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Abitur oder Ausbildung? Eltern fragen sich: „Was passt zu unserem Kind?“

Expertin Corinna Kühne meint: Eine Frage entscheidet darüber, ob Jugendliche weiter die Schule besuchen oder eine Ausbildung anfangen sollen.

„Bald steht die Entscheidung an, ob unser Sohn nach der Sekundarstufe 1 eine Berufsausbildung startet oder in die Sekundarstufe 2 geht, um das Abitur zu machen. Von den Noten steht er so dazwischen. Wie können wir eine gute Entscheidung treffen?“

Sie schreiben, dass Ihr Sohn von den Noten „dazwischen steht“. Er hat also wahrscheinlich gerade so die schulischen Voraussetzungen für den Besuch der Sekundarstufe 2. Für viele Familien ist es in dieser Situation selbstverständlich, dass ihr Kind Abitur (oder Matura) machen soll.

In Gesprächen merke ich jedoch oft, dass Eltern dabei nicht primär ihr Kind mit seinen Interessen und Begabungen im Blick haben. Das kann zum einen daran liegen, dass viele Mitschülerinnen und Mitschüler Abitur machen werden, sie selbst Abitur gemacht haben oder die Gesellschaft ihnen suggeriert, dass man eigentlich nur mit Abitur richtige berufliche Chancen habe. Andere Eltern wollen, dass ihre Kinder einen Abschluss erreichen, den sie selbst nicht geschafft haben. Sie projizieren ihre unerfüllten Ziele auf ihre Kinder. Letztendlich ist es auch die einfachste Entscheidung, da man sich keine Gedanken über Alternativen machen muss.

Was braucht er für den Traumberuf?

Das sind jedoch alles keine guten Gründe, die Sekundarstufe 2 zu besuchen. Wichtig für diese Entscheidung ist neben der schulischen Qualifikation der Berufswunsch. Die Teenager setzen sich bereits ab der 7. oder 8. Klasse damit auseinander, welche Interessen, Fertigkeiten und Begabungen sie haben und lernen unterschiedliche Berufsfelder kennen. Auch ein Betriebspraktikum kann eine wichtige Entscheidungshilfe sein.

Wenn Ihr Sohn schon genaue berufliche Vorstellungen hat und er für seinen „Traumberuf“ das Abitur benötigt, sollte er diesen Weg auf jeden Fall gehen. Dabei muss ihm klar sein, dass der Weg zum Abitur mit harter Arbeit verbunden ist. Es gibt Kinder, die sich dieser Herausforderung gern stellen und an ihr wachsen, die bereitwillig ihre Aufgaben erledigen, für Klassenarbeiten lernen und Referate vorbereiten. Wenn Ihr Sohn zu diesen Kindern gehört, kann der Weg zum Abitur ebenfalls genau der richtige sein. Es kann aber auch sein, dass die Schule für ihn schon lange eine Qual ist und mit Druck und negativem Stress verbunden ist. Dann ist es eher an der Zeit, einen neuen Weg einzuschlagen.

Keine Angst vor Ausbildung

Begleiten Sie Ihr Kind, indem Sie Gesprächsbereitschaft zeigen und sich für seine Überlegungen interessieren. Sollte er Interesse an einem Ausbildungsberuf zeigen, unterstützen Sie ihn darin. Insbesondere wenn sie merken, dass ihm Schule keinen Spaß macht und er lieber etwas Praktisches machen möchte. Ich habe schon oft erlebt, dass insbesondere Jungen zunächst einen Beruf erlernen und zu einem späteren Zeitpunkt das Abitur machen, weil sie noch studieren möchten.

Eine gute Alternative für Kinder, die „dazwischen stehen“, kann auch der Erwerb eines Fachabiturs auf einem Berufskolleg sein (ähnlich der Fachmittelschule in der Schweiz). Dies umfasst sowohl einen schulischen als auch einen praktischen, berufsbezogenen Teil. Dieser Weg ist dadurch sehr abwechslungsreich und für viele Jugendliche motivierend.

Corinna Kühne ist Abteilungsleiterin für die Jahrgangsstufen 8-10 an der Matthias-Claudius-Schule in Bochum. 

Ihr Sohn bricht das Studium ab und wird Koch – das lehrte Barbara-Christine diese Phase

Nicht jeder muss studieren. Barbara-Christine Schild hat das bei ihrem Sohn selbst erlebt. Und warnt davor, dass Eltern beim Berufswunsch mitbestimmen.

Mit der Entscheidung für einen zukünftigen Beruf stellen viele Jugendliche erstmals im Leben eigenverantwortlich die Weichen für ihre Zukunft. Das ist sowohl Chance als auch Risiko und für viele eine immense Herausforderung. Sie müssen sich mit sich selbst auseinandersetzen, ihre Talente und Interessen erkennen und gleichzeitig die Zukunftsfähigkeit des anvisierten Berufes abwägen. Darüber hinaus ist der Weg zum Ziel nicht immer gleich erkennbar. An dieser Stelle brauchen die Jugendlichen Unterstützung. Uns als Eltern kommt dabei eine besondere Rolle zu, auf die wir uns bewusst vorbereiten und in die wir nicht einfach hineinrutschen sollten.

Denn nicht nur in den Gesprächen, die wir mit unseren Kindern zu deren beruflicher Zukunft führen, auch ganz nebenbei im Alltag formulieren wir Vorstellungen, die wir für unsere Kinder haben. Damit machen wir Vorgaben, die oft für den Nachwuchs zur Orientierung oder gar Leitlinie werden – nicht zuletzt im Vertrauen darauf, dass die Eltern mit ihrer Lebenserfahrung schon wissen, was für die Kinder gut sein könnte.

Nicht ganz unvoreingenommen

Aufgrund meiner beruflichen Tätigkeit im Bundesinstitut für Berufsbildung könnte man vielleicht vermuten, dass ich die ideale Begleiterin in Sachen Berufswahl der eigenen Kinder sein könnte. Ich denke, dass das für mich persönlich nicht gilt – sonst wären die Dinge bei uns anders gelaufen. Auch in unserer Familie wurden die Gespräche über die berufliche Zukunft offenbar nicht ganz ergebnisoffen geführt: Tatsächlich hatte sich bei unserem Sohn die Vorstellung manifestiert, dass wir von ihm erwarten, nach dem Abitur ein Studium zu absolvieren. Dies hat uns doch sehr überrascht, denn eigentlich hatten wir gedacht, den Zukunftsvorstellungen unserer Kinder unvoreingenommen begegnet zu sein. Erst die persönliche Erfahrung hat meinen Blick dafür geschärft, wie man die Kinder begleiten sollte, wenn sie wichtige Entscheidungen für die berufliche Zukunft treffen müssen – und dass wir immer wieder unsere eigene Neutralität hinterfragen sollten.

Die befreiende Frage

Unser heute 27-jähriger Sohn hat das Gymnasium besucht, in der Oberstufe die Leistungskurse Sport und Mathe belegt und nach dem Motto „Ein kluges Pferd springt nicht höher, als es muss“ ein eher mittelprächtiges Abitur abgelegt. Anschließend hat er die Entscheidung zur eigenen Zukunft zunächst einmal vertagt und für sich eine „Findungsphase“ eingefordert. Die haben wir ihm unter der Auflage gewährt, dass er sich einen Job sucht und eine fixe Aufgabe im Haushalt übernimmt. Gesagt, getan: Den Job fand er schnell in einem Restaurant, zu Hause übernahm er das Kochen für die Familie.

Wir merkten schnell, wie begeistert er von diesen Aufgaben war. Dennoch hatte sich bei ihm der Gedanke, „dass man nach dem Abitur halt studiert“ und dass dies ja auch mit den elterlichen Vorstellungen einhergeht, offenbar schon sehr gefestigt. Deshalb begann er nach diesem Jahr mit einem Studium. Begeisterung dafür war jedoch keine zu spüren, er berichtete kaum über seinen Unialltag. Stattdessen drehten sich die Gespräche mit ihm immer wieder um das Kochen und wie welche traditionellen Gerichte zu modernisieren wären. Irgendwann haben wir dann die „befreiende“ Frage gestellt, was er denn nun wirklich möchte: studieren oder eine Ausbildung zum Koch machen?

Plötzlich ist der Berufswunsch klar

Es sprudelte nur so aus ihm heraus. Den Plan, Koch zu werden, hatte unser Sohn schon vollends ausgeklügelt, das erforderliche Vorgehen bereits klar durchdacht. Er wusste, dass er die französische Küche von der Pike auf lernen wollte, und hatte sich bereits ein Restaurant mit bestem Ruf ausgesucht. Die zentrale Begründung war, dass dort der Koch nicht im Fernsehen, sondern in der Küche zugegen sein und ihn einweisen würde. Wir haben ihm zugestimmt, es zu versuchen. Von da an ging alles schnell. Die Bewerbung war nach drei Tagen auf den Weg gebracht, weitere drei Tage später kam die Einladung des Restaurants. Für eine Woche wollten sie ihm die Möglichkeit geben, die Anforderungen des Hauses kennenzulernen.

Er war so beseelt von seinem Tun dort, dass völlig klar war: Hier hat jemand seine Profession gefunden. Eine Woche nach dem Praktikum lag der unterschriebene Ausbildungsvertrag in unserem Briefkasten. Die Ausbildung war wirklich hart, menschlich wie fachlich. Aber nicht einen Tag hat unser Sohn diese Entscheidung in Zweifel gezogen. Inzwischen leitet er die Küche eines Düsseldorfer Restaurants und sagt: „Das Kochen ist für mich das Bedienen eines Grundbedürfnisses. Und ich darf das jeden Tag tun – wow!“ Jetzt sind wir froh, dass wir alle zusammen rechtzeitig die Kurve bekommen haben. Für uns als Eltern bleibt die Erkenntnis, mehr auf unsere Kinder zu vertrauen. Sie wissen schon ganz gut, wie sie sich auf den Weg in die eigene Zukunft machen müssen. Das Ziel sollten die Jugendlichen selbst wählen – auf dem Weg dorthin können und müssen wir sie unterstützen.

Eltern sollten nur begleiten, nicht leiten

Die unvoreingenommene Beratung ist für Eltern nicht ganz einfach, denn sie „wollen ja immer das Beste“ für ihre Kinder – und glauben gern, das auch beurteilen zu können, denn sie haben ihre Kinder auf ihrem bisherigen Weg stets „gelenkt“. Aber in diesem Fall verändert sich unsere Rolle vom Leitenden zum Begleitenden. Sich dessen bewusst zu sein, dass für uns eine neutrale Beratung der eigenen Kinder bei der Berufswahl nicht ganz einfach ist, kann ein erster Schritt hin zu einer ergebnisoffenen Begleitung sein. Die fehlende Objektivität gegenüber den Kindern ehrlich zu formulieren, kann sie motivieren, die elterlichen Vorstellungen tatsächlich mit Blick auf die Vereinbarkeit mit den eigenen Ideen zu hinterfragen. Es muss für Kinder deutlich werden, dass die kritische Auseinandersetzung mit den Vorstellungen der Eltern legitim ist – was im Übrigen nicht nur bei der Berufswahl gilt.

Wenn die Berufsorientierung zum Thema wird, gilt die Devise: erst einmal zuhören und die Kinder reden lassen. Darüber hinaus sollten wir als Eltern uns bewusst machen, dass es heute nicht nur eine Vielzahl an Möglichkeiten gibt, sondern auch, dass sich Berufsbilder sehr stark gewandelt haben. So kann es sein, dass meine Vorstellungen von Berufen und deren Tätigkeiten sowie Anforderungen nicht mehr aktuell sind. Es hilft auch, sich als Eltern über den heutigen Stand in den jeweiligen Berufen erst einmal zu informieren.

Traumberuf: ja oder nein?

Ich sollte mein Kind nicht von seinem Berufswunsch abbringen, selbst wenn dieser nicht dem entspricht, was ich mir erhoffe: Wenngleich es Zeit kostet und vielleicht auch mit Enttäuschungen verbunden ist, sollten Kinder sich mit ihren Ideen versuchen dürfen. Allein schon, damit keine „offenen Fragen“ im Leben bleiben – getreu dem Motto: „Hätte ich doch …“. Auf der anderen Seite gibt es natürlich Jugendliche, die zunächst einen ähnlichen Weg wie die Eltern einschlagen möchten. Sich ein Stück weit auf „vertrauten Pfaden“ zu bewegen, etwas zu tun, was man schon zu kennen glaubt, erscheint zunächst vielleicht als der Weg des geringsten Widerstands.

Dabei sollten wir Eltern aber schon erkennen, ob bei unseren Kindern ein echtes Interesse vorliegt. Falls ja, ist es aus meiner Sicht sinnvoll, dass sie die Ausbildung in einem fremden Betrieb der gleichen Branche machen und nicht im elterlichen Unternehmen. Oder man zeigt den Kindern ähnliche Optionen auf. So nennen viele Kfz-Mechatroniker/in als Berufswunsch, aber vielleicht wäre auch eine Ausbildung als Zweiradmechaniker/in oder Land- und Baumaschinenmechatroniker/in spannend. Das erweitert zudem die Perspektive.

Einfach in Berufe reinschnuppern

Eltern sollten die vielfältigen Informationsmöglichkeiten nutzen, zum Beispiel digitale Angebote (siehe unten) oder Elternabende zur Berufsorientierung in der Schule. Vorteil des heutigen Schulsystems sind die vielfältigen Angebote zur Berufsorientierung: zum Beispiel Potenzialanalysen, Berufsfelderkundungen oder Praktika. Als Eltern können wir unsere Kinder motivieren, sich auszuprobieren und in Berufe hineinzuschnuppern, die sie nicht auf dem Schirm hatten. Sie sind ja auch einen Schritt weiter, wenn sie wissen, was auf keinen Fall in Frage kommt. Vielleicht werden sie aber auch positiv überrascht. Es hilft, praktische Erfahrungen zu sammeln.

Generell sollten wir als Eltern unsere Kinder stärken, sich etwas zuzutrauen und Rückschläge nicht als totales Versagen zu interpretieren. Die wichtigste Botschaft an die Jugendlichen ist: Welchen Beruf auch immer ihr auswählt, entscheidend ist, dass ihr es so gut macht, wie ihr könnt!

Barbara-Christine Schild ist Diplom-Geografin und arbeitet als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB). Sie ist verheiratet und hat zwei erwachsene Kinder.

Hilfreiche Online-Portale

berufenavi.de: Das neue Berufsorientierungsportal für Jugendliche des Bundesministeriums für Forschung (BMBF) und des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) will Jugendliche bei der Suche nach ihrem Wunschberuf unterstützen. Neben einer Selbsteinschätzung bietet es Orientierungshilfen, Talenttests, Praktikumsbörsen und Beratungsangebote sowie Links zu weiteren Online-Angeboten.

berufsberatung.ch: Das offizielle schweizerische Informationsportal bietet eine Berufs-, Studien- und Laufbahnberatung und beantwortet Fragen rund um Lehrstellen, Berufe, Aus- und Weiterbildungen.

jugendportal.at/themen/arbeit-beruf/ berufsorientierung: Hier gibt es zahlreiche Links zu Websites und Beratungsangeboten in Österreich.

Berufliche Sackgasse

„Unser Sohn (22) wird nach der Ausbildung nicht übernommen. In seinem Bereich sind die Chancen auf dem Arbeitsmarkt eher schlecht, er ist nun am Boden zerstört. Wie können wir ihm helfen?“

Das Begleiten der erwachsenen Kinder ist für uns Eltern gerade in einer Krise eine Herausforderung. Die Spannung zwischen Einmischung, Bevormundung und Alleinlassen schwebt wie zäher Nebel in den unausgesprochenen Gedanken nach solch einer schlechten Nachricht über die berufliche Zukunft des jungen Erwachsenen. Dass ein Kind kein „Projekt“ ist, das man als Eltern „am besten“ bewältigt, sollte schon in den ersten Lebensjahren klar werden, wenn Eltern üben, sich zurückzunehmen. Nicht die Eltern haben ein Projekt, sondern das Kind und später der Jugendliche hat sein Leben zu gestalten. Deshalb sollten Sie das Recherchieren über berufliche Alternativen unbedingt Ihrem Sohn überlassen. Auch Geschichten von anderen, denen Ähnliches passiert ist, sind nicht unbedingt hilfreich … Wenn Sie als Eltern das Heraussuchen von Stellen übernehmen oder ihm das Komplettpaket „Zuhause“ wieder anbieten, kann es im Selbstwert Ihres Sohnes deutliche Risse geben. Sie als Mutter und Vater sind aber Heimatgeber für die Seele und dürfen fragen: „Was kann ich für dich tun?“. Dabei dürfen Sie sich aber auch abgrenzen und deutlich machen, wenn Sie eine Bitte um Unterstützung als unpassend empfinden.

DEN U-TURN VERSUCHEN
Sie müssen aber nicht untätig bleiben. Nach der schlechten Nachricht vom Arbeitgeber ist es Ihre Aufgabe, den Blick zu weiten und Fragen zu stellen. Das Stopp-Schild zu fokussieren lähmt sowohl Sie als auch Ihren Sohn. Besser ist es, eine Art U-Turn zu versuchen: Wenn dieser Weg nicht gelingt, welcher ganz andere Weg kann denkbar sein? Sie könnten Ihrem Sohn folgende Fragen stellen: Ist die Ausbildung vielleicht eine Grundlage, um einen weiteren Beruf zu erlernen? Ist vielleicht eine Art Pause denkbar, wie sie zum Beispiel der Bundesfreiwilligendienst ermöglicht? Das würde den Freiraum geben, sich in Ruhe beraten zu lassen und Bewerbungen zu schreiben oder sich komplett neu zu orientieren.

GELASSENHEIT AUSSTRAHLEN
Wichtig ist dabei, dass Sie Ihren Sohn bewusst neu freigeben. Eine Veränderung der Planung kann auch bedeuten, dass er zum Beispiel nicht in einem Betrieb in Ihrer Nähe bleibt, sondern weiter weg zieht. Planungen freizugeben und offen zu sein, klingt ganz leicht, ist aber kraftaufwändig. Versuchen Sie, Gelassenheit auszustrahlen. Wenn Sie selbst die Bereitschaft zeigen, sich immer wieder neu auszurichten und Veränderungen als Chance sehen, wird Ihr Sohn sich daran orientieren können. Mit diesen Erfahrungen wird das nächste Stopp-Schild mit noch mehr Eigenverantwortung bearbeitet werden – zur Freude der Eltern.

 

Stefanie Diekmann ist Diplom-Pädagogin und lebt mit ihrem Mann und ihren drei Kindern in Ingelheim am Rhein.

Sechs Schritte zum Traumberuf

„Unser 16-jähriger Sohn ist völlig planlos, was er beruflich machen soll. Wie kann er den passenden Beruf finden?“

Mit 16 wusste ich auch nicht, was ich werden sollte – also lernte ich Elektroinstallateur. Im Nachhinein war es der falsche Beruf für mich, auch wenn die Lehrzeit meinen Horizont enorm erweiterte. Nach meiner Zivildienstzeit in einer Behinderteneinrichtung studierte ich Theologie und wurde Pastor. Danach kam eine Zeit als Jugendreferent und heute bin ich Leiter eines Orientierungsjahres. Schon damals war es mit der Berufsfindung nicht einfach, heute ist es in unserer vernetzten Welt noch schwieriger geworden. Die Berufswahl ist eine der größten Herausforderungen im Leben von Jugendlichen. Sie haben eine Million Möglichkeiten, was sie machen könnten. Von daher ist es für die allermeisten schwer, sich für eine berufliche Richtung zu entscheiden. Wie kann man ihnen trotzdem helfen, ihren beruflichen Weg zu gehen? Hier ein paar praktische Tipps für Jugendliche:

1. Finde deine Gaben und Fähigkeiten heraus. Hilfreich ist der Schüler-Test auf www.berufsprofiling.de. Er dauert ca. 1,5 Stunden und ist das Beste, was es aktuell dazu gibt.

2. Finde Berufe, die zu diesen Begabungen passen. Das Testergebnis liefert wertvolle Hinweise.

3. Wähle fünf bis 15 Berufe aus der Liste aus und informiere dich intensiv darüber. Infos zu Berufen findest du u.a. hier: www.berufe.tv, www.planet-beruf.de, www.berufsberatung.ch

4. Mache von den drei Haupt-Berufen, die du für dich entdeckt hast, eine Liste: Was spricht für diesen Beruf, was dagegen? Lege für jeden Beruf ein Din A4-Blatt an.

5. Suche dir einen Berater, mit dem du über deine Überlegungen sprichst. Du kannst zum Beispiel mit dem (Jugend-)Pastor darüber reden. Auch im Berufsinformationszentrum bzw. in der Arbeitsagentur gibt es gute Berater. Schweizer wenden sich an die kantonale Berufs-, Studien- und Laufbahnberatung.

6. Bete während dieses Prozesses immer wieder. Gott hat etwas vor mit deinem Leben – und er wird dich durch all deine Überlegungen leiten. Schreib alle Fragen, Zweifel und Unsicherheiten zum Beispiel in einem Gebetstagebuch auf.

EIN JAHR ORIENTIERUNG
Meine Frau und ich leiten „Lebenstraum“ – ein Jahr der Orientierung für junge Erwachsene in Uffenheim/Mittelfranken. Auch das ist eine Möglichkeit für unentschlossene junge Erwachsene. Es gibt drei Schwerpunkte: Berufsfindung und Persönlichkeitsentwicklung, Biblische Inhalte und christliche Werte, Soziales Engagement. Dabei ist uns wichtig, dass die jungen Erwachsenen Verantwortung übernehmen. Sowohl für die Berufswahl, als auch für die Gemeinschaft und ihren persönlichen Glauben. Außerdem kann jeder Teilnehmer in selbst konzipierten sozialen Projekten seine Gaben austesten.

Stephan Münch und seine Frau Hanna leiten das Orientierungsjahr „Lebenstraum“ in Uffenheim: www.dein-lebenstraum.com .

Abi – ohne mich!?

„Unsere Tochter (15) möchte nach der 10. Klasse von der Schule gehen. Die Lehrer sind der Meinung, sie hätte Potenzial, das Abi zu schaffen. Wie können wir sie unterstützen?“

Wir Eltern haben oft genaue Vorstellungen, wie der Bildungsweg unserer Kinder aussehen soll. Wir lieben sie, und deshalb wollen wir natürlich ihr Bestes. Im Schulalltag erlebe ich sehr oft Eltern, die der Überzeugung sind, dass nur ein Leben mit Abitur (oder Matura in der Schweiz) ein vollwertiges Leben sein kann, weil dem Kind angeblich nur dann alle Bildungswege offen stehen. Auf der einen Seite stimmt das. Wenn man zielstrebig sein Abitur macht und gute Noten vorweisen kann, hat man die optimale Wahlmöglichkeit. Aber unsere Erfahrungen an der Schule zeigen auch, dass Schüler mit einem sehr guten Mittleren Schulabschluss leichter einen tollen Ausbildungsplatz finden als Schüler mit einem schlechten Abitur.

NEUE MOTIVATION
Wir staunen oft über Schüler, die völlig schulmüde nach Klasse 10 die Schule verlassen und dann in der Ausbildung aufblühen und neue Freude an der Berufsschule finden. Dort lernen sie gerade in den Hauptfächern viel spezifischer das, was sie auch für ihren Beruf brauchen. Nicht selten streben sie nach der Ausbildung mit ganz neuer Motivation die allgemeine oder fachgebundene Hochschulreife an. Nichts ist schlimmer für Eltern, Schüler und auch Lehrer als unmotivierte Schüler und Kinder. Wie findet man also gemeinsam einen Weg?

REDEN
Teenies sind davon überzeugt, dass nur sie selber wissen, was für sie das Beste ist. Sie wollen als vollwertige Personen angesehen werden und nicht mehr als Kinder. Das spielt auch bei diesem Thema eine wichtige Rolle! Wenn wir als Eltern Druck aufbauen, ohne ihnen das Gefühl zu geben, mitreden zu können, werden wir keine zufriedenstellende Lösung finden. Wir sollten uns anhören, was unser Kind möchte und gemeinsam überlegen, wie die Vor- und Nachteile von einem Lebenslauf mit oder ohne Abitur aussehen können. Informieren Sie sich über Alternativen, wie man das Abitur vielleicht auch später noch nachmachen kann.

ALTERNATIVEN
Wenn man nach dem Mittleren Schulabschluss (Realschulabschluss, Mittlere Reife) erst eine Ausbildung macht, ist es in Deutschland möglich, danach in der Berufsoberschule seine Hochschulreife zu erwerben. In der Abendschule kann man berufsbegleitend die Fachhochschulreife machen oder man erwirbt sie in einer Berufsfachschule parallel zu einer Berufsausbildung, sodass man nach drei Jahren eine fertige Ausbildung und die Berechtigung zum Besuch der Fachhochschule hat. Konkrete Schritte:

  • Ein Praktikum während der Ferien und das Hineinschnuppern in die Berufswelt gibt Teenies oft ein realistischeres Bild von der Schulalternative. Einen Termin bei der Jugendberufsagentur zur gemeinsamen Beratung vereinbaren. Ihre Tochter braucht Sie, auch wenn sie das nie so sagen würde.
  • Wenn man von etwas überzeugt ist, dann geht man diesen Weg mit Freude, Begeisterung und Leistungsbereitschaft. Finden Sie mit Ihrer Tochter gemeinsam diesen Weg, bei dem sie sich von Ihnen wahrgenommen und begleitet fühlt.

Stefanie Böhmann ist Grund- und Hauptschullehrerin und lebt mit ihrer Familie in Hamburg.

Quarter Life Crisis

Als Tim Allgaier sein Studium abgeschlossen hatte, stellte er fest: Dieser Beruf ist nicht sein Ding. Eine Erfahrung, die auch andere junge Erwachsene teilen.

 

Meine Eltern hatten gutes Geld in meine gute Ausbildung gesteckt – und trotzdem warf ich hin. Dabei war ich gerade in den Gehaltsregionen angekommen, in denen meine Eltern ihre Sorgen um mein Auskommen getrost vergessen konnten. Schöne Bescherung! Immer mehr jungen Menschen geht es wie mir: Wir sind fertig mit dem Studium oder der Ausbildung und fragen uns, ob das überhaupt das Richtige war. In meinem Fall fühlte ich mich wie ein Pinguin, der auf einmal merkt, dass er an Land ist. Dort kann sich der Pinguin zwar auch passabel bewegen und überleben – die Stärken des Pinguins zeigen sich jedoch im Wasser. Im Wasser wirkt der Pinguin wie ein komplett anderes Tier. Und das ist auch der Grund, weshalb meine Eltern damit leben können, viel eckiges Geld in eine Berufsausbildung investiert zu haben, deren Berufsabschluss nun völlig unnütz für mich ist. Ich habe gelernt: Eltern geht es um viel mehr als nur die materielle Sicherheit des Kindes. Beruf ist nur eine Seite des Erwachsenwerdens.

BETAVERSION
In den Wissenschaften, die sich mit dem Menschen beschäftigen und wie er das wird, was er ist, wird „erwachsen“ sowieso anders definiert als vom Gesetzgeber. Dort wird eine Grenze bei 25 bis 27 Jahren gezogen, alles vorher ist „Erwachsen sein – Betaversion“ (also eine Testversion). Mittlerweile kann ich das aus persönlicher Erfahrung unterstreichen, auch wenn es dazu gehört, beim Übergang von der Betaversion in das „richtige“ Erwachsenenalter vielleicht Wachstumsschmerzen zu spüren. Oder bei der Test-Version festzustellen, dass man das gewählte Produkt gar nicht haben möchte. Dafür hat sich ein Begriff eingebürgert: Quarter Life Crisis. Er bedeutet, sich nach einem Viertel des Lebens die Sinnfrage zu stellen. Weil die Entscheidungen mit 19, 20 vielleicht doch nicht das waren, was man damals glaubte, das sie sind: optimal.

WATSCHELN UND SCHWIMMEN
Immer mehr Menschen meiner Generation scheinen sich mit Mitte zwanzig diese Frage zu stellen – und den Mut zu haben, aus der Antwort Konsequenzen abzuleiten. Für mich persönlich bedeutete dies, mich als Pinguin gewissermaßen vom Land an das Wasser vorzukämpfen. Ich trat also auf einmal in Konkurrenz mit jüngeren Menschen, die zwar scheinbar früher den richtigen Job gefunden hatten, aber auch bereit waren, monatelang für ein Taschengeld zu arbeiten. Und plötzlich merkt man, wie man selbst bei einer Art elterlicher Sicht angekommen ist und lehnt solche Jobs ab. Manchmal brauchen Kinder einfach Zeit, bis sie Entscheidungen treffen, die die besten für sie sind. Würde ich mich heute anders entscheiden, wenn ich wieder Anfang 20 wäre? Nein! Denn meine Entscheidung war damals gut und richtig, ich brauchte nur etwas Zeit, um zu erkennen, was noch „richtiger“ für mich ist. Auf dem Weg dorthin habe ich zudem viele wichtige und schöne Sachen mitgenommen, die ich heute nicht missen möchte. Und nur das Watscheln an Land macht dem Pinguin klar, wie schön Schwimmen ist.

tim-allgaierTim Allgaier (30),war mal Pädagoge & Theologe und hat nun sein Glück darin gefunden, Gutes besser zu kommunizieren.

„Traumschloss Abi“ eingestürzt

„Unser Sohn (17) will ein Jahr vor dem Abi die Schule abbrechen. Er war nie ein guter Schüler, aber jetzt hat er sich schon so weit durchgekämpft. Wie sollen wir uns verhalten?“

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