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„Ich bin gut“ – Wie wir ein positives Selbstbild entwickeln

Ein positiver Blick auf uns selbst fällt oft schwer. Aber von Kindern können wir lernen, wie das geht.

Mein Sohn Dennis war drei Jahre alt, als er mit einem einzigen Satz mein Weltbild ins Wanken brachte. Wir Eltern saßen auf dem Sofa. Dennis lief strahlend an uns vorbei, hatte den Schalk in den Augen und sprach: „Ich bin gut.“ Er sagte das mit viel Freude, ohne jeden Anflug von Zweifel, mit Selbstvertrauen und Spaß an sich selbst. Es ging ihm nicht darum, unsere Bestätigung zu bekommen. Er wollte uns diese Tatsache einfach nur mitteilen und uns an seiner Freude teilhaben lassen.

Da saßen wir pädagogisch geschulten Eltern nun, sahen uns an, und da war sie, unsere neue Aufgabe für die nächsten 15 Jahre. Wir waren uns einig, dass wir dieses wunderbare Selbstwertgefühl so gut wie möglich beschützen und auf uns selbst aufpassen wollen, damit wir es nicht zerstören.

Nicht rumziehen

Mir war der Begriff „Erziehung“ schon immer suspekt und unangenehm. Er hat für mich etwas von „geradeziehen“ oder „in eine Form ziehen“. Dieses Kind brauchte nicht „erzogen“ werden, es war gut so, wie es war. Ich habe mich also nicht mehr von pädagogischen Konzepten inspirieren lassen, wohl aber davon leiten lassen, dass es in jeder Gruppe, in jedem Zusammenleben Regeln geben muss. Diese Regeln kamen von uns Eltern, zunehmend in Absprache mit unserem Sohn. Und hin und wieder war eine klare Ansage nötig. Wir haben, wie alle Eltern, natürlich auch Fehler gemacht. Aber niemals hatte ich Zweifel an Dennis‘ Aussage „Ich bin gut“, niemals die Vorstellung, ich sollte dieses Kind irgendwie besser machen, an ihm rumziehen. Dennis hat mir mit seinen drei Jahren den Weg gewiesen.

Ich frage mich, ob wir alle so sind in diesem Alter, so eins mit uns selbst, so einverstanden mit uns – und wann es beginnt, dass sich Unsicherheit und Selbstzweifel breitmachen. In frühen Fotos meiner Kindheit habe ich geforscht, ob in meinem Gesicht, meiner Haltung auch so ein spitzbübisches Leuchten zu finden ist. Auf einem Foto habe ich es tatsächlich entdeckt.

Einverstanden mit uns selbst

Warum ändert sich das so schnell? Welchen Einflüssen sind wir ausgesetzt? Ich denke, ein Elend ist die dauernde Bewertung und Benotung, denen Kinder ausgesetzt sind. Davor konnte ich auch Dennis nicht beschützen. Und ich habe den Eindruck, es wird immer schlimmer. Der Einfluss der sozialen Medien kommt in den letzten Jahren noch erschwerend hinzu.

Wäre es nicht großartig, wenn wir auch im Erwachsenenleben fröhlich und selbstbewusst „Ich bin gut“ sagen könnten oder etwas ähnlich Positives? Und wenn wir das auch dürften, würde es uns nicht schwerfallen, wäre es nicht peinlich und es würde von unseren Mitmenschen nicht als großspurig oder arrogant bewertet werden. Es wäre eine schlichte Selbstverständlichkeit und der Ausdruck unseres Einverstandenseins mit uns selbst.

Dennis kann das übrigens als erwachsener Mann immer noch: „Ich bin gut in dem, was ich mache.“ Da muss ich immer lächeln und erinnere mich an die Szene vor vielen Jahren, die mir so deutlich in Erinnerung geblieben ist und mein Denken und Handeln beeinflusst hat.

Renate Schwertel ist als Dozentin für eine Software und in der Erwachsenenbildung tätig. Sie lebt mit ihrem Mann und einem ihrer Söhne im Taunus.

Ohne Body Shaming und Beziehungsängste: Wie Jugendliche einen gesunden Umgang mit digitalen Medien lernen

Digitale Medien können die seelische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen schädigen. Der Psychologe und Psychotherapeut Johannes Hepp gibt Anregungen, wie Eltern zu einem gesunden Umgang helfen können.

Sorgt die Digitalisierung für mehr psychische Erkrankungen?
Wirkliche Studien und Erhebungen gibt es dazu nicht, soweit ich weiß. Das sind auch immer fließende Übergänge. Ab wann reden Sie von einer psychischen Erkrankung? Das ist nicht so leicht zu bestimmen. Aber ich habe den Eindruck, dass die psychischen Belastungen mannigfacher und stärker geworden sind.

Und was sind dabei die größten Belastungen?
Bei Kindern und Jugendlichen stark verbreitet ist eine Abhängigkeit vom Smartphone und von Social Media. Hier gibt es Körperbild-Verzerrungen und Body Shaming. Und wir haben weniger reale Begegnungen. Die zwischenmenschliche Kommunikation und Dinge, die früher selbstverständlich waren im Umgang miteinander, führen immer häufiger zu Problemen bis hin zu Beziehungsängsten, weil vieles nur noch virtuell erlebt wird und im realen Alltag nicht trägt.

Aber war es in der harten Pandemiezeit nicht auch gut für die seelische Gesundheit gerade von Kindern und Jugendlichen, dass sie digitale Möglichkeiten hatten, um Kontakt mit Freunden zu halten?
Das war extrem wichtig. In den Lockdowns wären die psychischen Belastungen ohne die Möglichkeit, wenigstens digital miteinander zu kommunizieren, viel größer gewesen. Aber meine Patienten haben im Lockdown auch erkannt, wie irrsinnig es war, sich nicht mehr wirklich zu begegnen, als man es noch konnte. Nur stelle ich jetzt wieder einen schnellen Rückgang zur Norm, also zu dem Zustand vor der Pandemie fest. Und ich sehe ein weiteres Fortschreiten der Virtualisierung.

Was wäre denn Ihrer Meinung nach eine gute Strategie, mit digitalen Geräten umzugehen?
Das ist je nach Altersgruppe unterschiedlich zu betrachten. Bei Kindern und Jugendlichen geht es um die Begrenzung der Zeit, die sie sich in virtuellen Welten bewegen im Verhältnis zu dem, was sie real erleben und selbst erkunden. Der virtuelle Anteil ist ja auch gut. Kinder lernen viel online und haben da neue Möglichkeiten, aber es sollte nur ein kleiner Teil der Wachzeit sein. Sonst beeinträchtigt das die gesunde Entwicklung unserer Kinder. Aber das muss man schon sehr differenziert betrachten. Ich sehe das eine nicht nur als gut und das andere nicht nur als schlecht.

Haben Sie konkrete Tipps für Eltern?
Es braucht die intensive inhaltliche Auseinandersetzung der Eltern mit den Themen. Nicht alles ist schlecht und belastend. Instagram zum Beispiel ist für Töchter eine gefährliche Geschichte. Dass sie nicht ein Body Shaming, sondern ein gesundes Selbstwertgefühl entwickeln. Es gibt ja auch andere Möglichkeiten, virtuell zu kommunizieren, die nicht so bildhaft, nicht so körperorientiert sind. Die Eltern kommen heutzutage nicht mehr durch, indem sie sagen, du darfst nur zwei Stunden ins Internet. Auch zwei Stunden können zu viel sein, wenn ich auf den falschen Seiten bin. Deswegen braucht es eine Begleitung unserer Kinder und Jugendlichen durch Eltern, die die Unterschiede verstehen und auch die Mechanismen dahinter. Das war auch das Anliegen meines Buches, das Hintergrundwissen zu vermitteln, um differenzieren zu können: Was ist gut, was ist schlecht? Die Offenheit der Kinder und Jugendlichen ist viel größer, wenn sie das Gefühl haben, die Eltern können auch inhaltlich mitdiskutieren. Kinder müssen zum Beispiel wissen, welche Videospiele sie sich runterladen dürfen und welche nicht. Da kommen Sie mit reiner Altersbeschränkung nicht weiter. Ich musste mich auch inhaltlich damit beschäftigen. Ich habe bei meinen Jungs – 9 und 10 Jahre alt – festgestellt: Wenn das ein Spiel ist, wo es kein wirkliches Ende gibt, also nicht eine Runde, die man fährt und dann ist sie vorbei, sondern wenn das eine Level-Struktur hat, dann fällt es ihnen schier unmöglich schwer, aufzuhören. Am Ende hilft es nur, wenn unsere Kinder und Jugendlichen kompetent werden. Wenn Eltern selbst die ganze Zeit am Handy hängen, dann verhallt sowieso alles, was sie sagen. Zuerst müssen die Eltern das Thema für sich klären, dann können sie es verkörpern. Und es funktioniert längerfristig nur, wenn irgendwann die Jugendlichen das verinnerlicht und verstanden haben und anwenden können. Als Eltern können Sie denen ja nicht die ganze Zeit über die Schultern schauen und sehen, was sie mit ihrem Smartphone machen.

In Ihrem Buch verweisen Sie auch auf das Perfektionismus-Problem und den Wettstreit auf Social Media unter Eltern. Wie können sie gut damit umgehen, ohne sich von allem komplett auszuschalten?
Eltern müssen ihren eigenen Stil finden. Darin sehe ich das Hauptproblem an diesen Erziehungsforen und dem Austausch online. Da wird sehr viel behauptet, und man kann es nicht überprüfen. Wenn Sie das alles glauben, dann können Sie sich natürlich sehr verrückt machen. Wir müssen weniger vergleichen und vor allem weniger online vergleichen – Jugendliche beispielsweise in puncto Figur und Eltern in puncto Erziehungsperfektionismus.

Am Ende müssen wir alles glaubhaft verkörpern können und auch im eigenen Leben realisieren und vorleben lernen. Und die Außenwirkung weniger wichtig nehmen. Es geht nicht darum, wie toll andere meine Erziehung und meine Kinder finden, sondern darum, wie es allen geht.

Haben Sie jenseits des digitalen Themas Anregungen, was Eltern tun können, damit ihre Kinder und Jugendlichen seelisch gesund aufwachsen?
Jedes Kind braucht etwas anderes, deswegen kann ich diese Frage nicht allgemein beantworten. Der eine braucht einfühlende Förderung, dem anderen müssen stärker Grenzen gesetzt werden und so weiter. Darum sollte es den Eltern gehen. Also nicht: Was macht man und was sagt man in Chats und Foren, sondern: Was braucht mein Kind?

Vielen Dank für das Gespräch.
Interview: Bettina Wendland

Johannes Hepp ist Psychologe und Psychotherapeut mit eigener Praxis in München. Er ist Autor des Buches: Die Psyche des Homo Digitalis (Kösel)