Beiträge

Expertin klärt auf: Vorsicht vor toxischen Beziehungen!

Toxische Beziehungen sind in aller Munde, aber was genau passiert da eigentlich? Die psychologische Beraterin Christina Glasow erklärt, wie man eine toxische Beziehung erkennt, was man tun kann und wann eine Trennung nötig ist.

Katja bekommt das Grinsen gar nicht mehr aus ihrem Gesicht, sie ist glücklich. Ben hat ihr Blumen geschenkt. Einfach so. „Du bist so wunderschön. Ich liebe dich. Du machst mich zum glücklichsten Mann“, hat er gesagt und sie angelächelt, dass ihr die Knie weich werden. Zwanzig Minuten später hat sie einen dicken Kloß im Hals. Beim Auswechseln einer Glühbirne ist ihr der Lampenschirm aus der Hand gerutscht und in tausend Teile zersprungen. „Wie dumm und idiotisch bist du eigentlich!? Du solltest am besten gar nichts machen, du hast einfach zwei linke Hände!“, ist dabei noch das Netteste, was aus Bens Mund kommt. Katja sagt kein Wort. Etwas zu entgegnen würde alles nur noch schlimmer machen. Sie fühlt sich dumm, klein und schuldig.

Sie entschuldigt sich immer wieder und nachdem sie besonders lieb und zuvorkommend mit Ben umgegangen ist, findet schließlich, wie so oft, im Bett die Versöhnung statt.

Was genau ist eine toxische Beziehung?

Eine Beziehung sollte ein Raum sein, in dem sich zwei Menschen einander liebevoll zuwenden und gleichzeitig die Freiheit haben, sie selbst zu sein – mit ihren Ecken und Kanten. Manches ist und bleibt herausfordernd, deshalb ist eine Beziehung aber nicht gleich toxisch. Wenn deine Beziehung jedoch mehr von Zwängen, Schmerz oder Einsamkeit als von dem Gefühl der Wertschätzung und des Angenommenseins geprägt ist, dann schadet sie dir mehr, als dass sie dir guttut.

In manchen Beziehungen ist Kampf an der Tagesordnung. Ihr streitet oft nach dem Motto „Angriff ist die beste Verteidigung“ und nehmt keine Rücksicht auf den anderen. Diese destruktiven Konflikte enden irgendwann aus Verzweiflung oder Erschöpfung. Vielleicht landet ihr zur Versöhnung im Bett oder lasst bis zum nächsten Mal Gras darüber wachsen; aber einem gesunden Miteinander seid ihr kein Stück nähergekommen.

Auch Beziehungen, die nach außen sehr harmonisch wirken, können innen toxisch sein. Es gibt keinen Streit, weil die Angst vor Verlust und Liebesentzug so groß ist, dass du dich und dein Verhalten lieber anpasst, als die Harmonie zu gefährden. Du sprichst nicht über deine Gefühle und Bedürfnisse, um nicht anzuecken. Allerdings verlierst du so mehr und mehr den Kontakt zu deinem Gegenüber und auch zu dir selbst.

Besonders toxisch ist die Dynamik von Katja und Ben. Sie läuft nach dem Täter-Opfer-Prinzip ab: Der „Täter“ wertet ab und handelt egozentrisch, empathielos oder manipulativ, trägt oft narzisstische Züge. Das „Opfer“ denkt und handelt abhängig vom Verhalten des Gegenübers. Eigene Gefühle und Interessen werden zurückgestellt. Man nennt das „co-abhängig“.

Der Ursprung dieser toxischen Verhaltensmuster liegt meist zeitlich weit zurück, sie haben deine Persönlichkeit über einen langen Zeitraum geprägt.

Das kann sich in deiner Beziehung beispielsweise so anfühlen:

  • Du erlebst eine emotionale Achterbahnfahrt. Hochs (in den Himmel gelobt werden, „Love-Bombing“) und Tiefs (Abwertung, Erniedrigungen) wechseln sich ab. Die schönen Momente werden immer weniger. Für die guten Momente erträgst du die schmerzhaften. Du glaubst, wenn du nur ganz doll liebst, wirst du auch zurückgeliebt.
  • Du glaubst, du kannst dein Gegenüber retten, er oder sie braucht deine Hilfe, um die Probleme zu überwinden. Du glaubst, dass du das Problem bist, weil du nicht gut genug bist. Du glaubst, du musst dich ändern. Aus Angst vor Konflikten und dem Verlassenwerden nimmst du dich immer mehr zurück. Du machst dein Verhalten abhängig vom Verhalten deines Gegenübers und nimmst dich selbst nicht so wichtig. Dein Gegenüber ist sehr schnell gekränkt. Du wirst kontrolliert und immer mehr eingeengt, zum Beispiel, ob und mit wem du dich triffst, wofür du Geld ausgibst usw.
  • Du wirst ständig kritisiert und bist an allem schuld. Dein Gegenüber sieht sich immer als Opfer. Du entschuldigst dich für Dinge, die du nicht getan hast. Du bist gestresst, weil du ständig Angst hast, etwas falsch zu machen.
  • Du fühlst dich abhängig von deinem Gegenüber, denkst, du kannst ohne sie oder ihn nicht leben. Deine Grenzen werden nicht respektiert und immer öfter überschritten.
    Du glaubst, dass er oder sie sich dieses Mal wirklich ändern wird.
  • Du wirst manipuliert und die Realität wird verdreht, bis du immer mehr an dir zweifelst und schließlich selbst nicht mehr weißt, was wahr und was falsch ist („Gaslighting“).
    Es findet, neben der seelischen, auch körperliche Gewalt statt.

So schlimm ist das ja bei uns nicht …

… denkst du jetzt vielleicht. Natürlich gibt es bei der Ausgestaltung von Beziehungen eine riesige Bandbreite. Jede Beziehung ist anders. Aber wo fängt denn nun das Toxische an? In der bibel finden wir eine sehr gute Orientierungshilfe. Jesus sagt in Markus 12,31: „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst.“ Nicht nur unter Christen hat die Nächstenliebe zu Recht einen besonders hohen Wert.

Die Liebe zu sich selbst wird dagegen nicht selten mit Egozentrik oder Egoismus verwechselt oder einfach nur übergangen. Aber Liebe zu sich selbst meint einen liebevollen Umgang mit den eigenen Gefühlen, Bedürfnissen und Grenzen. Eigenliebe und Nächstenliebe müssen in Balance stehen, um gute Beziehungen führen zu können: Selbstliebe ohne Nächstenliebe macht das Gegenüber zu einem ersetzbaren Objekt, das nur der Befriedigung der eigenen Bedürfnisse dient. Liebe ohne Selbstliebe führt in die emotionale Abhängigkeit und zum Verlust der eigenen Identität.

Wenn du also dauerhaft (nicht punktuell!) egozentrisch oder selbstvergessen handelst, entsteht ein Ungleichgewicht. Hier fängt Toxizität an. Was kannst du selbst tun, um toxischem Verhalten entgegenzuwirken?

Erkennen

Vielleicht hast du in deiner Vergangenheit gelernt, dass Liebe an bestimmte Bedingungen geknüpft ist oder dass zur Liebe Schmerz dazugehört. Du empfindest es deshalb als normal, dass mit dir so umgegangen wird. Das ist es aber nicht. Niemand hat das Recht, dich schlecht zu behandeln, dich herabzusetzen oder dir emotionale oder körperliche Gewalt zuzufügen!

Wenn du dein Gegenüber niedermachst oder manipulierst, um dein eigenes Selbstbewusstsein zu pushen, und dir sicher bist, dass er oder sie dich nicht verlassen wird, dann ist dein Verhalten lieblos und egoistisch.

Ein liebevoller, wertschätzender Umgang ist in einer Paarbeziehung grundlegend, denn das ist der Ort, an dem wir uns besonders verletzlich machen.

Selbstverständnis und Fürsorge

Um aus schädlichen Mustern herauszukommen, die dir bei der Liebe zu dir selbst im Wege stehen, spielt Achtsamkeit eine entscheidende Rolle. Das bedeutet, dir selbst auf die Spur zu kommen und immer wieder innezuhalten in deinem Alltag: Was geht gerade in dir vor? Welche Gefühle sind da? Du kannst sie zum Beispiel in einem Gefühlstagebuch festhalten.

Jeder von uns schleppt falsche Glaubenssätze mit sich herum, die unser Denken und Handeln bestimmen. Sie lassen uns zum Beispiel glauben, dass wir nur geliebt werden, wenn wir etwas leisten. Oder dass wir uns nicht so anstellen sollen, weil es anderen ja schließlich viel schlechter geht oder dass wir zu nichts taugen. Die Liste dieser Lügen ist unendlich vielfältig und gleichermaßen lieblos. Ein erster Schritt, diesen schlechten Einfluss zu entmachten, ist, dir ihrer bewusst zu werden. Indem die Glaubenssätze vom Unbewussten ins Bewusstsein treten, kannst du dein Verhalten aktiv verändern. Du bist ihnen nicht mehr hilflos ausgeliefert und darfst stattdessen liebevolle Gedanken kultivieren und die Wahrheit über dich selbst entdecken. So kann zum Beispiel aus „Ich bin nicht schlau“ ein „Ich bin schlau genug“ werden.

Mit diesen neuen Erkenntnissen stehst du auf einer ganz neuen Basis, um dich zu fragen, welche Dinge dir guttun und dich auftanken lassen. Vielleicht fällt dir ein, womit du dich als Kind am liebsten beschäftigt hast, und du transportierst das in dein heutiges Leben (zum Beispiel Sport, kreativ sein, Instrument spielen, lesen, spazieren, Leute treffen…). Erlaube dir, dir hierfür Zeit zu nehmen. Du lernst so, deine Bedürfnisse zu spüren und deren Erfüllung in die Hand zu nehmen. Du übernimmst Verantwortung für dich selbst. Dazu gehört auch, darauf zu achten, welche Dinge oder Personen dir nicht guttun. Was löst in dir Stress oder „Bauchweh“ aus? Dazu gehört auch, dass du dir bewusst machst, was deine wichtigsten Werte und was deine No-Gos in einer Beziehung sind. Indem du hier achtsamer mit dir selbst umgehst, lernst du, deine eigenen Grenzen zu spüren und diese auch für dein Umfeld sichtbar zu machen. Du darfst freundlich, aber klar Nein sagen! Und du wirst erleben, dass Menschen dich trotzdem oder gerade deshalb mögen.

Ich-Botschaften helfen dir dabei, klarer zu kommunizieren, und eröffnen einen Weg aus eurer destruktiven Konflikt-Spirale. Dabei sprichst du über dein Gefühl („Es macht mich traurig, dass wir fast nie Zeit zu zweit verbringen.“) anstatt den anderen anzuklagen („Immer gehst du weg. Ich bin dir doch egal!“).

Die Erfahrung aus meiner eigenen Beratungs-Praxis zeigt, dass es hilfreich ist, hierfür professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen, die dich in deinem Prozess unterstützt. Je tiefer die toxische Verstrickung, desto ratsamer, den Weg nicht alleine zu gehen.

Welche Voraussetzungen braucht es für eine gesunde Beziehung?

Dein neues, ungewohntes Verhalten stößt beim Gegenüber vielleicht nicht auf Gegenliebe, denn euer altes „Spiel“, euer Muster funktioniert nicht wie bisher. Veränderungen erfordern Mut und auch Disziplin. Vor allem, wenn du bisher jeden Konflikt gescheut hast. Lass dich vom Gegenwind nicht entmutigen, sondern bleibe zugewandt, aber auch liebevoll dir selbst gegenüber. Setze klare Grenzen. Du bist damit auf einem guten Weg, denn du gibst damit deinem Gegenüber und eurer Beziehung die Chance, zu wachsen und zu reifen.

In jeder Beziehung gibt es Krisen und Konflikte. Auch toxische Elemente wie Abhängigkeiten, Grenzüberschreitungen oder manipulatives Verhalten können vorkommen. Entscheidend ist, wie ihr dabei grundsätzlich miteinander umgeht. Nähe und Distanz, Nehmen und Geben, Bestimmen und Anpassen müssen in einem ausgewogenen Verhältnis zueinander stehen. Liebe kann sich da entwickeln, wo Freiheit und Zuwendung gleichermaßen vorhanden sind. Unterschiedlichkeiten könnt ihr als wertvolle Ergänzung schätzen lernen. Dazu braucht es eine gute, offene Kommunikation, die Bereitschaft, sich aufeinander einzulassen und vor allem, den eigenen Anteil am Problem anzuerkennen. Dann müssen aus Worten Taten werden. Zum Beispiel gemeinsam zur Paarberatung zu gehen.

Wann ist es besser, sich zu trennen?

Deine eigenen Themen anzugehen, hat bleibenden Wert, unabhängig von der Paarbeziehung. Du lernst, besser für dich zu sorgen und bessere Beziehungen zu führen. Wenn dein Verhalten eher dem des „Täters“ entspricht, lernst du, die Perspektive deines Gegenübers besser zu verstehen und liebevoller zu handeln.

Mit Hilfe deiner Gos und No-Gos weißt du, was du bereit bist, für den Erhalt deiner Beziehung auf dich zu nehmen und was nicht mehr. Denn es kann sein, dass dein Gegenüber trotz deiner Bemühungen in toxischen Mustern kleben bleibt, keine eigenen Schritte zur Veränderung geht und deine No-Gos ignoriert.

Wenn sich abzeichnet, dass diese Beziehung für dich deshalb ein Ort des Schmerzes bleibt und Wertschätzung und Annahme fehlen, ist es ratsam, eine Trennung in Erwägung zu ziehen. Das gilt natürlich umso mehr, wenn körperliche Gewalt im Spiel ist.

Christina Glasow wohnt mit ihrer Familie in Pulheim bei Köln und arbeitet als Paarberaterin und Psychologische Beraterin. christinaglasow.de

 

Wenn du in einer toxischen Beziehung steckst, such dir Unterstützung! Sprich mit einer Person deines Vertrauens und/oder wende dich an eine Seelsorgerin, einen Berater oder Therapeuten. Im Internet findest du Organisationen in deiner Nähe, die Hilfe für Opfer von emotionaler und/ oder körperlicher Gewalt anbieten. Du kannst dich auch an die Telefonseelsorge wenden (0800/111 0 111) oder an das Hilfetelefon speziell für Frauen (hilfetelefon.de).

Trotz Jobverlust weiter als Team unterwegs

Wenn ein Mensch den Arbeitsplatz verliert, kann das die Existenz bedrohen und die Psyche belasten. Auch die Paarbeziehung kann darunter leiden. Ein Ehepaar und eine Paartherapeutin berichten, wie Paare solche Krisen meistern können.

Genau zu der Zeit, als Anne nach längerem Hoffen endlich wieder schwanger wurde, verlor ihr Mann Markus zum zweiten Mal seine Arbeitsstelle. Das brachte Unsicherheit und Existenzsorgen in die Beziehung. Bereits bei der ersten Kündigung war es für Anne als Freiberuflerin schwierig, finanziell nicht so stark wie erwartet auf Markus bauen zu können: „Ich war selbstständig und wollte mich gern finanziell auf sein Einkommen verlassen. Das stellte für mich auch einen Konflikt in der Rollenverteilung dar, und ich konnte nicht so frei sein, mich erst mal auszuprobieren, sondern musste gleich Geld verdienen“, erinnert sich Anne. Nach einiger Zeit kamen bei ihr Frust und Vorwürfe auf und die Fragen, ob ihr Mann wirklich sein Bestes gibt und überhaupt für die Arbeitswelt gemacht ist.

Auch bei Markus entstanden Selbstzweifel. Doch es war beiden wichtig, all diese Emotionen zuzulassen. Sie überlegten als Paar gemeinsam mit Hilfe eines Berufungsbuches, wie es weitergehen kann und wo sie sich in ihren Fähigkeiten noch mehr unterstützen können. „Das hat Markus geholfen, sich zu reflektieren, und mir, die Potenziale in ihm zu sehen, und unseren Teamgeist geweckt“, sagt Anne. Außerdem zeigte ihnen diese Krise neu, dass vieles von Gott abhängig ist, und führte sie wieder zu mehr gemeinsamem Gebet. Dadurch konnten sie Gottes Versorgung erfahren und ihre Hoffnung auf ihn setzen. „Ich habe neu gelernt, Krisenzeiten erst mal so anzunehmen, wie sie sind, und nicht gleich in Aktivismus zu verfallen, sondern wirklich zu vertrauen und geduldig zu sein mit meinem Partner. Letztlich sind wir als Team unterwegs und keiner ist besser als der andere, nur weil er mehr verdient“, resümiert Anne.

Durch die Krise wurden beide reflektierter für die eigenen Schwächen, den eigenen (Arbeits-)Anteil an der Beziehung, aber auch die Erfolge des anderen. Ihre Erfahrungen geben Anne und Markus auch gern an andere weiter. „Als Paar ist es schön, wenn man gemeinsam sowas überwunden hat und davon auch erzählen und zuversichtlich sein kann, dass Gott einen durchträgt“, fasst Anne zusammen.

Zusammen Neues wagen

Paartherapeutin Diana Muschiol hat schon einige Paare in existenzbedrohlichen Krisen begleitet. „Für viele Menschen ist die Berufstätigkeit mit dem eigenen Selbstwert verknüpft, gibt Sinn und Identität“, sagt sie. Fällt die Arbeitstätigkeit weg, entsteht oft eine Leere. Dann ist es wichtig, sich bewusst auf Neues einzulassen, um wieder Sinn zu finden. Berufungsbücher wie bei Anne und Markus können hilfreich dabei sein.

Mit dem Jobverlust einhergehende Gefühle wie Scham, Schuld, Minderwertigkeitsgefühle oder Selbstzweifel können gefährlich sein. „Das sind unangenehme Gefühle, die meist einen Rückzug bedeuten, ein innerliches Dichtmachen, wenn man diese Gefühle nicht fühlen und schon gar nicht irgendjemandem zeigen will. Dadurch sind aber Distanz und Entfremdung in der Partnerschaft vorprogrammiert“, weiß Muschiol. Auch die möglicherweise veränderten Rollen in der Familie und dadurch vielleicht ungewohnte Aufgaben können das Gefühl von Unfähigkeit verstärken. Der Alltag muss eventuell neu organisiert, Aufgaben neu verteilt werden. Alle Gefühle zuzulassen und ehrlich miteinander zu kommunizieren, ist deshalb sehr wichtig! Statt sorgenvoll zu verzweifeln, sollte man die Situation erst mal akzeptieren. Und dann als Paar gemeinsam umdenken, flexibel nach Lösungen und Ideen suchen und diese umsetzen. Der Fokus sollte dabei auf dem vorhandenen Guten in der Beziehung sowie den Ressourcen jedes Einzelnen, als Paar und auch im sozialen Umfeld liegen. Von diesem Punkt aus kann man sich gemeinsam neue Ziele setzen und daran arbeiten, sie zu erreichen. So wie Markus und Anne, die sich mittlerweile freuen dürfen, dass Markus erfolgreich einen neuen Job gefunden hat.

Interview mit Paartherapeutin Diana Muschiol

Was kann Paaren helfen, schwierige Zeiten gemeinsam durchzustehen?
Allein die Paarbeziehung an sich hilft schon, Krisen zu meistern. Gott hat uns nicht ohne Grund als Beziehungswesen geschaffen. Zahlreiche Studien zeigen, dass eine zufriedene und glückliche Beziehung gesund hält und uns auch befähigt, mit Herausforderungen und Schmerz besser umzugehen. Daher ist ein sehr wichtiger Faktor für Paare in Krisenzeiten, an ihrer Beziehung festzuhalten und diese weiter auszubauen.

Zusätzlich ist ein offener und ehrlicher Austausch miteinander sehr hilfreich, zum Beispiel darüber, was an der Krise Sorgen oder Angst bereitet. Und das mit der Bereitschaft, das Gegenüber wirklich verstehen zu wollen. Wenn wir selbst in Not sind oder unbedingt verstanden werden wollen, verlieren wir manchmal das „Wir“ aus den Augen. Da sind echtes Interesse und Empathie sehr hilfreich. Auch eine vorsichtige Nachfrage oder ein Gesprächsangebot, wenn der Partner sorgenvoll scheint, ist eine gute Möglichkeit.

Gibt es überhaupt so etwas wie eine Patentlösung für die Bewältigung von Krisen als Paar?
Wenn überhaupt, dann würde ich sagen, ist es eine glückliche, zufriedenstellende Beziehung, in der sich beide verbunden fühlen, angenommen sind und die Zuversicht haben, das gemeinsam durchzustehen. Eine Beziehung, in der sie sich emotional und körperlich erreichen, sich aufeinander verlassen können, sich auf emotionaler Ebene mitteilen und dann auch wohlwollend auf das Gehörte und Wahrgenommene reagieren.

Kann man von einer Paar-Resilienz sprechen oder ist Krisenbewältigung in erster Linie Sache jedes einzelnen Partners?
Beides. Eine gemeinschaftliche Bewältigung ist hilfreicher als die alleinige. Und wenn ein Partner in der Beziehung eine Krise oder Not erlebt, hat das direkte Auswirkungen auf den anderen oder die andere. Aber es braucht den eigenen Beitrag. Man kann sich nicht ausschließlich darauf verlassen, dass das Gegenüber einem die Bewältigung abnimmt. Man darf seinen eigenen Beitrag dazu leisten, sollte aber auch Unterstützung annehmen. Dafür ist es erforderlich, sich selbst verletzlich zu zeigen. Das bedeutet, die eigenen Gefühle mitzuteilen: Sorgen, Ängste, Unzufriedenheit, Probleme und auch Sehnsüchte, Hoffnungen und Wünsche. Wir können nicht davon ausgehen, dass unser Gegenüber weiß, wie es in uns aussieht, wenn wir es nicht zeigen.

Was verändert sich aus Ihrer Sicht an einer Beziehung, wenn Paare gemeinsam Krisen bewältigen?
Das gemeinsame Bewältigen von Krisen kann viele Ressourcen in einem Paar hervorbringen. Oft wachsen der gegenseitige Respekt und die Wertschätzung. Aber auch Verbundenheit, Vertrauen, Intimität und Zusammengehörigkeitsgefühl entwickeln sich weiter und verfestigen sich. Durch das Erleben, schon einmal eine Krise gemeistert zu haben, entstehen auch Hoffnung und Zuversicht, kommende Krisen ebenfalls zu bewältigen. Hoffnung ist ein weiterer wichtiger Aspekt von Resilienz. Und je mehr wir Menschen Resilienz erleben, desto mehr baut sie sich auf. Durch das gemeinsame Bewältigen von Anforderungen entwickelt sich Selbstwirksamkeit bei jedem Einzelnen und auch die des Paares. Was wiederum genutzt werden kann, für andere Impulsgeber und Vorbild zu sein.

Lisa-Maria Mehrkens ist freie Journalistin und lebt mit ihrer Familie in Chemnitz.

 

TIPPS VON BETROFFENEN UND PAARTHERAPEUTIN DIANA MUSCHIOL ZUR BEWÄLTIGUNG VON KRISEN IN DER PARTNERSCHAFT:

  • die Partnerschaft priorisieren, Zusammengehörigkeitsgefühl stärken, zum Beispiel durch Auszeiten zu zweit
  • im Alltag immer wieder Verbindung zueinander schaffen durch eine Umarmung, ein Lächeln, einen Kuss oder liebe Worte
  • bewusst den Fokus darauf setzen, was gut läuft
  • sich bewusst dafür entscheiden, zusammenzubleiben und miteinander durch die Krise zu gehen
  • sich durch praktische Unterstützung im Alltag gegenseitig Freiräume schaffen, um einzeln Bedürfnissen nachzugehen und Auszeiten zu nehmen

Kommunikation ist alles

  • ein Grundlevel an Kommunikation aufrechterhalten, zum Beispiel durch kurze Spaziergänge
  • offen und ehrlich Gefühle, Gedanken und Bedürfnisse teilen
  • sich in den Partner einfühlen, gegenseitig ungeteilte Aufmerksamkeit und echtes Interesse schenken
  • sich um gegenseitige Akzeptanz und Verstehen bemühen
  • dem Partner andere Bedürfnisse und Verarbeitungsstrategien zugestehen
  • gemeinsam als Paar vor Gott kommen in Gebet, Lobpreis, Abendmahl
  • bei Bedarf seelsorgerliche, therapeutische oder praktische Unterstützung annehmen
  • negative Gedanken und Gefühle zulassen und aussprechen, sich aber nicht davon beherrschen lassen
  • Krisen nicht „vergeuden“, sondern als zum Leben dazugehörende Chance für etwas Neues und Gutes sehen und sie, wenn möglich, aktiv gestalten

Hilfreiche Fragen

  • Was ist in dieser Situation oder in diesem Moment der Krise unser langfristiges Ziel? Wie können wir dahingehend unsere Energie und Zeit nutzen?
  • Was brauchen wir gerade in der Krise: eher aktive Lösungsschritte oder eine Stärkung unserer emotionalen partnerschaftlichen Verbindung?

11 bis 15 – Mehr als nur traurig

Elternfrage: „Meine Tochter (12) wirkt seit mehreren Wochen total niedergeschlagen und zieht sich immer öfter in ihr Zimmer zurück. Ist sie depressiv?“

Wenn Kinder oder Teenager ständig niedergeschlagen wirken, dann besorgt das die meisten Eltern – zu Recht! Denn Kinder sind grundsätzlich eher fröhlich und entdeckungsfreudig, auch wenn es natürlich Unterschiede im Naturell gibt, so wie bei Erwachsenen auch.

Wenn Ihre Tochter Ihnen ungewöhnlich traurig erscheint, sollten Sie genauer hinschauen. Denn auch Kinder und Teenager können eine Depression entwickeln. Folgende Checkliste hilft Ihnen bei der Einschätzung des Problems:

  • Wie lange ist das schon so? Wenn die Stimmung zwei Wochen oder länger schlechter ist als sonst, dann wird es ernst.
  • Gibt es bestimmte Stressfaktoren, die kurz vor dem Stimmungstief aufgetreten sind, und lassen sich diese eventuell mildern? Werden sie sehr bald von selbst enden (zum Beispiel in der Prüfungsphase), sodass eine Besserung realistisch ist? Wenn das der Fall ist und Sie keine akute Gefährdung sehen, kann es sich lohnen, ein bis zwei Wochen abzuwarten.
  • Zeigt Ihr Kind körperliche Auffälligkeiten wie weniger oder mehr Appetit, Schlafprobleme, Müdigkeit, Schmerzen,…? Auch das können Anzeichen einer Depression sein.
  • Hat Ihr Kind das Interesse an Aktivitäten oder Themen verloren, für die es sich sonst begeistert hat?
  • Zieht sich Ihr Kind zunehmend zurück und vermeidet Kontakte?
  • Spricht es vom Wunsch zu sterben?
  • Ist Ihr Kind neben der Betrübtheit auch gereizt oder genervt?
  • Spricht Ihr Kind sehr schlecht über sich selbst, zeigt es Probleme im Selbstbewusstsein?
  • Benennt es vielleicht sogar den Wunsch, lieber tot zu sein? Wenn das der Fall ist, sollten Sie sofort handeln und sich an die nächste Kinder- und Jugendpsychiatrie wenden (notfalls auch erfragen unter der Telefonnummer 112).

Wenn ein oder mehrere Kriterien erfüllt sind, dann sollten Sie besonnen, aber entschlossen reagieren. Erklären Sie Ihrem Kind, dass Sie sich Sorgen machen, weil Sie spüren, dass es ihm nicht gut geht. Und dass Sie wollen, dass es ihm besser geht und Sie sich deswegen um Hilfe kümmern.

Holen Sie sich professionelle Hilfe zum Beispiel bei einer Praxis für Kinderund Jugendlichenpsychotherapie. Dort gibt es meist lange Wartelisten, man kann die Wartezeit aber gut mit Terminen in einer Erziehungsberatungsstelle (Adressen finden Sie unter dajeb.de) überbrücken. Dort gibt es Angebote, sowohl für das Kind allein als auch für die Eltern oder die ganze Familie, je nachdem, was sich als passend herausstellt.

Melanie Schüer ist Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin und Autorin (neuewege.me).

„Ich habe mein Kind verkorkst!“ – Welche Erziehungsfehler Sabine heute bedauert

Sabines* Tochter ist viel zu unselbstständig. Die Schuld sieht Sabine bei sich und ihrem Mann. Dann entscheidet sie: Es muss sich etwas ändern.

„Ich habe mein Kind verkorkst!“ – Als Sabine diesen Satz ausgesprochen hat, schaut sie mich erschrocken an. Schnell schiebt sie hinterher: „Eigentlich ist mein Mann schuld. Puh, das klingt auch so hart. Er hatte bei unseren Kindern viel Angst und ich habe unter seinem Druck dafür gesorgt, dass kein Weg zum Volleyballtraining oder Musikunterricht ohne meine Begleitung passiert. Und dass sie nur mit ausgewählten Kindern spielen. Die ständigen Diskussionen mit ihm über die möglichen Gefahren haben mich mürbe gemacht. Das sehe ich jetzt. Und jetzt ist es zu spät. Hannah* ist nun 17 Jahre alt – und irgendwie verkorkst.“ Sabine ringt um Worte. Sie tastet sich an dieses fast unaussprechliche Gefühl heran.

Hannah wirkt auf Außenstehende sanft und klug. Zu Hause nehmen ihre Eltern sie aber als unausgeglichen und missgelaunt wahr. Schon immer haben ihre Hände besonders besitzergreifend nach Sabine gegriffen und sie gefordert. Ganz anders als die Kleinkinder ihrer Bekannten hatte sie viele Probleme: Schlafen nur auf dem Bauch der Eltern, Essensverweigerung, wenig Sprachentwicklung. Wenn Sabine von einer schweren Nacht mit ihr berichtete, kommentierten die anderen im Spielkreis nicht selten: „Na, was hat Hannah denn diesmal?“ Eigentlich nichts, und doch ließ Sabine sie immer wieder vom Kinderarzt durchchecken: Sie war und ist kerngesund. Vielleicht gibt es so etwas wie „alltagskompliziert“?

Selbst das Einlegen der CD machte Probleme

Als Grundschülerin war Hannah in vielen alltäglichen Dingen hilflos. Kleinigkeiten wie das Einlegen der CD in den Kinder-CD-Spieler wurden zu einem Problem. Ihre jüngere Schwester hatte diese Hürde bereits genommen, aber Hannah stand immer noch jammernd neben der Mutter und brauchte Hilfe. Auch die Hausaufgaben waren während der kompletten Schulzeit ein Bereich voller Emotionen und Kämpfe. Sabine hat unzählige Stunden mit ihr am Esstisch verbracht. „Keine Idee meiner Freundinnen half, um sie zum eigenständigen Arbeiten zu motivieren. Sie jammerte und brauchte ständig meine Hilfe.“

Aber immer, wenn Sabine eine Idee für eine Loslösung hatte und umsetzen wollte, kam ihr Mann mit seinen Sorgen und Bedenken dazwischen. Hannah allein auf die Klassenfahrt schicken? Niemals! Also fuhr sie als Betreuerin mit. Hannah allein in den Schwimmverein lassen? Niemals. Also schwamm sie neben dem Trainingsbecken im Kinderbecken herum. Je älter Hannah wurde, desto unsicherer und unselbstständiger wurde die Jugendliche. Sie begann, leise und undeutlich zu sprechen und ihre Schultern nach vorn zu ziehen. Mit dieser angespannten Grundhaltung gelang es ihr nicht, Freundinnen zu finden.

Immer genervter auf ihre Tochter

Natürlich hat Sabine sich Gedanken gemacht über ihr Verhalten. Sie hatte wohltuende Gespräche mit dem Kirchenseelsorger. Sie spürte aber, dass eine wirkliche Veränderung Kraft kosten würde. Sabine erinnert sich, dass sie sich von ihrem Alltag zwischen Kindern, Minijob und Kirchenmitarbeit so eingespannt fühlte, dass sie für das Thema „Hannah“ ganz kraftlos war. Sie zog sich immer mehr zurück. Sie half Senioren und anderen Familien mit praktischer Unterstützung, aber Hannah und den möglichen Lösungsideen für ihre Situation ging sie aus dem Weg.

Stattdessen wurde sie immer sensibler und genervter in Bezug auf ihre Tochter. Sie konnte schon an Hannahs Seufzen erkennen, dass diese keinen einzigen Waffelteig im ganzen Internet finden konnte. „Um diese Alltagshürden nicht miterleben zu müssen, habe ich fix den Waffelteig selbst gemacht. Das Drama darum hat mich so genervt.“ Die Aggressionen in Sabine wachsen, je älter Hannah wird. Eine Jugendliche, deren Alltag scheinbar nur aus Hürden besteht und die ständig jammert, kostet Kraft. Dieser Kreislauf der Kraftlosigkeit hat Hannah in einen Kokon aus Überregulierung eingesponnen. Beide Eltern haben ihr immer weniger zugetraut und zugemutet.

Der Wendepunkt ist ein Satz des Seelsorgers

Mit etwas Abstand und zunehmender Kraftlosigkeit wuchs bei Sabine das Gefühl, „falsch“ zu sein: als Mutter, als Familie, als Lebensraum für Hannah. „Ich spüre mein Versagen. Dass ich mich der Verantwortung entziehe. Wir brauchen einen Wendepunkt.“ Im Nachdenken erinnert sie sich an die Gespräche mit dem Seelsorger: Der Wert eines Menschen bleibt in Gottes Augen hoch – unabhängig von seinem Verhalten, so verspricht es der christliche Glaube. Was sich für die Eltern als „verkorkst“ anfühlt, kann zu einem Ausgangspunkt für eine Weiterentwicklung werden. Das will Sabine angehen. Ab heute. Für jeden aus der Familie.

Während Hannah zu einem Personal Trainer geht, um ihre Körperpräsenz zu verbessern und an ihrem Stimmvolumen zu arbeiten, stehen auch Sabine und ihr Mann vor Entwicklungsaufgaben. Seinen Ängsten will Sabines Mann mit der Hilfe eines Facharztes die Stirn bieten. Warum er erst jetzt den Mut dazu hat, ist Sabine nicht klar. Vielleicht, weil sie sich bewusster positioniert und ihrem Mann zumutet, die Last seiner Ängste allein zu tragen. Sie will nicht mehr Sprachrohr seiner Sorgen sein. Sabine sucht ihren eigenen Standpunkt und wird in diesen ersten Schritten durch eine Kleingruppe der Kirche bestärkt. Täglich formuliert sie ein Gebet, um die Verantwortung für ihre Familie an Gott zurückzugeben. „Ich bin dadurch eher bereit, hinzusehen und mich nicht wegzuducken“, erklärt sie. Freundinnen haben Sabine immer wieder ermutigt, Hannah mehr zuzutrauen. Wahrzunehmen, was Hannah gelingt. Sabine beginnt zu strahlen, als sie von Hannahs erstem kleinen Job erzählt. Ein Mutlächeln erleuchtet ihr Gesicht. Sie wird ihre Tochter begleiten und ihr ins Leben helfen. Auch wenn das gesamte Internet wieder mal leer ist, wenn Hannah Waffeln backen will.

Stefanie Diekmann ist Gemeindereferentin in Göttingen, verheiratet und Mutter von drei (fast) erwachsenen Kindern.

*Die Namen wurden von der Redaktion geändert. 

Angst vor der Geburt

„Meine Tochter (25) erwartet bald ihr erstes Kind und hat schreckliche Angst vor der Entbindung. Wie kann ich ihr helfen?“

Ängste in der Schwangerschaft, vor allem bei der Erstentbindung, sind sehr häufig: Fast jede zehnte Mutter ist davon betroffen. Die Schwangerschaft ist eine Zeit des Umbruchs, die einer Mutter viel abverlangt – körperlich, aber auch seelisch. Eine Schwangerschaft kann auch schon länger vorhandene Ängste oder Traumata reaktivieren.

ÜBER ÄNGSTE SPRECHEN

Es kann Ihrer Tochter guttun, wenn Sie sie etwas bemuttern und ihr Hilfe – nicht nur im Haushalt – anbieten, zum Beispiel durch Massagen oder Entspannungsübungen. Signalisieren Sie Ihrer Tochter gegenüber auch immer wieder Gesprächsbereitschaft. Wichtig dabei ist, ihre Gefühle und Ängste ernst zu nehmen und nicht zu beschwichtigen. Sagen Sie ihr immer wieder, dass sie nicht allein mit ihren Ängsten ist, dass es vielen Müttern so geht wie ihr und dass sie Hilfe und Unterstützung von der Familie und von Fachleuten bekommen kann. Hebammen, Doulas, Mütter- oder Familienpflegerinnen beispielsweise sind im Umgang mit Schwangeren und deren Ängsten geschult und können Hilfe anbieten.

Sehr hilfreich und entlastend für die Schwangere und ihre Angehörigen kann das Gespräch mit anderen Betroffenen sein, zum Beispiel in Foren und Selbsthilfegruppen. Zu hören, dass es anderen genauso ging, es ihnen aber mittlerweile wieder gut geht, beruhigt die Schwangere und macht ihr Mut. Auch fällt es Betroffenen diesen Müttern gegenüber oft leichter, über ihre Ängste und Gefühle zu sprechen, weil sie wissen, dass diese Ähnliches wie sie erlebt haben und sie dadurch gut verstehen können. Dieser Erfahrungsaustausch kann auch ein wichtiger Schritt sein, um sich die psychischen Probleme einzugestehen und sich gegebenenfalls professionelle Hilfe zu holen.

PROFESSIONELLE HILFE

Um den Schweregrad ihrer Ängste besser einschätzen zu können, kann die Schwangere einen Test machen. Wir haben einen Selbsteinschätzungstest auf unserer Homepage www.schatten-und-licht.de zur Verfügung gestellt. Sollte es nötig sein, kann sie einen Termin bei Schwangerschafts- oder psychosozialen Beratungsstellen, die sie bei der Stadt oder Gemeinde erfragen können, bekommen, die Sie bei psychischen Problemen beraten und ihr helfen, mit ihren Ängsten umzugehen.

Sind die Ängste sehr stark ausgeprägt, sollte die Schwangere ihren Hausarzt oder einen Facharzt für Psychiatrie aufsuchen, um sich gegebenenfalls eine Psychotherapie verschreiben zu lassen. Ein Therapeut kann ihr helfen, ihre Ängste oder Traumata aufzuarbeiten. Natürlich gibt es gegen starke Ängste auch unterstützende Medikamente, die auch in der Schwangerschaft genommen und von Fachleuten verschrieben werden können. Dazu beraten Fachstellen wie www.embryotox.de oder www.reprotox.de.

Sabine Surholt ist erste Vorsitzende der Selbsthilfe-Organisation Schatten & Licht e.V., die Frauen in Krisen rund um die Geburt unterstützt.
Illustration: Sabrina Müller, sabrinamueller.com

„Wenn ich jetzt sterbe, höre ich nie wieder Bäume rauschen“: Till erzählt von seiner Angst vor dem Tod

Till Pfaff fürchtet sich unglaublich davor zu sterben. Jahrelang helfen nur Antidepressiva in höchster Dosis. Hier erzählt er seine Geschichte.

Ich bin Till, 40 Jahre alt. Ich habe Angst vor dem Tod.

Opa schläft

Es ist der 22. September 1985. Ich bin sechs Jahre alt und gerade eingeschult worden, ein kleiner blonder Frechdachs, aufgeweckt und sensibel. Wir wohnen seit Kurzem neben Oma und Opa im alten Schweinestall ihres stillgelegten Bauernhofes. Mein lieber Opa, der mich immer mit in den Wald nimmt, auf die Pirsch mit seinen Jagdhunden, der mir die heimische Pflanzenwelt erklärt und mich bei seinen Freunden stolz präsentiert, mich liebevoll auf den Schoß nimmt, ist im Krankenhaus, weil er operiert werden muss. Nichts Schlimmes, soweit ich weiß. Ich soll mit den anderen Enkelkindern ins Zimmer meiner Schwester kommen. Meine Mutter und meine Tante wollen uns etwas erzählen. Wir sitzen auf dem Bett und hören gespannt zu: „Opa ist eingeschlafen. Er war zu schwach und hat die Operation nicht überstanden. Er ist tot.“

Es ist 2019, Weihnachten. Fünf Monate Online-Therapie liegen hinter mir. Meine Therapeutin hilft mir, mich meiner Angst vor dem Tod zu stellen. 34 Jahre voller Fragen: Wie ist der Tod? Wie fühlt es sich an, wenn ich keinen Körper mehr habe, den ich steuern kann? Geht es Opa und den anderen inzwischen verstorbenen Menschen, die ich lieb habe, gut? Gibt es ein Leben nach dem Tod? Kommt die Seele durch den Sarg, wenn ich begraben werde?

Die Brust zugeschnürt

Niemand in meiner Familie oder meinem Freundeskreis kann sich vorstellen, dass ich unter Ängsten leide. Ich bin ein geselliger Typ, der gern feiert und Quatsch macht. Humor ist meine Superkraft! Das Gefühl der Machtlosigkeit überkommt mich jedoch, wenn ich allein bin.

Ich stehe als Erster auf dem Fußballplatz, bin etwa 18 Jahre alt und wärme mich auf. Plötzlich die Frage: Was, wenn ich jetzt sterbe? Ich stoße einen leisen Schrei aus, um der plötzlichen Beengung in meinem Brustkorb ein Ende zu machen. Meine Mitspieler kommen auf den Platz. Niemand merkt etwas.

Es ist 2007. Wir haben seit August eine Tochter. Meine Frau macht mich darauf aufmerksam, dass ich im Schlaf immer mehr seufzen und „jiffeln“ würde. Sie ist der erste Mensch, mit dem ich – immerhin 22 Jahre nach Opas Tod – über meine Angst spreche. Ich suche mir einen Therapeuten, der allerdings keinen Zugang zu mir findet und mich mit Beerdigungsritualen gleich in der zweiten Sitzung überfordert. Die Angst bleibt, die Therapie liegt für die nächsten Jahre brach, da mein Vertrauen in eine solche Maßnahme erloschen ist. Immerhin: Ich bekomme nun ein Antidepressivum, das die Symptome bekämpft und in der höchsten Dosierung zu helfen scheint.

Der Angst auf der Spur

Herbst 2019: Ich halte es inzwischen mit Humboldt, der gesagt hat: „Was dir Angst macht, das erforsche.“ Anna, meine Frau, und ich sind auf dem Heimweg von einem Besuch bei Freunden. Ich fasse den Mut, ihr endlich genauer zu erzählen, was mich bedrückt und ängstigt. Das hätte ich längst tun sollen. Wir sprechen darüber, wie wir uns den Tod vorstellen, wie wir bestattet werden wollen. Ein kleiner Knoten im Geflecht meiner Angst löst sich.

Ich bin Anfang 20, fahre allein mit dem Auto durch die Gegend, an einem Wald vorbei, in dem ich hin und wieder jogge. Aus dem Nichts kommt das beklemmende Gefühl, dass ich den Wald, wenn ich jetzt sterbe, nie wieder sehen, die Bäume bei Wind rauschen hören oder die Tannennadeln riechen könnte. Hilflosigkeit! Ich fahre an den Rand, schreie, flehe zu Gott. Mit Menschen teile ich meine Angst nicht. Ich will kein „Psycho“ sein!

Spätsommer 2008, das Telefon klingelt, der Pastor. Ich hätte doch eine besondere Verbindung zur Kirche, sagt er. Ob ich nicht Lust hätte, im Kirchenvorstand mitzuarbeiten, fragt er. Er hat ja einen ganz guten Draht „nach oben“, denke ich. Warum nicht, frage ich mich und sage zu. Der Einsatz in der Kirchengemeinde, die Gemeinschaft mit Menschen, die im Glauben verbunden sind, die vielen neuen Menschen in meinem Umfeld und vor allem die intensive Auseinandersetzung mit den Geschichten der Bibel geben mir Kraft. Die Angst ist noch da, aber auch eine neue Möglichkeit, mich ihr zu stellen. Ich kann im Laufe der Jahre die Dosierung meines Medikaments um die Hälfte reduzieren. Gott sei Dank!

Gespräch mit Oma

Mit meiner Mutter sitze ich im November 2019 an ihrem Wohnzimmertisch. Ich habe Fragen. Wie stelle ich die nur, ohne ihr das Gefühl zu geben, ihr Vorwürfe zu machen? Sie weiß, dass es um Opas Tod geht. Ich muss das aufräumen, Fragen loswerden. Meine Wahrnehmung der Situation 1985 scheint zu stimmen. Ich lerne, dass Oma nicht wollte, dass sich jemand – auch nicht die Kinder – vom toten Opa verabschiedet. Was, wenn sich das Bild des toten Opas an die Stelle der positiven lebendigen Erinnerungen gestellt hätte? Davor hatte sie Angst. Niemand hat das in Frage gestellt. Im Trauergottesdienst hatten Kinder damals nichts zu suchen. Tod – ein Tabuthema! Mein Angstthema!

Während meiner Therapie stoße ich auf kleine Texte, die mir Mut machen. In einem heißt es, dass man sich in einer fremden Stadt verloren fühlt. Aber wenn ich in dieser Stadt nur einen Menschen kenne, der mich an die Hand nimmt und mir die Stadt zeigt, dann bin ich nicht mehr verloren. So ist es auch mit dem Tod. Jesus wartet auf mich und nimmt mich an die Hand. Mir gefällt dieser Vergleich.

Sprechen hilft zu leben

Als Kind habe ich nicht viele Fragen gestellt. Ab und zu mal gefragt, wo Opa jetzt ist. „Mein lieber Opa!“, hab ich immer gesagt, gefehlt hat er mir schon, vielleicht mehr als den anderen Kindern. Auffällig ist, dass ich ansonsten eher unauffällig war. Ich habe das mit mir ausgemacht, allein. Nah am Wasser gebaut war ich während meiner gesamten Kindheit. Manchmal war ich besonders albern, habe „schwierige Situationen“ mit Humor überspielt. Das Tabu, über Angst und Tod zu sprechen, war für mich – aus heutiger Sicht – immer präsent. Endlich kann ich darüber sprechen. Ich bin erleichtert.

Charlotta ist inzwischen 12 Jahre alt. Sie verbringt auf eigenen Wunsch ein halbes Jahr in Frankreich, lernt dort nicht nur eine andere Sprache kennen. Sie ist so mutig! Ich bin stolz, dass meine Tochter so stark ist. Und wenn sie mal auf ein Problem stößt – 1.500 km von zu Hause entfernt –, dann betet sie.

Oma stirbt

Ich merke, wie ich ein Stück loslassen kann. Wenn ich jetzt von einem Bus überfahren werde, dann hinterlasse ich eine selbstbewusste Tochter, die ihren Weg durchs Leben finden wird. Das haben Anna und ich gut gemacht. Ich beschließe mit meiner Therapeutin, die Dosis meines Antidepressivums zu halbieren.

10. September 2011: Oma ist tot, friedlich eingeschlafen in ihrem Geburtshaus. Sie liegt in ihrem Pflegebett, starr, mit einem Lächeln im Gesicht. In den Gottesdienst möchte Charlotta nicht mitkommen. Sie hat Uroma ja schon „Tschüs“ gesagt, als Pastor Hansen sie zu Hause ausgesegnet hat. Das war schön. Und wenn doch noch einmal die Trauer zurückkommt, lässt sie es einfach raus, stellen wir später fest. Ich bin etwas neidisch.

Kein Antidepressivum mehr

Was mir wohl geholfen hätte damals? Ein persönlicher Abschied? Der Hinweis, dass ich mich an Gott wenden darf? Die Aufmerksamkeit meiner Familie? Die Begleitung meiner Trauer durch Fachkräfte?

2020 steht vor der Tür. Seit 12 Tagen nehme ich kein Antidepressivum mehr. Verlorene Emotionen kämpfen sich – manchmal unkontrollierbar – in mein Leben zurück. Sind das Tränen? Die habe ich lange nicht auf meinen Wangen gespürt. Ich habe Menschen um mich, die mich lieben und verstehen, mir zuhören.

Ich bin Till, 40 Jahre alt. Ich bin mutig.

„Kinderängste sind kein Kinderkram!“

Wenn die Angst eines Kindes überhandnimmt, sollten Eltern abklären lassen, ob es sich um eine Angststörung handelt. Immerhin leiden zehn Prozent aller Kinder und Jugendlichen darunter. Verena Pflug ist Kinder- und Jugendlichen-Psychologin und leitet die KibA-Studie „Kinder bewältigen Angst“ an der Ruhr-Universität Bochum.

Weiterlesen