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5 Tipps: So überlebt die Beziehung in der Kleinkindphase

Die Kleinkindphase ist eine Herausforderung für die Beziehung der Eltern. Familienberaterin Isabelle Bartels erklärt, wie die Partnerschaft trotzdem aufblühen kann.

„Mir wächst hier alles über den Kopf und ich wäre froh, einfach mal wieder eine Nacht durchzuschlafen. Wo bleibt da noch Zeit für die Beziehung?“ Das höre ich oft von jungen Eltern. Und ganz ehrlich: Ich kann das gut verstehen! Denn diese Zeit ist extrem herausfordernd.

Meinem Mann und mir ging es während unserer Familiengründungsphase immer wieder genauso. Und gleichzeitig haben wir uns gefragt, wie wir als Paar in Verbindung bleiben können – auch im Alltag mit Kleinkindern. Denn wir wollten unsere Beziehung nicht dem Zufall überlassen und es auch nicht glauben, dass es vorbei ist mit Zweisamkeit und Nähe, wenn die Kinder klein sind. Doch wie genau können wir Einfluss nehmen auf die Resilienz unserer Partnerschaft? Was hält sie lebendig, wenn wir Eltern werden und als Paar wenig Exklusivzeit haben? Aus meiner eigenen Lebenserfahrung und als Ergebnis meiner Beratungen sind es vor allem fünf Bausteine, die wir als Paar kultivieren dürfen, um unserer Beziehung weiterhin Raum zur Entfaltung geben zu können.

1. Annehmen, was ist

Letztens bei uns: Wir hatten uns seit Tagen auf einen Restaurantbesuch zu zweit gefreut – und eine Stunde vorher sagt uns das Kindermädchen ab. Puh! Die Vorfreude weicht der Enttäuschung und dem Frust. Statt gemütlich essen zu gehen nun das normale Ich-will-nicht-schlafen-gehen-Programm mit den Kindern. Ich merke: Ich habe keine Lust! Früher habe ich mir Gedanken wie „Ich habe gerade keine Lust auf meine Kinder!“ nicht erlaubt. Doch dann habe ich die Erfahrung gemacht, dass die Annahme von allem, was ist, die Grundlage ist, um überhaupt wieder heraus aus dem Opfermodus in die Handlungsfähigkeit zu kommen.

Was bedeutet das konkret für die Situation? Solange ich glaube, ich müsse immer Lust auf meine Kinder haben, komme ich nicht weiter. Ich bin weiterhin genervt, habe ein schlechtes Gewissen und bin unzufrieden mit mir, weil ich es nicht schaffe, dankbarer zu sein. Hier hilft die Annahme aller Anteile in mir mit ihren widerstreitenden Gefühlen. Ich gestehe mir ein, dass ich manchmal am liebsten meinen Mann für mich allein hätte und so nicht meinem Bild eines perfekten Elternteils entspreche. Und plötzlich wird mir klar, dass ich nicht falsch bin, sondern dass meine Gefühle einfach menschlich und ein Ausdruck für meinen Wunsch nach mehr Zweisamkeit und Selbstbestimmung sind. Ich komme raus aus dem inneren Kampf und kann stattdessen nach Lösungen für die veränderte Situation suchen.

Als Paar könnt ihr euch gegenseitig helfen, den täglichen Kampf zu erkennen, und euch liebevoll aus den Gedankenschleifen herausholen. Dazu reichen oft ein einfaches „Stopp“ und eine Umarmung. Macht es euch immer wieder leicht und entscheidet euch bewusst dafür, nicht irgendeinem Ideal zu entsprechen. Und wenn es die Situation erfordert, wiederholt ihr das alle fünf Minuten.

2. Selbstfürsorge – Raum für mich und meine Interessen

Den Kindern geht es nur so gut, wie es den Eltern als Paar miteinander geht. Der Beziehung als Paar wiederum geht es nur so gut, wie es jedem Einzelnen geht. Das sind zwei meiner Lieblingsgrundsätze für beziehungsstarkes Familienleben. Doch es ist oft ein riesiger Schritt, sich diesen Raum für sich selbst zu erlauben und ihn wirklich einzunehmen.

Deshalb ist der erste Schritt immer: die Selbsterlaubnis. Erlaube dir, Raum und Zeit mit dir selbst zu genießen und dich zu fragen: Was brauche ich? Wie kann ich mir selbst Gutes tun, um dann wieder die Mutter oder der Vater, die Partnerin oder der Partner zu sein, die oder der ich sein möchte?

Der zweite Schritt ist hier die klare Kommunikation: Rede mit deinem Partner darüber. Formuliere deinen Wunsch klar und spreche mit ihm darüber, dass du dir mehr Raum für dich nehmen willst.
Als wir angefangen haben, Räume für uns selbst in unseren Alltag einzubauen, kamen oft Bedenken von einem von uns wie: „Unsere tägliche To-do-Liste ist jetzt schon nicht zu schaffen, wie soll ich da noch Zeit für mich einbauen?“

Uns ist klar geworden: Ohne Selbstfürsorge geht es nicht. Mir hilft da immer das Bild aus dem wunderbaren Gedicht von Bernhard von Clairvaux: Die Schale der Liebe. Nur, wenn wir so gefüllt sind, dass wir überfließen wie eine Schale voller Wasser, können wir unsere Liebe und unsere Kraft weitergeben. Da sind wir wieder beim Thema Erlaubnis: Erlaube dir, deine Schale aufzufüllen. Hierzu reichen manchmal schon ein paar Minuten täglich.

Der dritte Schritt ist: Umsetzung! Schnappt euch den Kalender und tragt euch Alleinzeiten ein. Und plötzlich merkst du, dass der Alltag leichter wird, wenn du lernst, gut für dich selbst zu sorgen! Du erlebst dich viel gelassener mit den Kindern. Und die lange To-do-Liste kannst du ebenfalls besser annehmen, weil du spürst, dass du immer genug Kraft haben wirst, um alle Herausforderungen des Alltags zu bestehen.

3. Zeit für Beziehung – kleine Oasen im Alltag schaffen

Es ist wichtig für die Beziehung als Paar, dass auch sie Raum hat, sich weiterzuentwickeln und zu wachsen. Die Frage ist also nicht, ob wir Zeit zu zweit haben, sondern wie. Deshalb habe ich mir im Folgenden Fragen überlegt, die helfen können, auch in der Kleinkindphase Paarzeiten zu etablieren:

  • Wie können wir ohne Druck und so, dass es sich für uns leicht und entspannt anfühlt, Zeiten für kleine Paar-Oasen im Alltag freihalten?
  • Was dient uns jetzt gerade mehr auf unserem Weg – viel Paarzeit? Oder lieber mehr Zeit allein?
  • Welche Aufgaben können wir auch anderen Menschen übergeben, sodass dadurch neue Freiräume für uns entstehen?

Und hier kommen noch drei Ideen für Mikro-Oasen! Schnell und einfach umgesetzt – Babysitter wird nicht benötigt!

  • Stellt den Wecker auf 5 Uhr morgens. Zieht eure Kleidung aus und kuschelt Haut an Haut. Spürt die Verbindung! Da muss gar kein Sex heraus entstehen – sondern es geht erst einmal darum, in Verbindung zu sein. In dieser Atmosphäre können auch die schönsten Gespräche entstehen. Probiert’s mal aus! PS: Der Jüngste wird auch in aller Frühe wach? Na, dann kuschelt er halt mit. Was für eine schöne Erinnerung ans Wochenbett, als ihr auch Haut an Haut mit ihm gekuschelt habt!
  • Ihr arbeitet im Home-Office? Macht ein Mittagessen für die Hand und verbringt die Mittagspause draußen! Nehmt euer Kind in die Trage und macht einen Spaziergang. Redet nicht über organisatorisches Kleinklein, sondern fragt bewusst und interessiert: „Wie geht es dir gerade?“
  • Nehmt euch einen späten Nachmittag Zeit für ein Familienpicknick: im Sommer im Garten oder im Park, im Winter am gemütlichsten Ort in der Wohnung. Dann setzt ihr euch allesamt auf den Boden und esst gemeinsam. In dieser entspannten Atmosphäre schwärmen die Kinder meistens nach dem Essen zum Spielen aus oder kuscheln sich einfach an, sodass ihr entspannt reden könnt.

4. Streiten & vergeben

Wie fühlen sich Konflikte für euch an? Wie seid ihr geprägt? Und wie freigiebig seid ihr beim Thema Vergebung? Die Antwort auf diese Fragen beeinflusst maßgeblich eure aktuelle Konfliktkultur. Kaum ein Paar streitet gern. Doch die gute Nachricht lautet: Konflikte gehören dazu! Und wir können lernen, sie zu lösen. Mein Mann und ich sind das beste Beispiel. Am Anfang unserer Beziehung dachten wir, wir würden niemals konstruktiv streiten lernen. Während ich alles ausdiskutieren musste, wollte er als Harmonietyp so schnell wie möglich raus aus dem Konfliktgespräch. Bevor eine Lösung für den akuten Konflikt in Sicht war, haben wir uns schon darüber gestritten, wie wir streiten.

Mittlerweile schaffen wir es zu 90 Prozent, unsere Konflikte zu lösen. Und wenn wir das können, könnt ihr das auch. Ich kann jetzt aus ganzem Herzen sagen: Konflikte sind wichtig und sind Chancen, um zu wachsen! Konflikte eskalieren häufig dann, wenn ein Anteil in uns durch die aktuelle Situation an eine schmerzhafte Erfahrung aus der Vergangenheit erinnert wird. Wenn wir bereit sind, unsere eigenen alten Verletzungen anzuschauen, werden Konflikte konstruktiv. Es ist ein toller Erfolg, wenn du in einem Konflikt selbst erkennst, dass du gerade in einen alten Schmerz gerutscht bist. Die Basis für einen solchen Moment sind die Bausteine 1 und 2: Annehmen, dass dieser Schmerz gerade da ist, und so gut wie möglich für dich sorgen.

Der nächste Schritt ist erst dran, wenn die hochgekochten Gemüter sich wieder beruhigt haben. Vergib deinem Partner oder deiner Partnerin freigiebig und vor allem auch dir selbst. Für mich als Christin hilft die Gewissheit, dass Gott mir vergibt. Immer wieder. Er liebt mich und nimmt mich an. Also lasst uns täglich sagen und signalisieren: „Ich vergebe dir.“

5. Gemeinsam träumen

Dieser Baustein hat unglaublich viel Potenzial, den Alltag zu durchbrechen und über das Chaos hinweg Verbindung zu schaffen. Fragt euch regelmäßig: Was ist unsere gemeinsame Perspektive? Was ist noch alles möglich hinter dem Tellerrand des Alltags? Worauf leben wir gemeinsam hin? Es lohnt sich, die Paar-Oasenzeiten zum gemeinsamen Träumen zu nutzen und auch mal einen Träumertag einzulegen! Das heißt, dass ihr beide euch einen Tag Zeit nehmt und gemeinsam so viel wie möglich von euren „Wie schön wäre es, wenn wir …“-Ideen da hineinpackt. Die Energie, die ihr daraus mitnehmt, wird euch durch die nächste Durststrecke tragen und euch inspirieren, viel öfter zu fragen: Was tut uns in unserem Alltag gut? Wie wollen wir eigentlich leben? Und wovon können wir jetzt sofort noch mehr in unseren Alltag bringen?

Ja, es gibt immer wieder diese Phasen, in denen wir das Gefühl haben, dass alles über uns hereinbricht und wir nur noch reagieren können. Doch wir haben immer die Möglichkeit, als Individuen und als Paar gemeinsam zu entscheiden, wie wir darauf reagieren wollen. Ich wünsche euch viel Kreativität und gute Ideen, die genau zu euch und eurem Alltag passen.

Isabelle Bartels ist Pädagogin und familylab-Familienberaterin, lebt mit ihrem Mann und ihren drei Kindern in Ostwestfalen und bloggt unter isabellebartels.com.

Offene Kommunikation statt Zwickmühle und Opferrolle

In der Paarkommunikation können sich schädliche Muster einschleichen. Eheberater Marc Bareth empfiehlt: Lieber konstruktiv gestalten als in die Opferrolle flüchten

Fußball ist ein großes Thema im Hause Müller. Irgendein Spiel läuft immer und Michael schaut gerne zu. Seine Frau Maike hält das für Zeitverschwendung. Nun steht Michaels Lieblingsverein überraschend im Champions League-Achtelfinale. Ein Freund hat Michael zum gemeinsamen Fernsehabend eingeladen. Michael weiß, dass die Lieblingstante von Maike an diesem Abend ihren Geburtstag feiert. Also fragt er seine Frau: „Schatz, ich weiß, dass wir bei deiner Tante eingeladen sind, aber heute Abend ist auch das Achtelfinale, kannst du nicht alleine gehen?“

Die Opferrolle delegiert und gewinnt

Michael schafft mit dieser Frage eine Situation, in welcher seine Frau nur verlieren kann – eine Zwickmühle. Er weiß, dass ihr die Tante wichtig ist und dass diese enttäuscht sein wird, wenn Maike alleine kommt. Wenn seine Frau nachgibt, hat er sein Ziel erreicht. Wenn seine Frau hingegen darauf besteht, dass er mitkommt, wird Michael seine Rolle als Opfer zelebrieren. In dieser kann er dann missmutig sein, sich ungerecht behandelt fühlen und Wiedergutmachung nach dem Motto: „Ich durfte ja schon nicht Fußball schauen“ einfordern. So oder so also ein Gewinn für Michael.

Das Opfer delegiert die Entscheidung, damit es Opfer bleiben kann. Ein solches Verhalten ist nicht geschlechterspezifisch und kommt in allen möglichen Lebenssituationen vor, in denen sich zwei unterschiedliche Bedürfnisse gegenüberstehen. Das kann Themen wie Finanzen, Sexualität, Ferien, Familienplanung oder viele andere betreffen. Immer nach dem Leitsatz: Du entscheidest und ich darf unzufrieden sein – ein Dilemma in der Kommunikation und in der Beziehung.

Michaels Opferverhalten ist recht offensichtlich, aber manche stellen es so geschickt an, dass man es kaum wahrnimmt. Tatsache ist, dass es in vielen Beziehungen vorkommt. Wer es durchschaut und durchbricht, wird mit einer für beide Seiten befriedigenderen Partnerschaft belohnt.

Konstruktiv gestalten statt erleiden

Wie könnte Michael die Situation besser angehen um schädliche Kommunikationsmuster zu durchbrechen? Indem er die Entscheidung nicht ganz an seine Frau delegiert. Er sollte seine Bedürfnisse äußern, dann aber auch einen konstruktiven Vorschlag machen, wie sie damit umgehen könnten. Zum Beispiel so: „Schatz, ich weiß, dass wir heute bei deiner Tante eingeladen sind. Ich würde trotzdem gerne Fußball schauen, weil mich dieses Spiel sehr interessiert. Die Party beginnt ja schon um sieben. Ich schlage vor, dass wir zusammen zu deiner Tante gehen und ich mich gegen neun dort verdrücke. Was meinst du? Ist das für dich denkbar oder hast du einen anderen Vorschlag, wie wir beides unter einen Hut bringen können?“

Marc Bareth und seine Frau stärken mit FAMILYLIFE Schweiz Ehen und Familien. Marc Bareth ist der Leiter dieser Arbeit. 2020 ist sein Buch „Beziehungsstark“ erschienen. Er bloggt unter familylife.ch/five.

 

Guter Sex trotz Kleinkindern? Mit diesen 10 Tipps klappt es mit der Zweisamkeit

Tagsüber Theater und Zirkus am Abend – das Leben mit Kleinkindern ist oft stressig. Wie kann trotzdem das Sexleben gelingen? Eine Paartherapeutin klärt auf

Eltern mit Kleinkindern merken schnell, dass sich in ihrer Partnerschaft und vor allem in ihrem Sexleben einiges ändert. Obwohl sie sich ein Leben ohne die süßen Kleinen nicht mehr vorstellen können, wünschen sie sich in turbulenten Zeiten insgeheim die Tage zurück, wo sie leidenschaftlich und spontan miteinander schlafen konnten. Kein Türenverschließen aus Furcht vor kleinen, ungewollten Besuchern, die fragen: „Mama, Papa, was macht ihr da?“ Kein Zeitdruck aus Furcht vor kleinen Zaungästen.

Kein ruhige Minute

„Ich fühle mich nur noch fremdgesteuert! Sexuell läuft schon seit der Geburt unseres zweiten Kindes wenig. Wie denn auch?“, fragt Kristin (Name und Umstände geändert), als sie in meine Sprechstunde kommt. Dass ihr Mann sich mehr wünscht, ist ihr sehr wohl bewusst, doch „wenn ich mal ein bisschen Lust verspüre, dann liegt eines der Kinder zwischen uns oder schreit nach mir.“ Kristin bringt auf den Punkt, was viele Eltern von Kleinkindern erleben. Sie haben ihre eigenen Bedürfnisse selbstlos hinten angestellt und sich dabei selbst aus den Augen verloren.

Das Focus Magazin veröffentlichte vor einigen Jahren einen Artikel mit dem Titel: „Wie viel Sex braucht der Mensch?“ Der Text bezog sich auf eine Studie, in der Forscher herausfinden wollten, was unsere Libido beeinflussen kann. Sehr eindeutig fiel das Ergebnis bei der Frage aus, was Stress mit der Sinnlichkeit macht: „Das Stresshormon Cortisol, das in den Nebennieren bei erhöhter körperlicher und psychischer Belastung ausgeschüttet wird, vermindert den Sextrieb. Hektik, Müdigkeit und Sorgen stören die Liebe empfindlich. Männer wie Frauen reagieren auf die Störfaktoren ähnlich.“

Stress von innen und außen

Die Kleinkindphase stellt hohe Anforderungen an die Eltern, die sich im Sexualleben der Paare bemerkbar machen. Was kann ich Kristin und anderen Müttern und Vätern raten? Zunächst legen wir den Fokus darauf, wie sie es in ihrer momentanen herausfordernden Zeit schaffen kann, zu sich selbst zu finden.

Es geht darum, kleine Auszeiten zu erkennen und einzubauen, in denen sie sich erholen kann, um gelassener mit Alltagssituationen umgehen zu können. Wir nehmen erst einmal Kristins Stresssituation in den Blick. Diese ist von den äußeren und den inneren Stressfaktoren beeinflusst oder sogar gesteuert. Um hier klarer zu sehen, erhält sie die Aufgabe, in den nächsten vierzehn Tagen aufzuschreiben, welche Situationen ihr besonders Stress bereiten. Weiterhin soll sie beobachten, welche Gedanken sie dabei wahrnimmt, welche Gefühle entstehen, welche Körpersignale sich anmelden und welches Verhalten sie zeigt.

In einem zweiten, anschließenden Schritt erforschen wir ihre inneren Stressfaktoren. Das ist zum Beispiel ihr erhöhter Perfektionismus, ihr Bedürfnis, es allen recht machen zu wollen oder ihr Anspruch, immer stark zu sein. Anhand praktischer Beispiele besprechen wir, wo ihr die inneren Stressfaktoren nützlich sind und wo sie ihr im Wege stehen. Gleichzeitig erlernt sie ein Entspannungsverfahren mit einer zusätzlichen Körperwahrnehmungsübung.

Dies soll ihr helfen, wieder entspannen zu können, ihren eigenen Körper wieder besser wahrzunehmen, damit sie Stresssignale des Körpers frühzeitig erkennt und somit entgegenwirken kann.

Zweisamkeit fördern

Man kann mit einer solchen Herangehensweise sicher nicht alle schwierigen Faktoren ausschalten. Es ist normal, sich in manchen Phasen überfordert und fremdbestimmt zu fühlen und es ist auch normal, dass darunter das Sexualleben leidet. Das muss aber nicht zu einem chronischen Zustand werden. Wichtig ist, dass Mütter und Väter sich immer wieder Freiräume schaffen, in denen sie sich selbst und einander auf entspannte Weise erleben können. Dann wird auch wieder die Lust zurückkehren und man kann das Leben insgesamt genießen. Auf der nächsten Seite gibt es einige Ideen, wie das gelingen kann:

10 Ideen für mehr Zweisamkeit

1. Euch ist wichtig, dass eure Kinder in einem liebevollen Umfeld aufwachsen. Ihr wollt auf ihre Bedürfnisse eingehen und das ist gut so! Vergesst dabei nicht, dass ihr als Eltern auch Bedürfnisse habt. Wenn ihr euch selbst oder einander verliert, haben eure Kinder nichts gewonnen. Andersherum formuliert: Wenn es den Eltern gut geht, geht es auch den Kindern gut.

2. Nehmt euch deshalb als Paar ganz bewusst hier und da Auszeiten. Vielleicht könnt ihr euch auch mal irgendwann wieder ein Wochenende zu zweit gönnen, aber selbst, wenn es nur ein paar Stunden ohne Kinder sind: Das zu tun, was euch gemeinsam Spaß macht, und euch mal wieder als Paar zu erleben, kann Wunder wirken!

3. Nehmt dafür die Unterstützung von Familie, Freunden oder anderen möglichen Babysittern in Anspruch. Eure Kinder freuen sich, wenn sie Oma und Opa einmal für sich alleine haben oder durch einen Babysitter betreut werden.

4. Macht euch klar, dass ihr immer noch ein Paar seid. Ihr habt keine Familie gegründet, weil das euer Beruf ist, sondern weil ihr euch gefunden und ineinander verliebt habt. Warum eigentlich? Was war so attraktiv? Was war so toll an ihr? Was fand sie anziehend an ihm? Was damals toll war, ist sicher auch heute noch vorhanden, ihr müsst vielleicht nur ein bisschen den Staub des Alltags wegpusten.

5. Gönnt euch gegenseitig kleine Auszeiten, damit jeder für sich einmal wieder auftanken kann. Es muss nicht immer etwas Großes sein. Ein gemütliches Bad nehmen, ohne Kind zum Friseur, zwei Stunden Sport mit Freunden – das alles kann einen den Alltagstrott für kurze Zeit vergessen lassen.

6. Planung tut gut! Spontaner Sex während der Kleinkindphase bleibt wahrscheinlich eher ein Wunschtraum. Verabredet euch zum Liebesspiel. Weshalb nicht einmal die Zeit nutzen, wenn die Kinder ihre Lieblingssendung sehen oder ihren Mittagsschlaf halten? Das gibt euch als Paar etwas Zeit füreinander. Was ihr aus der Ruhezeit macht, ist euch überlassen.

7. Das mag seltsam klingen, aber Sex hat ähnlich wie Sport oder ein Musikinstrument spielen mit Gewohnheit zu tun. Manche Paare haben es sich abgewöhnt, miteinander zu schlafen. Das war keine bewusste Entscheidung, es ist einfach so passiert. Jetzt tun sie sich umso schwerer, wieder zueinander zu finden. Paare, die beispielsweise auch während der Schwangerschaft Sex hatten, tun sich leichter, ihr Liebesleben einige Wochen nach der Geburt zu reaktivieren.

8. Gewohnheit heißt auch: Es muss nicht immer das ganz große Feuerwerk sein. Macht euch keinen Druck, wenn sich die Lust nicht wie gewünscht einstellt. Streicheln, schmusen, im Bett nebeneinander liegen und über Gott und die Welt reden – Intimität kann auch ohne Sex sehr schön sein. Manchmal stellt sich gerade dann die Lust ein, wenn man den Druck rausnimmt.

9. Freut euch darüber, dass ihr einander habt! Wie ihr Familie lebt und welche Herausforderungen ihr mit eurem Kleinkind tagtäglich meistert, das ist einzigartig. Notiert euch am Abend, was ihr am Tag so alles hingekriegt habt. Ihr werdet staunen, was ihr alles so nebenbei erledigen konntet!

10. Wenn man mittendrin steckt, kann man es nicht glauben, aber die Kleinkindphase geht auch einmal vorüber!

 

Andrea Kronester arbeitet als Heilpraktikerin für Psychotherapie und ist Therapeutische Seelsorgerin (TS) und Entspannungspädagogin im mittelfränkischen Petersaurach (praxis-kronester.de).

Zwischen Geborgenheit und Abenteuer

Was ist überhaupt aufregender Sex? Christa und Dr. med. Wilf Gasser machen Paaren Mut, diese Frage für sich zu klären. Denn nur wenn beide wissen, was sie suchen, haben sie auch die Chance, fündig zu werden.

Sex mag uns als eine körperliche Angelegenheit erscheinen, aber entscheidend ist das, was sich im Kopf abspielt. Erfahrungsgemäß reden Paare zu wenig darüber, was hier abgeht – obwohl schon das offene Gespräch über Sex in der Paarbeziehung erotische Spannung aufbauen könnte. Doch was wünsche ich mir eigentlich? Mancher Austausch scheitert schon daran, dass die Ehepartner das selbst nicht so genau wissen. Vielleicht wussten sie es einmal, aber die Beziehung hat sich verändert und das Leben findet unter anderen Bedingungen statt. Deshalb hier ein paar gedankliche Leitplanken, die helfen, den eigenen Wünschen und Sehnsüchten auf die Spur zu kommen.

DAS SEXUELLE VERLANGEN ZWISCHEN „HOME“ UND „ABENTEUER“

Das sexuelle Verlangen umfasst zwei fast widersprüchliche Pole. Auf der einen Seite suchen wir Vertrautheit, Verlässlichkeit, Sicherheit, Annahme und Bindung. Auf der anderen Seite wollen wir Aufregung, Kick, Gewagtes und Neues. Bei vielen Menschen liegt das sexuelle Verlangen eher auf der einen oder anderen Seite, oder es kippt im Verlauf der Zeit auf eine der beiden Seiten. Und sicher spielt in dieser Frage auch unser Geschlecht eine Rolle sowie Veränderungen, die sich mit zunehmendem Alter ergeben.

Wir Männer haben vielleicht testosteron-bedingt eher den Wunsch nach einem intensiven, raschen Erregungsaufbau und einem ausgeprägten Kick. Der Abenteuer-Pol liegt uns naturgemäß recht nahe. In unseren Träumen spielen oft auch sexuelle Spielarten wie Oralsex und diverse Stellungen eine Rolle, und bereits die Gedanken daran können Erregungsgefühle auslösen. Unser Verlangen ist stark auf den Orgasmus ausgerichtet. Eine sexuelle Begegnung ohne Höhepunkt ist für die meisten Männer undenkbar. Was aber keinesfalls heißt, dass der „Home“-Aspekt für uns nicht auch für eine langfristig erfüllende sexuelle Beziehung wichtig wäre.

Wir Frauen verbinden Sex gerne mit „Home“ – einem Ort, an dem wir uns wohl und sicher fühlen. Wir können es genießen, wenn die sexuelle Begegnung zu einer Wellness-Erfahrung wird. Vertrautheit, Zuwendung und Liebe öffnen uns für die Möglichkeit einer sexuellen Begegnung. Vielleicht sogar für die Möglichkeit von Abenteuer. Aber nicht selten sind unsere Männer irritiert, weil wir Frauen nicht mit gleicher Begeisterung Abenteuer-Ideen einbringen oder weil es für uns nicht immer so einfach ist, uns auf ihre Wünsche einzulassen.

SEX MAL ANDERS ODER GANZ VERTRAUT

In den Träumen von Abenteuern hat alles Platz, was auf dem Boden einer vertrauensvollen Beziehung entsteht, und unter Wahrung von Würde und Achtung des Gegenübers ausgelebt oder humorvoll auch als untaugliche Idee verworfen werden kann. Ein erotisches Gespräch zum Beispiel oder das gemeinsame spielerische Entdecken von Dingen, die bisher nicht zum Repertoire gehörten. Statt Sex immer zum Abschluss des Tages kurz vor Mitternacht, warum nicht mal zu ganz anderen Zeiten? Oder mal ein Ortswechsel vom Bett auf das Sofa oder auf den Küchentisch? Oder mal ein Schäferstündchen in der Natur?

„Home“ heißt dagegen: Wir pflegen Vertrautes, wir schaffen eine Atmosphäre, in der sich beide wohl und sicher fühlen. Wir geben dem Raum, was uns guttut und uns zueinander bringt.

Erotische Spannung braucht langfristig unbedingt beide Pole: Home und Abenteuer. Es muss nicht immer ein Gleichgewicht herrschen, aber wenn wir auf der einen oder anderen Seite ein andauerndes Übergewicht haben und das Thema immer auch mit realen oder vielleicht nur vermeintlichen Vorwürfen verbunden ist, führt dies meist bald zum Verlust des Interesses an sexuellen Begegnungen. Zumindest bei demjenigen Partner, dessen Bedürfnisse zu wenig Beachtung finden …

Deshalb unser Tipp: Sprecht als Paar über die Illustration unten. Zuerst über den großen Bogen, in welchen langfristig gelingende Sexualität eingebettet ist. Hier sind die Stichworte dazu:

Verbindlichkeit: Maximale Intimität braucht maximale Verbindlichkeit
Exklusivität/Treue: Was sind eure Vorstellungen und Maßstäbe?
Balance von Geben und Nehmen, Schenken und Empfangen
Wie geht es unserem „Wir-Gefühl“? Wie erlebe ich Verbundenheit in der Sexualität?
Lasst euch dann auf das Spannungsfeld von Home und Abenteuer ein. Dabei ist es hilfreich, wenn beide zunächst mal für sich überlegen: Welche Punkte in der Illustration sind mir besonders wichtig? Man kann die Stichwörter auch auf einer Skala von 1 bis 10 bewerten.

Dass diese Auseinandersetzung mit euren Erwartungen und Enttäuschungen euch möglicherweise auch sehr persönlich in Frage stellt, ist völlig normal! Sie ist aber die Voraussetzung für eine wachsende Intimität.

DAS PROBLEM MIT DEM TRÄUMEN

Es ist toll, wenn ihr über eure Wünsche und Träume ins Gespräch kommt. Gleichzeitig möchten wir euch davor warnen, sie zum Nonplusultra zu machen. Träume sind schön und sehr oft die Triebfeder für menschliches Handeln und für großartige Leistungen. Der Mensch ist ein mit Vorstellungskraft und Fantasie begabtes Wesen, und dies kommt nirgends so zum Tragen wie in der Sexualität. Schwierig wird es allerdings, wenn eure Träume und Vorstellungen gewissermaßen zum einzigen Maßstab werden. Was ihr in der Realität erlebt, ist dann nie wirklich gut genug. Wenn ihr zum Beispiel den gemeinsamen Orgasmus als das ultimative Beispiel von gutem Sex betrachtet, seid ihr jedes Mal enttäuscht, wenn ihr es wieder nicht schafft, obwohl ihr eigentlich für so vieles dankbar sein könntet.

Beim Thema Sex träumen manche lieber von der unerreichbaren sprichwörtlichen Taube auf dem Dach, statt die weniger spektakuläre Realität zu genießen. Die Enttäuschung ist damit vorprogrammiert. Und daraus entsteht dann leicht eine Schuldzuweisung an den Partner oder die Partnerin. Man klagt an oder fühlt sich angeklagt. Beides ist ein Lustkiller!

GOTT ALS COACH?

Versucht euer Gespräch über Home und Abenteuer damit abzuschließen, dass ihr je einen Punkt für mögliches Wachstum definiert. Und falls ihr mit Jesus bekannt seid und das gemeinsame Gebet möglich ist, dann empfehlen wir euch analog zum christlichen Tischgebet ein regelmäßiges „Bett-Gebet“. In unseren schwierigen Lern-Jahren (wohl nicht ganz zufällig auch die Kleinkind-Jahre …) haben wir recht treu vor intimen Begegnungen gebetet und Gott als Coach in unser Schlafzimmer eingeladen. Zugegeben, es war gewöhnungsbedürftig, ihn zum Thema „aufregender Sex“ so persönlich ins Spiel zu bringen!

Ich (Wilf) erlebte es als befreiend, im Gebet um eine leidenschaftliche und eine die Herzen verbindende sexuelle Begegnung zu bitten. Ich empfand als Mann auch eine gewisse Furcht vor der egoistischen und gierigen Seite der Sexualität. Unser „Bett-Gebet“ hat mir geholfen, mich mit meiner männlichen Triebkraft und hormonbedingten Leidenschaft zu versöhnen.

WOHER DIE „AUFREGUNG“?

Wenn ihr nachhaltig aufregenden Sex sucht, spielt es eine Rolle, aus welcher Quelle sich eure Träume nähren. Generell können wir Menschen uns darauf konditionieren, Erregung durch Reize wie zum Beispiel pornografische Bilder, Fetische oder bestimmte Handlungen zu suchen. Diese Reize sind zwar wirksam und führen zumindest einseitig zu einer gewissen Erregung. Aber sie sind ohne jeglichen Bezug zu einer realen Person, beziehungsweise die andere Person ist austauschbar.

Die gute Nachricht ist, dass wir lernen können, unseren Träumen eine Ausrichtung auf einen anderen liebevollen Menschen zu geben. Wir können uns angewöhnen und können es einüben, unsere „sexuelle Aufregung“ aus einer realen Beziehung heraus zu suchen. Wir können lernen, uns ohne Lust und ohne jegliche Erregung auf eine sexuelle Begegnung einzulassen. Und müssen dann aber wissen – beziehungsweise müssen es vielleicht auch erst lernen –, wie wir erotische Brücken bauen und so Erregung aufbauen können. Eine kleine Übung kann dabei helfen (siehe Tipp).

Wir laden euch ein, miteinander im Gespräch zu bleiben und euch einander unvoreingenommen zu begegnen. Selbst wenn das manchmal nicht ganz einfach ist – langfristig könnt ihr nur gewinnen!

 

TIPP: NACKTHEITS-ÜBUNG

Eine kleine und beliebig wiederholbare Übung kann euch helfen, euch auf eine partnerschaftliche Sexualität auszurichten. Sie kann aber auch eine Einstiegshilfe sein, wenn ihr euch für eine sexuelle Begegnung entschieden habt, aber noch keine Spur von erotischen Gefühlen vorhanden ist. Diese unscheinbare und auf den ersten Blick wenig aufregende Übung kann sich wie ein kleiner Spatz in der Hand zur Taube wandeln. Probiert die Übung doch mal aus und sprecht darüber, wie es euch dabei ergeht. Und sollte euch die Übung fast zu einfach scheinen, probiert es trotzdem! Ihr könnt nur gewinnen.

1. Schritt: Nackt nebeneinander liegen: Was macht das mit mir?
Beide Partner ziehen sich im warmen Zimmer nackt aus und machen es sich nebeneinander bequem, ohne sich zu berühren. Nun schließt eure Augen und entspannt euch. Nehmt euch für diesen ersten Schritt mindestens 10 Minuten Zeit. Beide horchen in sich hinein. Was macht das mit mir? Wie fühle ich mich? Wie fühlt sich die eigene Nacktheit an? Fühle ich mich wohl in meiner Haut? Wie fühlt sich die Nacktheit des Partners, der Partnerin an? Welche Gefühle löst dies bei mir aus?

2. Schritt: Einander berühren
Legt Arme und/oder Beine über- oder ineinander, aber ohne, dass ihr euch aktiv streichelt oder stimuliert. Nehmt euch dafür wieder 5-10 Minuten Zeit. Was macht dies mit mir? Wie fühlt es sich an? Fühle ich mich wohl dabei?
Austausch: Was habe ich am meisten genossen? Was war schwierig?

 

Christa und Dr. med. Wilf Gasser sind seit 1983 verheiratet. Sie haben drei erwachsene Kinder und acht Enkel und wohnen in einer kleinen Gemeinschaft in der Nähe Berns. Sie arbeiten als Sexualtherapeuten und bieten Seminare für Paare an: www.wachsende-intimität.ch. Der Artikel basiert auf einem Kapitel aus ihrem Buch „Der Traum vom guten Sex – Druck und Freiheit in der sexuellen Begegnung“.

„Gott macht keinen Unterschied zwischen Mann und Frau“

In christlichen Gemeinden gibt es oft feste Rollenzuschreibungen für Männer und Frauen. Veronika Schmidt, Sexologin und systemische Beraterin, plädiert dafür, dass Männer und Frauen auch in diesem Umfeld endlich gleichgestellt sind – weil Gott es sich so gedacht hat.

Die Gleichberechtigung von Männern und Frauen ist dir ein Herzensanliegen. Was ist dir daran besonders wichtig?

Meine Idealvorstellung ist, dass nicht mehr das Geschlecht eine Rolle spielt – ob ich Frau oder Mann bin –, sondern dass man seinen Gaben entsprechend das tun kann, was man gern tun möchte. Und dass einem von außen keine Vorurteile und Hindernisse in den Weg gelegt werden. Wenn diese Freiheit nicht da ist, liegt viel Potenzial brach. Dann verzichten wir als Gesellschaft, Kirche oder Familie auf zu viel, wenn nicht jeder das tun kann, was in seinen Möglichkeiten liegt.

Wie sieht es mit der Gleichberechtigung im christlichen Umfeld aus?

Es gibt hier ein breites Spektrum. Es gibt Gemeinden, in denen ist die Mitarbeit den Gaben gemäß und unabhängig vom Geschlecht problemlos möglich, in anderen aber nicht. Wir sind nicht da, wo ich denke, dass Gott sich das so gedacht hat. Schwierig finde ich dieses „Ja, aber“, das selbst in den fortschrittlichsten Gemeinden immer noch in der Luft schwebt. Das hat etwas damit zu tun, wie lange wir dieses Thema schon mit uns herumtragen. Es gibt keinen Verband, keine Kirche, die sich hinstellt und öffentlich sagt: „Wir haben uns geirrt, es gibt kein ‚Aber‘ mehr. Frauen und Männer sind gleichberechtigt.“ Das würde einen Unterschied machen, weil wir damit gezwungen wären, unser Denken, unsere Haltung zu ändern und dementsprechend auch die Strukturen. Ich glaube nicht, dass sich in der Kirche etwas grundlegend ändert, wenn diese klaren Statements nicht kommen. Klar, Frauen werden Schritt für Schritt ein bisschen mehr geduldet. Das ist kein Statement, keine offizielle Entscheidung in vielen Gemeinden. Deshalb bleibt immer dieses „Aber“ in der Luft hängen.

Du hast gerade gesagt, es entspricht nicht dem, wie Gott sich das gedacht hat. Was meinst du denn, wie Gott es sich gedacht hat?

Ich habe zur Recherche für mein Buch „Endlich gleich“ und auch nachträglich sehr viel zu diesem Thema gelesen. Ich meine, theologisch verstanden zu haben, dass Gott keinen Unterschied macht zwischen Mann und Frau. Er gibt ihnen den Auftrag, die Welt zu verwalten und zu bebauen. Dieser Auftrag geht an beide. Paulus muss oft hinhalten für die Unterdrückung der Frau. Aber wenn wir genau auf sein Verhalten und seinen Umgang mit Frauen schauen, sehen wir, dass er das weitergeführt hat, was Jesus gelebt hat: den Frauen auf Augenhöhe zu begegnen und mit ihnen unterwegs zu sein. Als die Kirche institutionalisiert wurde, wurden die Frauen wieder untergeordnet. Das ist eine gesellschaftliche, machtpolitische Richtung, die nicht mit dem, was Jesus und Paulus gelehrt und gelebt haben, zu vereinbaren ist.

In christlichen Kreisen wird oft das Konzept formuliert: „Frauen und Männer sind gleichwertig, aber nicht gleichartig. Es gibt bestimmte Gaben und Aufgaben, die für Männer und solche, die für Frauen gedacht sind.“ Was sagst du dazu?

Das ist eine Ausrede, mit der Frauen vertröstet und ruhiggestellt werden. Natürlich sind wir gleichwertig, das ist gar nicht die Diskussion. Und wir sind nicht gleichartig, das ist auch nicht die Diskussion. Die Diskussion ist: Sind wir gleichberechtigt? Haben wir die gleichen Möglichkeiten? Kann die Frau an denselben Dingen teilhaben wie der Mann, und stehen ihr alle Türen offen? Gibt es keine Grenzen nur aufgrund des Geschlechts? Das ist die wichtigste Diskussion. Es gibt das Konzept der Komplementarität, dass Mann und Frau sich ergänzen. Und es gibt das Konzept der Egalität. Das heißt nicht, wir sind gleich gestrickt oder wir sind biologisch gleich, sondern es beruht auf der Annahme, dass Gott keinen Unterschied macht und deshalb die Gemeinde auch keinen Unterschied machen sollte, damit das volle Potenzial der Kirche zum Tragen kommt.

Diese klassischen Rollenzuschreibungen funktionieren ja auch bei vielen Paaren gar nicht …

Genau. Meine Erfahrung aus der Beratung ist, dass etwa die Hälfte der Paare nach dem klassischen Rollenmodell ticken: Er ist der Dominante, der Aktive, der Ideengeber, und sie passt sich eher an, folgt ihm, macht gern mit. Diese Paare haben mit ihrem Rollenbild für sich selbst und auch von außen keine Schwierigkeiten, weil das so akzeptiert ist. Es gibt meiner Erfahrung nach aber genauso viele Paare, die umgekehrt funktionieren: Die Frau ist die Dominante, die Aktive, die Ideengeberin, und er ist jemand, der gern folgt, sich gern anpasst, gern mitmacht und sich inspirieren lässt. Diese Paare zweifeln oft selbst an sich, weil sie etwas anderes als „richtig“ vermittelt bekommen. Und die Umgebung zweifelt auch an ihnen, weil sie nicht dem klassischen Rollenmuster entsprechen. Ich höre in der Beratung oft, wenn es zum Beispiel um Verantwortung geht, dass Frauen ihren Männern Vorwürfe machen: „Du bist doch das Haupt. Du müsstest doch jetzt vorangehen, auch geistlich, auch in der Kindererziehung. Du müsstest doch den Karren ziehen.“ Und da sind wir bei einem Bild, das nicht stimmt, denn den Karren müssen sie gemeinsam ziehen – sonst ist es eine mühsame Angelegenheit.

Es gibt aber auch diese Bibelstellen, dass Frauen in der Gemeinde schweigen sollen oder sich dem Mann unterordnen sollen. Wie verstehst du sie?

Es sind nicht mal eine Handvoll an Bibelstellen, aufgrund derer die Frauen jahrhundertelang zurückgestellt wurden. Das ist, würde ich sagen, eine Frage des Bibelverständnisses und der Auslegung. Es gibt inzwischen zahlreiche Auslegungen, die belegen, dass damit nicht das gemeint ist, was wir daraus gemacht haben, sondern dass da die einzelne Frau gemeint ist oder die vorlaute Frau, die im Überschwang über das Ziel hinausschießt. Damit ist auch die konkrete Situation damals gemeint und nicht eine generelle Aussage, weil eben diese generellen Aussagen dem, was Paulus sonst sagt und dem, was Jesus und Paulus gelebt haben, widersprechen.

Ich beobachte, dass junge Frauen und Männer in christlichen Gemeinden in Bezug auf Rollenbilder teilweise wieder konservativer werden als ihre Elterngeneration. Woher kommt das?

Diese Frauen haben die Emanzipation, weil Generationen vor ihnen dafür gekämpft haben. Aber Emanzipation ist anstrengend. Denn als emanzipiertes Paar muss man immer wieder Dinge verhandeln. Es gibt diese traditionelle Rückbewegung auch in der Gesellschaft, die sogenannten „Tradwives“. Das hängt damit zusammen, dass die Männer keine Emanzipationsbewegung ihrerseits in die Wege geleitet haben. Dann kehrt man irgendwann zurück zum Ist-Zustand. Es gibt Aussagen, dass Männer unter der Emanzipation der Frauen leiden oder dass Männer heute keine Männer mehr, sondern verweiblicht seien. Die Ursache wird aber an der falschen Stelle gesucht. Das Problem ist nicht, dass die Frauen sich emanzipieren, sondern dass Männer parallel dazu keine eigene Entwicklung, keine eigene Emanzipation in ein neues Männerbild gemacht haben. Die Bilder sitzen so tief in uns, dass es wirklich sein kann, dass ich in der Tradition mehr Halt finde und damit glücklicher bin, als in einer gewissen Unzufriedenheit zu sein. Aber nur der unzufriedene Mensch entwickelt sich. Ein gleichgestelltes Paar muss bereit sein, sich miteinander immer wieder zu entwickeln. Es geht nicht darum, dass Männer wie Frauen werden. Das ist definitiv der falsche Weg.

Wie kommen wir dann zu einem gleich-berechtigten Miteinander?

Wenn Frauen die gerechte Verteilung der Aufgaben und der Verantwortung nicht einfordern, wird nichts geschehen. Gleichstellung oder Gleichberechtigung muss im Kleinen gelebt werden. Und das ist erst mal für die Frau und den Mann anstrengend. Sie müssen sich überlegen, wie sie leben wollen. Wir Frauen sind herausgefordert, Gleichberechtigung überhaupt zu wollen und dann auch einzufordern.

Und die Männer können sich zurücklehnen und sagen: „Ich lass mal die Frauen kämpfen“?

Nein. Wir müssen zusammen mit unseren Männern kämpfen. Wir müssen uns den Männern zumuten und sie aus ihrer Komfortzone herausholen. Für meinen Mann zum Beispiel war es kein Problem, anzuerkennen, dass Mann und Frau gleichberechtigt sind. Trotzdem wäre er auf ganz viele Dinge nicht gekommen, wenn ich sie ihm nicht erklärt hätte, wenn ich ihn nicht ein Stück weit gezwungen hätte, sich damit auseinanderzusetzen. Denn Männer haben eigentlich keinen Veränderungsbedarf. Wenn es bleibt, wie es ist, dann haben sie ihre Vorteile davon. Sie kommen oft gar nicht auf die Idee, etwas zu ändern. Die Me-too-Bewegung hat Männer gezwungen, hinzuschauen, was sie oft unhinterfragt tun: zum Beispiel diese Herablassung Frauen gegenüber, die einem auch in der christlichen Lebenswelt begegnet. Sich lustig zu machen über die Emotionalität der Frau bis hin zu Bemerkungen, wie Frauen aussehen. Diese Bewegung zwingt Männer, über ihre Rollenvorstellungen und über ihr Mann-Sein nachzudenken. Und übertragen auf die Situation in den Kirchen: Wenn wir die Männer nicht zwingen, werden sie es nicht überdenken. Aber wir werden immer Männer finden, die problemlos dazu bereit sind, sich solidarisch zu diesem Anliegen zu stellen. Natürlich gibt es auch die, die dies nicht tun oder nicht wollen und die dagegen kämpfen.

Hast du denn die Hoffnung, dass sich in den nächsten zehn Jahren die Situation grundlegend ändert?

Ich bin da ein bisschen zwiegespalten. Für einzelne Menschen hat sich schon viel geändert und wird sich auch weiter etwas ändern. Die Kirche konnte und kann sich den gesellschaftlichen Entwicklungen letztlich nicht entziehen. Wir stehen in den Gemeinden nicht mehr da, wo wir vor 30 Jahren standen. Ich sehe aber auch, dass jede Frauengeneration, jede Paargeneration sich das wieder erkämpfen muss. Ja, wir stehen auf den Schultern der Generationen vor uns und haben ihnen vieles zu verdanken, aber wir werden es nicht halten können, wenn wir uns nicht selbst dafür einsetzen. Frauen haben oft die Tendenz, sich zurückzunehmen, wenn es anstrengend und schwierig und unangenehm wird. Und ich glaube, dass wir deshalb ein bisschen vorkämpfen müssen. Wir sollten den nachfolgenden Frauengenerationen Beispiele geben, damit sie sich an Frauen orientieren können, die für die Gleichberechtigung einstehen und diese auch leben.

Das Interview führte Bettina Wendland. In der nächsten Family schreibt Veronika Schmidt darüber, wie wichtig Gleichberechtigung für ein erfülltes Sexleben ist.

Zum Weiterlesen:

Veronika Schmidt: Endlich gleich! Warum Gott schon immer mit Männern und Frauen rechnet (SCM Hänssler)
Katharine C. Bushnell: Wach auf, Eva! (Verlag für Kultur und Wissenschaft 2020, zuerst veröffentlicht 1921)
Annegret Braun: Warum Eva keine Gleichstellungsbeauftragte brauchte. Gottes Idee für Frauen und Männer (SCM R.Brockhaus)

Eine starke Identität als Paar kann vieles überbrücken

Professor Dominik Schöbi von der Universität Fribourg erforscht multikulturelle Partnerschaften. Im Interview erzählt er, was in interkulturellen Ehen besonders wichtig ist.

Herr Professor Schöbi, was macht multikulturelle Partnerschaften so besonders?
Die ‚typische‘ multikulturelle Partnerschaft gibt es nicht. Beziehungen unterscheiden sich stark darin, wie sie funktionieren und welche Hintergründe beide Partner mitbringen. Gemeinsam haben sie allerdings, dass es eine größere Vielfalt an Ideen gibt, an Möglichkeiten, sich im Alltag zurechtzufinden, und an Regeln, die man befolgen könnte.

Was sind typische Schwierigkeiten für Partner aus unterschiedlichen Kulturen?
Multikulturelle Partner haben keine grundsätzlich anderen Konflikte. Es gibt aber einige neuralgische Punkte, die sich herauskristallisieren und Schwierigkeiten machen können: Regeln und Normen sind sehr unterschiedlich. Sie führen dazu, dass beide Partner verschiedene Erwartungen und Routinen mitbringen, die einen großen Einfluss auf den Alltag haben. Unsere Gewohnheiten sind oft nicht gut reflektiert, was häufiger zu Missverständnissen und Erwartungen führt, die enttäuscht werden. Die Partner stehen vor einer größeren Herausforderung, wenn sie eigene Wege finden müssen. Beide müssen überlegen: ‚Wie wollen wir das handhaben? Wie schauen wir das an? Für was entscheiden wir uns? Welche Kompromisse wählen wir?‘ Sie müssen Lösungen für Alltagsprobleme finden, bei denen eine klassische Partnerschaft die Routine ablaufen lässt.

Die Kommunikation ist sicherlich bei allen Ehen ein Thema, besonders aber in multikulturellen Partnerschaften.
Sprache spielt eine große Rolle. Paare müssen für sich herausfinden, ob jeder in der eigenen Sprache sprechen kann oder ob eine Drittsprache zur gemeinsamen Sprache wird. Wenn es mehrere Sprachen gibt, ist auch wichtig, ob ich verstehe, wenn mein Partner mit Freunden und Verwandten spricht. Hier können leicht Distanzen entstehen, die in anderen Partnerschaften nicht da sind. Dazu kommt: Viele Paare kommen aufgrund von Migrationsbewegungen zusammen. Migranten haben im Durchschnitt einen niedrigeren gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Status und Bildungsstandard. So kann ein Ungleichgewicht im Paar entstehen, wenn ein Partner weniger gut gestellt ist. Wenn beide es sind, dann muss das Paar mehr Alltagsstress mit weniger Möglichkeiten und Ressourcen bewältigen.

Was raten Sie multikulturellen Paaren, um Konflikte zu verhindern oder zu lösen?
Entscheidend ist, wie die Partner interagieren, kommunizieren und Probleme lösen. Beide Seiten brauchen eine hohe Bereitschaft, mit Stress-Situationen umzugehen, sich selbst zurückzunehmen und die Perspektive vom Partner einzunehmen. Es ist sehr hilfreich, wenn beide sich immer wieder bewusst machen, dass es unterschiedliche Perspektiven und Ansichten gibt. In Situationen, wo die eigenen Erwartungen nicht eintreffen, sollte man sich automatisch fragen: Wie sieht das mein Partner? Was ist die Perspektive aus einem anderen kulturellen Blickwinkel?

Das heißt, man muss sich vom Schwarz-Weiß-Denken lösen?
Statt in Alternativen zu denken – es geht nur so oder so –, sollte man im Austausch feststellen: Hier haben wir eine Herausforderung und müssen jetzt eine machbare Lösung finden, die für uns beide stimmt und alle grundlegenden Bedürfnisse berücksichtigt. Vielleicht finden wir keine perfekte Lösung und müssen Menschen enttäuschen, aber hoffentlich finden wir eine, mit der wir gut leben können. Konkret bedeutet das, Regeln, Normen und Routinen zu finden, die für beide Partner passen – und Wege zu finden, wie man mit Misserfolgen umgehen kann. Paare müssen bewusst gemeinsam viele Erfahrungen machen, gemeinsame Projekte angehen und Ziele setzen, die sie realisieren wollen. Damit baut sich ein Paar eine gemeinsame Geschichte und einen Erfahrungsschatz auf, der zusammenschweißt. Eine starke Paar-Identität kann vieles überbrücken. Sie gibt Rückhalt, wenn man schwierige Situationen navigieren muss, wenn sich die Erwartungen der Familie von denen des Partners stark unterscheiden.

Was ist spannend und bereichernd in multikulturellen Beziehungen?
Sie sind eine Möglichkeit zu wachsen. Man erlebt viel Eindrückliches für die eigene Persönlichkeitsentwicklung und macht wertvolle Erfahrungen. In interkulturellen Partnerschaften ist die Überlappung kleiner und das Andersartige größer. Indem sich die Partner kennenlernen und die andere Kultur in ihr eigenes Leben integrieren, gewinnen sie im Denken und Handeln. Man wird flexibler, kann Dinge besser aus unterschiedlichen Perspektiven sehen und vieles relativiert sich, weil man einen anderen Ansatz dazu erwirbt. Das ist eine Bereicherung für die Partnerschaft und eine persönliche Horizonterweiterung.

Können Menschen aus ihrem Glauben, ihrer Spiritualität für eine multikulturelle Partnerschaft Stärke beziehen?
Die persönliche Spiritualität und der gemeinschaftliche Aspekt sind eine Ressource, die Paaren Halt geben und ihnen erlauben kann, Herausforderungen und Krisen besser zu meistern. Wir vermuten, dass der religiöse Rückhalt dabei hilft, das Ego in den Hintergrund zu stellen, den Fokus vom Konflikt wegzunehmen und stattdessen nach gemeinsamen Lösungen zu suchen. Dies klappt, wenn beide Partner die Spiritualität und religiöse Gemeinschaft teilen – oder wenn Toleranz gegenüber der Spiritualität des anderen gelebt wird. Wenn allerdings die Spiritualität inflexibel macht und die Offenheit einschränkt, dann kann sie Probleme schaffen, die man sonst nicht hätte.

Warum beschäftigen Sie sich mit multikulturellen Partnerschaften?
Das Phänomen der multikulturellen Partnerschaft ist enorm wichtig und stellt eine große Chance für die Weiterentwicklung der Kulturen dar. Oft gehen wir davon aus, dass Kulturen feste Systeme sind. Das stimmt aber nicht, denn Kulturen verändern sich fortlaufend. Multikulturelle Paare sind genau die Schnittstellen, wo sich Kulturen bewegen. Sie haben eine Brückenfunktion und bereichern die Kulturen, aus denen sie kommen und die sie vereinen.

Das Interview führte Ulrike Légé.

Kein Beziehungsratgeber half diesem Paar. So wurden sie trotzdem ein Team

Früher schrien sich Jennifer Zimmermann und ihr Mann wochenlang abends an. Heute ist ihr Partner gleichzeitig ihr bester Freund.

Man sollte es gleich zu Anfang wissen: Wir sind kein Vorzeigepaar. Ich sehe uns heute noch in unserer ersten Wohnung am Frankfurter Westbahnhof sitzen. Draußen donnerten die Güterzüge und drinnen las ich mit roten Ohren das Kapitel über Sex aus unserem Eheratgeber vor. Zehn von zwanzig Kapiteln lang übten wir uns in größtmöglicher Offenheit und wälzten Vorstellungen über Geld und Rollenbilder. Die letzten zehn Einheiten lasen wir nie. Das einzige Buch, das wir gemeinsam (fast) bis zum Ende gelesen haben, enthielt gesammelten Poetry Slam. Das Ehebuch lag unterdessen auf dem Couchtisch und starrte uns vorwurfsvoll an, weil wir offenbar keinen stabilen Grundstein für unsere Beziehung legen wollten.

Viele Ratschläge

Ich kam mit neuen Büchern und Seminarangeboten nach Hause. Mein Angetrauter verdrehte die Augen. Zurecht. Er konterte mit einer Auswahl von Restaurants, in die er mich für ein Ehedate entführen wollte. Ich seufzte, weil in mir ein kleiner grummeliger Zwerg mit Kontrollzwang wohnte, der es überhaupt nicht leiden konnte, wenn jemand anderes sein Essen kochte. Freunde erzählten mir, wie sie in ihre Beziehung investierten. Welche Rituale sie bewusst in ihren Alltag einflochten. Wie sie das gemeinsame Gebet jeden Abend durch persönliche Probleme trug. Wie dieses oder jenes Kommunikationsseminar die Weichen für ihre gemeinsame Zukunft gestellt hatte. Und ich seufzte wieder und schämte mich ein bisschen.

Bedienungsanleitung falsch verstanden

Zu Beginn unserer Ehe war ich mir sicher: Wir hatten etwas an der Bedienungsanleitung für unsere Ehe falsch verstanden. Wie konnte all das, was uns stark machen sollte, all das, was eine Partnerschaft bereichern sollte, sich so verkehrt anfühlen? So furchtbar verkrampft? Würde unsere Ehe es ohne all die Investitionen und die wohlgepflegten Rituale durch die Abgründe schaffen, die sich im Leben manchmal so plötzlich auftun?

Augenringe bis zum Boden

Der erste Abgrund kam schneller als gedacht. Schwerfällig stapften wir durch den unerwartet tiefen Sumpf frisch gebackener Elternschaft: durchwachte Nächte und völlige Fremdbestimmung. Mein Mann machte sein Examen und startete ins Referendariat. Wir bekamen ein zweites Kind. Tageweise entlud sich all die Anspannung in erbitterten Kämpfen, die wir abends auf dem Sofa ausfochten. Tagsüber waren wir zwei abgeschaffte, zerzauste Menschen mit hängenden Schultern und Augenringen bis zum Boden, die um alles in der Welt versuchten, ihre Kinder nicht anzuschreien.

Zwei Freunde

In dieser Zeit waren wir vor allem eins: Freunde. Zwei Freunde, die sich hin und wieder auf die Schultern klopften. Zwei Freunde, die beschlossen hatten, gemeinsam durch die guten und die schlechten Zeiten zu gehen. Und das taten wir. Ein heimlicher Beobachter hätte vielleicht diagnostiziert, dass wir nebeneinander her lebten, so still, wie wir unserer Wege gingen. Aus unserer Perspektive aber sah alles ganz anders aus. Ausgelaugt und verzweifelt klammerten wir uns wortlos an den einzigen anderen Menschen, der mit im Boot saß. Abends trafen wir uns auf der Couch zu unserer Lieblingskrimiserie. Ich schlief auf der Couch ein. Er weckte mich und schickte mich ins Bett. Und am nächsten Morgen standen wir wieder auf und stellten uns gemeinsam dem Chaos, das unser Leben geworden war. Jeder an seiner Front.

Sonntage in der Notaufnahme

Von allen Seiten schien man uns zuzuschmettern, dass wir um alles in der Welt nicht „nur“ Eltern sein dürften. Wir hörten uns schlotternd die Warnungen an. Was würde mit uns passieren, wenn die Kinder eines Tages auszögen? Das Ende war wohl vorprogrammiert. Wir zitterten. Kurz. Dann wechselten wir wieder Windeln, machten die Nächte durch, gingen arbeiten und verbrachten unzählige Sonntage mit einem fiebernden Kind in der Notaufnahme.

Immer noch ein Team

Und eines Tages blickten wir über die Schultern und stellten fest, dass wir das Schlimmste hinter uns hatten. Wir blickten an uns herab und stellten fest, dass wir uns immer noch an den Händen hielten. Irgendwann in dieser Zeit kam der Moment, in dem mir klar wurde, dass wir uns nicht mehr zu dem Paar entwickeln würden, das in meinem Kopf wohnte. Wir waren anders, als ich gedacht hatte. Wir konnten einander immer noch zum Lachen bringen. Wir bewunderten einander immer noch für den Umgang mit unseren Kindern. Wir arbeiteten immer noch als Team. Und wir lernten zu schätzen, was wir miteinander hatten, statt uns krampfhaft in eine Form zu pressen, in die wir nicht passten.

Nur überleben

Zeiten des Ausnahmezustands sind keine glorreichen Zeiten. Egal, ob wir ein neues Familienmitglied durch die ersten Monate begleiten, ein Elternteil pflegebedürftig wird oder eine Krankheit die Familie durchschüttelt – es gibt Zeiten, in denen wir nur überleben. Es gibt Zeiten, in denen unsere Ehe nur überlebt. Aber zu wissen, dass der Mann an meiner Seite versprochen hat, mich auch noch morgen zu lieben, egal, wie müde und elend ich heute durch die Wohnung geschlurft bin – das ist eins der größten Geschenke in meinem Leben.

Trotz allem

Es sind Zeiten wie diese, in denen ich den Wert von Treue schätzen gelernt habe. Von Zuverlässigkeit. Und Freundschaft. Es sind Zeiten wie diese, in denen ich gelernt habe, dass Liebe etwas anderes ist als die Summe der schönen gemeinsamen Stunden. Denn wie mein Mann in dieser Zeit zu seiner müden Frau gehalten hat, das erklärt meinem Herz etwas darüber, wie treu auch Gott ist. Wie zuverlässig. In einer Zeit, in der auch mein Glaube nur knapp überlebte, gab es keine deutlichere Botschaft, als jeden Morgen aufzuwachen und meinen Mann neben mir zu finden. Immer noch. Trotz allem.

Alle suchen den idealen Partner

In dem Buch „Ehe“, das der US-amerikanische Pastor Timothy Keller 2011 gemeinsam mit seiner Frau Kathy veröffentlichte, beschreibt er einen Wandel im Verständnis von Ehe. „Früher ging es in der Ehe um uns, jetzt geht es um mich.“ Vergangene Jahrhunderte haben die Ehe als ökonomische und soziale Institution begriffen. Heute tritt der verständliche Wunsch nach Selbstverwirklichung in den Vordergrund, wenn es um die Erwartungen an eine Beziehung geht. In einer von Keller zitierten Studie suchen die befragten Singles vor allem nach Partnern, für die sie sich nicht ändern müssen. Sie suchen „den idealen Partner, einen Menschen, der glücklich, gesund, interessant und mit dem Leben zufrieden ist. Noch nie zuvor in der Geschichte der Menschheit hat es eine Gesellschaft gegeben, die so voller Menschen war, die alle den idealen Partner suchten.“

Der Prinz auf dem weißen Pferd

In einer Zeit, in der die Geschichte vom Prinzen auf seinem weißen Pferd in allen Schattierungen von Hollywood ausgeschlachtet worden ist, drängt sich die Überlegung auf, ob das Warten auf den idealen Partner, den „Seelenverwandten“, nicht alles leichter gemacht hätte. Meist kann ich diese Frage nach einigem Gedankenwälzen unter „Selbstoptimierung“ verstauen. In meinem Leben nimmt sie einen ähnlichen Stellenwert ein wie die Frage, ob regenbogenfarbene Haare mein Leben besser – weil bunter – machen würden. Etwa fünf Minuten lang erscheint sie wirklich dringend. Dann rastet mein Fünfjähriger aus, weil die Nudeln alle sind und ich blicke in das tiefenentspannte Gesicht meines Mannes und weiß wieder, dass ich hier richtig bin. Aber die Frage nach dem idealen Partner ist nicht für jeden so eindeutig zu lösen wie für mich. Und manchmal scheint es so, als ob wir, wenn wir an der Optimierung unserer Partnerwahl scheitern – und das tun wir immer, egal wie gründlich wir suchen – mit der Optimierung unserer Beziehungen weitermachen.

Gegen den Optimierungswahn

Wie wir mit Ehe umgehen, erinnert mich manchmal an meinen Pinterest-Account. Ständig werden mir Bilder von perfekten Lösungen für meine Wohnprobleme vorgeschlagen. Aber Paare lassen sich viel schwerer optimieren als Wohnzimmer. Paare sind zwei komplexe Menschen mit vielen Jahren Leben im Gepäck und jeder hat einen Reisekoffer voller rumpelnder Gedanken, den er hinter sich herzieht.

Ich durfte zu der liebevollen Erkenntnis kommen, dass es ok ist, nicht das Paar zu sein, das ständig investiert und optimiert. Dass es sogar ok ist, ein paar Wochen lang das Paar zu sein, das sich abends anschreit, wenn uns das am Ende einen Schritt weiterbringt. Es kann sich vollkommen richtig anfühlen, Eheratgeber zu lesen und gemeinsam Seminare zu besuchen. Aber es gibt tausend andere Möglichkeiten, eine Ehe zu einem guten Ort für beide Partner zu machen. Für uns ist es tausendundein Gespräch, das wir den Tag über zwischen Tür und Angel führen. Es sind die Insider, die nur wir verstehen. Der gelegentliche kinderfreie Nachmittag mit einem heimlichen Eis. Und dann gibt es die schlechten Zeiten. Die, in denen wir auf dem Zahnfleisch gehen. Manchmal reicht es dann, wenn der andere über deinen schrägen Witz lacht. Wenn einer weiß, wie du deinen Kaffee trinkst. Wenn du mit deinem besten Freund unter einem Dach wohnst und irgendwie versuchst, das Lebenschaos zu managen. Ja, wirklich, es gibt Zeiten, da reicht Freundschaft voll und ganz. Vergiss nur nicht, ab und zu auf die starke Schulter neben dir zu klopfen.

Jennifer Zimmermann lebt mit ihrem Mann und ihren drei Kindern in Bad Homburg. Vor einigen Monaten ist ihr erstes Buch erschienen: „Als Gott mich fallenließ. Vom Ausharren und Weitergehen mit ihm“ (SCM R.Brockhaus).

Freundschaft in Wüstenzeiten

Jennifer Zimmermann hatte immer mit einem Idealbild von der christlichen Ehe zu kämpfen. Mittlerweile hat sie gemerkt: Eine Ehe lässt sich nicht so leicht optimieren und die Freundschaft zu ihrem Mann trägt auch durch Wüstenzeiten.

Man sollte es gleich zu Anfang wissen: Wir sind kein Vorzeigepaar. Ich sehe uns heute noch in unserer ersten Wohnung am Frankfurter Westbahnhof sitzen. Draußen donnerten die Güterzüge und drinnen las ich mit roten Ohren das Kapitel über Sex aus unserem Eheandachtsbuch vor. Zehn von zwanzig Kapiteln lang übten wir uns in größtmöglicher Offenheit, wälzten Vorstellungen über Geld und Rollenbilder, endeten in abwechselndem Gebetsgestotter. Die letzten zehn Andachten lasen wir nie. Das einzige Buch, das wir gemeinsam (fast) bis zum Ende gelesen haben, enthielt gesammelten Poetry Slam. Ohne Gebetsaufforderungen. Das Andachtsbuch lag unterdessen auf dem Couchtisch und starrte uns vorwurfsvoll an, weil wir offenbar keinen stabilen Grundstein für unsere Ehe legen wollten.

Ich kam mit neuen Büchern und Seminarangeboten nach Hause. Mein Angetrauter verdrehte die Augen. Zurecht. Er konterte mit einer Auswahl von Restaurants, in die er mich für ein Ehedate entführen wollte. Ich seufzte, weil in mir ein kleiner grummeliger Zwerg mit Kontrollzwang wohnte, der es überhaupt nicht leiden konnte, wenn jemand anderes sein Essen kochte. Freunde erzählten mir, wie sie in ihre Beziehung investierten. Welche Rituale sie bewusst in ihren Alltag einflochten. Wie sie das gemeinsame Gebet jeden Abend durch persönliche Probleme trug. Wie dieses oder jenes Kommunikationsseminar die Weichen für ihre gemeinsame Zukunft gestellt hatte. Und ich seufzte wieder und schämte mich ein bisschen.

BEDIENUNGSANLEITUNG FALSCH VERSTANDEN

Zu Beginn unserer Ehe war ich mir sicher: Wir hatten etwas an der Bedienungsanleitung für unsere Ehe falsch verstanden. Wie konnte all das, was uns stark machen sollte, all das, was eine Partnerschaft bereichern sollte, sich so verkehrt anfühlen? So furchtbar verkrampft? Würde unsere Ehe es ohne all die Investitionen, die wohlgepflegten Rituale und die gemeinsamen Gebete durch die Abgründe schaffen, die sich im Leben manchmal so plötzlich auftun?

Der erste Abgrund kam schneller als gedacht. Schwerfällig stapften wir durch den unerwartet tiefen Sumpf frisch gebackener Elternschaft: durchwachte Nächte und völlige Fremdbestimmung. Mein Mann machte sein Examen und startete ins Referendariat. Wir bekamen ein zweites Kind. Tageweise entlud sich all die Anspannung in erbitterten Kämpfen, die wir abends auf dem Sofa ausfochten. Tagsüber waren wir zwei abgeschaffte, zerzauste Menschen mit hängenden Schultern und Augenringen bis zum Boden, die um alles in der Welt versuchten, ihre Kinder nicht anzuschreien.

In dieser Zeit waren wir vor allem eins: Freunde. Zwei Freunde, die sich hin und wieder auf die Schultern klopften. Zwei Freunde, die beschlossen hatten, gemeinsam durch die guten und die schlechten Zeiten zu gehen. Und das taten wir. Ein heimlicher Beobachter hätte vielleicht diagnostiziert, dass wir nebeneinander her lebten, so still, wie wir unserer Wege gingen. Aus unserer Perspektive aber sah alles ganz anders aus. Ausgelaugt und verzweifelt klammerten wir uns wortlos an den einzigen anderen Menschen, der mit im Boot saß. Abends trafen wir uns auf der Couch zu unserer Lieblingskrimiserie. Ich schlief auf der Couch ein. Er weckte mich und schickte mich ins Bett. Und am nächsten Morgen standen wir wieder auf und stellten uns gemeinsam dem Chaos, das unser Leben geworden war. Jeder an seiner Front.

Von allen Seiten schien man uns zuzuschmettern, dass wir um alles in der Welt nicht „nur“ Eltern sein dürften. Wir hörten uns schlotternd die Warnungen an. Was würde mit uns passieren, wenn die Kinder eines Tages auszögen? Das Ende war wohl vorprogrammiert. Wir zitterten. Kurz. Dann wechselten wir wieder Windeln, machten die Nächte durch, gingen arbeiten und verbrachten unzählige Sonntage mit einem fiebernden Kind in der Notaufnahme.

IMMER NOCH EIN TEAM

Und eines Tages blickten wir über die Schultern und stellten fest, dass wir das Schlimmste hinter uns hatten. Wir blickten an uns herab und stellten fest, dass wir uns immer noch an den Händen hielten. Irgendwann in dieser Zeit kam der Moment, in dem mir klar wurde, dass wir uns nicht mehr zu dem „guten christlichen Paar“ entwickeln würden, das in meinem Kopf wohnte. Wir waren anders, als ich gedacht hatte. Wir konnten einander immer noch zum Lachen bringen. Wir bewunderten einander immer noch für den Umgang mit unseren Kindern. Wir arbeiteten immer noch als Team. Und wir lernten zu schätzen, was wir miteinander hatten, statt uns krampfhaft in eine Form zu pressen, in die wir nicht passten.

Zeiten des Ausnahmezustands sind keine glorreichen Zeiten. Egal, ob wir ein neues Familienmitglied durch die ersten Monate begleiten, ein Elternteil pflegebedürftig wird oder eine Krankheit die Familie durchschüttelt – es gibt Zeiten, in denen wir nur überleben. Es gibt Zeiten, in denen unsere Ehe nur überlebt. Aber zu wissen, dass der Mann an meiner Seite versprochen hat, mich auch noch morgen zu lieben, egal, wie müde und elend ich heute durch die Wohnung geschlurft bin – das ist eins der größten Geschenke in meinem Leben.

Es sind Zeiten wie diese, in denen ich den Wert von Treue schätzen gelernt habe. Von Zuverlässigkeit. Und Freundschaft. Es sind Zeiten wie diese, in denen ich gelernt habe, dass Liebe etwas anderes ist als die Summe der schönen gemeinsamen Stunden. Denn wie mein Mann in dieser Zeit zu seiner müden Frau gehalten hat, das erklärt meinem Herz etwas darüber, wie treu auch Gott ist. Wie zuverlässig. In einer Zeit, in der auch mein Glaube nur knapp überlebte, gab es keine deutlichere Botschaft, als jeden Morgen aufzuwachen und meinen Mann neben mir zu finden. Immer noch. Trotz allem.

DER PRINZ AUF DEM WEISSEN PFERD

In dem Buch „Ehe“, das der US-amerikanische Pastor Timothy Keller 2011 gemeinsam mit seiner Frau Kathy veröffentlichte, beschreibt er einen Wandel im Verständnis von Ehe. „Früher ging es in der Ehe um uns, jetzt geht es um mich.“ Vergangene Jahrhunderte haben die Ehe als ökonomische und soziale Institution begriffen. Heute tritt der verständliche Wunsch nach Selbstverwirklichung in den Vordergrund, wenn es um die Erwartungen an eine Beziehung geht. In einer von Keller zitierten Studie suchen die befragten Singles vor allem nach Partnern, für die sie sich nicht ändern müssen. Sie suchen „den idealen Partner, einen Menschen, der glücklich, gesund, interessant und mit dem Leben zufrieden ist. Noch nie zuvor in der Geschichte der Menschheit hat es eine Gesellschaft gegeben, die so voller Menschen war, die alle den idealen Partner suchten.“

In einer Zeit, in der die Geschichte vom Prinzen auf seinem weißen Pferd in allen Schattierungen von Hollywood ausgeschlachtet worden ist, drängt sich die Überlegung auf, ob das Warten auf den idealen Partner, den „Seelenverwandten“, nicht alles leichter gemacht hätte. Meist kann ich diese Frage nach einigem Gedankenwälzen unter „Selbstoptimierung“ verstauen. In meinem Leben nimmt sie einen ähnlichen Stellenwert ein wie die Frage, ob regenbogenfarbene Haare mein Leben besser – weil bunter – machen würden. Etwa fünf Minuten lang erscheint sie wirklich dringend. Dann rastet mein Fünfjähriger aus, weil die Nudeln alle sind und ich blicke in das tiefenentspannte Gesicht meines Mannes und weiß wieder, dass ich hier richtig bin. Aber die Frage nach dem idealen Partner ist nicht für jeden so eindeutig zu lösen wie für mich. Und manchmal scheint es so, als ob wir, wenn wir an der Optimierung unserer Partnerwahl scheitern – und das tun wir immer, egal wie gründlich wir suchen – mit der Optimierung unserer Beziehungen weitermachen.

GEGEN DEN OPTIMIERUNGSWAHN

Wie wir mit Ehe umgehen, erinnert mich manchmal an meinen Pinterest-Account. Ständig werden mir Bilder von perfekten Lösungen für meine Wohnprobleme vorgeschlagen. Aber Paare lassen sich viel schwerer optimieren als Wohnzimmer. Paare sind zwei komplexe Gotteskinder mit vielen Jahren Leben im Gepäck und jeder hat einen Reisekoffer voller rumpelnder Gedanken, den er hinter sich herzieht. Wenn irgendwer vor Selbstoptimierung Halt machen sollte – sei sie körperlicher, psychischer oder geistiger Natur – dann sollten wir Christen es sein, die wir an einen Gott glauben, der die Machtverhältnisse der Welt einfach auf den Kopf stellt und die Letzten zu Ersten erklärt. Es gibt niemanden auf dieser Welt, der mit mir so geduldig ist wie er. Und wenn es Ecken und Kanten in unserer Beziehung gibt, dann hat er Zeit genug, sie rund zu lieben. Oder uns beizubringen, wie wir sie lieben lernen.

Ich durfte zu der liebevollen Erkenntnis kommen, dass es ok ist, nicht das Paar zu sein, das ständig investiert und optimiert. Dass es sogar ok ist, ein paar Wochen lang das Paar zu sein, das sich abends anschreit, wenn uns das am Ende einen Schritt weiterbringt. Es kann sich vollkommen richtig anfühlen, Andachtsbücher zu lesen und gemeinsam Seminare zu besuchen. Aber es gibt tausend andere Möglichkeiten, eine Ehe zu einem guten Ort für beide Partner zu machen. Für uns ist es tausendundein Gespräch, das wir den Tag über zwischen Tür und Angel führen. Es sind die Insider, die nur wir verstehen. Der gelegentliche kinderfreie Nachmittag mit einem heimlichen Eis. Und dann gibt es die schlechten Zeiten. Die, in denen wir auf dem Zahnfleisch gehen. Manchmal reicht es dann, wenn der andere über deinen schrägen Witz lacht. Wenn einer weiß, wie du deinen Kaffee trinkst. Wenn du mit deinem besten Freund unter einem Dach wohnst und irgendwie versuchst, das Lebenschaos zu managen. Ja, wirklich, es gibt Zeiten, da reicht Freundschaft voll und ganz. Vergiss nur nicht, ab und zu auf die starke Schulter neben dir zu klopfen.

Jennifer Zimmermann lebt mit ihrem Mann und ihren drei Kindern in Bad Homburg. Vor einigen Monaten ist ihr erstes Buch erschienen: „Als Gott mich fallenließ. Vom Ausharren und Weitergehen mit ihm“ (SCM R.Brockhaus).

Im Training bleiben

Fast jeder Mensch träumt vom Glück in der Liebe. Aber warum tun wir so wenig für die Beziehung, wenn wir erst mal den Partner fürs Leben gefunden haben? Von Marc Bareth

Es ist ein schwülheißer Dezembernachmittag in Kenia. Meine Frau und ich sind als Referenten beim dreitägigen Leadership-Training einer lokalen Kirche im Einsatz. Jetzt, nach getaner Arbeit, lassen wir uns gerne vom Bischof die Gegend zeigen. Wir kaufen einer Frau die letzten Mangos des Tages ab. Sie schneidet sie uns gleich auf. Als wir mit ihr sprechen, erscheint ihr Sohn Carlos. Ein schlanker Junge, etwas scheu, aber mit einem verschmitzten Lächeln auf dem Gesicht.

Carlos Kiprop ist dreizehn Jahre alt und hat einen Lebenstraum, dem er vieles unterordnet: Er möchte Profiläufer werden und gehört zum Stamm der Kalendjin. Und die Kalendjin sind Läufer. „Die einzig wahren Läufer“, so ihr Selbstverständnis. Tatsächlich kommen viele der weltbesten Stars aus diesem Dorf, an dessen Eingang ein großer Bogen mit der Aufschrift „Home of Champions“ steht. Auf dem Gelände der St. Patricks High School etwas außerhalb des Ortskerns dürfen nur die ehemaligen Schülerinnen und Schüler einen Baum pflanzen, die Weltmeister, Olympiasieger oder Weltrekordhalter sind. Es sind unzählige Bäume. Als wir durch die Anlage geführt werden und die Namen der Ausnahmeathleten auf den Schildern vor den Bäumen lesen, verstummen wir ehrfürchtig. Und fragen uns gleichzeitig: Wie kann ein so verschlafenes Kaff irgendwo im Hinterland von Kenia so viel Exzellenz hervorbringen?

Carlos investiert einiges, damit sein Traum in Erfüllung gehen wird. Um 6 Uhr früh macht er das, was einem dreizehnjährigen Teenager in Europa so ziemlich zuletzt einfallen würde: Er läuft ganz allein 5 Kilometer den Berg hoch und dann wieder runter. Das macht er jeden Tag, selbstverständlich auch am Wochenende. Nach dem morgendlichen Berglauf geht er zur Schule. Doch Carlos freut sich vor allem auf die Nachmittage, denn dann absolviert er mit seinem Schulteam das zweite Training des Tages. Er ist stolz darauf, dass er seine Schule im 3000-Meter-Hindernislauf repräsentieren darf.

Die Geschichte von Carlos klingt in uns bis heute nach. Wir haben uns gefragt, was wir im Westen bereit sind, in unsere Lebensträume zu investieren, zum Beispiel und im Besonderen in das Ziel einer langjährigen glücklichen Partnerschaft. In einer Umfrage gaben 81 Prozent aller deutschen Frauen und Männer an, dass eine dauerhafte Partnerschaft ein Lebenstraum von ihnen ist. Eine gelingende, erfüllende Beziehung ist für uns also ein sehr wichtiges Ziel. Das ist auch ein Grund dafür, dass das Auseinanderbrechen einer Partnerschaft immer ein massiver Einschnitt ist.

NUTZEN EINER STARKEN BEZIEHUNG

Der Nutzen einer starken, lebenslangen Partnerschaft ist wissenschaftlich klar erwiesen. Sie macht nicht nur glücklicher, sondern auch wohlhabender sowie körperlich und geistig gesünder. Und nicht zuletzt bietet sie ein sicheres Umfeld für das Aufwachsen von Kindern. Die Harvard Study of Adult Development läuft seit 1938 und ist eine der aussagekräftigsten Studien über das Leben und die Entwicklung von Erwachsenen. Die gesammelten Daten über das Leben der Studienteilnehmer und ihrer Partner, ihrer Kinder und ihrer Großkinder würden eine ganze Bibliothek füllen. Der mittlerweile vierte Direktor dieser Studie, Robert Waldinger, beschreibt eine wichtige Erkenntnis so: „Wir haben den Weg unserer Männer verfolgt, bis sie über 80 waren. Dann wollten wir auf ihre Lebensmitte zurückschauen, um zu sehen, ob wir vorhersagen können, wer zu einem glücklichen, gesunden 80-Jährigen werden würde und wer nicht. Als wir alles ausgewertet hatten, was wir über sie im Alter von 50 wussten, war es nicht ihr Cholesterinspiegel, der vorhersagte, wie alt sie werden würden, sondern wie zufrieden sie in ihren Beziehungen waren. Die Menschen, die mit 50 am zufriedensten in ihren Beziehungen waren, waren die gesündesten im Alter von 80.“ Und in seinem über 30 Millionen Mal geschauten TED-Talk fasst es Waldinger so zusammen: „Die wichtigste Botschaft der Studie lautet: Gute Beziehungen machen uns glücklicher und gesünder. Punkt.“

PARTNERSCHAFT UND GOTTESBEZIEHUNG

Dabei kann unsere Partnerschaft nicht isoliert von unseren anderen Lebensbereichen betrachtet werden, sie strahlt aus und beeinflusst unser ganzes Leben. Ungelöste Konflikte haben immer auch einen Einfluss auf unsere Spiritualität. Viele würden diese Bereiche gerne trennen, doch das geht nicht. Unsere Beziehung zu Gott und die zu unserer Partnerin oder unserem Partner sind untrennbar miteinander verbunden.

Schon vor rund 2000 Jahren schrieb ein guter Freund und Weggefährte von Jesus: „Entsprechend gilt für euch Männer: Zeigt euch im Zusammenleben mit euren Frauen verständnisvoll und nehmt auf ihre von Natur aus schwächere Konstitution Rücksicht. Sie sind ja durch Gottes Gnade Erben des ewigen Lebens genau wie ihr. Respektiert und achtet sie also, damit der Erhörung eurer Gebete nichts im Weg steht.“ (1. Petrus 3,7)

Vielen springt beim Lesen dieser Bibelverse der erste Teil ins Auge. Noch spannender finde ich aber den letzten Satz. Wer meint, er könne schlecht mit seiner Frau umgehen und seine Gebete würden trotzdem erhört, der irrt. Wir müssen unsere Partnerin oder unseren Partner respektieren und achten, wenn wir wollen, dass der Erhörung unserer Gebete nichts im Weg steht. Der Verfasser beschreibt hier sehr eindeutig eine Verbindung zwischen dem Eheleben und dem geistlichen Leben. Ich denke, dieser Bibelvers ist wenig populär, weil dieser Zusammenhang nicht gerne gehört wird. Doch auch das positive Gegenbeispiel scheint wahr zu sein: Eine liebevolle Beziehung führt offensichtlich dazu, dass der Erhörung unserer Gebete nichts mehr im Weg steht. Wenn wir in unserer Partnerschaft eine Atmosphäre der Annahme und Beziehungssicherheit schaffen, ist das eine wesentliche Grundlage, auf welcher wir wachsen und uns immer mehr in das hinein entwickeln können, was Gott für uns vorgesehen hat.

ZU WENIG INVESTIERT

Wir bekennen uns entschlossen zum Lebenstraum „dauerhafte glückliche Partnerschaft“. Doch was investieren wir wirklich, um unsere Beziehung zu stärken? Stehen wir – im übertragenen Sinn – jeden Morgen um 6 Uhr auf, um zusätzlich zu unserem normalen Teamtraining noch 10 Kilometer zu laufen? Die Kluft zwischen dem hohen Stellenwert einer langjährigen glücklichen Beziehung und den kleinen Investitionen dafür ist manchmal erschreckend. Es ist kaum zu erklären, dass wir etwas als unseren Lebenstraum bezeichnen, aber dann nicht bereit sind, wenigstens bewusst zwei Stunden pro Woche dafür einzusetzen. Nur wenigen Paaren gelingt es über die Jahre, sich regelmäßig Zeit zu nehmen, um an ihrer Beziehung zu arbeiten. Im Alltag drängen sich immer wieder Karriere, Kinder, Stress und Hobbys vor. Was uns eigentlich wichtig wäre, hat dann keinen Platz mehr.

Vielleicht liegt es daran, dass wir glauben, wir seien bereits mit der Fähigkeit zur Welt gekommen, eine gute Liebesbeziehung zu führen. Wir denken, wir müssten das nicht trainieren und keine Zeit extra dafür aufwenden, der normale Paaralltag sei genug Beziehungspflege. In anderen Lebensbereichen ist für uns das Konzept „wenig investieren und viel erwarten“ sehr irritierend. Ein Bauer beispielsweise, der auf einem Feld nichts sät und trotzdem reiche Ernte erwartet – er ist ja schließlich Bauer. Genauso absurd wäre es, wenn Carlos erwarten würde, ein guter Läufer zu werden, ohne dafür trainieren zu müssen.

BEZIEHUNGSTRAINING

Doch wie kann dieses Beziehungstraining aussehen? Es beginnt ganz banal damit, dass wir regelmäßige Zeiten zu zweit planen, um unsere Beziehung zu pflegen. Diese Zeiten müssen wir priorisieren, ja, wir müssen sie verteidigen wie eine Löwenmutter ihren Nachwuchs. Als nächstes müssen wir uns Mut antrainieren. Probleme ansprechen, den ersten Schritt machen, vergeben, uns unserem Partner öffnen, zusammen beten und uns verletzlich zeigen. Das alles braucht eine große Portion Mut, vertieft aber auch unsere Beziehung.

Der dritte Trainingstipp besteht darin, sich jährlich neue Impulse zu suchen. Sei es durch einen Ehe-Kurs, ein Paarwochenende, ein Beziehungsbuch oder ein Coaching – solche externen Anstöße bringen uns weiter auf dem Weg zum Lebenstraum „langjährige glückliche Beziehung“.

Marc Bareth schreibt regelmäßig in Family und FamilyNEXT und hat Impulse für die Ehe in seinem neuen Buch „Beziehungsstark – 5 Minuten für deine Partnerschaft“ zusammengetragen. Mehr dazu: www.familylife.ch/beziehungsstark

„Er hat ständig neue Freundinnen“

„Mein Sohn studiert seit einem Jahr in einer anderen Stadt. Seitdem hatte er bereits mehrere Freundinnen, mit denen er aber schnell wieder Schluss gemacht hat. Wie finde ich einen Zugang zu ihm bei diesem Thema? Oder kann ich gar nichts machen?“

Lebensentwürfe, die unseren eigenen entgegengesetzt gelebt werden, können uns ordentlich unter die Haut gehen. Wir wollen das Beste für unsere Kinder und sie vor Fehlentscheidungen und Schaden bewahren.

RESPEKT UND WERTSCHÄTZUNG ZEIGEN

Ihr Sohn ist auf dem Weg zum Erwachsensein und für sein Leben selbst verantwortlich. Der Übergang vom Kindes- ins Erwachsenenalter ist eine große Herausforderung und ein wichtiger Entwicklungsschritt, in dem sich einiges neu orientiert. Die körperliche Reife und die geistig-seelische Reife klaffen in dieser Zeit auseinander, und die Phase ist geprägt von Umschwung und Unsicherheit. Verantwortliche Entscheidungen sind zu treffen, Selbstständigkeit und Freiheit nehmen rapide zu und Eltern haben nur noch wenige Einflussmöglichkeiten.

Wir möchten Sie ermutigen, die Beziehung, trotz der unterschiedlichen Lebensentwürfe, zu halten. Genießen Sie die Zeiten, in denen Austausch gelingt. In einem Miteinander, das von Wertschätzung, Respekt, Wärme und Echtheit geprägt ist, können auch kritische Themen in Angriff genommen werden. Zeigen Sie Interesse an seinem Leben und daran, was ihn gerade bewegt, für ihn wichtig oder herausfordernd ist. Fokussieren Sie sich nicht ausschließlich auf das Thema „Partnerschaften“.

GLAUBEN UND WERTE VORLEBEN

Aber auch Eltern von erwachsenen Kindern können sich die Freiheit nehmen, ihre Sorgen auszudrücken. Dabei ist es wichtig zu beachten, aus der Perspektive der Ich-Botschaft zu sprechen, sodass Ihr Sohn immer die Wahl hat, das Gesagte für sich zu bewerten und für sich eigene Entscheidungen zu treffen. Niemand möchte sich gerne im Erwachsenenalter bevormunden lassen. Tappen Sie nicht in die Falle der Eskalation oder der Streitspirale, indem man die eigene Sichtweise als die einzig richtige darstellt. Möglicherweise ist Ihr Sohn auch dabei, seine Lebens- und Wertevorstellungen herauszufinden, und manchmal sind Fehlentscheidungen nötig, um standhafte Werte für das eigene Leben zu kreieren. Signalisieren Sie Gesprächsbereitschaft, Ihr Sohn kann dann entscheiden, ob und, wenn ja, wann er auf Ihr Angebot zurückkommen möchte.

Eltern werden auch in solchen Zeiten in ihrer Rolle als Vorbilder neu herausgefordert. Leben Sie Ihrem Sohn Ihren Glauben und Ihre Überzeugungen vor und handeln Sie auch danach. Leben Sie, was Ihnen wichtig ist. Glaube, der in guten wie in schwierigen Tagen sichtbar wird, gewinnt an Attraktivität.

Martina Schäfer und Sandra Schreiber sind Beraterinnen und systemische Elterncoaches in der christlichen Beratungsstelle „LebensRaum Gießen“.