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Liebesbeweis: So signalisieren Sie echtes Interesse

Wenn wir einen Gesprächsfaden wieder aufnehmen, zeigen wir unserem Gegenüber echte Wertschätzung. Beziehungsexperte Marc Bareth verrät, wie dieser Liebesbeweis gelingt.

„Ich habe mir noch einmal Gedanken darüber gemacht, was dich an meiner Unordnung stört.“ Dieser Satz ist ein Liebesbeweis. Er ist wertvoller als die teure Halskette zum letzten Valentinstag. Mit diesem Satz nimmt jemand den Faden wieder auf, der liegen geblieben ist.

Interesse oder Vermeidung

Wer den Faden wieder aufnimmt, zeigt damit, dass ihm das Anliegen seiner Partnerin wichtig ist. Und damit immer auch, dass sie ihm wichtig ist.Wenn ich also frage, wie denn heute das klärende Gespräch mit dem Arbeitskollegen gelaufen ist, das dir gestern Abend noch Kopfzerbrechen bereitet hat, dann ist das mehr als nur eine Frage. Es ist auch ein Zeichen dafür, dass ich mich für dich und deine Welt interessiere. Das ist ein starker Liebesbeweis. Leider gilt auch das Umgekehrte. Wenn du die Bedenken nicht nochmals aufnimmst, die deine Partnerin zum Beispiel bezüglich eures Sexlebens geäußert hat, wird sie dir das vielleicht noch als Vergesslichkeit auslegen. Oder als Vermeidung unangenehmer Themen. Aber wenn wir den Faden Mal für Mal nicht wieder aufnehmen, ändert sich die Interpretation des Gegenübers ziemlich schnell. Es wird uns dann als Desinteresse nicht nur an der Sache, sondern auch an der Person selbst ausgelegt.

Erinnerungshilfen schaffen

Ohne es zu wollen, senden wir damit die Botschaft, dass uns der andere nicht wichtig ist. Und weil diese Botschaft elementar bedrohlich ist, aktiviert sie bei unserem Gegenüber einen Teil des Gehirns, der für den Umgang mit massiven Bedrohungen zuständig ist. Dieses Hirnareal ist zu keiner differenzierten Reaktion fähig, es kennt nur Kampf, Flucht und Erstarrung. Das mag hilfreich sein, wenn die Bedrohung ein wilder Säbelzahntiger ist, aber nicht, wenn der Partner den Faden schon wieder nicht aufgenommen hat. Deshalb ist es so wichtig, den Faden immer wieder aufzunehmen und Themen, die noch nicht zu Ende besprochen wurden oder sich weiterentwickelt haben, proaktiv wieder aufzugreifen. Zum Beispiel so: „Vor ein paar Wochen hast du gesagt, dass du dich von mir oft kritisiert fühlst und dir mehr Wertschätzung wünschst. Hat sich das in der Zwischenzeit verbessert oder fühlt es sich für dich immer noch so an?“

Wer sich damit schwertut, sollte sich nicht scheuen, Erinnerungshilfen einzusetzen. Wenn ich einen Arzttermin habe oder bei einem Mitarbeiter nachfragen möchte, wie ein für das Projekt wichtiges Meeting gelaufen ist, trage ich das auch in meinen Kalender ein und setze mir eine Erinnerung. Gerade weil es mir wichtig ist, benutze ich Tools, damit es nicht untergeht. Warum also nicht auch, um den Faden in meiner Partnerschaft wieder aufzunehmen?

Marc Bareth und seine Frau Manuela stärken mit FAMILYLIFE Schweiz Ehen und Familien. Marc Bareth ist der Leiter dieser Arbeit. Er bloggt unter: familylife.ch/five

Beziehungs-Zoff vermeiden, auf Augenhöhe leben

Wenn es in der Partnerschaft kracht, liegt es oft daran, dass unterschiedliche Persönlichkeitsanteile aufeinandertreffen. Paartherapeutin Ira Schneider erklärt, wie Partner auf Augenhöhe zusammenfinden.

Als Paar seid ihr eine Dyade, also ein System aus zwei Personen. Wenn Kinder dazukommen, entstehen mehrere Dyaden. Die Mutter-Kind-Dyade, die Vater-Kind-Dyade und auch eine neue Triade entsteht, denn ihr seid dann zu dritt. Je mehr Kinder dazukommen, desto komplexer wird es. Aber schon in der Dyade als Paar steckt genug Zündstoff, den es anzuschauen gilt. Das geschieht, wenn sich die Parter nicht auf Augenhöhe begegnen.

Innere Anteile verstehen

Zunächst einmal: Eine Paarbeziehung bewegt sich immer zwischen Fortschritt (Progression) und kindlichen Anteilen (Regression). Denn auch als Erwachsene tragen wir unsere kindlichen Anteile weiterhin in uns. Die Progression steht für unsere selbstständigen Anteile, wie „Identität, Stabilität, Autonomie, Reife, Tatkraft und Kompetenzen“ (Heidrun Ferguson, Partnerschaftsprobleme und chronischer Stress). Die Regression steht für „Einssein, Pflege, Umsorgung, Schutz, Geborgenheit und Abhängigkeit“ (Ferguson). Diese bedürftigen Anteile in uns werden innerhalb unserer Ehe aktiviert, und es geht darum, beweglich und flexibel mit ihnen umgehen zu können. Das können Paare miteinander lernen. Diese inneren Anteile begegnen jedem Paar in verschiedensten Abschnitten und Momentaufnahmen immer wieder. In der Paartherapie und zur Reflexion hat sich die Transaktionsanalyse als hilfreich erwiesen. Die Transaktionsanalyse ist eine „sozialpsychologische Theorie und Methode, welche Austausch und die Begegnungen von Menschen in den Vordergrund stellt und dabei unterschiedliche Kontexte sowie Persönlichkeitsanteile und Lebensgeschichten der Menschen berücksichtigt“ (Jürg Bolliger, Grundlagen der Transaktionsanalyse). Dabei reagieren Paare in der Interaktion meist auf drei verschiedenen Ebenen (vgl. Bolliger):

  • Eltern-Ich: Ein Teil des Paares kann aus dem Eltern-Ich reagieren. Dieses Eltern-Ich kann fürsorglich oder kritisch sein.
  • Kind-Ich: Ein Teil des Paares kann aber auch aus einem Kind-Ich reagieren. Dieses Kind-Ich kann angepasst, rebellisch oder frei sein.
  • Erwachsenen-Ich: Ein Teil des Paares kann aus dem Erwachsenen-Ich reagieren. Dieses kann realitätsbezogen, problemlösend und sachbezogen sein.

Im ungünstigen Zustand

Das Ziel einer Paarbeziehung ist, dass sich beide auf Augenhöhe im Erwachsenen-Ich begegnen. Nehmen wir folgende Paarsituation an: Greta und Ben sind mit Freunden im Kino verabredet. Sie machen sich im Flur fertig. Draußen regnet es in Strömen. Ben nimmt noch schnell einen Regenschirm zur Hand. Greta nimmt eine dünne Übergangsjacke und wirft sie sich über. Die beiden sind ohnehin spät dran. Ben verspürt einen Fürsorgedrang und will nicht, dass Greta sich erkältet.

Gleichzeitig erlebt er innerlich einen Kontrollverlust: Wenn Greta krank wird, liegt sie mehrere Tage flach und fällt bei der Kinderbetreuung aus. Ben verwandelt sich in ein kritisches und fürsorgliches Eltern-Ich zugleich. Aus ihm schießt es heraus: „Du nimmst doch nicht etwa bei dem Regen eine Übergangsjacke. Zieh dir doch was Richtiges an. Hier, deine Regenjacke.“ Greta fühlt sich augenblicklich angegriffen. Ihr wurde suggestiv eine umgekehrte Rolle zugewiesen. Statt bei sich zu bleiben, springt sie in die Dynamik mit rein und reagiert aus einem trotzigen Kind-Ich heraus. Sie zischt: „Das ist ja wohl meine Sache. Ich brauche eigentlich gar keine Jacke.“ Sie lässt sowohl die Übergangsjacke als auch die Regenjacke drinnen liegen und stapft raus. Schon ist die Stimmung im Eimer. Greta könnte einen weichen Blick auf Ben einnehmen und nachhorchen, wovor er sich schützt, weshalb er so vehement auf die Jacke pocht.

Wenn Paare sich wie Kinder oder Eltern verhalten, passiert das in der Regel unbewusst. Die Begleitaffekte können jedoch oft Wut oder eine diffuse und nicht greifbare Stimmung sein. Eine Möglichkeit wäre hier, dass Greta Ben erklärt, dass sie gern für sich selbst sorgen und dementsprechend auch gern allein entscheiden möchte, wie sie sich kleidet. Ben muss lernen, Gretas Grenzen und Autonomie zu wahren. Auch würde es ihm in dieser Situation helfen, seine eigentliche Angst, nämlich die Fantasie einer kranken Greta, die nicht mehr ihren Fürsorgeanteil bezüglich der Kinder übernehmen kann, zu kommunizieren.

Gemeinsame Augenhöhe finden

Es kann sehr kräftezehrend und wohltuend zugleich sein, sich mit der eigenen Vergangenheit zu beschäftigen. Keine Herkunftsfamilie, kein Paar ist perfekt. Doch allein die Tatsache, dass ihr euch mit diesen Fragen auseinandergesetzt habt, ist ein enormer Schritt. Sicher, eure kindlichen Anteile werden immer ein Stück weit bleiben und es ist wichtig, sie liebevoll zu umsorgen und anzunehmen. Ihr könnt mit eurer Ehe aber auch vieles, wenn nicht sogar alles überschreiben und wiedergutmachen und Ja zu einer Partnerschaft auf Augenhöhe sagen.

Hilfreiche Fragen für eure Beziehung

  • Rutscht ihr manchmal in verdrehte Rollen? Wenn ja, welche Situationen kommen euch hier in den Sinn?
  • Wenn ihr gerade nicht im Erwachsenen-Ich reagiert, zu was neigt ihr eher: zum Eltern-Ich oder zum Kind-Ich?
  • Welches kleine Signalwort könntet ihr verabreden, um euch daran zu erinnern, wieder aus dem Erwachsenen-Ich zu reagieren?

Ira Schneider arbeitet als Paartherapeutin und Autorin. Der Artikel stammt leicht verändert aus ihrem frisch erschienenen Buch „Jeden Tag ein neues Ja“ (SCM Hänssler).

Commitment: Dieser Satz hält Ihre Beziehung lebendig

Was der Beziehung wirklich dient, geht tiefer als Kommunikation oder Sexualität. Es ist Commitment. Paarexperte Marc Bareth weiß, was wir einander immer wieder sagen müssen, um eine stabile Partnerschaft zu leben.

Eine große Studie hat kürzlich untersucht, was für das Gelingen einer Partnerschaft entscheidend ist. Ist es die Kompatibilität der beiden Partner? Eine überdurchschnittlich gute Kommunikation? Oder etwa eine befriedigende Paarsexualität? Nein, es ist ein Commitment.

Eine feste Zusage

Die Forschenden rund um Samantha Joel haben 43 bestehende Paarstudien kombiniert und sind zu dem Ergebnis gekommen, dass es einen Faktor gibt, der wichtiger ist als Kompatibilität, Kommunikation und Sex: Es ist das Wissen, dass die andere Person voll und ganz hinter einem steht und einen nicht im Stich lässt. Oder kurz: Commitment. Dies ist das Fundament unseres Beziehungshauses. Auf dem uneingeschränkten Ja zueinander bauen alle anderen Beziehungsbereiche wie Kommunikation, Konfliktlösung und Freizeitgestaltung auf.

Wenn das Fundament Risse bekommt, hat das unmittelbare Auswirkungen auf alle Beziehungsräume, vom Umgang mit den Schwiegereltern über die Sexualität bis zum Umgang mit Geld. Ich will das am Beispiel der Kommunikation verdeutlichen. Sarah ist eine hervorragende Kommunikatorin. Sie beherrscht die Gewaltfreie Kommunikation und andere Konzepte im Schlaf. Doch all das nützt ihr nichts, wenn sie spürt, dass das Commitment ihres Partners bröckelt. Denn wenn sie sich nicht mehr sicher ist, ob er zu ihr steht und sie unterstützt, werden bei ihr Ängste aktiviert.

Standhaft gegen die Ur-Angst

Der Verlust des Partners gehört zu den bedrohlichsten Szenarien unseres Lebens. Wir reagieren darauf ähnlich wie Menschen vor 3.000 Jahren, wenn sie einer wütenden Bärenmutter gegenüberstanden: Unser Körper schüttet Adrenalin und Cortisol aus und es kommt zu einer Fight-Flight-Freeze-Reaktion. Während es bei der Begegnung mit der Bärenmutter noch überlebenswichtig war, alle mentalen und körperlichen Ressourcen für eine Kampf-, Flucht- oder Erstarrungsreaktion zu bündeln, ist dies in einer heutigen Partnerschaft eher nicht hilfreich. Denn diese Reaktion führt dazu, dass wir nicht mehr auf unsere erlernten Kommunikationsstrategien zurückgreifen können. Dazu bräuchten wir unser Großhirn.

Die Bedrohung – das schwindende Commitment unseres Partners – führt dazu, dass das Stammhirn übernimmt und das Großhirn abschaltet.So kann Sarah ihre kommunikativen Fähigkeiten nicht mehr abrufen. Stattdessen wird sie aggressiv, flieht oder erstarrt. Natürlich reagiert ihr Partner nicht gut darauf und die Paarkommunikation, eigentlich immer eine Stärke dieses Paares, bricht zusammen.Weil das Commitment so zentral für jede Partnerschaft ist, sind Paare im Vorteil, die die Ehe als lebenslange und grundsätzlich unauflösliche Gemeinschaft verstehen. Wer weiß, dass die Partnerin auch in schweren Konflikten nicht von seiner Seite weicht, ist weniger gefährdet, dass das Stammhirn das Ruder übernimmt, weil zu wenig Commitment des Gegenübers wahrgenommen wird.

Um dem Gegenüber zu zeigen, dass man durch dick und dünn zusammenhält, sind Worte wichtig. Noch bedeutender als sich „Ich liebe dich“ zu sagen, ist es, sich gegenseitig sein Commitment zu bestätigen. Deshalb lautet der wichtigste Satz in einer Beziehung: „Ich bin da für dich und stehe immer hinter dir.“ Wenn wir einander diesen Satz wirklich glauben können, dann gibt uns das die Sicherheit, die wir als Grundlage für alle Beziehungsbereiche brauchen.

Marc Bareth und seine Frau Manuela stärken mit FAMILYLIFE Schweiz Ehen und Familien. Marc Bareth ist der Leiter dieser Arbeit. Er bloggt unter familylife.ch/five

Kommunikation ohne Eskalation: Expertin gibt Tipps

Unbedachte Worte in der Partnerschaft können tief verletzen. Beziehungs- und Kommunikationsexpertin Piroska Gavallér-Rothe erklärt, wie achtsame Kommunikation einfach gelingen kann.

Gerade war noch alles gut, doch plötzlich kippt die Kommunikation und ein Satz schießt um die Ecke und bohrt sich wie ein spitzer Pfeil in Thomas’ Herz. Thomas’ Kopf weiß: „Das ist nicht böse gemeint!“ – dennoch kann er nicht anders und zieht sich verletzt zurück. Den Rest des Abends muss Lea allein verbringen.

Auch bei Hannah und Jonas nimmt der Abend eine abrupte Wendung: Jonas macht einen unbedachten Kommentar – schon wird Hannah laut. Schneller als sie gucken können, haben sie sich wieder in einen Streit verstrickt.

In der Tat sind es oft Kleinigkeiten, an denen sich in Partnerschaften Streitigkeiten entzünden. Viele Paare stehen dann hilf- und ratlos da und fragen sich, woran es liegt. Es gibt verschiedene Gründe, die zu solchen Situationen führen. In diesem Artikel möchte ich vier Aspekte herausgreifen, die mir in meiner Arbeit mit Paaren regelmäßig begegnen:

1. Formulierungen mit Eskalationspotenzial

Auch wenn wir es selten böse meinen – aus kommunikationspsychologischer Sicht verwenden Menschen erschreckend viele dysfunktionale Sprachmuster. Mit ihnen bringen wir direkt oder indirekt zum Ausdruck, unser Gegenüber habe etwas falsch gemacht oder sei nicht okay.

Zu den dysfunktionalen Sprachmustern zählen insbesondere Urteile und Bewertungen wie zum Beispiel:

  • Du bist einfach viel zu empfindlich!
  • Das war mal wieder eine deiner vorschnellen Aktionen.
  • Vielleicht solltest du erst mal den Kopf einschalten und erst dann sprechen.

Aber auch Vergleiche bergen ungute Botschaften über unser Gegenüber in sich und können daher schnell zu einer Eskalation der Situation führen:

  • Du bist schon so wie deine Mutter!
  • Warum bloß hat niemand außer dir ein Problem mit dem, was ich sage?
  • Früher hast du nicht alles gleich auf die Goldwaage gelegt!

Eine subtile Form dysfunktionaler Sprachmuster ist das Leugnen von Verantwortung. In diesem Fall klingt das Gesagte so, als sei unser Gegenüber für die angesprochene Misere verantwortlich – während man selbst bequem aus dem Schneider ist:

  • Du könntest mittlerweile wirklich wissen, wo meine wunden Punkte liegen …
  • Wenn du nicht immer so empfindlich wärst, hätten wir weitaus weniger Probleme!
  • Wieso soll ich jetzt freundlich bleiben, wenn du mich gerade so angefahren hast?

Frühe Prägung

Die meisten von uns wurden schon seit frühester Kindheit von solchen Formulierungen geprägt. Wir haben sie so oft und selbstverständlich gehört, dass wir sie unbewusst übernommen haben. Heute verwenden wir sie selbst – meistens ohne es überhaupt zu merken! Genau deshalb ist es oft schwer nachvollziehbar, wenn das Gegenüber unleidig reagiert oder sich verletzt zurückzieht.

Dysfunktionale Sprachmuster wirken wie Tretminen in der Kommunikation. Besonders gilt das für Beziehungen, in denen Menschen in einem Näheverhältnis zueinander stehen – also in der Partnerschaft, aber auch in der Eltern-Kind-Beziehung oder der Beziehung zwischen Geschwistern. Das hohe Maß an Intimität macht die beteiligten Menschen verletzlich, denn nirgendwo tut Ablehnung so weh, als in Beziehungen, in denen wir uns nach Liebe sehnen.

2. Empfindliche Ohren in der Kommunikation

Auch empfindliche Ohren können dazu führen, dass Gespräche aus dem Ruder laufen. Oft sind sie das Ergebnis dysfunktionaler Erziehungsbotschaften. Kritische Urteile wie zum Beispiel „Du bist zu neugierig!“, und negative Vergleiche wie beispielsweise „Nimm dir mal ein Beispiel an deinem Bruder!“, können das Selbstvertrauen von Kindern ebenso erschüttern wie der Vorwurf, für unerwünschte Gefühle anderer Menschen die Verantwortung zu tragen: „Mama ist jetzt ganz traurig, weil du immer noch nicht schlafen willst.“ Schnell entsteht so die kindliche Überzeugung, „schuldig“ oder „nicht richtig“ zu sein.

Ohne positive Gegenimpulse gräbt sich dieses negative Selbstbild tief ins eigene Erleben ein und beeinflusst auch im Erwachsenenalter unsere Wahrnehmung und unsere Reaktionen. Auch positiv gemeinte Äußerungen wie zum Beispiel: „Ich bin wirklich froh, dass du heute Abend so entspannt bist!“, können dann leicht als persönlicher Vorwurf gehört werden und zu gekränkten Reaktionen führen: „Sag doch gleich, dass es dich nervt, dass ich in letzter Zeit so gestresst bin!“

Ungute Paarung

Treffen dysfunktionale Sprachmuster auf empfindliche Ohren, ist das Unglück vorprogrammiert. Meistens fehlen nämlich auf beiden Seiten Fertigkeiten, um das Gespräch zurück in konstruktive Bahnen zu lenken: Die sprechende Person vermag es nicht, über ihre eigenen Gefühle und Bedürfnisse zu sprechen. Selbst wenn sie Ich-Botschaften zu verwenden versucht, verbirgt sich oft noch eine vorwurfsvolle Du-Botschaft in ihren Worten („Ich bin traurig, weil du mich mal wieder nicht ernst nimmst.“).

Der empfangenden Person fehlen wiederum die Fähigkeiten, in vorwurfsvollen Aussagen die Gefühle und Bedürfnisse des Gegenübers zu erkennen, ohne sich dadurch selbst angegriffen oder schuldig zu fühlen („Bist du traurig, weil es dir wichtig ist, ernst genommen zu werden?“).

3. Störungen der Beziehungsebene

Dass es in Beziehungen zu Unstimmigkeiten kommt, ist normal und im Grunde auch nicht schlimm. Schlimm wird es nur, wenn sie nicht aufgelöst werden – weil man zum Beispiel keine Zeit darauf verwenden mag oder es nicht vonnöten erscheint. Dann kommt es zu Verwerfungen auf der Beziehungsebene. Wie bei tektonischen Platten führt das zu Spannungen. Kommen weitere unaufgelöste Unstimmigkeiten hinzu, verstärken sich die Spannungen. Schließlich kann die Spannung so stark werden, dass sie sich selbst bei kleinen Dingen in heftigen Erschütterungen entlädt.

Verbindungslücke

Die herkömmliche Form unserer Kommunikation ist nicht geeignet, Unstimmigkeiten in verbindender Weise auflösenzu können. Stattdessen fördert sie zermürbende Diskussionen, in denen man sich im Kreis dreht und am Ende doch nichts klärt.

4. Biografische Verletzungen

Es gibt immer wieder Situationen, in denen so starke Emotionen zu wirken beginnen, dass wir sie nicht richtig zu steuern vermögen. Dann übernimmt ein Autopilot das Ruder und wir tun oder sagen Dinge, die wir später bereuen.

Ein aktivierter Autopilot zeigt mit hoher Wahrscheinlichkeit an, dass gerade tiefgreifende und noch immer schmerzende Verletzungen in uns berührt werden. Die Heftigkeit der emotionalen Reaktion weist darauf hin, wie groß der stimulierte Schmerz in Wirklichkeit ist.

Verdrängt und abgespalten

Besonders schmerzhaft oder gar traumatisch erlebte Erlebnisse – insbesondere aus der Kindheit – werden sehr häufig aus dem Bereich des bewusst Zugänglichen in den Bereich des Unbewussten verschoben. Die emotionale Reaktivität bleibt jedoch erhalten. So schlittern wir immer wieder in reaktive Verhaltensweisen, können aber nicht wirklich nachvollziehen, weshalb.

Lichtblick

Eskalierender Streit in der Kommunikation als Paar – das muss kein Schicksal bleiben! Als Paar kann man sehr wohl einiges tun, um entspannter miteinander auszukommen:

Kommunikation

Hierbei geht es weder um Rhetorik noch um kommunikative Tipps und Tricks, sondern um die Fähigkeit, anders zu sprechen und anders zu hören.

Anders sprechen bedeutet: Sich aus dysfunktionalen Sprachmustern zu befreien und stattdessen Worte wählen zu können, mit denen wir wertschätzend und klar zum Ausdruck bringen, was wir fühlen und was wir brauchen.

Anders hören bedeutet: Einfühlsam und bedürfnisorientiert unserem Gegenüber zuhören zu können – sogar dann, wenn es gerade dysfunktionale Sprachmuster nutzt.

Dialog

Der Dialog ist der Gegenentwurf zur Diskussion. Kommunikatives Kräftemessen und die Durchsetzung der eigenen Meinung wird ersetzt durch einen verbindenden Austausch auf Augenhöhe. Die dialogische Gesprächsführung folgt klaren Abläufen und verbindet die neue Form des Sprechens und des Hörens zu einem lebendigen Ganzen.

Heilung

Möchten wir auch in Situationen mit einer hohen emotionalen Last angemessen agieren können, kommen wir nicht umhin, uns um unsere tiefliegenden Verletzungen zu kümmern. Kümmern bedeutet nicht, die Situation psychologisch analysieren oder kognitiv erklären zu können. Vielmehr geht es darum, sich der eigenen Verletzung liebevoll anzunehmen und sie damit zu versorgen, was sie braucht, damit es weniger schmerzt – auch und insbesondere dann, wenn sie einen schmerzvollen Impuls durch das Außen erfährt. Erst durch unsere fürsorgliche Zuwendung wird der Anteil nach und nach entspannen und durchatmen können, anstatt sich durch reaktive Automatismen zu schützen zu versuchen.

Am besten gelingt eine solche Heilungsarbeit in einem professionell begleiteten Kontext. Sich einfühlsam den eigenen Verletzungen zu widmen, stärkt nicht nur die persönliche Resilienz, sondern ermöglicht auch die Versöhnung mit der eigenen Biografie. Und wer versöhnt ist mit sich selbst, kann auch versöhnlich mit dem Partner sein.

Piroska Gavallér-Rothe ist Trainerin für Konflikt- und Kommunikationskompetenz und Paartherapeutin. Weitere Informationen unter: gavaller-rothe.com

Partnerschaft: Was erwarten wir von der Liebe?

Von einer Partnerschaft erwarten wir, dass sie uns erfüllt. Aber ist unser Partner wirklich für unser Glück verantwortlich? Paarexperte Marc Bareth sieht das kritisch.

Warum hast du dich damals eigentlich für eine Beziehung mit deinem Partner entschieden? Als ich kürzlich über diese Frage nachgedacht habe, war ich überrascht und ehrlich gesagt auch ein bisschen ernüchtert, was da alles zusammengekommen ist. Ein wichtiger Grund für die Partnerschaft war natürlich, dass ich verliebt war. Aber auch, dass ich der Meinung war, dass die Charaktereigenschaften meiner Partnerin eine gute Ergänzung zu meinen waren. Und schließlich, dass ich mir gut vorstellen konnte, mit dieser Person an meiner Seite durchs Leben zu gehen. Dass sie mein Leben bereichern und ich mit ihr glücklich sein würde.

Sehnsüchte erfüllen

Allediese Gründe haben eines gemeinsam: Es geht nur um mich. „Was bringt es mir?“ als Leitfrage unserer Beziehung schien mir schon eine bedenkliche Basis für eine lebenslange Partnerschaft zu sein. Ein wenig beruhigt hat mich dann die Erkenntnis, dass es wohl allen so geht. Wir sind alle mit überwiegend eigennützigen Motiven in unsere Beziehungen gestartet.

Wir wünschen uns, dass unser Leben durch unsere Partnerschaft besser wird. Oder etwas dramatischer ausgedrückt: Wir erwarten von unserer Partnerschaft, dass sie unsere Defizite, Löcher und Sehnsüchte stopft. Wir brauchen unsere Beziehung als Krücke, um uns glücklicher oder weniger einsam zu fühlen. Und weil es unserer Partnerin oder unserem Partner wahrscheinlich ähnlich geht, stützen wir uns nun also zu zweit auf diese Krücke und hoffen, dass sie hält.

Eine Partnerschaft leidet darunter, wenn es bei diesen Motiven bleibt. Wahre Liebe kann dort entstehen, wo wir die Liebe nicht brauchen, sondern uns aus freien Stücken dafür entscheiden. Nur wenn wir nicht vom Partner abhängig sind, können wir ihn wirklich auf diese Art lieben.

Eine Quelle der Erfüllung finden

In einem der bekanntesten Trauverse aus der Bibel heißt es, dass die Liebe nicht den eigenen Vorteil sucht (1. Korinther 13,5). Oder anders übersetzt: „Die Liebe sucht nicht das Ihre.“ Das ist die Art von Liebe, von der von der Bibel die Rede ist, einer Liebe, die Gott zu uns Menschen hat. Er liebt uns nicht, weil ihm irgendetwas fehlt, was er in der Beziehung zu uns zu bekommen hofft. Und diese reife Art der Liebe soll auch das Ziel unserer Liebe sein.

Eine solche Liebe hat nichts mit falscher Demut, vorgetäuschter Selbstlosigkeit oder Verdrängung eigener Bedürfnisse zu tun. Im Gegenteil: Der Abt Bernhard von Clairvaux kam schon vor rund 900 Jahren zu dem Schluss, dass die Liebe nicht das Ihre sucht, weil sie es eben schon hat.

Ich wünsche mir, dass wir uns alle auf den Weg zu einer weniger egoistischen Liebe machen. Gelingen kann uns das, wenn wir eine Quelle finden, aus der unsere Defizite, Löcher und Sehnsüchte auf eine gesunde und nachhaltige Weise gestillt werden und dafür nicht ausschließlich unsere Partnerschaft herhalten muss.

Marc Bareth und seine Frau Manuela stärken mit FAMILYLIFE Schweiz Ehen und Familien. Marc Bareth ist der Leiter dieser Arbeit. Er bloggt unter: familylife.ch/five

Partnerschaft: Wir brauchen Vertrautheit und Überraschung

Beziehung, Liebe und Sexualität leben von Gegensätzen, die eine gesunde Spannung in das gemeinsame Leben bringen. Wir brauchen Routinen, aber auch Abwechslung, erklärt eine Psychologin.

Luise und Tom sitzen gemeinsam auf dem Sofa. Sie lieben diese Abende: Endlich schlafen die Kinder und sie haben Zeit zu zweit. Ihre Augen suchen den Insta-Feed ab, immer auf der Suche nach neuen lustigen Videos, die sie einander zeigen können. Dabei kuscheln sie, genießen die Gegenwart des anderen und tauschen sich über ihren Tag aus, bis Tom an diesem Abend auf die Toilette muss. Plötzlich springt die Tür auf. Tom stürmt herein mit dem Ritterhelm des Sohnemanns auf dem Kopf. Dabei schwingt er einen Besen und ruft: „Sinke vor Ehrfurcht nieder, Weib! Sir Tom Tomus ist mit dem gebührenden Respekt zu begegnen, wenn er seinen Minnesang vorträgt.“ Luise lacht, sie legt das Handy weg und lässt sich zurück auf die Couch sinken, die Hände ergebend erhoben.

Überraschende Momente, die die Vertrautheit unterbrechen, bringen uns schlagartig in die Gegenwart zurück und erregen unsere Aufmerksamkeit. Innerhalb von Sekunden verändern sie unsere Stimmung und reißen uns aus unseren Gedankenschleifen heraus. Wer mit Kindern zu tun hat, kennt diese Erfahrungen. Mit ihrer einzigartigen Logik überraschen sie uns oft und erhellen im Nu unsere Laune. Auch Witze leben von Überraschungseffekten. Humor, Unerwartetes, Neues – danach sehnt sich jeder und das ist es, was den Beginn einer Beziehung meist so schön und aufregend macht. In Langzeitbeziehungen zeigt sich das Neue nicht mehr täglich. Wir glauben, unsere Partnerin oder unseren Partner zu kennen und wissen bereits, was er oder sie denkt und möchte. Überraschungen sind wie ungewohnte, vielleicht sogar selbst ausgedachte Drehungen in einem Paartanz, die die Vertrautheit von Takt, Grundschritten und Lied durchbrechen. Beim Tanz achten beide Partner aufeinander, sind einander zugewandt und schenken einander ihre volle Aufmerksamkeit. Dabei erwartet der oder die Geführte das Unerwartete. Die Unvorhersehbarkeit der nächsten Figur bringt Leichtigkeit und Spaß in die routinierte Abfolge der Grundschritte. Das ist schön und lässt sich auch auf den Alltag übertragen. Sich

immer wieder einander zuzuwenden, den anderen anzusehen, zuzuhören und aufmerksam zu erspüren, wohin er oder sie im Gespräch möchte, sind Nebenwirkungen einer Beziehung, die Raum für Neues lässt. Ganz im Sinne von Oscar Wilde: „Das Unerwartete zu erwarten, verrät einen durchaus modernen Geist“ – einen Geist, der offen für Veränderungen ist, sich eine gewisse Flexibilität zur Anpassung bewahrt und eingefahrene Muster kritisch hinterfragt.

Gegensätze, die einander brauchen

Vertrautheit und Überraschung sind zwei Pole der Intimität. Während Neues und Überraschendes vor allem beim Kennenlernen und Verlieben eine große Rolle spielt, übernimmt mit der Zeit die Vertrautheit die Führung. Sie wird zum Rückzugsort, an dem beide Partner sie selbst sein können und sich angenommen fühlen. Vertrautheit stärkt die emotionale Bindung und das Gefühl inniger Liebe. Doch so tröstlich sie auch sein mag, ohne die Unterbrechung durch überraschende Momente wird Vertrautheit so spritzig wie eine abgestandene Cola. Langeweile macht sich breit und es fällt immer schwerer, einander die volle Aufmerksamkeit zu schenken. Ganz ehrlich: Warum auch? Denn wir verbleiben in unseren Mustern und der damit einhergehenden Vorhersehbarkeit von Abläufen und Verhaltensweisen, ähnlich einem Grundschritt ohne Figuren. Nur wenn wir mit dem Unerwarteten rechnen, bleiben wir offen dafür, dass der Partner beispielsweise wirklich etwas Unvorhersehbares zu erzählen hat und hören ihm oder ihr länger als acht Sekunden zu (so lange dauert es in der Regel, bis wir innerlich unsere eigene Antwort formulieren).

Zu viele Überraschungen hingegen überfordern uns. Bestünde das Leben nur aus Überraschungen, würden wir nach kurzer Zeit erschöpft zusammenbrechen. Die Schönheit des Unerwarteten würde der Hässlichkeit des Willkürlichen Platz machen – begleitet von Angst und Stress. Der vertraute Gleichschritt und die Zeit, um die Überraschungen im Nachgang zu genießen, sind genauso wichtig.

Liebe sehnt sich nach der Sicherheit und Geborgenheit des Vertrauten, während die sexuelle Leidenschaft das Abenteuerliche der Überraschung liebt. Beide brauchen einander und bringen in ihrem Zusammenspiel Leichtigkeit und Lebendigkeit in eine Beziehung.

Das Dilemma

Überraschungen bringen Schwung in unseren vertrauten Alltag. Leider haben die meisten von uns die Tendenz, zu wenig zu überraschen und der Vertrautheit den Vortritt zu lassen. Denn zu überraschen bedeutet, sich aufzurappeln. Das kostet Energie, die wir nicht gerne verschwenden und oft einfach nicht haben. Wenn wir über längere Zeit kraftlos sind und die eingefahrenen Muster sich aufgrund des Energiemangels verstetigen, sinkt auch der Mut, die vertrauten Bahnen zu verlassen. Genauso, wie

das Verhalten unseres Partners uns Sicherheit gibt, wollen wir mit unserem Verhalten die Stabilität nicht gefährden. Leider auch dann nicht, wenn es sich um destruktive Muster handelt. Wie beim Tanz nehmen beide Partner eine Rolle ein. Und tappen dabei in eine Falle. Denn wie kann es sein, dass zwei Partner ein Problem lösen wollen und es dabei noch schlimmer machen? Beide Partner geben sich große Mühe und halten das Problem trotzdem am Leben oder machen es durch ihr Handeln noch schlimmer.

Luise und Tom kennen das. Je mehr Luise Tom bittet, seine Sachen wegzuräumen und je mehr sie demonstrativ für Ordnung sorgt, desto weniger räumt er auf und beteuert, dass ein bisschen Chaos nicht schade. Je öfter Tom Annäherungsversuche zum Sex unternimmt, desto bedrängter fühlt sich Luise und weist ihn noch öfter zurück. Was Tom als die Lösung sieht, wird für Luise zum Problem und andersherum. Beide nehmen die Probleme wahr und wollen ihnen auf den Grund gehen. Doch der Grund spielt bei der Lösung eines Problems meist eine untergeordnete Rolle. Er ist nur für die Schuldfrage relevant. Wenn wir aber wirklich eine Lösung anstreben, ist folgende Frage viel wichtiger: Will ich lieber recht haben oder verheiratet sein?

Hier kommt Überraschung ins Spiel: Zu überraschen bedeutet, sich so zu verhalten, wie es unsere Partnerin oder unser Partner nicht erwartet. Die größte Überraschung passiert somit dort, wo wir uns selbst überraschen. Denn damit rechnet der Partner bestimmt nicht. Für Tom und Luise bedeutet das, jeweils das Gegenteil von dem zu tun, was sie bisher taten. Tom müsste abends all seine herumliegenden Sachen aufräumen. Luise müsste aushalten, dass sie nicht für Toms Sachen verantwortlich ist und sie kommentarlos liegen lassen. Alternativ könnten sie als Kompromiss „Toms Minnekiste“ aufstellen, in die Luise alles werfen darf, was sie stört, und Tom die Verantwortung überlassen kann, wichtige Rechnungen unter den Socken trotzdem auf dem Schirm zu haben. Des Weiteren müsste Tom aufhören, Annäherungsversuche zu unternehmen, bis Luise freiwillig die Initiative zum Sex ergreift. Alternativ könnten die beiden einen Deal vereinbaren, dass Luise auf jeden seiner abgelehnten Annäherungsversuche selbst innerhalb von drei Tagen auf ihn zugeht. So können beide ihre Bedürfnisse wahren, ohne Vorwurfs-Rechtfertigungs-Pingpong.

Vier Stellschrauben, um die Leichtigkeit in der Beziehung durch Überraschungen zu erhalten:

1. Überrasche deinen Partner:
Kleine Überraschungen lockern den Alltag auf und teilen deiner Partnerin oder deinem Partner mit: Ich sehe dich. Du bist mir wichtig. Ich mag unsere Beziehung.

Get active: Fertige eine Liste mit Dingen an, die deine Partnerin gernhat, sowie Aufgaben, die sie überhaupt nicht gern mag und beginne, diese Aufgaben anzugehen. Überrasche sie damit am nächsten Tag wieder und den Tag darauf auch. Lade deinen Partner zu einem kurzen Abendspaziergang ums Haus ein, zünde abends mal wieder eine Kerze an oder bring deiner Partnerin morgens einen Kaffee ins Bad. Tun es bei ihr eher Worte der Anerkennung, dann verstecke kleine Botschaften in Jackentasche, Brotdose oder Geldbeutel. Oder schreibe mal wieder eine Mail, am besten in einer anderen Sprache.

2. Überrasche dich selbst:
Was könnte eine größere Überraschung sein, als sich so ungewohnt zu verhalten, dass man über sich selbst staunen muss?

Get active: Frage dich, worauf du wirklich gar keine Lust hast, und dann mache es. Wenn du beispielsweise nicht magst, dass dein Partner abends gerne am PC spielt, überrasche ihn, indem du mitspielst. Wenn du ein hingebungsvoller Langschläfer bist, stelle deinen Wecker zu einer Unzeit und mach euch einen Kaffee. Falls du dich zu den Warmduschern zählst, stell dich unter die eiskalte Dusche. Dabei darfst du gern kreischen, dann hat dein Partner direkt etwas zu lachen.

3. Bewahre einen „modernen Geist“:
Die Fähigkeit, sich flexibel an Bedingungen anzupassen und offen für Unbekanntes zu bleiben, kann geübt werden.

Get active: Wechselt jeden Monat ein paar Aufgabenverteilungen und am besten auch gleich die Bettseite. Plant jede Woche etwas zusammen, was ihr noch nie gemacht habt: eine gegenseitige Handmassage, Sex an einem neuen Ort, ein Eisbad, einen Fallschirmsprung… Je mehr Adrenalin dabei ausgeschüttet wird, desto verliebter werdet ihr danach wieder sein. Erstellt eine Traumliste, was ihr noch alles gemeinsam erleben wollt. Entlarvt typische „Das macht man halt so“ und macht das Gegenteil.

4. Mach Sport:
Ja, richtig gelesen. Sport stärkt Körper und Psyche und liefert langfristig Energie, die wir wiederum brauchen, um uns gegenseitig zu überraschen.

Get active: Schon eine einzige, schwere Wiederholung einer Liegestütze liefert messbare Effekte. Absurd einfach, oder? Falls du dich nur schwer motivieren kannst, dann kopple den Sport an feste Routinen im Alltag, wie beispielsweise eine einzige Kniebeuge nach dem Spülmaschine-Anschalten.

Viel Freude beim Blick über den vertrauten Tellerrand auf der Suche nach Alltagsabenteuern!

Tabea S. Müller ist Psychologin. Sie coacht bei „Micro Sabbaticals“ und „Friede deiner Hütte“.

Vier Tipps: So bleibst du für deinen Partner begehrenswert

Wenn ein Paar lange zusammen ist, kann die Sehnsucht nach körperlicher Nähe schwinden. Eine Psychologin gibt Tipps, wie beide Partner in einer Beziehung füreinander wieder begehrenswerter werden können.

Luise (Namen geändert) ist verliebt. Voller Spannung wartet sie auf Nachrichten von Tim. Ihr Herz hüpft, wenn er geschrieben hat. Eigentlich gehört sie zu den frühen Vögeln, aber um seine Stimme zu hören, wird sie zur Nachtigall, schläft erst nach stundenlangen Telefonaten ein. Nur um danach von Tim zu träumen. Sie begehrt ihn, will nah bei ihm sein, nicht mehr von ihm getrennt sein. Wenn er sie beiläufig streichelt oder sich ihre Knie berühren, fährt ein heißer Schauer durch ihren Körper.

Nach einigen Jahren und der gemeinsamen Hochzeit ist Tim ihr nah, schläft neben ihr ein und wacht neben ihr auf. Er ist Teil ihres Alltags geworden. Und er bleibt es auch – bis ans Ende ihrer Tage, das haben sie einander versprochen. Sie genießt seine Nähe und Vertrautheit, seine Meinung, sein Mitentscheiden bei Kleinigkeiten. Aber sie begehrt ihn nicht mehr. Die Spannung in ihr ist einer Entspannung gewichen. Die Sehnsucht ist erschlafft.

Der Raum der Gegensätze

Spannung aufzubauen und aufrechtzuerhalten, kostet Kraft. Darum lösen wir sie gern auf, so schnell es geht. Das ist menschlich. In einer Langzeitbeziehung wird es so allerdings zu entspannt. Dann lohnt es sich, sowohl Nähe als auch Distanz immer wieder ungebremst auszuhalten. Beide Extreme im Wechsel zu leben, bedeutet, deinen Mann oder deine Frau in deine Seele blicken zu lassen und ihm oder ihr andererseits Bereiche zu gewähren, die er oder sie ohne dich ausleben darf. Denn zwischen den Gegensätzen Nähe und Distanz öffnet sich ein Raum. Man kann ihn als Raum deiner Seele bezeichnen, mit der du dein Gegenüber liebst.

Gift für eure Beziehung dagegen ist der goldene Mittelweg: das schnelle Wegschauen, wenn dir der intime Blick des Partners zu nah wird. Zur Begrüßung ein Schmatzer anstatt eines innigen Sechs-Sekunden-Kusses. Deine Partnerin auf ihre bekannten Seiten zu reduzieren, weil du dich in vertrautem Terrain wohler fühlst und dir Unbekanntes Angst macht. Dem Partner nicht die Freiheit zu lassen, allein auf ein Festival zu fahren, weil du dann die Kontrolle über die Beziehung verlierst. Jede Beziehungsmelodie braucht Schwingungen, das wellenförmige Auf und Ab, damit sie schön und voll klingt. Schwingungslos, tonlos und auf Dauer ziemlich leblos ist es in der Mitte.

Das Dilemma

Endlich zusammenziehen, die Distanz auflösen, eins werden, das war Luises Ziel. Aber das hatte einen Preis. Den Preis des Nicht-mehr-Begehrens. Wir Menschen können nur begehren, was wir nicht haben. Ein Partner, der dir über Jahre hinweg treu zur Seite steht und Höhen und Tiefen mit dir teilt, den hast du ja schon. Er ist Teil von dir und du von ihm. Untermauert wird diese Annahme durch gemeinsame Kinder, gemeinsame Freundinnen und Freunde und ein gemeinsames Heim. Seid ihr miteinander so verschmolzen, dass es nur noch Wir statt Du und ich gibt, dann wisst ihr nicht mehr genau, was euch selbst ausmacht, wo ihr anfangt und aufhört. Euch gegenseitig zu begehren, wird unglaublich schwierig.

Sexuelles Begehren und Eifersucht brechen oft erst dann wieder hervor, wenn ein toter Punkt in der Beziehung erreicht ist – die Partnerin, der Partner dir entgleitet, du dir ihrer oder seiner nicht mehr sicher bist. Durch das lange Entspannen in der sicheren und vertrauten goldenen Mitte habt ihr euch auseinandergelebt, wie man so schön sagt. Unbewusst die Distanz gesucht, um euch in all der Verschmelzung nicht selbst zu verlieren, bis es mit der Entspannung vorbei war. Der Partner oder die Partnerin ist dir fremd geworden und hat sich verändert.

Angst ist oft die erste Reaktion auf Entfremdung, weil du hier kein berechenbares Aktions-Reaktions-Verhalten kennst und nicht in deiner Komfortzone bleiben kannst. Fremd im Sinne des germanischen Wortstamms „fram“ bedeutet aber nichts anderes als „fern von“ oder „weg von“. Es drückt erst einmal nur Distanz aus, der du auch mit Neugier anstelle von Angst begegnen kannst. Wenn du die Angst loslässt, dich oder deine kleine berechenbare Welt schützen zu müssen, dann kannst du deinen Partner, deine Partnerin mit einem neuen, interessierten und offenen Blick betrachten. So wie damals. Aber das passiert nicht von allein. Es braucht die Entscheidung, die gefühlte Distanz zu deinem Partner nicht als Gefahr, sondern als Potenzial zu sehen, ihn wieder ganz frisch und unvoreingenommen wahrzunehmen. Dann ist wieder Raum für Begehren.

Das Fremde ist begehrenswert

Wann fühlen sich Menschen am meisten zu ihrem Partner, ihrer Partnerin hingezogen? Laut der belgischen Psychotherapeutin Esther Perel, die zahlreiche Paare befragt hat, lassen sich die Antworten auf diese Frage folgenden Kategorien zuordnen:

  • Wenn mein Partner im Flow ist und ganz in seinem Element aufgeht
  • Wenn meine Partnerin längere Zeit weg war und wir uns wieder treffen
  • Wenn mich mein Partner überrascht
  • Wenn ich meine Partnerin mit den Augen eines anderen Menschen sehe

All diese Antworten drücken Entfremdung oder Distanz aus. Der oder die Fremde im eigentlich so vertrauten Gegenüber ist begehrenswert. Ihn oder sie besitze ich nicht. Er/sie hat Dinge im Leben, die er gut kann, die sie mag und die ihn begeistern.

Eine Partnerin, die in ihrem Element aufgeht, strahlt Selbstvertrauen aus, das ist sexy. Wenn du sie in solchen Momenten beobachten darfst, vielleicht auf der Bühne oder beim Toben mit den Kids, dann siehst du nicht deine Frau, die heute Morgen den Abwasch vergessen hat, sondern die Fremde. Sie braucht dich in diesem Moment nicht. Du kannst deine fürsorgliche Seite fallen lassen und sie bewundern.

Ein Partner, der unterwegs ist, macht Erfahrungen ohne dich und trifft Leute, die du nicht kennst. Geheimnisvoll kann er wieder Teil deiner Fantasien werden, die in der Realität des ständigen Beisammenseins verkümmert sind, sich jedoch hervorragend als Nährboden für deine Sehnsucht eignen.

Eine Partnerin, die dich überrascht, indem sie beispielsweise mit neuen Outfits spielt, eröffnet eine fremde Seite, die du noch nicht kennst. Oft zeigt sich diese Seite im Urlaub, da das Standardrepertoire des alltäglichen Verhaltens wegfällt. Sie kommt auch hervor, wenn sie sich trotz Harmonieliebe entscheidet, bei einem Streit nicht wie gewohnt auszusteigen, sondern bis zum Ende zu diskutieren, wo auf euch beide eine neue Perspektive wartet.

Einen Partner, der im Café angeflirtet wird, siehst du mit dem ersten Eindruck eines anderen. Du nimmst neu wahr, wie andere auf seinen Humor und Charme reagieren. Deine Augen öffnen sich für die bewundernswerten Dinge, für die du vielleicht mit der Zeit blind geworden bist. Du hörst ihn mit Nachbarn über Themen reden, die ihr sonst nie ansprecht, und bist von seiner Haltung angezogen. Du bekommst mit, wie sich eine alte Dame über seine Ansprache in der Kirche bedankt und erkennst, dass er im Leben anderer einen positiven Unterschied macht, den du bei dir als selbstverständlich angenommen hast.

Das Exotische, Neue, Überraschende wirkt anziehend. Das gilt auch umgekehrt. Welche Stellschrauben in deinem Leben kannst du drehen, damit dein Mann oder deine Frau auf die gleichen Antworten kommt?

Vier Stellschrauben, um begehrenswert zu bleiben:

1) Im Flow sein

Es ist leichter, deinem Partner, deiner Partnerin Freiraum zu gönnen, wenn du mit dir selbst im Reinen bist und ebenfalls deinen „Spielplatz“ gefunden hast. Fehlt dir deine „Spielzeit“ im Alltagswahnsinn und machst du dein Gegenüber dafür mitverantwortlich, dann schaffst du eine Distanz, die nicht im Begehren, sondern in Ablehnung mündet. Mal ganz ehrlich: Wie oft warst du letzte Woche so vertieft in eine

Sache, dass du die Welt um dich herum vergessen hast? Hat deine Frau, dein Mann das überhaupt mitbekommen?

Get active: Priorisiere zu Beginn der Woche freie Zeitfenster, in denen du Zeit für dich hast und dem nachgehen kannst, was dich begeistert. Sei es Puzzeln, Backen, Lesen, Stricken, Spielen, Rätseln, Programmieren oder Sport.

2) Allein reisen

Beruflich längere Zeit im Ausland zu sein, ist in manchen Branchen normal. Allein Urlaub zu machen, fühlt sich dagegen für viele falsch an. Dabei gibt es tolle Angebote. Und es eröffnet die Möglichkeit, mal keinen Kompromiss zwischen Familienzeit und Lesen, Bergen und Meer, Schweigen und Reden eingehen zu müssen. Mein persönlicher Favorit sind Schweige-Exerzitien.

Get active: Plane dieses Jahr mindestens einen Aufenthalt außer Haus allein ein.

3) Den Partner überraschen

Überraschung zeigt sich im Spontanen, im Neuen und in der Improvisation. In kleinem Stil ist da jeden Tag etwas möglich.

Get active: Probiere ein neues Gericht, google nach Witzen oder nerde dich in ein Thema ein, mit dem du deinen Partner, deine Partnerin beeindrucken kannst.

4) Ein frischer Blick

Von allen vier Stellschrauben macht der frische Blick den größten Unterschied. Leider liegt es außerhalb deiner Kontrolle, wie leicht es deinem Mann oder deiner Frau fällt, dich mit neuen Augen zu sehen. Ein Anfang ist jedoch die Gegenseitigkeit: Wie es in den Wald hineinschallt, so schallt es auch wieder heraus.

Get active: Wenn dein Partner, deine Partnerin zu Hause ist, schließe deine Augen für mehrere Sekunden. Schau ihn/sie anschließend an, als würdest du ihm/ ihr zum ersten Mal begegnen. Was willst du über ihn wissen? Was macht sie interessant, wenn man alle Aspekte ausblendet, die mit eurer Beziehung und deinen eigenen Bedürfnissen zu tun haben? Es braucht sowohl ein gutes Gespür für sich selbst und für den anderen als auch den Austausch darüber, um gemeinsam im Takt beim Tanz zwischen den Extremen Nähe und Distanz zu bleiben. Dazu ermutige ich dich und wünsche viel Erfolg!

Tabea S. Müller ist Psychologin und lebt mit ihrem Mann und drei Kindern in der Nähe von Karlsruhe.

Störenfried: Wenn das innere Kind dazwischenfunkt

Ein plötzlicher Ausraster, undefinierbare Gefühle – so oder anders kann sich das innere Kind zu Wort melden und die Harmonie in der Partnerschaft stören. Therapeutin Melanie Schüer erklärt die Zusammenhänge.

„Tut mir leid, ich weiß auch nicht, warum ich mich so aufgeregt habe. Irgendwas hat mich daran total getroffen …aber es ist nicht deine Schuld“, murmelt Lea, während sie sich Milch in ihren Kaffee gießt und zaghaft ihrem Mann zulächelt. Wieder mal ist sie ziemlich wütend geworden in einer Situation, die so ähnlich – das fällt ihr jetzt, mit etwas Abstand auf – immer wieder für Konflikte sorgt.

„Wenn ich mal so darüber nachdenke, geht es bei meinen Ausrastern ziemlich oft um dieses Thema Vergessen werden“, denkt sie laut nach. Und tatsächlich: Gerade hat ihr Mann den Käse vergessen, den sie so gern morgen zum Frühstück genossen hätte. Ihr Sohn hat vor ein paar Tagen nicht daran gedacht, ihren Brief zur Post zu bringen, als er in der Stadt war und als ihre beste Freundin hatte sich letzte Woche nicht, wie angekündigt, gemeldet. In all diesen Situationen hatte Lea ziemlich wütend reagiert – übertrieben wütend, wie sie selber findet, eigentlich unreif, kindlich. Und das ist ganz logisch, denn diese Situationen lösen aufgrund von Leas Biografie etwas aus, das ihr inneres Kind betrifft.

Das innere Kind und die Persönlichkeit

Manchmal nehmen wir Menschen in uns verschiedene Stimmen wahr. Das ist keine Spaltung der Persönlichkeit, sondern die normale Tatsache, dass jeder Mensch verschiedene innere Anteile besitzt. Diese inneren Anteile hängen auch mit unseren unterschiedlichen Rollen zusammen, die wir im Alltag einnehmen – zum Beispiel der Rolle als Freundin, als Partner, als Mutter, Vater, Angestellter oder als Schülerin. Das innere Kind ist der Teil unserer Persönlichkeit, der stark in unserer Kindheit verwurzelt ist. Hier kommen prägende Eindrücke, Gefühle und Erfahrungen aus unserer Kindheit zum Tragen.

Innerer Erwachsener – inneres Kind

Zwei oft sehr gegensätzliche innere Anteile sind das sogenannte ‚Erwachsenen-Ich‘ und das ‚Innere Kind‘. Wenn wir sicher in der Rolle als Erwachsene agieren und uns dem, was uns begegnet, gewachsen fühlen, dann ist das Erwachsenen-Ich in uns besonders präsent. Wir fühlen uns dann souverän, selbstsicher und kompetent – zumindest sind diese Gefühle stärker als Ängste, Sorgen oder Selbstzweifel. Es ist wortwörtlich der erwachsene, reife Teil unserer Persönlichkeit – man könnte auch sagen, „Die Stimme der Vernunft“. Das mag positiv klingen, beinhaltet aber auch negatives Potenzial im Sinne von Druck, Perfektionismus und Verlust von Lebensfreude. Wer immer nur auf die eigene innere Erwachsene hört, schwächt oft wichtige Aspekte des Lebens wie Fantasie, Unbeschwertheit, Freude oder Spontaneität.

In diesen Zuständen kommt ein anderer Anteil besonders stark zum Vorschein: unser inneres Kind. Das innere Kind kann uns befähigen, das Leben zwischendurch leicht zu nehmen und zu genießen. Wir können dann herumalbern und völlig im Moment sein. Gleichzeitig sind mit dem Inneren Kind auch bestimmte negative Erfahrungen verbunden. Wenn das innere Kind in uns stark wird, dann kann es auch passieren, dass wir uns unzulänglich, gedemütigt, abgelehnt, hilflos oder belächelt fühlen. Diese Gefühle hängen mit Erfahrungen aus unserer Kindheit zusammen, die natürlich individuell unterschiedlich sind. Sie werden in Momenten wach, in denen wir an Situationen aus unserer Kindheit erinnert werden – oft sprechen wir dann von „Triggern“. Es kann sich dann anfühlen, als wären wir in die Situation von früher zurückversetzt. So wie Lea, die mit Blick auf die Trigger-Situationen der letzten Zeit ein Muster erkennt und versteht, dass sie sich in diesen Momenten fühlt wie in bestimmten Situationen ihrer Kindheit.

Grundüberzeugungen auf der Spur

Prägende Erfahrungen in der Kindheit führen zur Entwicklung fester Grundüberzeugungen. Das sind quasi Glaubenssätze, die oft unbewusst unsere Sicht auf uns selbst, andere Menschen und Situationen formen. Grundüberzeugungen können zum Beispiel sein:

  • Wenn ich nicht alles perfekt mache, werde ich nicht akzeptiert
  • Wenn ich anders als andere bin, werde ich zurückgewiesen
  • Egal was ich tue, es ist nie genug
  • Ich darf nicht zu hohe Ansprüche stellen, um andere nicht zu nerven
  • Ich muss alles kontrollieren, weil ich sonst nicht sicher bin
  • Andere Menschen werden mich früher oder später enttäuschen
  • Wenn andere mich wirklich kennenlernen, mögen sie mich nicht mehr

Selbstverständlich gibt es auch positive Überzeugungen, zum Beispiel „Ich kann etwas leisten!“ oder „Ich darf meine Meinung sagen!“ Aber durch Krisen und Problemen, insbesondere in der Paarbeziehung, bekommen die negativen Grundüberzeugungen stärkeres Gewicht. Das hängt damit zusammen, dass wir uns in einer Paarbeziehung besonders öffnen und dadurch verletzlich machen und an unser Gegenüber Bedürfnisse und Erwartungen herantragen, die denen eines Kindes gegenüber den Eltern ähneln (Geborgenheit, Annahme, Liebe, Interesse, etc.).

Im Fall Lea

In Leas Fall könnte man die negative Grundüberzeugung in etwa so formulieren: „Wenn andere mich vergessen, zeigt das, dass ich ihnen nicht wichtig bin.“ Lea war mit einem völlig überforderten alleinerziehenden als Vater groß geworden. Der Vater hatte oft vergessen, Lea etwas zu Essen vorzuberteiten oder Lea vom Kindergarten abzuholen. Sie erinnerte sich noch genau daran, wie sie dann als letztes Kind noch wartete, während ihr Erzieher Jan versuchte, ihren Vater zu erreichen.

Wenn Lea ihren Vater dann weinend begrüßte, spielte er das Problem herunter: „Ach komm, mach‘ doch nicht so ein Theater, Lealein. Ich komm doch immer irgendwann, oder etwa nicht? Es dreht sich doch nicht immer alles nur um dich.“ Irgendwann hatte sich Leas Traurigkeit mit Wut vermischt. Die Wut half ihr ein wenig, sich stärker zu fühlen. Das Gefühl von Hilflosigkeit und Ohnmacht angesichts der Traurigkeit, die ja ohnehin nur belächelt wurde, wurde ein wenig abgeschwächt durch die Wut über das Verhalten ihres Vaters. Und genau diese Gefühle kamen auch jetzt wieder hoch, wenn sich vergessen und infolgedessen nicht wertgeschätzt fühlte.

Das innere Kind und die Paarbeziehung

Diese negativen Grundüberzeugungen aus der Kindheit und die dazugehörigen Gefühle wie Scham, Angst Traurigkeit, Wut und Verhaltensweisen wie Konfliktvermeidung, übertriebene Anpassung oder mangelnde Offenheit haben einen enormen Einfluss auf die Entwicklung einer Paarbeziehung. Denn in einer solchen Beziehung machen wir uns besonders verletzlich und entwickeln eine enge Verbundenheit, die auch Verlassensängste oder Angst vor Abhängigkeit auslösen kann.

Im Paar-Alltag werden immer wieder Situationen entstehen, die uns an Erlebnisse aus der Kindheit entwickeln – oft sind wir uns dessen gar nicht bewusst. Diese Ähnlichkeit der Situation (zum Beispiel eine frustrierte Reaktion meines Partners, weil ich etwas nicht schaffe) kann die vertrauten Denkmuster, Gefühle und dann auch Verhaltensweisen auslösen, zum Beispiel, wenn Lea ihren Mann anschreit, weil sie sich in diesem Moment wieder wie die kleine, vergessene Lea fühlt und, weil die Traurigkeit sich zu überwältigend anfühlt, mit Wut reagiert.

Diese Dynamik kann Konflikten immer wieder befeuern, weil beide Partner nicht verstehen, was eigentlich gerade passiert. Scheinbare kindische, unreife Verhaltensweisen treten immer wieder zutage, denn handlungsleitend ist in diesen Fällen tatsächlich das innere Kind!

Das innere Kind auf frischer Tat ertappen

Um diese Zusammenhänge zu erkennen, ist es wichtig, zunächst einmal zu verstehen, welche Situationen zu Unstimmigkeiten und Konflikten führen. Überlegen Sie in einer ruhigen Situation, mit etwas Abstand zu einem konkreten Streit, ob Sie gewisse Muster erkennen können. Was haben die letzten Konfliktanlässe, an die Sie sich erinnern können, gemeinsam? Was sind Themen, die ähnlich sind – zum Beispiel Äußerung von Kritik, Umgang mit Verschiedenheit, Einstellungen zu bestimmten Fragen wie Haushaltsführung, Finanzen, Alltagsgestaltung. Meist kommen schnell Muster zum Vorschein und zeigen an, was Ihr inneres Kind oder das Ihres Gegenübers triggert.

Dann gilt es, ein wenig in der Zeit zurückzureisen: Inwiefern kennen Sie dieses Thema/ähnliche Situationen aus Ihrer Kindheit? Wie haben Sie sich damals gefühlt? Was war damals belastend und stressig? Was hat Sie verletzt, beschämt, wütend gemacht oder geängstigt?

Das innere Kind beruhigen

Wichtig ist, in so einem Reflexionsprozess das innere Kind nicht einfach beiseitezuschieben im Sinne von „Ach so, das liegt nur an meiner Kindheit – okay, das ignoriere ich.“ Das wäre auf Dauer nicht hilfreich, denn das innere Kind meldet sich an ähnlichen Stellen wieder, weil dieses Thema in der Kindheit nicht ausreichend geklärt und verarbeitet werden konnte. Es gilt daher, die Verletzung des inneren Kindes ernst zu nehmen und wie ein liebevoller Erwachsener mit Verständnis zu reagieren.

Es klingt vielleicht komisch, aber erlauben Sie sich ruhig ein wenig Kopfkino. Stellen Sie sich selbst als Kind in einer belastenden Situation vor, an die Sie sich noch erinnern können. Und dann gehen Sie in Ihrer Fantasie als heutiges, erwachsenes Ich auf Ihr jüngeres Ich zu und blicken es freundlich an. Sagen Sie ihm das, was Sie damals schon hätten hören müssen. Sprechen Sie Ihm Mut und Trost zu und erklären Sie, dass die Situation heute anders ist als damals. Wenn Sie offen dafür sind, stellen Sie sich auch gerne vor, sich dem inneren Kind zuwendet, es tröstet und stärkt.

Grundüberzeugungen verändern

Wenn Sie einen Schritt weitergehen möchten, reflektieren Sie auch, welche Grundüberzeugung hinter dem erlebten Konflikt stehen könnte – zum Beispiel im Beispiel von Lea: „Ich werde vergessen, weil ich nicht wichtig bin.“

Überlegen Sie, welche Erfahrungen zu dieser Überzeugung geführt haben – und welche anderen, positiven Erfahrungen und Erkenntnisse ihr widersprechen. Sammeln Sie ruhig Argumente, was für uns was gegen die Wahrheit dieser Überzeugung spricht. Und wenn sie der Realität nicht standhält, dann formulieren Sie – am besten schriftlich, so lernt unser Gehirn effektiver – eine positivere, realistische Grundüberzeugung – wie beispielsweise „Ich bin Gott so wichtig, dass er sogar die Zahl der Haare auf meinem Kopf kennt. Ich bin mir selber wichtig. Und es gibt Menschen, denen ich wichtig bin wie …..“ Lesen Sie sich die positiven Sätze immer wieder durch – so So können Sie neue Denkpfade prägen, die nach und nach Ihre Wahrnehmung prägen und zur Realität werden. Womöglich fühlt sich das anfangs künstlich an – das ist normal, denn Ihr Gehirn hat ja jahrelang das Gegenteil gedacht! Geben Sie dem Training also etwas Zeit.

Nicht alles geht in Eigenregie

Vieles können wir selbst durch Reflexion erreichen. Manche Prozesse brauchen aber Begleitung und Hilfe. Einige Grundüberzeugungen sitzen so tief, haben eine so destruktive Wirkung, manche Erfahrungen unseres inneren Kindes waren so massiv, dass eine Aufarbeitung alleine nicht gelingt. Ein freundliches, professionelles Gegenüber macht einen großen Unterschied und kann einen sehr heilsamen Prozess in Gang bringen. Psychotherapie, Lebensberatungsstellen und Seelsorge können dazu hilfreiche Angebote sein.

Melanie Schüer ist Mutter von zwei Kindern und areitet als Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin und Autorin im Osnabrücker Land.

Empathisch

Was ist Empathie? Nicht das, was viele denken.

Wenn ich mit Menschen über ihre Partnerschaft spreche, sagen mir viele, dass sie sich wünschten, ihr Partner oder ihre Partnerin hätte mehr Empathie. Vor allem von Frauen höre ich, dass es ihren Männern schwerfällt, das Mitgefühl aufzubringen, das sie eigentlich bräuchten. Stattdessen bekommen sie viele gut gemeinte Hinweise, wie man die Situation lösen könnte. Auch Aufmunterungen im Sinne von „Du schaffst das schon!“ stehen hoch im Kurs.

Anknüpfungspunkte

Wenn uns der andere erzählt, was ihn bedrückt, ist es manchmal schwer, einfühlsam darauf zu reagieren. Wenn wir ehrlich sind, finden wir das Gehörte oft schwer nachvollziehbar, manchmal sogar haarsträubend. Meistens findet der Zuhörer keinen Anknüpfungspunkt an die Erfahrungen seines Gegenübers, weil er selbst die gleichen Ereignisse ganz anders wahrgenommen und interpretiert hätte. Wie kann man mitfühlen, wenn man selbst nie etwas Ähnliches erlebt hat? Und wahrscheinlich auch nie etwas Ähnliches erleben wird, weil man anders gestrickt ist und anders mit dem Leben umgeht?

Diesen Überlegungen liegt ein großes Missverständnis über Empathie zugrunde. Als Gesellschaft haben wir hier eine kollektive Bildungslücke. Empathisch zu sein, bedeutet nämlich nicht, dass ich das Erleben meines Partners/meiner Partnerin nachvollziehen kann. Vielmehr bedeutet es, dass ich ihm/ihr aufmerksam zuhöre und ihm/ihr glaube, wenn er/sie mir davon erzählt, was ein bestimmtes Erlebnis bei ihm/ihr ausgelöst hat. Auch wenn das nicht mit meinem Erleben zusammenpasst. Die Empathieforscherin Brené Brown bringt es auf den Punkt: „Empathie bedeutet nicht, sich mit einer Erfahrung zu verbinden, sondern mit den Gefühlen, die durch eine Erfahrung ausgelöst wurden.“

Ungerecht behandelt

Als empathische Zuhörerinnen und Zuhörer versuchen wir also, in uns selbst etwas zu finden, das das Gefühl kennt, das unser Gegenüber beschreibt, und daran anzudocken. Ein Beispiel: Nadine erzählt Tobias, wie schwierig es für sie ist, dass ihr Kollege alle Lorbeeren für ein Projekt erhält, zu dessen Erfolg hauptsächlich sie beigetragen hat. Gerade heute hat ihr Vorgesetzter wieder vor dem ganzen Team die hervorragende Arbeit des Kollegen gelobt und ihren Beitrag mit keinem Wort erwähnt.

Tobias liegt die Lösung auf der Zunge: „Dann musst du dich halt wehren.“ So hätte er es gemacht. Ist ja absurd, dass man sich so etwas bieten lässt. Doch stattdessen fragt er sich: „Gibt es etwas in mir, das mir helfen könnte, zu erkennen und mich mit dem zu verbinden, was Nadine fühlt?“ Und tatsächlich kennt auch Tobias Situationen, in denen er sich ungerecht behandelt fühlt oder das Gefühl hat, dass ihn niemand wahrnimmt. Und wenn er dort anknüpft, wird es ihm gelingen, einfühlsam auf Nadine zu reagieren.

Marc Bareth und seine Frau Manuela stärken mit FAMILYLIFE Schweiz Ehen und Familien. Marc Bareth ist der Leiter dieser Arbeit. Er bloggt unter: familylife.ch/five

Als Paar einen Treuebruch überleben

Wenn ein Treuebruch passiert, fällt die betrogene Person oft aus allen Wolken. Ist eine Ehe nach einer Affäre noch zu retten? Von Christina Glasow

Kati (alle Namen geändert) hatte schon wochenlang so ein Gefühl … Jetzt hält sie Tills Handy in der Hand und starrt mit klopfendem Herzen auf seinen Chatverlauf mit Lena. Kati kennt sie schon lange. Sie arbeitet für die gleiche Firma wie Till. Was sie da liest, lässt sie erstarren: Herzchen, Küsschen, „Ich vermisse dich“, „Ich sehne mich nach dir“ …

In Katis Kopf und Herz bricht Chaos aus: Schmerz. Wut. Angst. Enttäuschung. Scham. Wie konnte er das nur tun? Bin ich nicht gut genug? Ist unsere Beziehung eine einzige Lüge? Wie lange geht das schon so? Was hat er ihr über uns erzählt? Ich werfe ihn raus. Ich will ihn nicht verlieren.

Mit Katis Entdeckung konfrontiert, kommt Till stammelnd mit der Wahrheit heraus. Er hat Angst und ist gleichzeitig von einer tonnenschweren Last befreit. Till hatte sich mit Lena so lebendig gefühlt, so begehrt. Aber Kati anzulügen, war schwer. Er liebt sie doch. Er war ständig in Angst, aufzufliegen. Aber auch unfähig, aufzuhören.

Wo und wie beginnt Treuebruch?

Treuebruch ist ein Durchbrechen der getroffenen Vereinbarung über die Exklusivität einer Partnerschaft. Ein Aufbauen von Intimität mit einer dritten Person. Wie genau diese aussieht, wo die Grenze liegt, ist sehr unterschiedlich. Treuebruch hat viele Gesichter: einmalig oder länger andauernd, mit einer Person aus dem Umfeld oder jemand Unbekanntem, mit oder ohne Gefühle, „nur“ emotional oder auch körperlich … Es finden Heimlichkeiten, Hintergehen und damit ein Vertrauensbruch statt, der die betrogene Person in unterschiedlichem Maße erschüttert.

Oft entsteht Untreue schleichend und mit einer Person aus dem Lebensumfeld (Freundeskreis, Job, Hobby, Gemeinde), der man mehr und mehr Aufmerksamkeit schenkt, die auch erwidert wird. Unmerklich wird so der Punkt der Freundschaftlichkeit überschritten. Der Partner oder die Partnerin dürfte jetzt nicht mehr danebenstehen, wenn Nachrichten ausgetauscht werden. Ist dieser Punkt erreicht, wird es schwierig, aus der Situation wieder herauszukommen.

Was ist jetzt wichtig?

Auch wenn die Hürde riesengroß ist: Es ist besser, wenn die untreue Person den Treuebruch selbst beichtet, als dass es durch andere oder durch die betrogene Person herausgefunden wird. Nach dem Aufdecken der Untreue können auf beiden Seiten schwer aushaltbare Gefühle wie Enttäuschung, Verrat, Hilflosigkeit, Schmerz, Angst, Zerrissenheit, Wut und Scham aufkommen. Eine Trennung scheint eine naheliegende, schnelle Lösung zu sein. Es ist jedoch wichtig, keine vorschnellen Entscheidungen zu treffen.

Ein Treuebruch muss nicht das Ende einer Beziehung sein. Wenn beide grundsätzlich die Beziehung weiterführen möchten (von diesem Fall gehe ich im Weiteren aus), ist es möglich, einen Treuebruch zu verarbeiten. In meiner Praxis durfte ich schon viele Paare begleiten, die sich diesem schmerzhaften Prozess gestellt haben und anschließend als Paar gestärkt aus dieser Krise hervorgegangen sind. Ob ein Treuebruch verarbeitet werden kann, hängt davon ab, wie empathisch der Verursacher mit der Verletztheit des Gegenübers umgeht, sodass das verlorene Vertrauen wieder wachsen kann. Im zweiten Schritt muss geschaut werden, ob und welche Faktoren es in der Beziehungsdynamik gibt, die den Boden für den Treuebruch bereitet haben könnten.

Wichtige Schritte für die Verarbeitung

Kontaktabbruch und Transparenz: Die untreue Person um die grenzüberschreitenden Interaktionen beziehungsweise muss den anderen Kontakt beenden. Und zwar in Form von klarer und fairer Kommunikation, zum Beispiel: „Meine Frau/mein Mann weiß jetzt über uns Bescheid. Ich entscheide mich, an meiner Beziehung zu arbeiten. Das zwischen uns ist aus.“ Etwaige Kontaktversuche der dritten Person sollten sofort mitgeteilt werden.

Faktencheck und Gefühlslage: Es braucht jetzt Zeit, über die Gefühle und das Geschehene zu sprechen. Immer wieder und solange es nötig ist. Die betrogene Person hat jetzt Gedankenspiele darüber, wie genau der Treuebruch ausgesehen haben mag. Auch wenn es schmerzhaft ist, ist es wichtig, die Fakten zu kennen, damit die Gedanken darüber irgendwann zur Ruhe kommen können. Manchmal sind die Befürchtungen schlimmer als das, was tatsächlich geschehen ist. Bitte nicht, um die eigene Haut zu retten oder den anderen zu schonen, die „Salamitaktik“ anwenden und Informationen erst nach und nach preisgeben. Das erschüttert immer wieder das Vertrauen und sorgt für Rückschläge im Prozess.

Zum eigenen Schutz sollte nicht zu detailliert nachgefragt werden. Welche genauen Wortlaute oder Zärtlichkeiten ausgetauscht wurden, ist nicht unbedingt relevant, um ein Bild vom Geschehenen zu bekommen. Die Devise lautet: so viel Information wie nötig und so wenig wie möglich. Sollten auch nach dem Aufdecken noch Emotionen für die dritte Person vorhanden sein, durchläuft die ehemals untreue Person parallel einen Prozess des Loslassens und der Trennung.

Oft ist mit dem Aufdecken jedoch die Affäre auch emotional vorbei. Die Gedanken und Gefühle sind bald wieder sortiert und fokussiert auf die ursprüngliche Beziehung. Für die betrogene Person fängt aber alles erst an. Die Verarbeitung dauert ihre Zeit und ist anstrengend. Je geduldiger und gründlicher sich beide Partner dem Prozess der Verarbeitung stellen, desto besser sind die Chancen, die Krise zu bewältigen. Es braucht jetzt von beiden Personen vor allem Geduld.

Sätze wie „Darüber haben wir doch jetzt schon x-mal gesprochen, du musst jetzt auch mal darüber wegkommen“ oder „Wir haben doch nur geschrieben, es ist doch nichts passiert“ bringen den Verarbeitungsprozess nicht voran. Im Gegenteil: Die verletzte Person fühlt sich nicht gesehen und im Schmerz alleingelassen. Nun ist es wichtig, Empathie zu zeigen, die emotionale Achterbahn des oder der anderen liebevoll auszuhalten und die Konsequenz des eigenen Handelns verantwortungsvoll zu tragen. Wenig hilfreich für den Prozess ist es, wenn die betrogene Person verdrängt und schnell und oberflächlich vergibt. Es ist wichtig, die Gefühle zuzulassen, auch wenn das unangenehm ist.

Nur durch gemeinsames Tragen dieser schmerzhaften Folgen kann die Beziehung heilen und wachsen. Es führt kein gesunder Weg daran vorbei! Es kann in dieser Phase zu langen, kräftezehrenden Gesprächen kommen. Hilfreich ist es hier, vor dem Gespräch einen Zeitrahmen zu vereinbaren, um zu einem Ende zu finden, auch wenn noch nicht alles besprochen ist.

Freiwillige Rechenschaft: Für die meisten betrogenen Partner ist es in der ersten Zeit schwierig, mit bestimmten Trigger-Situationen umzugehen, ohne ständig zu kontrollieren, zum Beispiel wenn die ehemals untreue Person allein ausgeht. In der ersten Zeit kann es helfen, freiwillig Rechenschaft abzulegen: Wenn Till ins Büro fährt, hat Kati jedes Mal Angst, dass er dort Lena treffen und sich wieder Heimlichkeiten zwischen den beiden einstellen könnten. Till versteht das. Die beiden haben verabredet, dass er von sich aus erzählt, wenn er Lena gesehen hat. Wenn Kati unsicher ist, fragt sie zusätzlich nach. Langsam kann so Vertrauen und Sicherheit zurückkehren.

Es ist eine besondere Herausforderung, wenn sich die dritte Person weiterhin im Umfeld des Paares befindet. Den Job oder den Freundeskreis zu verlassen, sind große Schritte, die man nicht unbedingt gehen kann oder möchte. Diese Situationen können sehr knifflig sein und werden am besten professionell begleitet. Als Richtschnur kann dienen, dass die betrogene Person das Tempo vorgibt, wie und ob wieder ein Treffen oder gar eine Annäherung an die dritte Person stattfindet. Es muss weder alles schnell wieder normal sein, noch muss es bedeuten, dass nie wieder miteinander gesprochen wird. Zunächst ist es am wichtigsten, dass das Paar wieder zueinander findet. Alles, was das weitere Umfeld betrifft, kann dann zu seiner Zeit folgen, sofern das gewünscht ist.

Wie konnte das passieren?

In Studien zum Thema Untreue geben 40 Prozent der Befragten an, in ihrem Leben schon einmal untreu gewesen zu sein, wobei es Männer und Frauen etwa gleichermaßen betrifft. Wie kommt es dazu? Die Gründe sind sehr individuell und können an dieser Stelle nur angerissen werden. Oft beobachte ich in meiner Arbeit mit betroffenen Paaren aber das gleiche Grundprinzip:

Die Lebensumstände eines Menschen verändern sich stetig. Sie wandeln sich in Bezug auf den Job, Wohnort, Kinder, Hobbys, Ehrenamt oder Freundschaften. Aber auch Krankheiten oder der Verlust eines geliebten Menschen führen zu Veränderungen. Man passt sich den Gegebenheiten an und setzt Prioritäten. Manches muss weichen, weil die Kraft oder die Zeit dazu fehlt. Vor allem in der Kleinkind-Phase bleibt häufig wenig Raum für anderes.

Oft fällt diesem Lauf des Lebens die Pflege der Paarbeziehung, also die ungeteilte Zeit mit dem Partner/der Partnerin, als Erstes zum Opfer. Man funktioniert zusammen als Team, aber den Bedürfnissen des Gegenübers wird weniger Beachtung geschenkt. In seinem Buch „Die 5 Sprachen der Liebe“ beschreibt Gary Chapman, was Menschen brauchen, um sich geliebt zu fühlen und wie man es schaffen kann, trotz Unterschiedlichkeit beim Gegenüber keinen Mangel aufkommen zu lassen. Das Bedürfnis nach ungeteilter Zeit mit dem Partner spielt eine große Rolle. Tritt über einen längeren Zeitraum ein Mangel auf, der von einer dritten Person gestillt wird, besteht die Gefahr, dass sich eine Außenbeziehung anbahnt.

Die eigene Prägung, alte Glaubenssätze, das Selbstbewusstsein und auch bereits vorangegangene ungeklärte Verletzungen in der Beziehung tragen außerdem dazu bei. Das bedeutet, dass für die Umstände, die den Treuebruch begünstigt haben, in der Regel beide Verantwortung tragen. Für den Treuebruch an sich trägt aber ausschließlich die untreue Person die Verantwortung. Die Gründe sind also sehr individuell und oft komplex. Es lohnt sich, hier mit professioneller Unterstützung hinzuschauen, um die Basis der Beziehung nachhaltig zu festigen. Das gilt besonders, wenn Untreue wiederholt ein Thema ist. Meist spielen die psychologischen und lebensgeschichtlichen Hintergründe eine relevante Rolle. Aber auch als Opfer wiederholter Untreue ist es wichtig, sich Hilfe zu holen und abzuwägen, ob eine Trennung die bessere Alternative wäre, als sich immer wieder so tief verletzen zu lassen.

Wann ist die Krise bewältigt?

Um mit einem erlittenen Treuebruch abzuschließen, ist es wichtig, sich irgendwann zu entscheiden, die zugefügte Verletzung loszulassen und zu vergeben. Nicht, weil man das tun müsste oder das Gegenüber das erwartet, sondern um des eigenen Herzens willen. Ich glaube, dass Gott uns die Möglichkeit zu vergeben hauptsächlich um unseretwillen geschenkt hat, damit unser Herz nicht bitter wird. Unvergebenes liegt als Last auf der eigenen Seele. Vergebung ermöglicht es einem selbst, wieder frei zu werden. Vergeben bedeutet nicht vergessen. Es ist aber der Schritt, den beide brauchen, damit das Geschehene irgendwann nicht mehr zwischen ihnen steht.

Jedes Paar sollte an den Stellschrauben für eine gesunde und reife Beziehung arbeiten: Kommunikation auf Augenhöhe, Arbeit an den eigenen Themen sowie ein aufmerksames, wertschätzendes und liebevolles Miteinander. Wer gerade in einer Krise dieser Art steckt, dem möchte ich Mut machen: Es wird sich nicht für immer so anfühlen. Wer die wichtigen oben genannten Punkte beachtet, hat eine gute Chance, das Geschehene zu verarbeiten und reifer daraus hervorzugehen. Es braucht Zeit und Vertrauen in den Prozess. Aber es lohnt sich!

Ein Jahr später schauen Kati und Till auf eine schmerzhafte Zeit zurück. Inzwischen ist Ruhe eingekehrt. Die aufreibenden Gespräche sind vorbei. Ab und zu kommen Erinnerungen hoch, aber sie schmerzen nur noch kurz. Die beiden sind wieder aufmerksamer füreinander geworden und haben gelernt, über ihre Gefühle und Bedürfnisse zu sprechen. Tills Kontakt zu Lena beschränkt sich auf ein „Hallo“ im Büro. Katis Groll ihr gegenüber hat sich abgeschwächt. Aber ob und wie Kati ihr wieder begegnen möchte, darüber ist sie sich noch nicht sicher.

Christina Glasow ist Heilpraktikerin für Psychotherapie und lebt mit ihrer Familie in Pulheim. christinaglasow.de