Sommerferien: Was sie so wichtig macht

Von den Kindern werden sie sehnlichst erwartet, die Eltern sehen ihnen oft mit gemischten Gefühlen entgegen: die Sommerferien. Warum sie so wichtig sind und wie man sie gestalten kann.

Das Kind schultert seinen Schulranzen und geht aus dem Haus. In der Tür stehen die Eltern und sobald der Nachwuchs außer Sichtweite ist, strecken sie ihre Arme in die Luft und brechen in Jubel aus. Videos und Fotos mit ähnlichen Szenen füllen jedes Jahr die sozialen Netzwerke, wenn die Sommerferien zu Ende sind. Ich kann das gut verstehen, denn spätestens ab Ferienwoche sechs sitze ich selbst da und zähle die Tage, bis der Alltag wieder in normalere Bahnen kommt. Doch genauso sehr freue ich mich Jahr für Jahr wieder darauf, dass die großen Ferien endlich beginnen. Ich bin ein Fan dieser unverplanten Zeit.

BARFUSS ÜBER TERRASSENFLIESEN

Ich erinnere mich bis heute sehr lebhaft an diese Tage, als ich selbst noch ein Kind war. Sechs Wochen, in denen ich mir keine Sorgen ums Lernen machen musste. Sechs Wochen, in denen es keine Hausaufgaben gab, keine Noten, keinen morgendlichen Stress. Stattdessen gab es ein Planschbecken im Garten, Eis aus der Gefriertruhe und Übernachtungen bei Oma. Ich habe diese Zeit geliebt. Wenn ich heute darüber nachdenke, erinnere ich mich an Radtouren zur Fulda mit meinem kleinen Bruder. Dort angekommen, haben wir mit Chips und Trinktütchen auf einem Brückenpfeiler gesessen und uns meine Walkman-Kopfhörer geteilt. Die großen Fragen dieser Tage waren, ob Papa wohl am Abend den Rasensprenger noch einmal anstellen wird und wann wir das nächste Mal grillen. Wir haben Zelte aufgebaut und mit Freunden im Garten übernachtet, haben Tennis auf der Straße gespielt oder sind bei schlechtem Wetter mit Spielzeugautos im Flur Rennen gefahren. Diese Zeit war wertvoll, das beweist allein schon die Tatsache, dass ich mich so gut daran erinnern kann. Noch heute weiß ich, wie es sich anfühlte, barfuß über die Terrassenfliesen meiner Eltern zu laufen, eine Schüssel frisch gepflückter Erdbeeren in der Hand, und ich weiß noch, wie sie geschmeckt haben, wenn wir sie mit Dosenmilch und Zucker gegessen haben. In diesen Wochen habe ich losgelassen und aufgetankt, ich habe Momente für die Ewigkeit gesammelt und Herzensbünde mit meinem Bruder, meinen Cousins, Cousinen und Kindern aus dem Ort geknüpft.

BESSER NUR VIER WOCHEN?

Heute wird der Wert dieser langen freien Zeit in Frage gestellt. Auf den ersten Blick zu Recht. Denn immer weniger Familien verfügen über Strukturen, die es möglich machen, dass Kinder so viele Wochen am Stück zu Hause sein können. Wenn beide Eltern berufstätig sind und Großeltern nicht in der Nähe, bleiben oft nur noch kostspielige Betreuungsangebote. Wenn diese nicht verfügbar oder zu teuer sind, müssen Eltern den Jahresurlaub getrennt voneinander nehmen, um die vielen Wochen abdecken zu können. Dann sind die Kinder zwar zu Hause, doch die Familie hat keine Zeit miteinander. Kein Wunder, dass Eltern sich manchmal wünschen, die großen Ferien wären kürzer. Doch die Frage nach Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist nicht das Einzige, was viele Eltern und Pädagogen heute an den langen Sommerferien zweifeln lässt. Auch die Frage, ob es bildungspolitisch sinnvoll ist, dass Kinder so lange am Stück schulfrei haben, wird diskutiert. Unsere Kinder vergessen während der Sommerferien viel von dem, was vorher gelernt wurde, heißt es oft. Und Lehrer müssten in den ersten Schulwochen wertvolle Zeit mit Wiederholung verbringen. Viele halten daher eine Ferienlänge von vier Wochen für sinnvoller.

TRÄUMEN UND HÖHLEN BAUEN

Dabei wird übersehen, dass Kinder diese Zeit benötigen. Ihr Alltag ist vollgestopft. Oft sind unsere Kinder schon in jungen Jahren eng getaktet, und zwischen Schulaufgaben, Nachmittagsprogramm und Abendessen bleibt wenig Raum für freies Spiel und Muße. Sie dürfen wenig selbstbestimmte Zeit und kreative Langeweile kennenlernen. Bereits Grundschulkinder stehen unter Stress. Lange Erholungsphasen tun ihnen genau deshalb gut. Die Sommerferien sind eine Möglichkeit, Erfahrungen zu machen, die man nur außerhalb von Klassenräumen und Unterrichtsfächern machen kann. Langfristig wirkt sich dies positiv auf ihren Lernerfolg aus.

Der Umgang mit freier Zeit ist etwas, das unsere Kinder lernen sollten. Selbst Herr über unsere Zeit zu sein, überfordert selbst uns Erwachsene manchmal. Viele Kinder lernen es heute gar nicht erst kennen. Ihre Tage sind durchgeplant, die Wochen bestehen aus Ganztagsbetreuung und Vereinsleben, aus Nachhilfe und von den Eltern organisierten Verabredungen. An den Wochenenden finden Turniere statt und am Sonntag ist Kindergottesdienst. Die Sommerferien sind ein guter Anlass, diese Logik zu durchbrechen. Am Anfang mag es für uns Eltern anstrengend sein, weil wir uns gefordert fühlen und die Zeit in gewohnter Manier füllen wollen. Es liegt aber ein großer Gewinn für alle Seiten darin, dies nicht zu tun. Vielmehr können wir uns darauf verlassen, dass unsere Kinder selbst etwas finden. Vielleicht legen sie Schlafanzugtage ein. Vielleicht vertiefen sie sich in Bücher oder suchen in der Nachbarschaft nach anderen Kindern. Vielleicht nutzen sie die Zeit zum Träumen oder zum Höhlebauen. Auf jeden Fall werden sie bald selbst merken, wie gut es ihnen tut, wirklich FREIzeit zu haben und loszulassen. Sie werden dieses Wissen mit in ihr weiteres Leben nehmen, und es erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass sie als Erwachsene für sich und ihre freie Zeit sorgen. Auch was das Vergessen von Schulstoff angeht, darf man den langen Ferien entspannt gegenüberstehen. Zwar zeigen Studien, dass es tatsächlich einen Wissensverlust gibt. Aber Wiederholungen am Schuljahresanfang sind ohnehin notwendig, um Schüler und Schülerinnen wieder auf ein gemeinsames Ausgangsniveau zu bringen. Dazu kommt, dass Pausen und Wiederholungen zu einem Lernprozess dazugehören und dass sich Gelerntes dadurch langfristig sogar besser festigt.

HERZENSMOMENTE SCHAFFEN

Es lohnt sich deshalb, wenn wir Eltern uns frühzeitig darüber Gedanken machen, wie wir die Ferien gestalten wollen und wer uns dabei helfen kann. Vielleicht können sich mehrere Familien die Kinderbetreuung teilen, sodass mal bei dem einen und mal bei dem anderen Kind gespielt werden kann. Wenn Großeltern weiter entfernt wohnen, freuen sich ältere Kinder oft darüber, eine längere Zeit am Stück bei ihnen verbringen zu können. Und vielleicht gibt es ja in der Nachbarschaft ältere Menschen, die Lust haben, mal ein Auge auf die Kinder zu werfen.

Doch Sommerferien sollten auch Beziehungszeit sein. Egal, ob Familien gemeinsam in den Urlaub fahren oder die Zeit zu Hause verbringen – sie sollten sicherstellen, dass sie einen Teil der Zeit gemeinsam verbringen können. Den Jahresurlaub so zu planen, dass nicht nur die Ferienzeiten abgedeckt werden, sondern alle gemeinsam Spaß haben können, macht Sinn. Wenn es dafür nötig ist, auf externe Betreuungsangebote zurückzugreifen, müssen das nicht unbedingt pädagogisch hochwertige Programme sein. Das Zelt auf der grünen Wiese mit ein paar netten Betreuern reicht völlig aus. Bei der Gestaltung von Sommerferien sollten die Prioritäten klar sein: faulenzen, Freiheit genießen und Herzensmomente schaffen. Das sind die Dinge, die sich bei unseren Kindern einprägen. Vielleicht ist es nicht das Gefühl, barfuß auf Terrassenfliesen zu laufen und nicht der Geschmack von Erdbeeren mit Dosenmilch, woran sich unsere Kinder einmal erinnern, sondern etwas völlig anderes. Hauptsache, ihnen bleiben die großen Ferien als Zeit in Erinnerung, in der alles ein bisschen leichter sein durfte.

Daniela Albert ist Erziehungswissenschaftlerin und Eltern- und Familienberaterin. Sie lebt mit Ihrem Mann und drei Kindern in Kaufungen bei Kassel und bloggt unter eltern-familie.de.

Auf dem Weg zum Ideal

Warum Ideale eine gute Motivation sein können. Und wo ihre Grenzen liegen. Von Mirjam Groß

Als unser erstes Kind unterwegs war, machten wir uns manche Gedanken und einige Anschaffungen, um uns auf den Neuankömmling vorzubereiten. Wir waren uns schnell einig, dass wir versuchen wollten, mit Stoffwindeln zu wickeln – laut unserer Recherche war es die umweltfreundlichere, kostengünstigere Variante und hatte noch andere Vorteile. Wir kauften gebraucht einen großen Karton Windeln, Einlagen und Vlies. Nach kurzer Zeit bekamen wir im Stoffwickeln Routine und unserem Sohn schienen die „Windelpakete“ auch nichts auszumachen.

Anderthalb Jahre später war ich am Anfang meiner zweiten Schwangerschaft und mir war häufig übel. Ich fühlte mich kraftlos, hatte keinen Appetit, brauchte sehr viel Schlaf. Und ich war sehr geruchsempfindlich. Ich brachte es kaum mehr über mich, den stinkenden Windeleimer in die Waschmaschine zu räumen. Das Auf- und Abhängen der Windeln strengte mich an. Mein Mann und ich beschlossen, eine Stoffwindel-Pause einzulegen, und kauften Einwegwindeln. Als wir uns weiter auf das Leben zu viert vorbereiteten und überraschend auch noch ein Umzug anstand, wurden wir uns wenige Wochen später einig, dass wir es dabei vorerst belassen würden.

AUF DIE FINGER SCHAUEN LASSEN

Das Leben mit zwei Kleinkindern ist bunt und voll. Im Moment bin ich dankbar, nicht abends noch Windeln falten zu müssen. Im Gespräch mit anderen Eltern merke ich zwar immer wieder, dass ich eigentlich vom Wickeln mit Stoff überzeugt bin. Aber ich bin auch versöhnt mit unserer Lösung. Nur manchmal nagen Zweifel an mir: Darf ich das überhaupt? Versöhnt sein mit etwas, das die Umwelt so belastet und meinen Idealen entgegensteht?

Ich habe Angst davor, unglaubwürdig zu sein. Wer Ideale propagiert, muss sich auch auf die Finger schauen lassen. Mein Eindruck ist, dass jeder nach Idealen strebt, auch wenn diese sich durchaus unterscheiden und sich nicht jeder gleich stark daran orientiert. Aber Ideale sind hip. Die Werbung spricht nicht nur unsere Bedürfnisse an, sondern auch unser Gewissen. Von Nachhaltigkeit und Fairness über Beziehungsideale, Sauberkeit und Individualität. Das stumme Versprechen lautet dabei: „Halte dich an diese Ideale und du wirst ein gutes, zufriedenes und glückliches Leben führen.“ So sehr ich auch selbst eine Idealistin bin, muss ich gestehen, dass die Sache nicht nur einen Haken hat: Zum einen sagt der Name schon, dass wir Ideale nicht ganz erfüllen können. Zum anderen wird es um uns herum und in uns selbst immer widerstreitende Ideale geben.

DER KAMPF DER IDEALE

Grundsätzlich erlebe ich Ideale als guten Ansporn, in eine Richtung zu gehen. Der Anreiz eines gesunden Körpergefühls motiviert mich zur Bewegung an der frischen Luft. Der Wunsch, meine Kinder in die Eigenständigkeit zu führen, hilft mir, die sieben Extra-Minuten beim Anziehen einzuplanen oder zumindest auszuhalten. Dennoch fühle ich mich schon in der eigenen Familie herausgefordert zu hinterfragen, woher meine Ideale kommen: Welchen Stellenwert hat Arbeit? Woher kommt mein Ideal zum Medienkonsum? Sind diese Ideale wirklich so ideal, wie ich meine?

Sind sie von Gott eingesetzt oder Teil meiner kulturellen, familiären oder meiner Persönlichkeits-Prägung?

Dann gibt es da noch widerstreitende Ideale in mir selbst. Mein schwäbisches Ich möchte gern so günstig wie möglich einkaufen, mein sozialkritisches Ich möchte auf jeden Fall gute Arbeitsbedingungen unterstützen und mein kreatives Ich hätte das Kleid am liebsten selbst genäht.

Mein Lehrerinnen-Ich möchte eine anregende Englischstunde für die Siebtklässler entwerfen, mein Hausfrauen-Ich mahnt mich dazu, jetzt wenigstens noch die Krümel unterm Tisch zusammenzufegen und mein Achtsamkeits-Ich ruft dazwischen, dass es nach dieser Erkältung das einzig Vernünftige wäre, gleich ins Bett zu gehen.

Mein Beziehungs-Ich ist nicht bereit, den Anruf einer kranken Freundin länger vor sich her zu schieben, mein Mama-Ich sträubt sich dagegen, den kleinen Bücherwurm mit seinem Wunsch nach Sofa-Bilderbuch-Zeit wegzuschicken und mein Gottesfreund-Ich gibt zu bedenken, dass auch die Sofazeit mit Gott die letzten Tage ausgefallen ist.

Mir wird klar: Ich kann es mir selbst nicht ganz recht machen. Einer der Idealisten in mir wird immer etwas beanstanden. Ähnlich verhält es sich mit meiner Umgebung:

Auch hier wird mein Verhalten nicht die Ideale aller Mitmenschen und sogar Mitstreiter erfüllen. Das tut manchmal weh und kann sogar Freundschaften beenden. Es kann an Ehen rütteln und Gemeinden auf die Probe stellen. Und: Es kann uns selbst ins Wanken bringen.

SELBSTZWEIFEL

Ideale prägen unsere Lebensführung und auch unseren Umgang mit uns selbst. Eine Bekannte, die ich wirklich bewundere für ihr Engagement in Richtung Selbstversorgung und nachhaltigem Lebensstil, war vor einiger Zeit am Boden zerstört, als wir miteinander sprachen. Der Fuchs hatte nachts all ihre selbst aufgezogenen Hühner erwischt. Sie hatte wohl die Tür nicht ausreichend gesichert und machte sich schwere Vorwürfe. „So etwas darf nicht passieren – und ich bin schuld …“

Ich finde es spannend, dass häufig gerade Menschen, die sich bewusst aus gesellschaftlichen Konventionen lösen, für sich selbst anhand von Idealen neue Erwartungen schaffen, an die sie sich umso stärker gebunden fühlen. Ich glaube, das ist sogar symptomatisch für unsere Gesellschaft von Individualisten. Wenn wir im Erreichen unserer (selbstgewählten) Ideale versagen, stellen sich bei vielen von uns tiefgreifende Selbstzweifel ein. Ich jedenfalls komme häufig an den Punkt, von mir selbst enttäuscht zu sein. Ideale offenbaren uns letztlich auch immer wieder, was wir alles nicht sind und nicht können. Ich kann nur unendlich dankbar dafür sein, dass ich an dieser Stelle weiß, wo mir vergeben wird und wer mich wieder aufbauen kann. Gott hat mir schon viele Lasten abgenommen.

Im „Idealfall“, wenn wir unseren selbstgesteckten Zielen nahe kommen, können Ideale uns auch selbstgerecht machen – aber eben nicht wirklich gerecht. Nur weil ich etwas so hinbekomme, wie ich es für richtig halte, bin ich nicht ein besserer Mensch. Wie gehe ich um mit Leuten, die meine Ideale nicht teilen? Liegen sie mir trotzdem am Herzen?

LIEBE UND BARMHERZIGKEIT

Bei einem Seminar hat ein älterer Pastor uns als junge Generation herausgefordert, die Ideale Gottes für voll zu nehmen. Sein Beispiel war: Soziales Engagement ist hip wie nie in der heutigen Zeit, Engagement in diesem Bereich und bewusster Konsum selbstverständlich für viele. Worauf liegt Gottes Augenmerk? Daniels Rat lautete: „Geht den ganzen Weg mit den Menschen, die Gott so sehr liebt. Könnt ihr Menschen aus Prostitution befreien oder ihre Arbeitsbedingungen verbessern, ihrer Integration helfen? Herrlich! Dann leitet sie auch darin an, wie man zu Jesus‘ Jüngern wird. Und dann zeigt ihnen, wie sie selbst Gottes Werke tun und Menschen zu Jüngern machen können!“ Die Bibel formuliert in 1. Korinther 13: „Wenn ich all dies erreiche, habe aber keine Liebe, dann bin ich nichts.“

Mich hat das nachdenklich gemacht, weil „gute Taten“ dann nicht mehr Selbstzweck sein können. Darüber kann und sollte ich mich nicht definieren. Alle Ideale müssen sich daran messen lassen, ob sie Gott Freude machen und Menschen (inklusive mir selbst) dienen. Wir können nicht wählen zwischen Idealen und Liebe. Wir brauchen beides. Wir brauchen das Bild vom großen Ganzen, das unser Tun motiviert. Wir brauchen Barmherzigkeit, um mit anderen Arm in Arm unterwegs zu sein, trotz derer und unserer Unvollkommenheit.

Daher will ich mich fragen: Verfolge ich ein Ideal, weil ich mich von anderen abgrenzen möchte? Brauche ich es, um mein Selbstwertgefühl wieder aufzurichten? Muss ich mir oder anderen damit etwas beweisen? Oder kann ich mit diesem Ideal Menschen lieben, wie Gott sie liebt? Meine Familie zum Beispiel mit vollwertigem, gesundem Essen – aber auch mit einer Nachtisch-Milchschnitte.

DER OBERSTE LEITSTERN

Für mich lösen sich Ideale damit von dem Anspruch, „erfüllt“ zu werden. Es geht darum, in eine Richtung unterwegs zu sein und nicht darum, das Ziel schon erreicht zu haben. Denn das ist in den meisten Fällen unmöglich. Wenn Liebe meine Motivation ist, dann bleibt es nicht bei guten Vorsätzen. Liebe ist tätig. Ich kann immer wieder an mir arbeiten und meine bisherige Routine überdenken. Dabei sind für mich als Nachfolgerin von Jesus aber Ideale nicht mein oberster „Leitstern“ – das ist und bleibt Gott selbst. Er möchte auch nicht, dass ich nach meiner Befreiung durch ihn wieder Sklave von Idealen werde. Ich bin so dankbar, dass Jesus nicht nur ein Ideal zur Orientierung ist, sondern eine Person. Ich werde zwar in diesem Leben nie seine Vollkommenheit erreichen, aber ich darf mit ihm in Beziehung leben und von ihm persönlich lernen – das ist besser als jede Idealvorstellung, an der ich mich orientieren könnte, weil er mich schon jetzt so annimmt, wie ich bin. Das motiviert mich am meisten!

Ich bin also nicht in erster Linie, was ich vielleicht gerne wäre:

  • eine Super-Mama
  • eine Künstlerin
  • eine Gesellschaftsaktivistin
  • eine Umweltschützerin
  • eine Selbstversorgerin
  • die beste Ehefrau

Ich bin in erster Linie ein geliebtes Geschöpf. Das macht mich fähig, andere zu lieben. Es macht mich auch fähig, viele Entscheidungen in Richtung guter Ideale zu treffen. Ich bin aber auch dann ein vollkommen geliebtes Geschöpf, wenn ich das nicht schaffe. Gleiches trifft für meine Mitmenschen zu! Weder sie noch ich halten es aus, an Idealen gemessen zu werden. Abgesehen davon hat sicher keiner von uns Idealisten bisher die perfekte Balance in all den widerstreitenden Leitideen gefunden. Hier will ich lernen, barmherzig zu sein mit mir selbst und anderen, ohne die als richtig erkannten Ideale aus dem Blick zu verlieren. Und ich will auf dem Weg bleiben, offen für Veränderungen: Vielleicht wird das nächste Kind ja doch wieder mit Stoff gewickelt, wer weiß? Die Hauptsache jedenfalls ist, dass es geliebt wird.

Mirjam Groß ist Ehefrau, Mama und Lehrerin und wohnt mit ihrer Familie auf der schwäbischen Alb.

Ein Paar, zwei Perspektiven: Wärme

FROSTBEULEN

Katharina Hullen friert auch im Sommer.

Katharina: Es hat geschneit. Der Garten ist ein Winterwunderland. Ich schaue aus dem Fenster, angelockt vom fröhlichen Gequieke unserer Mädchen, die der Schnee nach draußen gelockt hat. Und da sehe ich sie: fröhlich, ausgelassen, den Schnee mit beiden Händen einander zuwerfend und schon die erste Kugel des Schneemanns über den Boden rollend. Keine von ihnen trägt eine Jacke, eine Mütze oder einen Schal! Mittendrin in diesem Gewusel mein lieber Mann, ebenfalls ohne Jacke, wild verstrickt in eine tobende Schneeballschlacht.

Ist es wirklich nur das Mutter-Gen, das es mir unmöglich macht, nur diesen schönen idyllischen Moment zu sehen? Ich will auch da raus und zwar beladen mit Jacken, Mützen, Schals und der Ansprache, dass man bei -2 Grad nicht ohne Winterkleidung das Haus verlässt! Immerhin haben es die Füße doch auch noch in die Winterstiefel geschafft!

Habe ich einfach nur ein anderes Temperaturempfinden als der Rest meiner Familie? Das könnte sein: Alle anderen laufen immer auf Socken und in T-Shirts in der Wohnung herum, ich trage stets meine Hausschuhe und gerne noch eine Strickjacke über dem Pullover.

Hauke bringt oft nachts um eins zu jeder Jahreszeit den Müll im T-Shirt nach draußen, deckt im Winter dabei noch die Frontscheibe des Wagens ab und füllt kurzerhand den Frostschutz nach. Ich friere, während ich das hier schreibe! Liegen wir dann im Bett, habe trotzdem ich die kalten Füße – wie kann das sein?

Hauke ist bestimmt auch naturverbundener als ich. Er liebt es, im Sommer nachts im Garten zu liegen – auf einer Decke – und einfach in den Himmel zu sehen. Ich liege zwar neben ihm – aber zugedeckt bis an die Nasenspitze. Ich sehe auch den Himmel – und ich höre! Ich höre alles kriechen, sirren, knistern um unsere Decke herum! Und auch wenn wir im Haus sind, hätte mein Liebster gerne nachts die Rollläden oben, die Fenster geöffnet. Er möchte die Welt sehen und hören, die da draußen ist. Ich persönlich möchte nachts weder sehen noch hören, was da vor sich geht, oder gar selbst gesehen werden.

Vermutlich liegt mal wieder aller Unterschied in der Kindheit begründet. Ich wuchs in einem alten Haus mit zugigen Fenstern auf. Mein Wellensittich musste sich mühsam gegen Windstärke 3 auf seiner Stange halten, während ich neben ihm mit wehendem Haar meine Hausaufgaben am Schreibtisch erledigte. Ich hatte immer kalte Füße, und die Wärmflasche war mein täglicher Begleiter. Jetzt haben wir eine Fußbodenheizung – was für ein Geschenk!

Fünf Wohnungseinbrüche habe ich inzwischen auch miterlebt. Daher sicher mein Wunsch, bei Dunkelheit die Schotten dicht zu machen. Hauke wuchs im 4. Stock eines großen Hauses mit vielen Menschen darin auf. Er ist ein großer, starker Mann, der im Zweifel jeden Einbrecher überragt. Und trotzdem lässt er mir zur Liebe die Rollos runter.

Was für ein Geschenk, dass ich so einen coolen Mann habe!

Katharina Hullen (Jahrgang 1977) ist Bankkauffrau und Dolmetscherin für Gebärdensprache in Elternzeit. Sie und Ehemann Hauke haben fünf quirlige Kinder und leben in Duisburg. Gemeinsam bilden die beiden das Kirchenkabarett „Budenzauber“.

HITZEWALLUNGEN

Hauke Hullen lebt in einer Trockensauna.

Hauke: Der Mensch gilt als Krone der Schöpfung, und auch wenn vorerst unklar bleibt, ob der Frau oder dem Mann dabei die Rolle der Kronjuwelen zufällt, so soll doch auf jeden Fall an dieser Stelle festgehalten werden: eine Frau ist ein wahres Wunder!

Frauen arbeiten doppelt und jammern nur halb so viel wie Männer, Frauen sorgen für soziale Wärme in Familie und Gesellschaft und sichern seit Jahrtausenden buchstäblich das Überleben unserer Spezies, während Männer zumindest Teilen der Menschheit immer wieder den Garaus machen wollten.

Doch gerade weil Frauen im Allgemeinen und meine Frau im Besonderen mit so vielen wunderbaren Eigenschaften ausgestattet sind, fällt es besonders schmerzhaft auf, dass bei der Konstruktion dieses Modells ein wichtiges Bauteil vergessen wurde: ein funktionierender Temperaturfühler!

Katharina ist es immer zu kalt – darum sind wir die besten Kunden unseres Energieversorgers. Unser Schlafzimmer ist von der allgemein empfohlenen Schlaftemperatur ungefähr ein halbes Kohlekraftwerk weit entfernt. Und trotz flauschiger Bettwäsche, langer Schlafanzüge und einer zusätzlichen Wolldecke über der Bettdecke benutzt mich Kathi abends regelmäßig als menschliche Wärmeflasche und schiebt ihre kalten Füße auf meine Seite des Bettes. Das fühlt sich so an, als ob ein Gletscher kalbt.

Die Fröstelei der besten Ehefrau von allen ist also keine Einbildung, sondern wortwörtlich gefühlte Wahrheit. Dummerweise überträgt sie ihr Empfinden auch auf den Rest der Familie, nach dem Motto: „Zieh dir eine Jacke an, mir ist kalt!“ Wenn wir mit unseren Kleinkindern das Haus verlassen, sehen sie stets aus wie Michelin-Männchen, auch wenn die Expedition schon vor der Garage im guttemperierten Auto endet. Und was die Kids im Winter draußen anziehen sollen, darüber will ich erst gar nicht reden!

Um die Wärme im Haus zu halten, müssen die Fenster natürlich geschlossen bleiben. So bleibt nicht nur die Kälte draußen, sondern auch Mücken, Einbrecher und Sauerstoff. Selbstredend werden auch am späten Nachmittag die Rollläden heruntergelassen – wahrscheinlich damit das kalte Licht der Gestirne nicht in unsere Wohnung scheint.

So liege ich dann nächtens in unserem licht- und luftdicht verschlossenem Schlafzimmer, von Hitzewallungen gequält, und denke über meine wunderbare Frau nach. Tatsächlich: Während ich stöhnend vor mich hin fiebere, erträgt sie unsere Trockensauna, ohne zu jammern. Sie sorgt täglich aufs Neue für ein warm(herzig)es Klima in unserer Familie. Und mit ihrem „Heizung-hoch-und-Rollo-runter“-Tick sorgt sie womöglich wirklich für das Überleben unserer Sippe. Ein dick vermummter Einbrecher kann und will hier nicht hinein! Und erfrieren wird sowieso keiner.

Was habe ich für eine coole Frau!

Hauke Hullen (Jahrgang 1974) ist Lehrer für Deutsch und Sozialwissenschaften. Er und Ehefrau Katharina haben fünf quirlige Kinder und leben in Duisburg. Gemeinsam bilden die beiden das Kirchenkabarett „Budenzauber“.

Wie lange darf sie ausgehen?

„Unsere Tochter (15) trifft sich am Wochenende oft mit ihren Freundinnen aus dem Sportverein. Manchmal im Vereinsheim, manchmal bei einem Mädchen zu Hause. Die anderen Eltern holen ihre Kinder oft erst um 24 Uhr ab! Das ist uns zu spät. Sehen wir das zu eng?“

Während die Tochter von nächtlichen Aktionen mit ihren Freunden schwärmt, wird ihrer Mutter flau: Was da alles passieren kann! Dabei ist besonders nachts das Entdecken von Freiräumen spannend und reizvoll für Teens. Nicht umsonst sind nächtliche Aktivitäten auf Klassenfahrten und Freizeiten so beliebt.

Aus dem Kindlichen herauszuwachsen, heißt auch, sich einige und besonders gern nächtliche Zeiträume zu erschließen. Teenager nehmen in ihrem Leben viele Unsicherheiten wahr. Das führt dazu, dass sie sich Zonen suchen, in denen sie selbst Gestalter des Lebens sein können. Das noch kindliche Verhalten steht dabei oft mit dem sich erst noch zu entwickelnden Gefahrenbewusstsein in Konflikt.

DIE ELTERN ENTSCHEIDEN

Für Sprüche wie „Wer unter 18 Jahre alt ist, gehört nach 22 Uhr ins Elternhaus!“ gibt es rechtlich gesehen keine Grundlage. Grundsätzlich entscheiden die Eltern, wie lange ihr Kind außer Haus bleiben darf – und wo. Das Jugendschutzgesetz regelt nur die Anwesenheit an bestimmten Orten. Das Treffen zu Hause oder in einem geschützten Rahmen wie im Vereinsheim gilt nicht als „jugendgefährdend“.

Mit 15 Jahren kann ein Teenager auch durchaus mal bis 23 Uhr oder bei einem Geburtstag bis halb eins bleiben, gerade wenn Schritte Richtung Volljährigkeit getan werden sollen. Dass Absprachen zwischen Eltern und Teenagern eingehalten werden, ist dabei oberste Priorität. Das gilt auch für das Angebot, dass Sie ihre Tochter jederzeit von einem Treffen mit Freunden abholen können. Dies ist in der Phase des Ausprobierens sehr wichtig, um dem Teenager Sicherheit zu geben.

BEZIEHUNG GEHT VOR

Das Verschieben von Lebensräumen in die tiefe Nacht hat bei vielen Eltern zu einer großen Gleichgültigkeit und Hilflosigkeit geführt. Nicht selten fahren nun 13-Jährige um ein Uhr nachts allein Zug oder radeln durch Feldwege. Reden Sie mit Ihrer Tochter über mögliche Gefahren, über Ihre Sorgen und Unsicherheiten – am besten in einem entspannten Moment und nicht direkt nach ihrer Anfrage für die nächste Party. Vielleicht kann sie in einem Gespräch deutlich machen, mit wem sie eine gute Zeit hat und bei welchen Treffen sie wegen des Alkoholgenusses der anderen irgendwann ein mulmiges Gefühl bekommt.

Jedoch wenn die Eltern durch das Setting das Treffen als „unsicher“ einstufen, können sie die Zeiten des Endes festlegen. Damit der junge Mensch dabei ernstgenommen wird, sollte es nicht darum gehen, dass Eltern ihre Macht demonstrieren. Der Satz: „Solange du deine Füße unter meinen Tisch …“ hat bis heute keine beziehungsfördernde Komponente. Eine Art Voranmeldung der Abend- oder Wochenendgestaltung vom Teenager kann den Eltern Zeit geben, eine Meinung zu bilden. Das Diskutieren ohne zeitlichen und hormonbeladenen Druck hilft, bis zum Treffen einen Konsens zu finden. In allem gilt: Beziehung geht vor!

Stefanie Diekmann ist Pädagogin und Autorin und lebt mit ihrer Familie in Göttingen.

 

Medien als Erziehungsmittel?

„Wir setzen unser Tablet und Smartphone immer öfter als Belohnung oder Bestrafung für ein bestimmtes Verhalten bei unseren Kindern ein. Das hat sich in den letzten Monaten so eingeschlichen, aber wir wollen es ändern. Welche Alternativen gibt es?“

Was früher der Stubenarrest war, ist heute das Smartphone-Verbot – eine Sanktion, welche die Kinder empfindlich treffen soll. Doch statt einer Verhaltensänderung bleiben häufig Frust, Spannungen und Enttäuschung im Familienleben zurück. Im Umgang mit Verboten oder Verstärkern ist es wichtig, dass die Kinder die Familienregeln kennen. Bevor Sie Medien also als Erziehungsmittel einsetzen, fragen Sie sich, ob Sie darüber gesprochen haben, was passiert, wenn das Zimmer unordentlich ist, Ihr Kind schwindelt oder jemandem weh tut.

NACHVOLLZIEHBARE KONSEQUENZEN

Handeln Sie nie aus Ärger oder Wut heraus. Solche Strafen sind häufig ungerecht. Wenn Ihr Kind beispielsweise nicht sorgfältig mit seinen Schulsachen umgeht, dann ist die Versuchung groß, Strafen zu verhängen wie: „Du darfst die ganze Woche nicht mehr an den Computer!“ Eine fairere Konsequenz wäre es, Ihr Kind die Dinge reparieren zu lassen, um die Situation selbst in Ordnung zu bringen.

Die Konsequenz muss einen logischen Bezug zum Fehlverhalten haben. Ein Kind ist übermütig und zerschlägt die schöne Kaffeetasse. Sie sind enttäuscht und rufen: „Keine Spiele mehr am Handy!“ Besser wäre es, wenn das Kind hilft, die Scherben aufzukehren oder etwas von seinem Taschengeld abgibt. Ein Handyverbot ist dann sinnvoll, wenn Kinder sich nicht an Vereinbarungen halten, zum Beispiel zu lang oder heimlich spielen oder ein unerlaubtes Spiel herunterladen. Das Kind muss spüren, dass es mit seinem Verhalten die Situation beeinflussen kann.

MEDIEN GEMEINSAM NUTZEN

Bevor das Smartphone entzogen wird, weil die Hausaufgaben unsauber oder unvollständig sind, unterstützen Sie Ihr Kind lieber. Schaffen Sie eine positive Lernatmosphäre und erklären Sie, was es bedeutet, wenn die Hausaufgaben wiederholt werden müssen: „Schade, jetzt ist es schon so spät. Nun kannst du nicht mehr spielen.“ Überlegen Sie, ob die Konsequenzen realistisch sind. „Wenn du deinen Bruder ärgerst, darfst du nie wieder das Tablet haben.“ Wirklich? Ein Verbot ohne (umsetzbare) Konsequenz macht uns unglaubwürdig, und die Kinder nehmen unsere Drohungen nicht ernst.

Man kann Medien auch nutzen, um zu belohnen. Gut dosiert kann es sogar eine Motivation sein! Überraschen Sie Ihr Kind mit einer Extraspielzeit, wenn Dinge besonders gut liefen („Du hast die ganze Woche deine Sportsachen aufgeräumt, du darfst 30 Minuten länger spielen“). Kombinieren Sie eine Belohnung mit gemeinsamer Zeit, indem Sie zusammen zocken. Viele Games haben interessante Storys – lassen Sie sie sich erklären. Kinder finden es toll, wenn sie Experten sein dürfen. Für viele Spiele gibt es Zeitschriften – stöbern Sie darin. Im Internet findet man Papercraft-Anleitungen für Minecraft oder Starwars. Bauen Sie gemeinsam ein Szenario nach, fotografieren Sie es oder machen Sie Videos. Dann ist das Smartphone nicht Mittelpunkt einer Aktion oder ein Machtinstrument, sondern ein sinnvolles Werkzeug.

Susanne Ospelkaus ist Ergotherapeutin. Sie lebt mit ihrer Familie in Zorneding bei München und bloggt unter www.susanne-ospelkaus.com
Illustration: Sabrina Müller

 

 

 

Liebe lässt sich nicht erzwingen

Wenn die 16-jährige Tochter das Elternhaus verlässt, reißt sie ein tiefes Loch …

Wir haben vor knapp zwei Jahren von heute auf morgen den Kontakt zu unserer ältesten Tochter verloren. Sie hatte aus verschiedenen Gründen immer mehr Zeit außerhalb unserer Familie verbracht. Bedingt durch mehrere schwere gesundheitliche Ereignisse in unserer Familie hatten wir nicht genug registriert, dass sie sich auch emotional von uns distanziert hatte. Die Auslöser waren sehr unterschiedliche Auffassungen zu Themen wie Freiheit, Sexualität und Glaube. Ohne dass wir es geahnt haben, hat unsere Tochter sich entschieden, auszuziehen und den Kontakt zu beenden.

In den ersten Wochen standen wir völlig unter Schock. Ich konnte kaum schlafen. Ich habe alles hinterfragt, ständig lief das Kopfkino auf und ab. Ich habe versucht, für die anderen Kinder zu funktionieren. Abends saß ich oft im Zimmer unserer Tochter und habe laut geweint. Ich schrie zu Gott, dass ich diesen Schmerz, diese Ohnmacht, diese Sehnsucht und dieses Ausgeliefertsein nicht aushalte. Es waren Stunden der Verzweiflung, der Wut, des Zerbruchs. Und dazwischen immer wieder die Bilder aus glücklichen Zeiten, die im ganzen Haus an den Wänden hängen …

ZERREISSPROBE
Ich kann Gott nur von Herzen danken, dass er mir seine Engel in Form von anderen Christen geschickt hat. Sie hatten offene Ohren zum Zuhören und beteten für uns. Und es waren oft nicht die Worte, sondern das Händedrücken oder die Umarmungen, die uns großen Trost gespendet haben.

Wir haben natürlich versucht, unsere Tochter zurückzugewinnen. Ein großes Problem war, dass mein Mann und ich sehr unterschiedliche Sichtweisen hatten. Ich bin eher der geradlinige Sturkopf, er der kompromissbereite Grenzenöffner. Was sich bisher ergänzt hatte, wurde nun zur Zerreißprobe. In diesem Punkt mussten wir viel lernen, hatten Kämpfe und Tiefschläge zu tragen und wissen heute, dass wir auch die kleinsten Entscheidungen nur gemeinsam treffen.

Ein großes Gefühl war auch die Hilflosigkeit, nichts tun zu können. Ich bin der Typ von Frau, die immer alles im Griff zu haben scheint. Hier war es an der Zeit einzugestehen, dass nichts mehr läuft und ich nur Gott alles vor die Füße werfen kann. Trotz unseres Kampfes bleibt am Ende nur eine Einsicht: Liebe, Dankbarkeit und Zugehörigkeit lassen sich nicht erzwingen. Trotz ihres minderjährigen Alters und obwohl wir nicht wissen und wussten, welchen Einflüssen sie ausgesetzt ist, blieb als einzig vernünftige Wahl, unsere Tochter loszulassen.

Wir haben sie losgelassen im Wissen, dass sie in Gottes Hand ist, und das ist unser gewaltiger Trost. Er lässt ihre Hand niemals los. Und er kann sie tausendmal besser führen, als wir es je hätten tun können. Dadurch wuchs unsere Zuversicht. Und wir konzentrierten uns auf die Aufgaben, die Gott für uns bereithielt. Wir haben dem Groll keinen Raum in unsere Herzen gegeben, auch wenn die Traurigkeit ein Teil unseres Lebens geworden ist. Aber die Gewissheit, dass Jesus größer ist und alles zum Guten wendet, hat uns eine tiefe innere Ruhe gegeben.

WEIHNACHTSWUNDER
Ende letzten Jahres hat sich Erstaunliches getan. Nach anderthalb Jahren stand unsere Tochter kurz vor Weihnachten überraschend vor unserer Tür. Unbeschreiblich schön und zugleich fern und befremdlich. Balsam fürs Mutterherz, das sich sofort ganz weit macht, obwohl man die Gefahr der Verletzlichkeit nur zu gut kennt. Mittlerweile reagiert sie auch auf Whats-App-Nachrichten und nimmt Einladungen an. Es gäbe viel aufzuarbeiten, und wir befinden uns auf einer vorsichtigen Reise in die gemeinsame Zukunft. Wir sind gespannt, wie Jesus uns führt und klammern uns an seine Hand.

Die Autorin möchte anonym bleiben.

Wenn Eltern aus der Haut fahren

„Mein Sohn (5) bringt mich ständig auf die Palme. Neulich hat er beim Anziehen für den Kindergarten so lange getrödelt und gemeckert, bis ich ihn am Arm gepackt und angeschrien habe. Wie kann ich meine Gefühle im Zaum halten und meinem Kind auch in Stresssituationen beherrscht begegnen?“

Diese Situation kennt jede Mutter. Wir fühlen uns total hilflos, gestresst und überfordert. Wir kommen an unsere Grenzen und schauen dabei in emotionale Abgründe, die wir bei uns nie für möglich gehalten hätten. Das erschreckt uns und wir fühlen uns furchtbar. Verurteilen Sie sich nicht. Überlegen Sie stattdessen, wie Sie es in Zukunft besser machen können.

Beobachten Sie, in welchen Situationen Sie aus der Haut fahren. Auf immer gleiche, wiederkehrende Stresssituationen kann man sich vorbereiten! Einige Fragen, die in der beschriebenen Situation helfen könnten, sind: Warum trödelt Ihr Sohn? Möchte er überhaupt in den Kindergarten? Möchte er in dem Moment lieber noch etwas spielen? Haben Sie durch Termine Zeitlimits? Gefällt ihm die Kleidung, die für ihn bereitliegt?

DIE SITUATION ENTSTRESSEN

Sie können ihn zum Beispiel selbst Kleidung aus einer begrenzten Auswahl aussuchen lassen oder ihn auch mal im Schlafanzug in den Kindergarten schicken (dies sollten Sie natürlich vorher mit den Erzieherinnen absprechen). „Ich hab’s geschafft“-Listen können die Situation spielerisch entstressen. Ein weiterer Tipp, den Stress aus der Situation zu nehmen, ist, dass Sie sich und Ihrem Kind mehr Zeit vor dem Kindergarten lassen oder aber die Zeit vorher so begrenzen, dass Ihr Kind vor dem Gehen nicht noch ins Spielen gerät. Umso schwerer fällt es ihm dann natürlich, sich davon zu lösen.

Sie können auch mit Ihrem Kind in einem ruhigen Moment darüber sprechen, dass sein Verhalten Ihnen Stress bereitet und es fragen, wie es besser laufen kann. Manchmal muss man sich auch mal die Frage stellen: Ist an dieser Stelle ein Kampf wirklich sinnvoll und nötig?

INNERLICH BIS ZEHN ZÄHLEN

Fragen Sie auch andere Eltern, wie sie in solchen Momenten reagieren, und überlegen Sie vor solchen Eskalationen, wie Sie reagieren möchten. Vielleicht gibt es auch etwas, was Ihr Stresslevel senkt – zum Beispiel ein wenig Entschleunigung im Alltagsstress, eine Haushaltshilfe oder mehr Hilfe aus dem sozialen Umfeld? Ist die Situation da, versuchen Sie, innerlich einen Schritt zurückzutreten und bis zehn zu zählen. Und – was immer gut ist – schicken Sie ein Stoßgebet zu Gott. Sie können überhaupt (auch mit anderen) für gute Ideen beten und dafür, ruhig und liebevoll zu bleiben. Ist die Situation eskaliert, sein Sie nicht zu hart zu sich selbst. Wir alle machen Fehler. Haben Sie Geduld: Elternsein ist eine große Herausforderung, aber mit der Zeit verändert sich viel: Ihre Reaktionen und auch Ihr Kind.

Genau so, wie Sie Ihr Kind um Entschuldigung bitten können, dürfen Sie auch Gott um Vergebung bitten. Er erwartet nicht, dass Sie perfekt sind. Die gute Nachricht ist, dass Gott uns trotzdem liebt und uns genau das Kind anvertraut hat, das wir erziehen können! Wenn Gott uns das zutraut, dann hilft er auch.

Antje Voß ist verheiratet, Mutter von drei erwachsenen Kindern und arbeitet als Hebamme in Gießen. Illustration: Sabrina Müller

 

 

Was wird aus meinen Kindern, wenn …?

Dass die Eltern sterben, wenn die Kinder noch klein sind, mag sich niemand gern vorstellen. Wer aber gut vorsorgen möchte, sollte sich damit auseinandersetzen, was dann mit den Kindern passiert. Hilfreiche Tipps gibt der Rechtsanwalt Stephan Lang.

Für meine Kinder tu‘ ich alles!“ – Würde man eine Umfrage unter Eltern durchführen, kann man sich sicher sein: Fast alle Befragten würden dieser Aussage vollständig zustimmen. Warum sonst geben Eltern für den Kinderwagen der neugeborenen Tochter gut und gerne 900 Euro aus, finanzieren dem neunjährigen Sohn eine Gitarre mit Verstärker, den Gitarrenunterricht, übernehmen selbstverständlich die Fahrten zum Unterricht, außerdem zum Fußballtraining und zur Englisch-Nachhilfe und schließen für die älteste Tochter einen Bausparvertrag ab? Für die Kinder ist das Beste grade gut genug!

Deutlich schwerer fällt es Eltern jedoch, auch für unangenehme Lebenssituationen vorzusorgen. Insbesondere junge Eltern tun sich hiermit eher schwer. Die Frage: „Was wird aus meinen Kindern, wenn ich mal nicht mehr da sein sollte?“, verdrängen sie dabei meist. Immerhin tritt dieser Fall statistisch gesehen meist erst im höheren Lebensalter ein. Aber dann sind die Kinder in der Regel selbst erwachsen und unabhängig. Eltern, die „alles für ihr Kind tun“, sollten sich allerdings frühzeitig auch mit solchen unangenehmen Fragen auseinandersetzen.

Die Frage, wer sich im Falle des Todes oder anderweitiger Verhinderung der Eltern um die Kinder kümmert, ist im Familienrecht geregelt. Das Gesetz spricht vom Sorgerecht. Dieses steht meist mit der Geburt des Kindes beiden Elternteilen gemeinsam zu. Es gibt aber auch Konstellationen, in denen von Geburt an nur ein Elternteil für das Kind sorgeberechtigt ist. Durch verschiedene Umstände kann das Sorgerecht eines Elternteils im Übrigen auch entfallen beziehungsweise ruhen, etwa wenn der Elternteil geschäftsunfähig ist oder das Familiengericht feststellt, dass er die elterliche Sorge nicht ausüben darf. Die Ausgangssituation (Wem steht das Sorgerecht zu dem Zeitpunkt zu, zu dem ein Elternteil ausfällt?) ist von entscheidender Bedeutung für die Fragen, wer das Sorgerecht ab diesem Zeitpunkt erhält:

FALLKONSTELLATION 1: GEMEINSAMES SORGERECHT BEIDER ELTERNTEILE

Sind beide Elternteile für ein minderjähriges Kind gemeinsam sorgeberechtigt und verstirbt einer der beiden Elternteile, so steht das Sorgerecht dem überlebenden Elternteil zu (§ 1680 Abs. 1 BGB). Dies gilt unabhängig davon, ob die Eltern zusammen oder getrennt leben beziehungsweise verheiratet oder geschieden sind. Alleine von Bedeutung ist die Tatsache, dass beide Elternteile gemeinsam sorgeberechtigt waren.

Sind beide Elternteile für ein minderjähriges Kind gemeinsam sorgeberechtigt und versterben beide Elternteile beziehungsweise wird ihnen das Sorgerecht entzogen, wird von Amts wegen, also auch ohne Antrag, durch das Familiengericht eine Person als Vormund bestellt (§ 1773 Abs. 1 BGB). Dieser hat dann sowohl das Recht als auch die Pflicht, das Kind zu pflegen, zu erziehen, zu beaufsichtigen und seinen Aufenthalt zu bestimmen. Die landläufige Auffassung, wonach in einem solchen Fall die Paten „einspringen“ und die Erziehung und Pflege übernehmen, hat im Gesetz keine Grundlage.

Die Bestellung des Vormunds erfolgt nach dem Ermessen des Familiengerichts. Hierbei muss es allerdings den mutmaßlichen Willen der Eltern, die persönlichen Bindungen des Kindes (Mündel), die Verwandtschaft oder Schwägerschaft sowie das religiöse Bekenntnis des Kindes berücksichtigen. Hierzu soll das Familiengericht Verwandte des Kindes anhören (§ 1779 Abs. 2 und 3 BGB).

Tipp: Ein schriftlich festgehaltener Wille der Eltern hinsichtlich der Frage, wer Vormund werden soll, hilft dem Familiengericht bei der Auswahl des Vormunds erheblich weiter, selbst wenn er nicht in der erforderlichen Form verfasst ist.

FALLKONSTELLATION 2: ALLEINIGES SORGERECHT EINES ELTERNTEILS

Von der ersten Konstellation zu unterscheiden ist der Fall, in dem nur einem Elternteil das Sorgerecht für das Kind zusteht, sei es, weil ein Elternteil bereits verstorben ist, oder weil das Sorgerecht schon immer nur einem Elternteil zustand. „Allein sorgeberechtigt“ ist nicht gleichbedeutend mit „alleinerziehend“. Elternteile können gleichzeitig alleinerziehend (also die tatsächliche Erziehung und Pflege des Kindes übernehmen), aber gemeinsam (mit dem getrennt lebenden Elternteil) sorgeberechtigt sein.

Stirbt der allein sorgeberechtigte Elternteil oder ist er verhindert, die elterliche Sorge auszuüben, so bestellt auch hier das Familiengericht einen Vormund. Lebt der andere, nicht sorgeberechtigte Elternteil noch, so hat das Gericht das Sorgerecht auf den überlebenden Elternteil zu übertragen (§ 1680 Abs. 2 BGB). In zwei Fällen wird das Gericht jedoch hiervon absehen: Zum einen, wenn dies dem Wohl des Kindes widerspricht, und zum anderen, wenn die sorgeberechtigte Person eine Anordnung für diesen Fall getroffen hat.

Tipp: Gerade für diesen Fall sind die Vorsorgemöglichkeiten des sorgeberechtigten Elternteils von großer Bedeutung. Sorgeberechtigte können nicht nur festlegen, wer Vormund des Kindes werden soll, sondern auch, wer als Vormund ausgeschlossen werden soll (siehe unten).

VORSORGEMÖGLICHKEITEN

In bestimmten Fällen widerspricht die gesetzliche Regelung möglicherweise dem, was für die eigene Familienkonstellation sinnvoll ist. Wie in anderen Bereichen gibt es auch hier die Möglichkeit, für den Fall der Fälle Vorkehrungen zu treffen: Das Gesetz sieht ausdrücklich vor, dass Eltern für den Fall, dass ihr Kind einen Vormund braucht, eine Person als Vormund benennen können. Eine solche Vormundbenennung (sog. Vormundverfügung gem. §§ 1776, 1777 BGB) muss allerdings in der vorgeschriebenen Form einer letztwilligen Verfügung verfasst werden (§ 1777 Abs. 3 BGB).

Tipp: Form der „letztwilligen Verfügung“ bedeutet, dass die für ein Testament erforderliche Form eingehalten werden muss: Das Dokument muss handschriftlich verfasst und unterschrieben sein (§ 2247 BGB) oder vor einem Notar verfasst werden (§ 2232 BGB). Bei gemeinsamen letztwilligen Verfügungen durch Ehegatten genügt es, wenn ein Ehegatte das Dokument handschriftlich aufsetzt und der andere Ehegatte unterschreibt (§ 2267). Um Fehler zu vermeiden, lohnt es, sich durch einen Rechtsanwalt oder einen Notar beraten zu lassen.

Möglich ist, dass Eltern gemeinsam für mehrere Kinder einen gemeinsamen Vormund oder auch ein Ehepaar als Vormünder bestellen (§ 1775 BGB). Sollten beide Elternteile verschiedene Personen benennen, ist die zuletzt genannte Person maßgeblich (§ 1776 Abs. 2 BGB).

Das Familiengericht ist an eine Benennung durch die Eltern auch grundsätzlich gebunden und kann nur in Ausnahmefällen die benannte Person übergehen. Dies ist insbesondere nur möglich, wenn die Person als Vormund nicht geeignet ist, weil sie minderjährig oder geschäftsunfähig ist oder durch die Benennung das Kindeswohl gefährdet würde (§§ 1778 ff. BGB). Hat das Gericht eine Person als Vormund bestellt, kann diese wiederum nur in Ausnahmefällen die Übernahme der Vormundschaft ablehnen (§ 1785 ff. BGB).

ALLEINE SORGEBERECHTIGTER ELTERNTEIL

Alleine Sorgeberechtigte haben unter Umständen ein Interesse daran, dass der nicht sorgeberechtigte Elternteil im Fall der Fälle nicht Vormund des gemeinsamen Kindes wird. Durch eine Vormundverfügung kann auch für diesen Fall der nicht sorgeberechtigte Elternteil als Vormund ausgeschlossen werden (§ 1782 BGB).

Tipp: Um dem Gericht diese Entscheidung leicht zu machen, empfiehlt es sich, ausführlich und nachweisbar zu begründen, warum der andere Elternteil als Vormund nicht geeignet ist, etwa weil durch die Übertragung der elterlichen Sorge auf ihn das Wohl des Kindes gefährdet würde.

GEMEINSAM SORGEBERECHTIGTE, GETRENNT LEBENDE ELTERN

Eltern, die gemeinsam sorgeberechtigt sind, jedoch getrennt leben oder geschieden sind, können nicht verhindern, dass der überlebende Elternteil das Sorgerecht für das Kind erhält, sollte der andere sterben oder verhindert sein, die elterliche Sorge auszuüben. Ein Ausschluss des anderen Elternteils, wie bei alleine sorgeberechtigten Elternteilen, ist nicht möglich.

Tipp: Gemeinsam sorgeberechtigte Eltern können jedoch in ihrem jeweiligen Testament festlegen, dass der Nachlass, welcher der verstorbene Elternteil dem minderjährigen Kind hinterlässt, nicht der Vermögenssorge durch den überlebenden Elternteil unterliegt (§ 1638 BGB). Das hat zwar nicht zur Folge, dass dem überlebenden Elternteil die Personensorge für das gemeinsame Kind entzogen wird, allerdings hat dieser dann keinen Zugriff auf das dem Kind hinterlassene Vermögen.

Stephan Lang ist Fachanwalt für Familienrecht in Mittelhessen. Er ist seit 21 Jahren glücklich verheiratet und hat fünf Kinder.

Gesunde Grenzen setzen.

„Meine Tochter Lina (1) erkundet munter unsere Wohnung. Ich finde das grundsätzlich toll. Sie geht aber ständig an ‚verbotene Dinge‘ wie Steckdosen, die Stereoanlage oder den Fernseher. Wie kann ich ihr Bedürfnis nach Erkundung der Welt befriedigen, ohne ständig Nein sagen zu müssen?“

Die Phase, in der Sie jetzt sind, ist sowohl wunderschön als auch herausfordernd. Ihre Tochter wird mobil und sollte dafür auch möglichst viel Raum haben, denn eine Umgebung, in der sie ihren Entdeckerdrang nicht ausleben kann, nimmt ihr die Lust, sich fortzubewegen und die Welt zu erkunden.

Versuchen Sie deshalb, für Ihre Tochter einen nicht zu kleinen Raum in Ihrer Wohnung zu schaffen, in dem sie unterwegs sein kann, ohne dass sie selbst oder Ihnen wichtige Gegenstände in Gefahr geraten. Um das zu tun, empfehle ich Ihnen, sich selbst einmal auf „Babyhöhe“ zu begeben. Was sehen Sie? Was könnte interessant sein? Wo würden Sie sich gern hochziehen, wenn Sie klein wären? Was muss verändert werden, damit das gefahrlos möglich ist?

WOHNUNG BABY-SICHER MACHEN

Es kann gut sein, dass Sie Ihre Wohnung für eine Weile ein bisschen umräumen müssen. Vielleicht müssen Sie Schubladen leeren, damit Ihre Tochter beim Erkunden nicht an gefährliche Gegenstände gelangt, und vielleicht muss die Stereoanlage erstmal an einen anderen Platz. Stattdessen können Sie ihr Dinge hinstellen, die sie in die Hände nehmen darf. Töpfe, Schachteln, Plastikdosen, Holzbrettchen, Wäscheklammern oder Tücher sind ungefährlich und für Kinder in diesem Alter spannend.

Manche Bereiche Ihrer Wohnung werden Sie wahrscheinlich nicht ohne Weiteres kindersicher machen können. Dort sollten Sie mit Schutzgittern oder Ähnlichem dafür sorgen, dass Ihr Kind gar nicht erst hingelangt. Auch wenn es im ersten Moment für Sie einschränkend wirkt, Ihre Wohnung umzugestalten und Ihren Stil für eine Weile anzupassen, kann ich Ihnen sagen, dass Sie letztlich etwas gewinnen: Wenn Ihre Tochter selbstständig einen sicheren Bereich erkunden kann, gibt Ihnen das auch Freiheiten. Sie müssen nicht die ganze Zeit schauen, ob sie sich in Gefahr bringt, sondern können selbst mal einen Blick in ein Buch werfen oder sich einen Kaffee kochen, während Ihre Tochter sich in sicherer Umgebung in etwas vertieft.

AUCH EIN NEIN DARF SEIN

Trotz aller Sicherheitsvorkehrungen wird diese Phase herausfordernd bleiben. Lina wird immer mobiler, und es wird im Alltag noch oft vorkommen, dass Sie Nein sagen müssen – dazu möchte ich Sie ebenfalls ermutigen. Ein Nein ist eine wertvolle Erfahrung für Kinder. Sie lernen dadurch die Begrenzungen der Welt kennen, in der sie leben und auch die persönlichen Grenzen der Menschen, die sie dabei begleiten. Letztlich lernt sie dadurch auch, dass sie selbst Nein sagen und Grenzen ziehen darf.

Viel wichtiger als der Verzicht auf das Neinsagen ist, dass Sie Ihre Tochter mit dem verständlichen Frust, den Ihr Nein bei ihr auslöst, nicht alleinlassen. Was sie wirklich braucht, ist jemand, der sie liebevoll durch die Wut und die Traurigkeit begleitet – und gleichzeitig beim berechtigten Nein bleibt.

 

Daniela Albert ist Erziehungswissenschaftlerin und Elternund Familienberaterin. Sie lebt mit Ihrem Mann und ihren drei Kindern in Kaufungen bei Kassel und bloggt unter www.eltern-familie.de. Illustration: Sabrina Müller, www.sabrinamueller.com

 

 

„Ja, weißt du das denn nicht?“

Christian Rommert merkt, dass man nie genug miteinander reden kann..

„Nein!“, „Doch!“, „Ohhh!“ Seit zwanzig Minuten diskutieren wir nun schon und kommen keinen Schritt weiter! Ich versuche zu rechtfertigen, warum ich das dritte Wochenende in Folge unterwegs bin. Katrin hält hartnäckig dagegen. Ich fühle mich verletzt, weil ich mit dem an den Wochenenden verdienten Geld doch das Auto, das Haus und den Urlaub bezahle. Katrin sitzt auf der Palme, und ich spüre: Gleich eskaliert es. Da- mit meine ich nicht, gleich fliegt Geschirr. Das passiert nie, wenn wir uns streiten. Die höchste Eskalationsstufe ist bei uns: das Schweigen.

DEN INNEREN KOSMOS MITTEILEN

Gleich ist es sicher wieder soweit. Mich macht das total fertig. Schweigen bedeutet für mich die Höchststrafe. Und Katrin beherrscht das Schweigen perfekt. Aber auch ich kann das gut! Ich bin darin mindestens genauso geübt wie sie. „Nein!“, „Doch!“, „Ohhh!“ Ich will gerade Arme verschränken und beleidigt schauen, da höre ich, wie Katrin mich fragt: „Was macht dir denn solchen Druck?“ Als Reaktion schaue ich sie blöde an. „Ja, weiß sie das denn nicht?“, frage ich mich. „Weißt du, du bist mein bester Freund! Ich brauche dich zum Reden!“, sagt sie. Ich schlucke meinen ersten Impuls herunter und vermeide eine Aufzählung der Gespräche und Spaziergänge, bei denen wir meiner Meinung nach doch ausreichend Zeit zu zweit hatten. Ein Artikel aus einer Zeitschrift kommt mir in Erinnerung. Dort stand: „Deine innere Welt ist für deine Partnerin unsichtbar. Du musst sie ihr mitteilen. Du musst ihr deinen inneren Kosmos mitteilen, damit er verstanden werden kann.“ Reden, sich verständlich machen, damit ich verstanden werden kann und zuhören, hinhören, nachfragen, damit ich verstehe … Das ist so schwierig. Schweigen ist definitiv einfacher!

DAS RICHTIGE MASS

Doch ich starte einen Versuch und erzähle ihr von der Herausforderung, als Selbstständiger und Freiberufler nie genau zu wissen, wieviel genug ist. Soll ich das Wochenende verkaufen und damit den wichtigen finanziellen Puffer für den Sommer aufbauen oder nicht? Ich verkaufe Lebenszeit für Geld. Das ist die Spannung, in der ich mich ständig befinde. Denn beides – Zeit und Geld – sind wertvolle Güter. Und es sind widerstrebende Interessen. Dinge, die miteinander konkurrieren. Das richtige Maß zu finden, fällt mir einfach schwer. Im Verlauf des Gespräches zeige ich Katrin meine Jahresplanung. Wir bauen uns ein paar Inseln der gemeinsamen Zeit, und einen Termin sage ich dafür ab. Dabei geht es noch ein paar Mal hin und her. Aber es scheint, als seien wir wieder auf einer heilsamen Spur. „Und bei dir so?“, frage ich Katrin und merke auch in ihrem Blick eine Irritation. Auf ihrer Stirn meine ich lesen zu können: „Ja, weißt du das denn nicht?“ Also sage ich: „Ich habe eine Fantasie, was es bei dir ist, aber ich weiß nicht, ob ich damit richtig liege. Ich will dich wirklich verstehen! Erzählst du mir, was dich beschäftigt?“

WIE HUSTENLÖSER

Im weiteren Verlauf unseres Gespräches bestätigt sich: Meine Bilder, von dem, was in meiner Frau vorgeht, sind meine Fantasien. Wie es wirklich aussieht, erfahre ich nur über Gespräch. Mein innerer Kosmos bleibt für Katrin ein Geheimnis, so lange ich ihn nicht zeige. Ihre innere Welt bleibt ein Geheimnis, wenn ich mich nicht darum bemühe, sie wirklich zu begreifen. Das klingt so banal und ist doch eine Erkenntnis, die für unsere aktuelle Situation wie Hustenlöser wirkt. Schließlich fragt Katrin mich: „Wie wäre es, wenn ich mir an dem Montag nach diesem Wochenende freinehme und wir etwas gemeinsam unternehmen?“ Als sie merkt, wie ich zögere, sagt sie verschmitzt. „Nein? Oder: Doch?“ Und ich antworte fröhlich: „Ohhhhh JAAA.“

Christian Rommert ist Autor, Redner und Berater und Fan des VfL Bochum. Er ist verheiratet mit Katrin und Vater von drei erwachsenen Kindern. Regelmäßig spricht er das Wort zum Sonntag in der ARD.