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„Der Igel schläft nur …“

Eigentlich wollen Eltern die Wahrheit sagen und trotzdem flunkern sie im Alltag immer wieder. Simone Oswald stellt fest: Auf das Motiv kommt es an.

„Darum legt die Lüge ab …“ (Epheser 4,25) – die Bibel ist eindeutig: Wir sollen nicht lügen. Und dann gibt es ja auch das schlaue Sprichwort: Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht … Ich nicke mit dem Kopf und kann das nur richtig finden. Die Wahrheit ist doch die Basis für Vertrauen, und Ehrlichkeit ist eine wichtige Tugend, die ich auch meinem Kind vorleben will. Bei uns wird nicht gelogen!

Ich nicke also vor mich hin – und wenig später höre ich mich sagen: „Der platte Igel da am Straßenrand? Ähm … Dem geht’s prima, der schläft nur.“ Oh oh. Lüge ich mein Kind etwa an? Oder ist das nur ein „altersgemäßes Flunkern“ und völlig legitim?

Lügende Kinder: Schrecklich!

Wenn es hingegen um die Kinder geht, sind die meisten Erwachsenen sich einig: Lügen ist strengstens verboten, genau wie schummeln, betrügen, schwindeln und flunkern. (Platzt ein Kind am Kindergeburtstag aber lauthals damit heraus, dass Omas Geschenk ziemlich blöd ist – finden wir das schon wieder „zu ehrlich“.) Während wir bei den ganz Kleinen also noch von ihrer brutalen Ehrlichkeit überrumpelt werden, heben wir bei den etwas Größeren schon schimpfend den Zeigefinger, wenn wir sie beim Lügen erwischen.

Nur ein paar Psychologen findet man im Internet, die dem auch etwas Positives abgewinnen können: ‚Lügen lernen‘ sei ein wichtiger Bestandteil der Entwicklung, lese ich. Ganz normal ab etwa vier Jahren. Ein Ausdruck für Empathie und Selbstkontrolle – also wichtig, um im Leben erfolgreich zu sein.

Ich muss zugeben: Das nimmt mir schon mal etwas den Druck und ich bin beruhigt. Wenn mein Kleiner mich mal anflunkert und mit schokoverschmiertem Mund beteuert, dass er heute noch „überhaupt keine Sokolade gegessen“ habe – dann ist das kein Hinweis darauf, dass er später mal ein notorischer Lügner wird. Ich schimpfe also nicht, sondern gehe auf Ursachen-Suche: Wieso flunkert ein Kind? Hat es sich das irgendwo abgeschaut – vielleicht sogar von den Eltern?

Flunkernde Erwachsene: Geht klar!

Genug Gelegenheit, sich das Schwindeln bei uns Erwachsenen abzuschauen und nachzumachen, hätten unsere Kinder mit Sicherheit. Haben Sie einer Freundin zum Beispiel schon mal bestätigt, dass die schrecklichfurchtbare Shopping-Ausbeute ganz wundervoll aussieht – einfach, weil sie sich so gefreut hat und Sie ihr nicht wehtun wollten? Oder haben Sie schon mal ein Treffen abgesagt, weil Sie leider, leider andere Verpflichtungen haben – und den Abend dann gemütlich auf der Couch verbracht?

Wir Großen flunkern, lügen und nutzen Fast-Wahrheiten, dass sich die Balken biegen. Warum? Weil Lügen uns das Leben in manchen Situationen einfacher macht. Wir wollen niemanden verletzen, wir wollen nicht anecken oder Ärger bekommen – also kommen wir mit kleinen, harmlosen Halb-Wahrheiten um die Ecke und freuen uns sogar noch, weil uns spontan eine tolle Ausrede eingefallen ist.

Und unsere Kinder? Die sind nicht blöd, sondern sehr sensibel – und merken alles! Wenn wir uns als Vorbilder unserer Sprösslinge sehen, sollten wir ihnen also keine widersprüchlichen Signale senden („Man“ darf nicht lügen – Mama lügt aber doch?) oder gar die Moral-Keule in Richtung Nachwuchs schwingen. Denn: Auch wir als Mamas und Papas flunkern und lügen unsere Kleinen an. Ist uns das eigentlich bewusst?

Lügen – oder „bloß“ flunkern?

Wenn ich darüber nachdenke, dass ich den toten Igel am Straßenrand gerade als „schlafend“ bezeichnet habe, nehme ich mich natürlich gleich selbst in Schutz. Ich sage mir: Das war ja keine Lüge in dem Sinne. Da habe ich ja nur geflunkert, nicht die grausame Wahrheit ausgesprochen und dem Kleinen eine Erklärung geliefert, die seinem Alter entspricht. Aber ich habe eben auch nicht die ganze Wahrheit gesagt. Also: gelogen?

Ist die Igel-Lüge eine Lüge? Ich befinde mich in einem Dilemma und sage: moralisch nein, faktisch ja. Die wichtigere Frage scheint mir aber zu sein: Für wen und mit welcher Absicht wird gelogen und geflunkert? Ich glaube, genau das macht den ganz großen Unterschied: Lügen (oder flunkern) wir Eltern für oder gegen unsere Kleinen?

Das Kind schützen

Eine Lüge, die für mich grundsätzlich in Richtung „pro Kind“ geht, ist die klassische Notlüge. Wie der Name schon sagt, nutzen wir sie in Not-Situationen, wo uns die Worte, die Kraft oder das Wissen für die tatsächliche Wahrheit fehlen. Mit einem Kind anatomisch korrekt über den Tod eines lieben Menschen zu sprechen, das würde empathischen Eltern im Traum nicht einfallen. Auch eine Antwort, die dem Alter des Kindes angepasst wurde – und dadurch nicht mehr so ganz der Erwachsenen-Version der Wahrheit entspricht – gehört für mich in diese Kategorie. In Situationen, in denen die elterliche „Lüge“ mehr Nutzen als Schaden anrichtet, wird die kleine Kinderseele geschützt. Ich finde deswegen: Manchmal gibt es Situationen, da dürfen wir lügen.

Für oder gegen das Kind?

Ein bisschen kritischer ist das schon mit der anderen Art von Flunkerei: den Bequemlichkeitslügen. Wer am Ende des Tages einfach keinen Nerv mehr hat, erzählt den Kindern überzeugend, dass die Batterie vom nervtötend lauten Feuerwehrauto leider leer ist. Meine Freundin lobt ihre Große für das zauberhaft gemalte Bild, das eigentlich eher furchteinflößend aussieht. Und ich erzähle dem Kleinen mittags lang und breit, dass jetzt alle anderen auch einen Mittagsschlaf machen.

Und obwohl das alles Momente sind, in denen wirklich keine Not-Situation vorliegt – steckt nicht auch hier manchmal eine durchaus „positive Absicht“ hinter der Lüge? Ich glaube nämlich: Es gibt Bequemlichkeitslügen, die wir gegen unsere Kinder verwenden, aber eben auch solche, die wir für unsere Kinder erzählen. Meine Alle-machen-Mittagsschlaf-Lüge zum Beispiel, die nutze ich ja immerhin, um damit ein wenig Erholung und Stressabbau beim kleinen Schläfer zu erzielen. Und auch meine Freundin, die mit Komplimenten ein Papierkorb-würdiges Kunstwerk der Tochter bestaunt und beklatscht, will mit dieser Bequemlichkeitslüge ihre kleine Künstlerin positiv bestärken und ihr eine Freude machen. Gelogen: Ja. Eher aus Bequemlichkeit als aus tatsächlicher Not: Ja. Aber mit bester Absicht und eben für das Kind.

Bequemlichkeitslügen gegen das Kind? Hier wird es für mich kritisch – denn hier steht die Bequemlichkeit der Eltern so im Mittelpunkt, dass eigentlich nur die eigenen Bedürfnisse zählen und das Wohl des Kindes in den Hintergrund tritt. Wer etwa dem Nachwuchs erzählt, dass freche Kinder von der Polizei mitgenommen werden, der hat damit wohl keine positiven Ziele für das Kind im Hinterkopf. Der einzige Grund für diese Art der Lüge: Wir Erwachsenen haben gerade keine Lust, keine Zeit oder keinen Nerv für die Wahrheit. Mit solchen Drohungen schüchtern wir unsere Kinder zudem ein, um lange Diskussionen, ein am Boden liegendes Drama-Kind oder endlose Erklärungen bequem und schnell abzukürzen. Der Preis: Wir riskieren das unerschütterliche Vertrauen, das unsere Kinder in uns haben.

Der Akku vom lauten Spielgerät ist leer, in der Schokolade ist leider Alkohol oder Kaffee drin, und: „Wenn du nicht sofort kommst, dann fahren wir ohne dich los“? Alles gelogen. Ganz ehrlich: Es ist verständlich, dass uns in manchen Situationen einfach keine Kraft mehr bleibt oder uns die Zeit im Nacken sitzt und solche Lügen mal nützen. Aber: Ich finde, diese Lügen dürfen und sollten eine seltene Ausnahme bleiben. Wir sind schon „groß“ – uns sollte etwas Besseres einfallen, als dass wir aus reiner Bequemlichkeit oder Hektik unsere ganzen Moralvorstellungen von Ehrlichkeit, Vertrauen und Vorbildfunktion über Bord werfen.

Was ist die Absicht?

Gibt es also „erlaubte“ und „verbotene“ Lügen? Ich denke vielmehr, es gibt Lügen für das Kind und Lügen gegen das Kind. Notlügen sollen schützen – wir verfolgen damit positive Ziele und wollen mit der Flunkerei unseren Kleinen etwas Gutes tun oder es vor Schlechtem bewahren. Ganz ähnlich ist es übrigens für mich auch mit der Rede über Christkind und Osterhase. Wir bringen damit Kinderaugen zum Strahlen, schenken ihnen den Glauben an Wunder. Wer würde da so streng sein und von „Lüge“ sprechen wollen? Ist die Intention hinter einer Aussage positiv, gehen wir den Flunker-Weg für unser Kind. Bequemlichkeitslügen lassen sich also manchmal tatsächlich nutzen, um etwas Gutes für ein Kind zu bewirken – manchmal haben wir aber einfach keine Lust auf oder Kraft für die „ehrliche Variante“.

Und genau dabei dürfen wir uns kritisch hinterfragen: Ist es mir das wert? Ist das für mich eine gesunde Eltern-Kind-Beziehung, in der authentische Ehrlichkeit nur dann an der Tagesordnung ist, wenn Mama oder Papa gerade Lust dazu haben? Nehme ich für ein bisschen Zeitersparnis, Nervenschonung und aus Unlust in Kauf, dass ich mein Kind anlüge?

Simone Oswald arbeitet als Lehrerin und freie Texterin. Mit ihrem Mann und ihrem Sohn lebt sie im Landkreis Deggendorf.

„Der Igel schläft nur…“ – Darf ich mein Kind anlügen?

Eigentlich wollen Eltern die Wahrheit sagen und Kinder zur Ehrlichkeit erziehen. Trotzdem flunkern sie im Alltag immer wieder. Wann könnte eine Lüge gerechtfertigt sein?

Schon in den Zehn Geboten heißt es: „Du sollst nicht lügen.“ Und der Volksmund weiß: „Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht“ … Ich nicke mit dem Kopf und kann das nur richtig finden. Die Wahrheit ist doch die Basis für Vertrauen, und Ehrlichkeit ist eine wichtige Tugend, die ich auch meinem Kind vorleben will. Bei uns wird nicht gelogen!

Ich nicke also vor mich hin – und wenig später höre ich mich sagen: „Der platte Igel da am Straßenrand? Ähm … Dem geht’s prima, der schläft nur.“ Oh oh. Lüge ich mein Kind etwa an? Oder ist das nur ein „altersgemäßes Flunkern“ und völlig legitim?

Lügende Kinder: Schrecklich!

Wenn es hingegen um die Kinder geht, sind die meisten Erwachsenen sich einig: Lügen ist strengstens verboten, genau wie schummeln, betrügen, schwindeln und flunkern. (Platzt ein Kind am Kindergeburtstag aber lauthals damit heraus, dass Omas Geschenk ziemlich blöd ist – finden wir das schon wieder „zu ehrlich“.) Während wir bei den ganz Kleinen also noch von ihrer brutalen Ehrlichkeit überrumpelt werden, heben wir bei den etwas Größeren schon schimpfend den Zeigefinger, wenn wir sie beim Lügen erwischen.

Nur ein paar Psychologen findet man im Internet, die dem auch etwas Positives abgewinnen können: ‚Lügen lernen‘ sei ein wichtiger Bestandteil der Entwicklung, lese ich. Ganz normal ab etwa vier Jahren. Ein Ausdruck für Empathie und Selbstkontrolle – also wichtig, um im Leben erfolgreich zu sein.

Ich muss zugeben: Das nimmt mir schon mal etwas den Druck und ich bin beruhigt. Wenn mein Kleiner mich mal anflunkert und mit schokoverschmiertem Mund beteuert, dass er heute noch „überhaupt keine Sokolade gegessen“ habe – dann ist das kein Hinweis darauf, dass er später mal ein notorischer Lügner wird. Ich schimpfe also nicht, sondern gehe auf Ursachen-Suche: Wieso flunkert ein Kind? Hat es sich das irgendwo abgeschaut – vielleicht sogar von den Eltern?

Flunkernde Erwachsene: Geht klar!

Genug Gelegenheit, sich das Schwindeln bei uns Erwachsenen abzuschauen und nachzumachen, hätten unsere Kinder mit Sicherheit. Haben Sie einer Freundin zum Beispiel schon mal bestätigt, dass die schrecklichfurchtbare Shopping-Ausbeute ganz wundervoll aussieht – einfach, weil sie sich so gefreut hat und Sie ihr nicht wehtun wollten? Oder haben Sie schon mal ein Treffen abgesagt, weil Sie leider, leider andere Verpflichtungen haben – und den Abend dann gemütlich auf der Couch verbracht?

Wir Großen flunkern, lügen und nutzen Fast-Wahrheiten, dass sich die Balken biegen. Warum? Weil Lügen uns das Leben in manchen Situationen einfacher macht. Wir wollen niemanden verletzen, wir wollen nicht anecken oder Ärger bekommen – also kommen wir mit kleinen, harmlosen Halb-Wahrheiten um die Ecke und freuen uns sogar noch, weil uns spontan eine tolle Ausrede eingefallen ist.

Und unsere Kinder? Die sind nicht blöd, sondern sehr sensibel – und merken alles! Wenn wir uns als Vorbilder unserer Sprösslinge sehen, sollten wir ihnen also keine widersprüchlichen Signale senden („Man“ darf nicht lügen – Mama lügt aber doch?) oder gar die Moral-Keule in Richtung Nachwuchs schwingen. Denn: Auch wir als Mamas und Papas flunkern und lügen unsere Kleinen an. Ist uns das eigentlich bewusst?

Lügen – oder „bloß“ flunkern?

Wenn ich darüber nachdenke, dass ich den toten Igel am Straßenrand gerade als „schlafend“ bezeichnet habe, nehme ich mich natürlich gleich selbst in Schutz. Ich sage mir: Das war ja keine Lüge in dem Sinne. Da habe ich ja nur geflunkert, nicht die grausame Wahrheit ausgesprochen und dem Kleinen eine Erklärung geliefert, die seinem Alter entspricht. Aber ich habe eben auch nicht die ganze Wahrheit gesagt. Also: gelogen?

Ist die Igel-Lüge eine Lüge? Ich befinde mich in einem Dilemma und sage: moralisch nein, faktisch ja. Die wichtigere Frage scheint mir aber zu sein: Für wen und mit welcher Absicht wird gelogen und geflunkert? Ich glaube, genau das macht den ganz großen Unterschied: Lügen (oder flunkern) wir Eltern für oder gegen unsere Kleinen?

Das Kind schützen

Eine Lüge, die für mich grundsätzlich in Richtung „pro Kind“ geht, ist die klassische Notlüge. Wie der Name schon sagt, nutzen wir sie in Not-Situationen, wo uns die Worte, die Kraft oder das Wissen für die tatsächliche Wahrheit fehlen. Mit einem Kind anatomisch korrekt über den Tod eines lieben Menschen zu sprechen, das würde empathischen Eltern im Traum nicht einfallen. Auch eine Antwort, die dem Alter des Kindes angepasst wurde – und dadurch nicht mehr so ganz der Erwachsenen-Version der Wahrheit entspricht – gehört für mich in diese Kategorie. In Situationen, in denen die elterliche „Lüge“ mehr Nutzen als Schaden anrichtet, wird die kleine Kinderseele geschützt. Ich finde deswegen: Manchmal gibt es Situationen, da dürfen wir lügen.

Für oder gegen das Kind?

Ein bisschen kritischer ist das schon mit der anderen Art von Flunkerei: den Bequemlichkeitslügen. Wer am Ende des Tages einfach keinen Nerv mehr hat, erzählt den Kindern überzeugend, dass die Batterie vom nervtötend lauten Feuerwehrauto leider leer ist. Meine Freundin lobt ihre Große für das zauberhaft gemalte Bild, das eigentlich eher furchteinflößend aussieht. Und ich erzähle dem Kleinen mittags lang und breit, dass jetzt alle anderen auch einen Mittagsschlaf machen.

Und obwohl das alles Momente sind, in denen wirklich keine Not-Situation vorliegt – steckt nicht auch hier manchmal eine durchaus „positive Absicht“ hinter der Lüge? Ich glaube nämlich: Es gibt Bequemlichkeitslügen, die wir gegen unsere Kinder verwenden, aber eben auch solche, die wir für unsere Kinder erzählen. Meine Alle-machen-Mittagsschlaf-Lüge zum Beispiel, die nutze ich ja immerhin, um damit ein wenig Erholung und Stressabbau beim kleinen Schläfer zu erzielen. Und auch meine Freundin, die mit Komplimenten ein Papierkorb-würdiges Kunstwerk der Tochter bestaunt und beklatscht, will mit dieser Bequemlichkeitslüge ihre kleine Künstlerin positiv bestärken und ihr eine Freude machen. Gelogen: Ja. Eher aus Bequemlichkeit als aus tatsächlicher Not: Ja. Aber mit bester Absicht und eben für das Kind.

Lüge aus Bequemlichkeit

Bequemlichkeitslügen gegen das Kind? Hier wird es für mich kritisch – denn hier steht die Bequemlichkeit der Eltern so im Mittelpunkt, dass eigentlich nur die eigenen Bedürfnisse zählen und das Wohl des Kindes in den Hintergrund tritt. Wer etwa dem Nachwuchs erzählt, dass freche Kinder von der Polizei mitgenommen werden, der hat damit wohl keine positiven Ziele für das Kind im Hinterkopf. Der einzige Grund für diese Art der Lüge: Wir Erwachsenen haben gerade keine Lust, keine Zeit oder keinen Nerv für die Wahrheit. Mit solchen Drohungen schüchtern wir unsere Kinder zudem ein, um lange Diskussionen, ein am Boden liegendes Drama-Kind oder endlose Erklärungen bequem und schnell abzukürzen. Der Preis: Wir riskieren das unerschütterliche Vertrauen, das unsere Kinder in uns haben.

Der Akku vom lauten Spielgerät ist leer, in der Schokolade ist leider Alkohol oder Kaffee drin, und: „Wenn du nicht sofort kommst, dann fahren wir ohne dich los“? Alles gelogen. Ganz ehrlich: Es ist verständlich, dass uns in manchen Situationen einfach keine Kraft mehr bleibt oder uns die Zeit im Nacken sitzt und solche Lügen mal nützen. Aber: Ich finde, diese Lügen dürfen und sollten eine seltene Ausnahme bleiben. Wir sind schon „groß“ – uns sollte etwas Besseres einfallen, als dass wir aus reiner Bequemlichkeit oder Hektik unsere ganzen Moralvorstellungen von Ehrlichkeit, Vertrauen und Vorbildfunktion über Bord werfen.

Was ist die Absicht?

Gibt es also „erlaubte“ und „verbotene“ Lügen? Ich denke vielmehr, es gibt Lügen für das Kind und Lügen gegen das Kind. Notlügen sollen schützen – wir verfolgen damit positive Ziele und wollen mit der Flunkerei unseren Kleinen etwas Gutes tun oder es vor Schlechtem bewahren. Ganz ähnlich ist es übrigens für mich auch mit der Rede über Christkind und Osterhase. Wir bringen damit Kinderaugen zum Strahlen, schenken ihnen den Glauben an Wunder. Wer würde da so streng sein und von „Lüge“ sprechen wollen? Ist die Intention hinter einer Aussage positiv, gehen wir den Flunker-Weg für unser Kind. Bequemlichkeitslügen lassen sich also manchmal tatsächlich nutzen, um etwas Gutes für ein Kind zu bewirken – manchmal haben wir aber einfach keine Lust auf oder Kraft für die „ehrliche Variante“.

Und genau dabei dürfen wir uns kritisch hinterfragen: Ist es mir das wert? Ist das für mich eine gesunde Eltern-Kind-Beziehung, in der authentische Ehrlichkeit nur dann an der Tagesordnung ist, wenn Mama oder Papa gerade Lust dazu haben? Nehme ich für ein bisschen Zeitersparnis, Nervenschonung und aus Unlust in Kauf, dass ich mein Kind anlüge?

Simone Oswald arbeitet als Lehrerin und freie Texterin. Mit ihrer Familie in Niederbayern.

Wie ehrlich sollten Partner miteinander sein? Das sagen die Experten

Ist die kleine Notlüge in der Beziehung erlaubt? Wann Ehrlichkeit zwingend notwendig ist und wann nicht, darauf gibt es keine leichte Antwort.

Paul [Name von der Redaktion geändert] hat seit mehreren Wochen eine Affäre. Seine Ehefrau und seine Familie liebt er, so sagt er. Sexuell fehlt ihm seit Jahren etwas in seiner Ehe. Trennen will er sich auf keinen Fall. Denn seine Familie steht für Paul an erster Stelle und er fühlt sich moralisch verpflichtet, zu seinem Ehegelübde zu stehen. Ehrlichkeit ist für ihn keine Option. Seine sexuellen Bedürfnisse permanent hintanstellen kann er aber auch nicht.

Auch Clara [Name von der Redaktion geändert] hat ein Geheimnis. Sie verschweigt ihrem Mann, dass ihre Konten jeden Monat überzogen sind, sie überall Schulden hat und ihre Kreditkarte glüht. Clara kauft Kleidung. Ihr Selbstwertgefühl ist nicht sehr hoch und sie kompensiert diesen Mangel mit einem kurzen Glücksgefühl, wenn sie eine neue Tüte mit Kleidung in ihren Händen trägt. Sie versteckt die neuen Sachen vor ihrem Mann. So lange, bis sie ihm ohne zu lügen sagen kann, dass ihre angeblich neuen Sachen doch schon etwas älter sind.

Die Frage nach Ehrlichkeit stellt sich in einer Beziehung oft erst, wenn einer oder beide Partner sich unehrlich verhalten. Wird die Beziehung die Wahrheit aushalten? Oder kann sie scheitern an Lüge und Verschwiegenheit? Wie Menschen diese Frage für sich beantworten, ist entscheidend dafür, wie offen sie gegenüber der Partnerin oder dem Partner sind.

Verletzende Wahrheiten besser verschweigen?

Was, wenn man genau weiß, dass die eigene Ehrlichkeit verletzend sein wird? Gerade bei Paul würde seine Ehrlichkeit sehr viel Schmerz auslösen. Es ist jedoch illusorisch, zu denken, Verletzungen in der Partnerschaft ließen sich vermeiden. „Dinge nicht anzusprechen kann genauso verletzend sein wie sie auszusprechen“, sagt Veronika Schmidt, klinische Sexologin und systemische Beraterin. Letztlich traue man dann dem anderen und der Beziehung Herausforderungen nicht zu. Durch Frustrationen und Belastungen würden wir stärker, die Beziehung brauche sie. Könne eine Beziehung das nicht aushalten, könne sie letztlich vielleicht auch langfristig nicht bestehen. „Wenn man ehrlich ist, so sollte man sich bewusst sein, dass der eigenen Ehrlichkeit ein schmerzhafter Weg folgt, den man mitzugehen bereit sein sollte. Ist man das nicht, könnte Schweigen vielleicht sogar angebrachter sein“, ergänzt die Beraterin.

Diesem Ansatz widerspricht Dr. Tatiana Gorbacheva, Professorin für Psychologie an der LEE University in Cleveland, Tennessee. Sie plädiert für ehrliche Beziehungen, weil es darin keine Zweideutigkeiten und dadurch hervortretenden Stress gibt. Sie ist der Meinung, dass das Eingestehen eines Fehlverhaltens, die Reue und die Konfrontation mit den Folgen der Verletzung des Anderen helfen kann, einander näherzukommen. „Im Allgemeinen sind Geheimnisse schädlich für Beziehungen und Menschen“, betont Dr. Tatiana Gorbacheva. Sie entzweiten Ehepartner und führten zu einer ungesunden Dynamik, weil einer etwas vor dem anderen verbergen müsse. Geheimnisse seien oft mit Scham verbunden. „Und: Man sagt auch ‚Du bist so krank, wie deine Geheimnisse‘.“

Paare sollten unveränderliche Fehler nicht ansprechen

Clara hat eine Schwäche fürs Shoppen. An ihrer Schwäche kann sie arbeiten. Oftmals aber ist es ähnlich wie bei Übergewicht, Rauchen, Zuckersucht, Bequemlichkeit, mangelndem Selbstvertrauen oder Unpünktlichkeit: Es sind Gewohnheiten, die sich in der eigenen Persönlichkeit manifestiert haben und die sich aus eigener Kraft kaum überwinden und verändern lassen.

Manche Makel lassen sich außerdem gar nicht ändern. Dazu können gehören: schlechter Orientierungssinn, Nervosität vor fremden Menschen, körperliche Schönheitsfehler und noch vieles mehr. Solch einen Makel dem Partner vorzuhalten, ist nicht nützlich, meint der Psychotherapeut Jörg Berger. Besser sei es, einen Weg zu finden, um den Partner anzunehmen. „Auch dass man darum ringt, muss der Partner nicht unbedingt erfahren. Denn wenn es sich bei seinem Makel um einen wunden Punkt handelt, könnte dies die Sicherheit in der Beziehung und das Gefühl des Geliebtseins erschüttern.“

Zwanghafte Ehrlichkeit

Wenn sich ein Paar dazu entscheidet, miteinander ehrlich alles zu teilen, müssen sie sich bewusst machen, dass das Leben zu kurz und zeitlich begrenzt ist, um tatsächlich alles miteinander teilen zu wollen. Auch gibt es eine Form der sogenannten „tyrannischen Intimität“, die beinah zwanghaft vom Gegenüber fordert, jeden Gedanken offenzulegen. „Man will ständig in den Kopf, die Gedanken und Gefühle des anderen eindringen. Das hat letztlich nichts mit Ehrlichkeit zu tun, sondern mit Kontrolle“, sagt Veronika Schmidt. Aus dieser Kontrolle resultiert oft, dass der oder die Andere noch eher versuchen wird, Dinge zu verheimlichen, weil die Person sich nicht vollständig ausliefern will.

Der Psychotherapeut Jörg Berger plädiert ebenfalls dafür, Respekt vor dem Geheimnis des Partners oder der Partnerin zu haben und nicht zu sehr in diese Intimsphäre einzudringen. „Es ist ein Geschenk, wenn Partner sich einander öffnen, sich in ihren tiefen Gedanken und Gefühlen mitteilen können. Doch Menschen tragen ihre schwersten Kämpfe in einer existenziellen Einsamkeit aus, an Orten, zu denen kein anderer Zutritt findet“, schreibt er in einem Artikel für die Zeitschrift Family: „Wenn man nach diesen Kämpfen in ein freundliches Zuhause tritt und eine Umarmung spürt, dann ist das Glück.“

Paare sollten sich grundsätzliche Fragen stellen

Die grundsätzliche Frage, die sich ein Paar laut Veronika Schmidt gemeinsam stellen sollte, ist: Wie ehrlich wollen wir sein? Ist das etwas, was wir gemeinsam als Wert festlegen wollen? Oder: Warum können wir voreinander nicht ehrlich sein? Und: Habe ich mich genug selbst reflektiert, um überhaupt ehrlich sein zu können? Die Antworten auf diese Fragen können Paare auf eine zukunftsorientierte und tragende Diskussionsebene bringen.

Von Priska Lachmann

Ab diesem Alter sollten Eltern eingreifen, wenn ihr Kind lügt

Wenn Kinder nicht die Wahrheit sagen, ist das für Eltern nicht direkt ein Grund zur Sorge. Denn bis zu einem bestimmten Alter ist das ganz normal.

„Meine Tochter (5) sagt häufig Dinge, die nicht stimmen. Warum tut sie das? Und wann sollte ich eingreifen und sie darauf hinweisen, dass es falsch ist zu lügen?“

Wie groß ist die Freude bei Eltern über das erste Wort, die ersten Sätze und die ersten Geschichten, die ihr Kind erzählt. Doch wenn es irgendwann anfängt, an unwahren Erzählungen festzuhalten, sind sie irritiert, wenn nicht sogar erschrocken. Schnell fallen Eltern dann Sprüche wie „Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht“, „Lügen habe kurze Beine“ oder das biblische Gebot „Du sollst nicht lügen“ ein. Doch sind die Fantasie-Erzählungen der Kinder wirklich Lügen, die man dem Kind ausreden, verbieten oder die man gar bestrafen sollte?

Nicht jede „Lüge“ ist eine Lüge

Lügen bedeutet, bewusst und vorsätzlich die Unwahrheit zu sagen, um daraus einen Vorteil zu ziehen. Was Kinder im Alter bis etwa sieben Jahre als verfälschte Realität äußern, ist jedoch selten wirklich eine Lüge. Bis etwa zur Einschulung befinden sie sich auf der Entwicklungsstufe des „magischen Denkens“. In dieser Stufe wird oft Traum und Wirklichkeit, Fantasie und Wahrheit vertauscht. Kinder können noch schwer unterscheiden zwischen dem, was sie in der Wirklichkeit sehen und hören, und dem, was sie sich darunter vorstellen und sich dazu ausdenken.

Filmhelden sind Wirklichkeit

Sie erfinden Geschichten und erleben Tagträume als echt. Figuren in Bilderbüchern und Filmen existieren für sie in der Wirklichkeit, und so manche Geschichte wird in der Kinderfantasie noch weiter ausgeschmückt und in die Realität geholt. Das zeigt übrigens auch, welch große Verantwortung Eltern gerade in dieser Zeit für die Medienauswahl ihrer Kinder haben. Auch das Zeitgefühl ist in diesem Alter noch nicht ausgeprägt, sodass Kinder Erlebnisse durcheinanderbringen oder ausschmücken.

Veränderung ab acht Jahren

Mit zunehmendem Alter fangen Kinder an, realitätsbezogen und sachlich logisch zu denken und sich auch dementsprechend zu äußern. Ungefähr ab dem achten Lebensjahr wird Ihr Kind zwischen Traum und Wirklichkeit, zwischen Vorstellung und Wahrnehmung unterscheiden können. Dann braucht es durchaus Hinweise und Ermahnungen, wenn es die Unwahrheit erzählt. Um sich mit seiner Umwelt erfolgreich auseinanderzusetzen, muss ein Kind mit der Zeit also lernen, diese so wahrzunehmen, wie sie in Wirklichkeit ist, und nicht so, wie es sie für sich haben möchte.

Atmosphäre der Ehrlichkeit

Die wichtigste Lernhilfe sind dabei die Eltern. Von klein auf orientieren sich Kinder an ihrem Vorbild. Deshalb versprechen Sie nichts, was Sie nicht halten können. Seien Sie ehrlich und offen zu Ihrem Kind und anderen Familienmitgliedern. Beantworten Sie Fragen Ihres Kindes wahrheitsgemäß. Spielen Sie eigene Notlügen nicht herunter. Entschuldigen Sie sich im Beisein des Kindes für Lügen. Sprechen Sie mit dem Kind über die negativen Auswirkungen von Lügen. Greifen Sie ein, wenn Ihr Kind vorsätzlich um des eigenen Vorteils willen lügt.

Wenn Ihr Kind in einer Atmosphäre der Offenheit und Ehrlichkeit aufwächst, wird es auch nach der Phase des magischen Denkens offen und ehrlich sein und lernen, zwischen Wahrheit und Lüge zu unterscheiden.

Margrit Dietze ist Erzieherin und Autorin für pädagogische Bücher und Artikel, Kinderlieder und Musicals.

Lügt mein Kind?

„Meine Tochter (5) sagt häufig Dinge, die nicht stimmen. Warum tut sie das? Und wann sollte ich eingreifen und sie darauf hinweisen, dass es falsch ist zu lügen?“

Wie groß ist die Freude bei Eltern über das erste Wort, die ersten Sätze und die ersten Geschichten, die ihr Kind erzählt. Doch wenn es irgendwann anfängt, an unwahren Erzählungen festzuhalten, sind sie irritiert, wenn nicht sogar erschrocken. Schnell fallen Eltern dann Sprüche wie „Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht“, „Lügen habe kurze Beine“ oder das biblische Gebot „Du sollst nicht lügen“ ein. Doch sind die Fantasie-Erzählungen der Kinder wirklich Lügen, die man dem Kind ausreden, verbieten oder die man gar bestrafen sollte?

Nicht jede „Lüge“ ist eine Lüge

Lügen bedeutet, bewusst und vorsätzlich die Unwahrheit zu sagen, um daraus einen Vorteil zu ziehen. Was Kinder im Alter bis etwa sieben Jahre als verfälschte Realität äußern, ist jedoch selten wirklich eine Lüge. Bis etwa zur Einschulung befinden sie sich auf der Entwicklungsstufe des „magischen Denkens“. In dieser Stufe wird oft Traum und Wirklichkeit, Fantasie und Wahrheit vertauscht. Kinder können noch schwer unterscheiden zwischen dem, was sie in der Wirklichkeit sehen und hören, und dem, was sie sich darunter vorstellen und sich dazu ausdenken.

Sie erfinden Geschichten und erleben Tagträume als echt. Figuren in Bilderbüchern und Filmen existieren für sie in der Wirklichkeit, und so manche Geschichte wird in der Kinderfantasie noch weiter ausgeschmückt und in die Realität geholt. Das zeigt übrigens auch, welch große Verantwortung Eltern gerade in dieser Zeit für die Medienauswahl ihrer Kinder haben. Auch das Zeitgefühl ist in diesem Alter noch nicht ausgeprägt, sodass Kinder Erlebnisse durcheinanderbringen oder ausschmücken.
Mit zunehmendem Alter fangen Kinder an, realitätsbezogen und sachlich logisch zu denken und sich auch dementsprechend zu äußern. Ungefähr ab dem achten Lebensjahr wird Ihr Kind zwischen Traum und Wirklichkeit, zwischen Vorstellung und Wahrnehmung unterscheiden können. Dann braucht es durchaus Hinweise und Ermahnungen, wenn es die Unwahrheit erzählt. Um sich mit seiner Umwelt erfolgreich auseinanderzusetzen, muss ein Kind mit der Zeit also lernen, diese so wahrzunehmen, wie sie in Wirklichkeit ist, und nicht so, wie es sie für sich haben möchte.

Atmosphäre der Ehrlichkeit

Die wichtigste Lernhilfe sind dabei die Eltern. Von klein auf orientieren sich Kinder an ihrem Vorbild. Deshalb versprechen Sie nichts, was Sie nicht halten können. Seien Sie ehrlich und offen zu Ihrem Kind und anderen Familienmitgliedern. Beantworten Sie Fragen Ihres Kindes wahrheitsgemäß. Spielen Sie eigene Notlügen nicht herunter. Entschuldigen Sie sich im Beisein des Kindes für Lügen. Sprechen Sie mit dem Kind über die negativen Auswirkungen von Lügen. Greifen Sie ein, wenn Ihr Kind vorsätzlich um des eigenen Vorteils willen lügt.

Wenn Ihr Kind in einer Atmosphäre der Offenheit und Ehrlichkeit aufwächst, wird es auch nach der Phase des magischen Denkens offen und ehrlich sein und lernen, zwischen Wahrheit und Lüge zu unterscheiden.

Margrit Dietze ist Erzieherin und Autorin für pädagogische Bücher und Artikel, Kinderlieder und Musicals.
Illustration: Sabrina Müller, sabrinamueller.com

Lügen und andere Heimlichkeiten

„Unser Sohn (12) hält es mit der Wahrheit nicht so genau. Oft macht er heimlich Dinge, die wir ihm verboten haben und lügt dann, wenn wir ihn ‚erwischen’. Was können wir tun?“

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