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Pause! Wie Familien wieder auftanken können

Der Familienalltag ist oft anstrengend und hektisch. Sozialpädagogin Julia Otterbein verrät, wie Pausen individuell geplant und bewusst genutzt werden können.

Familienalltag fühlt sich manchmal wie das Durchqueren einer großen Wüste an: brütende Hitze, anstrengende Tage – und Pausen in der prallen Sonne sind keine echte Option. Zumindest lässt sich so nicht nachhaltig Kraft schöpfen für die nächste Wegstrecke. Es braucht also eine sinnvolle Routenplanung, die es ermöglicht, in regelmäßigen Abständen eine Oase aufzusuchen.

Pausen einplanen

Eltern, die immer versuchen, alles unter einen Hut zu bekommen, erzeugen damit einen Familienalltag, der eng getaktet ist. Und auch die Kinder sind durch (Ganztags-)Schule und verschiedene Hobbys zeitlich eng eingebunden. Wofür dann häufig keine Zeit mehr bleibt, sind die eigentlich so wichtigen Pausen und unverplante Zeiten.

Generell hilft es, unnötigen Druck herauszunehmen, To-do-Listen zu verschlanken und wieder eine aktivere Haltung einzunehmen. „Nein“ zu sagen zum dritten verbindlichen Hobby mit entsprechend festen Terminen unter der Woche oder sogar noch am Wochenende, und stattdessen Pausenzeiten fest einzuplanen, in den Kalender einzutragen und mit der gleichen Priorität zu versehen wie einen Arzttermin.

Oasen im Familienalltag

Damit diese Pausen auch zu wirklichen Oasen werden, darfst du dir folgende Fragen stellen: Was möchte ich tun oder lassen? Was tut mir gut? Wie sieht meine persönliche Oase aus? Denn Oasen im Familienalltag sind so verschieden, wie wir Menschen verschieden sind. Vielleicht hilft dir dabei auch dieses Experiment:

Nichts tun. Nur aus dem Fenster schauen. In der Sonne sitzen und die Augen schließen. Einfach nur sein. Auf deinen Atem oder Herzschlag achten. Und dann kannst du mal deine unerfüllten Bedürfnisse erkunden: die körperlichen, sozialen und geistigen Bedürfnisse. Was fehlt dir gerade? Ist es Schlaf, Essen, Trinken, Bewegung, Entspannung, Austausch mit anderen (erwachsenen) Menschen, Inspiration?

Gemeinsam und getrennt

Im nächsten Schritt gilt es, eine passende Strategie für das Bedürfnis zu finden: Gärtnern oder lesen? Freunde treffen oder Zeit für sich haben? Musik hören oder Musik machen? Aktiv sein oder chillen? Da hat jeder so seine persönlichen Favoriten. Was allen Strategien gemeinsam ist: Jeder tut es mit Freude und Genuss.

Manche von uns laufen allerdings schon so lange durch die sprichwörtliche Wüste, dass sie nur noch eine vage Erinnerung daran haben, wie die persönliche Wohlfühloase aussieht. Daher ist es wichtig, (mal wieder) herauszufinden, was zu einem passt und was nicht. Dafür kannst du den Test in der Box nutzen (siehe unten).

Nicht selten steht man als Familie aber vor folgendem Problem: Die Strategien der einzelnen Familienmitglieder passen nicht zusammen. Was die einen entspannt, ist für die anderen eher anstrengend, zum Beispiel der Besuch eines Indoor-Spielplatzes. Da gilt es dann, individuelle Lösungen zu finden und sich vielleicht in der Familie aufzuteilen.

Gerade diejenigen, die im Alltag eine hohe Belastung durch die Übernahme von Sorgearbeit in der Familie haben, brauchen auch Zeiten, in denen sie die Verantwortung für andere Menschen abgeben und ihren eigenen Bedürfnissen ohne Einschränkungen und Kompromisse nachgehen können.

Dennoch ist es toll, wenn es das eine oder andere Familienritual gibt, das bei allen für Ruhe und Entspannung sorgt: kuschelige Vorlesezeiten, ein Familien-Heimkino-Abend, gemeinsam in Erinnerungen schwelgen…

Oder einmal im Monat einen Wochenendtag bewusst unverplant zu lassen und sich gemeinsam treiben zu lassen. Zeit zum Nichtstun oder mal wieder eine Runde „Mensch ärgere dich nicht“ oder „Uno“ spielen. Oft sind es gerade solche Kleinigkeiten, die zu besonderen Erinnerungen werden.

Was passt zu dir?

Vielleicht braucht es aber auch mal eine größere Oasenzeit und mehr Abstand zum Alltag, zum Beispiel auf einer Freizeit zum Auftanken oder einem Urlaub ohne die Familie. Auch eine Mutter- oder Vater-Kind-Kur oder bei älteren Kindern eine Kur allein kann dafür sorgen, mal für drei Wochen fern des Alltags Entlastung zu erleben und die Beziehung untereinander zu stärken.

Finde heraus, welche Dimension deine Oase haben soll und was zu dir passt. Erinnere dich an frühere Hobbys, die vielleicht im Trubel des Familienalltags aus dem Blick geraten sind. Wenn Strategien von früher nicht mehr funktionieren, probiere etwas Neues aus. Ausgetretene Pfade zu verlassen und kleine Abenteuer zu erleben, sorgt für Abwechslung – und schon sieht die Wüste ein bisschen lebendiger aus.

Julia Otterbein ist Diplom-Sozialpädagogin und Selbstfürsorge-Coach und lebt mit ihrer Familie in Süderbrarup/Schleswig-Holstein. familywithlove.de

 

SELBSTTEST ZUM AUFTANKEN

Introvertiert oder extrovertiert?
Während introvertierte Menschen besser regenerieren, wenn sie allein sind, können Extrovertierte im Kontakt mit anderen Menschen ihre Akkus aufladen.

Aktiv sein oder entspannen?
Brauchst du mehr Bewegung als Ausgleich zu deinem Alltag oder bewusstes Nichtstun und Ent-Spannung?

Inspiration für den Kopf oder Gedanken zur Ruhe kommen lassen?
Ermüdet dein Geist durch zu wenig oder zu viel Input? Sorge dann bewusst für das Gegenteil durch ein interessantes Buch, einen inspirierenden Podcast oder durch Stille und das Niederschreiben von Gedanken.

Raus in die Natur?
Viele Menschen halten sich viel zu oft in Innenräumen auf – da kann Zeit an der frischen Luft und außerhalb von bebauten Gebieten den nötigen Ausgleich schaffen.

Mittagsschlaf?
Gerade wenn der Nachtschlaf im Familienleben häufiger zu kurz kommt, kann ein Mittagsschlaf oder eine gemeinsam vereinbarte Mittagsruhe zu einer wohltuenden Oase werden.

Gemeinsame Familienrituale oder Zeit für sich allein?
Mal braucht es das eine und mal das andere – plant am besten beides für euch ein.

Heute schon gelacht?
Lachen ist gesund für Körper und Psyche. Es entspannt den Körper, reduziert Stress und lindert sogar Schmerzen. Probiert es mal aus!

„Windelfrei“ ab dem ersten Tag: Fünffache Mutter erzählt, wie das funktionieren kann

Babys vom ersten Tag an ins Töpfchen machen lassen? Im Interview erzählt die fünffache Mutter Jessica Schmidt, wie sie das schafft.

Wie sind Sie auf die Idee gekommen, Ihren Babys keine Windeln mehr anzuziehen?

Ich habe nach der Geburt meines dritten Kindes das Buch „Artgerecht“ von Nicola Schmidt gelesen. Die Theorie, dass bindungsorientierte Erziehung schon bei der Geburt beginnt, indem ich das Kind nahe bei mir halte, es trage und so früh seine Signale erkennen und verstehen lerne, ist inspirierend. Es geht darum, eine enge Beziehung aufzubauen und die Kommunikationswege des Kindes intuitiv wahrzunehmen. So ist es auch beim Thema Windelfrei, wobei dieser Begriff irreführend ist. „Ausscheidungskommunikation“ trifft es eher. Ich ziehe meinem Kind zwar Windeln an, achte aber darauf, wenn es mir kommuniziert, dass es ausscheiden muss, und halte es dann über das Töpfchen. „Abhalten“ wird es auch genannt.

Wie merken Sie, dass Ihr Baby ausscheiden muss?

Das ist unterschiedlich. Ein Indiz ist körperliche Unruhe. So wie größere Kinder anfangen, auf der Stelle zu treten, wenn sie müssen, beginnt auch das Baby, unruhig zu werden und zu zappeln oder zu meckern. Häufig müssen die Kinder nach dem Schlafen Pipi. Manchmal krabbeln sie auch auf einen zu. Vieles ist Intuition. Bei unserem fünften Kind hatte ich, als ich noch mit ihm im Krankenhaus lag, ganz intuitiv den Gedanken, dass er muss. Und tatsächlich: Als ich ihm die Windel abzog, ging’s los. So war es auch bei meiner Zweieinhalbjährigen. Sie war durchs Spiel und ich durch den Haushalt oft abgelenkt, aber immer, wenn ich den Impuls hatte, sie aufs Töpfchen zu setzen, und ihm nachging, kam auch was. Es liegt viel an der Mutter, inwieweit sie bereit ist, sich intuitiv darauf einzulassen.

Nicht unter Druck setzen

Sie haben fünf Kinder und somit sicherlich gut zu tun. Wie läuft der windelfreie Alltag bei Ihnen?

Ich habe die Option „aufs Töpfchen setzen“ einfach als weiteren Punkt in die Bedürfnisliste aufgenommen, die man eh immer durchgeht, wenn das Baby unzufrieden wirkt: Braucht es Nähe, Wärme, Essen, Trinken oder Schlaf oder will es eben ausscheiden? Wichtig ist, sich nicht unter Druck zu setzen, sonst ist es Stress pur. Es darf auch mal in die Windel machen. Es gab natürlich auch bei uns Phasen, die stressig waren oder in denen wir auf Reisen waren und ich kurzzeitig davon weggekommen bin. Ich bin aber immer zu diesem Thema zurückgekommen, weil es sich lohnt.

Welche Vor- und Nachteile hat das Abhalten für Sie?

Der Vorteil ist, dass das Kind früh ein Gefühl für die eigene Körperausscheidung bekommt und lernt, dass Ausscheidungen woanders landen können als in der Windel. Sie bekommen mehr Bestätigung und Selbstbewusstsein darin, dass sie das Thema früh selbst schaffen können. Wir brauchen auch keine Wundschutzcreme mehr, da Wundsein kaum noch vorkommt. Der Nachteil ist, dass man das Kind häufiger heben muss, um es abzuhalten. Das ist körperlich anstrengender, aber dafür ist man erfahrungsgemäß früher mit dem Thema durch. Meine Dritte war ab dem zweiten Geburtstag trocken, bei den Folgekindern war es ähnlich.

Interview: Ruth Korte

Windelfrei ohne Stress

Babys vom ersten Tag an ins Töpfchen machen lassen? Was für manche Eltern unvorstellbar klingt, gehört für Jessica Schmidt zum Familienalltag dazu. Im Interview erzählt die fünffache Mutter von ihren Erfahrungen.

Wie sind Sie auf die Idee gekommen, Ihren Babys keine Windeln mehr anzuziehen?

Ich habe nach der Geburt meines dritten Kindes das Buch „Artgerecht“ von Nicola Schmidt gelesen. Ihre anthropologische Herangehensweise an das Thema Bindung nimmt uns Christen oft den Zugang zu ihrem Buch. Aber die Theorie, dass bindungsorientierte Erziehung schon bei der Geburt beginnt, indem ich das Kind nahe bei mir halte, es trage und so früh seine Signale erkennen und verstehen lerne, ist inspirierend. Es geht darum, eine enge Beziehung aufzubauen und die Kommunikationswege des Kindes intuitiv wahrzunehmen. So ist es auch beim Thema Windelfrei, wobei dieser Begriff irreführend ist. „Ausscheidungskommunikation“ trifft es eher. Ich ziehe meinem Kind zwar Windeln an, achte aber darauf, wenn es mir kommuniziert, dass es ausscheiden muss, und halte es dann über das Töpfchen. „Abhalten“ wird es auch genannt.

Wie merken Sie, dass Ihr Baby ausscheiden muss?

Das ist unterschiedlich. Ein Indiz ist körperliche Unruhe. So wie größere Kinder anfangen, auf der Stelle zu treten, wenn sie müssen, beginnt auch das Baby, unruhig zu werden und zu zappeln oder zu meckern. Häufig müssen die Kinder nach dem Schlafen Pipi. Manchmal krabbeln sie auch auf einen zu. Vieles ist Intuition. Bei unserem fünften Kind hatte ich, als ich noch mit ihm im Krankenhaus lag, ganz intuitiv den Gedanken, dass er muss. Und tatsächlich: Als ich ihm die Windel abzog, ging’s los. So war es auch bei meiner Zweieinhalbjährigen. Sie war durchs Spiel und ich durch den Haushalt oft abgelenkt, aber immer, wenn ich den Impuls hatte, sie aufs Töpfchen zu setzen, und ihm nachging, kam auch was. Es liegt viel an der Mutter, inwieweit sie bereit ist, sich intuitiv darauf einzulassen.

Sie haben fünf Kinder und somit sicherlich gut zu tun. Wie läuft der windelfreie Alltag bei Ihnen?

Ich habe die Option „aufs Töpfchen setzen“ einfach als weiteren Punkt in die Bedürfnisliste aufgenommen, die man eh immer durchgeht, wenn das Baby unzufrieden wirkt: Braucht es Nähe, Wärme, Essen, Trinken oder Schlaf oder will es eben ausscheiden? Wichtig ist, sich nicht unter Druck zu setzen, sonst ist es Stress pur. Es darf auch mal in die Windel machen. Es gab natürlich auch bei uns Phasen, die stressig waren oder in denen wir auf Reisen waren und ich kurzzeitig davon weggekommen bin. Ich bin aber immer zu diesem Thema zurückgekommen, weil es sich lohnt.

Welche Vor- und Nachteile hat das Abhalten für Sie?

Der Vorteil ist, dass das Kind früh ein Gefühl für die eigene Körperausscheidung bekommt und lernt, dass Ausscheidungen woanders landen können als in der Windel. Sie bekommen mehr Bestätigung und Selbstbewusstsein darin, dass sie das Thema früh selbst schaffen können. Wir brauchen auch keine Wundschutzcreme mehr, da Wundsein kaum noch vorkommt. Der Nachteil ist, dass man das Kind häufiger heben muss, um es abzuhalten. Das ist körperlich anstrengender, aber dafür ist man erfahrungsgemäß früher mit dem Thema durch. Meine Dritte war ab dem zweiten Geburtstag trocken, bei den Folgekindern war es ähnlich.

Interview: Ruth Korte

Viel Positives, wenig Nein

Fünf Regeln für Papa und Mama, die das Familienleben entstressen. Von Helen Krebs

Mit dem zweiten Kind und einer frühen dritten Schwangerschaft wurde es hektisch in unserer Familie. Hatten wir den Alltag mit unserer ersten Tochter gut und nach unseren Vorstellungen meistern können, kam die Veränderung plötzlich mit voller Wucht: Mein Mann und ich stritten uns oft wegen Lappalien, wir waren ständig müde und ich kam mir vor, als käme ich aus den Arbeiten im Haushalt nicht mehr raus. Uns wurde klar, dass sich etwas ändern musste, denn wir verspürten oft keine Freude mehr bei unseren Aufgaben. Unbewusst versuchten wir zuerst, das Verhalten unserer Kinder zu ändern, womit wir allerdings krachend scheiterten. Also fingen mein Mann und ich an, bei uns selbst anzusetzen. Dafür stellten wir fünf Regeln für unseren Alltag auf. Sie sollten uns das Miteinander erleichtern mit dem Ziel, den Stress herauszunehmen.

1. Mein Mann und ich sind nett zueinander

Das ist nicht zufällig die erste Regel. Der christliche Gott, an den wir beide glauben, wünscht und schenkt uns in unserer Ehe Einigkeit, Liebe und Gemeinschaft. Wir merken jedoch immer wieder, dass diese Dinge umkämpft sind. Deswegen wollen wir unsere Ehe besonders schützen. Dass wir uns ehren und lieben, gebietet uns Gott trotz einer kurzen Nacht. Zudem sind wir einander die einzigen Teampartner im Abenteuer Familienleben und brauchen uns als Unterstützer. Was nett sein bedeutet, halten wir bewusst offen, denn es kann im Alltag ganz Unterschiedliches meinen: ein Lächeln zwischendurch, eine Ermutigung beim Verabschieden oder dass wir Kritik nur dann üben, wenn es wirklich wichtig ist – die Reihenfolge von Waschmaschinengängen gehört beispielsweise nicht dazu.

2. Haushalt hat keine Priorität

Wir wohnen bald zu fünft auf 80 Quadratmetern. Stiefeln die Kinder sandig durch die Wohnungstür, knistert es schnell in jedem unserer drei Zimmer. Schmutz auf so engem Raum muss man psychisch und optisch aushalten können. Wir haben es uns antrainiert, denn zu oft haben wir die Erfahrung gemacht, dass wir mit der Putzaktion doch nicht fertig wurden, sondern stattdessen zwei weinende Kinder hatten und selbst noch genervter waren als vorher. Lieber erinnern wir uns an Jesu liebevolle Worte an Martha aus Lukas 10 in der Bibel: Jesus ermutigt sie, den Haushalt Haushalt sein zu lassen und sich stattdessen dem Wichtigen zuzuwenden.

3. Wir ärgern uns nicht, wenn sich unsere Kinder schmutzig machen

Kann man nicht eigentlich alles waschen? Was an Kleidungsstücken nicht in die Waschmaschine darf oder besonderen Einweich-Aufwand mit sich bringt, ziehen wir nur in Ausnahmefällen an. Geht die Tomatensoße beim Essen daneben, geben wir die Schuld nicht unseren Kindern, denn sie machen es – in den meisten Fällen – nicht mit Absicht. Die Situation, gemeinsam am Esstisch zu essen, stellt Kinder sowieso vor eine Menge Regeln, die sich ihnen nicht automatisch erschließen: Es wird jetzt gegessen, innerhalb eines bestimmten Zeitraums, und zwar das, was vorbereitet wurde und dann auch noch so, dass nichts daneben geht. Diese kulturellen Spitzfindigkeiten müssen erst einmal erlernt werden. Im Umkehrschluss haben wir uns mit dieser Regel für einen immer vollen Wäschekorb entschieden. Aber gleichzeitig haben wir viel entspanntere gemeinsame Mahlzeiten, da wir uns und unsere Kinder nicht mit permanenten Ermahnungen stressen.

4. Wir überfordern unsere Kinder nicht mit Regeln

Unser Sohn ist ein toller Werfer: Bälle, Nudeln, Töpfe. Das ist nicht immer angebracht. Wir haben uns aber eingestehen müssen, dass er es sich nicht verbieten lässt. Also lassen wir ihn werfen, freuen uns mit ihm, wenn es scheppert, oder darüber, wie weit er mittlerweile kommt. Trotzdem gibt es Grenzen, die wir ihm liebevoll erklärend vermitteln möchten. In einer immer wieder schwierig zu findenden Balance versuchen wir, unsere Kinder möglichst wenig „Nein“ hören zu lassen. Wir möchten ihnen stattdessen ganz viel Positives zusprechen. Vieles, was unsere Kinder tun, das nicht gesellschaftskonform ist, ist ein Ausprobieren, das wir ihnen gönnen möchten. Denn Kinder sind keine kleinen Erwachsenen, die auf Linie gebracht werden müssen. Sie denken, fühlen und priorisieren noch ganz anders. Situationen, in denen unsere Kinder mit Verhaltensregeln überfordert sind, versuchen wir zu meiden. Dabei müssen wir uns eingestehen, dass manches gerade nicht geht. Daher brechen wir zum Beispiel von dem netten Besuch bei den Großeltern früher auf, bevor die Kinder vor Müdigkeit und ungewohnten Einflüssen nicht mehr können und Wutanfälle bekommen.

5. Keine Heldentaten für das eigene Image

Morgen ist Kaffeetrinken mit dem Hauskreis, einer christlichen Kleingruppe. Dafür hatten wir angekündigt, einen Hefezopf zu backen. Nun ist es aber schon 21 Uhr und mein Mann und ich sind zu müde für die Küche. Wir entscheiden uns gegen das Backen, für die Brezeln vom Bäcker und Ehe-Quality-Time auf dem Sofa. Puh, wieder mal haben wir etwas nicht geschafft, was wir uns vorgenommen hatten. Das fühlt sich nicht gut an. Sich einzugestehen, dass man Grenzen hat, macht Menschen aber nicht weniger liebenswert. Im Gegenteil: Perfektion erzeugt Achtung, Fehler dagegen Sympathien. Auch unseren Kindern möchten wir immer wieder vermitteln, dass es okay ist, wenn sie an etwas scheitern. Dass wir sie mit ihren Schwächen annehmen, wie auch Gott uns mit bedingungsloser Liebe annimmt.

Unsere fünf Regeln haben viel mit Entscheidung zu tun. Teilweise treffen wir sie immer wieder neu, und es ist oft eine Überwindung. Denn eigentlich mögen wir es sauber und geordnet, wir zeigen anderen gerne, was wir alles schaffen können und wie gut unsere Kinder funktionieren. Gleichzeitig haben wir gemerkt, wie sehr die fünf Regeln den Stress in unserem Alltag reduzieren. Eben weil wir bei der Veränderung bei uns Erwachsenen angesetzt haben. Denn wir möchten unseren Kindern entgegenkommen und nicht ein Verhalten von ihnen erwarten, zu dem sie noch nicht fähig sind – und uns diese Freiheit der Schwächen ebenfalls gönnen.

Helen Krebs studiert Literaturwissenschaft und ist hin und wieder als Texterin tätig. Mit ihrem Mann und den Kindern wohnt sie in Stuttgart.

Ein Paar, zwei Perspektiven: Verschwörung

DER PAKT VON MORDOR

Katharina Hullen kämpft gegen eine innerfamiliäre Verschwörung. Dass ihr Mann Teil des Komplottes ist, macht die Sache nicht einfacher.

Katharina: Es gibt so Tage: Die Spülmaschine heizt nicht mehr, der Kaffeeautomat spuckt nur noch heiße Luft, die Waschmaschine schreit mir Fehler 23 entgegen und verlangt nach einem Techniker. Na super! Ein 7-Personen-Haushalt ohne funktionierende Spül- und Waschmaschine – wie soll man das aushalten? Ohne Kaffee?

Offensichtlich hat sich an solchen Tagen die Welt gegen mich verschworen. Überhaupt Verschwörung: Auch meine eigene Familie, Hauke und die Kinder, treffen offensichtlich ständig geheime Absprachen, um mich zu manipulieren und letztendlich in den Wahnsinn zu treiben.

Dafür gibt es sichtbare Anzeichen, wirklich! Zum Beispiel die Streifen von Schuhsohlen in der ganzen Wohnung. Ich sage zwar täglich mehrmals jedem der sechs Beteiligten: „Zieh bitte deine Schuhe aus!“ Doch offenbar bin ich Teil eines Experimentes, das sich um die Frage dreht, wann eine Mutter resigniert und sich willenlos dem Chaos ergibt. Wahrscheinlich denken die Kinder auch, dass die Sache mit den Schuhen gar keine Familienregel ist, da sich der Papa ja auch nicht daran hält.

Oder die allabendlichen Verzögerungstaktiken der Kinder, um nicht schon ins Bett gehen zu müssen. Es scheint ein Abkommen zwischen dem Vater und seiner Brut zu geben, denn statt einzuschreiten, macht er es sich auf dem Sofa gemütlich. So schlage ich allein die „Jetzt-ist-Schlafenszeit!“-Trommel und fische mir mühsam die jüngsten, widerborstigsten Kandidaten heraus, während der Rest als eingeschworene Gemeinschaft den Tag digital auf dem Sofa beschließt.

Zudem braut sich gerade auch ein Pakt zwischen unserer Ältesten (13) und ihrem Papa zusammen: Seit sie zwölf Jahre alt ist und die entsprechenden Filme theoretisch sehen darf, empfindet Hauke einen cineastischen Lehrauftrag und möchte all die großen und kleinen Blockbuster mit ihr erleben. An sich ja eine schöne Vater-Tochter-Idee, wenngleich ich nicht jeden Film, der ab 12 freigegeben ist, auch geeignet finde. Aber das ist ein anderes Thema …

An unserem Familienfilmabend beteuern die beiden also mit treuherzigen Augen, dass sie jetzt im Obergeschoss einen anderen Film sehen müssen, immerhin habe die Tochter auch das dicke Buch zum Film gelesen. So werden wir unsere bislang gemeinsam erlebten Filmabende nun getrennt verleben, die zwei mit Frodo in Mordor und wir anderen mit der Eiskönigin in Arendelle. Dabei gäbe es dutzende Filme, die eine gemeinsame Schnittmenge hätten und uns einen schönen Familienfilmabend bescheren würden – doch mit Argumenten ist den Verschwörern eben nicht beizukommen.

Ist so ein Tag, an dem sich scheinbar alles gegen mich verschworen hat, aber erst mal vorbei, kann ich Gott sei Dank auch die Wahrheit sehen: Nicht alle Missgeschicke folgen einem bösen Plan. Wenn jemand die Fäden in der Hand hält, dann unser gnädiger Schöpfer, der mit mir mein Leben ideenreich, fröhlich und mutig gestalten will.

Katharina Hullen (Jahrgang 1977) ist Bankkauffrau und Dolmetscherin für Gebärdensprache in Elternzeit. Sie und Ehemann Hauke haben fünf quirlige Kinder und leben in Duisburg. Gemeinsam bilden die beiden das Kirchenkabarett „Budenzauber“.

 

MACHTLOSER FÄDENZIEHER

Hauke Hullen unterliegt regelmäßig, wenn es um die Berufung des Vorsitzenden geht, und kann die Wahl nicht anfechten.

Hauke: Haben Sie die Demonstration gesehen? Plakate und aufwieglerische Sprüche, die Unterdrückung und Freiheitsberaubung behaupteten; eine Minderheit, die sehr lautstark für ihre Wünsche eintrat! Und was wollten die Protestierenden? Ganz einfach: Ein eigenes Zimmer für unsere älteste Tochter, damit die Zwillinge ebenfalls ihre eigenen Reiche bekommen.
Ja, diese Demo fand bei uns im Wohnzimmer statt, doch es gibt Gemeinsamkeiten zu den aktuellen Verschwörungen: Beide setzen mehr auf gefühlte Wahrheiten denn auf Fakten, und beide fabulieren von einer Diktatur, wenn ihren Wünschen nicht entsprochen wird. Dabei vermischen sich sowohl die Anhänger der diversen Ideologien als auch ihre Argumente zu einem allseits kompatiblen Verschwörungsbrei.

Leichtfertig sollte man die Theorien jedoch nicht vom Tisch wischen – es gibt ja tatsächlich perfide Pläne, die im Geheimen vorangetrieben werden. Zum Beispiel das berühmte Brotdosen-Komplott: Um die gesamte Familie schleichend mit Vitaminen und Liebe zu kontaminieren, hat meine Frau  wider jede Vernunft den Kindern bis ins Teenager-Alter hinein jeden Morgen überkandidelte Pausenbrote vorbereitet, umrahmt von allem, was die Obstplantagen weltweit so hergeben. Ich fand immer, jeder könne sich selbst einfach ein Brot mit Wurst belegen – das geht schnell und macht satt, fertig.

Offenbar fanden meine Argumente endlich Gehör: Die drei älteren Mädels machen sich nun ihre Frühstücksboxen selbst. Doch der Sieg der Vernunft war nur vordergründig, musste ich doch mit ansehen, wie die Mädchen in ihren Brotdosen weiterhin filigrane Kunstwerke aus Gemüse, Dips, Obst, Brot und vertaner Lebenszeit anrichteten. Und als ich eines Morgens meine Dose noch mal öffnete, lachte mich ein Gemüse-Obst-Frosch an und der Rest der Familie aus. Wo bin ich hier hineingeraten?

Während ich also einer realen Konspiration ausgesetzt bin, sind die von unseren Kindern behaupteten Verschwörungen nur eingebildet. Sie glauben, dass Kathi und ich eine eingeschworene Gemeinschaft seien, die unbeirrt eine gemeinsame Strategie verfolge. Das mag daran liegen, dass ich auf alle Anfragen stets mit „Das muss ich erst noch mit Kathi besprechen“ geantwortet habe. (Um etwas mehr Würde zu bewahren, habe ich inzwischen das „muss“ durch ein „möchte“ ersetzt.)

Intern geht es bei uns jedoch höchst divers und demokratisch zu: Kathi und ich erörtern die Sachlage und stimmen schließlich ab. Bei zwei Leuten könnte schnell ein Patt entstehen, möchte man meinen, doch nicht bei uns: Bei Gleichstand gibt die Person, die gerade den Vorsitz innehat, den Ausschlag. Es gibt transparente Kriterien für die Berufung in dieses Amt.

In diesem Jahr gab es, wie immer, zwei Bewerber. Am Ende ist es, wie immer, meine Frau geworden, weil das bei uns wie bei anderen Stellenausschreibungen auch funktioniert: „Frauen und Schwerbehinderte werden bei entsprechender Eignung bevorzugt berücksichtigt.“ Ich finde das unfair, weil so immer meine Frau den Vorsitz einnehmen wird, Kathi meint jedoch, wir hätten beide die gleichen Chancen.

So gesehen stimmt die Annahme unserer Kinder nicht, ich wäre Teil einer verschworenen Elite. Andererseits muss man festhalten: Am Ende des Tages stecke ich doch wieder mit der Regierung unter einer Decke.

Hauke Hullen (Jahrgang 1974) ist Lehrer für Deutsch und Sozialwissenschaften. Er und Ehefrau Katharina haben fünf quirlige Kinder und leben in Duisburg. Gemeinsam bilden die beiden das Kirchenkabarett „Budenzauber“.

Psychologe warnt vor Bullerbü-Komplex: „Eltern scheitern grandios an einem Idealbild“

Viele Familien sehnen sich nach einer heilen Welt wie der in Astrid Lindgrens Kinderbuch „Wir Kinder aus Bullerbü“. Psychologe und Buchautor Lars Mandelkow sieht darin eine Gefahr.

Was ist so schlimm an Bullerbü?
An Bullerbü ist erst mal gar nichts schlimm. Das ist ein wunderbares Kinderbuch. Ich habe es geliebt und meinen eigenen Kindern vorgelesen. Bedenklich ist allerdings, dass dieses Bullerbü-Bild bei vielen jungen Familien ein Idealbild geworden ist, dem manche hinterherstreben und dann grandios daran scheitern. Denn in unserer wirklichen Welt kann es nie so sein wie in Bullerbü. Ich kenne viele Familien, die versuchen, so einen pastellfarbenen Alltag hinzukriegen. Im rauen Alltag mit Schulterminen, Leistungsdruck etc. schaffen sie es aber nicht. Und meinen dann, sie hätten etwas falsch gemacht. Das ist schlimm an Bullerbü. Also nicht Bullerbü selbst, sondern die Art, wie es mehr oder weniger unbewusst instrumentalisiert wird.

Was sind denn Aspekte von Bullerbü, die Eltern gern in ihren Alltag integrieren würden?
Bullerbü ist die klassische heile Welt – diese drei Höfe, die in unberührter Natur in Schweden liegen. Es gibt keinen Arbeitsplatz, der weit entfernt ist. Alles ist zu Fuß zu erreichen. Die Kinder haben nichts weiter zu tun, als den ganzen Tag zu spielen. Und die Eltern bilden eine sanft lächelnde Kulisse. Alles ist ruhig und übersichtlich. Es gibt ein paar schöne Familienrituale, aber keine großen Konflikte. Es gibt nur wenig Beispiele von echten Problemen. Selbst der Tod und das Alter werden friedlich beschrieben. Es ist eine heile Welt. Auf ganz vielen Ebenen ist sie heil. Und das macht diese große Sehnsucht aus. Deshalb ist das so ein starkes Bild, weil sich viele Leute nach einer heilen Welt sehnen, sie aber nicht erleben.

Kinder brauchen entspannte Eltern

Sie fordern in Ihrem Buch „Der Bullerbü-Komplex“ Eltern auf, es „gut sein zu lassen“, und betonen, dass es reicht, „gut genug“ zu sein. Aber woher weiß ich, wann dieser Punkt erreicht ist?
Wenn man sich an dem Besten orientiert, ist es klar: Dann geht es immer aufwärts, immer das nächstbeste ist das Ziel. Sich an dem zu orientieren, das gut genug ist, ist eine Kunst. Sich mit etwas Durchschnittlichem nicht nur zu arrangieren, sondern es sogar besser zu finden als das ständige Streben nach dem Besseren – das ist eher ein Lebensraum als ein Zielpunkt. Wann kann ich beginnen, zufrieden zu sein? Wann habe ich das letzte Mal meine Kinder dafür gefeiert, dass sie eine Drei nach Hause gebracht haben? Wann habe ich mich selbst dafür gefeiert, dass mir eine Aufgabe „ganz gut“ gelungen ist? Und nicht „ganz großartig“? Es ist eine Haltungsübungssache, nicht immer nach oben zu gucken.

Was ist das Allerwichtigste in der Beziehung zwischen Eltern und Kindern?
Wenn ich meine Kinder angucke und sie in meinem Blick Entspannung sehen, dann ist ganz viel erreicht. Wenn Kinder Eltern erleben, die entspannt sind mit sich selbst, mit der Familie, mit den Erwartungen, dann ist das etwas Zentrales. Wenn nicht dauernd die Unzufriedenheit im Vordergrund steht: „Hast du schon …? Bist du sicher, dass du nicht noch …?“ Wenn Unzufriedenheit und Unvollkommenheit immer im Fokus sind, kann das ein Gift sein in der Beziehung. Entspannte Eltern – das ist das, was Kinder am meisten brauchen.

Ist die Liebe sichtbar?

Es passiert aber wohl allen Eltern, dass sie mal die Beherrschung verlieren und ihr Kind anschreien.
Natürlich passiert es, dass Eltern ihre Kinder anschreien. Da muss man sich fragen, ob es das Grundmuster der Beziehung ist oder die Ausnahme. In den meisten Fällen ist es die Ausnahme, und Kinder können das durchaus wechseln. Es ist sogar gesund, wenn Kinder erleben, dass Mama oder Papa mal einen schlechten Tag haben. Wenn man sich fragt: Erleben meine Kinder eigentlich grundsätzlich, dass sie geliebt sind? Nicht 100 Prozent jeden Tag, aber regelmäßig, immer wieder an den meisten Tagen. Wenn man sie fragen würde: Lieben Papa und Mama dich? Und sie würden sagen: Ja. – Dann ist das gut genug. Es kommt auf den Grundton an. Ausnahmen sind normal. Wenn man sich diese Ausnahmen nicht gestattet als Eltern, kommt man schnell in die Überforderung. Ich habe den Eindruck, dass manche Eltern glauben, dass das nicht gestattet ist, weil sofort die psychische Krankheit der Kinder folgt oder ein Entwicklungsschaden.

Eltern haben in der Tat Angst, ihre Kinder könnten psychische Schäden davontragen, wenn sie etwas falsch machen oder dem Kind zu wenig Zuwendung geben. Sie schreiben in Ihrem Buch: „Es ist nicht der Mangel an Zuwendung, der Kinder krank macht. Es ist der absolute Mangel.“ Aber wie kommt es dann, dass Jugendliche psychisch krank werden, die aus Familien kommen, in denen es eine gute Beziehung und Zuwendung gibt?
Ich finde diese Frage ganz wunderbar – nur falsch gestellt. Wenn Sie die Frage so stellen, klingt es so, als wäre die Ursache für psychische Schwierigkeiten von Kindern als Allererstes in der Familie zu suchen. Die Frage, so wie Sie sie stellen, stellen sich viele Eltern auch und denken sofort: „Ich bin schuld. Ich habe irgendwas nicht gut genug gemacht.“ Meistens gibt es aber eine gute Beziehung zwischen Kindern und Eltern. Also kann es nicht daran liegen. Psychische Schwierigkeiten treten mit normalen Schwankungen überall auf, ganz unabhängig von der Familie. Vor allem aber glaube ich, dass viel mehr Ursachen für psychisches Ungleichgewicht aus der Umgebung der Kinder kommen: aus den Medien, aus der Schule, aus anderen Erwartungen, die um die Familie herum zu suchen sind. Und die Eltern, die eigentlich eine gute Beziehung zu den Kindern haben, könnten viel Gutes tun, wenn sie diese gute Beziehung selbstbewusst leben und in den Vordergrund stellen: „Wir haben es gut zusammen, bei mir kannst du einen sicheren Hafen finden.“

Gnade ist das Zentrum

Im dritten Teil Ihres Buches stellen Sie den Begriff der Gnade in den Mittelpunkt. Warum?
Zum einen ist der Begriff Gnade das Zentrum meines christlichen Glaubens. Es ist eine Aufgabe, mit mir selbst gnädig zu sein. Die Aufgabe, miteinander gnädig zu sein. Je mehr Gnade, desto besser. Und nicht: Je mehr Bullerbü, desto besser. Wir brauchen keine heile Welt, sondern in der Welt, in der wir leben, brauchen wir die Gnade als tragenden Grund. Und der ist uns geschenkt. Der andere Grund, warum mir das wichtig war in meinem Buch: Ich dachte, es ist zu wenig, nur das Problem zu beschreiben und zu versuchen, eine Lösung zu skizzieren. Denn es braucht ja auch einen Grund, auf dem das Ganze steht. Man braucht einen Ausgangspunkt für diese ganzen Gedanken.

Wie kann Gnade in der Familie praktisch gelebt werden?
Gerade in Momenten, wo der Druck steigt oder sich das Leben schwierig anfühlt, kann man sich angucken, was Gnade bedeutet: Wenn die Kinder mir als Gnadengabe geschenkt sind, was bedeutet das für meine Beziehung zu ihnen? Wie wäre ich als Vater, wenn ich ein gnädiger Vater wäre? Wie wäre ich als Ehemann, wenn ich Gnade wichtig finden würde? Oft hat das mit Geduld, mit Vergebung und mit Humor zu tun. Wenn ich merke, ich schaffe es nicht, alle Erwartungen zu erfüllen, dann kann ich mich in schlechtem Gewissen versenken oder ich kann die Gnade greifen und sagen: Ich bin, wie ich bin. Gnade bedeutet, dass ich so sein darf. Das ist ein Ausgangspunkt dafür, den nächsten Tag anders zu gestalten, ein bisschen freundlicher mit mir selbst und anderen zu sein.

Das Interview führte Bettina Wendland, Redakteurin bei Family und FamilyNEXT.

Mein Weg aus der Stressfalle

Wie Priska Lachmann gelernt hat, mit den Anforderungen ihres Alltags umzugehen.

Hättet ihr meinen Mann vor sechs Jahren nach meiner Stressresilienz gefragt, hätte der mit Sicherheit laut losgelacht. Ich war die hektischste, lauteste und genervteste Person auf diesem Planeten, sobald der Stress über mir hereinbrach. Ich war nicht zu ertragen.

Halt und Trost

In den vergangenen Jahren wurde mein Stresslevel aber nicht nur mit den Kindern immer höher. Auch das Studium, ein Hausbau und meine Freiberuflichkeit bescherten mir wachsende Ansprüche an mein Zeitmanagement, kurze Nächte und viele Momente, in denen ich sehr stress-resilient handeln musste. Ich lernte vor allem, zu atmen und lösungsorientiert zu denken. Ich atme tief ein und aus in diesen Momenten und beruhige damit meine Seele. Gleichzeitig habe ich in den vergangenen Jahren gelernt: Egal was ich in meiner charakterlichen Unzulänglichkeit an Fehlern mache, egal, was ich mir zuschulden kommen lasse, egal, was auf mich einströmt in diesem Leben – ich kann nicht tiefer fallen als in Gottes liebende Hand. Punkt.

Da gibt es kein „Aber“, kein „Was wäre, wenn“. Da ist einfach nur ein liebender Vater, ein großer Gott, der mir zwar nicht versprochen hat, dass mein Leben immer golden und glitzern und glücklich verläuft, der aber mit mir durch die dunklen Täler geht. Der mich an die Hand nimmt und an dessen starke Schulter ich mich lehnen kann, wenn mir alles zu viel wird. Ich finde Halt und Trost in meinem Alltag und Stärke in dieser hoffnungsvollen Gewissheit, dass ich keine Angst haben muss.

Videokonferenz mit Kleinkind

In den letzten Wochen, als Corona unser ganzes Leben veränderte, fanden wir uns als Familie in einer gänzlich ungewohnten Situation wieder. Mein Mann und ich im Homeoffice, zwei Kinder mit Homeschooling und ein zweijähriges Kleinkind, das gerade vier Wochen vorher im Kindergarten eingewöhnt worden war. Alle zu Hause. 24/7. Immer. Die ganze Zeit. Es war herausfordernd, und wir haben glücklicherweise einen Garten. Eines Nachmittags, mein Mann hatte gerade in seinem Job als Solution Consultant eine Kundenpräsentation via Videokonferenz, wurde die Zweijährige wach vom Mittagsschlaf, stapfte halbnackt die Treppen hinunter und kuschelte sich beim Papa auf den Schoß. Der Kunde und der Vertriebler fanden das ganz süß. Und unsere Tochter entspannte sich. Mein Mann sprang plötzlich auf, mitten in seiner Präsentation, denn seine Hose war nass geworden. Schnell brachte er mir unser Kind, zog sich um und sprintete wieder zum Laptop, um seine Präsentation an unserem Esstisch zu Ende zu führen.

Diese Situation zeigte uns, dass wir inzwischen sehr resilient gegenüber Stress geworden sind. Das liegt vor allem daran, dass wir sehr lösungsorientiert denken, aber auch daran, dass wir diesen festen, unerschütterlichen Glauben haben, an dem wir uns festhalten können, wenn wir nicht mehr weiterwissen.

Priska Lachmann ist dreifache Mama, Theologin, Autorin und bloggt unter www.mamalismus.de.

Wenn Eltern aus der Haut fahren

„Mein Sohn (5) bringt mich ständig auf die Palme. Neulich hat er beim Anziehen für den Kindergarten so lange getrödelt und gemeckert, bis ich ihn am Arm gepackt und angeschrien habe. Wie kann ich meine Gefühle im Zaum halten und meinem Kind auch in Stresssituationen beherrscht begegnen?“

Diese Situation kennt jede Mutter. Wir fühlen uns total hilflos, gestresst und überfordert. Wir kommen an unsere Grenzen und schauen dabei in emotionale Abgründe, die wir bei uns nie für möglich gehalten hätten. Das erschreckt uns und wir fühlen uns furchtbar. Verurteilen Sie sich nicht. Überlegen Sie stattdessen, wie Sie es in Zukunft besser machen können.

Beobachten Sie, in welchen Situationen Sie aus der Haut fahren. Auf immer gleiche, wiederkehrende Stresssituationen kann man sich vorbereiten! Einige Fragen, die in der beschriebenen Situation helfen könnten, sind: Warum trödelt Ihr Sohn? Möchte er überhaupt in den Kindergarten? Möchte er in dem Moment lieber noch etwas spielen? Haben Sie durch Termine Zeitlimits? Gefällt ihm die Kleidung, die für ihn bereitliegt?

DIE SITUATION ENTSTRESSEN

Sie können ihn zum Beispiel selbst Kleidung aus einer begrenzten Auswahl aussuchen lassen oder ihn auch mal im Schlafanzug in den Kindergarten schicken (dies sollten Sie natürlich vorher mit den Erzieherinnen absprechen). „Ich hab’s geschafft“-Listen können die Situation spielerisch entstressen. Ein weiterer Tipp, den Stress aus der Situation zu nehmen, ist, dass Sie sich und Ihrem Kind mehr Zeit vor dem Kindergarten lassen oder aber die Zeit vorher so begrenzen, dass Ihr Kind vor dem Gehen nicht noch ins Spielen gerät. Umso schwerer fällt es ihm dann natürlich, sich davon zu lösen.

Sie können auch mit Ihrem Kind in einem ruhigen Moment darüber sprechen, dass sein Verhalten Ihnen Stress bereitet und es fragen, wie es besser laufen kann. Manchmal muss man sich auch mal die Frage stellen: Ist an dieser Stelle ein Kampf wirklich sinnvoll und nötig?

INNERLICH BIS ZEHN ZÄHLEN

Fragen Sie auch andere Eltern, wie sie in solchen Momenten reagieren, und überlegen Sie vor solchen Eskalationen, wie Sie reagieren möchten. Vielleicht gibt es auch etwas, was Ihr Stresslevel senkt – zum Beispiel ein wenig Entschleunigung im Alltagsstress, eine Haushaltshilfe oder mehr Hilfe aus dem sozialen Umfeld? Ist die Situation da, versuchen Sie, innerlich einen Schritt zurückzutreten und bis zehn zu zählen. Und – was immer gut ist – schicken Sie ein Stoßgebet zu Gott. Sie können überhaupt (auch mit anderen) für gute Ideen beten und dafür, ruhig und liebevoll zu bleiben. Ist die Situation eskaliert, sein Sie nicht zu hart zu sich selbst. Wir alle machen Fehler. Haben Sie Geduld: Elternsein ist eine große Herausforderung, aber mit der Zeit verändert sich viel: Ihre Reaktionen und auch Ihr Kind.

Genau so, wie Sie Ihr Kind um Entschuldigung bitten können, dürfen Sie auch Gott um Vergebung bitten. Er erwartet nicht, dass Sie perfekt sind. Die gute Nachricht ist, dass Gott uns trotzdem liebt und uns genau das Kind anvertraut hat, das wir erziehen können! Wenn Gott uns das zutraut, dann hilft er auch.

Antje Voß ist verheiratet, Mutter von drei erwachsenen Kindern und arbeitet als Hebamme in Gießen. Illustration: Sabrina Müller

 

 

Aufatmen im Terminstress

Wie gut es tun kann, andere wertzuschätzen, hat Ingrid Jope erlebt.

Urlaubsreif. Mit diesem Wort ließ sich bestens beschreiben, wie es mir ging. Ein volles (Schul-) Jahr lag hinter mir. Der Schulwechsel unserer großen Tochter steckte darin und das letzte, intensive Kindergartenjahr unseres inzwischen auch großen Sohnes. Aufgrund meines beruflichen Wiedereinstiegs und einer damit verbunden Weiterbildung hatte ich ein Jahr lang eine 75-Prozent- Stelle und musste nebenbei noch eine Abschlussarbeit und einiges an Fortbildungsterminen stemmen. Die letzte Woche vor den großen Ferien hatte es mit sämtlichen Abschiedsfeiern und beruflichen Herausforderungen besonders in sich. Da musste der Termin fürs Abschlussgespräch im Kindergarten in die erste Urlaubswoche verschoben werden. Müde stand ich an diesem Tag morgens auf und hätte am allerliebsten darauf verzichtet, heute überhaupt einen Termin zu haben. Ich schleppte mich mehr zum Kindergarten, als dass ich radelte. Dann saß ich zwei freundlichen Erzieherinnen gegenüber. Sie hatten sich sorgfältig vorbereitet und stellten mir die Bildungsdokumentation meines Kindes vor. Nach wenigen Minuten war das Gefühl „Ich hätte keinen Termin gebraucht“ verdrängt vom Eindruck: „Toll, dass diese aufmerksamen und engagierten Erzieherinnen unseren Wirbelwind von Sohn durch seine Kindergartenzeit begleitet haben.“ Ich erfuhr Einzelheiten aus dem Kindergartenalltag, ich schnupperte die Sichtweise der Erzieherinnen auf mein Kind, kam so manches Mal ins Schmunzeln, weil ich typische Verhaltensweisen, Stärken und Schwächen vom Alltag zu Hause wiedererkannte. Und ich habe ganz viel Zugewandtheit gespürt, Wertschätzung und Respekt vor dem ureigenen Wachstumsprozess, den jedes Kind nach seiner „inneren Uhr“ und in seiner Einzigartigkeit durchläuft. In mir wuchs ein Glücksgefühl, es schmeckte nach Dankbarkeit, nach beschenkt sein und nach tief durchatmen. Ich fasste eine Erkenntnis, die uns schon lange begleitete, in Worte: Das war genau der richtige Kindergarten für unser Temperamentsbündel. Ich könnte mir keinen besseren für unser Kind und unsere Familiensituation vorstellen. Ich zählte einige Beispiele auf, die ich am Kindergartenalltag und dem ihn prägenden Erziehungsstil schätzte. Die vier Augen der Erzieherinnen strahlten. Meine Erschöpfung war wie weggeblasen. Achtsamkeit und Respekt zu erleben und Wertschätzung zu geben – das tat durch und durch gut. Auch wenn der Alltag voll ist und ich eigentlich viel zu erschöpft bin, will ich das nicht aus dem Blick verlieren: Danke sagen, Gutes wertschätzen, Menschen zeigen, dass ich wahrnehme, wie sehr sie sich einsetzen. All das tut auch mir und meiner Seele gut.

Ingrid Jope ist Theologin und Sozialpädagogin. Sie lebt mit ihrer Familie in Wetter/Ruhr.