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Partnerschaft in Krisenzeiten – gemeinsam durch die Arbeitslosigkeit

Wenn ein Mensch den Arbeitsplatz verliert, kann das die Existenz bedrohen und Psyche sowie die Paarbeziehung belasten. Was in Krisen hilft, berichten ein betroffenes Ehepaar und eine Paartherapeutin.

Genau zu der Zeit, als Anne nach längerem Hoffen endlich wieder schwanger wurde, verlor ihr Mann Markus zum zweiten Mal seine Arbeitsstelle. Das brachte Unsicherheit und Existenzsorgen in die Beziehung. Bereits bei der ersten Kündigung war es für Anne als Freiberuflerin schwierig, finanziell nicht so stark wie erwartet auf Markus bauen zu können: „Ich war selbstständig und wollte mich gern finanziell auf sein Einkommen verlassen. Das stellte für mich auch einen Konflikt in der Rollenverteilung dar, und ich konnte nicht so frei sein, mich erst mal auszuprobieren, sondern musste gleich Geld verdienen“, erinnert sich Anne. Nach einiger Zeit kamen bei ihr Frust und Vorwürfe auf und die Fragen, ob ihr Mann wirklich sein Bestes gibt und überhaupt für die Arbeitswelt gemacht ist.

Auch bei Markus entstanden Selbstzweifel. Doch es war beiden wichtig, all diese Emotionen zuzulassen. Sie überlegten als Paar gemeinsam mit Hilfe eines Berufungsbuches, wie es weitergehen kann und wo sie sich in ihren Fähigkeiten noch mehr unterstützen können. „Das hat Markus geholfen, sich zu reflektieren, und mir, die Potenziale in ihm zu sehen, und unseren Teamgeist geweckt“, sagt Anne. Außerdem zeigte ihnen diese Krise neu, dass sie vieles nicht selbst im Griff haben. Gestärkt hat sie das gemeinsame Gebet. Das hat ihnen geholfen, auf Gott zu vertrauen. „Ich habe neu gelernt, Krisenzeiten erst mal so anzunehmen, wie sie sind, und nicht gleich in Aktivismus zu verfallen, sondern wirklich zu vertrauen und geduldig zu sein mit meinem Partner. Letztlich sind wir als Team unterwegs und keiner ist besser als der andere, nur weil er mehr verdient“, resümiert Anne.

Durch die Krise wurden beide reflektierter für die eigenen Schwächen, den eigenen (Arbeits-)Anteil an der Beziehung, aber auch die Erfolge des anderen. Ihre Erfahrungen geben Anne und Markus auch gern an andere weiter. „Als Paar ist es schön, wenn man gemeinsam sowas überwunden hat und davon auch erzählen und zuversichtlich sein kann, dass Gott einen durchträgt“, fasst Anne zusammen.

Zusammen Neues wagen

Paartherapeutin Diana Muschiol hat schon einige Paare in existenzbedrohlichen Krisen begleitet. „Für viele Menschen ist die Berufstätigkeit mit dem eigenen Selbstwert verknüpft, gibt Sinn und Identität“, sagt sie. Fällt die Arbeitstätigkeit weg, entsteht oft eine Leere. Dann ist es wichtig, sich bewusst auf Neues einzulassen, um wieder Sinn zu finden. Berufungsbücher wie bei Anne und Markus können hilfreich dabei sein.

Mit dem Jobverlust einhergehende Gefühle wie Scham, Schuld, Minderwertigkeitsgefühle oder Selbstzweifel können gefährlich sein. „Das sind unangenehme Gefühle, die meist einen Rückzug bedeuten, ein innerliches Dichtmachen, wenn man diese Gefühle nicht fühlen und schon gar nicht irgendjemandem zeigen will. Dadurch sind aber Distanz und Entfremdung in der Partnerschaft vorprogrammiert“, weiß Muschiol. Auch die möglicherweise veränderten Rollen in der Familie und dadurch vielleicht ungewohnte Aufgaben können das Gefühl von Unfähigkeit verstärken. Der Alltag muss eventuell neu organisiert, Aufgaben neu verteilt werden. Alle Gefühle zuzulassen und ehrlich miteinander zu kommunizieren, ist deshalb sehr wichtig! Statt sorgenvoll zu verzweifeln, sollte man die Situation erst mal akzeptieren. Und dann als Paar gemeinsam umdenken, flexibel nach Lösungen und Ideen suchen und diese umsetzen. Der Fokus sollte dabei auf dem vorhandenen Guten in der Beziehung sowie den Ressourcen jedes Einzelnen, als Paar und auch im sozialen Umfeld liegen. Von diesem Punkt aus kann man sich gemeinsam neue Ziele setzen und daran arbeiten, sie zu erreichen. So wie Markus und Anne, die sich mittlerweile freuen dürfen, dass Markus erfolgreich einen neuen Job gefunden hat.

Interview mit Paartherapeutin Diana Muschiol

Was kann Paaren helfen, schwierige Zeiten gemeinsam durchzustehen?
Allein die Paarbeziehung an sich hilft schon, Krisen zu meistern. Zahlreiche Studien zeigen, dass eine zufriedene und glückliche Beziehung gesund hält und uns auch befähigt, mit Herausforderungen und Schmerz besser umzugehen. Daher ist ein sehr wichtiger Faktor für Paare in Krisenzeiten, an ihrer Beziehung festzuhalten und diese weiter auszubauen.

Zusätzlich ist ein offener und ehrlicher Austausch miteinander sehr hilfreich, zum Beispiel darüber, was an der Krise Sorgen oder Angst bereitet. Und das mit der Bereitschaft, das Gegenüber wirklich verstehen zu wollen. Wenn wir selbst in Not sind oder unbedingt verstanden werden wollen, verlieren wir manchmal das „Wir“ aus den Augen. Da sind echtes Interesse und Empathie sehr hilfreich. Auch eine vorsichtige Nachfrage oder ein Gesprächsangebot, wenn der Partner sorgenvoll scheint, ist eine gute Möglichkeit.

Gibt es überhaupt so etwas wie eine Patentlösung für die Bewältigung von Krisen als Paar?
Wenn überhaupt, dann würde ich sagen, ist es eine glückliche, zufriedenstellende Beziehung, in der sich beide verbunden fühlen, angenommen sind und die Zuversicht haben, das gemeinsam durchzustehen. Eine Beziehung, in der sie sich emotional und körperlich erreichen, sich aufeinander verlassen können, sich auf emotionaler Ebene mitteilen und dann auch wohlwollend auf das Gehörte und Wahrgenommene reagieren.

Kann man von einer Paar-Resilienz sprechen oder ist Krisenbewältigung in erster Linie Sache jedes einzelnen Partners?
Beides. Eine gemeinschaftliche Bewältigung ist hilfreicher als die alleinige. Und wenn ein Partner in der Beziehung eine Krise oder Not erlebt, hat das direkte Auswirkungen auf den anderen oder die andere. Aber es braucht den eigenen Beitrag. Man kann sich nicht ausschließlich darauf verlassen, dass das Gegenüber einem die Bewältigung abnimmt. Man darf seinen eigenen Beitrag dazu leisten, sollte aber auch Unterstützung annehmen. Dafür ist es erforderlich, sich selbst verletzlich zu zeigen. Das bedeutet, die eigenen Gefühle mitzuteilen: Sorgen, Ängste, Unzufriedenheit, Probleme und auch Sehnsüchte, Hoffnungen und Wünsche. Wir können nicht davon ausgehen, dass unser Gegenüber weiß, wie es in uns aussieht, wenn wir es nicht zeigen.

Was verändert sich aus Ihrer Sicht an einer Beziehung, wenn Paare gemeinsam Krisen bewältigen?
Das gemeinsame Bewältigen von Krisen kann viele Ressourcen in einem Paar hervorbringen. Oft wachsen der gegenseitige Respekt und die Wertschätzung. Aber auch Verbundenheit, Vertrauen, Intimität und Zusammengehörigkeitsgefühl entwickeln sich weiter und verfestigen sich. Durch das Erleben, schon einmal eine Krise gemeistert zu haben, entstehen auch Hoffnung und Zuversicht, kommende Krisen ebenfalls zu bewältigen. Hoffnung ist ein weiterer wichtiger Aspekt von Resilienz. Und je mehr wir Menschen Resilienz erleben, desto mehr baut sie sich auf. Durch das gemeinsame Bewältigen von Anforderungen entwickelt sich Selbstwirksamkeit bei jedem Einzelnen und auch die des Paares. Was wiederum genutzt werden kann, für andere Impulsgeber und Vorbild zu sein.

TIPPS VON BETROFFENEN UND PAARTHERAPEUTIN DIANA MUSCHIOL ZUR BEWÄLTIGUNG VON KRISEN IN DER PARTNERSCHAFT:

  • die Partnerschaft priorisieren, Zusammengehörigkeitsgefühl stärken, zum Beispiel durch Auszeiten zu zweit
  • im Alltag immer wieder Verbindung zueinander schaffen durch eine Umarmung, ein Lächeln, einen Kuss oder liebe Worte
  • bewusst den Fokus darauf setzen, was gut läuft
  • sich bewusst dafür entscheiden, zusammenzubleiben und miteinander durch die Krise zu gehen
  • sich durch praktische Unterstützung im Alltag gegenseitig Freiräume schaffen, um einzeln Bedürfnissen nachzugehen und Auszeiten zu nehmen

Kommunikation ist alles

  • ein Grundlevel an Kommunikation aufrechterhalten, zum Beispiel durch kurze Spaziergänge
  • offen und ehrlich Gefühle, Gedanken und Bedürfnisse teilen
  • sich in den Partner einfühlen, gegenseitig ungeteilte Aufmerksamkeit und echtes Interesse schenken
    sich um gegenseitige Akzeptanz und Verstehen bemühen
  • dem Partner andere Bedürfnisse und Verarbeitungsstrategien zugestehen
  • bei Bedarf  therapeutische oder praktische Unterstützung annehmen
  • negative Gedanken und Gefühle zulassen und aussprechen, sich aber nicht davon beherrschen lassen
  • Krisen nicht „vergeuden“, sondern als zum Leben dazugehörende Chance für etwas Neues und Gutes sehen und sie, wenn möglich, aktiv gestalten

Hilfreiche Fragen

  • Was ist in dieser Situation oder in diesem Moment der Krise unser langfristiges Ziel?
  • Wie können wir dahingehend unsere Energie und Zeit nutzen?
  • Was brauchen wir gerade in der Krise: eher aktive Lösungsschritte oder eine Stärkung unserer emotionalen partnerschaftlichen Verbindung?

Lisa-Maria Mehrkens ist Psychologin und freie Journalistin und lebt in Chemnitz

„Unser Sohn hängt nach dem Abitur nur zu Hause rum“ – Da hilft nur Durchgreifen

Was tun nach dem Abi? Wenn die Antwort »Nichts« ist, sind die Eltern gefragt. Wie das funktioniert, erklärt Pädagogin Sonja Brocksieper.

„Unser Sohn (19) konnte sich nach dem Abitur nicht für ein Studienfach entscheiden. Einen Job hat er sich auch nicht gesucht und hängt nur zu Hause oder mit Freunden rum. Müssen wir das akzeptieren?“

Vielen Abiturientinnen und Abiturienten fällt es heute aufgrund der Vielzahl von Entscheidungsmöglichkeiten schwer, sich direkt nach der Schule für einen nächsten Schritt zu entscheiden. Manche sprechen sogar von einem echten Gesellschaftsphänomen, für das es vielschichtige Gründe gibt. Für Eltern ist das nicht einfach, und es kann zu einer großen Belastungsprobe werden.

Was kann ich tun?

Einerseits ist es verständlich, dass junge Erwachsene nach der langen Schulzeit von mindestens zwölf Jahren das Bedürfnis nach einer Verschnaufpause haben. In einem gewissen Rahmen kann man ihnen die auch durchaus gönnen. Andererseits braucht es dabei auch immer gute Absprachen und eine Perspektive, wie es langfristig weitergehen kann. Sie müssen also keineswegs akzeptieren, dass Ihr Sohn nur abhängt.

Verdeutlichen Sie ihm das Prinzip von Rechten und Pflichten. Jeder Mensch, der in unserer Gesellschaft seine Pflichten nicht erfüllt, muss damit rechnen, dass seine Rechte eingeschränkt werden. So funktioniert das Zusammenleben. Eltern sind verpflichtet, ihrem volljährigen Kind den Unterhalt zu zahlen, wenn es dazu noch nicht in der Lage ist, bis eine Berufsausbildung oder ein Studium abgeschlossen ist. Macht ein volljähriges Kind nach der Schule aber einfach nichts, muss das nicht auf Kosten der Eltern laufen. Dann sollten Sie ihm keineswegs ein entspanntes Leben finanzieren, denn das hemmt die Entwicklung und Reifung Ihres Sohnes.

Sie dürfen unbequem werden!

Ihr Sohn muss die Verantwortung für seine Entscheidung tragen, indem er die Folgen spürt. Denn nicht nur Sie, auch er hat Pflichten: Er muss sich um seine finanzielle Absicherung kümmern und Aufgaben im Haushalt übernehmen. Das ist sogar gesetzlich geregelt! Erklären Sie ihm, dass Sie den Service einstellen und seine finanzielle Unterstützung reduzieren werden, wenn er sich nicht daran hält. Das Leben kann ruhig unbequem für ihn werden. Zeigen Sie Ihrem Sohn diese Optionen auf und setzen Sie ein Zeitlimit, bis wann er sich für eine Ausbildung, einen Job, ein Studium, soziales Jahr oder dergleichen entschieden haben muss und bieten Sie ihm dabei Ihre Unterstützung und Begleitung an. Ist es nicht möglich, mit ihm auf dieser vernünftigen Ebene Lösungen zu finden, könnte es Sinn machen, sich Vertrauenspersonen wie Verwandte, Paten oder Freunde dazuzuholen.

Was steckt dahinter?

Es stellt sich aber auch die Frage, warum sich Ihr Sohn nicht um einen Job gekümmert hat. Was ist die Ursache für sein Durchhängen? Ist es reine Faulheit, dann sollte Ihr Sohn die Konsequenzen deutlich erleben und mit den Einschränkungen leben. Steckt dahinter aber eine echte Lebenskrise, die viel tiefer geht, braucht er emotionale Unterstützung, um aus diesem Loch herauskommen zu können. Dann könnte es doch hilfreich sein, ihm eine Verschnaufpause für eine gewisse Zeit möglich zu machen, mit dem Ziel, die Seelenbatterie aufzuladen, sodass eine Ausbildung überhaupt erst möglich ist. Vermutlich wird das aber ohne eine psychologische Beratung nicht gehen.

Sonja Brocksieper ist Diplom-Pädagogin. Sie lebt mit ihrer Familie in Remscheid und ist Mitarbeiterin bei Team.F: sonja-brocksieper.de 

Abhängen nach dem Abi

„Unser Sohn (19) konnte sich nach dem Abitur nicht für ein Studienfach entscheiden. Einen Job hat er sich auch nicht gesucht und hängt nur zu Hause oder mit Freunden rum. Müssen wir das akzeptieren?“

Vielen Abiturientinnen und Abiturienten fällt es heute aufgrund der Vielzahl von Entscheidungsmöglichkeiten schwer, sich direkt nach der Schule für einen nächsten Schritt zu entscheiden. Manche sprechen sogar von einem echten Gesellschaftsphänomen, für das es vielschichtige Gründe gibt. Für Eltern ist das nicht einfach, und es kann zu einer großen Belastungsprobe werden.

Einerseits ist es verständlich, dass junge Erwachsene nach der langen Schulzeit von mindestens zwölf Jahren das Bedürfnis nach einer Verschnaufpause haben. In einem gewissen Rahmen kann man ihnen die auch durchaus gönnen. Andererseits braucht es dabei auch immer gute Absprachen und eine Perspektive, wie es langfristig weitergehen kann. Sie müssen also keineswegs akzeptieren, dass Ihr Sohn nur abhängt.

Rechte und Pflichten

Verdeutlichen Sie ihm das Prinzip von Rechten und Pflichten. Jeder Mensch, der in unserer Gesellschaft seine Pflichten nicht erfüllt, muss damit rechnen, dass seine Rechte eingeschränkt werden. So funktioniert das Zusammenleben. Eltern sind verpflichtet, ihrem volljährigen Kind den Unterhalt zu zahlen, wenn es dazu noch nicht in der Lage ist, bis eine Berufsausbildung oder ein Studium abgeschlossen ist. Macht ein volljähriges Kind nach der Schule aber einfach nichts, muss das nicht auf Kosten der Eltern laufen. Dann sollten Sie ihm keineswegs ein entspanntes Leben finanzieren, denn das hemmt die Entwicklung und Reifung Ihres Sohnes.

Ihr Sohn muss die Verantwortung für seine Entscheidung tragen, indem er die Folgen spürt. Denn nicht nur Sie, auch er hat Pflichten: Er muss sich um seine finanzielle Absicherung kümmern und Aufgaben im Haushalt übernehmen. Das ist sogar gesetzlich geregelt! Erklären Sie ihm, dass Sie den Service einstellen und seine finanzielle Unterstützung reduzieren werden, wenn er sich nicht daran hält. Das Leben kann ruhig unbequem für ihn werden. Zeigen Sie Ihrem Sohn diese Optionen auf und setzen Sie ein Zeitlimit, bis wann er sich für eine Ausbildung, einen Job, ein Studium, soziales Jahr oder dergleichen entschieden haben muss und bieten Sie ihm dabei Ihre Unterstützung und Begleitung an. Ist es nicht möglich, mit ihm auf dieser vernünftigen Ebene Lösungen zu finden, könnte es Sinn machen, sich Vertrauenspersonen wie Verwandte, Paten oder Freunde dazuzuholen.

Was steckt dahinter?

Es stellt sich aber auch die Frage, warum sich Ihr Sohn nicht um einen Job gekümmert hat. Was ist die Ursache für sein Durchhängen? Ist es reine Faulheit, dann sollte Ihr Sohn die Konsequenzen deutlich erleben und mit den Einschränkungen leben. Steckt dahinter aber eine echte Lebenskrise, die viel tiefer geht, braucht er emotionale Unterstützung, um aus diesem Loch herauskommen zu können. Dann könnte es doch hilfreich sein, ihm eine Verschnaufpause für eine gewisse Zeit möglich zu machen, mit dem Ziel, die Seelenbatterie aufzuladen, sodass eine Ausbildung überhaupt erst möglich ist. Vermutlich wird das aber ohne eine psychologische Beratung nicht gehen.

Sonja Brocksieper ist Diplom-Pädagogin. Sie lebt mit ihrer Familie in Remscheid und ist Mitarbeiterin bei Team.F. www.sonja-brocksieper.de 

Illustration: Sabrina Müller, sabrinamueller.com

Der Segen der Wahlfreiheit

Jennifer Zimmermann ist gern mal kämpferische Hausfrau. Und trotzdem stolz auf ihre Mutter, die mit Baby auf dem Arm ihr Diplom machte.

Seit endlos scheinenden Minuten sitze ich fest. Auf dem Spielteppich in unserem Wohnzimmer stapeln sich Töpfe, eine Armada von Holzkochlöffeln umzingelt mich und strahlend hält mir mein Sohn die zwanzigste Tasse Murmel-Suppe entgegen. Zwischen meiner Schulter und meinem Ohr klemmt der Telefonhörer, meinen dreifachen Espresso halte ich fest umklammert, denn jeder Gedanke, den ich fassen will, endet in einem Gähnen. So wundert es mich gar nicht, dass da ein kleiner Funke Neid in mir knistert, als ich höre, wie meine Freundin am anderen Ende der Leitung vom Krippenstart ihres Sohnes erzählt. Um ihren Frust geht es, um die unerschöpfliche Energie eines Einjährigen, die sie dazu brachte, schon früher als geplant wieder arbeiten zu gehen. Und dann wieder mal diese Frage: „Wie machst du das? Wie schaffst du’s nur, zu Hause zu bleiben?“ Und nicht verrückt zu werden, ergänze ich still.

ROMANTISCH VERKLÄRTE VORFREUDE
1986. Meine Eltern hatten einen Plan: Lange schon träumte meine Mutter davon, ihr Abitur nachzuholen, Psychologie zu studieren und als Therapeutin zu arbeiten. Neun Jahre nach der Geburt meiner großen Schwester war sie nun auf dem besten Weg, sich diesen Traum zu erfüllen. Mühsam hatte sie sich neben Kind und Beruf durch die Abendschule gequält, ihr Studium gemeistert, sah das Diplom in Reichweite – und wurde mit mir schwanger. Ein zweites Kind hatte keiner geplant. Für mich hieß das vor allem: Oma-Zeit. Und so sehr ich diese Zeiten liebte, so sehr nagte auch die, mit Worten nicht fassbare, Gewissheit an mir, dass ich etwas Entscheidendes vermisste.

Als ich 2011 mit meinem ersten Kind schwanger wurde, stellte ich deshalb meine Bachelorthesis ins Regal und blieb daheim, obwohl uns das finanziell ans Existenzminimum brachte. Mit romantisch verklärter Vorfreude wartete ich nestbauend auf die heimelige Zeit fern von meinem Beruf in der liebevollen Zweisamkeit mit diesem wunderbaren neuen Menschen. Ziemlich unsanft schlug ich in der Mamarealität auf. Der neue Mensch begegnete mir mit unstillbarem Hunger zu allen Nachtzeiten und schlief ausschließlich auf meinem eigenen zarten Körper. Als ich an meinem ersten Tag allein daheim um drei Uhr nachmittags vor einer endlich aufgetauten Kürbissuppe saß und überlegte, ob ich dringender aufs Klo oder essen musste und just in diesem Moment wieder ein Schreien aus dem Schlafzimmer tönte, brach ich in Tränen aus. Die Unfähigkeit, meinen Sohn zufriedenzustellen, geschweige denn noch irgendetwas anderes zu leisten, traf mich unvorbereitet hart. Bin ich eigentlich noch genug, wenn ich mich einfach nur um mein Kind kümmere und sonst nichts schaffe?

ES REICHT
Bin ich genug? Diese Frage verfolgte mich das ganze erste Jahr hindurch. Besonders eindringlich biss sie sich fest, wenn wieder mal eine Mama vom Krippen- und Arbeitsstart erzählte. Lange begegnete ich dann immer wieder dem kleinen Mädchen in mir, das so gern selbst mehr von seiner Mama gehabt hätte. „Ich kann nicht aus meiner Haut!“, sagte ich oft, mich mit meiner eigenen Geschichte für mein Hausfrauen-Dasein entschuldigend. Aber hier und da tauchte auch eine andere wohlvertraute Stimme in mir auf. Immer mehr konnte ich sehen, dass ich diesen Weg gehe, mitten in einer Gesellschaft, die Leistung und Selbstverwirklichung vergöttert. Heilsame Gott-Gedanken rückten mir die Perspektive zurecht, ganz schlicht: Es geht nicht um mich. Und ich bin genug, begabt, beschenkt, auch wenn mir das Geschenk manchmal verschwimmt vor meinen müden Augen. Ich bin genug, auch wenn ich nichts leiste. Ich bin begabt und diese Begabung verliert nicht an Wert, wenn ich mit ihr meine Kinder, meinen Mann, meine Nachbarschaft beschenke – und ein „nur“ gibt es hier nicht. Es reicht. Dankbarkeit macht sich breit in meinem Herzen, weil mein Aushalten daheim mich diesen Worten näher gebracht hat.

STOLZ AUF DIE MUTTER
Dankbar bin ich aber heute auch für meine Mutter, die eine andere Abzweigung genommen hat. Ich stehe als Frau in einer langen Reihe von Müttern, die nicht immer ihren eigenen Weg gehen konnten. Als mein Vater auf die Welt kam, managte seine Mutter einen Bauernhof, einen dement werdenden Schwiegervater und die Spätfolgen diverser Kriegstraumata. Für ihre zwei Kinder sicherte sie die Existenz und opferte dafür die Zeit mit ihnen. Tapfer ging sie diese Wegstrecke, unter der alle Beteiligten gelitten haben. Sie hatte keine Alternative. Es tut mir gut, hin und wieder diesen Blick über die Schulter zu üben, zu merken, dass Wahlfreiheit nicht selbstverständlich ist. Und neben dem kleinen Mädchen in mir gibt es dann eine erwachsene Frau, die stolz ist auf ihre Mutter, die mit dem Säugling auf dem Arm für die Diplom-Prüfung gelernt, mutig den Schritt in die Selbstständigkeit gewagt und sich mitten durch das Gestrüpp einer Gesellschaft gekämpft hat, die von der Vereinbarkeit von Familie und Beruf nicht viel wissen wollte.

TIEFER GRABEN
Das kleine Mädchen in mir verkleidet sich, nebenbei bemerkt, immer mal wieder als kämpferische Hausfrau, die plakativ den Wert der Daheimgebliebenen hochhält. Nur der Blick auf meine Geschichte holt mich immer wieder von meinem Thron des Schwarz-Weiß-Denkens herunter. Es gibt mehr als gute Hausfrauen und Rabenmütter. Und egal, wie meine Freundin sich entscheidet, ich will ihr eine Weggefährtin sein. Heute dürfen wir unseren Weg wählen. Da möchte ich ihr Mut machen, tiefer zu graben durch die vielen Schichten von Rollenbildern und Gesellschaftserwartungen hindurch. Ich will sie in ihrer einzigartigen Familiensituation ernst nehmen. Will ihr von meinem eigenen, ganz normalen Frust erzählen. Will sie betend umhegen, auf dass sie und ihr Mann den Weg finden, den sie mit ruhigem Herzen gehen, auf dem sie die Aussicht genießen können. Und ich will wertschätzen, was sie leistet, ganz egal, welche Abzweigung sie wählt.

Unser Gespräch wird unterbrochen, als mein Sohn arrhythmisch auf einen Topf einschlagend beginnt, Backe- Backe-Kuchen zu singen. „Wie machst du das?“, fragt sie mich noch. „Ich mache ja gar nichts!“, brülle ich lachend. Jennifer Zimmermann ist Sozialarbeiterin und derzeit Familienfrau. Sie lebt mit ihrem Mann und ihren zwei Kindern in Bad Homburg.

„Danke“ – Die Trainingsfelder

In den letzten fünf Ausgaben ging es an dieser Stelle darum, welche Schritte Sie gehen können, um ein dankbarer Mensch zu werden. Im abschließenden Teil der Family- Serie zur Dankbarkeit wird es ganz praktisch: Wer ein dankbarer Mensch werden will, braucht Trainingsfelder. Von Martin Gundlach

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Bereit für ein Kind?

Lisa wünscht sich ein Kind, Dennis sagt, er fühle sich der Verantwortung als Vater noch nicht gewachsen. Soll sie es darauf ankommen lassen und hoffen, dass er schon in die Rolle als Papa reinwächst, wenn erst mal das Kind da ist? Weiterlesen

Eine neue Geschichte erzählen

Nach fünf Jahren in einem gut bezahlten, sicheren Job entscheidet sich Christian Rommert, mit seiner Familie von Brandenburg zurück nach Bochum zu ziehen und sich selbstständig zu machen.

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