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Wunsch vs. Wirklichkeit

Es kann herausfordernd sein, einen Weg zwischen dem zu finden, was sich Eltern erträumen und dem, was Kinder wollen. Und nicht immer ist das Ringen um einen Kompromiss stressfrei.

Es ist MEIN Leben!“ – Wie oft habe ich meinen Eltern diesen Satz unter Tränen an den Kopf geworfen? Nach dem Abitur ging ich für ein halbes Jahr von zu Hause weg. Für meine Eltern war der Abschied schmerzhaft, vor allem weil sie es nicht kannten, dass ihre Kinder für eine längere Zeit an einem anderen Ort lebten. Als ich nach sechs Monaten zurückkam, waren sie überglücklich und hatten bereits Pläne im Kopf, wie mein Leben nun weitergehen sollte.

LOSLASSEN LERNEN
Entgegen aller Hoffnungen und Erwartungen entschied ich mich für ein Studium, das etwas weniger als drei Stunden von meiner Heimat entfernt war. Für meine Mutter war es wie ein Stich ins Herz. Ich erinnere mich daran, wie oft sie mich überzeugen wollte, dass es doch ebenso in unserer Umgebung gute Studiengänge gebe. Und auch für mich war der Schritt nicht einfach. Der Gedanke, meine Familie nur noch ab und zu am Wochenende sehen zu können, machte mich traurig. Trotzdem wusste ich, dass ich die richtige Entscheidung getroffen hatte und es an der Zeit war, loszulassen. Loslassen – etwas, mit dem sich meine Mutter auch heute noch, fast drei Jahre nach meiner Entscheidung für das Studium, schwer tut. Im ersten Jahr nach meinem Umzug hatten wir fast täglich Kontakt, haben mehrmals die Woche telefoniert. Mir tat das gut und es hat mir geholfen, weil ich in meiner neuen Stadt noch niemanden kannte und plötzlich auch mit ganz praktischen Fragen konfrontiert war. Mit der Zeit wurde der Kontakt seltener und manchmal wünsche ich mir heute, dass sie öfter fragen würde, wie es mir geht.

FREIHEIT ERWÜNSCHT
Im Abstand von vier bis fünf Wochen fahre ich am Wochenende in die Heimat. Für meine Mama ist es nach wie vor nicht einfach, mich sonntagabends wieder gehen zu lassen. Besonders in der vorlesungsfreien Zeit ist die Erwartung meiner Eltern, dass ich für die gesamte Zeit nach Hause komme. Manchmal habe ich das Gefühl, dass sie noch immer nicht akzeptieren können, dass ich nun in einer anderen Stadt lebe und nicht nur studiere. Immer wieder haben meine Mutter und ich Meinungsverschiedenheiten bezüglich meiner Zukunft. Sie erzählt mir von ihren Wünschen für mein Leben. Ich spüre, dass sie unzufrieden mit meiner Studienwahl ist, dass sie sich etwas anderes für mich wünscht. Das setzt mich unter Druck und macht mich traurig. Was ich jedoch in den letzten drei Jahren lernen musste, ist, dass ich meinen eigenen Weg gehen muss, weil es mein Leben ist! Was ich mir wünschen würde? Mehr Freiheit. Freiheit von Erwartungen; Freiheit, meine Zukunft selbst kreieren zu dürfen. Es ist okay, dass meine Eltern nicht bei jeder meiner Entscheidungen Beifall klatschen. Ich wünsche mir lediglich, dass sie hinter mir stehen – unabhängig davon, ob mein Weg ihrem Ideal entspricht. Zweifelsohne kann ich sagen, dass ich meinen Eltern sehr dankbar bin für ihre Liebe und Unterstützung. Ich danke meiner Mutter für all ihr Nachfragen, ihr Mitgefühl und ihre finanzielle Unterstützung. Und ich danke ihr, dass sie mich jedes Mal, nachdem ich zu Hause war, mit so vielen Lebensmitteln versorgt, dass ich die nächsten vier Wochen überleben kann. Letztendlich weiß ich, dass ich geliebt bin und das ist doch das, was zählt.

 

Die Autorin möchte anonym bleiben.

„Er macht jetzt seinen Doktor!“

Früher waren es die ersten Schritte. Die ersten Wörter. Die mehr oder weniger kunstvollen Bilder der Kinder. Nun ist es das Abi. Der erfolgreiche Abschluss der Ausbildung. Das Diplom, der Bachelor, der Master, der Doktor, der Meisterbrief …

Viele Eltern sind stolz auf ihre großen Kinder. Das dürfen sie auch. Das sollen sie sogar. Aber manchmal habe ich den Eindruck, dass es gar nicht so sehr um die Kinder geht. Schwingt nicht oft der Gedanke mit: „Sehr her, ich bin eine gute Mutter, weil mein Sohn jetzt den Doktor macht.“?

Wir Eltern schmücken uns gern mit den Erfolgen unserer Kinder. Ist ja auch okay. Besser jedenfalls, als nur auf das Negative zu sehen: „Ja, er hat sein Studium in Mindestzeit absolviert, aber er hat immer noch keine feste Freundin.“ „Ja, sie hat eine feste Stelle, aber ich hatte gedacht, sie würde studieren …“ Hier sollten Eltern mal ganz schnell ein bisschen stolzer werden.

Aber wenn wir Erfolge in Schule, Ausbildung, Beruf oder Studium so stark hervorheben, kann das problematisch sein. Zum einen, wenn es bei den eigenen Kindern vielleicht doch mal nicht so gut läuft. Wenn der Einser-Abiturient plötzlich das Studium abbricht. Oder die erfolgreiche Uni-Absolventin keinen passenden Job findet. Schließlich muss unser Sohn, unsere Tochter auch in solchen Situationen sicher sein können, dass ihnen unsere Liebe und Wertschätzung gilt. Dass sie nicht abhängig ist von guten Noten und üppigen Gehaltsabrechnungen.

Und andererseits: Für Eltern, deren Kinder keine „Überflieger“ sind, ist es oft schwierig, wenn in ihrem Umfeld immer wieder von den Erfolgen der Kinder die Rede ist. Worüber soll ich reden, wenn mein Sohn keine Lehrstelle findet? Wenn die Tochter einen Beruf gewählt hat, der wenig Anerkennung erntet? Deshalb ist es wichtig, sensibel mit dem Stolz auf die eigenen Kinder umzugehen. Das wissen wir ja eigentlich schon seit Krabbelgruppenzeiten. Aber wir wissen auch: Jedes Alter der Kinder bringt neue Herausforderungen mit sich. Und gerade die Phase der beruflichen Orientierung und Ausbildung ist eine Steilvorlage für Eltern, in die Stolz-Falle zu tappen. Wie heißt es so schön: „Augen auf bei der Berufswahl!“ Ich würde sagen: „Eltern: Augen auf beim Reden über die Berufswahl!“

Bettina Wendland ist Redakteurin bei Family und FamilyNEXT.

Berufliche Sackgasse

„Unser Sohn (22) wird nach der Ausbildung nicht übernommen. In seinem Bereich sind die Chancen auf dem Arbeitsmarkt eher schlecht, er ist nun am Boden zerstört. Wie können wir ihm helfen?“

Das Begleiten der erwachsenen Kinder ist für uns Eltern gerade in einer Krise eine Herausforderung. Die Spannung zwischen Einmischung, Bevormundung und Alleinlassen schwebt wie zäher Nebel in den unausgesprochenen Gedanken nach solch einer schlechten Nachricht über die berufliche Zukunft des jungen Erwachsenen. Dass ein Kind kein „Projekt“ ist, das man als Eltern „am besten“ bewältigt, sollte schon in den ersten Lebensjahren klar werden, wenn Eltern üben, sich zurückzunehmen. Nicht die Eltern haben ein Projekt, sondern das Kind und später der Jugendliche hat sein Leben zu gestalten. Deshalb sollten Sie das Recherchieren über berufliche Alternativen unbedingt Ihrem Sohn überlassen. Auch Geschichten von anderen, denen Ähnliches passiert ist, sind nicht unbedingt hilfreich … Wenn Sie als Eltern das Heraussuchen von Stellen übernehmen oder ihm das Komplettpaket „Zuhause“ wieder anbieten, kann es im Selbstwert Ihres Sohnes deutliche Risse geben. Sie als Mutter und Vater sind aber Heimatgeber für die Seele und dürfen fragen: „Was kann ich für dich tun?“. Dabei dürfen Sie sich aber auch abgrenzen und deutlich machen, wenn Sie eine Bitte um Unterstützung als unpassend empfinden.

DEN U-TURN VERSUCHEN
Sie müssen aber nicht untätig bleiben. Nach der schlechten Nachricht vom Arbeitgeber ist es Ihre Aufgabe, den Blick zu weiten und Fragen zu stellen. Das Stopp-Schild zu fokussieren lähmt sowohl Sie als auch Ihren Sohn. Besser ist es, eine Art U-Turn zu versuchen: Wenn dieser Weg nicht gelingt, welcher ganz andere Weg kann denkbar sein? Sie könnten Ihrem Sohn folgende Fragen stellen: Ist die Ausbildung vielleicht eine Grundlage, um einen weiteren Beruf zu erlernen? Ist vielleicht eine Art Pause denkbar, wie sie zum Beispiel der Bundesfreiwilligendienst ermöglicht? Das würde den Freiraum geben, sich in Ruhe beraten zu lassen und Bewerbungen zu schreiben oder sich komplett neu zu orientieren.

GELASSENHEIT AUSSTRAHLEN
Wichtig ist dabei, dass Sie Ihren Sohn bewusst neu freigeben. Eine Veränderung der Planung kann auch bedeuten, dass er zum Beispiel nicht in einem Betrieb in Ihrer Nähe bleibt, sondern weiter weg zieht. Planungen freizugeben und offen zu sein, klingt ganz leicht, ist aber kraftaufwändig. Versuchen Sie, Gelassenheit auszustrahlen. Wenn Sie selbst die Bereitschaft zeigen, sich immer wieder neu auszurichten und Veränderungen als Chance sehen, wird Ihr Sohn sich daran orientieren können. Mit diesen Erfahrungen wird das nächste Stopp-Schild mit noch mehr Eigenverantwortung bearbeitet werden – zur Freude der Eltern.

 

Stefanie Diekmann ist Diplom-Pädagogin und lebt mit ihrem Mann und ihren drei Kindern in Ingelheim am Rhein.

Viel zu viel gekocht – oder viel zu wenig…

Wenn die Kinder aus dem Haus gehen, verändert sich auch der Familienalltag. Herausforderungen und Chancen schildert Roswitha Wurm.

Die Haustürglocke surrt. Mein Mann öffnet. Ich höre die Stimme unseres ältesten Sohnes. Ein Blumenstrauß verdeckt sein Gesicht. Er überreicht mir feierlich meine Lieblingsblumen, weiße Rosen. Dann umarmt er mich, Küsschen rechts, Küsschen links auf die Wange. In diesem Moment begreife ich: Unser Großer ist jetzt nicht mehr hier zu Hause. Oder wie es unsere Jüngste so treffend formulierte: Wir sind jetzt die „Little Family Wurm“. Einige Wochen nach dem Auszug unseres Ältesten setzten wir uns mit unseren beiden bei uns verbliebenen Kindern zusammen und planten das Projekt „Wohngemeinschaft Wurm“. Es war tatsächlich so: Wir mussten uns neu sortieren. Eine neue Zeitrechnung war angebrochen: die „Kinder gehen aus dem Haus“-Phase. Gott sei Dank nicht alle auf einmal! Die Worte des weisen Königs Salomos wurden uns neu verständlich: „Alles hat seine von Gott bestimmte Stunde. Und jedes Vorhaben unter dem Himmel hat seine Zeit“ (Prediger 3). Frei übersetzt können wir bestätigen: Kinder großziehen hat seine Zeit, und Kinder loslassen hat seine Zeit. Und: Kinder betreuen, behüten und bekochen hat seine Zeit. Kinder sich selbst versorgen lassen, hat auch seine Zeit.

VERANTWORTUNG ABGEBEN
Letzteres wurde bei mir als Mutter mit dem Flüggewerden unserer Drei zur Herausforderung. Zeitgleich mit dem Auszug unseres älteren Sohnes schloss die Jüngste die Schule ab und begann ihr Studium. Von heute auf morgen fiel nicht nur ein Esser aus, es war plötzlich gar nicht mehr gefragt, dass pünktlich um 14 Uhr ein frisch gekochtes Mittagessen auf dem Tisch stand. Jedenfalls nicht täglich. Da unsere Kinder sehr gastfreundlich sind und über einen großen Freundeskreis verfügen, kann es sein, dass an manchen Tagen kein Essen benötigt wird und ein anderes Mal fünf oder mehr hungrige junge Erwachsene verköstigt werden wollen. Da unsere Kinder auch sehr spontan und aktiv sind, hatte ich stets entweder viel zu viel oder viel zu wenig gekocht. Da bekam ich von meiner Freundin Klaudia einen guten Tipp. Bei ihr gelten folgende Regeln, die wir übernommen haben: Verantwortlich für den Gast ist immer derjenige, der ihn eingeladen hat. Wer spontan jemanden mitbringt, fragt zu Hause nach, ob für den Tag ein Essen geplant ist. Wenn zu wenig Essen vorbereitet ist, nimmt derjenige von einem Laden noch eine Kleinigkeit mit. Klaudia hat zudem immer ein paar Fertiggerichte vorrätig, um spontan das Essen zu verlängern. Letzteres fiel mir als Verfechterin gesunder, frisch gekochter Speisen anfangs schwer. Mittlerweile sehe ich das entspannter. Noch wichtiger als gesundes Essen sind gesunde Beziehungen!

TRADITIONEN UND RITUALE
Jede gut funktionierende WG hat einen Dienstplan. So weit sind wir als Familie nicht gegangen, einige Arbeitsbereiche haben wir jedoch eher zwanglos neu definiert: Unser Zweitgeborener kristallisiert sich immer mehr als begabter, kreativer Koch heraus. So kommen wir immer öfters in den Genuss leckerer Currys und Salatkreationen. Unsere Tochter dekoriert sehr gern und ist für die musikalische Untermalung in unserem Zuhause zuständig. Außerdem gilt die Regel: Jeder ist aufgerufen, für ein ordentliches, sauberes und gemütliches Zuhause zu sorgen. Zudem haben wir begonnen, gemeinsame Traditionen und Rituale zu pflegen. Unsere Kinder äußerten den Wunsch, auch zukünftig eine Woche gemeinsam Urlaub mit uns zu verbringen und regelmäßig einen Koch- und Spieleabend sowie eine Zeit des gemeinsamen Singens christlicher Lieder einzuplanen. Diese familiären Fixzeiten machen die neue Situation entspannter, und wir haben viel Spaß und Freude mit- und aneinander.

UNGEWOHNTE FREIHEIT
Ich finde die „Kinder gehen aus dem Haus“- Zeit sehr spannend, aber auch herausfordernd. Plötzlich entstehen Freiräume, von denen ich vor ein paar Jahren nicht einmal zu träumen gewagt habe. Durch eine längere, schwere Krankheit eines unserer Kinder, meine Tätigkeit als Lerntrainerin von zu Hause aus und die häufige beruflich bedingte Abwesenheit meines Mannes sowie die fehlende Verwandtschaft in der Nähe, war ich lange Jahre mehrheitlich an unsere vier Wände gebunden. Es gab Tage, an denen ich nicht einmal für ein paar Minuten das Haus verlassen konnte. Wie tief dieses Schema in mir verankert ist, bemerkte ich, als ich vor einiger Zeit zu einem beruflichen Event ins Ausland eingeladen wurde. Ich antwortete: „Leider kann ich nicht kommen. Schade. Aber die Kinder …!“ Mein Mann erinnerte mich vorsichtig daran, dass unsere Kinder bereits erwachsen wären. Tatsächlich: Eine neue Ära ist in meinem Leben angebrochen! Ich bin frei, einfach in den Zug zu steigen und irgendwo hinzufahren! Davon hatte ich jahrelang geträumt, als ich meinte, zwischen Schulaufgaben, Wäschebergen und Pausenbroten unterzugehen. Doch nun kam keine Begeisterung bei mir hoch. Ich verfiel in Panik! Was sollte ich nur mit all der Freiheit anfangen? Plötzlich war ich wieder als eigenständige Person gefragt und nicht nur als Ehefrau und Mutter. Beschämt musste ich zugeben, dass ich mich in den letzten Jahren so manches Mal hinter meiner Mutterrolle versteckt hatte, um nicht eigenständig Dinge durchziehen zu müssen. Ich war jahrelang eher die „Frau von …“ und die „Mutter von …“ als ich selbst.

FOTOALBEN WEGGEPACKT
Die scheinbar unbegrenzten Möglichkeiten, die jetzt vor uns stehen, bringen mich dazu zu überlegen, womit ich mich beschäftigt habe, bevor ich Mutter wurde. Was war mir wichtig? Gibt es Bereiche, die ich all die Jahre vernachlässigt habe und in denen ich gern wieder aktiv würde? Hat Gott andere Aufgaben für mich? Gibt es Projekte in der Gemeinde, in die ich mich mehr einbringen könnte, jetzt wo unsere Familie im Alltag kleiner wird? Die Hochzeit unseres Ältesten vor einigen Wochen hat mich daran erinnert, dass genau jetzt die Zeit ist, lange Geplantes und Aufgeschobenes zu tun. Bevor dann die nächste Generation wieder vermehrt meine Aufmerksamkeit fordern wird. Natürlich überfällt auch mich manchmal Wehmut, wenn ich daran denke, dass die Kinder- und Jugendjahre unserer Drei und unsere Familienzeit nun unwiederbringlich vorüber sind. Eine gute Bekannte vergießt seit Jahren Tränen, während sie in Fotoalben die Familienzeit Revue passieren lässt. Die Wände ihrer Wohnung sind mit Erinnerungen an ihre Kinder tapeziert. Sie kommt aus ihrer Verlusttrauer nicht heraus. Obwohl ich ihre Gefühle verstehen kann, ist sie mir zum Mahnmal geworden. Daher habe ich erst einmal alle Fotoalben in einer großen Kiste verstaut. Später einmal möchte ich sie gemeinsam mit meinen Enkelkindern anschauen. Ich habe mich dafür entschieden, das Neue zu leben und nicht dem Alten nachzutrauern. Jetzt ist Zeit für etwas anderes.

NEUE ZWEISAMKEIT
Mein Mann und ich sind von der Zweisamkeit als junges Ehepaar über die Familienphase wieder vermehrt in die Zweisamkeit mit zeitweiliger Beteiligung unserer erwachsenen Kinder zurückgekehrt. Unsere neue Herausforderung ist, uns wieder ganz als Paar zu entdecken. Möglichkeiten gibt es zahlreiche: Vielleicht besuchen wir ja wie unsere Freunde Lisa und Martin einen Tanzkurs. Gut gefällt mir auch die Idee von Richard und Susanne, die für Ehepaare regelmäßig Wanderwochenenden organisieren. Nele und Marija sind in ihr Heimatland zurückgegangen, um dort Kindern in der Nachbarschaft von Jesus zu erzählen. Ganz tief in uns schlummert noch immer der vorelterliche Wunsch eines Missionseinsatzes. Bis sich dafür ein Weg öffnet, genießen und nutzen wir unseren erweiterten Aktionsradius in unserer Heimat. Durch den Auszug unseres Sohnes sind wir stolze Besitzer eines Gästezimmers. Seither kommen unsere Freunde und Verwandte, die über das ganze Land verstreut leben, häufig für ein paar Tage zu Besuch. Ich liebe es, Gäste zu bewirten, am Abend lange beisammen zu sitzen und morgens gemütlich zu frühstücken. Wenn der Sohn zum Gast wird, ist wieder mehr Raum für andere. Besonders schön ist es, wenn er mit seiner Frau auch hier und da Teil unseres Alltags ist.

FREUNDE UND GÄSTE
Was auch immer unsere Zukunft bringt: Ich lebe in keiner Phase des Verlustes, sondern des Gewinns. Neue Möglichkeiten stehen mir offen, ich kann freier über meine Zeit verfügen, muss mich mittags und abends nicht nach Hause hetzen und kann spontan Menschen helfen, die mich gerade brauchen. Meine Kinder kommen zu Besuch und benehmen sich so höflich, wie Gäste das eben tun. Sie vereinbaren einen Termin, freuen sich, ihre Eltern zu sehen, bringen Blumen, Eis oder Kuchen mit, bleiben bei Tisch sitzen, loben das gute Essen, reden endlos mit uns, ohne auf ihr Smartphone zu blicken und schicken vom Urlaub Ansichtskarten. Wir haben Freunde gewonnen – unsere erwachsenen Kinder. Unsere Rolle als Erzieher ist der Rolle als gelegentliche Ratgeber gewichen. Ich freue mich jedes Mal, Zeit gemeinsam mit unseren erwachsenen Kindern zu verbringen, aber bis dahin wird mir auch nicht langweilig. Alles hat seine von Gott bestimmte Zeit. Und das ist gut so.

 

 

Roswitha Wurm arbeitet als Lerntrainerin und freie Redakteurin. Sie lebt mit ihrer Familie in Wien.

 

Besuche anmelden?

„Unsere Tochter kommt gern spontan vorbei, ohne vorher Bescheid zu sagen. Ehrlich gesagt, stört mich das. Ich habe aber die Sorge, dass sie sich nicht mehr willkommen fühlt, wenn ich sie bitte, ihre Besuche anzukündigen.“

Genauso wie Kinder sehr unterschiedlich sind, gibt es auch unterschiedliche Eltern. Während die einen nach dem Auszug der eigenen Kinder am liebsten weiterhin über jeden Schritt genau unterrichtet wären, sind andere Eltern gar nicht so unglücklich darüber, dass sie ihren Tagesablauf wieder nach eigenen Bedürfnissen ausrichten können und sich nicht ständig nach den Kindern richten müssen. Es gibt hier kein „richtig“ oder „falsch“. Deshalb müssen Sie sich nicht schlecht dabei fühlen, wenn Sie jetzt, nach dem Auszug Ihrer Tochter, für sich selbst Grenzen ziehen möchten.

AUSGEZOGEN – ABER AUCH ABGENABELT?
Wichtig ist es jedoch, dass Sie trotzdem auch die Seite Ihrer Tochter sehen. Mit dem Auszug aus dem Elternhaus vollzieht sich für Ihre Tochter die endgültige Abnabelung von den eigenen Eltern. Manche Kinder genießen das in vollen Zügen und melden sich nur noch sporadisch zu Hause. Andere dagegen brauchen einen „Anker“. Sie wünschen sich einen festen Platz, an den sie immer wieder zurückkehren und zur Ruhe kommen können. Dieser Ruhepunkt ist das eigene Elternhaus. Möglicherweise ergibt sich das Bedürfnis, diesen Fluchtpunkt aufzusuchen, für Ihre Tochter sehr spontan.

GEÄNDERTER TAGESABLAUF DER ELTERN
Reden Sie mit Ihrer Tochter darüber, dass Sie nach ihrem Auszug einen anderen Tagesablauf haben und es deshalb notwendig ist, dass Sie über spontane Besuche vorher informiert werden. Machen Sie Ihr klar, dass Sie sich natürlich über ihre Besuche freuen, aber dass Sie nicht möchten, dass Ihre Tochter bei einem unangemeldeten Besuch vor verschlossener Tür steht. Sollte Ihre Tochter noch einen Wohnungsschlüssel haben, so besprechen Sie mit ihr, dass dieser Schlüssel nur für Notfälle gedacht ist und nicht zum Betreten der Wohnung während Ihrer Abwesenheit.

MIT EINFÜHLUNGSVERMÖGEN ABGRENZEN
Erklären Sie ihr, dass Sie sie gerne jederzeit willkommen heißen und ihr auch extra das Lieblingsessen kochen oder die Lieblingsschokolade im Kühlschrank lagern, aber dass das nur möglich ist, wenn Sie vorher Bescheid sagt. Im ersten Moment ist es für erwachsene Kinder sicherlich nicht einfach, plötzlich wie ein Besucher behandelt zu werden. Wenn Sie jedoch Ihr Anliegen in die richtigen Worte kleiden, wird Ihre Tochter Sie sicherlich verstehen. Erwachsene Kinder ziehen aus, um ihr eigenes Leben zu leben. Dieses eigene Leben steht jedoch auch den Eltern zu. Deshalb müssen Eltern kein schlechtes Gewissen haben, wenn sie nach Auszug der Kinder ihren Tagesablauf ändern und infolgedessen darauf bestehen, dass sich die Kinder bei einem Besuch anmelden.

Ingrid Neufeld ist Erzieherin und Mutter von drei inzwischen erwachsenen Töchtern. Sie lebt in Mittelfranken.

„Sei nicht kindisch, Mama!“

Wenn meine Kinder erwachsener sind als ich … Von Stefanie Diekmann

Das Regenwetter des Urlaubstages beschreibt genau meine Stimmung. Wir trotten als fünfköpfige Familie durch eine englische Kleinstadt und suchen etwas Essbares. Der Burgerladen, der uns empfohlen wurde, erweist sich als hübsch und hochpreisig. Während ich mich seufzend niedergelassen hätte, geht mein Mann konsequent wieder aus dem Laden, um etwas Preisgünstigeres zu suchen. Ich bin grummelig: „Alter Sparfuchs!“ In mir braut sich Ärger zusammen. Nie gönnen wir uns was … Da wir von unserem letzten Halbjahr erschöpft sind, ist der Ton zwischen uns eh rau. Rauer, als uns lieb ist. Wir zischen uns an. Die Kinder rollen mit den Augen. Naja, Kinder – wohl eher Teens und Jugendliche. Schon lange sind sie nicht mehr unser Auftrag, sondern eher Partner. Aber heute will ich keine Partner. Mit hungrigem Magen und einem Gefühlsbrei in mir will ich gar nichts mehr. Ich will meinen Mann doof finden und finde keinen Mut, ihm von meiner Enttäuschung zu erzählen. Besser gelingt es mir, rumzunörgeln.

UNFLÄTIG AUSFLIPPEN
Im Schnellimbiss habe ich keine Lust, mich anzustellen und auch nicht mit ihm zu reden. Mein sonst sehr entspannter Mann blitzt mit funkelnden Augen zurück und ruft nicht gerade freundlich die Bestellung ab. Als wir alle die ersten Pommes in den Mund schieben, eröffnen unsere Jugendlichen ein Gespräch: Sie weisen uns auf unseren kindischen Auftritt eben an der Kasse hin. Wir wehren uns eifrig, aber alle drei sind sich einig: So gefällt ihnen unser Verhalten nicht. Sie wünschen sich mehr Nähe und Respekt. So macht Familie keinen Spaß. Wir hätten es ihnen schließlich beigebracht, Dinge anzusprechen, zu klären und nicht zu motzen. In mir tobt eine Dreijährige, die unflätig ausflippen möchte. Ich bin sprachlos und ein bisschen zynisch, als ich antworte: „Ach, das müsst ihr uns jetzt sagen?“ – „Scheinbar ja, so wie ihr euch heute benehmt!“, bleibt unsere 18-jährige Tochter klar.

IMMER MEHR GEGENVERKEHR
Ich brauche mehr als einen Tag, um dieses Erlebnis zu verdauen. Wenn unsere Kinder mit uns Alltag leben, reibe ich mich an diesen Spiegelmomenten manchmal wund. So gut, wie ich die jungen Menschen kenne – oder meine sie zu kennen –, so sehr sind sie mit mir und meinen Ecken und Kanten vertraut. Auf der Einbahnstraße meiner Kommentare zu ihrem Verhalten herrscht mit zunehmendem Alter immer mehr Gegenverkehr. Meine 16- und 18-jährigen Töchter lassen meine Chaostage, meinen Zorn auf Menschen, meine nicht gut geplanten Besprechungen nicht unkommentiert. Oft habe ich dann das Gefühl, alles falsch zu machen. Ein Gefühl, dass Jugendliche und junge Erwachsene zu gut kennen. Das edle Vorrecht, erwachsen zu sein, ist mit Jugendlichen in der Familie hart umkämpft. Ich muss üben, es zu teilen. In meinen kindlichen Momenten ist mein Empfinden und Verhalten von alten Gefühlen und Erfahrungen gesteuert. Ich bin wie zurückgeworfen in die ersten Versuche, meine Schwächen zu meistern. Ich sitze perplex auf dem Boden. Eben noch in die Performance als Erwachsene vertieft, stolpere ich durch ihre Rückmeldungen vom Seil. Da kommen Kommentare, die sind nicht nett und nicht sorgsam abgewogen, sondern klar und verletzend. Ich bin verdutzt, wie sehr es mich aus dem Gleichgewicht bringt. Habe ich meinen Kindern das mitgegeben? Andere so zu bewerten?

DAS NÄCHSTE LEVEL
Uns helfen als Paar zwei Gedankenwege, um die Rückmeldungen unserer Kinder zu verarbeiten: 1. Was sagt mir mein verletztes Gefühl über mich? Welche Themen sind für mich immer wieder fordernd? Welches uralte Hindernis ist da gerade wieder aufgetaucht? 2. Was sagt die Rückmeldung über den jungen Menschen? Meine Tochter mag es nicht, dass ich an einem Schmerztag auf der Couch liege. Oft kommt nach einigen Wortgefechten heraus, dass sie selbst unter Strom steht und sich einen Tag Auszeit wünscht. Wenn ich mich dem „Sei nicht kindisch, Mama!“ meiner Jugendlichen verwehre, erreichen wir das nächste Level von Beziehung nicht. Ich möchte nicht die Instanz bleiben, die allein weiß, was gut und richtig ist. Möchte nicht drohen: „So redest du nicht mit deiner Mutter – ich weiß, was gut für dich und mich ist!“ Ein Vater berichtete mir einmal von solchen Momenten. Es brach aus ihm heraus, wie viel Kummer ihm die „Besserwisserei“ und die „Tipps“ seiner Jungs machen. „Meine Erfahrung ist nichts wert! Ich bin nur noch der, der Geld ranschafft. Sie wollen gar nichts mehr von mir! Im Gegenteil, ständig muss ich mir anhören: ‚Weiß ich, Papa! Du hast keine Ahnung, Papa!‘“ Jugendliche wollen mit ihrem Wissen über die Welt und das Leben selbstständig agieren und sehen Zusammenhänge weniger komplex und risikoreich. Das ist gesund und natürlich – sonst würde nie ein Jugendlicher etwas wagen. Diese Leichtigkeit wird den Eltern gern als: „Ich weiß und ich kann alles!“ vermittelt. Zeitgleich bewege ich mich in einer Lebensphase, in der weniger geht und ich weniger weiß. Ich brauche meine Jugendlichen zum Installieren von Apps, zum Lernen neuer Lieder für den Gottesdienst, zum Loslassen alter Deko-Objekte („Diese Tischdecken sind so 80er, Mama!“). Ich lasse los, werde verwundbarer – und sie erobern das Leben.

DEN KOPF WASCHEN
Menschen, die zu ihren erwachsenen Kindern gelingende Beziehungen haben, haben es geschafft, zusammen das Balancieren zu üben. Irgendwann wird die Phase der Schonungslosigkeit weichen, und unsere Jugendlichen werden milder werden – auch mit uns. Mein Mann und ich haben uns im England-Urlaub nach zwei Tagen übrigens bei unseren Kindern bedankt. Nicht jeder Hinweis und jeder Anraunzer kommt so reflektiert und berechtigt. Wir haben ihnen Mut gemacht, uns weiter den Kopf zu waschen und sie gebeten, uns auch mal zu loben. Lächelnd haben sie zugestimmt. In diesem Gespräch haben alle Kinder auf ihre Art ausgedrückt, dass sie unsere Ehe schätzen und es deshalb gar nicht mögen, wenn wir so kindisch sind. Das war doch schon mal ein Lob, oder?

Stefanie Diekmann ist Diplom-Pädagogin und lebt mit ihrem Mann und ihren drei Kindern in Ingelheim am Rhein.

 

 

 

Ein Platz zum Schlafen

„Ich feiere demnächst Geburtstag und möchte dazu meine drei erwachsenen Kinder mit ihren Partnern einladen. Allerdings habe ich nicht die Möglichkeit, alle in meiner Wohnung übernachten zu lassen. Was wäre eine gute Lösung?“

Wenn die Kinder flügge werden, fliegen sie auch mal weiter weg und lassen sich an anderen Orten nieder. Durch Partner wird die Familie größer. Das macht sich bei Ihren Familienfest stark bemerkbar: Plötzlich reicht der Platz nicht mehr aus, vor allem, wenn die erwachsenen Kinder Übernachtungsmöglichkeiten brauchen. Jetzt sind kreative Lösungsmöglichkeiten gefragt. Aber Sie sind nicht alleine verantwortlich für eine Lösung. Denn Ihre Kinder wissen ja, wie viel Platz Sie haben. Gehen Sie im Vorfeld mit allen Kindern offen ins Gespräch.

ÜBERNACHTUNGSIDEEN

Schlafsofa kaufen: Schon weit im Vorfeld können Sie bei der Umgestaltung der alten Kinderzimmer oder beim Neukauf von Möbeln solche Situationen mit in den Blick nehmen und deshalb zum Beispiel nicht nur ein Sofa, sondern ein Schlafsofa kaufen.

Übernachtung gegen Bezahlung: Eine bequeme, allerdings mit zusätzlichen Kosten verbundene Möglichkeit ist es, einfach mal Tourist in der eigenen Stadt zu sein und ein Hotel, eine Pension oder Ferienwohnung zu buchen. Achten Sie auf räumliche Nähe, damit nicht noch lange Strecken bewältigt werden müssen. Der Vorteil: Jeder hat einen Rückzugsraum. Vielleicht werden Ihre Kinder auch mit einem Frühstück versorgt, dies minimiert Ihren Aufwand als Gastgeber. Wer trägt die Kosten? Solche Fragen klärt man am besten, wenn man offen miteinander ins Gespräch kommt.

Couchsurfing: Über die Internetplattform couchsurfing.com bieten Menschen einen (Sofa-)Platz kostenfrei zum Übernachten an. Freunde: Wenn Ihre Kinder noch Freunde am Ort haben, können sie vielleicht dort unterkommen. Vor allem, wenn Kinder weiter weg wohnen, ist es ja oft so, dass sie gerne ein paar Tage länger bleiben, um auch die Freunde von früher zu besuchen.

Nachbarschaft und Gemeinde: Vielleicht haben Sie in der Nachbarschaft oder in der Gemeinde gastfreundliche Menschen, die gerne bereit sind, ihren Kindern Obdach zu geben. Haben Sie den Mut zu fragen.

Doch zu Hause: Vielleicht ist bei Ihnen doch mehr Platz, als man auf den ersten Blick meint. Im Sommer kann vielleicht im Garten gezeltet werden. Oder man leiht für ein paar Tage einen Wohnwagen oder ein Wohnmobil aus.

Ganz woanders: Und wenn das alles nicht funktioniert, können Sie als Familie überlegen, Familientreffen woanders stattfinden zu lassen. Bei Familienfeiern geht es nicht nur um das Feiern eines Jubiläums, sondern immer auch um gemeinsam und unbeschwert verbrachte Zeit. So könnten Sie zum Beispiel gemeinsam ein Wochenende in einer Ferienanlage oder einem Freizeitheim verbringen.

Michaela Schnabel ist Mutter von drei erwachsenen Töchtern. Sie arbeitet als Sozialpädagogin und lebt in Witten.

Zum Zaungast degradiert?

Medien, Schule, Freunde – all das beeinflusst unsere fast erwachsenen Kinder. Haben wir als Eltern überhaupt noch Einfluss?

Jan hat gerade seinen 16. Geburtstag gefeiert und ist davon überzeugt, dass ihm jetzt die Welt offen steht. Endlich darf er den Führerschein für ein Moped oder einen Roller erwerben. Von den Eltern will er sich gar nichts mehr sagen lassen. So wie Jan sehen viele heranwachsende Kinder ihre eigene Position. Sie fühlen sich bereits erwachsen, obwohl sie es faktisch – und auch vor dem Gesetz – noch gar nicht sind. Das ist keine einfache Situation. Eltern wünschen sich manchmal, ihr Kind wäre noch klein und auf sie angewiesen. Denn Babys begreifen ihre Eltern als Erweiterung von sich selbst und hängen deshalb sehr an ihnen. Erst mit der Entwicklung des eigenen Ichs wird die Umwelt allmählich wichtiger. Mit dem Alter des Kindes nimmt die Beeinflussung außerhalb des Elternhauses kontinuierlich zu. Irgendwann ist dann der Punkt gekommen, an dem der Einfluss von Schule, Freunden und Medien dominiert und sich der junge Mensch kaum mehr etwas von den Eltern sagen lässt.

DAS GROSSE SCHWEIGEN
Marc ist 17, seine Freundin Svenja hat vor wenigen Wochen ihren 16. Geburtstag gefeiert. Beide halten ihre Beziehung vor den Eltern geheim. Marc, weil er genau weiß, dass seine Eltern die neue Freundin mit den schlechter werdenden Schulnoten in Verbindung bringen und deshalb gegen die Beziehung Partei ergreifen würden. Svenja, weil sie fürchtet, dass die Eltern es nicht gern sehen, dass sie sich mit einem Freund abgibt, der weder im Jugendkreis der Gemeinde anzutreffen ist noch sonst irgendeinen Bezug zum christlichen Glauben hat. Doch Svenja sieht in Marc jemanden, mit dem sie ihre Probleme besprechen kann und der sie versteht. Svenja empfindet diese Beziehung als Bereicherung, aber sie weiß, dass ihre Eltern das ganz anders sehen würden. Tom besucht die 10. Klasse einer Realschule. In diesem Jahr steht die Abschlussprüfung an. Doch statt fleißig zu lernen, sitzt Tom den ganzen Tag am Computer und macht … Ja, was er dort treibt, wissen seine Eltern nicht. Denn Tom schweigt sich darüber aus. Da sich die Eltern bisher wenig für den Computer interessiert haben und damit selbst nicht viel anzufangen wissen, können sie sich auch gar nicht vorstellen, was Tom den ganzen Tag im Internet macht. Auf jeden Fall hängt er den lieben langen Tag vor dem Computer ab und ist nicht zu motivieren, sich um die Schulaufgaben zu kümmern. Die 16-jährige Lisa blendet jede Unterhaltung von vornherein aus, da ihre Aufmerksamkeit vom Smartphone so sehr in Anspruch genommen ist, dass sie gar nicht mehr merkt, dass die Eltern mit ihr reden wollen. Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen. Denn so viele unterschiedliche Jugendliche es gibt, so viele unterschiedliche Situationen gibt es auch, in denen Jugendliche ihre Eltern regelrecht ausbremsen und aus ihrem persönlichen Alltag außen vor lassen. Sie orientieren sich lieber an Medien oder Menschen, die vollkommen außerhalb des Einflussbereichs der eigenen Eltern stehen.

BETRETEN VERBOTEN!
Für Eltern, die den Zugang zu ihren Kindern suchen und dabei gegen Wände laufen, kann das sehr frustrierend sein. Obwohl die Kinder in derselben Wohnung leben, haben sie sich einen Bereich geschaffen, zu dem die Eltern keinen Zutritt haben. Sie zeigen das nicht nur ganz konkret durch Schilder an der Tür, wie „Betreten verboten – Lebensgefahr“ oder „Eltern müssen draußen bleiben“, sondern auch dadurch, dass sie ihren Eltern nichts von ihren Problemen oder auch nur von den Alltagserlebnissen erzählen. Tipps für ihr Leben holen sie sich eher aus den sozialen Netzwerken als von den Eltern. Eltern fragen sich deshalb nicht zu Unrecht: „Habe ich überhaupt noch Einfluss auf mein Kind?“ Grundsätzlich ist diese Frage schon allein deshalb zu bejahen, weil Sie als Eltern in all den vergangenen Jahren einen immensen Einfluss auf Ihren Sohn oder Ihre Tochter ausgeübt haben. Dieser Einfluss hat in Ihrem Kind bereits Grundlagen gelegt, die dafür sorgen, dass es sich bei seinen Handlungen in der Regel fragen wird, ob die Eltern diese Handlung gut oder schlecht finden werden. Das heißt natürlich nicht zwangsläufig, dass sich Ihr Jugendlicher genauso verhält, wie Sie es für richtig halten. Es kann im Gegenteil bedeuten, dass er genau aus diesem Grund einen anderen Weg wählt, als er ihn vom Elternhaus vorgelebt bekommen hat. Ein junger Mensch setzt sich mit den Werten und Meinungen auseinander, die ihm die Eltern vermittelt haben. Dazu gehört auch, dass er sich gegen die weitere Beeinflussung sperrt und absichtlich konträre Entscheidungen trifft. Wir kennen dieses Verhalten alle sehr gut aus der eigenen Jugend. Warum sollten unsere Kinder anders reagieren?

FALSCHE ENTSCHEIDUNGEN
Eltern sollten sich nicht unbedingt in die Entscheidungen ihrer Kinder einmischen. Lassen Sie Ihr Kind ruhig auch mal Fehler machen. Falsche Entscheidungen können durchaus heilsam sein. Außerdem ist es immer schwierig zu sagen, dass eine Entscheidung richtig oder falsch ist. Selbst „falsche“ Freunde können für den jungen Menschen wichtig sein. Vielleicht ist es für Ihre Tochter wichtig, gerade jetzt einen Freund zu haben, der so gar nicht zu Ihren Vorstellungen passt. Eltern müssen sich auch mal zurücknehmen und abwarten. Der erste Freund ist ganz selten der Mann fürs Leben. Geben Sie Ihren Kindern den Raum, allein Entscheidungen zu treffen. Wenn Ihre Kinder dann aber vor einem Scherbenhaufen stehen, weil die Entscheidung eben tatsächlich falsch war, dann vermeiden Sie es, Ihrem Kind zu sagen: „Ich habe es doch gleich gewusst.“ Zum einen nützt es nichts, mit dieser Bemerkung Salz in die Wunde zu streuen. Und zum anderen ist Ihr Kind jetzt sicherlich offen für Ihren Trost und Ihre Hilfestellung. Diese Offenheit sollten Sie nicht dadurch wieder zunichtemachen, dass Sie Ihre Überlegenheit ausspielen. Egal wie die Situation ist, behalten Sie die Ruhe und warten Sie einfach ab. Irgendwann kommt Ihr Kind wieder auf Sie zu.

DER 16. GEBURTSTAG
Manche Jugendliche haben hohe Erwartungen an ihren 16. Geburtstag. Spätestens jetzt erhalten sie einen eigenen Personalausweis. Außerdem sind manche Jugendschutzbestimmungen nun nicht mehr relevant für sie. Ein weiterer Meilenstein auf dem Weg zum Erwachsenwerden ist für die meisten jungen Menschen der Erwerb des Führerscheins. Seitdem es die Möglichkeit gibt, den Führerschein im Rahmen des „Begleiteten Fahrens ab 17“ vorzeitig zu erwerben, ist der 16. Geburtstag ein wichtiges Datum, das die Heranwachsenden dem Führerschein näher bringt. Da jedoch meist die Eltern diejenigen sind, die den Führerschein bezahlen, können Sie diesen Erwerb auch mit der Bedingung verknüpfen, dass der oder die Heranwachsende sich an die Regeln des familiären Zusammenlebens hält. Dazu gehört es selbstverständlich, dass Jugendliche eben nicht machen, was sie wollen, sondern sich an Absprachen halten, ihr Zimmer selbst in Ordnung halten, die Hausaufgaben regelmäßig erledigen und an gemeinsamen Mahlzeiten teilnehmen. Welche Regeln für Ihre Familie wichtig sind, legen Sie selbst fest.

EINMISCHUNG DER ELTERN
Es gibt sicherlich viele Bereiche, in denen die Heranwachsenden ihre eigenen Erfahrungen machen wollen und auch müssen. Trotzdem gibt es auch Situationen, in denen Jugendliche ihre Eltern brauchen. Um das herauszufinden, ist es wichtig, mit den Kindern im Gespräch zu bleiben. Im Alter von 16, 17 oder 18 Jahren wollen Kinder oft alles selbst regeln und schweigen Probleme manchmal tot. Wenn Sie als Eltern jedoch immer wieder zeigen, dass Sie an Ihrem Kind interessiert sind und sehr wohl merken, wenn es ihm nicht gut geht, wird sich Ihr Sohn oder Ihre Tochter leichter öffnen und eine schwierige Situation zumindest andeuten. Wenn Sie erfahren, wo das Problem zu suchen ist, können Sie beispielsweise mit dem Lehrer oder dem Arbeitgeber reden und so Licht ins Dunkel bringen. Vielleicht braucht Ihr Jugendlicher auch Hilfe bei der beruflichen Orientierung. Diese Frage treibt Jugendliche oft mehr um, als sie zugeben. Manchmal passen die Noten nicht zum Wunschberuf, oder der Jugendliche hat zu nichts Lust. Versuchen Sie, gemeinsam Stärken herauszufinden und entwickeln Sie mit ihm zusammen Ideen. Es ist nicht so, dass Sie als Eltern auf dem Abstellgleis stehen und nur noch als Zaungast zuschauen müssen. Ihr Kind braucht Sie als Eltern genauso dringend wie früher. Es zeigt es nur nicht – und braucht Sie anders. Doch wenn Jugendliche begreifen, dass die Eltern immer für sie da sind, dann ist das eine gute Grundlage für Ihre Eltern-Kind- Beziehung – bis ins Erwachsenenleben hinein.

Ingrid Neufeld ist Erzieherin und Mutter von drei inzwischen erwachsenen Töchtern. Sie lebt in Mittelfranken.

Beim Umzug helfen?

„Unser Sohn (23) zieht in eine neue Wohnung, wo noch viel renoviert werden muss. Dafür erwartet er unsere Hilfe. Wir haben aber gerade selbst viel um die Ohren und denken, dass er alt genug ist, um so etwas allein zu regeln. Können wir ihm absagen?“

 

Wenn die Kinder das Nest verlassen haben, bleibt bei Eltern oft nicht das erwartete Freiheitsgefühl, sondern ein Wehmutsgefühl zurück. Loslassen ist nicht einfach. Eltern müssen akzeptieren, dass ihr Kind sein eigenes Leben lebt. Es beinhaltet aber auch, dem Kind sein Erwachsensein zuzugestehen, ihm einen eigenen Lebensstil und eigene Entscheidungen auch innerlich zu erlauben. So eine Beziehung auf Augenhöhe fühlt sich nach all den Jahren der Fürsorge und Verantwortung erst einmal fremd an. Die Eltern-Kind-Beziehung wächst in ein neues Stadium hinein, das Schritt für Schritt ertastet werden will. Vieles daran fühlt sich ungewohnt an. Zum Beispiel, dass es zu einem ausgewogenen Geben und Nehmen kommen darf. Wir sind nicht mehr die nur Starken und Überlegenen, sondern wir dürfen uns auch mit unseren Schwächen und Grenzen zumuten.

ABSAGE ZUMUTEN
In Ihrer Frage wird deutlich: Da hat schon jemand das Nest verlassen. Sowohl Sie als auch Ihr Sohn haben ein jeweils eigenes, erfülltes Leben. Deshalb gilt: Ihr Sohn ist selbst verantwortlich für seinen Umzug. Dass Sie als Eltern noch gefragt werden, ist ja auch schön und zeugt von familiärer Verbundenheit. Im besten Falle hat sich zwischen Ihnen und Ihrem Sohn ein freundschaftliches Nebeneinander entwickelt. Und wie es unter guten Freunden üblich ist, darf man sich auch mit seinen Unvollkommenheiten zeigen. Auch Sie als Eltern haben Grenzen, zum Beispiel weil Sie keine Zeit haben, gesundheitlich nicht mehr so viel leisten können oder zu weit weg wohnen. Nehmen Sie auf einer erwachsenen Ebene Kontakt zu Ihrem Sohn auf und muten ihm eine Absage zu. Ihr Sohn muss lernen, dass einseitige Ansprüche der Vergangenheit angehören. Eltern wollen fair gefragt werden. Und auf eine Frage darf man auch mit „Nein“ antworten.

RÜCKHALTLOSES ZUTRAUEN
Wir als Eltern sind nicht mehr verantwortlich für das Wohlergehen unserer erwachsenen Kinder. Und damit auch nicht für das Gelingen eines Umzugs. Diese Verantwortung liegt beim Sohn (oder der Tochter). Was Ihr Sohn braucht, ist Ihr rückhaltloses Zutrauen. Hat er das? Oder denken Sie, dass der Umzug ohne Ihre Mithilfe scheitern wird? Vielleicht lohnt es sich, wenn Sie über folgende Fragen nachdenken: Warum könnte es mir schwer fallen, Nein zu sagen? Was daran macht mir Angst? Dass unser Sohn Dinge falsch einschätzt und Fehler machen wird? Dass der Umzug misslingt? Halte ich es aus, wenn es vielleicht chaotisch läuft? Habe ich die Befürchtung, dass es mit einer Absage zu einem (grundsätzlichen) Konflikt kommen wird? Dass sogar die Beziehung als solche in Frage gestellt werden wird? Wollen wir einmal grundsätzlich miteinander darüber sprechen, wie jeder von uns sich eine erwachsene Eltern-Kind-Beziehung vorstellt, was jeder bisher erwartet hat, was sich jeder wünschen würde?

 

Michaela Schnabel ist Mutter von drei Töchtern, die ihre weltweiten Umzüge sehr selbstständig organisieren. Sie arbeitet als Sozialpädagogin und lebt in Witten.

Große Kinder, große Sorgen?

Man kann sich trefflich streiten, ob der bekannte Spruch mit den kleinen und großen Kindern und den dazugehörigen Sorgen denn nun stimmt oder nicht. Fakt ist, dass auch Eltern von Jugendlichen oder von erwachsenen Kindern ihre Fragen und Probleme haben. Um ihnen eine Austauschmöglichkeit zu geben, bieten wir in Kooperation mit jesus.de nun das Forum „Familienleben mit (fast) erwachsenen Kindern“ an. Hier können namentlich oder anonym Fragen und Probleme aus dieser besonderen Familienphase diskutiert werden. Damit knüpfen wir an unser neues Magazin FamilyNEXT an, das sich auch an diese Zielgruppe richtet. Eltern von „großen“ Kindern sind immer noch mit genauso viel Herzblut an Themen wie Familie und Erziehung interessiert wie Eltern von kleineren Kindern. Nur haben sich die Umstände und Vorzeichen verändert. Deshalb nun dieses neue Forum: Familienleben mit (fast) erwachsenen Kindern