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Wenn ich nochmal erziehen könnte …

Stefanie Diekmann reflektiert, was sie als Mutter gut gemacht hat. Und was sie ändern würde, wenn sie nochmal neu anfangen könnte.

Vor mir turnt ein kleiner Mensch im Kinderwagen herum. Gleich wird er sich aus den Gurten herausgewunden haben. Der Kassenbereich eines Drogeriemarktes ist leider kein Ort für diese Expeditionen. Der Vater greift beherzt und auch entnervt zu. Seufzend fährt er sich durch die Haare. Diese Bewegung kenne ich von mir. Und auch das Seufzen. Am liebsten würde ich distanzlos ein paar ermutigende Worte hinüberrufen.

ZUCKER UND MONSTERPUPPEN

Unsere Kinder sind groß. Ich war gern mit ihnen unterwegs. Ein zusammengeliebtes Expeditionsteam. Jeder Tag war für mich voller intensiver Momente: turnende Kinder im Kinderwagen, Zahn-Putz-Kämpfe, Haare raufen wegen einer schier endlosen To-do-Liste. Mit vollem Eifer haben mein Mann und ich unsere Kinder erzogen. Angefeuert von Büchern, Magazinen, Elternkursen, einem Schwung handfester Tipps zur Beherrschung des Chaos und Hinweisen, wie Kinder zu prägen und zu handhaben sind. Während ich in der Schlange im Drogeriemarkt stehe, realisiere ich: Die Bedürfnisse unserer Kinder haben in den Regeln, die auf diesen Grundlagen entstanden sind, nicht immer Platz gefunden. Auch wenn mehr als offensichtlich war, dass unsere Kinder ganz unterschiedlich auf Ansprache oder Körperkontakt reagierten. Ich wollte alles so richtig machen. Und das war so anstrengend. Wie oft ich am Tag gedacht habe: „Wehret den Anfängen! Das darf nicht, das auch nicht und am besten gleich für alle drei.“ Mir fallen Debatten um Zucker, dubiose Hörspiele oder Monsterpuppen ein, bei denen ich immer noch motiviert meinen Weg gehen würde. Mir fallen auch Kraftfresser ein, die ich heute leichter nehmen würde: Schwimmkurs, Kleid-Drama am Sonntag, schnell durch den Tag kommen, eincremen. Das Chaos zähmen und beherrschen – muss das wirklich sein?

LANGSAMER LEBEN

Ich denke an ein Zitat von Søren Kierkegaard: „Verstehen kann man das Leben nur rückwärts.“ Was würde ich anders machen? Den Eifer würde ich behalten wollen, aber meinen Tag langsamer leben. Mich mehr im Moment verorten. Den Geruch meines gerade aufgestandenen tapsigen Kleinkindes aufsaugen, das Plappern des Kindergarten-Mädchens oder die Sport-Reportagen des Teen-Boys … Ich war so schnell unterwegs und oft getrieben von dem Wunsch, so viel zu wuppen wie die anderen Familienteams.

Unsere Kinder waren sehr laut und wild. Der Esstisch war ein Boot in Seenot, das schwere Sofa wurde durch das Wohnzimmer geschoben und diente als erdachtes Tierheim. Das fiel mir nicht schwer und ich habe es sehr genossen: Trubel, Kreativität und ihr eigenständiges und versunkenes Spiel. Was ich nicht gut konnte: meine Erschöpfung bemerken und rechtzeitig Grenzen ziehen durch Aufräumen, ruhigere Spielphasen oder Mahlzeiten. Mein Agieren im „Ich kann nicht mehr“-Modus hat meinen Kindern wenig Vorbild ermöglicht, um eigene Kraftphasen abzugrenzen. Heute sehe ich bei meinen erwachsenen Kindern, wie sie einer Sache über Gebühr Kraft schenken. Ich habe die Chance verpasst, ihnen vorzuleben, leidenschaftlich zu sein und Grenzen zu setzen.

DIE KRAFT DES KINDES STRAHLEN LASSEN

Schwer zu tragen waren Gedanken wie: Mein Kind ist nicht ganz einfach, unpassend, fordernd. Die ersten Begegnungen damit haben mich umgehauen. Bewertungen zu unseren Kindern habe ich geschluckt. Angenommen, dass ich diese Rückmeldungen verarbeiten muss. Dass ich dafür zuständig bin, dass mein Kind vermeintlich normaler, lieber und angepasster wird.

Wenn ich heute mit Eltern arbeite, versuche ich, die Kraft des Kindes strahlen zu lassen. Ich erinnere mich, wie Menschen mit solchen positiven Rückmeldungen mir als Mutter gutgetan haben und meine Offenheit für einen Prozess der Reflexion viel größer war als nach einem schroffen, negativen Kommentar über mein Kind. Mit dem Vertrauen, dass mein Kind Entwicklungsmöglichkeiten hat, können wir zusammen besser Themen ansehen, die Aufmerksamkeit brauchen. Eine Zurechtweisung, eine Festlegung durch Fremde, Familie oder Schule würde ich heute weniger zulassen.

VORWÄRTS LEBEN

Das Zitat von Søren Kierkegaard besteht aus einem weiteren Satz, der mich aus meiner Erinnerungsreise ins Heute zurückholt: „Verstehen kann man das Leben nur rückwärts. Leben muss man es vorwärts.“ Vorwärts … Aber ist nicht das Prägen längst beendet?

Wir sind mit unseren drei erwachsenen Kindern in der Phase, wo sie Geschichten aus ihrer Kindheit erzählen, die ich ganz anders bewertet habe. Manchmal finde ich es wunderschön, manchmal erschreckt mich ihre Wahrnehmung. Nicht selten haben wir als Eltern unsere Kinder schon gefragt: Haben wir zu streng gehandelt? Was hättest du dir gewünscht, als du nicht zum Zahnarzt wolltest? War es okay für dich, mit zehn Jahren allein durch Deutschland mit dem Zug zu fahren? In diesen Runden haben wir uns immer wieder auch auf den Weg der Vergebung gemacht. Wir leben davon, dass Gott Neuanfänge liebt, und konnten den anderen dabei aus der Last eines Fehlers entlassen. So bleibt in vielen Themen zwar eine „Retroliebe“, wie Wehmut auch heißen könnte. Der Schmerz über Fehler darf durch Vergebung weniger werden.

Vorwärts leben heißt für mich, aus den Beobachtungen des Gestern zu lernen. Heute kann ich achtsamer meine Begegnungen leben und meinen Kindern zuhören, wenn sie ihre Weltsicht teilen. Das Expeditionsteam Familie ist nicht vorbei, es hat nur eine andere Art, die Welt zu entdecken. Wir leben derzeit an drei Standorten, bald vier. Manches wird mir Kraft rauben und mich explodieren lassen, manches kann ich gut füllen. Wir haben uns verletzt, ermutigt, gesegnet und gestärkt. Und wir werden es auch für die nächste Etappe tun. Anders und neu.

Stefanie Diekmann ist Gemeindereferentin in Göttingen, verheiratet und Mutter von drei erwachsenen Kindern.

Fragen für eine Austauschrunde mit den großen Kindern

 

  • Was war/ist an unserer Familie besonders?
  • Was hat dir gutgetan?
  • Welchen Moment erinnerst du als Geborgenheit?
  • Welchen als Herausforderung?
  • Das würde ich heute in eurer Erziehung anders machen …

Mutter Carina richtet Appell an Mamas: Redet ehrlich miteinander!

Carina Nill spricht offen über Freude und Frust des Mama-Seins. Das kostet sie Überwindung – und zahlt sich aus.

Meine Schwägerin erwartet ihr zweites Kind. Als ich bei der Verkündigung freudig frage, wie es war, es zu erfahren, ob der Schwangerschaftstest aufregend war und die Warterei bis dahin auszuhalten, antwortet mein Schwager irritiert und kühl: „Hä, ne – es war ja geplant!“ Mein Herz zieht sich leicht zusammen – wie schön wäre es, wenn es immer so einfach wäre.

Ich habe es so erlebt: Elternsein im Kopf und im Herzen beginnt schon, bevor man das eigene Baby im Bauch oder auf dem Arm trägt. Elternsein beginnt oft schon mit dem Kinderwunsch. Spätestens jetzt wachsen Vorstellungen, Vorhaben und Vorurteile … Und ja, es stimmt: Es verlangt viel Weisheit, mit diesen eigenen Ideen und denen im Familien- und Freundeskreis umzugehen – egal, ob in der Kinderwunschzeit, der Schwangerschaft, der Kleinkind- oder der Kindergartenkindphase.

Von Fehlgeburt bis Notkaiserschnitt alles erlebt

Aber die Zeit unseres Wunsches, Eltern zu werden, ist zu lange her, um bei meinem Schwager präsent zu sein. Und meine Schwägerin kam erst danach in unsere Familie. Sie erkennt mein Schlucken und zaghaftes Lächeln und fragt nach. Und ich erzähle – obwohl sie frisch schwanger ist. Ich erzähle, weil ich es immer schon erzählt habe. Ich erzähle, obwohl es mich manchmal alles kostet: Mut, Kraft, Ehrlichkeit. Aber ich erzähle auch, weil ich an diesem Mut anderer Frauen gewachsen bin und getröstet wurde.

Bevor wir unseren ersten Sohn bekamen, haben wir eine kleine Bandbreite der Möglichkeiten erlebt, die es auf diesen Wegen zu erleben gibt: Fehlgeburt, Eileiterschwangerschaft, Windei, Blutungen und Sorgen in der Schwangerschaft bis hin zum Notkaiserschnitt. Hoffnung und Enttäuschung, Schmerz und Wut, Fragen und Zweifel und neues Vertrauen.

Erzählungen anderer spenden Trost

Und ich habe es immer erzählt. Unter Tränen, hoffnungslos und hoffnungsvoll, Trost suchend oder Trost spendend. Es war mir immer eine Hilfe und ein Anliegen, dass unsere Freunde und Familie darüber Bescheid wussten. Viele waren zeitgleich schwanger. Manche erlebten schließlich ähnliches, und so war unsere Ehrlichkeit ein großer Gewinn. Und es war ein Segen, uns gegenseitig zu haben, voneinander zu wissen, miteinander zu fragen und zu verarbeiten.

Ich finde, dieser Mut, von unseren Erfahrungen zu erzählen, hat sich ausgezahlt. Ich war dankbar, vor meinen eigenen Verlusten von Frauen zu wissen, die ähnliches erlebt hatten, und mich bei ihnen verstanden zu fühlen. Hätten andere Frauen diese Realität, so schwer und herausfordernd sie ist, nicht mit mir geteilt, hätte ich mich oft einsamer und hilfloser gefühlt.

„Du dumme Mama“

Auch später, beim schmerzhaften Stillen, habe ich mich dankbar an eine Kollegin erinnert, die sich vor Jahren beim Stillen ihres Babys die Tränen wegwischte und gestand: „Das tut so weh!“ Und als mir der Große das erste Mal „Du dumme Mama“ vor die Füße knallte, war ich erleichtert, dass eine Mama aus dem Hauskreis schon vor Monaten das Gleiche (mit dem gleichen Entsetzen) zu berichten hatte.

Diese Erfahrung nehme ich durch die Jahre bis heute mit. Ich möchte all das Gute und Schöne, die vielen kleinen Freuden, die großen Entwicklungsschritte, Erziehungserfolge und Glücksmomente des Elternseins teilen: aufrichtig und unübertrieben. Aber ich wünsche mir auch, dass es erlaubt ist, in meinem Hier und Jetzt erschöpft zuzugeben, dass Junior immer noch nicht durchschläft, dass Zähneputzen zu einer choreografischen Meisterleistung werden muss oder dass ich ratlos Rat suche, weil die Streitereien zwischen den Brüdern einfach nicht aufhören.

Offen mit Versagen umgehen

Inzwischen gehen beide Jungs in den Kindergarten. Beim Abgeben am Tor frage ich mich gelegentlich, ob eigentlich andere Mütter auch schon 17 Nervenzusammenbrüche erleiden, bis sie hier ankommen. Natürlich teilt man seine Geschichten und seinen Alltag nicht mit allen, dennoch nicken wir Mütter uns scheinbar wohlwissend zu.

Auch unter Freunden kostet es mich oft alles, mir und anderen gegenüber einzugestehen, dass ich in vielem gern geduldiger, belastbarer und humorvoller wäre. Auch hier nehme ich oft unter Tränen meinen Mut zusammen und vertraue Freundinnen oder Familie – mit Kindern in unterschiedlichem Alter – meine Gegenwart an: Sorgen, Versagen, Unzulänglichkeiten und mein „Das wollte ich eigentlich anders machen“. Manchmal verändert es Freundschaften, wenn man erkennt, dass man unterschiedliche Erziehungsstile oder Ansichten hat – dann schmerzt diese Ehrlichkeit, zu der man sich durchgerungen hat.

Manchmal fühle ich mich nach so einer Offenbarung auch beobachtet oder bewertet. Aber manchmal ernte ich nach den ersten unverständlichen Blicken jüngerer Mütter ein paar Monate später ein seufzendes: „Jetzt weiß ich, was du meintest! Das war gut zu hören.“ Und dann bin ich froh, dass ich darüber gesprochen habe und nicht hinterher um Mitgefühl oder gute Ratschläge ringen muss.

Ehrlichkeit – ohne Angstmachen

Also doch: Obwohl es mich immer wieder so viel kostet, mich mit dem Teilen meiner Gegenwart verletzbar zu machen, ist es vielleicht das Kostbarste, was wir miteinander teilen können: aufrichtige Ehrlichkeit – ohne Angstmachen, aber auch ohne Schönreden. Ich jedenfalls bin dankbar für alle, die ihr „So ist es gerade“ miteinander teilen – egal, wer von uns gerade die (un-)realistischeren Vorstellungen hegt.

Carina J. Nill arbeitet als Kunst- und Lerntherapeutin und „künstlert“ Bilder und Bücher, z. B. „Count your Blessings: Mein kreatives Segen-Sammelbuch“. Sie lebt mit ihrem Mann und zwei wunderbaren wilden Söhnen in Deizisau bei Esslingen.

Warum sagt einem das vorher keiner?

In der Family 5/21 schrieb Simone Oswald darüber, wie viel Realität Schwangere ertragen können und wie ehrlich Mütter ihnen gegenüber sein sollten. Darauf haben uns zwei Rückmeldung erreicht.

OHNE ANGSTMACHEN, OHNE SCHÖNREDEN

Carina Nill hat gute Erfahrungen mit einer mutigen Ehrlichkeit gemacht.

Meine Schwägerin erwartet ihr zweites Kind. Als ich bei der Verkündigung freudig frage, wie es war, es zu erfahren, ob der Schwangerschaftstest aufregend war und die Warterei bis dahin auszuhalten, antwortet mein Schwager irritiert und kühl: „Hä, ne – es war ja geplant!“ Mein Herz zieht sich leicht zusammen – wie schön wäre es, wenn es immer so einfach wäre.

Ich habe es so erlebt: Elternsein im Kopf und im Herzen beginnt schon, bevor man das eigene Baby im Bauch oder auf dem Arm trägt. Elternsein beginnt oft schon mit dem Kinderwunsch. Spätestens jetzt wachsen Vorstellungen, Vorhaben und Vorurteile … Und ja, es stimmt: Es verlangt viel Weisheit, mit diesen eigenen Ideen und denen im Familien- und Freundeskreis umzugehen – egal, ob in der Kinderwunschzeit, der Schwangerschaft, der Kleinkindoder der Kindergartenkindphase.

TROST SUCHEN UND SPENDEN

Aber die Zeit unseres Wunsches, Eltern zu werden, ist zu lange her, um bei meinem Schwager präsent zu sein. Und meine Schwägerin kam erst danach in unsere Familie. Sie erkennt mein Schlucken und zaghaftes Lächeln und fragt nach. Und ich erzähle – obwohl sie frisch schwanger ist. Ich erzähle, weil ich es immer schon erzählt habe. Ich erzähle, obwohl es mich manchmal alles kostet: Mut, Kraft, Ehrlichkeit. Aber ich erzähle auch, weil ich an diesem Mut anderer Frauen gewachsen bin und getröstet wurde.

Bevor wir unseren ersten Sohn bekamen, haben wir eine kleine Bandbreite der Möglichkeiten erlebt, die es auf diesen Wegen zu erleben gibt: Fehlgeburt, Eileiterschwangerschaft, Windei, Blutungen und Sorgen in der Schwangerschaft bis hin zum Notkaiserschnitt. Hoffnung und Enttäuschung, Schmerz und Wut, Fragen und Zweifel und neues Vertrauen.

Und ich habe es immer erzählt. Unter Tränen, hoffnungslos und hoffnungsvoll, Trost suchend oder Trost spendend. Es war mir immer eine Hilfe und ein Anliegen, dass unsere Freunde und Familie darüber Bescheid wussten. Viele waren zeitgleich schwanger. Manche erlebten schließlich ähnliches, und so war unsere Ehrlichkeit ein großer Gewinn. Und es war ein Segen, uns gegenseitig zu haben, voneinander zu wissen, miteinander zu fragen und zu verarbeiten. Ich finde, dieser Mut, von unseren Erfahrungen zu erzählen, hat sich ausgezahlt. Ich war dankbar, vor meinen eigenen Verlusten von Frauen zu wissen, die ähnliches erlebt hatten, und mich bei ihnen verstanden zu fühlen. Hätten andere Frauen diese Realität, so schwer und herausfordernd sie ist, nicht mit mir geteilt, hätte ich mich oft einsamer und hilfloser gefühlt.

ERFOLGE FEIERN, ERSCHÖPFUNG ZUGEBEN

Auch später, beim schmerzhaften Stillen, habe ich mich dankbar an eine Kollegin erinnert, die sich vor Jahren beim Stillen ihres Babys die Tränen wegwischte und gestand: „Das tut so weh!“ Und als mir der Große das erste Mal „Du dumme Mama“ vor die Füße knallte, war ich erleichtert, dass eine Mama aus dem Hauskreis schon vor Monaten das Gleiche (mit dem gleichen Entsetzen) zu berichten hatte.

Diese Erfahrung nehme ich durch die Jahre bis heute mit. Ich möchte all das Gute und Schöne, die vielen kleinen Freuden, die großen Entwicklungsschritte, Erziehungserfolge und Glücksmomente des Elternseins teilen: aufrichtig und unübertrieben. Aber ich wünsche mir auch, dass es erlaubt ist, in meinem Hier und Jetzt erschöpft zuzugeben, dass Junior immer noch nicht durchschläft, dass Zähneputzen zu einer choreografischen Meisterleistung werden muss oder dass ich ratlos Rat suche, weil die Streitereien zwischen den Brüdern einfach nicht aufhören.

Inzwischen gehen beide Jungs in den Kindergarten. Beim Abgeben am Tor frage ich mich gelegentlich, ob eigentlich andere Mütter auch schon 17 Nervenzusammenbrüche erleiden, bis sie hier ankommen. Natürlich teilt man seine Geschichten und seinen Alltag nicht mit allen, dennoch nicken wir Mütter uns scheinbar wohlwissend zu.

SICH VERLETZBAR MACHEN

Auch unter Freunden kostet es mich oft alles, mir und anderen gegenüber einzugestehen, dass ich in vielem gern geduldiger, belastbarer und humorvoller wäre. Auch hier nehme ich oft unter Tränen meinen Mut zusammen und vertraue Freundinnen oder Familie – mit Kindern in unterschiedlichem Alter – meine Gegenwart an: Sorgen, Versagen, Unzulänglichkeiten und mein „Das wollte ich eigentlich anders machen“. Manchmal verändert es Freundschaften, wenn man erkennt, dass man unterschiedliche Erziehungsstile oder Ansichten hat – dann schmerzt diese Ehrlichkeit, zu der man sich durchgerungen hat. Manchmal fühle ich mich nach so einer Offenbarung auch beobachtet oder bewertet. Aber manchmal ernte ich nach den ersten unverständlichen Blicken jüngerer Mütter ein paar Monate später ein seufzendes: „Jetzt weiß ich, was du meintest! Das war gut zu hören.“ Und dann bin ich froh, dass ich darüber gesprochen habe und nicht hinterher um Mitgefühl oder gute Ratschläge ringen muss.

Also doch: Obwohl es mich immer wieder so viel kostet, mich mit dem Teilen meiner Gegenwart verletzbar zu machen, ist es vielleicht das Kostbarste, was wir miteinander teilen können: aufrichtige Ehrlichkeit – ohne Angstmachen, aber auch ohne Schönreden. Ich jedenfalls bin dankbar für alle, die ihr „So ist es gerade“ miteinander teilen – egal, wer von uns gerade die (un-)realistischeren Vorstellungen hegt.

In diesem Sinne: Seid mutig, seid ehrlich und „helft euch gegenseitig bei euren Schwierigkeiten und Problemen, so erfüllt ihr das Gesetz, das wir von Christus haben“. (Galater 6,2)

Carina J. Nill arbeitet als Kunst- und Lerntherapeutin und „künstlert“ Bilder und Bücher, z. B. „Count your Blessings: Mein kreatives Segen-Sammelbuch“. Sie lebt mit ihrem Mann und zwei wunderbaren wilden Söhnen in Deizisau bei Esslingen.

 

AUFKLÄREN UND AUF DAS GUTE HOFFEN

Dorothee Spengler möchte ihren Freundinnen ihre Erfahrungen nicht vorenthalten.

Der Artikel von Simone Oswald hat mich auch Wochen später immer wieder gedanklich beschäftigt. Ich kenne diese Situation, da ich vor sechs Jahren zu den Ersten im Familien- und Freundeskreis gehört habe, die schwanger waren und dementsprechend „Erfahrungsvorsprung“ hatten, als später Freundinnen schwanger wurden.

Ein wichtiger Aspekt, der im Artikel auch erwähnt wird, ist, dass ich mein eigenes Erleben ehrlich teile, mit Höhen und Tiefen, Herausforderungen und Erfolgen. Und wenn ich das „tagesaktuell“ mache, ist das schon eine ganze Menge „Präventionsarbeit“ gegen allzu unrealistische Erwartungen, noch ehe die Freundinnen selbst schwanger sind. Eine meiner besten Freundinnen sagt, dass sie von dieser Art „Mit-Erleben“ noch heute in ihrem Mama-Alltag zehrt. Und ich bin mir sicher, dass meine Schwägerin, die in den letzten Jahren regelmäßig unseren Familienalltag erlebt hat, mit weniger realitätsfernen Vorstellungen in ihr erstes Babyjahr starten wird, wenn es so weit ist.

STRESS VERMEIDEN

Dieses „Basiswissen“, das vor einigen Jahrzehnten aufgrund größerer Familien noch deutlich präsenter war, sollte aus meiner Sicht unbedingt im Freundeskreis weitergegeben werden. Insofern kann ich mich in dem Absatz „Nicken und lächeln“ in Simone Oswalds Artikel nicht so ganz wiederfinden. Natürlich ist jedes Kind und jede Mutter individuell. Und ich stimme zu, dass ich anderen nicht meine ganz persönlichen Probleme prophezeien muss. Aber wenn es um Entwicklungserwartungen (z. B. Beikostreife mit fünf Monaten) geht, die wissenschaftlich und allen Erfahrungswerten nach eher die Ausnahme als die Regel sind, würde ich gute Freundinnen unbedingt darauf hinweisen.

Gerade wenn konkrete Planungen, wie zum Beispiel die Jobrückkehr der Mutter, darauf fußen, dass ein Kind zum Zeitpunkt X nicht mehr gestillt wird, lässt sich dadurch sehr viel Stress vermeiden. Bei anderen Themen, wie dem Supermarkt-Szenario, würde ich bei passender Gelegenheit (die sich vielleicht auch erst beim Eintritt des Kindes in die Autonomiephase bietet) auch etwas sagen und auf gute Podcasts oder Literatur zu dem Thema verweisen. Schließlich gehört die Autonomiephase zur gesunden Entwicklung eines jeden Kindes – auch wenn nicht jedes Kind schreiend auf dem Supermarktboden liegt. Ein gutes Verständnis der Hintergründe kann den Eltern und Kindern jede Menge unnötigen Stress ersparen. Diese Art von „Aufklärung“ steht für mich nicht im Widerspruch dazu, „auf das Gute zu hoffen“, wie es im letzten Absatz beschrieben ist.

TROTZDEM TRÄUMERISCH

Selbstverständlich male auch ich mir lieber harmonische Familienurlaube aus als pubertären Zickenalarm oder Teenager-Eskapaden, aber ich weiß, dass letztere nicht gänzlich ausbleiben werden. Bei den anderen Beispielen (Geldprobleme oder Unzufriedenheit im Alter) würde ich es übrigens anders sehen: Hier gehört es nicht zur üblichen Entwicklung, dass sie auftreten, und entsprechend „träumerisch“ gehe ich da für das Leben meiner Kinder heran – und wenn die Probleme kommen, können wir sie ja immer noch meistern.

Dorothee Spengler ist aktuell in Elternzeit. Sie lebt mit ihrem Mann und ihren vier Kindern zwischen 0 und 6 Jahren in Albstadt.

Den Artikel von Simone Oswald aus Family 5/21 könnt ihr hier nachlesen: www.family.de/warum-sagt-einem-dasvorher-keiner/

Starke Post für starke Mütter

Mütter und Väter brauchen Ermutigung – nicht Vergleiche und Verurteilungen. Eine Anregung von Lisa-Maria Mehrkens

In einer besonders anstrengenden und stressigen Zeit schenkte mein Mann mir einen Postkartenkalender für Mütter – 52 Karten voller Gebete, Zitate und Geschichten aus dem Alltag von Müttern. Viele davon sprachen mich sehr an und passten exakt auf mein Leben im Moment. Ich fühlte mich ermutigt und gestärkt, die Karten gaben mir Kraft in schweren Zeiten. Denn Muttersein ist wunderschön, aber eben häufig auch anstrengend, herausfordernd und kräftezehrend.

KEIN SPAZIERGANG

Umso trauriger finde ich es, wenn Mütter sich in sozialen Netzwerken und teilweise auch in der realen Welt gegenseitig vergleichen, abwerten, verurteilen und mit negativen Kommentaren das Selbstbewusstsein zerstören. Jede möchte besser sein als die andere. Jede denkt, nur ihre Erziehung ist die richtige. Wenn man in sozialen Medien unterwegs ist, bekommt man bei so manchen Mütter-Kanälen das Gefühl, Muttersein sei ein Spaziergang und nur man selbst würde alles falsch machen. Dabei teilen wir doch oft die gleichen Sorgen und Herausforderungen. Wäre es nicht besser, ehrlich miteinander umzugehen, über Probleme zu sprechen und sich gegenseitig zu ermutigen? Unter meinen Freundinnen sind einige Frauen, mit denen ich offen und ehrlich über die Schwierigkeiten als Mutter reden kann. Denn gelegentlich ist es notwendig, von anderen in ähnlichen Situationen zu hören, um wieder Kraft und Selbstvertrauen zu bekommen. Im hektischen Alltag kommt das oft zu kurz. Deswegen wollte ich gern einen kleinen Teil dazu beitragen, zumindest die Mütter in meinem Freundeskreis zu stärken. Ich fand es zu schade, die Postkarten, die mein Mann mir geschenkt hatte, mit ihren starken Botschaften für mich zu behalten.

MEHR ACHTSAMKEIT

Also nahm ich sie und schrieb jeder Mutter in meinem näheren Umfeld eine davon. Ich versuchte, sie möglichst passend zur Situation und Persönlichkeit der Mütter auszuwählen und schrieb, dass sie eine tolle Mutter sei, einen guten Job mache, ich ihr Gottes Segen und Kraft wünsche. Dabei hatte ich manchmal beim Schreiben das Gefühl, diese Worte auch mir selbst zuzusprechen. Die Reaktionen der Empfängerinnen waren durchweg positiv. Viele waren überrascht, leider bekommen nur die wenigsten in ihrem Alltag ab und an gesagt, dass sie eine tolle Mutter sind. Ich möchte daher zu mehr Achtsamkeit und Ehrlichkeit im Umgang miteinander ermutigen und dazu einladen, sich gegenseitig immer mal wieder im Alltag zu stärken. So behält man das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten als Mutter. Das können Kleinigkeiten sein wie eine Postkarte, eine kurze Nachricht, eine Schokolade als Nervennahrung oder ein kurzer Besuch auf eine Tasse Kaffee, bei dem man über Sorgen und Nöte redet. Das gilt übrigens auch für Väter! Letztlich sind wir alle Eltern mit Stärken und Schwächen, mit guten und schwierigen Phasen unserer Kinder. Und wer hört nicht gerne den Satz: „Gut gemacht, Mama/Papa!“?

Lisa-Maria Mehrkens ist Psychologin und freie Journalistin und lebt mit ihrer Familie in Chemnitz.

„Kenne keine einzige Familie, bei der alles perfekt läuft“ – Mutter ist überzeugt: Viele haben falsche Vorstellungen vom Mama-Sein

Wenn schwangere Freundinnen ihr von der Zukunft vorschwärmen, kann Simone Oswald nur lächeln. Sie weiß: Es wird schwerer als gedacht. Und genialer.

Lange bevor ich schwanger war, wusste ich genau, wie mein Leben als Mama und mein zukünftiges Kind sein würden. Ich hatte sehr genaue Vorstellungen, wie etwa „das mit dem Stillen“ oder „das mit dem Schlafen“ bei uns mal ablaufen würde – ich hätte es schon Jahre vorher beschreiben können. Dann wurde ich tatsächlich Mutter und – Überraschung! – konnte mich bald vom Großteil meiner Ideen verabschieden.

Völlig falsche Hoffnungen

In meinem Umfeld findet derzeit ein kleiner Babyboom statt. Ich führe daher recht häufig ein kleines Pläuschchen mit Frauen, die ihr erstes Kind erwarten und eine ganz genaue Vorstellung von allem haben. „Mein Kind wird, darf, soll und möchte später niemals …“ – Und ich? Ich habe das Gefühl, ein Déjà-vu zu erleben und mich in meiner früheren Version sprechen zu hören. Immer wieder stelle ich mir daher die Frage: Wie gehe ich richtig mit Bald-Mamas und ihren Vorstellungen von Mutterschaft und Kindererziehung um?

Völlig normal ist, dass man sich vor dem ersten Kind kaum in diese Situation hineinversetzen kann. Ich hatte früher immer etwas Sorge, mich bei Baby- oder Kleinkind-Beschäftigungen schnell zu langweilen. Heute schaue ich mit ehrlichem Interesse einem kleinen Marienkäfer beim Krabbeln zu und langweile mich dabei keine Sekunde, weil mein Kind vor Begeisterung kaum zu halten ist. Großen Respekt hatte ich auch vor dem allgegenwärtigen Schlafmangel. Und auch wenn sich meine Augenringe heute kaum überschminken lassen, so hätte ich mir niemals vorstellen können, wie mein Herz hüpfen würde, wenn mich mein Sohn um kurz vor fünf Uhr morgens fragt, ob ich auch etwas „Schönes däumt“ habe.

Mehr weinen als lachen

Andererseits hatte ich mir in der Schwangerschaft eine ganze Reihe an Fotomotiven abgespeichert, die ich mit meinem Neugeborenen nachstellen wollte. Dass ich in den ersten Wochen nach der Geburt mehr weinen als lachen würde und es daher kaum ein Foto aus dieser Zeit geben würde, damit hatte ich nicht gerechnet. Ich wusste damals noch nicht, dass ich viele Monate lang eine Höchst-Dusch-Dauer von zwei Minuten haben sollte und dass ich beim Verlassen der Dusche schon wieder durchgeschwitzt wäre, weil mein Baby wie am Spieß brüllen und mein Herz in Flammen stehen würde.

Wenn eine Schwangere mir von Ängsten und Sorgen berichtet, dann fällt es mir leicht, darauf zu reagieren. Ich zögere keine Sekunde, ihr vorzuschwärmen, wie viel leichter, umwerfender, großartiger und genialer das Leben als Mama ist, als sie es sich vorher ausmalen kann. Unsicher bin ich mir allerdings, ob ich im umgekehrten Fall auch sagen sollte, dass es manchmal sorgenvoller und zehrender wird, als sie es sich jetzt vorstellt …

Mehr Ehrlichkeit?

Milchstau, Schlafentzug, Streit, Überforderung … Für viele Mamas sind das keine Fremdwörter. Ich finde: Viele herausfordernden Situationen sind gerade dadurch herausfordernd, weil man nicht mit ihnen gerechnet hat und sich daher auch nicht auf sie einstellen konnte. Sollte ich meinen Freundinnen gegenüber also mehr von den schwierigen Seiten sprechen, damit sie davon nicht überrascht werden? Wären sie dann besser vorbereitet?

Einerseits bin ich für Offenheit bei vermeintlichen Tabuthemen – denn genau das scheinen manche Probleme in der Elternschaft zu sein. In den sozialen Netzwerken etwa braucht es sogar einen extra Hashtag #fürmehrRealität. Denn genau diese geht zwischen all den aufgeräumten Kinderzimmern mit zur Einrichtung passend gekleideten Kindern etwas unter. Einige Neu-Mamas werden von Problemen überrumpelt, auf die man sich durchaus hätte einstellen können – wenn nur andere Mamas offen reden würden. „Warum sagt einem das vorher keiner, wenn es doch offensichtlich allen so geht?“, mag sich manche Frau da fragen. Und auch ich habe mir gewünscht, dass ich manche Dinge vorher gesagt bekommen hätte.

Träumen ist erlaubt

Wenn ich mir auf der anderen Seite vorstelle, dass damals, als ich schwanger und beseelt von perfekten Zukunftsvisionen war, erfahrene Eltern ständig mit der Realitätskeule meine rosarot-hellblaue Blase zerplatzt hätten – ich wäre ihnen vermutlich nicht nur dankbar gewesen. Wenn man so voller Vorfreude ist, dann möchte man nicht permanent hören, wie unrealistisch der eigene Blick auf diese kommende Zeit ist. Man möchte träumen und seine überwältigende Vorfreude genießen. Sollte dann die Baby- oder Kleinkindzeit doch anders verlaufen als erhofft – erst dann ist der richtige Zeitpunkt, sich damit auseinanderzusetzen. Ich vertraue darauf, dass meine Freundinnen mich um meine Erfahrungswerte bitten, wenn sie diese auch tatsächlich brauchen können. Bis dahin versuche ich, nicht mit ungefragten „Rat-Schlägen“ um mich zu schmeißen.

So belasse ich es dabei, von meinen Problemen im Mama-Alltag zu erzählen. Ich vermeide es aber, anderen zu suggerieren, dass meine Sorgen auch zwangsläufig auf sie zukommen werden. So einzigartig jedes Kind ist, so individuell ist auch unser Mama-Leben und unser Weg. Sicherlich ist es kein schlechter Gedanke, eine werdende Mutter vorbereiten zu wollen – doch geht das kaum, ohne ihr auch ein bisschen die eigene Geschichte überzustülpen. Ich versuche, die richtige Balance zu finden und meinen Freundinnen weder ihre Vorfreude zu beschneiden, noch ihnen ein unrealistisch perfektes Leben vorzugaukeln.

Ein Baby ohne Hunger und Müdigkeit? Fehlanzeige

Tatsächlich muss ich (zumindest innerlich) meistens auch eher schmunzeln, wenn ich mir anhöre, was meine Freundinnen für die Zeit nach ihrer Schwangerschaft alles geplant haben. Die wichtigste Voraussetzung für ihre Pläne ist dummerweise meist ein Baby, das weder schlechte Laune noch Hunger, Müdigkeit, Schmerzen oder einen eigenen Willen kennt und mit recht wenig Zutun der Eltern zufrieden ist.

Wenn sie davon reden, dass sie den Beikostplan schon auswendig gelernt haben und das Kind die ersten Jahre zuckerfrei leben wird, dann grinse ich leicht skeptisch. Wenn sie mir erklären, wie albern sie den berühmten Ratschlag „Schlaf, wenn das Baby schläft“ finden – denn ein paar Wochen oder Monate etwas weniger schlafen, das wird ja wohl nicht so schlimm sein? –, dann muss ich mich schon anstrengen, ein vielsagendes Lachen zu unterdrücken. Und wenn sie erklären, dass ihr Kind später niemals in einem Supermarkt wegen einer verweigerten Süßigkeit losbrüllen wird, dann lächle ich beschämt und bin froh, dass sie uns letzte Woche nicht zu unserem Einkauf begleitet haben.

Unperfekt und wunderbar

Sicherlich: Einiges davon funktioniert tatsächlich wunderbar, keine Frage. Diese Perfektion, in der manche Freundin ihre eigene Mutterschaft vor sich sieht, ist aber vermutlich nur auf sozialen Medien hinter bearbeiteten und gestellten Fotos zu finden. Oder wie viele Familien kennen Sie, bei denen alles perfekt läuft? Auf allen Ebenen? Ich persönlich: keine einzige.

Und genau dieses Wissen, das ich schon erfahren durfte und das sicherlich auch meine Freundinnen früher oder später erkennen werden, ist der eigentliche Grund, zu lachen und zu lächeln. Weil es eben nicht perfekt ist, das Leben mit Kindern. Und genau deswegen ist es ja so wunderbar! Sobald man sich von der perfekten Bilderbuch-Familie innerlich verabschiedet hat, lebt es sich gleich viel angenehmer. Man versinkt im heimeligen Chaos mit Kleinkind (mit Schokomund!), trägt manchmal Milchflecken auf Shirts, Augenringe und ungekämmtes Haar und verspricht sich selbst, erst wieder mit Kindern zu backen, wenn sie alt genug sind, um hinterher auch beim Aufräumen zu helfen.

Hoffen auf das Gute

So bleibt mir also nur eine Reaktion: Ich schweige. Und ich denke mir meinen Teil. Manchmal lache ich dabei innerlich, manchmal träume ich ihn mit, den Traum vom perfekten Leben mit Kind. Denn obwohl ich nun eigentlich „die Realität“ kenne, stelle auch ich mir zukünftige Situationen mit älterem Kind schön und ideal vor. Ich denke heute noch nicht daran, dass mein Zweijähriger als Teenager in der Pubertät verrückte Dinge tun könnte. Ich denke nicht darüber nach, dass er als Erwachsener Geldprobleme haben könnte. Ich mache mir keine Sorgen, dass er als Rentner unglücklich mit seinem Eigenheim sein könnte …

Ich blicke positiv in die Zukunft, obwohl ich ahne, dass sie realistisch gesehen auch Herausforderungen bereithalten wird. Ich will ganz bewusst positiv sein, ich hoffe mit voller Absicht auf das Gute. Und ich weiß, dass die Zukunft so viel mehr an Schönem bereithält, als ich mir jemals ausmalen könnte. Und genau diesen Genuss des Träumens wünsche ich auch meinen schwangeren Freundinnen. Es werden Probleme kommen, aber sie werden zu meistern sein! Und sollten wir irgendwann ein Gespräch darüber führen, dass gerade alles anstrengend ist und sie sich manches anders vorgestellt hatten – dann werde ich für sie da sein, mit offenem Ohr und liebendem Herzen zuhören und sie wieder dazu bringen, von einem umwerfenden „Bald“ zu träumen.

Simone Oswald arbeitet als Lehrerin und freie Texterin. Mit ihrem Mann und ihrem Sohn lebt sie im Landkreis Deggendorf.

„Windelfrei“ ab dem ersten Tag: Fünffache Mutter erzählt, wie das funktionieren kann

Babys vom ersten Tag an ins Töpfchen machen lassen? Im Interview erzählt die fünffache Mutter Jessica Schmidt, wie sie das schafft.

Wie sind Sie auf die Idee gekommen, Ihren Babys keine Windeln mehr anzuziehen?

Ich habe nach der Geburt meines dritten Kindes das Buch „Artgerecht“ von Nicola Schmidt gelesen. Die Theorie, dass bindungsorientierte Erziehung schon bei der Geburt beginnt, indem ich das Kind nahe bei mir halte, es trage und so früh seine Signale erkennen und verstehen lerne, ist inspirierend. Es geht darum, eine enge Beziehung aufzubauen und die Kommunikationswege des Kindes intuitiv wahrzunehmen. So ist es auch beim Thema Windelfrei, wobei dieser Begriff irreführend ist. „Ausscheidungskommunikation“ trifft es eher. Ich ziehe meinem Kind zwar Windeln an, achte aber darauf, wenn es mir kommuniziert, dass es ausscheiden muss, und halte es dann über das Töpfchen. „Abhalten“ wird es auch genannt.

Wie merken Sie, dass Ihr Baby ausscheiden muss?

Das ist unterschiedlich. Ein Indiz ist körperliche Unruhe. So wie größere Kinder anfangen, auf der Stelle zu treten, wenn sie müssen, beginnt auch das Baby, unruhig zu werden und zu zappeln oder zu meckern. Häufig müssen die Kinder nach dem Schlafen Pipi. Manchmal krabbeln sie auch auf einen zu. Vieles ist Intuition. Bei unserem fünften Kind hatte ich, als ich noch mit ihm im Krankenhaus lag, ganz intuitiv den Gedanken, dass er muss. Und tatsächlich: Als ich ihm die Windel abzog, ging’s los. So war es auch bei meiner Zweieinhalbjährigen. Sie war durchs Spiel und ich durch den Haushalt oft abgelenkt, aber immer, wenn ich den Impuls hatte, sie aufs Töpfchen zu setzen, und ihm nachging, kam auch was. Es liegt viel an der Mutter, inwieweit sie bereit ist, sich intuitiv darauf einzulassen.

Nicht unter Druck setzen

Sie haben fünf Kinder und somit sicherlich gut zu tun. Wie läuft der windelfreie Alltag bei Ihnen?

Ich habe die Option „aufs Töpfchen setzen“ einfach als weiteren Punkt in die Bedürfnisliste aufgenommen, die man eh immer durchgeht, wenn das Baby unzufrieden wirkt: Braucht es Nähe, Wärme, Essen, Trinken oder Schlaf oder will es eben ausscheiden? Wichtig ist, sich nicht unter Druck zu setzen, sonst ist es Stress pur. Es darf auch mal in die Windel machen. Es gab natürlich auch bei uns Phasen, die stressig waren oder in denen wir auf Reisen waren und ich kurzzeitig davon weggekommen bin. Ich bin aber immer zu diesem Thema zurückgekommen, weil es sich lohnt.

Welche Vor- und Nachteile hat das Abhalten für Sie?

Der Vorteil ist, dass das Kind früh ein Gefühl für die eigene Körperausscheidung bekommt und lernt, dass Ausscheidungen woanders landen können als in der Windel. Sie bekommen mehr Bestätigung und Selbstbewusstsein darin, dass sie das Thema früh selbst schaffen können. Wir brauchen auch keine Wundschutzcreme mehr, da Wundsein kaum noch vorkommt. Der Nachteil ist, dass man das Kind häufiger heben muss, um es abzuhalten. Das ist körperlich anstrengender, aber dafür ist man erfahrungsgemäß früher mit dem Thema durch. Meine Dritte war ab dem zweiten Geburtstag trocken, bei den Folgekindern war es ähnlich.

Interview: Ruth Korte

Windelfrei ohne Stress

Babys vom ersten Tag an ins Töpfchen machen lassen? Was für manche Eltern unvorstellbar klingt, gehört für Jessica Schmidt zum Familienalltag dazu. Im Interview erzählt die fünffache Mutter von ihren Erfahrungen.

Wie sind Sie auf die Idee gekommen, Ihren Babys keine Windeln mehr anzuziehen?

Ich habe nach der Geburt meines dritten Kindes das Buch „Artgerecht“ von Nicola Schmidt gelesen. Ihre anthropologische Herangehensweise an das Thema Bindung nimmt uns Christen oft den Zugang zu ihrem Buch. Aber die Theorie, dass bindungsorientierte Erziehung schon bei der Geburt beginnt, indem ich das Kind nahe bei mir halte, es trage und so früh seine Signale erkennen und verstehen lerne, ist inspirierend. Es geht darum, eine enge Beziehung aufzubauen und die Kommunikationswege des Kindes intuitiv wahrzunehmen. So ist es auch beim Thema Windelfrei, wobei dieser Begriff irreführend ist. „Ausscheidungskommunikation“ trifft es eher. Ich ziehe meinem Kind zwar Windeln an, achte aber darauf, wenn es mir kommuniziert, dass es ausscheiden muss, und halte es dann über das Töpfchen. „Abhalten“ wird es auch genannt.

Wie merken Sie, dass Ihr Baby ausscheiden muss?

Das ist unterschiedlich. Ein Indiz ist körperliche Unruhe. So wie größere Kinder anfangen, auf der Stelle zu treten, wenn sie müssen, beginnt auch das Baby, unruhig zu werden und zu zappeln oder zu meckern. Häufig müssen die Kinder nach dem Schlafen Pipi. Manchmal krabbeln sie auch auf einen zu. Vieles ist Intuition. Bei unserem fünften Kind hatte ich, als ich noch mit ihm im Krankenhaus lag, ganz intuitiv den Gedanken, dass er muss. Und tatsächlich: Als ich ihm die Windel abzog, ging’s los. So war es auch bei meiner Zweieinhalbjährigen. Sie war durchs Spiel und ich durch den Haushalt oft abgelenkt, aber immer, wenn ich den Impuls hatte, sie aufs Töpfchen zu setzen, und ihm nachging, kam auch was. Es liegt viel an der Mutter, inwieweit sie bereit ist, sich intuitiv darauf einzulassen.

Sie haben fünf Kinder und somit sicherlich gut zu tun. Wie läuft der windelfreie Alltag bei Ihnen?

Ich habe die Option „aufs Töpfchen setzen“ einfach als weiteren Punkt in die Bedürfnisliste aufgenommen, die man eh immer durchgeht, wenn das Baby unzufrieden wirkt: Braucht es Nähe, Wärme, Essen, Trinken oder Schlaf oder will es eben ausscheiden? Wichtig ist, sich nicht unter Druck zu setzen, sonst ist es Stress pur. Es darf auch mal in die Windel machen. Es gab natürlich auch bei uns Phasen, die stressig waren oder in denen wir auf Reisen waren und ich kurzzeitig davon weggekommen bin. Ich bin aber immer zu diesem Thema zurückgekommen, weil es sich lohnt.

Welche Vor- und Nachteile hat das Abhalten für Sie?

Der Vorteil ist, dass das Kind früh ein Gefühl für die eigene Körperausscheidung bekommt und lernt, dass Ausscheidungen woanders landen können als in der Windel. Sie bekommen mehr Bestätigung und Selbstbewusstsein darin, dass sie das Thema früh selbst schaffen können. Wir brauchen auch keine Wundschutzcreme mehr, da Wundsein kaum noch vorkommt. Der Nachteil ist, dass man das Kind häufiger heben muss, um es abzuhalten. Das ist körperlich anstrengender, aber dafür ist man erfahrungsgemäß früher mit dem Thema durch. Meine Dritte war ab dem zweiten Geburtstag trocken, bei den Folgekindern war es ähnlich.

Interview: Ruth Korte

Gegen Drachen kämpfen

Warum ich eine Heldenmama bin. Von Hella Thorn

Gegen welche Drachen ich zu kämpfen haben würde, wusste ich nicht, als ich mich vor fünf Jahren in das Land der Mutterschaft aufmachte, um meine Prinzessin vor dem Bösen zu beschützen. Klar war nur, dass ich mit meiner minderen Grundausstattung unerschrocken gegen alles Böse kämpfen würde, damit aus meiner Tochter eines Tages eine mutige, (willens-)starke, gebildete, hilfsbereite und glückliche junge Frau wird. Allein das macht mich per Definition schon zu einer Heldenmutter. Und da sind die Ungeheuer, in die sich meine Kinder zuweilen verwandeln können, die Monster unter dem Bett, die „Kämpfe“, die man um Fernsehzeiten, falsch geschnittenes Brot, den adäquaten Umgang mit Schere, Kleber und Tacker oder Süßigkeiten im Supermarkt auszufighten hat, nicht mitgezählt.

Große und kleine Kämpfe

Trotzdem, der Begriff des Helden hat keinen guten Stand. Versuche ich, ihn mir selbst zuzusprechen, schreien mich direkt Drachen nieder: „So viel wie du schimpfst und meckerst?“ „Sorry, aber bei deinem dünnen Nervenkostüm und porösen Geduldsfaden eignest du dich nicht gerade zur Mutter des Jahres.“ „Du entsprichst ja noch nicht mal dem Instagram-Bild einer guten Mutter. Da wollen wir von einer Heldenmama gar nicht anfangen.“

Denke ich an die Väter, fallen mir scheinbare Gegenargumente ein wie die häufigere Abwesenheit, der mangelnde Anteil an der Care- und Haushaltspflicht und die Unkenntnis über die aktuelle Schuhgröße, die Namen der besten Freunde oder die Ratlosigkeit darüber, was es zum Abendessen geben soll. Klar, das sind alles keine rühmlichen Handlungen oder imponierendes Wissen, aber sie scheinen doch mit einem Heldenvater einhergehen zu müssen.
Doch diese (Glaubens-)Sätze sind nichts anderes als Drachen. Drachen, gegen die Mütter und Väter ihre Schwerter ziehen müssen, um sie niederzukämpfen. Denn jeden Tag beweisen Eltern, dass sie echte Superhelden sind. Jeden einzelnen Tag leisten sie im Großen und Kleinen Außergewöhnliches. Jeden Tag gehen sie über ihre Grenzen, Kraftreserven und eigenen Wünsche hinweg.

Die Drachen der Gegenwart

So stelle ich mich unerschrocken jeder Diskussion, jedem starken Gefühl und jedem Bedürfnis meiner Kinder. Ich laufe stundenlang durch unsere Stadt auf dem Weg zur unsichtbaren Freundin meiner Tochter, die dann leider nicht zu Hause ist. Ich lese meinem Sohn unermüdlich Bücher vor, deren Beschränkung auf Hauptwortsätze mich mürbe macht. Ich ermögliche meinen Kindern verschiedenste Erfahrungen – obwohl ich es doch so oft besser weiß. Ich kämpfe gegen Müdigkeit, graue Haare und Schokoflecken auf T-Shirts und für gerechte Teilhabe, Bildung und ein starkes Selbstwertgefühl der Kinder.

Sicherlich gibt es viele weitere Drachen, gegen die Eltern, vor allem Mütter, heutzutage zu kämpfen haben. Der Mental Load, die fehlende Anerkennung der Care-Arbeit oder die krass überhöhten Erwartungen, die an Mütter und Väter gestellt werden, sind gefährliche Drachen, die den Weg der Elternschaft flankieren und erschweren. Deshalb sind wir Heldeneltern – und als Eltern zukünftiger Helden haben wir den Titel sowieso verdient.

Hella Thorn ist Mutter zweier kleiner liebenswerter Ungeheuer (2 und 5 Jahre) und arbeitet als Redakteurin, Autorin und Lektorin.

Auf das Loslassen kann man sich nicht vorbereiten

Wie eine alleinerziehende Mutter die Herausforderung meistert. Ein ehrlicher Bericht.

Mein Kind ist groß und ich lass los. – Das ist schön gereimt und hört sich einfach an. Ich dachte immer, ich hätte mich schon sehr früh darauf vorbereitet, dass mein Sohn irgendwann ein eigenes und selbstständiges Leben führen wird und ich ihn dann loslassen muss. Aber es kam anders. Und überhaupt lief das mit Familie nicht so, wie ich es mir vorgestellt hatte.

Scheidungskind

Ich bin das Kind einer alleinerziehenden Mutter. Ich habe zwei Geschwister. Mein Vater ist Afrikaner, und wir lebten bis zu meinem elften Lebensjahr in seinem Heimatland. Unser Alltag war geprägt vom Bürgerkrieg und der Gewalt und den Missbrauch durch meinen Vater. Anfang der 80er-Jahre gelang meiner Mutter, die Deutsche ist, die Flucht in ihre Heimat.

Dadurch, dass ich die Älteste bin, hatte ich eine sehr große Verantwortung für meine Geschwister. Meine Mutter musste arbeiten, und wir Kinder waren oft uns selbst überlassen. Das führte dazu, dass ich sehr früh selbstständig und „erwachsen“ wurde.

Anfang 20 lernte ich während meiner Ausbildung meinen zukünftigen Ehemann kennen. Wir heirateten und unser Sohn kam auf die Welt. Sehr bald merkte ich, dass ich einen Mann mit zwei Gesichtern geheiratet hatte. Das Welt-Gesicht, mit dem ich ihn kennengelernt hatte, und das Privat-Gesicht, das dem meines Vaters sehr ähnelte. Kurz vor dem ersten Geburtstag meines Sohnes eskalierte eine Situation. Mir wurde bewusst, dass ich mich von diesem Mann trennen muss, um vor allem die Seele meines Sohnes zu schützen.

Die Last nicht Allein tragen

Da stand ich nun. Allein mit einem zehn Monate alten Säugling. Seelisch ein Wrack und sehr allein, da ich mein Leben lang eine Einzelgängerin war. Ich wusste nicht, wie es weitergehen sollte. Aber ich wollte alles tun, um meinen Sohn zu beschützen und ihn zu einem Mann zu erziehen, der wertschätzend und rücksichtsvoll mit anderen Menschen und besonders mit Frauen umgeht. Ich habe mir und ihm versprochen, ihn niemals allein zu lassen. Aber zuerst musste ich selbst wieder auf die Beine kommen. Es begann eine jahrelange Odyssee mit Klinikaufenthalten und Therapien. Durch die Geschichte mit meinem Ex-Mann brach mein Kindheitstrauma auf, das ich komplett verdrängt hatte.

Gleichzeitig begann mein Weg im Glauben, mein Weg auf Jesus hin und Gott entgegen. Noch vor der Geburt meines Sohnes war ich einem Christen begegnet, der mir den Glauben nahegebracht hatte. Als mein Sohn etwa zwei Jahre alt war, wusste ich, dass ich die Verantwortung für die Erziehung nicht allein tragen konnte. Ich ließ ihn in einem Gottesdienst segnen. Und ich spüre noch heute, wie mir eine Last von den Schultern gehoben wurde, als der Segen über dieses Kind ausgesprochen war. Das war meine erste wirklich intensive Begegnung mit Jesus.

Schlechte Mutter?

Durch viele intensive Erlebnisse sind mein Sohn und ich eng zusammengewachsen. Mir war aber wichtig, dass er das Kind sein konnte und ich die Erwachsene. Aus den immer wieder auftauchenden Konflikten mit seinem Vater habe ich ihn herausgehalten. Trotzdem hielt ich mich immer für eine schlechte Mutter. Ich machte mir Vorwürfe, dass ich es nicht geschafft hatte, die Ehe auszuhalten und die Familie zu bewahren. Aber ich hatte mich ja getrennt, um mich und meinen Sohn zu schützen. Das war das einzig Richtige, was ich tun konnte.

In der Gemeinde fanden wir eine neue „Familie“. Es dauerte lange, bis ich anfing, Vertrauen zu fassen. Meinem Sohn fiel das leichter, er tauchte in die Kinder- und später in die Teenie- und Jugendarbeit ein. Und wenn ich mal für ein paar Wochen in eine Klinik musste, gab es eine andere Familie mit vielen Söhnen, die ihn aufgenommen hat. Heute habe ich zum ersten Mal in meinem Leben eine beste Freundin und bin Teil einer Gemeinschaft, die mir guttut, die mich trägt, die mir zeigt, wie man sich am Leben freuen kann, und die für mich betet, wenn ich durch ein dunkles Tal marschieren muss.

Unperfekte Familien

Als mein Sohn in der Pubertät war, bekam ich die Anfrage, als Assistentin für einen Mann zu arbeiten, der bei einem Missionswerk die Arbeit in der arabischen Welt leitete. Ich wusste sofort, dass ich das machen möchte. Die neue Aufgabe wäre zwar mit Reisen und langen Abwesenheiten von zu Hause verbunden. Aber ich war mir sicher, dass mein Sohn das hinbekommen würde, dass er ein verantwortungsbewusster junger Mann war, der keinen Mist machen würde. Er hatte seit etwa zwei Jahren einen kleinen, überschaubaren Freundeskreis, von dem ich dachte, dass er ihm guttut. Wie sehr hatte ich mich geirrt. Als ich von einer zweiwöchigen Konferenz zurückkam, merkte ich, dass etwas mit meinem Sohn nicht stimmte. Er schlief schlecht, war abwesend, suchte meine Nähe und meinen Trost. Zwei Wochen später erfuhr ich, dass er überredet worden war, die durch meine Abwesenheit sturmfreie Bude zu nutzen. Es war viel Alkohol im Spiel gewesen. Und mein Sohn hatte bis dahin kaum Alkohol getrunken. Es kam dann wohl zu einem Vorfall, der zu einer Anzeige führte. Allerdings wurde das Verfahren aus Mangel an Beweisen eingestellt.

Ich stellte alles in Frage: meinen Dienst in der Missionsgesellschaft, meine Erziehung, mein Muttersein, einfach alles. Schritt für Schritt bin ich durch diesen Prozess gegangen. Mir wurde bewusst, dass ich meinen Sohn alles andere als losgelassen hatte. Am meisten hat mich die Tatsache umgehauen, dass ich meinen Sohn nicht mehr beschützen kann. Er ist jetzt auf dem Weg, erwachsen zu werden. Und er ist in einem Alter, wo er seine eigenen Entscheidungen trifft und dafür auch die Konsequenzen tragen muss. Ich glaube, das war die härteste Erkenntnis, die ich aushalten muss.

Und was noch dazukam: Ich habe mich unendlich geschämt. Ich war überzeugt, mit niemandem in der Gemeinde darüber reden zu können. Sie haben alle ihre perfekten kleinen Familien … Als ich es schließlich schaffte, mich jemandem anzuvertrauen, begegneten mir Anteilnahme, Gebet und – ganz wichtig – unperfekte Geschichten von unperfekten Kindern aus unperfekten Familien. Das hat mir geholfen zu sehen, dass das Verhalten meines Sohnes nicht meine Schuld ist. Ich habe gelernt, es als ein Ereignis zu sehen, das jetzt zu seinem Leben gehört, und es zu akzeptieren. Er hat mit mir bis heute nicht darüber gesprochen, was eigentlich genau passiert ist. Und es ist auch nicht mehr wichtig. Ich habe ihm nur gesagt: „Egal, was geschehen ist, es ändert nichts an meiner Liebe zu dir.“ Auch das gehört zum Loslassen: zu akzeptieren, dass er nicht über alles mit mir redet.

Luft fürs Leben lassen

Ich weiß heute, dass man sich auf das Loslassen nicht vorbereiten kann, so sehr man sich auch anstrengt. Ich weiß heute, dass es wichtig ist, bei jedem Schritt, den das Kind in seine Selbstständigkeit vorwärtsgeht, selbst einen Schritt zurückzugehen. Ihn zu „entlassen“, den Radius zu erweitern und ihm Luft für sein Leben zu lassen. Vor den Gefühlen, die dabei in mir spürbar werden, kann ich mich nicht prophylaktisch schützen. Denn loslassen bedeutet, meine Gefühle in dem Moment anzuschauen, wenn ich

diesen Schritt zurück mache. Dazu gehört Weinen, weil ich meinen Sohn in eine ungewisse Zukunft entlasse, in der er sicher Entscheidungen treffen wird, die ich nicht gut finde. Aber auch Lachen und Freude, dass ich Anteil habe daran, dass dieser junge Mensch so sicher seinen Weg geht. Und ich weiß, dass er weiß, dass ich immer da bin.

Ich habe immer darüber nachgedacht, ob und wie ich mit ihm darüber reden soll, warum ich mich von seinem Vater getrennt habe, und ob er es mir zum Vorwurf macht. Ich wusste nie, wann der richtige Zeitpunkt ist. Vor einigen Wochen waren wir wandern und mein Sohn fragte auf einmal: „Mama, ginge es uns heute auch so gut, wenn du dich nicht von Papa getrennt hättest?“ Wow, was für eine Frage! Ich sagte ihm, dass es uns wahrscheinlich nicht so gut ginge und wir eher sehr verletzte Menschen wären. „Es war wegen seiner Aggressionen, oder?“, meinte er. Auch hier hat er die Zeit bestimmt, wann er so weit war, darüber zu reden.

Beziehungsfähig?

Heute ist der Prozess des Loslassens nicht vorbei. Aber er ist leichter, vielleicht auch, weil ich ihm nicht mehr ganz so viel Gewicht in meinem Leben gebe. Und ich muss sagen, dass die Gemeinde und auch das Gebet einen ganz großen Anteil haben. Als Alleinerziehende bin ich viel mehr auf Gott angewiesen. Er ist es, mit dem ich meine Alltagsprobleme bespreche, wo andere vielleicht einen Ehepartner haben.

Was bleibt, ist meine Sorge, ob mein Kind jemals in der Lage sein wird, eine Beziehung einzugehen. Ob er beziehungsfähig ist. Ich bin nun die vierte Generation von alleinerziehenden Frauen in unserer Familie. Ich bin die Einzige, die Jesus in ihrem Leben hat. Kann Gott die Verletzungen heilen, die auch mein Sohn schon sehr früh erlitten hat? Ich sehe, welche Heilung Gott mir hat zukommen lassen, und ich vertraue darauf, dass er auch meinen Sohn in seinen Händen hält.

Die Autorin möchte gern anonym bleiben, um sich und ihren Sohn zu schützen.

Das Baby und ich: Keine Ahnung vom Muttersein?

Das Gefühl, keine gute Mutter zu sein, kann sehr lähmend wirken. Rachel Hollis kennt diese Gedanken und hat sie als Lüge enttarnt.

Ich bin die schlimmste Schwangere, die du je getroffen hast. Ich hasse einfach jeden Aspekt an einer Schwangerschaft – abgesehen davon, dass man am Ende ein Baby hat. Ich bin dankbar für meine Schwangerschaften – aus tiefstem Herzen dankbar dafür, dass Gott es mir geschenkt hat, drei wundervolle kleine Jungs und ein Mädchen austragen zu dürfen. Das ist nicht selbstverständlich. Aber jeder einzelne Aspekt einer Schwangerschaft setzt mir zu.

Die Wehen sind das Schlimmste

Doch als das wundervolle Ereignis schließlich geschah, war ich in Ekstase. Erstens, weil ich endlich Jackson Cage kennenlernen konnte – unser Wunschkind, dessen Namen wir schon vor Jahren bei einer Reise quer durchs Land festgelegt hatten. Zweitens, weil ich meinen Körper nun wieder für mich allein haben würde. Ich war euphorisch, dass ich die Wehen überstanden hatte, die ich offen gesagt für das Schlimmste am Muttersein halte.

Aber als wir mit Jackson in seiner ganzen Pracht zu Hause ankamen, traf mich völlig unvorbereitet das Gefühl, als frisch gebackene Mama vollkommen ungeeignet zu sein. Ich liebte ihn unbändig. Und ich hatte Angst um ihn. Ich konnte nachts kaum schlafen, weil ich mir sicher war, dass er aufhören würde zu atmen. Das Stillen war schwierig und schmerzhaft und ich produzierte nie genug Milch, um diesen gigantischen Nachwuchs satt zu kriegen. Mein Mann war immer mein bester Freund und mein Lieblingsmensch auf Erden, aber ich erinnere mich noch an die Zeit, in der Jackson anderthalb Monate alt war, und ich Dave ansah und ernsthaft dachte, ich würde ihn hassen. Aus tiefster Seele hassen.

Elternwerden ist ein Schwindel

Jackson war sechs Wochen alt – was übrigens genau die Zeit ist, in der ungetrübter Hass am häufigsten auftritt – und wachte nachts immer noch auf. Es ist wichtig an dieser Stelle die Worte immer noch zu betonen, denn mein junges, ahnungs- und kinderloses Ich hatte gedacht, am Ende des ersten Monats hätten wir alles überstanden und befänden uns auf bestem Wege ins elterliche Paradies. Ach, mein reines, unschuldiges Herz …

Elternwerden ist ein großer Schwindel. In den ersten Wochen schwimmt man auf der großen Euphoriewelle. Liebe Menschen bringen einem Aufläufe vorbei, die Mama ist noch da und hilft und man hat diesen wundervollen kleinen Engel. Aber dann vergehen die nächsten zwei Wochen und man gerät in eine Zombieroutine. Die Brüste tropfen durch die Kleidung und man hat schon eine Woche nicht gebadet. Die Haare sehen so schlimm aus wie nie zuvor – egal. Du schaffst das schon.

In mich reingefressen

Aber nach sechs Wochen ist die Luft raus. Man denkt: Warum bin ich so erschöpft? Warum sehe ich immer noch so aus, als wäre ich im fünften Monat schwanger? Warum mache ich immer noch nichts anderes außer stillen?

Nach sechs Wochen war ich ein wenig … äh … frustriert darüber, wie sehr ich damit beschäftigt war, mich ums Baby zu kümmern. Ich hatte das Gefühl, dass Dave nicht sehr viel dazu beitrug und fand die Verantwortung, das meiste allein stemmen zu müssen, ziemlich erdrückend. Aber ich sagte kein Wort zu ihm. Ich wickelte das Gefühl fest ein und schluckte es ganz tief hinunter, wo es niemandem in die Quere kam. Eines Tages unterhielten wir uns über irgendetwas, als die Bombe platzte. „Ich bin müde.“ Das war es, was er sagte. Das waren seine Worte. Meine Welt wurde aus den Angeln gerissen, und meine Augen nahmen das Achtfache ihrer normalen Größe an. Aber er war zu sehr mit Reden beschäftigt: „Ich bin todmüde, weil ich heute Morgen so früh aufgewacht bin … blablabla … weitere falsch verstandene Worte.“

Komplett ausgerastet

Ich rastete komplett aus. Ich weinte, ich lachte, ich überlegte, wer dieses Baby aufziehen würde, wenn ich Dave mit dem Plastikschlauch meiner Milchpumpe erdrosselte. Und um eins der berühmtesten Zitate unserer gesamten Ehe zu wiederholen: „Bei unserer Hochzeit hätte ich nie gedacht, dass ich dich einmal so sehr hassen könnte wie jetzt!“ Das war sicher nicht meine Sternstunde. Aber zu meinem Glück stecken Beziehungen voller Chancen für Gnade.

Selbst als das Baby anfing, durchzuschlafen (und wir auch), war ich ein Wrack. Ich liebte Jackson, aber ich hatte das Gefühl, keine richtige Bindung zu ihm zu haben. Ich hatte solche Angst, etwas falsch zu machen, dass ich mich nie entspannte. Ich war so darauf bedacht, den Haushalt zu erledigen und dafür zu sorgen, dass sein Strampler fleckenfrei blieb, dass ich es nie einfach nur genoss, eine junge Mutter zu sein. Ich glaube, ich hatte solche Angst, ihm gegenüber zu versagen, dass ich mir selbst gegenüber versagte.

Ich habe vergessen, wer ich bin

Weil ich so sehr darauf bedacht war, wie wir als Familie wirkten, hatte ich mir nie die Zeit genommen, eine Verbundenheit zu spüren. Und weil ich das Gefühl hatte, keine gute Mutter zu sein – die eine Sache, die man doch von Natur aus beherrschen sollte –, war ich mir sicher, restlos zu versagen. Im Rückblick erkenne ich, dass meine Wahrnehmung von Bildern aus dem Internet und aus Zeitschriften geprägt war. Ich verschwendete so viele Sorgen daran, irgendeinem Pinterest-Standard nicht zu entsprechen, dass ich komplett vergaß, wer ich eigentlich war.

Die einzig wahre To-do-Liste

Das hier ist wichtig für junge und werdende Mamas: Hör zu! Du brauchst nicht schon vorher alles geplant zu haben. Du brauchst auch nicht alles zu wissen. Die Handgriffe, die ein Neugeborenes am Leben erhalten, sind ziemlich simpel: füttern, kuscheln, liebhaben, feuchte Windeln wechseln, warmhalten, wieder kuscheln.

Die tägliche To-do-Liste einer frischgebackenen Mama sollte auf zwei Punkte zusammengestrichen werden:

1. Sich um das Baby kümmern.
2. Sich um sich selbst kümmern.

Peng. Ende.

Mist, du hast die Wäsche heute nicht gemacht? Guck auf deine Liste: Hast du dich um das Baby gekümmert? Ja. Hast du dich um dich selbst gekümmert? Auch ja. Na also, ich glaube, du hast die Mamasache drauf. Ich schätze, die Wäsche kann warten.

Wie bitte? Du bist traurig, weil du die Kilos von der Schwangerschaft noch nicht wieder runter hast? Nimm dir deine prima-praktische To-do-Liste mit den exakt zwei Punkten noch mal zur Hand. Lebt das Baby noch? Super. Was ist mit dir – atmest du noch ein und aus? Na dann – es klingt, als seist du die beste Mama überhaupt. Mach weiter!

Keine Angst vor dem Versagen

Pinterest ist klasse, und das Kinderzimmer in perfekt aufeinander abgestimmten Farben zu dekorieren, ist der halbe Spaß am Kinderkriegen. Durch Instagram surfen? Klar, ich sehe immer noch gern bei den ganzen schwangeren Insta-Frauen vorbei, immer auf der Suche nach tollen Outfits, die zur Kugel passen! Es ist gut, über den Tellerrand zu blicken, wenn wir unsicher sind, weil Neues anbricht – und selten sind wir so unsicher wie als junge Eltern. Aber lass mich dir eins sagen:

Der Gott, der Mond und Sterne und Berge und Meere geschaffen hat, glaubte, dass du und dein Baby zusammenkommen sollten. Das heißt nicht, dass ihr perfekt zusammenpasst. Das heißt nicht, dass du nicht auch Fehler machen wirst. Das heißt aber, dass du keine Angst vor dem Versagen haben brauchst, denn es ist unmöglich, in einer Aufgabe zu versagen, für die du geschaffen wurdest.

Du bist gut

Irgendwo denkt eine zynische Leserin gerade an all die Eltern, die dennoch versagen. Es gibt viele Mütter, die schlechte Entscheidungen treffen, die sich selbst oder ihren Kindern Verletzungen zufügen. Als frühere Pflegemutter weiß ich aus eigener Erfahrung, dass gerade jetzt in diesem Moment Säuglinge misshandelt und vernachlässigt werden, und selbst wenn ein heiliger Plan sie zu ihren Müttern brachte, ist es für sie vielleicht nicht das Beste, auch dort zu bleiben.

Aber über diese Mütter rede ich hier nicht. Ich spreche mit dir. Lass dich nicht von der Sorge zermürben, ob dein Kind einem festen Schlafrhythmus folgt, nur Bio-Gläschen isst oder schnell sitzen lernt. Ich spreche mit derjenigen, die all die Bücher und Artikel liest und sich überfordert fühlt bei der Frage, was denn das Richtige ist, wenn man doch so viele falsche Entscheidungen treffen kann. Allein, dass du dir so viele Gedanken machst, zeigt doch schon, dass du voll bei der Sache bist und das Beste erreichen willst. Das zeichnet die besten Eltern aus. Und der Rest regelt sich dann schon von allein.

Was mir geholfen hat:

1. Eine Clique finden. Suche dir eine Gruppe von Frauen, die wissen, was es bedeutet, eine junge Mutter zu sein. Solidarität ist eine große Kraft. Es tut gut, sich mit einer Frau zu unterhalten, deren Baby ihr auch aufs Shirt spuckt.
2. Mich von Pinterest fernhalten.
Aus Liebe zu allem, was mir heilig ist – niemand sollte nach einem großen Lebensereignis Zutritt zu Pinterest haben. Warum? Weil man entweder das Gefühl hat, etwas zu verpassen oder das eigene Leben, Kinderzimmer oder Gewicht dem anpassen zu müssen, was man im Internet sieht. Achte einmal darauf, was dir Angst macht und wodurch du an dir zweifelst. Wenn es die Sozialen Medien sind, tu deinem Herzen einen Gefallen und lege eine Pause ein. Ich verspreche dir, dass sie noch da sind, wenn du mehr Schlaf bekommst und emotional stabiler bist.
3. Aus dem Haus gehen.
Jeden. Tag. Wieder. Das Beste, was du für dich selbst, deine Gesundheit und dein Kind tun kannst, ist, den Ort des Verbrechens zu verlassen. Verabschiede dich für eine Weile von dem Ort mit dem Geschirr in der Spüle und dem überquellenden Windeleimer. Pack dein Kind in die Trage oder Karre und spaziere durchs Viertel. Steck dir Kopfhörer ins Ohr und höre Beyoncé oder Adele oder einen Podcast über Firmenethik. Tu, was nötig ist, damit du nicht vergisst, dass ein Leben außerhalb deines Nestes existiert und dass du immer noch dazugehörst.
4. Mit jemandem über meine Gefühle sprechen. Lügen lassen sich wirksam aufdecken, wenn wir sie vor jemandem laut aussprechen. Egal, ob du dir dafür deinen Mann, deine Freundin oder eine liebe Verwandte aussuchst: Zu erzählen, dass du zu kämpfen hast, kann dir die notwendige Unterstützung verschaffen, um all die Irrtümer aufzuklären, die dein Leben bestimmen.

Rachel Hollis ist die Gründerin der Website The-ChicSite und Geschäftsführerin von Chic Media. Mit ihrem Mann und ihren vier Kindern lebt sie in Austin, Texas. Dieser Text ist ein Auszug aus ihrem Buch „Schmink’s dir ab. Lass die Lügen los und lebe“, das gerade bei SCM Hänssler erschienen ist.