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Ein leeres Nest – Und nun?

Ja, es tut weh, wenn die Kinder ihr Zuhause verlassen und in die Welt hinausziehen. Wie Eltern gut mit diesem Schmerz umgehen können, beschreibt Sylvia Sobel.

In dem Augenblick, in dem wir uns entscheiden, ein Kind zu bekommen oder es in unserem Leben willkommen zu heißen, wählen wir häufig unbewusst ein Credo oder Motto: zum Beispiel das Sprichwort „Aller Anfang ist schwer“ oder das Hesse-Zitat: „Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne, der uns beschützt und der uns hilft, zu leben.“ Wir haben die Wahl, welche Weisheit wir uns zu eigen machen wollen. Welche Erkenntnis soll unser Credo, unser Wegweiser werden? Beim ersten Kind wissen wenige von uns wirklich, was auf sie zukommt. Wir haben Hoffnungen, Wünsche, Vorstellungen und vor allem: Träume! Diese Träume geben uns viel Kraft.

Trauer zulassen

Der Auszug von Kindern aus der elterlichen Wohnung ist für viele Eltern ein kritischer Moment im Leben, der – obwohl erwartet – häufig plötzlich eintritt. Robert Bor von der Uni London hat das „Leere-Nest-Syndrom“ folgendermaßen beschrieben: „Abgesehen von Geburt und Tod ist der Auszug eines Kindes die weitreichendste Veränderung, die eine Familie treffen kann. Dies sollte als besonders stressbeladene Phase anerkannt werden.“ Bor stellt ferner fest: „Was nötig ist, ist eine größere Offenheit bezüglich des ‚Leeren-Nest-Syndroms’, eine breitere Anerkennung seiner Existenz und der Schmerzen und Einsamkeit, die es verursachen kann.“ Der Auszug der Kinder bedeutet das Ende eines Lebensabschnitts. Ein wichtiger Lebensinhalt fällt weg, und Eltern erleben das Gefühl, verlassen zu werden.

Als unsere beiden Söhne drei Jahre nach ihrer großen Schwester das Nest verlassen haben, geschah dies in einem Abstand von vier Wochen, also fast gleichzeitig. Während dieser Zeit waren wir Eltern so sehr mit den Vorbereitungen und der Durchführung der beiden Umzüge beschäftigt, dass wir Gefühle der Trauer oder gar des Verlustes zunächst gar nicht wahrnahmen. Wir packten und ordneten, sortierten und diskutierten zwei Monate ohne Unterlass. Diese Aktivitäten hielten uns auf Trab und lenkten uns ab.

An dem Tag, als der jüngste Sohn auszog, um das Leben zu ergründen, empfand ich als Mutter eine tiefe Trauer und Leere, das Gefühl eines tiefgreifenden Verlustes. Diese Empfindung hielt eine Zeitlang an und kehrt selbst noch Jahre später ab und zu wieder zurück. Dann allerdings nur flüchtig und weniger intensiv. Meine Erfahrung ist aber, dass es auf längere Sicht hilfreich, ja sogar notwendig ist, Gefühle der Trauer und des Verlustes zuzulassen und zu ertragen! Anderenfalls flüchten Eltern sich in Verdrängungsmechanismen, die weder uns noch unserer Umgebung helfen, mit der Situation umzugehen und sie in den Griff zu bekommen.

Gezittert und gefeiert

Es ist doch eigentlich logisch: Eine lange und wichtige Phase unseres Lebens haben wir damit verbracht, unseren Kindern beim Aufwachsen und Erwachsenwerden zur Seite zu stehen und sie zu begleiten, wenn nötig sogar mit Rat und Tat. Wir haben uns bemüht, ihnen den richtigen Weg zu weisen, und sie auf ihrem steinigen Weg durch den Schuldschungel begleitet. Wie glücklich und befreit waren wir, als sie endlich – trotz Schule – einen qualifizierten Abschluss errungen haben. Ich sage ganz bewusst: Meine Söhne haben das Abitur abgelegt – trotz Schule! Unvergessen unzählige Elternabende und Anrufe der Lehrer, wenn wieder einmal Mitteilungsheft, Hausaufgaben, Turnbeutel etc. vergessen wurden. Bis kurz vor der Abiturprüfung wurde häufig gemeinsam diskutiert, gelernt, gezittert – und dann endlich gefeiert!

Aber spätestens nach dem Abitur oder einem anderweitigen Schul- oder Ausbildungsabschluss werden die Flügel ausgespannt, und der Radius unserer Sprösslinge erweitert sich schlagartig. Unsere Söhne zog es in die „weite Welt“ hinaus: nach Indien und nach Afrika, wo beide in sozialen Projekten tätig waren. Dies war im Grunde eine gute Hinführung auf das, was danach kam: der endgültige Auszug aus dem Elternhaus. Zunächst aber verblieben noch zahlreiche ihrer Besitztümer zu Hause, es handelte sich um einen Abschied auf Zeit.

Unser jüngster Sohn wurde selbst in Westafrika von mir, seiner Mutter, „heimgesucht“, natürlich nach Absprache und mit seinem vollsten Einverständnis. Dieser Besuch hat unserer Beziehung nicht geschadet, im Gegenteil. Ich durfte ihn dort als fürsorglichen und kompetenten Reiseführer und als voll integriert in seinen Aufgabenbereich erleben! Dies ist ein Beispiel dafür, dass die Eltern-Kind-Beziehung auch nach dem Auszug andauern kann, aber auch gepflegt werden sollte, in dem Bewusstsein, dass wir nun ein erwachsenes „Kind“ vor uns haben! Dieses „Kind“ will respektiert, aber keineswegs reglementiert oder eingeengt werden.

Geborgenheit vermitteln

Ich habe nach dem Auszug des dritten Kindes begonnen, regelmäßig und intensiv für alle drei Kinder zu beten. Ich vertraue sie dem Schutz und der liebenden Allmacht Gottes an, versäume aber dennoch nicht, ab und an einige „lebensnotwendige“ Hinweise mit auf den Weg zu geben: Fahr vorsichtig, benutze Sonnenschutz, genieße dein Bier oder Wein in Maßen … Vor besonderen Anlässen beten wir mit ihnen und für sie. Wir segnen sie mit dem Zeichen des Kreuzes, wenn sie heimkommen. Dies ist unsere Art und Weise, ihnen auch in der Ferne Geborgenheit zu vermitteln.

Experten sagen, dass ein geordneter Abschied auch bedeutet, dass wir unsere Sache gut gemacht haben. Wir bereiten die Kinder schließlich kontinuierlich auf den Auszug aus dem elterlichen Nest vor, versuchen, sie zur Selbstständigkeit zu erziehen und aus ihnen gerade und selbstbewusste Menschen zu machen. Am Ende dieser Bemühungen schließlich verlassen sie dann Haus und Eltern, um ihre eigenen Wege zu suchen und zu beschreiten. Viele Eltern beklagen, dass gerade in dem Moment, wo die mitunter stressigen Phasen der Pubertät abnehmen und wir unseren Kindern auf Augenhöhe begegnen könnten, sie ihre eigenen Wege einschlagen.

Hier stellt sich die Frage: Haben wir unsere Kinder mit viel Liebe und Fürsorge großgezogen, damit sie unser Leben auf Dauer bereichern und erleichtern? Die Antwort muss hier leider „Nein“ lauten! Das Fortgehen der Kinder gehört zum normalen Kreislauf des Lebens.

Schuldgefühle loslassen

„Das größte Geschenk, das wir unseren Kindern mitgeben können, ist Unabhängigkeit, emotionale Stärke und Freiheit von Schuldgefühlen“, schreibt Shelley Bovey in ihrem Buch „Und plötzlich sind sie flügge“. Diese Freiheit von Schuldgefühlen gilt ebenso für Mütter und Väter. Viele Eltern berichten von Schuldgefühlen, die sie vor allem in der Rückschau quälen. Vor allem Mütter leiden darunter, aber die Tatsache, dass sie ihr Bestes gegeben haben, ist eigentlich schon beachtlich und oftmals auch genug. Shelley Bovey schreibt: „Es ist wichtig, dass wir nicht an einer Stelle festhaken, wo wir die Vergangenheit nicht loslassen können, weil wir überzeugt sind, wir hätten es damals besser machen können.“

Lassen Sie Ihre Gefühle zu, erzwingen Sie nichts, trauern Sie und reden Sie! Auch die Resilienzforschung kann helfen: Diese Wissenschaft beschäftigt sich mit der menschlichen Fähigkeit, auch in schwierigen Lebensphasen Kraft und Zuversicht zu entwickeln. Resiliente Menschen können Krisensituationen besser durchstehen und gestärkt daraus hervorgehen. Die Resilienzforschung hat herausgefunden, was helfen kann:

  • Optimismus bzw. eine positive Einstellung Problemen gegenüber
  • Akzeptanz: gegebene Lebensumstände zunächst annehmen
  • Lösungsorientierung: nicht bei den Hindernissen stehenbleiben
  • Ablegen der Opferrolle
  • Übernehmen von Verantwortung: Dinge in die Hand nehmen – Probleme anpacken
  • Aufbau von Netzwerken, Gleichgesinnte suchen
  • Zukunftsplanung: vorwärts denken

Diese Einstellungen zum Leben können Menschen einüben. Die Erkenntnis, dass auch aus einer Krise etwas Gutes entstehen kann, ist dabei grundlegend für die Entwicklung einer resilienten Lebenshaltung. Jeder von uns kennt diese Situationen oder Phasen im Leben, wo etwas zerbricht und wir beinahe selbst daran scheitern. Reinhard Mey, selbst Vater dreier erwachsener Kinder, singt an einer Stelle: „Und ich mach mit Liebe alles falsch, so gut ich kann.“ Und für die Zeit nach dem Fortgehen der Kinder sei noch ein Ausspruch Karl Lagerfelds zitiert: „Zukunft ist die Zeit, die übrig bleibt.“ Mögen wir sie bewusst und intensiv nutzen, für uns und ab und an auch für unsere erwachsenen Kinder.

Sylvia Sobel lebt in Berlin und arbeitet als Lehrerin, Autorin und Schulmediatorin. Sie ist Mutter von drei erwachsenen Kindern und verheiratet mit Alfred Sobel, mit dem sie das Buch „Stärke fürs Leben entwickeln: So meistern Sie den Alltag mit einem behinderten Kind“ (Neufeld Verlag) geschrieben hat.

War’s das schon?

In der Midlife-Krise drängen wichtige Lebensthemen an die Oberfläche. Was hilft Paaren, damit klarzukommen? Wie kommen sie gut durch die Krise? Von Michael Hübner

Wolf Biermann beschrieb die Midlife-Krise schon 1977 in dem Lied „Das kann doch nicht alles gewesen sein“. War’s das wirklich schon?, fragt sich der Dichter. „Das bisschen Sonntag und Kinderschreien“? „Die Überstunden, das bisschen Kies, und abends in der Glotze das Paradies“? Müsste nicht eigentlich noch etwas Entscheidendes kommen oder wurde es bereits verpasst?

Midlife-Krise ist nachgewiesen

Zuerst wurde die Midlife-Krise belächelt. Mittlerweile ist sie allerdings wissenschaftlich belegt. Sie ist weder eine Krankheit noch Einbildung. Weder ist man „unmöglich“, noch kann man sich „einfach zusammenreißen“. Sie kann jeden in der sogenannten Lebensmitte treffen, also zwischen 45 und 55. Manche beziffern ihren möglichen Beginn sogar schon auf Mitte 30. Den einen treffen die typischen Gedanken dieser Krise wie ein plötzlicher Schock. Andere beschleicht langsam ein nagender Zwiespalt: Weiter so? Oder: Soll das schon alles gewesen sein?

Schlafstörungen, sexuelle Unlust, …

Weil wichtige Lebensfragen jahrelang verdrängt wurden, können sie mit Macht dann plötzlich und unerwartet aufbrechen. Sowohl Männer als auch Frauen sind betroffen und die Krise läuft bei Paaren eben nicht synchron. Hormone auch im männlichen Körper flachen langsam ab. Das kann sexuelle Unlust und Erektionsstörungen zur Folge haben. Aber unsere Hormone beeinflussen eben auch unser Fühlen, Streben und Verhalten. Männer und Frauen sind plötzlich sehr reizbar, leiden unter Schlafstörungen, fühlen sich abgeschlagen und müde.

Torschlusspanik macht sich breit

Manche Ehepartner stürzen sich in dramatische Abenteuer, getrieben von Minderwertigkeitsgefühlen. Torschlusspanik macht sich breit. Man will noch einmal alles haben und erleben, worauf man bisher verzichten musste: das heiß ersehnte Cabrio, die große Reise, sexuelle Abenteuer. Plötzlich zieht ein Familienvater in das Haus seiner Nachbarin, eine Frau verliebt sich in den Gruppenleiter oder in den Chef …

Leben aneinander vorbei

Wieder andere wechseln überstürzt den Job, wollen im Ausland das große Geld machen oder bestellen einen Termin beim Schönheitschirurgen. Und das Erschreckende: Dies alles geschieht nicht selten am Partner vorbei. „Ich habe plötzlich einen ganz anderen Menschen vor mir!“, sagen mir Eheleute in der Beratung. „Er spricht anders“, „Sie kleidet sich anders, macht alles anders“. Unerkannt bleibt, dass beide schon lange aneinander vorbei lebten. Sein Einfluss auf das Verhalten des anderen ist jetzt gleich Null. Der andere scheint nicht mehr erreichbar. Deutlich wird: Auf der Suche nach Erfüllung soll alles kompromisslos und schnell gehen.

Wie kommt es, dass es manchen Ehen gelingt, sich durch die Stürme der Midlife-Krise hindurch in ruhigere Gewässer zu retten, während andere daran zerbrechen? Fünf entscheidende Eckpunkte sollen dazu genannt werden. Ich möchte sie an dieser Stelle als lange hilfreiche Erfahrung aus der Eheberatung weitergeben:

1. Machen Sie sich die biologischen Zusammenhänge bewusst.

Die Midlife-Krise hat zunächst mit unseren körperlichen Abläufen zu tun. Panik um die zerrinnende Zeit, das tiefe Bewusstsein um die Unumkehrbarkeit der Vergangenheit fordert uns jetzt, die Verantwortung für diese Lebensphase, diese Krise zu übernehmen und die eigene Einstellung, nicht die des anderen, zu überdenken.

2. Vermeiden Sie Machtkämpfe!

Nichts führt so sehr in die Sackgasse jeder Beziehung wie Machtkämpfe. Woran sind Machtkämpfe zu erkennen? Es geht bei ihnen um Sieger oder Verlierer, richtig oder falsch, besser oder schlechter, oben oder unten. Das Denken kreist dabei darum, den anderen von der eigenen Richtigkeit und dessen Unrichtigkeit zu überzeugen. Man will ihn auf diesem Weg um jeden Preis verändern. Diese Haltung führt meist ins Gegeneinander, nicht ins Miteinander. Es entsteht ein „Ehekrieg“. Aus ihm auszusteigen, heißt, zu deeskalieren, „den Anker zu werfen“, dem anderen mitunter, wo es irgend geht, mit Nachdruck auch recht zu geben. Vor allem aber geht, es darum, dass jeder von sich selbst redet, von seinen eigenen Überzeugungen, seinem Empfinden und Erleben, seinen Gefühlen und seinen Wünschen, ohne sich über den anderen zu stellen oder ihn verändern zu wollen.

Erst nur Mauern

An dieser Stelle ein Blick in unsere Ehe: 2010 erzählte mir meine Frau von einer Idee. Sie würde gerne mit mir zusammen ein Sabbatical nehmen und ins Ausland gehen. Wenn ich nicht mitwollte, würde sie auch allein gehen. Fassungslos sah ich zunächst nur Unmöglichkeiten: Wie sollten wir das ohne schwere finanzielle Verluste meistern? Das Haus musste weiter abgezahlt, die Rente eingezahlt, der Arbeitgeber überzeugt, die Arbeit verteilt, den Mitarbeitern diese Planung klargemacht werden. Nein, nein, nein.

Plötzlich Möglichkeiten

So etwa ging es mir, bis ich über die Sache betete. Langsam gelang es mir, nicht mehr zu „mauern“. Lagen darin nicht auch Chancen? Jetzt konnte ich ihr Fragen stellen: „Warum möchtest du das gerne machen? Wie hast du dir das genau vorgestellt? Was bedeutet das für uns beide? Wie können wir das zusammen gestalten?“ Und schließlich, Stück für Stück, öffnete Gott, fast wundersam, alle Wege in diesem Gestrüpp der Undenkbarkeiten. Möglichkeiten in Kenia eröffneten sich. Rückblickend entstand gerade daraus für viele ein großer Segen bis heute, zum Beispiel unsere Hilfsorganisation „TS-Care“ für notleidende Familien in den Slums von Nairobi, und unser gerade erschienenes Ehebuch („Der Kick für die Partnerschaft“).

3. Wer jetzt überlegt handelt, wird es später nicht bereuen.

Wie immer kommt es nicht auf die Tatsachen an, die wir erleben, sondern darauf, wie wir mit diesen Tatsachen verantwortlich umgehen (nach Epiktet, Handbüchlein der Moral, S. 11). Paare können sich jetzt durch Worte, Verhalten, Rückzug oder Trennungsgedanken gegenseitig zutiefst verletzen. Eine „Aufbruchsstimmung“ muss allerdings nicht zur Katastrophe werden. Wir können diese Zeit als Herausforderung erleben. Wir können neue Wege einschlagen. Sie „kann als zweiter Frühling empfunden werden, als willkommener Neustart, als Drücken des ‚Reset‘-Knopfs für das eigene Leben“, so Redakteurin Kristina Kreisel bei FOCUS Online. Durch solche Krisen können Paarbeziehungen eben auch ganz neu reifen.

Jetzt geht es darum, beim anderen um eine gemeinsame Horizonterweiterung, um Veränderungen im Kleinen zu werben. Manche Paare suchen ein neues verbindendes Hobby oder machen gemeinsam Sport, gehen miteinander tanzen oder planen interessante Reisen.

Über sexuelle Vorstellungen reden

Ungesunde Umstände und Angewohnheiten können und sollten jetzt geändert werden. Vielleicht geht es auch darum, sexuelle Vorstellungen zu besprechen und in der Ehe auszuleben. Beginnen Sie die gemeinsamen Umgestaltungen im Kleinen und durchbrechen Sie eingefahrene Routinen wieder mit mehr Abenteuerlust. Reden Sie zusammen darüber, wie Ihr Leben aussehen könnte, wenn die nächste Lebensphase in 5, 10 oder 20 Jahren beginnt.

Auch gute Beziehungen und Freundschaften sind für jedes Paar elementar. Ein Paar, das sich nicht isoliert, sondern gut eingebettet weiß in eine Gemeinschaft, lebt gesund. Ich habe es oft erlebt, dass Paare es geschafft haben, gerade durch solch eine Krise zu einer gesunden, guten Änderung und Erneuerung ihrer Beziehung zu kommen.

4. Liebe ist eine Entscheidung!

Kämpfen Sie immer um das gemeinsame Wir! Mag sein, dass auch in Ihrer Ehe die „Schmetterlinge im Bauch“, Verliebtheitsgefühle und Romantik auf der Strecke geblieben sind. Auf Grundlage einer immer wieder neuen Entscheidung füreinander können Sie dennoch immer wieder entstehen.

5. Die beste Prophylaxe: Rituale

Wenn Sie längst vor der Krise hohen Wert auf Beziehungsriten gelegt haben, werden Sie langfristig positive Folgen ernten. Nehmen Sie sich regelmäßig Zeit für eine gemeinsame Tasse Kaffee. Auch der feste Termin für ein wöchentliches, etwa halbstündiges Ehe-Meeting unter dem Vorzeichen: „Wir wollen unser Projekt Ehe miteinander zum Ziel führen“, ist vielen gestressten Paaren zur Hilfe geworden. Impulse für solche Gespräche haben wir in unserem Buch zusammengestellt. Planen Sie ein jährliches Wochenende zu zweit, den Besuch eines Eheseminars oder -vortrags und natürlich regelmäßige gegenseitige Überraschungen und Freuden.

Und: Gehen Sie immer den ersten Schritt auf den anderen zu! Zeigen Sie einander Ihre Liebe im Alltag und strahlen Sie den anderen öfter mal wieder an, wenn er den Raum betritt.

Dr. (UNISA) Michael Hübner ist verheiratet mit Utina. Die beiden haben fünf erwachsene Kinder. Er ist Leiter der Beratungsstelle Therapeutische Seelsorge, Neuendettelsau.

Mut zur Lücke

Warum Jugendliche ihre Eltern dabei brauchen. Von Stefanie Diekmann

Mit grimmiger Miene erscheint Isa beim Abendessen. Sie will nicht so richtig damit raus, was sie gerade beschäftigt. Zwischen Salat und Käsebrot beginnt ihr Bruder Ruben zu reden: „Hey Isa, hast du gehört: Paula geht mit ‚Jugend trainiert für Olympia‘ nach Berlin. Krass, was die alles kann!“ Während Isa Ruben giftige Blicke zuwirft, steigt Mama unbedarft ins Thema ein: „Ja, Paula ist wirklich sehr vielseitig: Sie tanzt, singt im Lobpreisteam der Gemeinde, ist im Physik-Projekt für Jungforscher … Und letzte Ferien hat sie ein Praktikum in Japan gemacht. Unglaublich!“ Isa springt auf. Für sie ist es zu viel. Zu viel, was andere können und sie nicht.

Von Freunden abhängig

Die Begabungen junger Menschen entwickeln sich ab der Pubertät sehr individuell. Während einige sich auf einzelne Sportarten oder ein Musikinstrument konzentrieren, gibt es Jugendliche, die scheinbar alles können. Sich bewusst auf sich zu konzentrieren und die eigenen Interessen zu erspüren, scheint in der Tretmühle eines vollen Wochenplans kaum möglich. In dieser Altersphase ist das Bewusstsein für sich selbst sehr vom Miteinander mit Freunden abhängig. Da geht man mit zum Handball-Training, weil alle gehen, ob wohl man im Orchester viel mehr Spaß hat.

Mut zur Lücke ist eine befreiende Haltung, die junge Lebensentdecker immer wieder aus ihrem Umfeld hören sollten: Du brauchst nicht alles zu wissen. Du darfst alles fragen, musst aber nicht auf alles Antworten haben. Und du musst schon gar nicht alles können. Sich mit anderen zu vergleichen und scheinbar weniger begabt zu sein, wird in dieser Zeit oft als Niederlage erfahren. Das kann dem Jugendlichen zusetzen, weil das Selbstbewusstsein meist noch einem weichen Tonkrug gleicht.

Als Letzte im Ziel

Was können Eltern tun? Zum Beispiel von ihren eigenen Lücken berichten: Wie Papa sich im Kunstunterricht beim Zeichnen gequält hat. Wie Mama bei den Bundesjugendspielen als Letzte ins Ziel lief. Wie Oma bis heute beim Scrabble immer verliert und der Jugendleiter gar nicht singen kann.

Eine Lücke hat niemand gern. Auch Erwachsene nicht. Ihnen kann es unangenehm sein, nach den aktuellen Kommaregeln zu fragen. Oder sich zum dritten Mal erklären zu lassen, wie man den Streaming Dienst startet. Wenn schon Menschen mit erlebten Erfolgen und Kompetenzen ungern Lücken aushalten und preisgeben, dann sollten wir Jugendliche umso mehr ermutigen, dass sie nicht alles können und wissen müssen.

Der Schweizer Psychiater Léon Wurmser hat ein komplexes Thema mit diesem Zitat zusammengefasst: „Scham ist die Hüterin der menschlichen Würde.“ Mich als unwissend zu entblößen, bedeutet, die Scham auszuhalten, dass andere wissender, klüger, gebildeter … sein könnten oder sind als ich. Jugendliche darin zu begleiten, die Scham über eine „Lücke“ nicht als Endpunkt zu erleben, ist die Aufgabe der Eltern. Jugendliche zeigen auch hier einen ganz unterschiedlichen Umgang mit ihren Lücken. „Wenn ich etwas nicht weiß, guck ich mir später eine Doku dazu an“, verrät Alba ihren Umgang mit Lücken. Leo meint: „Ich finde mich damit ab. Ich bin wohl eher der Dulli in Physik! Dafür kann ich viel besser kochen als meine Freunde!“
Die Würde eines Menschen ist unabhängig von dem, was er tut. Unabhängig von Leistung und Können. Hier ist Gottes bedingungslose Zustimmung zur Persönlichkeit jedes Menschen zu spüren. An diese Annahme und Würde werden alle gern erinnert: Eltern und Jugendliche.

Stefanie Diekmann ist Pädagogin und Autorin und lebt mit ihrer Familie in Göttingen.

 

Mut zum Mittelmaß

„Jeder Mensch ist etwas Besonderes“ – diese Botschaft, die wir oft an unsere Kinder vermitteln, kann motivieren. Aber sie kann auch gewaltig nach hinten losgehen. Von Jennifer Zimmermann

Mein Sohn zählt Klavier. Er hat damit kurz nach Beginn des ersten Schuljahres angefangen, als die obligatorischen Einladungen für die Probestunden der Musikschule in der Ranzenpost lagen. Ich würde nie wagen zu schreiben, dass er Klavier lernt. Oder gar spielt. Es wäre einfach nicht wahr. Alle zwei Tage begibt er sich planmäßig an sein Instrument. Dann wanken diese tastenden, manchmal qualvoll schleichenden Töne von „Summ, summ, summ“ durch die Wohnung, die auch ich schon vor 25 Jahren auf meiner Kindergitarre fabriziert habe. Und dazwischen kann man ihn flüstern hören. 1, 2. 1, 2, 3.

Musizieren nach Zahlen

Mein Sohn liebt Musik, denn Musik hat Regeln. Man kann Pausen abzählen und wichtige Worte auswendig lernen. Es gibt einen Takt und einen Notenschlüssel und wirklich viele Zahlen. Man könnte sagen, es ist genau sein Ding. Mein Sohn ist nur wirklich kein leidenschaftlicher Musiker. Es ist ihm relativ egal, wie das Instrument klingt, das er spielt. Wie der Text des Liedes ist. Ob es irgendeine Stimmung mit sich trägt. Irgendein Temperament. Egal. Mein Sohn zählt.

Keine Musik im Blut

So hatte ich mir das mit dem ersten Instrument nicht vorgestellt. Ich persönlich arbeite mehr „nach Gefühl“. Das gilt für alle Lebensbereiche. Als also der obligatorische Zettel mit den Probestunden in der Ranzenpost lag, da dachte ich an leuchtende Musiklehreraugen, an Worte wie „Naturtalent“ und „Überflieger“, an Talentwettbewerbe. Jetzt sitze ich hier im Wohnzimmer, höre „Summ, summ, summ“ im Schneckentempo und fühle mich, als wäre ich im Sport als Letzte in die Völkerballmannschaft gewählt worden. Warum? Weil mein Sohn zwar ein begeisterter Mathe-, aber ein ziemlich durchschnittlicher Musikschüler ist.

Irgendwann zwischen dem letzten Weltkrieg und dem ersten Social-Media-Account sind wir westlichen Gesellschaften auf die Idee gekommen, dass Selbstbewusstsein eine wirklich wichtige Sache für unsere persönliche Entwicklung sein muss. Für unseren Erfolg. Unsere Leistungsfähigkeit. Wir haben uns auferlegt zu denken, dass jeder von uns etwas ganz Besonderes ist. In vielfacher Hinsicht.

Sehnen nach dem „Ah“ und „Oh“ der anderen

Wir wachsen mit der Vorstellung auf, dass sich tief in unserem Inneren ein ganz eigenes Leuchten verbirgt wie die Perle in der Auster. Es braucht vielleicht nur die richtigen Umstände, den richtigen Anreiz, um die Auster zu knacken und dieses Leuchten an die Oberfläche zu bringen, damit es über die ganze Welt strahlt. Wir lechzen nach dem „Ah“ und „Oh“ der anderen, die unser Leuchten in ihren Augen widerspiegeln. Wir sagen es uns selbst, wir sagen es jedem Menschen, der es gerade vergessen hat. Sogar unseren Kindern.

Für jeden Menschen gibt es den richtigen Beruf, in dem seine besonderen Fähigkeiten zur Entfaltung kommen. Jeder Mensch ist zu Großem berufen. Vielleicht sogar von Gott. Jedes Kind hat ein Talent. Es gibt das richtige Instrument für jeden Erstklässler. All die zu oft gehörten Motivationssätze, sie fangen an, mich gewaltig zu nerven. Denn sie behalten ihre motivierende Wirkung nur so lange, bis wir uns an ihrer Grenze gewaltig die Zehen stoßen. Der Autor und Coach Mark Manson schreibt es laut und geradeheraus: „Die Botschaft schmeckt super, wenn man sie runterschluckt, aber im Grunde sind es leere Kalorien, von denen man nur emotional fett und aufgeblasen wird, der sprichwörtliche BigMac für dein Herz und Hirn.“

Keine Wettkampfbilder

Ich habe meine Gitarre an den Nagel gehängt, als ich feststellte, dass ich zwar viel Rhythmus im Blut, aber wenig Lust zum Üben hatte. Und keinerlei Sinn für Musiktheorie. Ich habe Sozialarbeit studiert, nicht weil meine Fähigkeiten in einer helfenden Tätigkeit am besten zur Geltung kommen, sondern weil ich, um ehrlich zu sein, ein kleines Helfersyndrom in meiner Handtasche versteckt halte. Meine Facebook-Chronik ist ziemlich langweilig. Ich bin in der Elternzeit nicht um die Welt gereist. Es gibt keine Bilder von mir und meinen Kindern im Partnerlook. Keine Wettkampfbilder von meinem so sportlichen Nachwuchs. Keine extrem emotionalen Bekundungen meiner Liebe zu meinem Mann.

Nichts Besonderes

Mein Leben ist ziemlich durchschnittlich. Das meiner Kinder auch. Sie jetten nicht von einem Termin zum nächsten. Sie räumen keine Preise ab. Können sie auch gar nicht, weil sie nämlich ständig krank sind. Irgendwann auf meiner Reise durch das Leben habe ich festgestellt, dass die allermeisten Menschen auf dieser Welt keine Naturtalente sind. Dass die allermeisten Menschen auf der Welt in einem Moment großartig sind und im nächsten wirklich furchtbar. Dass sie glänzen und im Dreck liegen. Dass sie, kurz gesagt, wirklich nichts Besonderes sind. Und dass ich dazugehöre.

Vom Versagen zur Erleichterung

Aber jedes Mal, wenn ich es wage, so ehrlich zu mir zu sein, dann fühlt sich das an wie Sterben. Wie, wenn ich jemandem meine schlaflose Nacht mit dem rotznasigen Kind haarklein darlege, demonstrativ Kaffeedampf inhaliere und lediglich ein „Normal“ zu hören bekomme. Wie, wenn ich auf einer Party den Witz meines Lebens reiße und keiner lacht, manche nur verlegen auf ihre Schuhe gucken. Sich einzugestehen, dass man überwiegend so normal ist wie die allermeisten Menschen auf diesem Planeten, sich seine eigene Großartigkeit abzuerkennen, ist schmerzhaft. Peinlich. Kränkend. Und befreiend. Weil endlich pfeifend die Luft aus dem Ego entweicht, die mir die ganze Zeit aufs Herz gedrückt hat. Es fühlt sich kurz an wie Versagen. Und dann muss man schrecklich über sich selbst lachen.

Geduld statt geniale Pläne

Ich wünsche mir für meine Kinder nicht, dass sie möglichst viel und möglichst großartige Leistung erbringen. Dass sie ihre Berufung finden, auf den Bühnen dieser Welt stehen und dabei ihren unverwechselbaren Stil präsentieren. Was ich mir wirklich wünsche, ist, dass meine Kinder Menschen werden, die sich selbst vergessen können. Dass sie aufgehen können in einer Tätigkeit. Dass sie Zeit haben, unverplante Zeit, in der ihnen etwas wichtig werden kann und seien es Zahlen – auch wenn ich das am wenigsten verstehen kann. Ich wünsche ihnen, dass sie Geduld lernen. Ich wünsche ihnen, dass sie sich unterbrechen lassen in ihren vermeintlich genialen Plänen. Dass sie von ihrer eigenen Großartigkeit absehen, um einem anderen Menschen Platz zu machen, um jemanden ausreden zu lassen, jemanden zu halten, der weint.

Eine Revolution des Weniger

Ich wünsche mir eine Revolution des Weniger. Eine Revolution der Ruhe gegen den Zeitgeist, der mit seinen ständigen Erinnerungen und bimmelnden ach-so-wichtigen Nachrichten an meinem Hosenbein zuppelt und mich und meine Familie zur Hektik ruft. Der uns heiser ins Ohr wispert, dass wir irgendetwas verpassen, irgendetwas falsch machen, irgendeine Chance ungenutzt lassen und versagen, weil wir nur mittelmäßig sind. Dass wir uns einfach noch nicht genug angestrengt haben, unser inneres Leuchten zu finden und die Anerkennung zu kassieren, die uns zusteht.

Es braucht Menschen, die leidenschaftlich lieben

Die Welt braucht nicht unbedingt noch mehr leidenschaftliche Klavierspieler. Aber sie braucht unbedingt noch mehr Menschen, die leidenschaftlich lieben. Mitten im „Normal“ des Alltags. Menschen, die in die Politik gehen, weil sie sich dafür einsetzen wollen, dass die Autos auf der Hauptstraße nicht mehr länger den Gehweg zuparken. Menschen, die sich von ihren pubertierenden Kindern stundenlang alle wichtigen YouTuber zeigen lassen. Menschen, die ehrenamtlich verletzte Fledermäuse aufpäppeln. Menschen, die ein Foto von ihrem Samstagnachmittagsesstisch schießen, von ihren stinkenden verwelkten Blumen und der Plastikverpackung vom Fertigkuchen und damit Instagram unsicher machen.

Leid lässt uns reifen

Es gibt beeindruckende Menschen, wirklich mutige, charakterstarke, tiefvertrauende Menschen, die genau deshalb so besonders sind, weil sie sich kein bisschen dafür interessieren, welches Instrument ihnen am besten steht. Es gibt sie in allen Altersklassen. Oft sind sie durch Leid, Verluste und Fehler hindurchgegangen. Sie haben erlebt, dass das Leben weh tut. Dass es traurig ist. Dass es langweilig ist. Dass es in Hochs und Tiefs verläuft. Dass es konfliktreich ablaufen kann. Und dass das alles nicht nur nicht zu ändern, sondern auch ziemlich okay ist.

Einfach Mensch sein

Wenn unser Leben nicht nur aus Hoch-Zeiten und Highlights, aus wehenden Haaren im Sonnenuntergang und leuchtenden Kinderaugen besteht, dann sind wir so, wie jeder andere Mensch auf dieser Welt. Wir sind Menschen. Wir gehören zu dieser handgemachten, verrückten, grausamen, liebenswerten Truppe, die diese Erde bevölkert. Das ist eine Ehre. Unser Leben wird nicht wertvoller, weil wir den Talentwettbewerb gewonnen haben. Weil wir etwas ganz besonders gut können. Oder ganz besonders große Probleme haben. Wir sind Menschen. Gottes Menschen. Das ist alles.

Jennifer Zimmermann lebt mit ihrem Mann und ihren drei Kindern in Bad Homburg. Gerade ist ihr erstes Buch erschienen: „Als Gott mich fallenließ. Vom Ausharren und Weitergehen mit ihm“ (SCM R.Brockhaus).

Entspannt durch die Ehe

Warum will er immer etwas anderes als ich?“ – Dass sie und ihr Mann in der Freizeit ganz andere Dinge tun wollten, hat D. Friese am Anfang ihrer Ehe ins Grübeln gebracht.

Manche Beziehungskonflikte lassen sich zuweilen ganz einfach durch die Einsicht lösen, dass jeder Mensch auf seine Art entspannt. Zumindest war es bei uns so. Nicht nur die Form, auch die Dauer und die Intensität unserer Auszeiten sind unterschiedlich. Warum darüber streiten? Sieben persönliche Erkenntnisse über das Entspannen in der Ehe.

1. ENTSPANNUNG IST ABSOLUT NOTWENDIG
Das tägliche Zur-Ruhe-Kommen ist notwendig und zwar besonders in der Rushhour des Lebens zwischen 30 und 40, in der wir uns befinden. Zwei Kleinkinder, Berufe, ein Haus, Ehrenämter und viele Kontakte zu Menschen lassen unser Leben sehr bunt, aber zuweilen auch kräftezehrend erscheinen. Ohne Auszeiten fänden wir nicht zu uns selbst, zu uns als Partnern und zu Gott. Was wäre das für ein Leben, in dem es nur Arbeit gäbe! Doch wie entspannt man sich in der Ehe am besten? Wir haben lange nach einem gemeinsamen Weg gesucht. Was aber haben Talkshows schauen und Unkraut jäten miteinander zu tun? Oder jagen und Gedichte schreiben?

2. GEMEINSAM ENTSPANNEN IST NICHT ALLES
In den ersten Jahren unserer Beziehung war ich fest davon überzeugt, dass wir möglichst allen Hobbys gemeinsam nachgehen müssten, um eine glückliche Ehe zu führen. Aber das klappte nicht. Jeder wollte am wohlverdienten Feierabend etwas anderes tun. Der eine wollte im Wald sein, der andere lieber zu Hause telefonieren, der eine wollte fernsehen, der andere lieber lesen. Für mich waren die getrennten Unternehmungen stets ein Zeichen dafür, dass wir zu unterschiedlich sind und schwer zusammenpassen. Als ich meinem Seelsorger einen ausschweifenden Vortrag darüber hielt, wie unterschiedlich unsere Abendgestaltung aussah und wie falsch mir das vorkam, hörte ich einen für mich weltbewegenden Satz: „Sie haben lediglich verschiedene Methoden der Entspannung!“ „Wie bitte?“, dachte ich. Sollten wir als Paar etwa nicht gemeinsam begeistert Gitarre spielen, gemeinsam schwimmen gehen – oder eben auch abends gemeinsam mit Begeisterung fernsehen?

Mir wurde schlagartig bewusst, dass ich all diese Beschäftigungen überbewertet hatte. Schließlich haben wir genügend gemeinsame Glaubens- und Lebenseinstellungen, die weit tragender sind als bestimmte Vorlieben der Entspannung. Auf ihnen basiert in Wahrheit unsere Ehe, nicht auf den Hobbys. Wir können über sehr viele verschiedene Themen von Politik über Geschichte bis hin zu Religion diskutieren. Sei es beim Abendbrot, morgens nach dem Aufstehen oder auf einer langen Autofahrt. Meist haben wir ähnliche Ansätze und auch Moralvorstellungen, da wir nicht nur dasselbe studiert haben, sondern auch in einem ähnlichen sozialen Umfeld, als Christen in der DDR, aufgewachsen sind. Dieser Austausch verbindet uns sehr stark, mehr als jede Aktivität in der Freizeit es wohl könnte.

3. ENTSPANNUNG IST BEI JEDEM ANDERS
Ein Zeitvertreib meines Mannes war mir jedoch immer ein Dorn im Auge und sorgte folglich häufig für eheliche Debatten: der Fernseher. Stundenlang davorzusitzen, empfand ich als verlorene Zeit. Seine Begeisterung dafür konnte ich nur schwer nachempfinden. In Tagträumen malte ich mir aus, was passieren würde, wenn ich das Kabel des Fernsehers durchschneiden oder ihn einfach klammheimlich im Garten verstecken würde.

Eine gute Freundin, die den Medienkonsum nach der Arbeit auch eher den aktiveren Tätigkeiten vorzieht, ermutigte mich dann aber: „Lass ihn schauen und er wird entspannter. Du schneidest dir nur ins eigene Fleisch, wenn du ihn daran hinderst.“ Außerdem erklärte sie mir den populärwissenschaftlichen Begriff der „Höhle des Mannes“, der im Wesentlichen besagt, dass jeder Mann einen Ort des Rückzugs braucht. Was früher das Gasthaus war, ist heute eben der Fernseher. Nach und nach verstand ich, dass es in der Ehe dazugehört, sich gerade in der Andersartigkeit zu ergänzen, auch in der Freizeitgestaltung. Die Frage „Dürfen wir so verschieden sein?“, konnte ich schließlich mit einem aufrichtigen „Ja“ beantworten.

4. ENTSPANNUNG FÄNGT BEI DEN EIGENEN BEDÜRFNISSEN AN
Es ist jedoch nicht nur wichtig, seinen Partner zu kennen; man muss auch wissen, was einem selbst guttut. Selbstregulation wäre da wohl ein passendes Stichwort. Früher dachte ich, mein Mann wäre ein Stück weit zuständig für mein Entspanntsein. Ich musste erst lernen, zu erkennen und auch zu artikulieren, dass ich gerade müde und gestresst bin und Erholung brauche. In der intensiven Kleinkindzeit hatte ich völlig vergessen, wie das funktioniert. Erst durch eine Krise und Krankheit entdeckte ich meine Hobbys aus Schulzeiten wieder und erfuhr dabei, was Entspannung für mich bedeutet. Das schuf neue Optionen, und ich lernte, sie für mich gewinnbringend einzusetzen, ohne dabei in erster Linie auf andere Menschen angewiesen zu sein.

Foto: Amir Hamdi/Unsplash

Natürlich kann mein Mann mich beim Herunterkommen unterstützen, zum Beispiel indem er mir den Rücken streichelt. Dafür muss ich mir aber zunächst des eigenen Bedürfnisses nach körperlicher Nähe bewusst sein. Außerdem muss ich ihm die Chance geben, einfach Nein sagen zu dürfen. Dann läge es wieder an mir, einen anderen Weg zu finden. Hat man seine ganz persönliche Entspannungsmethode erst einmal gefunden, muss man sie nur noch konsequent anwenden, gerade auch in schwierigen Momenten. Das haben mein Mann und ich inzwischen verstanden. Wenn ein Streit droht, hilft es uns beispielsweise, keine Grundsatzfragen aufzuwerfen, sondern getrennt „in die Wüste“ zu gehen: an einen Rückzugsort, ins Gespräch mit einem lieben Menschen oder am besten natürlich ins Gebet.

5. ENTSPANNUNG MUSS NICHT SINNVOLL SEIN
Was jeder Mensch sich letztlich als „Taktik“ sucht, ist wohl zweitrangig. Am Ende gilt doch: Hauptsache, es hilft, tut niemandem weh und führt nicht in eine Form der Abhängigkeit. Ob Briefmarken sammeln, am Motorrad basteln oder Cupcakes backen: Alles Mögliche kann uns Menschen aus dem Alltag herausholen. Das wenigste davon ist weltbewegend. Wieso sollte ich also bei meinem Mann die gleichen Maßstäbe in puncto Entspannung anlegen wie bei mir? Ich lese gern psychologische Ratgeber oder rede stundenlang mit meiner Freundin über Gefühle, wohingegen mein Mann sich lieber mit seinen Hunden beschäftigt oder alte Filme anschaut. Keines ist sinnvoller als das jeweils andere, im Gegenteil: Ist nicht gerade das ziellose Herumdümpeln ohne Sinn so wichtig für den gestressten Neuzeit-Menschen, der den größten Teil des Lebens hochgesteckten Zielen in Beruf und Glauben genügen will? Hat uns Gott nicht genau dafür das Gebot der Sonntagsruhe auferlegt? Einen Tag lang etwas ohne direkten Sinn zu tun, um einfach zu entspannen?

6. REGELMÄSSIG GEMEINSAM ENTSPANNEN IST WICHTIG
Wir haben in unserer Familie schon viel über diesen wichtigen Tag, den Sonntag, diskutiert. Inzwischen können wir sagen, dass er als unser gemeinsamer „Höhepunkt“ der Entspannung recht gut ausgetüftelt ist. Er vereint Elemente, die uns allen vieren Kraft geben, sodass sich jeder ein wenig ausruhen kann: Radfahren, leckeres Essen und bei Gott ankommen gehören mit dazu. Nach einem so schön verbrachten Tag ist es leichter, in die hektische Woche zu starten. Damit auch die Zweisamkeit nicht zu kurz kommt, versuchen wir, regelmäßig den entspannenden Austausch in Gang zu halten.

Inzwischen erkennen wir, wann wir einen „Abschaltmoment“ zu zweit planen müssen – nämlich wenn wir häufiger als sonst aneinandergeraten. Obwohl wir in solchen Momenten wenig Lust auf Gemeinsamkeit haben, lohnt es sich, einen Ausflug in eine andere Stadt oder einen Abend im Restaurant zu organisieren. Das ist jeden Aufwand wert, denn schließlich ist die Ehe der Motor der Familie. Natürlich beginnen unsere Ausflüge meistens mit Reibereien, dafür enden sie fast immer umso friedlicher. Uns fällt es nach solchen Auszeiten wieder leichter, die Unterschiede zu akzeptieren, die zwischen uns bestehen. So hat mein Mann zum Beispiel gelernt, dass eine Sport treibende Ehefrau am Ende des Tages ausgeglichener ist – auch wenn das bedeutet, dass sie ihn morgens um sechs weckt, weil sie zum Joggen aufbricht. Das rechne ich ihm hoch an. Dafür stört mich das Flimmern im Nebenzimmer weniger, Hauptsache, es baut ihn auf und er kann anschließend gut schlafen.

7. ENTSPANNUNG FÜR DEN ANDEREN MITDENKEN IST DIE HOHE KUNST
Wie weit man es mit viel Zeit, Liebe und Geduld in einer Beziehung bringen kann, habe ich kürzlich bei unseren Hauskreisleitern beobachtet. In ihrer Ehe haben sie beide das Gespür dafür entwickelt, wann der andere Entspannung dringend nötig hätte. So verriet sie mir, dass er ihr an besonders stressigen Tagen hin und wieder eine „Dosis Klavierspielen“ verordnet hat. Ein solch sensibles Verständnis für das Bedürfnis des Ehepartners ist wohl Gold wert.

Entspannt durch die Ehe zu gehen, ist also am Ende des Tages eine Frage der richtigen Balance. Manchmal gilt es das Gemeinsame zu suchen, und das kann bedeuten, bei den eigenen unmittelbaren Bedürfnissen zurückzustecken. Gleichzeitig ist jeder Mensch in seinen Kräften begrenzt und braucht regelmäßig eine Akku-Ladepause. Dann darf er gern auch einmal ganz allein entscheiden, was ihm gut tut. Wie sagte der Prediger schon so schön: „Besser eine Hand voll mit Ruhe als beide Fäuste voll mit Mühe und Haschen nach Wind.“ (Prediger 4,6).

Energie aus dem Konsumtempel

Gottfried Muntschick hat Spaß an einem – aus Männersicht – ziemlich exotischen Hobby.

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