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„Wenn ich nur auf die Behinderung schaue, verpasse ich mein Kind“

Sarah träumte von einem Kind, wie man es sich eben vorstellt: schön, gesund, schlau und stark. Doch dann wurde ihr Sohn Lasse mit Trisomie 21 geboren und sie musste all ihre Vorstellungen vom vermeintlichen Mutterglück loslassen.

Jetzt ist er da. Endlich. Und er ist perfekt, mein kleiner, wunderschöner Lasse. Doch als man ihn mir auf den Bauch legen will, bleibt mein Blick an der sehr kurzen Nabelschnur hängen. Ich bin erschöpft. Ich sollte mich lieber auf meinen glücklichen Mann konzentrieren, der gerade die Schnur durchtrennt, ermahne ich mich. Aber, denke ich jetzt, wo sein kleines Köpfchen meine Brust sucht, irgendwie sieht er auch ein bisschen merkwürdig aus. Das Wort „Down-Syndrom“ kreist in meinem Kopf. Aber alle verhalten sich normal, also zwinge ich mich, es auch zu tun.

Herzfehler übersehen

Die Hebammen verlassen den Raum und kommen schnellen Schrittes mit einer Ärztin im Schlepptau wieder. Sie untersucht ihn und befragt uns nach unseren Berufen. Ob wir denn da zufällig etwas über Trisomie 21 gelernt hätten? Okay, das gehört jetzt nicht zu den Standardfragen, denke ich. Die Ärztin rät uns, ihn Tim zu nennen. Das wäre ein leichter Name, den er sich leicht merken könne. Ob er „es“ nun habe, könne sie uns nicht sagen. „Aber organisch ist er völlig unauffällig“, höre ich noch wie durch Watte. Dass sie einen schweren Herzfehler und eine Darmkrankheit übersehen hat, erfahren wir erst zwei Tage später.

Nicht mehr Mensch

Ich schaue das warme Bündel auf meinem Arm an, und es kommt mir plötzlich fremd vor. Das Kind in meinem Arm ist nicht mehr Lasse, nicht mehr mein Sohn, nicht mehr Bruder, nicht mal mehr ein Mensch – er ist Down-Syndrom. Elf Buchstaben, die alles, wirklich alles verändern. Nicht zum Guten. Können wir ihn überhaupt noch Lasse nennen? Er ist behindert, geistig und körperlich wahrscheinlich lebenslang eingeschränkt, soviel weiß ich tatsächlich noch aus dem Studium. All die Bilder von zwei Brüdern, die demnächst gemeinsam durch den Garten rennen, verrinnen in ein tiefes, schwarzes Loch.

Niemand gratuliert

Obwohl wir erst 16 Tage später den Gentest in den Händen halten, fühlen sich ab diesem Moment alle Babythemen an wie eine Beleidigung. Falsch. Unnötig. Übertrieben. Über Krankheit und Defizite zu sprechen, fühlt sich richtig an. Die vorher liebevoll ausgesuchten Strampler bleiben in der Tasche. Sollen wir überhaupt Geburtskarten versenden? Keiner gratuliert mir, und das passt zu meinem Eindruck. Wieso habe ich eigentlich das Gefühl, ich muss die anderen trösten? Aber über all diese Gedanken schiebt sich ein anderer, größerer: Ich liebe ihn. Und ich habe einen starken Mann an meiner Seite. Das beruhigt mich.

Traurige Tatsachen

Aber der Reihe nach: Ich heiße Sarah, bin glücklich verheiratet und Lehrerin in Elternzeit. Bei der normalerweise folgenden Angabe – Mutter zweier Jungs – machte sich lange ein diffuses, schuldiges Gefühl in mir breit. Und so fügte ich immer gleich hinzu, dass der eine Junge Träger einer Behinderung sei. Ich fühlte mich, als müsste ich seine Existenz rechtfertigen. Als müsste ich damit ein Gleichgewicht herstellen. Und das ist nicht nur ein Gefühl, es beruht auf traurigen Tatsachen.

Keine Abtreibung

„Es ist in Deutschland leichter, ein Kind mit Behinderung abzutreiben, als einen Baum zu fällen“, titelte vor kurzem eine Zeitschrift. Neun von zehn Eltern entscheiden sich gegen ein Kind mit Down-Syndrom. In Island ist seit acht Jahren überhaupt keins mehr mit diesem Gendefekt geboren worden. Nun ist man als Mama von einem Kind mit Down-Syndrom dazu gezwungen, das eigene geliebte Kind als Risiko zu sehen, als etwas, das in unserer Zeit doch nicht mehr sein muss …

Foto: Sarah Boll

Foto: Sarah Boll

Wie ein Mahnmal

Manchmal spüre ich den Druck so stark, dass ich mich am liebsten mit Lasse in einem sicheren Kokon verschanzen würde, um mich all dem da „draußen“ nicht mehr stellen zu müssen. Nicht mehr den mitleidigen Blicken von Passanten ausgesetzt zu sein. Nicht mehr den Anflug von Erleichterung in ihrem Gesicht zu erhaschen, dass es sie nicht getroffen hat. Denn egal, wo ich mit ihm auftauche, er fällt auf. Er ist wie ein Mahnmal, denke ich an schlechten Tagen. Er zeigt uns, dass es eben auch schiefgehen kann, dass das Leben unberechenbar ist und es anders kommen kann, als man denkt.

Starker Glaube

„Sie können aber dankbar sein“, reißt mich eine ältere Dame aus meinen trübsinnigen Gedanken, als ich Lasse vor dem Krankenhaus herumschiebe, „so ein süßer Junge“. Es berührt mich sehr. Sie hat so recht. Und ich bin es auch wirklich, jeden Tag mehr. Das erste Jahr meistern wir trotz mehrerer Operationen erstaunlich gut. Beide in Elternzeit richten wir uns das Leben zwischen Klinik und Kleinkind zu Hause gut ein. Wir wechseln den Wohnort, und ich arbeite sogar ein bisschen an meiner Selbstständigkeit als Fotografin. Wir fühlen uns stark, getragen von all dem Zuspruch von Freunden und Verwandten, die unsere Fröhlichkeit und Stärke bewundern, und beschwingt von all den Veränderungen. Sogar mein Glaube erhält in dieser Zeit einen Aufschwung, denn meine kritische Theologie weicht einer persönlichen Kraftquelle, so wie ich sie als Kind kennenlernen durfte. Ich wünsche es mir so sehr, darin einen Anker zu finden.

Fürchterliche Schreie

Doch die schwere Herz-OP ringt mir meine letzten Kraftreserven ab. Immer öfter verlasse ich das Klinikgelände und stoße im Wald fürchterliche Schreie aus. Wieder zu Hause folgen Wochen, in denen ich nur noch auf dem Boden hocke und vor Angst, Scham und Verzweiflung nicht mal mehr ein Frühstück zustandebringe. Diese dumpfe Verzweiflung ist so hartnäckig, so freudlos und völlig perspektivlos. Immer wieder ertappe ich mich dabei, wie ich Fluchtpläne schmiede, die sich nicht selten in Todesphantasien verlieren. Ich stehe mal wieder vor dem Spiegel und schaue dem Biest in mir in die Augen. Was verfolgt mich? Ich dachte, ich hätte alles im Griff. „Ich hasse dich, du Versagerin“, fauche ich mir ins Gesicht. „Schau dich doch an, du schaffst es nicht!“ Heiße Tränen laufen mir übers Gesicht. Ich klopfe mir stärker als gewollt gegen die Schläfe. Das kann doch alles nicht sein. Wo ist denn Gott? Er ist schließlich an allem schuld. Er trägt die Verantwortung für mein b… Leben. Er ist erbärmlich. Ich besinne mich. Für noch schlimmere Gedanken muss ich bestimmt in die Hölle. Ich tue Buße, und gleichzeitig meldet sich die Vernunft, dass ich so doch längst nicht mehr glaube. Dass ich mich ständig schuldig fühlte, war doch einer der Gründe, warum ich mit dieser Art von Glauben aufgehört habe.

Haushaltshilfe statt Klinik

Ich merke, dass ich Hilfe brauche und suche mir eine Psychologin. Sie bleibt total entspannt und sagt mir schon nach der ersten Sitzung, dass ich psychisch völlig gesund sei. Ich denke an eine geschlossene Klinik, und sie redet von einer Haushaltshilfe und mehr Freiräumen für mich. Und sie behält recht. Durch sie lerne ich, dass ich selbst das Bedürfnis habe, mich zu bestrafen. Ich selbst bin es, die mit einem verzweifelten Genuss in der Vorstellung schwelgt, dass mich die zwei Jungs samt Haushalt, Therapien und Ernährungsumstellung völlig zerstören. Schon mit der Geburt meines ersten Sohnes habe ich vieles aus meinem Leben gestrichen, was mich glücklich macht. In den Gesprächen mit der Psychologin kommen weitere unbearbeitete Themen aus der Vergangenheit hoch, die ich sorgsam unterdrückt hatte. Ich wollte doch so stark sein, und auch ein Kind mit Behinderung sollte mich nicht aus der Bahn werfen. Und jetzt das.

Foto: Sarah Boll

Foto: Sarah Boll

Neue Perspektive

In diesem langen, sehr schmerzhaften Prozess des Loslassens und der Annahme zieht es mich immer tiefer in die Kunst. Das passiert fast unmerklich, denn ich fotografiere meinen Alltag einfach immer mehr. Dokumentarisches Fotografieren ist ja auf Hochzeiten schließlich mein Job. Immer, wenn ich meine Kinder durch die Linse sehe, ändert sich die Perspektive, als würde ich plötzlich das Gesamtbild besser sehen und nicht nur die Fehler. Es entsteht viel mehr als nur ein Foto, das vielleicht eine besonders ästhetische und klare Bildsprache hat. Es ist, als würde etwas Göttliches dazukommen. Etwas Neues, das nicht auf Defizite schaut, sondern eine ganz tiefe Dankbarkeit und Demut schenkt für das, was ist. Vielleicht, denke ich, ist genau das meine Form des Gebets.

Offensichtlich unperfekt

Die vielen Fotos im ganzen Haus erinnern mich immer wieder daran. Sie sind wie kleine Trophäen für mich, die mir zujubeln und sagen: „Nur darauf kommt es an. Schau genau hin, es ist alles da.“ An guten Tagen, und das sind heute die meisten, kann ich sagen: Die Vorstellung, ein Kind mit Behinderung zu haben, ist viel schlimmer, als tatsächlich eins zu haben. Denn in Lasses Gegenwart wird man auf so heilsame Art aufs Wesentliche reduziert, aufs Im-Moment-Sein, aufs Lachen und aufs bedingungslose Lieben.

Er ist offensichtlich so unperfekt und dabei so glücklich, dass es einem schwerer fällt, sich selbst wegen eigener Mängel abzulehnen. Meine Schwester hat das ganz schnell verstanden. Sie hat damals die Geburtskarten mit goldener Gravur anfertigen lassen und erklärt, „dass besondere Kinder eben auch goldene Karten brauchen.“ Recht hat sie! Lasse ist wirklich ein Goldjunge, genau wie sein großer Bruder auch.

Sarah Boll arbeitet als freie Fotografin, ist verheiratet und stolze Mama von zwei Jungs. Sie schreibt auf familyandme.de

Wunderschön

Uns mit unseren Schwächen und Beeinträchtigungen als schön anzunehmen, fällt uns nicht immer leicht. Was unserer Autorin geholfen hat: ganz besondere Fotos …

Mein rechtes Knie schmerzt. In meinem Kopf geht ein kleines rotes Alarmlämpchen an. Überbelastung. Die rechte Körperseite muss die linke mittragen. Die Hemipareseseite. Die schwache Seite. Der Grund: eine vorgeburtliche Schädigung meiner rechten Gehirnhälfte (Fachbegriff: Infantile Zerebralparese). Ich hatte Glück. Nur selten fragt jemand, warum ich hinke.

Das Tippen ist ein .Äegernis. Denn es sieht so aus. Der linke Zeeigedfibnger haut mirt eine Menge fehler rein.

„In Ihrem Alter …“

Mein Orthopäde ist gründlich: linker Oberschenkel 7 cm weniger Umfang, linker Unterschenkel 4,5 cm, linker Arm 4 cm kürzer. Deshalb Beckenschiefstand, Wirbelsäulenverkrümmung, Schulterschiefstand. Er hält kurz inne. „Keine Sorge. Sie sind nicht schwer krank.“ Dann sagt er: „Beim jungen Körper ist alles noch sehr dehnbar und beweglich. Da gleicht der Körper das aus. In Ihrem Alter …“ Ich bin 32 Jahre alt. Auf dem Nachhauseweg kommt mir ein Seniorenpaar entgegen. Die Dame sitzt im Rollstuhl. Das Kopfkino startet.

Zersprungen

Ich starre auf die zersprungene Glastür unserer Dusche. Hunderte Scherben werden durch das Sicherheitsglas nur noch auf fragile Weise zusammengehalten. Es war mitten in der Nacht, als wir durch ein lautes Geräusch geweckt werden. Der Handwerker meint, das sei ein seltener Fall, ähnlich wie bei Holz, das arbeitet. Bis er kommt, bleibt uns fünf eine Woche Gäste-WC und Nachbarschaftshilfe. So lange hält mir die zersprungene Tür einen Spiegel vor Augen für mein Innerstes, mein Selbstbild. Eine Freundin bringt das Gefühl auf den Punkt: „Behinderung auf Abruf“.

Ganz kleine Schritte

Nach dem allmorgendlichen „Ich will aber nicht zuerst die Zähne putzen“, „Bitte zieh jetzt endlich die Schuhe an“ und meinem Sieben-Uhr-Mantra im Treppenhaus „Pssssssssssst!“ sitze ich neben dem leeren Kinderwagen auf der Treppe zur Ergotherapie und überlege, was mich wohl erwartet. 20 Minuten lang, weil ich die erste und viel zu früh bin. Weil auch beim dritten Kind unvorhersehbar bleibt, wie viele Windeln sich unversehens füllen, wenn man gerade aus der Tür will. Und wie viele Feuerkäfer auf dem Weg zum Kindergarten noch gejagt werden müssen. Heute haben sie sich gut versteckt. Dann folgt die Ernüchterung. Ganz kleine Schritte, Geduld und üben, üben. Ich könnte zu Hause kleine Bälle suchen und mit den Kindern zusammen üben, schlägt die Ergotherapeutin vor. Oh ja, male ich mir aus: Der Kleine schreit freudig „Balla, Balla“ und stürzt los. Der große Bruder ist aber schneller. Der Fokus liegt dann eindeutig auf einem anderen Schwerpunkt im Nervensystem, nämlich da, wo die Nerven einer Mama am besten Drahtseilstärke erreichen sollten.

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„Wie wunderschön. Das bin ich!“

Es tut weh

Nach langer Sommerpause beginnt die Erkältungszeit. Erst wird der ältere Sohn krank. Dann folgt der jüngere. Und dann ich. Ein einfacher grippaler Infekt. Doch auch dafür fehlt mir die Kraft. Und dann passiert es. Da war auf einmal diese Wut. „Die Mama hat sich auf den Kopf gehauen“, sagt mein Sohn und lacht unsicher. Als die Kinder schlafen, schließe ich die Arme fest um meinen Mann. So stehen wir eine ganze Weile schweigend. Weil ich gelernt habe, dass es mit meinen Gefühlen schwer ist für meinen Mann, ringe ich mir die Worte ab: „Es ist ein Gefühl, das so weh tut in der Brust.“ Nun wird er aktiv und richtet unsere Kuschelecke (weil der Jüngste in unserem Bett schläft). So lange schaue ich mir Fotos an. Aktfotos. Nur drei Wochen ist das her. Es kommt mir vor wie aus einer anderen Welt.

Wunderschön

Als ich unsere Fotos betrachte, bleibt mein Blick bei meinem Gesicht hängen: Wie entspannt. Wie glücklich. Wie verliebt. Wie wunderschön. Das bin ich! Das habe ich Dana, der Stylistin, zu verdanken. „So schöne Augen hast du. Und solche Wimpern. Viele tun viel dafür … Toll, dass ihr euch das traut. Aus welcher Richtung kommt ihr denn?“ „Theologie“, sage ich. Und Dana völlig gelassen „Spannend, erzählt …“ Als ich die Fotos zum ersten Mal betrachtete, dachte ich: Wahnsinn, was das Spiel mit Licht und Schatten bewirkt. Einzelne Fotos sind so „perfekt“ wie in einem professionellen Kalender. Mit meiner Realität hat das wenig zu tun. Ist das nicht eine „Beschönigung“, wie wir sie überall in der digitalen und realen Welt erleben? Nein, denke ich. Es ist nicht so, dass etwas wegretuschiert wäre. Wenn ich ganz nah herangehe, sind da immer noch meine Asymmetrien, meine blassen und meine Sonnenseiten. Sie treten im Lichtspiel aber in den Hintergrund, machen den Blick frei. Es ist für mich eine ganz persönliche Umkehrung der Paradieserfahrung. Als ich mich so nackt sah, erkannte ich: Ich bin wunderschön.

„Der Erfolg der Impfungen: Wir kennen die Krankheit nicht mehr.“

Diphtherie oder Kinderlähmung sind nicht mehr präsent. Trotzdem werden Kinder dagegen geimpft. Ist das sinnvoll? Und welche Risiken bestehen beim Impfen? Ein Interview mit Dr. Thomas Schmitz, Oberarzt und Dozent an der Berliner Charité.

Herr Dr. Schmitz, warum ist Impfen so ein polarisierendes Thema?
Es geht um unsere Kinder, und wir alle wollen das Beste für sie. Deswegen ist es ein sehr emotionales Thema. Und wenn es um Expertenwissen geht, ist es manchmal schwierig, den Überblick zu behalten: Auf welche Expertenmeinungen kann man sich verlassen? Es ist natürlich gut, kritisch zu sein. Denn es gibt ja leider viele selbsterklärte Experten, denen man nicht folgen sollte.

Aber woran erkenne ich einen vertrauenswürdigen Experten? 
Es müssen Leute sein, die sich seit langem mit dem Thema befassen, die sich damit auskennen und Spezialwissen erworben haben. Und die Expertenmeinung muss unabhängig sein. Bei der Ständigen Impfkommission des Robert-Koch-Instituts, der STIKO, wird mittlerweile sehr darauf geachtet, dass die Mitglieder der Kommission unabhängig von Pharmafirmen sind. Das gilt auch für die Eidgenössische Kommission für Impffragen, die EKIF, und für das Nationale Impfgremium in Österreich. Das ist auch ein Ergebnis der Skepsis in der Bevölkerung.

Die Skepsis rührt ja daher, dass man immer wieder von Impfschäden hört. Wie sicher sind Impfungen?
Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Kind einen gravierenden, bleibenden Schaden davonträgt, ist extrem gering. Das Paul-Ehrlich-Institut hat den Auftrag, potenziellen Impfschäden nachzugehen. Aber wenn man sich von den vielen tausend Meldungen, die es im Jahr gibt, die einzelnen anguckt, bleiben am Ende nur sehr wenig Fälle übrig. Es gibt etwa einen gravierenden Impfschaden bei ein bis zwei Millionen Impfungen. Natürlich ist jeder Fall tragisch und sollte vermieden werden. Aber alles, was wir tun, hat immer Vor- und Nachteile, Wirkung und Nebenwirkung. Wenn wir nicht impfen, wissen wir genau, was die Nebenwirkungen des Nicht-Impfens sein werden. Ein Rückfall in die desaströsen Verhältnisse der Vergangenheit – Infektionskrankheiten, die wir gar nicht mehr kennen, kehren zurück. Das ist ja der Erfolg der Impfungen: Wir wissen gar nicht mehr, wie schlimm Infektionskrankheiten wirklich sind. Wenn man in bestimmte Regionen nach Afrika geht, fällt sofort auf, wie hoch die Sterblichkeit von Kindern ist, die solchen Krankheiten ausgesetzt sind.

Bakterien gibt es überall

Aber wenn es manche Krankheiten bei uns nicht mehr gibt, wie Diphtherie, Tetanus oder Kinderlähmung, warum soll ich mein Kind dagegen impfen lassen?
Bei Diphtherie oder Tetanus ist die Erkrankungswahrscheinlichkeit gar nicht so gering, wenn man nicht geimpft ist. In Russland und anderen Ländern Osteuropas gibt es immer wieder Epidemien. Und sowohl Diphtherie als auch Tetanus kann man beim Spielen im Schmutz erwerben. Die Bakterien gibt es überall. Und es sind gefährliche Erkrankungen, an denen man sterben kann. Wir erleben das deswegen nicht, weil trotz Impfskepsis gegen diese Krankheiten häufig geimpft wird. Ohne Impfungen würden diese Krankheiten schnell zurückkehren. Was die Kinderlähmung, Polio, betrifft: Es gibt diese Krankheit nur noch in Pakistan und Afghanistan. Aber es gibt ja nicht wenig Menschen, die nach Afghanistan reisen – als Geschäftsreisende, Politiker oder Soldaten. So lange Polio nicht völlig vom Globus verschwunden ist, würde ich diese Impfung beibehalten.

Impfkritiker sprechen davon, dass Impfungen das Allergie-Risiko erhöhen. Gibt es da einen Zusammenhang?
Es gibt einen Zusammenhang von Allergien und dem westlichen oder industrialisierten Lebensstil. Da können Sie jetzt als Faktoren aber auch den Verzehr von Zitrusfrüchten nehmen oder die Häufigkeit von Kaiserschnitten, das sind alles Marker für eine Lebensweise. Aber es gibt keine seriöse Studie, die zeigt, dass das Impfen als alleinige Ursache Allergien gehäuft vorkommen lässt. In Ostdeutschland haben Allergien nach der Wiedervereinigung zugenommen, während die Impfquoten zurückgingen.

Kein Autismus durch Impfungen

Seit Jahren hält sich der Verdacht, Impfungen würden Autismus auslösen. Das ist mittlerweile aber widerlegt, oder?
Ja. Es ist schon sehr erstaunlich, dass sich das immer weiter hält mit dem Autismus. Das ist eine Geschichte, die ganz klar und eindeutig widerlegt wurde. Der Arzt, der das behauptet hat, hat seine Lizenz verloren, ist verklagt worden und hat die Prozesse verloren, weil er seine Daten manipuliert hat. Er war ein Betrüger, dem die Welt viel zu lange aufgesessen ist. Es hat fast zehn Jahre gedauert, bis das Gegenteil bewiesen wurde: Impfungen verursachen keinen Autismus.

Manche Impfgegner behaupten auch, dass ungeimpfte Kinder grundsätzlich gesünder seien als geimpfte Kinder. Was sagen Sie dazu?
Ich kenne keine Studie, die diese Behauptung aufrechterhalten kann. Diejenigen, die sich aktuell nicht impfen lassen, verlassen sich natürlich auf den Schutz durch andere. Wenn man nur wenige hat, die sich nicht impfen lassen, sind sie trotzdem mit geschützt. Und man muss sich mal anschauen: Wer ist das, der sich nicht impfen lässt? Das sind meist wohlhabende, gebildete Menschen. Weil deren Kinder meist behüteter, gesünder aufwachsen als Kinder aus ärmeren Familien, sind diese Kinder vielleicht tatsächlich gesünder. Aber das hat nichts ursächlich mit dem Nicht-Impfen zu tun.

Viele sehen den Einsatz von Aluminium als Verstärker der Immunreaktion kritisch. Wie ist das einzuschätzen?
Es ist in klinischen Studien widerlegt worden, dass Impfungen durch die Zugabe von Aluminiumverbindungen eine schädigende Wirkung haben. Außerdem nehmen wir über die Nahrung und die Umwelt Aluminiummengen auf, die weit über dem liegen, was durch Impfungen aufgenommen wird.

Es gibt Nebenwirkungen

Sie haben ja vorhin erklärt, dass es gravierende Impfschäden nur sehr selten gibt. Nebenwirkungen sind aber schon häufig, oder?
Ja, es gibt nicht erwünschte Wirkungen: Das Kind fühlt sich ein paar Tage kränklich. Es kann sein, dass der Arm schmerzt oder das Bein, wo die Einstichstelle war. Diese nicht erwünschten Wirkungen, das ist Teil des Trainingseffekts des Immunsystems. Gerade die Impfungen mit abgetöteten Erregern lassen ein Kind nicht erkranken, sie enthalten ja quasi nur den Fingerabdruck des Erregers, der das Immunsystem trainieren lässt. Dieses Training ist, wie jedes andere körperliche Training auch, mit einer gewissen Anstrengung verbunden. Aber das Training bewirkt, dass das Kind danach immun ist.

Junge Eltern sind manchmal erschlagen davon, was laut Impfplan alles geimpft werden soll. Gerade angesichts der Mehrfachimpfungen fragt man sich: Ist das nicht zu viel für so ein kleines Kind?
Das ist eine ganz und gar richtige Überlegung, und die ist auch im Impfplan berücksichtigt. Sie dürfen beispielsweise eine Lebendimpfung nicht in den ersten Monaten geben, sondern frühestens ab dem elften Lebensmonat. Denn diese Lebendimpfungen brauchen ein viel stärkeres Immunsystem, als ein Neugeborenes es hat. Die Impfungen mit Totimpfstoffen dagegen sind viel harmloser, daran kann das Kind nicht erkranken. Und man weiß, dass es gut und sinnvoll ist, wenn man diese Impfungen dreimal im ersten Lebenshalbjahr verabreicht.

Windpocken-Impfung ja oder nein?

Bei den Windpocken wird in Deutschland die Impfung schon für kleine Kinder empfohlen, in der Schweiz aber nicht. Muss ich mein Kind in Deutschland unbedingt impfen lassen? So schlimm sind die Windpocken ja nicht, oder?
Genau, das Kind hat ein paar Tage hoch Fieber, es muss sich kratzen und hat ein Krankheitsgefühl, aber etwas wirklich Schlimmes passiert nicht. Die Komplikationsrate bei Windpocken ist sehr gering, wenn man gesund ist. Aber jemand, der HIV oder einen angeborenen Immundefekt hat oder der Leukämie überstanden hat, ist in hohem Maße gefährdet, wenn er Windpocken bekommt. Diese Menschen schützt man darüber.

Dann könnte ich mir aber die Frage stellen, warum ich das meinem Kind zumute, nur damit irgendwer anders geschützt ist.
Die Frage ist: Ist es eine so große Zumutung, die Windpocken mit der Dreifachimpfung gegen Masern, Mumps und Röteln einfach mitzuimpfen? Ich glaube nicht, dass es eine Zumutung ist. Die ganze Bevölkerung profitiert davon, und es ist ja kein extra Nadelstich dafür nötig. Und: Wer gegen Windpocken geimpft ist, erkrankt im Alter nicht an Gürtelrose.

Was raten Sie Eltern, die unsicher sind, welche Impfungen sie bei ihrem Kind machen lassen sollen?
Ich treffe immer wieder auf solche Eltern, aber es sind gar nicht so viele. Es gibt nur wenig Impfgegner, aber die sind oft sehr laut, gerade im Internet. Wenn ich auf verunsicherte Eltern treffe, erkläre ich zuerst die Erkrankung, gegen die geimpft werden soll und wie es in Ländern aussieht, wo es diese Impfungen nicht gibt. Wenn sie sich diese Auswirkungen von Infektionskrankheiten vor Augen führen, sind eigentlich fast alle Eltern dabei. Der Erfolg der Impfungen ist, dass wir die Krankheiten nicht mehr kennen. Deswegen vergessen wir, warum wir sie eigentlich machen.

Vielen Dank für das Gespräch.

Beten! Nicht Daumen drücken!

Heute in einem Facebook-Forum für Eltern von herzkranken Kindern: Eine Mama schreibt: „Meine kleine M. ist seit 3,5 Stunden im OP. Bitte, betet für meine kleine Tochter!“ Die meisten Kommentare darauf lauten: „Daumen sind gedrückt!“

Wie traurig, denke ich. Da bittet eine verzweifelte Mama um Gebete und bekommt (fast) nur gedrückte Daumen. Anteilnahme ist gut. Aber es ist nicht das, was diese Mama gerade braucht. Und ich denke, wie schwer es für Menschen sein muss, wenn sie in Situationen der Verzweiflung und der Angst nicht die Möglichkeit sehen, sich an Gott zu wenden. Ihm das Leid zu klagen, die Sorgen vor die Füße zu werfen, um Hilfe zu bitten.

Ich bin dankbar, dass ich diese Möglichkeit kenne und sie nutzen kann. Und ich möchte jeden ermutigen, es zu probieren. Nein, Beten ist kein Allheilmittel. Und längst nicht alle Gebete werden erhört und gehen so in Erfüllung, wie ich es mir wünsche. Das ist auch etwas, das ich Gott manchmal vor die Füße werfe: Warum hast du nicht geholfen? Warum hast du nicht geheilt?

Aber ich möchte das Gebet nicht missen. Man kann es übrigens auch ausprobieren, wenn man es sonst nicht macht. Es gibt keine „richtigen“ oder „falschen“ Formulierungen. Und wenn du Menschen suchst, die mit dir oder für dich beten, in deinem Umfeld aber keine sind, empfehle ich dir amen.de. Da findest du Menschen, die für dich vor Gott eintreten und ihm deine Anliegen bringen.

Bettina Wendland, Redakteurin Family und FamilyNEXT

Aua, mein Kind zahnt! – So helfen Sie Ihrem kleinen Liebling

„Mein Sohn (17 Monate) bekommt seine ersten Backenzähne und hat solche Schmerzen, dass er seit Tagen nicht mehr richtig essen und trinken will. Wie kann ich ihm helfen?“

Zähne zu bekommen, kann für Kinder eine Tortur sein. Während die ersten spitzen Mausezähnchen oft noch unerwartet durchbrechen, kommen Backenzähne häufig mit Krawall. Verständlich, wenn man sich den stumpfen Zahn vorstellt, der sich durch das Zahnfleisch schiebt.

Bis zum Ende des zweiten Lebensjahres handelt es sich um eine Art Dauerzustand. Das Zahnfleisch schwillt an, häufig auch die Wange. Die starken Schmerzen, die Sie bei Ihrem Kind wahrnehmen, sind regelrecht zu sehen, wenn rot-leuchtende Wangen mit erhöhter Temperatur und Infektanfälligkeit einhergehen. Als Elternteil stehen Sie daneben, würden es Ihrem Kind so gern abnehmen, wenigstens leichter machen. Aber wie?

STEHEN SIE IHREM KIND BEI!

Grundsätzlich ist es wichtig, dass Sie diese Zeit mit ihrem Kind gemeinsam durchstehen. Es isst und trinkt nicht richtig, schläft gewiss schlecht. Das kann den Familienalltag belasten. Versuchen Sie, Sicherheit und Ruhe auszustrahlen, auch wenn Sie müde und ratlos sind. Emotionale Wärme und Geborgenheit trösten ungemein, während die eigene Unsicherheit sich eher überträgt und auch Mitleid dem leidenden Kind sicher nicht hilft.

Unterstützen Sie sich als Eltern gegenseitig, indem einer das Kind „übernimmt“ und der andere Kraft tankt. Sie können auch jemanden einspannen, der ausgeschlafen ist und Sie kurzzeitig entlastet. Auch Musik kann helfen: Mozart, Schlager oder eigenes Musizieren – was Ihrem Kind zusagt.

Die Symptome müssen ernstgenommen werden. Lassen Sie in der Kinderarztpraxis abklären, ob die Symptome vom Mittelohr, vom Verdauungstrakt oder tatsächlich vom Zahnungsprozess herrühren. Dort werden Sie auch hinsichtlich einer möglichen Schmerzmedikation beraten. In der Apotheke können Sie sich über Produkte wie betäubendes Zahngel oder homöopathische Kügelchen informieren.

ACHTEN SIE AUF GENÜGEND FLÜSSIGKEIT!

Seien Sie vorsichtig beim Knuddeln, beim Anziehen der Mütze und beim Zähneputzen. Manchen Kindern tut Kälte gut. Hier können der Beißring oder eine rohe, gekühlte Möhre Abhilfe schaffen (im Schlauchverband, um Verschlucken zu vermeiden). Andere Kinder nutzen die Situation, um das Nuckeln an Brust oder Flasche aufzugeben. Sie stellen Entlastung fest, wenn sie aus dem Becher trinken.

Bei aller Sorge um die Nahrungsaufnahme dürfen Sie wissen: Der Körper hat Reservefunktionen auch für Zeiten, wenn Ihr Kind mal schlechter isst. Flüssigkeit sollte in jedem Fall in ausreichendem Maß verabreicht werden. Damit das Trinken attraktiver wird, hilft es, dem Tee oder Wasser ein bisschen Apfelsaft zuzufügen, den Sie nach dem Zahnwechsel zügig wieder ausschleichen können. Neue oder andere Trinkgefäße, zum Beispiel aus einem Pinnchen, einer Kanne, aus Papas Tasse oder mit Strohhalm, können ein Kind auch zum Trinken animieren.

Die Buchautorin Irina Kostic ist Kinderkrankenschwester und Schulsozialarbeiterin. Sie lebt mit ihrem Ehemann und vier Kindern in Nordfriesland. irinakostic.de Illustration: Sabrina Müller, sabrinamueller.com

 

 

 

Plötzlich gelähmt: Wenn der Sohn im eigenen Körper gefangen ist

Am 7. Juni 2015 verändert sich das Leben von Jutta Schmidt schlagartig. Ihr Sohn Max erleidet eine Hirnblutung. Die Ärzte geben ihn auf. Doch dann geschieht das Wunder.

Jutta Schmidt sitzt am Tisch eines Cafés. Ihre Ellenbogen hat sie auf den Tisch gestützt, ihre Hände umfassen ein Wasserglas. Sie schaut nach vorn. Ihre grünen Augen wirken müde, aber fokussiert. Cafébesuche wie dieser haben in ihrem durchgetakteten Alltag normalerweise keinen Platz. Gerade hat sie ihren Sohn Max zum Physiotherapeuten gebracht. In einer Stunde muss sie ihn abholen und zu den nächsten Therapiestunden fahren, Ergotherapie und Logopädie. Zwischendrin muss sie ihre anderen beiden Kinder versorgen, die von der Schule kommen. Für sie ein ganz normaler Tag – sofern man von normal sprechen kann. „Das Familienleben ist nicht mehr das, was es vorher war. In keinem Punkt.“, sagt sie, und ihr Blick verliert sich.

Vier Jahre sind inzwischen vergangen, seit die alleinerziehende Mutter ihre drei Kinder ins Auto gepackt hat und mit ihnen nach Holland gefahren ist. Eis essen, im Meer baden, am Strand liegen – es ist ein ganz normaler Familienurlaub, bis Max, ihr ältester Sohn, Kopfschmerzen bekommt, die immer heftiger werden. Als sein Zustand sich verschlechtert, fährt sie ihn ins nächstgelegene Krankenhaus. Die zwei jüngeren Geschwister Ben und Nora bleiben bei Freunden. „Ich wusste, dass da etwas nicht stimmt.“ Nach einem CT ist klar: Es gibt eine Blutung in Max‘ Gehirn. Sofort wird er ins Klinikum nach Brügge verlegt. Dort können die Ärzte wenig für ihn tun. Eine OP ist zu riskant, die Ursache für die Blutung unklar. Als er anfängt zu krampfen, wird er in ein künstliches Koma gelegt. Jutta Schmidt sitzt hilflos an seinem Bett. Alles, was sie hört, sind das Piepen der Überwachungsmonitore und die Geräusche der Beatmungsmaschine, die ihren Sohn am Leben erhält.

„In dem Moment waren der Schmerz und die Angst, mein Kind zu verlieren, so groß. Er war doch gerade noch gesund und plötzlich lag er da und ich konnte einfach nichts machen“, sagt sie. Immer noch liegt Fassungslosigkeit in ihrer Stimme. Das Einzige, was Jutta Schmidt damals tun konnte, war, zu hoffen, dass die Blutung aufhört und keine weitere Nachblutung auftritt. Die Ärzte machen ihr jedoch wenig Hoffnung und legen ihr und ihrer Familie nahe, sich von Max zu verabschieden. Nacheinander treten sie an sein Bett, um Lebewohl zu sagen. „Das ist das Schlimmste, was man sich als Mutter vorstellen kann.“

WIE EINGESCHLOSSEN

Wie ein Wunder überlebt Max und erwacht wenige Wochen später aus dem Koma, ist aber fortan in seinem Körper gefangen. Als „Locked-in-Syndrom“ bezeichnen die Mediziner seinen Zustand. Max ist zwar bei vollem Bewusstsein, jedoch körperlich vollständig gelähmt und unfähig, sich durch Sprache oder Bewegungen verständlich zu machen – wie „eingeschlossen“.

„Das war schlimm. Max war ein richtiges Draußen-Kind, schon immer. Er hat nie Computer gespielt und wenig Fernsehen geguckt. Klettern, springen, laufen, das war seins.“ Nun muss Max gehoben, gewaschen, gefüttert und gefahren werden. Ihn so hilflos zu sehen, macht sie unendlich traurig.

Max am Strand in Holland, kurz bevor er die Hirnblutung erleidet. Foto: Privat

Max muss in die Reha. „Für mich war klar, dass ich ihn nicht allein da hinlasse. Er ist doch mein geliebtes Kind!“ Jutta Schmidt muss Anträge stellen, Formulare ausfüllen, Ben und Nora umschulen, eine Unterkunft suchen. „Ich habe so oft gedacht: Ich schaffe das nicht. Ich kam mir so vor, als stünde ich in einem Nebelschleier.“ In diesem Nebel tauchen immer wieder Menschen auf, die ihr helfen: Ihr Bruder, der sofort nach der Hirnblutung nach Brügge reist, um das Fachenglisch der Ärzte zu übersetzen, ihr Ex-Mann und Max‘ Vater, der ihr zur Seite steht, sie am Bett ablöst und mit Max im Rollstuhl spazieren fährt, einfühlsame Pfleger und Therapeuten, kompetente Sozialarbeiter, Menschen, die sich um ihre anderen Kinder kümmern. Viele Freunde mobilisieren sich in den kommenden Monaten und setzen sich für die Familie ein. „Während Max‘ Reha in Gailingen haben zwei Freundinnen von mir ihren Urlaub storniert und sind stattdessen zu uns nach Baden-Württemberg gekommen. Sie haben mit meinen beiden jüngeren Kindern Ausflüge gemacht, sodass ich mich voll und ganz auf Max konzentrieren konnte“, erinnert sie sich. Auch heute sei sie dafür noch unendlich dankbar.

Entgegen allen ärztlichen Erwartungen und dank intensiver Therapien kämpft sich Max allmählich ins Leben zurück. Heute ist er 18 Jahre alt. Er ist wieder zu Hause, kann sich im Elektrorollstuhl fortbewegen und dank intensiver Logotherapien auch wieder einigermaßen verständigen. Dennoch braucht er rund um die Uhr Betreuung und Pflege – er hat Pflegegrad vier. „Er wird von mir geduscht, angezogen, an den Frühstückstisch gefahren. Ich reiche ihm das Essen und Trinken, mache ihn für die Schule fertig. Ich fahre ihn zu 14 Therapien in der Woche, hole ihn wieder ab, schlage seine Schulbücher auf, schreibe seine Vokabeln groß, sodass er sie sehen kann. Gehe mit ihm zur Toilette. Nachts muss seine Urinflasche geleert werden.“ Jutta Schmidt zählt all die Aufgaben, die jetzt zu ihrem Alltag als Mutter gehören, an ihren Fingern ab. „Seit dem Tag, an dem die Blutung kam, funktioniere und renne ich nur noch und komme mir manchmal vor wie in einem stürmischen Meer: Die Wellen schlagen über mir zusammen.“ Sie nimmt einen Schluck Wasser. Viel Zeit zum Verschnaufen bleibt da nicht.

GESCHWISTERKINDER MÜSSEN ZURÜCKSTECKEN

„Es dreht sich zu 98 Prozent um Max. Und damit meine ich gar nicht unbedingt die Aufmerksamkeit, sondern die Zeit, die ich investiere“, erklärt sie. „Nora und Ben mussten total schnell selbstständig werden und sind beide ihrem Alter weit voraus. Für andere klingt das vielleicht positiv, aber mich macht das oft traurig.“ Sie schluckt. „Mein Herz wird schwer, wenn ich mich frage, wo die Jahre hin sind. Ich war nie mit ihnen im Schwimmbad oder im Kino, konnte nie das mit ihnen unternehmen, was Kinder in ihrem Alter mal mit ihrer Mutter unternehmen möchten.“ Tränen schießen ihr in die Augen. Wenn sie ihre Tochter, die inzwischen 15 Jahre alt ist, fragt, wie sie die letzten Jahre geschafft haben, antworte sie immer: „Mama, wir mussten ja.“ Erst vor kurzem hat sie in der Schule ihre mündliche Realschulprüfung über das Thema „Schattenkinder“ abgelegt – Kinder, die weniger Aufmerksamkeit bekommen, als ihnen zusteht, weil ein Geschwisterkind krank oder behindert ist. Das Beschaffen und Lesen der Literatur habe Mutter und Tochter dabei geholfen, das Geschehene Revue passieren zu lassen und miteinander über die Familiensituation ins Gespräch zu kommen.

Und Max? „Max sagt immer: Glaubt an mich, schreibt mich nicht als behindert ab. Ich möchte laufen lernen, ich möchte gesund werden.“ Daran glaube sie und darum bete sie auch immer wieder. Trotzdem gebe es auch immer wieder ganz schwere Momente. Seine alten Schulfreunde machen jetzt ihren Führerschein, haben Freundinnen, machen ein Auslandsjahr oder Abitur. Das kriegt er natürlich mit und es macht ihn traurig, dass er nicht mehr dazu gehört. Er selbst wird jeden Morgen von einem Krankentransporter abgeholt, weil er nicht mal mehr einen Fuß vor die Tür setzen kann. Schon häufig sei er am Morgen deshalb in Tränen ausgebrochen. Es gebe aber auch viele Momente der Hoffnung und Freude. „Max war immer schon witzig, ironisch und schlagfertig. Er hatte immer schon diese Power, ihm war nie eine Hürde zu groß. Da hat er sich nicht verändert.“ Selbst die Ärzte und Therapeuten seien erstaunt gewesen, als sie gesehen haben, wie er in der Reha seine Therapien durchgezogen hat. „Er hat immer noch den Witz und Humor von damals. Das sind Dinge, die ich sehr an ihm bewundere. ‚Ich schaff das‘, sagt er immer. Da ziehe ich echt den Hut, er hat so eine Energie.“

WÜTEND AUF GOTT

Gerade hat er seinen Realschulabschluss absolviert und ganz nebenbei ein Buch über seine Erfahrung mit dem Locked-in-Syndrom geschrieben, das nun unter dem Titel „Tsunami im Kopf“ erschienen ist und innerhalb kürzester Zeit bereits viele Leser berührt hat. 18 Kapitel hat er dafür mühsam oftmals bis tief in die Nacht in sein Handy eingetippt, weil neben Unterricht, Therapien und Hausaufgaben tagsüber keine Zeit dafür war. Er hat jeden Buchstaben großgezogen, damit er sie trotz Sehschwäche besser sehen konnte. „Ich habe davon keinen einzigen Satz gelesen, bis es fertig war und er mich bat, nach Fehlern zu suchen“, staunt Jutta Schmidt. Es ist ein bewegender Bericht über seinen Kampf zurück ins Leben. Immer wieder berichtet er darin auch von seiner Mutter: „Ich habe wahre Liebe vor allem durch meine Mutter erfahren, die nicht eine Sekunde von meinem Krankenbett wich (…). Irgendwie bin ich überzeugt davon, dass ihre Liebe und Gebete in diesem Zimmer spürbar gegenwärtig waren und die Atmosphäre verändert haben“, schreibt er. Dabei habe sie sich selbst oft überhaupt nicht stark gefühlt, erklärt Jutta Schmidt. „Ich habe Gott so oft angefleht und um Hilfe gerufen. Oder ich war einfach nur wütend auf ihn und hab ihm geklagt: Du hast gesagt, du lädst nur so viel auf, wie wir ertragen können, aber eigentlich kann ich nicht mehr.“

„ALS WÜRDE JESUS NEBEN MIR SITZEN“

Trotzdem ist sie sich sicher: „Ohne meinen Glauben an Jesus hätte ich das nicht überstanden. Er ist mein Anker, mein Rettungsschirm, mein Halt, mein Trost, mein Alles.“ Oft habe sie in der Zeit die Bibel aufgeschlagen und genau das gelesen, was sie brauchte. „In der akuten Phase brauchte ich gar nicht unbedingt Freunde zum Reden“, erzählt sie. „ Es war mir alles viel zu anstrengend. Ich hätte mich da nicht so mitteilen können. Ich wollte einfach nur bei Max sein. Mein Gespräch war mit Jesus. Er kennt mich, er kennt meine Situation. Ich muss nichts erklären, ich muss nicht beschreiben, wie ich mich fühle. Er weiß um uns. Es war für mich, als würde er neben mir sitzen, und das reichte mir. Auch heute noch.“

Ihre Angst ist immer noch groß. Die Angst, dass eine Nachblutung kommt, die Angst, wie sie es als Alleinerziehende in der Zukunft schaffen soll. Bevor Max die Hirnblutung bekam, war sie bereits fünf Jahre mit den Kindern allein, „der Mann im Haus“, wie sie sagt. Doch die neue Situation stellt sie vor ganz neue Herausforderungen. „Angst gehört zu meinem Leben dazu. Es gibt Christen, die sagen: Wenn man an Gott glaubt, dann kennt man keine Angst. Aber sie vergessen, dass Jesus auch Angst hatte. Wir sind nicht frei von Angst und Leid, aber Jesus geht mit uns hindurch. Und das macht mich wiederum stark“, betont sie. Auf dem Transporter, der Max jeden Morgen zur Schule abholt, steht auf dem Nummernschild neben dem Ortskürzel „MH“. „Wenn Max nach so einem traurigen Moment seinen Mut wiederfindet und mit seinem Elektrorollstuhl in dieses Auto fährt, sehe ich ihm immer hinterher. Und da steht MH für mich jedes Mal für ‚Mein Heiland‘. Dann gehe ich erst mal rein, heule eine Runde, lese in der Bibel, bete und lege Gott meinen Schmerz hin. Und dann geht‘s weiter.“

Ruth Korte ist freie Schriftstellerin und lebt mit ihrer kleinen Familie in Gießen.

Diabetes in den Griff bekommen

Das Leben mit Diabetes hat seine Tücken. Diabetikern, die schlecht mit ihrer Erkrankung umgehen, drohen Langzeitschäden. Deshalb lernt der 18-jährige Sören in einem Diabetes-Camp, wie er seine chronische Krankheit besser in den Griff bekommt.

„Mein Blutzuckerwert schwankt stark und ist oft zu hoch“, Sören Schlosser kennt die Probleme. Sie zu lösen, ist aber eine andere Sache. Bei einem 10-tägigen Camp im Diabeteszentrum des CJD Berchtesgaden verbessert der Diabetiker aus der Nähe von Düsseldorf sein Know-how im Umgang mit dem Diabetes. „Ich weiß jetzt besser Bescheid, wie ich meine Werte einstellen kann“, erklärt Sören, „zum Beispiel indem ich besser auf den Abstand zwischen Insulinspritzen und Essen achte.“ Um keine Folgeschäden zu bekommen, muss er seinen Blutzucker möglichst gleichmäßig im normalen Bereich halten. Ein Maß, wie gut das gelingt, ist der so genannte HbA1c-Wert. Bei Sören ist er zu hoch.

Begonnen hat bei ihm alles vor 12 Jahren. Kurz nach der Einschulung wurde bei dem damals sechsjährigen Diabetes festgestellt. „Das war schon ziemlich schwer für mich mit dem Spritzen und der Schule. Ich hatte Schwierigkeiten, in der Schule zurechtzukommen.“ Mit Hilfe seiner Mutter ging es anfangs mit dem Spritzen noch gut. „Mit 10 Jahren wollte ich aber vom Diabetes gar nichts mehr wissen. Ich habe mit dem Messen nachgelassen, teilweise vor dem Essen gar nicht gemessen“, erzählt Sören.

Zusammen mit anderen jungen Diabetikern aus ganz Deutschland absolviert Sören bei dem Camp Schulungseinheiten und praktische Übungen. Sie sollen den Teilnehmern vermitteln, wie sie im Alltag ein besseres Krankheitsmanagement schaffen. „Mit verschiedenen Sportangeboten wie E-Biken oder Raften trainieren wir die Therapieanpassung bei körperlicher Belastung“, erklärt Torsten Vetters, Diabetesberater in dem Diabeteszentrum des CJD Berchtesgaden, einer Einrichtung, die auf die Betreuung von chronisch kranken Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen spezialisiert ist. Bei den Teilnehmern kommt das Konzept gut an, auch bei Sören: „Das Camp hat mir gut gefallen. Ich denke, meinen Blutzuckerwert habe ich ab jetzt besser im Griff.“

Weitere Infos: CJD Berchtesgaden

Wenn Gott auf der Bettkante sitzt

Ein Infekt zwingt die sonst so aktive Veronika Smoor ins Bett. Und beschenkt sie mit wichtigen Erkenntnissen.

„Und du wirst mich immer lieben, richtig?“
„Ja.“
„Selbst der Regen wird das nicht ändern?“
„Nein.“
– Ernest Hemingway –

Legen Sie sich das ganze Wochenende hin, und lassen Sie Ihren Mann die Kinder übernehmen.“ Mein Arzt schaut mich streng über seine Brille hinweg an. Ich habe einen grippalen Infekt verschleppt und bin das dritte Mal innerhalb von fünf Wochen krank. Stur und ärztemisstrauisch wie ich bin, habe ich mich lange geweigert, fachlichen Rat zu suchen (weil Dr. Google selbstverständlich kompetenter ist). Aus Sorge hat mein Lieblingsmann einen Termin für mich vereinbart. Also sitze ich nun hier und muss mir mit gesenktem Haupt anhören, dass weder Eigenblut-Therapien noch Smoothie-Kuren mein Immunsystem auf Vordermann brächten, sondern nur die gute altmodische Bettruhe.

Es ist Hochsommer und meine Projekte laufen auf Hochtouren. Täglich bombardiert mich mein überaus produktiver Garten mit Tomaten, Zucchini, Brombeeren und Gurken. Außerdem wollen Kräuter geerntet und verarbeitet werden, denn ich habe mich meinem neuesten Hobby, der Herstellung von Kräutermedizin, gewidmet (welch Ironie in meinem Zustand). Ein Kunde wartet dringend auf einen Rückruf, weil ich seine Hochzeit fotografieren soll. Aber ich bin so schrecklich heiser, und ich will bei ihm und seiner zarten Verlobten nicht den Eindruck hinterlassen, ich würde mich in meiner Freizeit dem hemmungslosen Genuss von Whiskey und Zigaretten widmen. Außerdem wollte ich noch zwei Partys organisieren.

SCHWER WIE BLEI
Zähneknirschend gebe ich dem Arzt recht. Da ich beruflich selbstständig bin, kann ich mich nicht krankschreiben lassen und mit einem wohligen Juhu in die Sofakissen sinken. Ich muss mir selbst die Erlaubnis erteilen, krank sein zu dürfen. Und das habe ich die letzten fünf Wochen nicht getan. Stur habe ich Foto-Termine abgearbeitet, Gemüse eingeweckt, Beeren gesammelt, bin mit den Kids geschwommen und habe das Kinderzimmer neu gestrichen. Nun liege ich hier, mitten in den Kissen und fühle mich gar nicht wohlig. Draußen tobt der schönste Sommer. Und ich versumpfe hier drin.

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Hochsaison für Noroviren

Wenn es kalt ist, haben Noroviren Hochsaison. Der wirksamste Schutz besteht in häufigem und sorgfältigem Händewaschen, so die Deutsche Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS). Erkrankte sollten zudem zwei Tage über das Abklingen der Symptome hinaus zu Hause bleiben.

„Wenn Erkrankte zu früh wieder in Kontakt mit anderen Menschen treten, besteht ansonsten das Risiko, dass sich die Noroviren weiter ausbreiten“, erklärt Professor Dr. med. Andreas Stallmach, Direktor der Klinik für Innere Medizin IV am Universitätsklinikum Jena. Zudem gelte es, auch im Anschluss an eine Erkrankung auf sorgfältige Hygiene zu achten. „Der Körper scheidet die Viren noch über ein bis zwei Wochen aus“, so der Experte.

In den meisten Fällen sei es sinnvoll, zu Hause abzuwarten, bis Durchfall und Erbrechen vorbei sind. Da die Krankheit dem Körper Wasser und Elektrolyte entzieht, sollten Patienten viel trinken: verdünnte Säfte, Brühe oder gezuckerter Tee können die Verluste ausgleichen. Selten müssen Betroffene eine Infusion bekommen, um den Flüssigkeitshaushalt auszugleichen. „Kinder unter fünf und ältere Menschen über 70 Jahren erkranken nicht nur häufiger, sondern oft auch schwerer als andere Altersgruppen“, betont Stallmach. Wenn Angehörige oder Pflegende feststellen, dass sich der Allgemeinzustand eines Patienten verschlechtert, sollten sie medizinische Hilfe suchen. Wichtig dabei: die Voranmeldung in der Klinik oder der Praxis. Denn dort breitet sich das Virus weiter aus und gefährdet andere.

Der Experte erklärt, welche Möglichkeiten es gibt, sich vor Noroviren zu schützen: „Das Wichtigste ist, sich möglichst von Erkrankten fern zu halten und separate Toiletten zu benutzen“, so Stallmach. Denn Noroviren sind hochansteckend. Stallmach: „Pflegende und Angehörige sollten beim Waschen von Kleidungsstücken und Handtüchern oder beim Toilettenputzen unbedingt Einmalhandschuhe nutzen.“ Damit beim Ausziehen der Handschuhe keine Erreger an die Hände gelangen, wenden Profis folgende Technik an: Zunächst zieht die eine Hand den Handschuh der anderen ab und hält diesen Locker in der Hand. Dann krempelt die freie Hand vom Arm her vorsichtig den zweiten Handschuh über den ersten. Anschließend wandern beide in den Müll.

Da Noroviren gegenüber vielen Desinfektionsmitteln unempfindlich sind, bleiben sie auch nach sorgfältigen Putzaktionen meist noch im Umlauf. Sie überstehen Temperaturen von minus 20 bis plus 60 Grad Celsius und halten sich nicht nur im Privathaushalt, sondern auch in Kitas oder Senioreneinrichtungen äußerst hartnäckig.