnen „nicht ganz geheuer“ ist und legen Sie ihm Ihre Sorgen und Grenzen im Gespräch offen. Versuchen Sie aber auch, ihm gegenüber offen zu sein, ihm gut zuzuhören und seine Beweggründe zu verstehen – ohne sofort dagegen zu reden. Klären Sie mit ihm auch wichtige Fragen: Burschenschaften stellen auf Lebenszeit Erwartungen an ihre Mitglieder: Aktivitäten, Dienste, Feste, Veranstaltungen oder Zahlungen. Kennt Ihr Sohn den zusätzlichen Aufwand? Oft wird betont, dass ihnen Geschichte, Traditionen und Werte besonders wichtig seien. Sucht Ihr Sohn nach Zugehörigkeit oder Gleichgesinnten und meint, sie dort zu finden? Was verspricht er sich von der Mitgliedschaft?

Dass Burschenschaften mit günstigem Wohnraum um neue Mitglieder werben, denen sie die nervige Wohnungssuche verkürzen wollen, ist nicht untypisch. Manche werben auch mit der Gelegenheit, rasch neue Leute kennenzulernen, mit einem Netzwerk, das berufliche Vorteile verspricht. Allerdings können solche Kontakte auch anders geknüpft werden. Niedrige Kosten sind je nach finanzieller Lage auch ein gewichtiges Argument. Hier könnten WGs oder Wohnheime eine Alternative sein.

Genau hinsehen

Wenn Ihr Sohn schon eine konkrete Verbindung im Blick hat, informieren Sie sich darüber. Ein Teil der Verbindungen steht in der Kritik, weil sie exzessivem Alkoholkonsum Vorschub leisten, als frauenfeindlich gelten oder als „schlagende Verbindungen“ die Mensur austragen (körperliche Verletzungen inklusive). Ein anderer Teil sorgt durch Aufnahmebedingungen („nur für Deutsche“) für heftige Debatten. Andere stehen unter Beobachtung, weil sie rechtsextremistische Einstellungen vertreten und entsprechend tätig sind.

Einzelne stehen Gruppierungen nahe, die vom Verfassungsschutz beobachtet werden (zum Beispiel Identitäre Bewegung) oder organisieren Veranstaltungen mit rechtsextremen Rednern oder Beiträgen. Es gibt auch politisch liberalere, unpolitische, christliche, musische und auch Burschenschaften, die Frauen oder Nichtakademiker aufnehmen.
Sollte Ihr Sohn die Mitgliedschaft in einer rechtsextremen Burschenschaft anstreben, sollten Sie dem entgegenwirken. Hier müssen Sie nicht hilflos zusehen: Suchen Sie den Austausch mit anderen Betroffenen oder wenden Sie sich gegebenenfalls an eine Beratungsstelle.

Torsten Niebling ist Elternberater und Leiter der „Pädagogischen Fachstelle Rechtsextremismus – Rote Linie“ beim St. Elisabeth-Verein e.V. in Marburg.
Illustration: Sabrina Müller, sabrinamueller.com

Hat unser Sohn ein Alkoholproblem?

„Unser Sohn (22) wohnt in einer WG, wo gern und häufig gefeiert wird. Nun habe ich mitbekommen, dass er dabei sehr oft zu viel trinkt. Ich mache mir Sorgen, dass er in eine Alkoholsucht hineinrutscht. Aber wie kann ich das ansprechen?“

Für rund 96 Prozent der deutschen Bevölkerung zwischen 18 und 64 Jahren ist Alkohol bei Feiern, beim Grillen am See oder eben beim WG-Treffen kaum wegzudenken. Für viele gehört Alkoholkonsum einfach dazu. Die Suchtgefährdung darf natürlich nicht vergessen werden. Aber: Nicht immer ist der Konsum gefährlich oder führt gar zu einer Sucht.

ANGST UND UNSICHERHEIT ALS AUSLÖSER?

Der Übergang in die erste Freiheit mit all ihren Risiken und Möglichkeiten ist für Eltern und ihre erwachsenen Kinder eine anstrengende und nervenaufreibende Bewährungsprobe. Die jungen Erwachsenen müssen ihr Leben nun allein organisieren. Es entstehen neue Erfahrungs- und Entwicklungsräume. Gleichzeitig fehlt die enge familiäre Begleitung durch das räumliche Zusammenleben, was mit einem gefühlten „Kontrollverlust“ des Elternhauses einhergeht. Dies sorgt unter Umständen für Angst und Unsicherheit.

Loslassen ist eine der größten Herausforderungen für Eltern. Besonders schwierig wird es, wenn der eingeschlagene Weg des Kindes nicht der gewünschten Norm entspricht oder gar gesundheitsgefährdend ist. In solchen Situationen ist es wichtig, Ruhe zu bewahren und den Kontakt zu halten. Hier ein paar hilfreiche Tipps:

  • Situation analysieren: Machen Sie sich ein möglichst breites Bild der Lebenssituation Ihres Kindes. Hat er einen stabilen und verlässlichen Freundeskreis? Wird allein getrunken? Gab es bereits konkrete negative Konsequenzen durch das Konsumverhalten? Gibt es mögliche Gründe für den Konsum (Entspannung, Überforderungen, Hilflosigkeit, Frustrationen)?
  • Werfen Sie einen Blick in die Vergangenheit: Wie und vor allem weshalb wurde in Ihrer Familie Alkohol getrunken? Wie war der frühere Konsum Ihres Kindes? Was wurde konsumiert? Und nicht zu vergessen: Gibt es in Ihrer Familie Suchterkrankungen?
  • Setzen Sie sich mit dem Thema auseinander: Machen Sie sich zur Fachfrau oder zum Fachmann. Im Internet gibt es vielfältige Angebote und Informationen seriöser Institutionen. Hilfreich kann auch ein unverbindlicher Besuch einer Suchtberatungsstelle oder einer Selbsthilfegruppe für Angehörige sein.

OFFENER DIALOG

Wichtig ist es, die eigene Haltung durch Fakten und Reflexion zu stärken. So gehen Sie gut vorbereitet in die nächste Phase der Begleitung: den Dialog. Akzeptieren Sie dabei zunächst die Veränderungen im Leben Ihres Sohnes, zeigen Sie Interesse und schaffen Sie ausreichend Zeit und angenehme Situationen zum offenen Dialog. Äußern Sie aber auch Ihre womöglich berechtigten Sorgen und argumentieren Sie mit Fakten, ohne dabei zu dramatisieren. Erwarten Sie jedoch keine Wunder. „Liebgewonnenes“ Verhalten ist nicht leicht zu ändern. Aber es ist möglich. Bleiben Sie im Gespräch und vergessen Sie nicht: Sie tragen nicht die Verantwortung für das Handeln Ihres erwachsenen „Kindes“.

Niko Blug ist hauptamtlicher Mitarbeiter bei blu:prevent, der Suchtpräventionsarbeit des Blauen Kreuzes in Deutschland.
Illustration: Sabrina Müller, sabrinamueller.com