Entspannung statt Stress: Drei Fragen sollten sich Eltern zum Sonntag stellen
Für Eltern ist der Sonntag oft alles andere als entspannend. Was helfen kann, sind gute Absprachen, meint Vierfach-Mama Melanie Schmitt.
Sonntagmorgen in Hessen. Karl hat die süßesten, kugeligsten Augen, die man sich vorstellen kann. Wenn man ihn anschaut, bekommt man meistens ein strahlendes, herzerwärmendes Lächeln geschenkt. Gerade ist Karl von Spielschachteln, Spielkarten, Spielfiguren und anderen Brettspielelementen umgeben, die er großflächig um sich verteilt hat. Es sieht nicht so aus, als würde Karl demnächst dazu in der Lage sein, dieses Chaos planvoll wieder rückgängig zu machen. Da müssen wohl die Eltern ran. Vielleicht denken sie bei der Sortierarbeit manchmal an das Märchen vom Aschenputtel – nur dass keine Tauben angeflogen kommen, um zu helfen.
„Happy Sunday“ steht auf der Postkarte, schwarze Buchstaben vor zart sprießenden Blüten: „Mach das Beste aus diesem Tag: Lebe, lache, liebe, lese, lerne, spiele, träume! Sei einfach in jedem Moment glücklich!“ Oha – das wird ja ein herausfordernder Sonntag. Das mit dem Leben, das kriege ich hin: einatmen, ausatmen, läuft. Aber der Rest? Welche Blüten treibt der Sonntag in gewöhnlichen Familien?
Nachdem das Orkantief Karl durchs Wohnzimmer gewirbelt ist, beginnt das Katastrophenschutzteam Mama und Papa mit den Aufräumarbeiten. Auch für Karls Eltern ist Sonntag, so wie für den Rest des Landes. Sie haben unter der Woche einiges um die Ohren gehabt, sind dementsprechend erholungsbedürftig. Niemand hat Lust, die Spiele zu sortieren, aber es muss ja irgendwie sein. Außerdem wartet Karls Schwester Mathilda darauf, endlich auf den Spielplatz zu gehen. Sie hat sich schon das geliebte Sommerkleid angezogen, das sie von ihrer Cousine geerbt hat. Der Kalender zeigt Februar. Ganz normaler Wahnsinn also. Und der Kalender signalisiert eben nicht nur Februar, sondern auch Sonntag: Ruhetag, Erholungstag, Familientag.
Drei Fragen sollten sich Familien stellen
Ich sehe in der Sonntagsgestaltung drei besonders neuralgische Punkte:
1) Ruhe oder Unternehmung?
Sofa oder Spielplatz? So ruhig oder so erlebnisreich wie möglich? Wonach steht wem gerade der Sinn? Wie so oft ist es wichtig, die eigenen Bedürfnisse bewusst wahrzunehmen und sie zu äußern, statt zu erwarten, dass der Partner sie erfühlen müsste. Genauso wichtig ist es, nach den Bedürfnissen des anderen zu fragen. Auf dieser gemeinsamen Grundlage wird es leichter, eine Tagesplanung zu überlegen, in der verschiedene tagesaktuelle Bedürfnisse Platz finden. Am nächsten Sonntag kann das schon ganz anders aussehen.
2) Gemeinsam oder getrennt?
Eine immer wiederkehrende Sonntagsfrage ist auch, wie viel individuelle Zeit Eltern und Kinder sich nehmen können und wollen – und sich gegenseitig ermöglichen. Besteht die Erwartung, dass alle zusammen sind? Können wir uns als Elternpaar gegenseitig Freiräume schaffen? Diskutieren beide Elternteile die Kleidchenfrage mit Mathilda? Oder ist es okay, wenn ein Elternteil sich rauszieht, um joggen zu gehen? Wer geht zum Gottesdienst und wer bleibt mit den Kindern zu Hause oder in der Kinderbetreuung? Geht ein Elternteil mit dem Schulkind ins Museum, ohne Krabbelkind, oder kommt ein getrenntes Programm am Sonntag nicht in Frage? Was ist mit Verabredungen? Ist der Sonntag ein reiner Familientag oder offen für Freunde? Gute Absprachen, die immer wieder neu getroffen werden müssen, können Freiräume schaffen und Frustrationen vermeiden.
3) Tradition oder Innovation?
Die gesellschaftliche Ausgestaltung des Sonntags hat sich in den letzten Jahrzehnten geändert. In der Kindheit vieler heutiger Eltern war der Sonntag ein Familientag, an dem es undenkbar war, sich mit Freunden zu verabreden. Auch Kindergeburtstage wurden unter der Woche gefeiert und eher nicht an einem Sonntag. Das ist anders geworden. Die Traditionen und Rituale aus der eigenen Kindheit, sprich: aus den Herkunftsfamilien der Eltern, spielen eine große Rolle darin, wie wir uns die Sonntagsgestaltung vorstellen – oder eben gerade nicht wünschen.
Gottesdienst, Kaffeetrinken, Oma besuchen, spazieren gehen: Viele Erwartungen, die wir mit dem Sonntag verknüpfen, sind Muster, die wir übernommen haben. Auch hier lohnt es sich, genau hinzusehen und sich auszutauschen: Wie war es früher? Wie ging es uns damit? Was wünschen wir uns für unsere Familie? Was bedeutet das für die Freundschaften unserer Kinder? Wer sich von den Kindheitssonntagen erzählt und seine Ideale hinterfragt, kann Erwartungen besser greifen und realistischer mit dem Partner abstecken.
Gemeinsam Sonntagsmix festlegen
Ausflug oder Ausruhen? Verwandte besuchen oder Freunde einladen? Zeit für sich allein oder gemeinsam mit der Familie? Gottesdienst oder Gammeln auf dem Sofa? Die Möglichkeiten sind so vielfältig wie die Familienmitglieder. Die Bedürfnisse sind so unterschiedlich wie das Alter und wie die Anspannung der vergangenen Woche.
Wie an allen anderen Tagen in der Woche ist es auch in Sachen Sonntag hilfreich und heilsam, einmal genau hinzuschauen, welche Bedürfnisse hinter den Vorstellungen stecken, die wir uns von unserem Familienleben machen. Und diese Bedürfnisse möglichst klar und vollständig zu äußern. Was sind unsere Sonntagsideale? Wie kann der Sonntag ein Tag bleiben oder werden, auf den sich alle freuen? Wenn wir unsere Bedürfnisse nun besser kennen, wie wäre es dann, wenn alle Familienmitglieder, je nach Alter, reihum einen Sonntag planen dürfen? Mit einem abgesprochenen Budget und einem überschaubaren Zeitrahmen?
Sonntag ist eine Entscheidung
Der Sonntag ist ein Tag, der herausstechen soll aus dem Klein-Klein der anderen Tage. Viel können wir dazu selbst beitragen, indem wir überlegen, wie wir diesen Tag gestalten, aber auch, indem wir uns bewusst dafür entscheiden, vieles nicht zu tun, was wir sonst unter der Woche tun. Als Eltern gibt es auch am Sonntag eine Menge Dinge, die sich nicht aufschieben lassen. Nahrung, trockene Klamotten und frische Windeln lassen sich nicht auf den Montag verschieben.
Doch ich kann mich grundsätzlich dafür entscheiden, am Sonntag eben nicht noch schnell eine Maschine Wäsche anzuschalten, auch wenn das in wenigen Minuten erledigt wäre. Ich kann mich dafür entscheiden, nach der Rettung der Spielesammlung nicht auch noch zu saugen. Ich kann mich dafür entscheiden, nicht den ganzen Tag für andere verfügbar zu sein und das Handy am Sonntag auf Flugmodus stellen, zumindest für eine Weile. Wer dieses Vorhaben am Samstagabend in seinen Status stellt, vermeidet Irritationen bei den Mitmenschen. Ich kann mich dafür entscheiden, zu akzeptieren, dass selten alle in der Familie einen super Tag haben werden, nur weil Sonntag im Kalender steht. Ich kann mich dafür entscheiden, dass es einmal in der Woche nicht um Optimierung geht.
Der Sonntag kann ein Glanzlicht im Alltag sein
Ich will dem Sonntag die Chance lassen, ein Glanzlicht im Alltag zu sein. Denn ich habe längst gemerkt: Ein bewusst erlebter Sonntag, der anders schimmert als die restlichen Wochentage, ein Sonntag, der einen gewollten Akzent setzt im Alltagstrott, gibt dem Leben Halt und Rhythmus. Damit der Sonntag glänzen kann, gebe ich mir Mühe, mir manches zu verkneifen, was noch zu erledigen wäre, und gelassen das hinzunehmen, was trotz Sonntagsheiligkeit in einer Familie dennoch zu erledigen ist. Ich versuche, genau hinzuschauen und weder mich noch meine Familie damit zu überfordern, dass ich den Sonntag überfrachte mit überzogenen Erwartungen. Ich streiche alles durch auf der Sonntagspostkarte, bis da steht: „Happy Sunday! Sei einfach.“
Ein Hoch auf alle Eltern
Karl und Mathilda sind mein Neffe und meine Nichte. Sie erinnern mich regelmäßig daran, wie ich noch vor Kurzem selbst an einem Sonntag keinen Moment die Augen schließen konnte, ohne fürchten zu müssen, dass ein Kleinkind das Bad flutet. Ein Hoch auf alle Eltern, die auch am Sonntag von morgens bis abends und nachts verfügbar sind, damit ein kleiner Mitmensch Versorgung, Geborgenheit und Zuwendung erfährt! Ein Hoch auf alle Eltern von Schulkindern, die auch sonntags vergessene Referate unterstützen und Rücken kraulen!
Möget ihr an jedem Sonntag ein paar Minuten finden, in denen ihr wenigstens ein Auge mal ein bisschen schließen könnt. Seid gewiss: Je älter die Kinder werden, desto eher wird es möglich, Zeit für sich zu haben, desto schwieriger wird es aber auch, die vielfältigen Bedürfnisse aller zu vereinen. Die Sonntagsfrage stellt sich also immer wieder aufs Neue und beweist, was wir schon lange ahnen: Das Beständigste an Familie ist ihre stete Veränderung.
Melanie Schmitt lebt mit ihrem Mann und ihren vier Kindern im waldreichen Taunus und gönnt sich nun manchmal nachträglich sonntags die Pausen, die sie vor ein paar Jahren dringend gebraucht hätte.