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Ist es eine Sekte?

„Meine Tochter und ihr Mann gehen in eine Gemeinde, in der ganz wilde Theorien verbreitet werden, wie etwa, dass Krankheit allein durch Unglauben entsteht. Die Leitung tritt auch sehr autoritär auf. Mein Mann und ich sehen das alles kritisch und haben Sorge, dass sie da in was Schlimmes hineingeraten sind. Was können wir tun?“

Manchmal ist es ja eine Geschmackssache, wenn einem etwas an anderen Gemeinden missfällt. Unsere religiös vielfältige Gesellschaft präsentiert uns eine breite Angebotspalette unterschiedlicher Möglichkeiten, Glauben zu leben. Neben den beiden großen Konfessionen und neben den Freikirchen treffen wir auf zahlreiche unabhängige Gemeindeneugründungen.

Wer sich in unserem Pluralismus eher unsicher fühlt, bevorzugt eine strenge Gemeinschaft mit klaren Vorgaben und dezidierter Leitung, die genau festlegt, wie man als Christ zu leben hat, meist kombiniert mit einer sehr strengen Ethik und Gemeindezucht. Wer dagegen geistliche Erlebnisse und Erfahrungen sucht, findet dies im pfingstlich-charismatischen Spektrum mit modernen Gottesdiensten und Lobpreiskultur.

SCHATTENSEITEN

Aber diese Vielfalt und ihre Wahlmöglichkeiten haben auch ihre Schattenseiten. Statt klarer Orientierung trifft man auf Härte und Gesetzlichkeit. Oder geistliche Erlebnisse werden manipuliert und inszeniert. Statt Freiheit zu erleben, gerät man unter Druck und in Abhängigkeit.

Möglicherweise ist das in dieser Gemeinde auch der Fall. Dann ist es ja nicht nur eine Geschmackssache. Dass dunkle Erfahrungen von Leid und Krankheiten sehr schnell und viel zu einfach auf mangelnden Glauben zurückgeführt werden, hat mit Jesu befreiender Botschaft nicht viel zu tun. Oder dass Leitungspersonen nicht mehr kritisiert werden dürfen, sich in apostolischer Vollmacht sehen, blendet unsere menschliche Begrenztheit aus und setzt Menschen an Gottes Stelle.

IN KONTAKT BLEIBEN

Was kann man tun, außer darauf hinzuweisen und vor solchen problematischen Lehren und Praktiken zu warnen? Schließlich bedeutet Religionsfreiheit auch die Freiheit, sich unglücklich zu machen. Wir sind zum Glück nicht ganz hilflos. Das Wichtigste ist: Lassen Sie den persönlichen Kontakt nicht abreißen! Aber kritisieren Sie die neue Gemeinde möglichst wenig, sondern ermuntern Sie die beiden, zu erzählen. Und dann stellen Sie Ihre eigenen Erfahrungen und Deutungen daneben – nicht dagegen! Und lassen Sie Gefühle zu! Oft wird in den wirklich problematischen Gemeinschaften nicht nur ein bestimmter Glaube, sondern auch ein normiertes Erleben gefordert. Gefühle zuzulassen und sich darüber auszutauschen, stärkt nicht nur Ihre Beziehung, sondern lässt auch die neue Gemeinde nochmal in einem anderen Licht erscheinen. Und vielleicht entsteht auch eine gesunde kritische Haltung. Beten Sie, wenn Sie mögen, auch miteinander. Und vertrauen Sie auf Gottes bewahrendes Handeln.

Andreas Hahn ist verheiratet, Vater von zwei erwachsenen Kindern und Sekten- und Weltanschauungsbeauftragter der westfälischen Landeskirche. Illustration: Sabrina Müller, sabrinamueller.com

Sorgenkind: „Mama, ich bin mal wieder dabei, mein Leben an die Wand zu fahren!“

Hochbegabt, gemobbt und depressiv: Ihr Erstgeborenes ist ein echtes Sorgenkind. Ehrliche Einblicke einer Mutter.

Dieser Artikel erzählt von unserem Erstgeborenen. Wobei mir wichtig ist zu betonen, dass der Begriff „Sorgenkind“ nur eine Seite unserer Geschichte darstellt. Unser Sohn ist auch oder vor allem ein toller Kerl! Blitzgescheit, fantasievoll, kreativ und begeisterungsfähig. Als Ältester hat er mit seinem Wissensdurst und seinen sprudelnden Ideen wertvolle Weichen für unser Familienleben gestellt.

Aber was heißt überhaupt Sorgenkind? Sorgenmachen gehört doch zum Elternsein dazu, genauso wie Lachen, Streiten und Pausenbrote. Jedes Kind ist mal ein Sorgenkind, zumindest phasenweise. Ein chinesisches Sprichwort lautet: „Du kannst nicht verhindern, dass die Vögel der Sorge über deinem Kopf kreisen, aber du kannst verhindern, dass sie Nester bauen.“

Sorgenkinder sorgen allerdings dafür, dass diese Vögel sehr penetrant werden. Sie kreisen ausdauernd und dicht über elterlichen Köpfen. Manchmal dringt kaum noch die Sonne durch ihre Flügel, und der Kampf gegen ihre Nester ist schwer. Aber natürlich haben alle Eltern die berechtigte Hoffnung, dass diese Plagegeister im Laufe der Jahre ihren Radius immer weiter ziehen und schließlich ganz verschwinden.

Hochbegabtes Schreibaby?

Ich habe mit einigen Sorgenkind-Eltern gesprochen – beruflich und privat. Die Palette ist bunt. Sie reicht von chronischen Krankheiten über Verhaltensauffälligkeiten und massiven Lernproblemen bis hin zu vielfältigen psychischen Problemen wie sozialen Ängsten, Essstörungen, Selbstverletzung …

Mein Mann und ich allerdings starteten jung und völlig sorglos in unser Abenteuer Familie. Zwar wurden wir überrascht von den Komplikationen rund um die Geburt, aber als wir unseren Sohn in den Armen halten durften, waren wir überzeugt, vor uns liege nun ein Weg voller Harmonie und Freude. Dieser Weg war leider sehr kurz, denn unser Kind entpuppte sich als Schreibaby. Wer das selbst erlebt hat, kennt alle Facetten elterlicher Erschöpfung und Verzweiflung.

Als Kleinkind erlebten wir ihn aufgeweckt und neugierig, aber auch weiterhin unruhig und zu heftigen Wutausbrüchen neigend. Aufgrund seiner guten Sprachentwicklung äußerte schon früh jemand in unserem Umfeld den Verdacht der Hochbegabung. Tatsächlich interessierten ihn Gleichaltrige wenig, stattdessen brachte er sich schon im Kindergartenalter selbst das Lesen bei. Bücher wurden seine besten Freunde.

Ausgegrenzt und gemobbt

Die starke Diskrepanz zwischen sozial-emotionaler und kognitiver Entwicklung wurde immer deutlicher. Wie schon im Kindergarten fiel er auch bald in der Schule durch seine Unruhe und sein Verhalten auf. Wir suchten Rat bei Fachleuten und ließen ihn eine Klasse überspringen. Das half nur kurz. Er blieb ein Problemschüler – ging ungern hin, war unterfordert und überfordert zugleich und eckte häufig an. Unsere Hoffnung, dass es auf dem Gymnasium besser werden würde, erfüllte sich nicht. Es kamen Ausgrenzung und Mobbing hinzu. Unser Sohn litt und wir mit ihm. Wir taten, was wir konnten, um ihn zu trösten und zu stärken. Eine neuerliche Diagnose ergab neben der Hochbegabung auch Anzeichen von ADHS und dem Asperger-Syndrom. Aber irgendwie passte er in keine Schublade. Die vorgeschlagenen Medikamente und Therapien überzeugten uns nicht.

In den Pubertätsjahren entspannte sich die Lage erstaunlicherweise. Unser Sohn wurde ruhiger, seine sozialen Fähigkeiten reiften. Er fand einen netten, kleinen Freundeskreis, der Schulbesuch wurde weniger verhasst. Die letzten beiden Schuljahre waren unbeschwert wie nie zuvor. An seinem Abiball hörte ich zum ersten Mal aus dem Mund eines Lehrers: „Sie haben einen tollen Sohn!“ Er ahnte sicher nicht, welch Balsam das für mein Mutterherz war.

Depression nach Liebeskummer

Nun schien alles rundzulaufen. Er bekam seinen Traumstudienplatz in unserer Stadt, spielte in einer Jugendband und erlebte seine erste Liebe. Wie waren wir erleichtert und dankbar! Wir hatten unser Kind mit Gottes Hilfe durch eine schwierige Kindheit begleitet, und nun wurde es erwachsen und es war an der Zeit, Schritt um Schritt loszulassen.

Der erste Liebeskummer setzte unseren Hoffnungen ein jähes Ende. Unser Sohn rutschte in kürzester Zeit in eine Depression. Er zog sich von seinen Freunden zurück, ging nicht mehr zu den Vorlesungen und schmiss schließlich sein Studium. Auch uns ließ er nicht mehr an sich heran. Unser Drängen, professionelle Hilfe anzunehmen, stieß auf taube Ohren. Er war seit Kurzem volljährig und bestand darauf, seine eigenen Entscheidungen zu treffen. Nach einigen schweren Wochen überraschte er uns schließlich mit der Nachricht, er habe sich für ein Psychologiestudium beworben und eine Zulassung in einer anderen Stadt erhalten. Wir schluckten unsere Bedenken hinunter und halfen ihm bei Zimmersuche und Umzug. Dann war es so weit – unser erstes Kind verließ das Nest.

Hochs und Tiefs im Studium

In den folgenden Wochen brodelten in mir die widersprüchlichsten Gefühle. Neben die Sorge, dass mein verletzliches Kind nun ganz allein in einer fremden Stadt zurechtkommen musste, mischte sich Stolz auf seinen Mut, trotz aller Hindernisse voranzugehen. Und obwohl ich ihn sehr vermisste, machte sich auch ein gewisses Gefühl der Erleichterung breit – gefolgt von typisch mütterlichen Schuldgefühlen. Doch unser Sohn fand sich erstaunlich schnell zurecht, genoss die neue Freiheit und reifte an der Selbstständigkeit. Er fand gute Freunde, das Studienfach begeisterte ihn. An dieser Stelle gäbe es nun zum zweiten Mal die Option für ein Happy End.

Tatsächlich aber konnten auch die guten Umstände nicht verhindern, dass die Depression ihn in Abständen immer wieder einholte. In diesen Phasen vernachlässigte er sein Studium, aber auch soziale und finanzielle Verpflichtungen, was zu zusätzlichen Problemen führte. Obwohl ich dankbar war, dass er mittlerweile darüber sprechen konnte, traf es mich doch bis ins Mark, wenn er am Telefon weinte: „Mama, ich bin mal wieder dabei, mein Leben an die Wand zu fahren!“

Für uns Eltern war es schwer, in diesen Momenten Hunderte von Kilometern entfernt zu sein. Wie oft haben wir ihn aus der Ferne und unter Tränen im Gebet in Gottes liebende und heilende Hände gelegt. Wie schon durch seine Schulzeit haben wir ihn auch durch dieses Studium hindurchgebetet. Er hat nach vielen zusätzlichen Semestern tatsächlich einen guten Abschluss geschafft.

Mann und Freunde helfen bei Sorgenkind

Wenn ich heute zurückschaue, staune ich, dass unsere Familie entgegen mancher Prognosen so gut durch diese Jahre gekommen ist. Sorgenkinder belasten und gefährden nicht selten die seelische Gesundheit und die Ehe der Eltern. Auch Geschwisterkinder leiden unter den Spannungen. Sie fühlen sich oft übersehen oder spüren den Druck, dass doch wenigstens sie gut funktionieren sollten.

In unserer Familie war wohl ich es, die am dichtesten dran war. Mir halfen vor allem mein Mann, der die Last mit mir teilte, aber auch offene Gespräche mit guten Freunden. Trotzdem gab es immer wieder Zeiten, in denen ich mich schwach, verzweifelt und hilflos fühlte – aber tatsächlich nie allein! Keine Lektion meines Lebens hat mich tiefer gelehrt, was es heißt, alle Sorgen auf Gott zu werfen und ihm zu vertrauen. Unser Sohn ist mittlerweile ein erwachsener Mann. Wir stehen in gutem Kontakt und sind dankbar, dass er an seinem Wohnort einen stabilen Freundeskreis und eine Gemeinde gefunden hat. Er hat gelernt, Depressionsschübe rechtzeitig zu erkennen und lässt sich professionell helfen. Allerdings gestaltet sich sein Berufsweg bisher noch eher holprig, und auch im Privaten läuft längst nicht alles rund. Die Vögel kreisen noch! Und wir Eltern leben weiterhin in der Spannung zwischen Sorge und Zuversicht. Und in der festen Hoffnung, dass alles in guten Händen liegt.

Die Autorin möchte anonym bleiben, um ihren Sohn zu schützen.

„Ich hab Angst, Papa!“ – Leidet mein Kind an einer Angststörung?

Dass Kinder Angst haben, ist normal. Aber welches Maß an Sorge gehört zu einer gesunden Entwicklung dazu und wann sollten Eltern Hilfe holen?

Der neunjährige Ben (alle Namen geändert) fürchtet sich seit Beginn der Covid-Pandemie davor, allein zu seinem Freund zu laufen, obwohl dessen Haus um die Ecke liegt. Lana ist im zweiten Schuljahr und wagt nicht, in der Schule zu sprechen, weil andere Kinder sie auslachen könnten. Gian gruselt sich mit fünf Jahren davor, in seinem eigenen Zimmer zu schlafen oder nachts auf die Toilette zu gehen. Die elfjährige Julia hat so starke Angst davor, keine Luft mehr zu bekommen, dass ihre Eltern sie immer wieder von der Schule abholen.

Ängste begleiten unsere Kinder auf jedem Schritt ihrer Entwicklung. So sehr wir es ihnen wünschen würden, eine Kindheit ohne Furcht gibt es nicht. Aber warum spüren Kinder so starke Furcht? Welche Ängste sind normal in ihrer Entwicklung – und wann brauchen Kinder fachkundige Hilfe?

Warum gibt es Angst?

„Mama, warum muss es überhaupt Angst geben? Es wäre viel schöner ohne sie …“, fragte mich unsere jüngste Tochter verzweifelt, als sie sieben Jahre alt war. Als Biologin antwortete ich darauf: Wir Menschen sind eine sehr verwundbare Spezies. Uns schützen kein dicker Panzer, keine Reißzähne und keine Beine, die schneller als andere Tiere laufen können. Wir brauchen zum Überleben ein Frühwarnsystem.

Genau diese Funktion übernimmt die Angst. Unsere Sinne scannen die Umgebung permanent danach ab, ob uns etwas bedrohlich werden könnte. Dazu gehört neben körperlichen Gefahren auch das Risiko, dass wir andere falsch einschätzen oder uns selbst unangemessen verhalten, denn Menschen können nur in der Gruppe überleben. Aus diesem Grund sind soziale Ängste so ausgeprägt.

In der frühen Menschheitsgeschichte hatten vorsichtige Menschen eher die Chance zu überleben und Nachwuchs zu bekommen. Auch Kinder, deren Bindungssystem aktiviert wird von Ängsten, blieben nahe bei den schützenden Erwachsenen. So wurde die Angst tief in uns verankert.

Diese Kinderängste sind normal

Kinder durchlaufen verschiedene Ängste als Teil ihrer gesunden Entwicklung. Dazu gehören:

  • beim Säugling das Erschrecken bei lauten Geräuschen und die Angst, allein zu sein: So lebensbedrohlich, wie es früher für ein Baby gewesen wäre, schutzlos in die Nachbarshütte gelegt zu werden, fühlt sich auch heute noch das Alleingelassen-Sein an.
  • bei Babys ab 6 bis 8 Monaten das Fremdeln: Ab diesem Alter unterscheiden Kinder zwischen vertrauten Personen und Fremden, die ihnen Angst einflößen. So wird das zunehmend mobile Kind an seine schützen den Bezugspersonen gebunden.
  • ab dem Kleinkindalter die Furcht vor einer Begegnung mit Tieren wie Hunden, Schlangen, Spinnen: Als Menschen noch naturnäher lebten, hätte dies dafür gesorgt, dass Kinder sich zunächst an Erwachsenen oder älteren Kindern orientieren, bevor sie sich potenziell gefährlichen Tieren vorsichtig nähern.
  • als Kindergartenkind die Angst vor der Dunkelheit: Nachts waren Menschenkinder am sichersten in unmittelbarer Nähe ihrer Eltern und Verwandten. Hinzu kommt, dass Kinder ab diesem Alter die Fantasie entwickelt haben, sich ausmalen zu können, wie Einbrecher durchs Fenster klettern oder Monster unter dem Bett sein könnten.
  • ab dem Grundschulalter die Sorge, schulisch nicht mitzukommen oder von anderen Kindern ausgeschlossen zu werden: Den Schulkindern wird bewusst, wie wichtig es ist, die geforderte Leistung zu bringen und als Teil einer Gruppe funktionieren zu können. Auch Ängste vor Tod und Krankheit können in diesem Alter vermehrt auftauchen.

Häufige Angststörungen

Von einer Störung spricht man, wenn die Manifestationen der Angst so übersteigert sind, dass sie das alltägliche Leben der Kinder stark beeinträchtigen, schweren Stress und/oder ein längerfristiges Vermeidungsverhalten auslösen. Etwa 10 bis 15 Prozent aller Kinder und Jugendlichen durchleben eine Angststörung. Seit Beginn der Covid-Pandemie haben Ängste und Sorgen bei Kindern deutlich zugenommen: Im Herbst 2021 empfanden etwa 80 Prozent der Kinder und Jugendlichen die Corona-Krise als „ziemlich oder äußerst belastend“, knapp 30 Prozent hatte ein Risiko für psychische Auffälligkeiten. Vor Corona waren es ca. 18 Prozent (COPSY-Studie 3). Angststörungen zeigen sich bei Kindern besonders häufig als:

Trennungsängste: Die Kinder fürchten sich davor, dass ihnen oder ihren Eltern etwas zustoßen könnte, während sie getrennt sind. Diese Störung kann auch zum Verweigern von Kindergarten oder Schule führen oder dem Ablehnen von Übernachtungen und Ausflügen ohne die Eltern.

Phobien: Wenn spezifische Situationen oder Objekte unangemessen starke Ängste auslösen, spricht man von einer Phobie. Kinder können Phobien entwickeln vor Tieren, Höhen, engen Räumen, Blut und Spritzen, Naturkatastrophen etc. Phobien treten intensiv und dauerhaft auf und hemmen das Kind in seiner Entwicklung.

Ungenügende Leistungen werden zur Katastrophe

Soziale Ängstlichkeit: Kinder mit sozialen Ängsten fürchten übermäßig, sich zu blamieren, kritisiert zu werden oder in sozialen Situationen „Fehler“ zu machen. Sie fühlen sich gehemmt, wenn sie in der Schule im Fokus stehen und wagen kaum, sich zu melden. Oft reden sie wenig und leise, vermeiden Blickkontakt und fühlen sich anderen gegenüber unterlegen.

Prüfungs- und Leistungsängste: Kinder und Jugendliche fürchten sich davor, den Ansprüchen von anderen oder sich selbst nicht zu genügen. Oft zeigen sie ein rigides Lernverhalten, das mit Gedanken einhergeht wie: „Ich muss alles wissen!“, und interpretieren ungenügende Leistungen als Katastrophe. Viele zweifeln ihre eigene Leistungsfähigkeit stark an und glauben, dass Lernen allen anderen leichter fällt.

Generalisierte Angststörung: Bei dieser Störung wirken Kinder dauerhaft ernst und betrübt, leiden unter geringem Selbstwertgefühl und ausgeprägten Sorgen in vielen Lebensbereichen. Sie grübeln oft darüber nach, ob sie nicht einen Fehler gemacht haben, in der Schule nicht gut genug sind oder nicht genügend Freunde haben. Weitere Symptome können Ruhelosigkeit, Schlafstörungen, Erschöpfung, Reizbarkeit und Konzentrationsprobleme sein.

Bei Angststörung unbedingt Hilfe holen!

Als Eltern sollten wir bei ersten Hinweisen auf eine Angststörung unbedingt handeln und mit unseren Kindern eine erfahrene Fachperson aufsuchen. Ohne Behandlung kann es zu einem chronischen Verlauf kommen, bei dem das Leben des Kindes immer stärker von Ängsten dominiert und eingeschränkt wird oder weitere Ängste und Depressionen hinzukommen.

Angststörungen sind gut behandelbar, wobei die Erfolgschancen umso höher sind, je früher mit einer Behandlung begonnen wird. Es gibt unterschiedliche Therapie-Ansätze gegen Ängste, die unseren Kindern effektiv helfen. Dabei hat sich vor allem die kognitive Verhaltenstherapie als wirksam erwiesen.

Wie helfe ich meinem Kind bei Angst?

Kindern hilft es, wenn sie ihre Ängste besser kennenlernen. Das gelingt, wenn sie offen über die Angst sprechen, ihr sogar eine Stimme und Gestalt verleihen, sie malen und beschreiben dürfen. Es gibt viele Kinderbücher, wie das Sach- und Mitmach-Buch „Huch, die Angst ist da!“, die zum Reflektieren einladen. Sie können sehr wertvoll sein, um ins Gespräch zu kommen und sich mit den Ängsten in der Familie auszusöhnen. Auch Lieder und Gebete sind hilfreich.

So lernen unsere Kinder: Die Angst besucht jeden von uns manchmal. Wenn wir sie annehmen, kann sie uns wie ein freundliches Wesen warnen und helfen, gut auf uns aufzupassen. Manchmal übertreibt unsere Angst aber auch und veranstaltet ein großes Kopfkino. Dann können wir lernen, sie weniger ernst zu nehmen, vielleicht sogar über sie zu schmunzeln.

Als Erwachsene begleiten

Wenn Befürchtungen zu einem riesigen, bedrohlichen Angstmonster anwachsen, gibt es viele Wege, sie wieder zu einem hilfreichen Begleiter zu zähmen: Atem- und Entspannungs-Übungen helfen Kindern bei akuten Angstwellen. Sicher gebunden und begleitet durch Erwachsene können sie erfahren, wie man für angsteinflößende Situationen einen Plan machen und sich ihnen in kleinen Schritten nähern kann.

So merken die Kinder: „Zusammen mit meinen Eltern konnte ich mich meiner Angst stellen und sie aushalten. Jetzt ist mein Angstmonster schon ein Stückchen kleiner geworden, mein Mut und mein Selbstvertrauen sind größer!“

So bringen Bens Eltern ihn nur noch bis zur Straßenecke, ab dort läuft er zu seinem Freund allein. Lana bespricht ihre Sorgen mit einem Kinderpsychologen und schafft es in der Schule schon, in einer Kleingruppe zu sprechen. Gian schläft jetzt in seinem Zimmer bei offener Tür ein, darf aber nachts ins Elternschlafzimmer schleichen und sich dort auf eine Matratze legen. Und Julia lernt bei der Atemtherapeutin, wieder tief durchzuatmen und sich auf ihren Körper zu verlassen. Auf ein Leben mit einer schützenden, hilfreichen Angst sind sie gut vorbereitet.

Ulrike Légé arbeitet als freie Journalistin und lebt mit ihrer Familie in der Nähe von Basel. Zusammen mit Fabian Grolimund hat sie das Buch „Huch, die Angst ist da!“ (Hogrefe) geschrieben – es eignet sich für Kinder von 6 bis 11. 

„Ich habe mein Kind verkorkst!“

Dass Eltern Fehler machen, ist ganz normal. Aber manchmal rutschen Eltern und Kinder in einen unguten Kreislauf, der sich über die Jahre verstärkt. Da herauszukommen, kann mühsam sein. Stefanie Diekmann berichtet von einer Beratungserfahrung.

Ich habe mein Kind verkorkst!“ – Als Claudia diesen Satz ausgesprochen hat, schaut sie mich erschrocken an. Schnell schiebt sie hinterher: „Eigentlich ist mein Mann schuld. Puh, das klingt auch so hart. Er hatte bei unseren Kindern viel Angst und ich habe unter seinem Druck dafür gesorgt, dass kein Weg zum Volleyballtraining oder Musikunterricht ohne meine Begleitung passiert. Und dass sie nur mit ausgewählten Kindern spielen. Die ständigen Diskussionen mit ihm über die möglichen Gefahren haben mich mürbe gemacht. Das sehe ich jetzt. Und jetzt ist es zu spät. Rahel ist nun 17 Jahre alt – und irgendwie verkorkst.“ Claudia ringt um Worte. Sie tastet sich an dieses fast unaussprechliche Gefühl heran.

Rahel wirkt auf Außenstehende sanft und klug. Zu Hause nehmen ihre Eltern sie aber als unausgeglichen und missgelaunt wahr. Schon immer haben ihre Hände besonders besitzergreifend nach Claudia gegriffen und sie gefordert. Ganz anders als die Kleinkinder ihrer Bekannten hatte sie viele Probleme: Schlafen nur auf dem Bauch der Eltern, Essensverweigerung, wenig Sprachentwicklung. Wenn Claudia von einer schweren Nacht mit ihr berichtete, kommentierten die anderen im Spielkreis nicht selten: „Na, was hat Rahel denn diesmal?“ Eigentlich nichts, und doch ließ Claudia sie immer wieder vom Kinderarzt durchchecken: Sie war und ist kerngesund. Vielleicht gibt es so etwas wie „alltagskompliziert“?

Immer unsicherer

Als Grundschülerin war Rahel in vielen alltäglichen Dingen hilflos. Kleinigkeiten wie das Einlegen der CD in den Kinder-CD-Spieler wurden zu einem Problem. Ihre jüngere Schwester hatte diese Hürde bereits genommen, aber Rahel stand immer noch jammernd neben der Mutter und brauchte Hilfe. Auch die Hausaufgaben waren während der kompletten Schulzeit ein Bereich voller Emotionen und Kämpfe. Claudia hat unzählige Stunden mit ihr am Esstisch verbracht. „Keine Idee meiner Freundinnen half, um sie zum eigenständigen Arbeiten zu motivieren. Sie jammerte und brauchte ständig meine Hilfe.“

Aber immer, wenn Claudia eine Idee für eine Loslösung hatte und umsetzen wollte, kam ihr Mann mit seinen Sorgen und Bedenken dazwischen. Rahel allein auf die Klassenfahrt schicken? Niemals! Also fuhr sie als Betreuerin mit. Rahel allein in den Schwimmverein lassen? Niemals. Also schwamm sie neben dem Trainingsbecken im Kinderbecken herum. Je älter Rahel wurde, desto unsicherer und unselbstständiger wurde die Jugendliche. Sie begann, leise und undeutlich zu sprechen und ihre Schultern nach vorn zu ziehen. Mit dieser angespannten Grundhaltung gelang es ihr nicht, Freundinnen zu finden.

Immer genervter

Natürlich hat Claudia sich Gedanken gemacht über ihr Verhalten. Sie hatte wohltuende Gespräche mit dem Kirchenseelsorger. Sie spürte aber, dass eine wirkliche Veränderung Kraft kosten würde. Claudia erinnert sich, dass sie sich von ihrem Alltag zwischen Kindern, Minijob und Kirchenmitarbeit so eingespannt fühlte, dass sie für das Thema „Rahel“ ganz kraftlos war. Sie zog sich immer mehr zurück. Sie half Senioren und anderen Familien mit praktischer Unterstützung, aber Rahel und den möglichen Lösungsideen für ihre Situation ging sie aus dem Weg.

Stattdessen wurde sie immer sensibler und genervter in Bezug auf ihre Tochter. Sie konnte schon an Rahels Seufzen erkennen, dass diese keinen einzigen Waffelteig im ganzen Internet finden konnte. „Um diese Alltagshürden nicht miterleben zu müssen, habe ich fix den Waffelteig selbst gemacht. Das Drama darum hat mich so genervt.“ Die Aggressionen in Claudia wachsen, je älter Rahel wird. Eine Jugendliche, deren Alltag scheinbar nur aus Hürden besteht und die ständig jammert, kostet Kraft. Dieser Kreislauf der Kraftlosigkeit hat Rahel in einen Kokon aus Überregulierung eingesponnen. Beide Eltern haben ihr immer weniger zugetraut und zugemutet.

Wendepunkt

Mit etwas Abstand und zunehmender Kraftlosigkeit wuchs bei Claudia das Gefühl, „falsch“ zu sein: als Mutter, als Familie, als Lebensraum für Rahel. „Ich spüre mein Versagen. Dass ich mich der Verantwortung entziehe. Wir brauchen einen Wendepunkt.“ Im Nachdenken erinnert sie sich an die Gespräche mit dem Seelsorger: Der Wert eines Menschen bleibt in Gottes Augen hoch – unabhängig von seinem Verhalten. Was sich für die Eltern als „verkorkst“ anfühlt, kann zu einem Ausgangspunkt für eine Weiterentwicklung werden. Das will Claudia angehen. Ab heute. Für jeden aus der Familie.

Während Rahel zu einem Personal Trainer geht, um ihre Körperpräsenz zu verbessern und an ihrem Stimmvolumen zu arbeiten, stehen auch Claudia und ihr Mann vor Entwicklungsaufgaben. Seinen Ängsten will Claudias Mann mit der Hilfe eines Facharztes die Stirn bieten. Warum er erst jetzt den Mut dazu hat, ist Claudia nicht klar. Vielleicht, weil sie sich bewusster positioniert und ihrem Mann zumutet, die Last seiner Ängste allein zu tragen. Sie will nicht mehr Sprachrohr seiner Sorgen sein. Claudia sucht ihren eigenen Standpunkt und wird in diesen ersten Schritten durch eine Kleingruppe der Kirche bestärkt. Täglich formuliert sie ein Gebet, um die Verantwortung für ihre Familie an Gott zurückzugeben. „Ich bin dadurch eher bereit, hinzusehen und mich nicht wegzuducken“, erklärt sie. Freundinnen haben Claudia immer wieder ermutigt, Rahel mehr zuzutrauen. Wahrzunehmen, was Rahel gelingt. Claudia beginnt zu strahlen, als sie von Rahels erstem kleinen Job erzählt. Ein Mutlächeln erleuchtet ihr Gesicht. Sie wird ihre Tochter begleiten und ihr ins Leben helfen. Auch wenn das gesamte Internet wieder mal leer ist, wenn Rahel Waffeln backen will.

Stefanie Diekmann ist Gemeindereferentin in Göttingen, verheiratet und Mutter von drei (fast) erwachsenen Kindern.

Mein Mann ist in ständiger Sorge

„Wir haben nach der Geburt erfahren, dass unser Sohn einen Herzfehler hat. Er musste gleich operiert werden. Ich habe es mittlerweile ganz gut verarbeitet, aber mein Mann kommt nicht darüber hinweg. Er hat ständig Angst um unseren Sohn. Er hat das Trauma nicht aufgearbeitet und ist auch nicht der Typ, der über seine Gefühle redet. Wie kann ich ihm helfen?“

Wir hören in unserem Beratungsalltag sehr häufig, dass Mütter und Väter unterschiedlich mit „schlechten Nachrichten“ oder schwer krankem Familienzuwachs umgehen. Oft haben Mütter das Bedürfnis, darüber zu reden und Erfahrungen auszutauschen, während Väter im Internet aktiv sind oder sich in ihre Rolle als Ernährer zurückziehen. Auch sich aktiv Hilfe zu holen, scheint für Männer oft schwerer zu sein als für ihre Partnerinnen.

Männer leiden anders als Frauen

Manche leiden still, aber genauso intensiv – nur eben anders. Die Paarbeziehung gerät in den Hintergrund, die Eltern „funktionieren“ in der gemeinsamen Sorge um das herzkranke Kind. Für die Geschwister bleibt oft nicht mehr so viel Kraft und Zeit, wie diese es sich wünschen. Die sorgen sich ja auch und bräuchten viel Zuwendung und Erklärungen, warum jetzt alles so anders ist, seit das herzkranke Kind in die Familie kam. Ein Dilemma, für dessen Lösung die Familien Hilfe und Unterstützung brauchen.

Falls Sie es noch nicht getan haben, rate ich Ihnen, Hilfe über Eltern-Vereine in Anspruch zu nehmen. Bei Elterncoachings beispielsweise können Sie gemeinsatrm mit professionellen Coaches Ihre drängenden Fragen und Ängste besprechen und erhalten dort einen zuversichtlichen Blick in eine Zukunft mit dem oft chronisch herzkranken Kind. Und Sie lernen andere Eltern in ähnlichen Situationen kennen, mit denen Sie sich austauschen können. Corona-bedingt tauschen sich Väter, Mütter und Coaches derzeit in Online-Seminaren aus, was den Vorteil hat, dass beide Eltern gleichzeitig anwesend sein können.

Angebote speziell für Väter

Die Eltern-Vereine verhelfen Ihnen auch zu einer Familien- orientierten Reha (FOR). In Nachsorgekliniken können sich die belasteten Familien inklusive der Geschwister vier Wochen lang neu finden und Kraft tanken für den künftigen gemeinsamen Alltag. Dort gibt es auch Angebote speziell für Väter. Die Kosten trägt entweder die Renten- oder die Krankenversicherung.

Es gibt auch „Väter-Wochenenden“, die speziell die Bedürfnisse von Vätern ansprechen. In einem geschützten Raum können sie sich fallenlassen, sich jemandem anvertrauen und sich mit anderen Betroffenen austauschen. Hier können sie neue Methoden für den Umgang mit Rückschlägen erlernen und Kraft tanken.

Hermine Nock ist Geschäftsführerin beim Bundesverband Herzkranke Kinder e. V. Illustration: Sabrina Müller, sabrinamueller.com

Webtipps:

www.bvhk.de
www.kohki.de
www.herzkind.de
www.kindernetzwerk.de
www.evhk.ch
www.herznetz.ch

Facebookgruppe: „Eltern und Familien herzkranker Kinder“

Die Sorgenkralle bezwingen!

Stefanie Diekmann ist anfällig für Sorgen.

Das Gemeine an der Sorgenkralle in meinem Leben ist: Sie krampft sich unvermittelt um mein Herz. Ich gebe mein Schulkind zum Segeln ab und realisiere den erstaunlichen Größenvergleich von Frachter und Segeljolle mit meinem Kind (das sehr fröhlich winkt). Dann auf einmal gibt die Sorgenkralle ihr Bestes: „Wenn sie kentert? Und was ist, wenn sie dann unter dem Boot bleibt?“ Eng wird es mir und vor Sorge bleibt fast die Luft weg. Die Sorgenkralle scheint auch meine wunden Punkte zu kennen. Beim Klaviervorspiel hat meine Tochter besonders großes Herzklopfen und möchte sich am liebsten drücken. Sie drückt sich sogar tatsächlich! Und ich spüre von einem Moment auf den anderen zermürbende Sorgen: Wieso traut sie sich so wenig zu? Was habe ich vermittelt, was ihr nicht guttut und sie bremst? An einigen Tagen bin ich sehr vertraut mit der Sorgenkralle und komme kaum dazu, einen Blick auf etwas anderes zu werfen. Ich sorge mich rein in ein Gefühl der Machtlosigkeit und der groben Erziehungsfehler und bin mehr und mehr gefangen in einer rostigen Kralle der „Wenns“ und „Achs“ … Jesus kennt unsere Anfälligkeit zum Sorgen und hat eine Idee: „Sorgt nicht!“, sagt er wiederholt. Was zu banal klingt, übe ich täglich. Spüre ich den Druck der Enge im Herzen, habe ich eine Art Spezialöffner für Sorgenkrallen. Ich schüttele ab, was sich für Szenarien in mir abbilden wollen und atme betend durch. Ich richte mich auf, als Mutter, als Frau, als Ich. Manchmal entweicht mir ein kleines: „Herr, segne du!“ oder ein „Jesus, hilf mir!“, manchmal nutze ich die scheinbare Enge, um über Freiheit und Mut zu beten. Das mag die Sorgenkralle gar nicht. Wenn ich bei Bekannten mitbekomme, wie sie in ihrer Ehe um Vorteile zerren, reagiert die Sorgenkralle verzögert. Erst nicke ich beim Zuhören zustimmend, wenn eine Frau über ihren Mann schimpft. Doch dann will mir die Sorgenkralle das Gefühl von Beziehungsmüdigkeit und von lieblosen Missverständnissen vor Augen führen. Bis ich meine eigene Ehe sorgenvoll betrachte. Auch hier will ich mich schneller aus dem Zugriff der Sorgenkralle befreien. Ich versuche, Gutes über meinen Mann und unser Miteinander zu sagen. Ich strecke der Sorgenkralle die Zunge raus, denn ich übe mich darin, meinem Mann direkt einen fast unaussprechlichen Wunsch an unsere Beziehung zu nennen. Was mir in letzter Zeit aufgefallen ist: Die Zeit in der Sorgenkralle verbringe ich allein, und sie kostet mich viel Kraft. Wenn ich mich herauswinde, habe ich die Chance, Gestalterin zu sein und nicht ausgelieferte Untätige. Ich setze mich zum Bügelperlen bezwingenden Kind dazu. Oder ich mache meinem Jugendlichen, der einen Studienort sucht, einen Tee. Ich bin Teil ihrer Gedanken, anstatt mich in der Distanz zu sorgen. Ich richte meinen Blick auf das Jetzt und das Miteinander. Ich lebe, sehe in die Augen des anderen, lache, schimpfe, höre zu. So wird mein Herz stark und lebendig. Die Sorgenkralle passt gar nicht mehr richtig drum … Beim Segeln ist übrigens nie etwas passiert.

Stefanie Diekmann ist Diplom-Pädagogin und lebt mit ihrem Mann und ihren drei Kindern in Ingelheim am Rhein.

 

 

Besorgte Eltern

Zwei Klassenpflegschaftssitzungen innerhalb einer Woche liegen hinter mir. So schlimm, wie sie gern in Blogs und Kolumnen beschrieben werden, waren sie nicht. Im Gegenteil. Ich habe engagierte Lehrer und nette Eltern erlebt. Aber ich habe auch viele besorgte Eltern erlebt. Eltern, die sich Sorgen machen, dass ihr Kind den Anschluss verliert. Dass es vielleicht erst gar nicht in der Schule ankommt, weil es nun mit dem Bus fahren muss. Oder dass es trotz Inklusion nicht genug Förderung bekommt.

„Eltern haben keine Sorgen, sie machen sich welche“ – diesen Satz habe ich vor kurzem aufgeschnappt. Natürlich stimmt er so nicht. Denn viele Eltern haben in der Tat ernsthafte Sorgen. Aber es stimmt schon, dass wir Eltern manchmal dazu neigen, uns Sorgen zu machen, wo es gar nicht nötig wäre.

Als es in der 8. Klasse darum ging, dass im Rahmen der Berufswahlvorbereitung eine Potenzialanalyse mit den Kindern durchgeführt werden soll, spürte ich, wie manche Eltern fast erschraken: „Mein Kind wird getestet. Was, wenn es nicht gut genug ist?“ Dabei handelte es sich ja nicht um einen Einstellungstest, sondern lediglich darum festzustellen, in welchen Bereichen das Kind gute Fähigkeiten und ausbaufähiges Potenzial hat. Da kommen möglicherweise Aspekte zu Tage, die Eltern bisher nicht im Blick hatten. Vielleicht hat das Lehrerkind gute Voraussetzungen für einen handwerklichen Beruf? Oder der Künstlersohn eher das Potenzial zum Ingenieur?

Manchen Eltern machte es aber offensichtlich Angst, dass ihr Kind „getestet“ werden sollte. Fürchteten Sie in der Bewertung Ihres Kindes auch eine Bewertung ihrer eigenen „Leistung“? Machen wir Eltern unser Selbstwertgefühl vielleicht manchmal zu sehr vom „Wohlgeratensein“ unserer Kinder abhängig?

In der 5. Klasse ging es stärker darum, wie die Eltern nachvollziehen können, was die Kinder in der Schule gerade lernen. In unserer Schule gibt es keine Hausaufgaben. Und es wird großer Wert gelegt auf selbstständiges Arbeiten. Gerade für Fünftklässler eine große Herausforderung. Aber offensichtlich auch für ihre Eltern. Eine Mutter meinte, ob es nicht besser sei, dass die Kinder übers Wochenende Hausaufgaben bekämen, damit die Eltern wüssten, was sie gerade durchnehmen.

Ich fühlte mich einen Moment schlecht. Denn ich bin so froh, dass wir diese leidigen Hausaufgaben am Wochenende los sind, die uns in der Grundschulzeit so manche Nerven geraubt haben. Aber Moment mal: Kann es sein, dass man die sehr durchdachte Arbeitsstruktur der Schüler ändert und ihnen ihr freies Wochenende verdirbt, nur damit die Eltern wissen, ob sie gerade Bruchrechnen oder Statistik machen?

Ich verstehe, dass Eltern sich sorgen, dass ihr Kind mit dem selbstständigen Lernen nicht klar kommen könnte. Und es dann irgendwann in den sprichwörtlichen Brunnen gefallen ist. Leider gibt es ja auch genug Eltern, die sich viel zu wenig dafür interessieren, was ihr Kind den ganzen Tag so macht. Aber ich würde mir an dieser Stelle mehr Vertrauen wünschen. Vertrauen in das eigene Kind, dass es seinen Weg machen wird. Vertrauen in die Lehrer, die oft mit viel Herzblut ihren Job machen. Und nicht zuletzt auch Vertrauen in Gott, dem wir unsere Kinder anvertrauen können.

Gerade heute bekam ich eine Pressemeldung von einer Firma, die verschiedene technische Geräte für Familien anbietet. Zum Beispiel eine WLAN-Monitoring Kamera fürs Baby, die gleichzeitig auch die Temperatur misst (allerdings nur die Raumtemperatur, nicht die Körpertemperatur des Babys – da ist noch Luft nach oben). Oder einen Luftbefeuchter fürs Kinderzimmer, den man mit dem Smartphone steuern kann (wieder was für die Kategorie „Dinge, die die Welt nicht braucht“). Außerdem bietet die Firma ein Gerät für Grundschulkinder an, das dem Kind vermittelt, ein Smartphone light zu sein – es kann damit übers Internet Musik hören und Videos schauen. Eigentlich handelt es sich aber um ein Überwachungsgerät: Die Eltern können nicht nur ständig  kontrollieren, welche Inhalte ihr Kind nutzt, sondern auch, wo es sich gerade aufhält.

Aber wie sollen unsere Kinder zu selbstständigen und selbstbewussten Erwachsenen werden, wenn wir sie krampfhaft festhalten – und sei es auch „nur“ digital? Richtet so ein Überwachen nicht mehr Schaden an als eine verpatze Mathearbeit? Loslassen fängt nicht erst an, wenn die Kinder aus dem Haus gehen. Es ist ein langer Prozess. Der ist für uns Eltern oft schwer. Aber für uns und vor allem unsere Kinder notwendig.

Bettina Wendland

Family-Redakteurin

 

 

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