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Tränen vor der Schule

„Meine Tochter (6) weint fast jeden Morgen, wenn ich sie zur Schule bringe. Sie möchte mich am Schultor gar nicht loslassen. Wenn sie nachher erst mal in der Klasse ist, ist wohl alles okay, meint die Lehrerin. Wie kann ich ihr die Trennungssituation erleichtern?“

Nach der Einschulung gehen wir oft davon aus, dass Kinder die neue Lebensphase ohne weitere Eingewöhnung meistern. Wie man am Beispiel Ihrer Tochter sieht, ist das aber keineswegs selbstverständlich, und das ist aus Kindersicht auch zu verstehen.

In der Schule gelten andere Regeln

Der Schulstart ist eine große Veränderung. Unsere Kinder gehen aus einer behüteten und übersichtlichen Kitawelt einen großen Schritt weiter. In der Schule gelten auf einmal andere Regeln. Die bisher vertrauten Personen sind nicht mehr da, dafür aber neue Erwachsene, an die sie sich erst gewöhnen müssen. Die Kinder kennen sich manchmal untereinander noch nicht, und es werden plötzlich eine Menge neuer Anforderungen gestellt. Während wir Eltern die Kindergartenzeit zudem sehr eng begleitet haben, müssen wir mit der Einschulung noch einen Schritt weiter zurücktreten. Das ist ungewohnt für alle – und so erklärt sich meistens auch der kindliche Trennungsschmerz.

Zunächst ist es wichtig zu unterscheiden, ob es Ihrem Kind tatsächlich nur in dieser morgendlichen Situation schwerfällt, sich zu lösen, oder ob es in der Schule ein grundsätzliches Problem gibt. Hierzu ist es wichtig, gut zuzuhören und auf Ihre Tochter zu schauen und aufmerksam für Dinge zu sein, die es ihr vielleicht schwer machen.

Freunde helfen beim Loslösen

Wenn es tatsächlich um den Abschied geht, können folgende Dinge helfen: Wenn Ihre Tochter schon Freunde gefunden hat, kann es das morgendliche Loslösen erleichtern, wenn sie ein anderes Kind auf dem Schulweg treffen könnte und die beiden dann zusammen in Richtung Klasse verschwinden.

Im Kindergarten hilft den Kindern oft das vertraute Kuscheltier, wenn sie sich anfangs eingewöhnen. In der Schule laufen sie natürlich nicht mehr mit dem Teddy im Arm rum – aber ein kleines Kuscheltier oder ein anderer vertrauter Gegenstand im Schulranzen können Trost und Sicherheit spenden.

Fällt es Ihnen auch schwer?

Daneben ist es gut, wenn Sie sich hinterfragen: Wie geht es Ihnen mit dem Schulstart? Haben Sie das Gefühl, dass Ihr Kind dort gut aufgehoben ist? Gehen Sie optimistisch in diese neue Lebensphase Ihres Kindes? Oder sind auch Sie etwas unsicher? Falls dem so ist, ist es gut, mit anderen Erwachsenen darüber zu reden und sich mit eigenen Sorgen und Ängsten auseinanderzusetzen. Sollte sich herausstellen, dass Ihnen das Loslassen am Morgen tatsächlich auch schwerfällt, sollten Sie überlegen, ob Ihre Tochter von einer anderen Bindungsperson zur Schule gebracht werden kann.

Letztlich bleibt es jedoch eine Übergangssituation, die man manchmal einfach nur zusammen mit dem Kind aushalten kann. Oft möchten wir den Schmerz wegnehmen oder zumindest erleichtern. Doch oft ist nicht das Vermeiden, sondern das Aushalten und Begleiten von Schmerz unsere Aufgabe als Eltern.

Daniela Albert ist Erziehungswissenschaftlerin und Eltern- und Familienberaterin (familienberatung-albert.de) und lebt mit ihrer Familie in Kaufungen.

Homeschooling: Es ist nicht alles schlecht

Der digitale Unterricht bringt für Schülerinnen und Schüler, Lehrkräfte und Eltern viele Herausforderungen. Aber er birgt auch Chancen.

Noch immer dürfen viele Schülerinnen und Schüler nicht in die Schule und lernen via Distanzunterricht von zu Hause aus. Teilweise hat es lange gedauert, bis das auch einigermaßen funktionierte. Bei Eltern kann schnell die Frage aufkommen: „Verpasst mein Kind wichtige Lerninhalte?“ Das muss nicht unbedingt der Fall sein – ob das Lernen von zu Hause aus klappt, hängt von vielen Faktoren ab.

Homeschooling: Probleme an Haupt- und Realschulen

Längst läuft nicht immer alles gut beim Homeschooling: Eltern sitzen überfordert im Homeoffice und müssen zusätzlich ihre Kinder beim Unterricht begleiten. Nicht alle Schülerinnen und Schüler haben einen funktionstüchtigen Laptop zu Hause oder bekommen einen von der Schule gestellt. Janine Weber (Name geändert), Gymnasiallehrerin für Biologie und Sport und Klassenlehrerin einer 5. Klasse, weiß beispielsweise von Kolleginnen, die dem Großteil ihrer Schülerinnen und Schüler deswegen die Arbeitsblätter regelmäßig nach Hause bringen. Gerade an Haupt- und Realschulen gäbe es oft Motivationsprobleme, besonders die Teenager würden manchmal den ganzen Tag verschlafen. Und auch unter den Lehrkräften gäbe es ab und zu schwarze Schafe, sagt sie. Manche hätten einfach aufgegeben und würden nicht einmal versuchen, Videokonferenzen anzubieten.

Lehrkräfte lernen technisch hinzu

Trotzdem hat die Pandemie den Fortschritt in Sachen digitaler Bildung deutlich beschleunigt. Die Professorin für Didaktik der Informatik Ira Diethelm freut sich beispielsweise darüber, dass der digitalen Bildung endlich mehr Augenmerk geschenkt wird: „Alle konzentrieren sich gerade gleichzeitig auf ein Thema. Das bringt tatsächlich Dynamik in die Sache und man gelangt auch schneller zu Entscheidungen, wie zum Beispiel Tablets für Lehrkräfte und Schülerinnen und Schüler zur Verfügung zu stellen.“

Nach fast einem Jahr Ausnahmezustand wäre nun auch genügend Zeit vorhanden, neue Gewohnheiten zu entwickeln und Expertise aufzubauen. „Die meisten Lehrkräfte sind in ihrer technischen Kompetenz weitergekommen und haben positive Erfahrungen damit gemacht. Das ist ganz wichtig, um nachhaltig eine Veränderung zu erreichen, egal in welchem Zusammenhang“, meint Diethelm.

Experimente via Handy

Janine Weber hatte schon vor Corona ihr ganzes Arbeitsmaterial digitalisiert. „Ich arbeite schon ewig mit einer Tafelbildsoftware, das kommt mir jetzt zugute“, berichtet die Gymnasiallehrerin. Ihr Unterricht ist praxisorientiert, sie arbeitet viel mit Experimenten, die die Kinder zu Hause aus Alltagsmaterialien nachmachen können.

Da sie die Versuche nicht mehr in der Schule durchführen kann, dreht sie nun mit ihrem Handy Videos, die sie in die Präsentation einbaut. Zu Beginn des Distanzunterrichts hatte sie Respekt vor der Aufgabe und konnte sich den dauerhaften Online-Unterricht nicht richtig vorstellen. „Aber jetzt bin ich total begeistert davon. Ich hätte nie gedacht, dass das so gut laufen kann“, sagt sie zufrieden. Ungefähr 90 Prozent ihres Unterrichts kann sie wie geplant umsetzen. Das liegt auch daran, dass sie am Gymnasium unterrichtet und die Kinder den nötigen Ehrgeiz mitbringen. Zudem sind die Eltern ihrer Klasse sehr kooperativ und unterstützen beim Distanz-Unterricht.

Schwache Schüler profitieren manchmal vom Homeschooling

Für manche Kinder scheint der Online-Unterricht sogar besser als der reguläre Unterricht zu funktionieren. Janine Weber erzählt von einigen leistungsschwachen Schülern, die plötzlich viel besser abschneiden, weil sie zu Hause nicht so stark abgelenkt werden. „3- Schüler sind auf einmal im Einserbereich. Das sind die positiven Effekte“, berichtet die Lehrerin. Auch Ira Diethelm sieht Chancen im Distanz-Unterricht: „Schüchterne Schülerinnen und Schüler, die sich sonst nicht gerne melden und keine vermeintlich dumme Frage stellen wollen, können ihre Fragen nun per Mail oder Chat stellen. Das ist für manche leichter.“

Alexandra von Plüskow-Kaminski, Bildungskoordinatorin im Landkreis Heidekreis, gibt außerdem zu bedenken, dass es beim Lernen nicht immer nur um den konkreten Lerninhalt geht: „Bei den Kindern ist viel Lernzuwachs an anderer Stelle zu beobachten. Zum Beispiel beim Erstellen von Power-Point-Präsentationen und Podcasts für den Unterricht.“

Dialog ist besonders wichtig

Was aber können Eltern tun, wenn das Homeschooling bei ihrem Kind nicht so gut klappt wie erwartet? Frau von Plüskow-Kaminski rät, zunächst einmal mit der Klassen- oder Fachlehrkraft des Kindes zu sprechen: „Der Dialog ist besonders wichtig und dass alle Beteiligten in die Schuhe des anderen schlüpfen, um die Situation auch aus anderen Blickwinkeln zu betrachten.“ Grundsätzliche Herausforderungen, die vielleicht die ganze Schule betreffen, könnten dann auch mit der Schulleitung besprochen werden.

Vieles liegt in Sachen Homeschooling immer noch im Argen. Die Bildungsschere zwischen denen, die über die nötige technische Ausstattung verfügen und von ihren Eltern begleitet werden, und denen, die keine Unterstützung bekommen, wird immer größer. Trotzdem bemüht sich ein Großteil der Lehrkräfte nach bestem Wissen und Können, den Herausforderungen des Distanz-Unterrichtes gerecht zu werden. Janine Weber versucht zum Beispiel, ihre zögerlichen Kolleginnen und Kollegen für den Video-Unterricht zu motivieren, und merkt, wie die Zurückhaltung nachlässt: „Langsam trauen sich immer mehr. Am Anfang habe nur ich Videokonferenzen gehalten, jetzt hat meine Klasse jeden Tag Online-Unterricht.“

Sarah Kröger ist freie Journalistin und Projektmanagerin und bloggt unter neugierigauf.de zu Themen wie Familie, Digitales, Arbeit, Soziales und Nachhaltigkeit.

11 Tipps für entspanntes Home-Schooling

Diese Tipps unterstützen Eltern bei der Herausforderung Distanz-Unterricht. Ein Gastbeitrag der Pädagogin und Autorin Dr. Birgit Ebbert.

1. Suchen Sie Ihren eigenen Weg!

Jede Familie ist anders, deshalb kann es kein Rezept für alle geben. Erfinden Sie Ihre Zuhause-Schule mit Ihrer Familien-Klasse, in Ihrem Wohnzimmer-Klassenraum und dem Knowhow in Sachen Lernstoff und Lernen, das Sie mitbringen. Lassen Sie sich nicht von anderen Familien beeindrucken, sondern vertrauen Sie darauf, dass Ihr Weg für Sie und Ihr Kind bzw. Ihre Kinder richtig ist.

2. Legen Sie für jedes Kind einen Lernplatz fest!

Das A und O für das Home-Schooling ist ein Lernplatz, der „Lernen“ ruft! Suchen Sie für Ihre Familie die richtige Lösung – jeder in seinem Zimmer, alle an einem Tisch, richtig oder falsch gibt es da nicht. Wichtig ist, dass der Platz immer derselbe ist, sodass klar ist: An diesem Platz wird gelernt! Das hilft, sich aufs Lernen zu konzentrieren.

3. Erstellen Sie einen Lernstundenplan für die ganze Familie!

Auch im normalen Alltag passiert in einer Wohnung im Laufe des Tages einiges. Der eine kommt, der andere geht, arbeitet, kocht, putzt, räumt auf – eben was gerade anfällt. In diesen bewährten Plan muss nun das Home-Schooling von einem oder mehreren Kindern und vielleicht sogar noch das Home-Office der Eltern eingefügt werden. Das ruft nach einem Lernstundenplan für die Familie, in dem die lauten und leisen Zeiten aller Mitglieder aufeinander abgestimmt werden. Dadurch werden Konflikte reduziert und alle wissen, woran sie sich orientieren können.

4. Vereinbaren Sie erreichbare Ziele!

Sie können es sich nicht oft genug klar machen: Sie und Ihr Kind können nicht dasselbe leisten wie die Schule. Die Lehrerinnen und Lehrer ziehen auch nicht immer das Programm durch, das sie sich für eine Stunde, Woche oder ein Halbjahr vorgenommen haben. Setzen Sie sich realistische Ziele. Im besten Fall hat die Lehrkraft bereits die Arbeitsblätter oder den Wochenplan mit Sternchen versehen, die zeigen, was mindestens erledigt werden sollte. Klären Sie mit Ihrem Kind, was es sich zutraut und arbeiten Sie auf dieses Ziel hin. Erreichte Ziele machen glücklich und motivieren, nicht erreichte Ziele frustrieren und blockieren die Lernmotivation.

5. Helfen Sie die Aufgaben sinnvoll zu sortieren!

Lernzeit ist eine wichtige und oft auch schöne Zeit, aber draußen spielen, mit dem Hund spazieren gehen und mit Freunden skaten – all das macht auch Spaß. Je besser die Lernzeit geplant wird, umso mehr Zeit bleibt für Hobbys und gemeinsame Aktivitäten übrig. Deshalb lohnt es sich, die Lernaufträge clever zu sortieren und am besten die Materialien passend zurechtzulegen. Dann können die Aufgaben hintereinander abgearbeitet werden und am Ende bleibt mehr Zeit für Herzensdinge.

6. Fragen Sie bei Unklarheiten in der Schule nach!

Auch wenn das Wort „Home“ in Home-Schooling sehr dominant ist, bedeutet das nicht, dass Sie alleine vor der Aufgabe stehen. Nutzen Sie die Angebote der Schule, Sie und Ihr Kind zu unterstützen, und fordern Sie ggf. Hilfe ein, höflich, freundlich, aber souverän, denn Sie und die Schule sind Partner in diesem außergewöhnlichen Projekt.

7. Geben Sie Tipps statt Lösungen!

Ja, es ist oft verlockend, hinter eine Rechenaufgabe die richtige Lösung zu schreiben. Aber damit helfen Sie Ihrem Kind nicht, Sie verschieben das Problem nur, dass Ihr Kind das Thema nicht verstanden hat. Fragen Sie Ihr Kind nach Ideen, wie es die Aufgabe lösen könnte, geben Sie Tipps oder erzählen Sie, wie Sie die Lösung angehen würden. Entwickeln Sie mit Ihrem Kind das Grundprinzip einer Aufgabe und wenn es gar nicht geht, notieren Sie, dass Ihr Kind dieses Thema nicht verstanden hat und geben Sie das an die Schule weiter. Nur so können die Lehrerinnen und Lehrer Ihrem Kind helfen.

8. Sehen Sie Fehler als Chance für alle Seiten!

Leider leben wir in einer Gesellschaft, in der Fehler negativ beurteilt werden. Dabei sind Fehler eine Chance. Beim Lernen helfen sie zu erkennen, wo Unterrichtsstoff nicht oder falsch verstanden wurde. Als Lerncoach lernen auch Sie noch und Sie machen Fehler, aber daraus können Sie lernen und wissen beim nächsten Mal, was gut funktioniert und was nicht. Sehen Sie Ihre Fehler, die Ihres Kindes und auch die der Lehrkräfte als Hinweis darauf, wo etwas zu verändern ist.

9. Gönnen Sie sich den Mut zur Lücke!

Ein Lerncoach ist ein Begleiter, kein Zauberer! Sie können Ihr Leben nicht mit einem Fingerschnips umkrempeln, damit Ihr Kind optimale Home-Schooling-Bedingungen hat. Schauen Sie, was Sie leisten können – und wenn das weniger ist, als die Schule erwartet, teilen Sie der Schule dies mit. Lassen Sie auch mal Fünfe gerade sein und eine Aufgabe liegen – wegen eines nicht geschriebenen Aufsatzes ist bisher die Welt noch nicht untergegangen!

10. Feiern Sie Erfolge!

Zeigen Sie Wertschätzung für die Leistung Ihres Kindes und für Ihre eigene. Eine Woche Home-Schooling, das allein ist schon ein Fest wert, zumindest eine Portion Eis oder eine Pizza vom Italiener nebenan. Feiern Sie die Erfolge, wie Sie fallen, nicht nur die Lernerfolge Ihres Kindes –  die sowieso. Feiern Sie auch Ihre eigenen Erfolge, wenn zum Beispiel Ihr Lernstundenplan perfekt aufgegangen ist, Ihr Kind selbstständig am Videomeeting der Klasse teilgenommen hat und vorher der Technik-Check auf Anhieb geklappt hat. Home-Schooling besteht aus so vielen Puzzleteilen, die zusammengefügt werden müssen, da ist jedes fertige Motiv eine Anerkennung wert.

11. Bleiben Sie gelassen!

Vor allem aber: Setzen Sie sich nicht selbst unter Druck. Home-Schooling ist keine Meisterschaft und es winkt auch kein Eintrag ins Guinness-Buch der Rekorde für die perfekten Lerncoach-Eltern. Home-Schooling ist ein Weg, damit die Schülerinnen und Schüler den Anschluss behalten und nicht zu viel Lernstoff verpassen. Und wenn Ihr Kind dennoch etwas verpasst, dann holt es das später nach. Die wesentlichen Informationen werden im Wissensspeicher auf jeden Fall ankommen. Vor allem ist wichtig, dass Ihr Kind sich gedanklich mit dem Schulstoff beschäftigt und nicht beim In-die-Luft-gucken das bisher Gelernte vergisst. Lernen braucht Wiederholung. Home-Schooling hilft hier auf jeden Fall, Lesen, Schreiben und Medienkompetenz im Falle eines digital gestützten Unterrichts zu trainieren. Das ist mehr, als Ihr Kind ohne die Schule zu Hause mitnehmen würde. Bleiben Sie also gelassen. Schule ist wichtig, aber nicht überlebenswichtig.

Diese Tipps entstammen dem „Ratgeber Homeschooling & Co.“, herausgegeben von Birgit Ebbert und Stephan Schampaul, als eBook und Hörbuch erschienen im Schulwerkstatt-Verlag.

Homeschooling: Jetzt machen die Öffentlich-Rechtlichen Bildungsfernsehen – aber gucken die Schüler das überhaupt?

Die öffentlich-rechtlichen Sender haben ihr Bildungsprogramm erweitert, um Familien während der Schulschließungen zu unterstützen. Dabei machen sie jedoch einen entscheidenden Fehler.

Seit Montag (11. Januar) bieten ARD und ZDF ein erweitertes Fernsehprogramm an. Der Bildungskanal ARD-alpha sendet zum Beispiel wochentags von 9- 12 Uhr das Programm „Schule daheim“, der Kinderkanal KiKa reagiert mit einer Sonderprogrammierung, das ZDF erweitert sein Angebot »Terra X plus Schule« in der Mediathek und auf YouTube. Doch erreichen die Sendungen die Zielgruppe?

Simon ist 16 Jahre alt und geht in die zehnte Klasse einer privaten Gesamtschule. Über die Frage, wann er sich das letzte Mal eine öffentlich-rechtliche Informationssendung angeschaut hat, muss er länger nachdenken. „Bei Terra X habe ich schon öfter mal reingeguckt, wenn ich irgendwelche Fragen zum Unterricht habe. Das ist aber extrem selten“, sagt er dann. Den Fernseher schaltet er eigentlich nur an, wenn er Sportsendungen schauen möchte. Dass für ihn extra das Bildungsprogramm im Fernsehen erweitert wurde, interessiert ihn relativ wenig. Und selbst bei Interesse könnte er es gar nicht gucken, da er vormittags Videokonferenzen hat und für die Schule ansprechbar sein muss.

Klassisches Fernsehen kann sinnvoll sein

Gibt es also überhaupt Kinder oder Jugendliche, die von einem erweiterten linearen Bildungsfernsehen profitieren? „Ja“, sagt Markus Sindermann, Geschäftsführer der Fachstelle für Jugendmedienkultur NRW: „Auch im Jahr 2021 gibt es noch Haushalte, die über keinen oder lediglich über einen eingeschränkten Internetzugang verfügen.“ Zudem könne es an technischen Geräten fehlen, wenn es zum Beispiel nur einen Laptop im Haushalt gebe, aber mehrere schulpflichtige Kinder und Eltern, die parallel im Homeoffice arbeiten müssten. „Die Nutzungszahlen sprechen dafür, dass die linearen Angebote genutzt werden“, sagt auch die Medienwissenschaftlerin Maya Götz. Gerade Kinder und Preteens profitierten davon, denn auch im zweiten Lockdown könnten viele Schulen besonders für die Jüngeren nicht genügend Angebote auf die Beine stellen.

Wirklich gut nutzen lässt sich das klassische Fernsehprogramm allerdings nur, wenn es pädagogisch begleitet wird. Indem Eltern oder Lehrerende zum Beispiel einzelne Sendungen auswählen, die zur individuellen Lernsituation des Kindes passen. „Insbesondere bei jüngeren Kindern ist eine Begleitung durch einen Elternteil wichtig, damit über die gezeigten Inhalte gesprochen werden kann“, erklärt Markus Sindermann. Damit das Fernsehprogramm auch einen langfristigen Lerneffekt hat, sollten die Formate im Idealfall zum Mit- oder Nachmachen aufrufen.

Jugendliche nutzen vor allem Online-Videos

Je älter die Kinder werden, desto uninteressanter wird das lineare Bildungs-Fernsehen allerdings für sie. „Bei den Älteren […] wird es schon kniffeliger. Denn für den Unterricht sind die Angebote dann sinnvoll, wenn sie den ganz konkreten Lernstoff betreffen“, sagt Maya Götz. Die Chancen, dass ein Schüler in drei Stunden „Schule daheim“ den passenden Input für das anstehende Deutschreferat oder den nächsten Englisch-Test bekommt, sind jedoch verschwindend gering.

In einem der seltenen Fälle, in denen Simon Terra X guckt, schaut er es nicht im Fernsehen, sondern auf YouTube. Das Videoportal nutzt er auch, wenn er etwas für die Schule recherchieren muss. Geschichtliche Fragen lässt er sich gerne von MrWissen2go erklären, bei Problemen in Mathe schaut er sich ein Video vom YouTuber Lehrerschmidt an. Auch die Eltern von jüngeren Kindern erzählen, dass ihre Kinder vor allem auf Online-Videos zurückgreifen, wenn sie öffentlich-rechtliche Formate wie Checker Tobi oder Anna und die wilden Tiere nutzen. Umso wichtiger also, dass die Inhalte des Fernsehprogramms auch online verfügbar und gut über Suchmaschinen auffindbar sind. So kann das Wissen dann abgerufen werden, wenn es benötigt wird.

Angebote sind kaum zu finden

Zwar bauen die öffentlichen Fernsehsender ihre Online-Angebote gerade aus, aber leider wird einem die Suche nicht immer leicht gemacht. Jede Bundesanstalt hat eigene Angebote. Die meisten sind nach Themen sortiert, allerdings nur grob nach Alter. Wer gezielt nach Videos für den Matheunterricht in der 7. Klasse sucht, wird hier wahrscheinlich nicht fündig. Am übersichtlichsten strukturiert ist da noch das Lernangebot der BR-Mediathek „Schule Daheim“. Und leider ist auch die Auffindbarkeit durch die Suchmaschinen noch nicht optimal, berichtet Maya Götz: „Hier sind die Wissensinfluencer*innen und kommerziellen Anbieter den öffentlich-rechtlichen Anbietern in Sachen Suchmaschinenoptimierung zurzeit etwas voraus, sodass deren Angebote schneller gefunden werden.“

Grundsätzlich ist der Ausbau der Bildungsangebote von ARD und ZDF, vor allem der ihrer Online-Mediatheken, ein tolles Angebot mit viel Potential – auch für die Zeit nach Corona. Simon lernt gerne mit Videos: „Videos gucken ist tatsächlich oft einfacher. Wenn ich nach acht Stunden aus der Schule komme, dann hab ich nicht mehr Bock, zuhause auch noch zu lesen.“ Jetzt müssen diese Angebote nur noch besser gefunden werden.

Sarah Kröger ist freie Journalistin und Projektmanagerin und bloggt unter neugierigauf.de zu Themen wie Familie, Digitales, Arbeit, Soziales und Nachhaltigkeit.

Eine Übersicht zu allen Bildungsprogrammen der ARD gibt es auf einer extra Seite.

Das können Eltern tun, wenn das Kind im Sportunterricht als Letztes gewählt wird

Wenn Kinder als Letztes in die Mannschaft gewählt werden, nagt das am Selbstbewusstsein. Erziehungswissenschaftlerin Daniela Albert rät Eltern, zu reagieren.

„Meine Tochter (9) erzählt, dass ihre Mitschüler sie beim Sportunterricht ungern oder als Letzte in ihre Mannschaft wählen. Mir ging es früher ähnlich. Ich finde es schade, dass es solche Mannschaftswahlen heute immer noch gibt. Wie kann ich ihr helfen? Ist es ratsam, sich einzuschalten?“

Im Sportunterricht sollte der Fokus darauf liegen, dass Kinder Spaß an Bewegung bekommen und im Rahmen von Mannschaftssportarten Fairness und Miteinander lernen. Das, was Ihre Tochter erleben muss, trägt weder zum einen noch zum anderen bei. Daher kann ich Ihren Unmut gut verstehen.

Konkrete Vorschläge

Ich finde es sinnvoll, dass Sie sich zugunsten Ihrer Tochter einschalten. Ich habe in solchen Fällen die Erfahrung gemacht, dass es besser ist, nicht beim Aufzeigen eines Problems stehenzubleiben, sondern mit konkreten Vorschlägen an die Lehrkräfte heranzutreten. Sie könnten anregen, dass ein anderes Verfahren der Mannschaftswahl angewendet oder der generelle Umgang mit Stärken und Schwächen innerhalb der Klassengemeinschaft thematisiert wird, beispielsweise im Klassenrat. Diese Fragen sollten in der Klasse zunächst weg von den persönlichen Erfahrungen ihrer Tochter diskutiert werden. Die Klassenleitung könnte beispielsweise eine thematisch passende Geschichte vorlesen und mit den Schülern besprechen. An dieser Stelle kann Ihre Tochter dann selbst entscheiden, ob sie darüber sprechen möchte oder nicht.

Gefühle nicht übertragen

Sprechen Sie auch mit Ihrer Tochter darüber, wieso sie diese Einwahlsituation stört, was sie dabei fühlt und was sie sich wünschen würde. Nehmen Sie ihre Gefühle wahr, aber interpretieren Sie nicht mehr in die Situation hinein, als Ihre Tochter Ihnen berichtet. Aus Ihrer Frage lese ich heraus, dass diese Situation auch alte Gefühle in Ihnen auslöst. Unterscheiden Sie zwischen Ihren Gefühlen und denen Ihrer Tochter und sprechen Sie gegebenenfalls auch über Ihren eigenen Schmerz – mit Ihrem Partner, Freunden oder Menschen, bei denen Sie sich gut aufgehoben fühlen. Das Reden über eigene negative Kindheitserlebnisse hilft, beim Begleiten der Kinder im Modus des Erwachsenen zu bleiben und sachlich und besonnen Unterstützung zu leisten.

Spaß an Bewegung

An Tagen, an denen Ihre Tochter enttäuscht über die Erfahrungen in der Schule ist, können Sie ihr dabei helfen, sich ihre eigenen Stärken wieder bewusst zu machen. Planen Sie an solchen Tagen Aktivitäten ein, bei denen Ihr Kind mit Sicherheit Erfolgserlebnisse haben wird: kreative Beschäftigung, Spiele oder Bewegungsangebote. Gerade nach Letzterem sollten Sie sogar aktiv suchen: Freude an Bewegung ist für unsere Kinder wichtig – nicht nur aus gesundheitlicher Perspektive.

Wenn der Sportunterricht in der Schule droht, das Gegenteil auszulösen, sollten Sie gegensteuern. Das muss nicht mal ein „klassischer“ Vereinssport sein. Vielleicht liebt Ihr Kind es, mit Ihnen im Wald zu spielen oder auf der Straße Springseil zu springen. Hauptsache, es verbindet Bewegung nicht nur mit Frust und Demütigung.

Daniela Albert ist Erziehungswissenschaftlerin und Eltern- und Familienberaterin, lebt mit ihrem Mann und ihren drei Kindern in Kaufungen bei Kassel und bloggt unter eltern-familie.de.

Sicher zur Schule

Beim Thema „Schule und Sicherheit“ denken in diesem Jahr alle zuerst an den Schutz vor Corona. Dabei ist es vor allem bei Erstklässlern auch wichtig, dass sie erst mal sicher in der Schule ankommen. Der Deutsche Verkehrssicherheitsrat (DVR) gibt Eltern Tipps, wie das gelingen kann.

Den Schulweg planen, festlegen und üben
Kinder im Einschulungsalter nehmen häufig zum ersten Mal aktiv am Straßenverkehr teil. Ihnen fällt es schwer, Gefahren erkennen und als brenzlig einschätzen zu können. Eltern müssen deshalb beurteilen, ob ihr Kind bereit ist, den Schulweg schon allein gehen zu können oder nicht. Ist der Weg zu schwierig, z. B. weil das Kind dabei eine stark befahrene Straße überqueren müsste, sollte es noch eine Weile zur Schule gebracht werden. Aber auch ein vermeintlich sicherer Weg zur Schule muss unbedingt mit dem Kind geübt werden.

Wie ein sicherer Schulweg aussehen sollte

  • Der sichere Schulweg ist nicht immer der kürzeste Weg. Lieber kleine Umwege machen, wenn dadurch die Sicherheit erhöht wird.
  • Wenn auf dem Weg die Überquerung einer Fahrbahn unvermeidbar ist, sollten Eltern eine Strecke mit einer sicheren Querungsmöglichkeit wählen, am besten mit einer Ampel. Sie erleichtert es Kindern, sicher über die Straße zu kommen.
  • Unübersichtliche Kreuzungen können von Kindern der ersten Grundschulklasse nicht sicher bewältigt werden.

Schulweg üben und Regeln erklären

  • Der festgelegte Weg sollte mehrmals mit den Kindern abgelaufen werden. Eltern sollten ihrem Kind erklären, welchen Weg es nehmen soll und welche kritischen Stellen zu beachten sind.
  • Helfen kann es auch, den Schulweg mit vertauschten Rollen zu üben und das Kind die Eltern sicher zur Schule führen zu lassen.
  • Kinder kennen zunächst keine Verkehrsregeln. Wichtig ist, dass sie diese lernen: Unmittelbar vorm Überqueren der Straße heißt es: nach links, nach rechts und wieder nach links schauen.
  • Beim Überqueren der Straße ist es wichtig, den Verkehr im Blick zu haben. Das gilt auch, wenn man die Straße an einer Ampel oder über einen Zebrastreifen überquert.
  • Wenn das Kind den Weg zur Schule alleine schon gut bewältigt, sollte man das als Eltern dennoch regelmäßig in zeitlichen Abständen verdeckt kontrollieren. Hält sich das Kind an die Vorgaben und wählt den festgelegten Weg? Wenn nicht, sollten Eltern ihr Kind behutsam an die Vorgaben erinnern und erklären, welche Gefahr droht, wenn es sich nicht an die Vereinbarung hält.

Als letzte gewählt

„Meine Tochter (9) erzählt, dass ihre Mitschüler sie beim Sportunterricht ungern oder als Letzte in ihre Mannschaft wählen. Mir ging es früher ähnlich. Ich finde es schade, dass es solche Mannschaftswahlen heute immer noch gibt. Wie kann ich ihr helfen? Ist es ratsam, sich einzuschalten?“

Im Sportunterricht sollte der Fokus darauf liegen, dass Kinder Spaß an Bewegung bekommen und im Rahmen von Mannschaftssportarten Fairness und Miteinander lernen. Das, was Ihre Tochter erleben muss, trägt weder zum einen noch zum anderen bei. Daher kann ich Ihren Unmut gut verstehen.

Ich finde es sinnvoll, dass Sie sich zugunsten Ihrer Tochter einschalten. Ich habe in solchen Fällen die Erfahrung gemacht, dass es besser ist, nicht beim Aufzeigen eines Problems stehenzubleiben, sondern mit konkreten Vorschlägen an die Lehrkräfte heranzutreten. Sie könnten anregen, dass ein anderes Verfahren der Mannschaftswahl angewendet oder der generelle Umgang mit Stärken und Schwächen innerhalb der Klassengemeinschaft thematisiert wird, beispielsweise im Klassenrat. Diese Fragen sollten in der Klasse zunächst weg von den persönlichen Erfahrungen ihrer Tochter diskutiert werden. Die Klassenleitung könnte beispielsweise eine thematisch passende Geschichte vorlesen und mit den Schülern besprechen. An dieser Stelle kann Ihre Tochter dann selbst entscheiden, ob sie darüber sprechen möchte oder nicht.

Gefühle nicht übertragen

Sprechen Sie auch mit Ihrer Tochter darüber, wieso sie diese Einwahlsituation stört, was sie dabei fühlt und was sie sich wünschen würde. Nehmen Sie ihre Gefühle wahr, aber interpretieren Sie nicht mehr in die Situation hinein, als Ihre Tochter Ihnen berichtet. Aus Ihrer Frage lese ich heraus, dass diese Situation auch alte Gefühle in Ihnen auslöst. Unterscheiden Sie zwischen Ihren Gefühlen und denen Ihrer Tochter und sprechen Sie gegebenenfalls auch über Ihren eigenen Schmerz – mit Ihrem Partner, Freunden oder Menschen, bei denen Sie sich gut aufgehoben fühlen. Das Reden über eigene negative Kindheitserlebnisse hilft, beim Begleiten der Kinder im Modus des Erwachsenen zu bleiben und sachlich und besonnen Unterstützung zu leisten.

Spaß an Bewegung

An Tagen, an denen Ihre Tochter enttäuscht über die Erfahrungen in der Schule ist, können Sie ihr dabei helfen, sich ihre eigenen Stärken wieder bewusst zu machen. Planen Sie an solchen Tagen Aktivitäten ein, bei denen Ihr Kind mit Sicherheit Erfolgserlebnisse haben wird: kreative Beschäftigung, Spiele oder Bewegungsangebote. Gerade nach Letzterem sollten Sie sogar aktiv suchen: Freude an Bewegung ist für unsere Kinder wichtig – nicht nur aus gesundheitlicher Perspektive.

Wenn der Sportunterricht in der Schule droht, das Gegenteil auszulösen, sollten Sie gegensteuern. Das muss nicht mal ein „klassischer“ Vereinssport sein. Vielleicht liebt Ihr Kind es, mit Ihnen im Wald zu spielen oder auf der Straße Springseil zu springen. Hauptsache, es verbindet Bewegung nicht nur mit Frust und Demütigung.

Daniela Albert ist Erziehungswissenschaftlerin und Eltern- und Familienberaterin, lebt mit ihrem Mann und ihren drei Kindern in Kaufungen bei Kassel und bloggt unter www.eltern-familie.de.
Illustration: Sabrina Müller, sabrinamueller.com

Darum geben wir bis Klasse 9 keine Noten – So arbeitet Deutschlands Vorzeigeschule

Die Evangelische Schule Berlin Zentrum gehört zu Deutschlands erfolgreichsten Reformschulen. Uli Marienfeld, der stellvertretende Schulleiter, erklärt im Interview mit Family, wie Kinder besser lernen können und wie wichtig dafür gute Schulen sind.

 

Herr Marienfeld, Sie haben jetzt 35 Jahre Berufserfahrung als Lehrer und Schulleiter an fünf Schulen. Was haben Sie in dieser Zeit über das Lernen gelernt?

Dass Lernen möglich ist. Dass Lernen Spaß macht und eigentlich alle Menschen lernen wollen. Die Neugier, mit der Kinder auf die Welt kommen, geht – nicht nur entwicklungsbedingt, sondern auch durch ungeschickte Arrangements und Strukturen – leider oft an der Schule verloren. Doch sie kann wiederentdeckt werden.

Ich liebe es, diese Neugier zu wecken und glaube, dass man als Lehrer ganz viel bewegen kann. So wie Eltern zu Hause dafür sorgen, dass Kinder vertrauensvoll in die Welt blicken, können auch Schulen Wege bereiten, die Kinder befähigen, Gestalter des Lebens zu werden. Mir ist wichtig, ihnen zu vermitteln: Du bist gewollt. Du kannst diese Welt entdecken. Du hast Begabungen. Und wenn du hinfällst, dann helfen wir dir, wieder aufzustehen. Es geht im Leben nicht um Perfektion. Es geht um Neugier und darum, unsere Welt in Gemeinschaft zu gestalten.

 

Was sind Grundvoraussetzungen für gelingendes Lernen in der Schule?

Ich glaube, dass allen Menschen Beziehungen guttun. Und Kindern hilft es, wenn Schulen beziehungsorientiert arbeiten – im Gegensatz zu mechanischer Wissensvermittlung. Das bedingungslose Ja zu jedem Kind ist fundamental. Ich möchte vermitteln: Es ist gut, dass du da bist. Ich sehe dich. Ich nehme dich wahr, spreche dich beim Namen an. Im Gegensatz dazu ist es Gift, wenn Kinder hören: Aus dir wird nichts. Du hast hier nichts zu suchen. Lass mich in Ruhe. Oder was auch immer einem rausrutschen mag. Solche Urteile wirken viel tiefer als jede noch so gute methodische Unterrichtsreihe. Das sind die Botschaften, die bis ins Unterbewusstsein eindringen. Und besonders Kinder, die von Hause aus wenig Vertrauen haben, zutiefst verunsichern. Von daher ist Schule für mich in erster Linie ein Ort von gelebten Werten. Es ist wichtig, eine angstfreie Atmosphäre zu schaffen.

Auch Heterogenität bezüglich Begabungen, Interessen, sozialen und ethnischen Hintergründen, ist für mich eine Grundvoraussetzung für gelingendes Lernen. In Schulen wird oft versucht, eine vermeintliche Homogenität herzustellen. Dies führt dazu, dass 25 Schüler und Schülerinnen über einen Kamm geschoren werden. Es wird nicht wahrgenommen, dass sie alle Individuen sind, die auf unterschiedliche Weise aufblühen können und wollen. Schule ist gefordert, unterschiedliche Lernformen anzubieten, Mut zu machen und Neugier zu fördern. Das Grundverständnis, dass Schule Potenziale entfaltet und nicht dafür da ist zu selektieren, ist mir wichtig. Ich mag auch den Begriff der Resonanz. Es geht nicht um die Weitergabe von möglichst viel (totem) Wissen, sondern darum, dass etwas in Schwingung gebracht wird, dass sich Staunen, Begeisterung und Leidenschaft entwickeln können.

 

Welche Kompetenzen werden Schüler und Schülerinnen in Zukunft brauchen?

Vor allem geht es um Teamfähigkeit, Resilienz, Durchhaltevermögen, Kreativität und Eigenverantwortung. Dann sicher auch um ein gesundes Basiswissen in Mathe, Deutsch, Fremdsprachen, Verständnis für historische Zusammenhänge und kulturelle Unterschiede und vieles andere mehr. Doch vor allem ist Neugier wichtig – und die Bereitschaft sich in neue Situationen hineindenken zu wollen. Keiner hat eine Ahnung, wie die Lebens- und Arbeitswelt in zehn, geschweige denn in dreißig Jahren aussehen wird. Das Smartphone ist gerade mal zwölf Jahre alt. Es gab eine Welt davor, und es wird eine Welt danach geben. Wie diese aussieht, können wir nicht wissen. Doch wir können gemeinsam lernen zu unterscheiden: Wo brauche ich persönliche Begegnung? Was kann ich auf digitalem Weg machen lassen? Im Mittelalter wusste jeder, was er einmal machen würde, weil es dasselbe war, das der Großvater auch schon gemacht hatte. Das geht definitiv nicht mehr. Wir sollten junge Menschen dazu befähigen, mutig in neue, unsichere Situationen hineinzugehen.

 

Und wie kann Schule das am besten fördern?

Indem sowohl Schüler und Schülerinnen als auch Lehrer und Lehrerinnen ganzheitlich betrachtet werden und etwas von der Vielfalt reflektieren, die in dieser Welt sowieso vorhanden ist. Anstatt in isolierten Räumen auf isolierte Weise isolierte Fächer zu lehren, sollte man rausgehen, sich die Natur anschauen, im Regen nass werden und ganzheitliche – also auch körperliche und emotionale – Erfahrungen machen. Ich halte eine Kombination aus einer geschulten, fachlichen Perspektive, verbunden mit ganzheitlichen Begegnungen miteinander und der Welt für notwendig. Es ist gut, zentrale Abschlussprüfungen zu haben, doch der Weg dahin sollte sich, je nach Lebensraum und Bedürfnissen, stark unterscheiden dürfen. Bei aller Normierung von Prüfungen sollte Schulen auch Freiheit zugestanden werden, selbst zu gestalten. Da arbeiten in der Regel 20 bis 100 Akademikerinnen, die eine Menge studiert haben. Man sollte ihnen durchaus zutrauen, gemeinsam vernünftige Lehrpläne und -methoden für ihre Schule zu entwickeln.

 

Seit eineinhalb Jahren arbeiten Sie als stellvertretender Schulleiter der Evangelischen Schule Berlin Zentrum. Was überzeugt Sie am Konzept dieser Schule?

Dass wir mutig sind! Wir träumen und überlegen, was möglich ist. Und dann machen wir es einfach. Unsere Schüler und Schülerinnen schicken wir am Anfang der 8. bis 10. Klasse drei Wochen lang auf „Herausforderung“. Sie überlegen sich vor dem Sommer, woran sie Freude haben, formulieren es schriftlich und werden gecoacht. Dann gehen sie zu Beginn des Schuljahres in Kleingruppen – begleitet von Studierenden – in Brandenburg Kanu fahren, in Süddeutschland eine Radtour machen oder auf einen Bio-Bauernhof, um dort mitzuarbeiten. Sie lernen, in dieser Zeit mit 150 Euro auszukommen. Sie erfahren auch, dass es untereinander nicht immer so harmonisch ist, wenn man drei Wochen zusammen ist. Dadurch lernen sie das echte Leben kennen. Von den etwa 300 Jugendlichen, die wir jedes Jahr losschicken, brechen manche früher ab. Das kann passieren. Der Umgang mit dem Scheitern ist Teil des Lernprozesses.

Vieles in unserer Arbeit zielt darauf, individuelle Lernwege zu ermöglichen. Darum geben wir bis Klasse 9 keine Noten, sondern erstellen Zertifikate, die ganz bewusst reflektieren: Was hast du gut gemacht? Was kannst du? Was können deine nächsten Schritte sein? Wir haben viele fächerübergreifende Formate. Wir arbeiten häufig im Team, durchmischen uns immer wieder neu. Das hat den Vorteil, dass sich immer mehrere Kolleginnen und Kollegen um ein Projekt kümmern. Und wir evaluieren, feiern dankbar, was gelungen ist und notieren, was wir beim nächsten Durchgang verändern wollen. Wir investieren als Pädagoginnen und Pädagogen – mit Einverständnis der Eltern – drei bis fünf bezahlte Studientage pro Jahr in die Entwicklung des Unterrichts und der Schule insgesamt. Wenn man möchte, dass sich Dinge verändern, braucht man auch Zeit dafür. Dadurch machen wir kein Schuljahr genauso wie das letzte. Das ist anstrengend. Aber es ist deutlich gesünder als die Haltung: Es war vor 20 Jahren schon nicht gut, aber uns sind ja die Hände gebunden.

 

Das heißt, Sie haben den Mut, Zeiten anders zu füllen, als es im Lehrplan vorgegeben ist? Und gleichzeitig das Vertrauen, dass am Ende die Prüfungen geschafft werden?

Genau! Die Präambeln der Bildungspläne sind oft mit weitem Horizont formuliert, und die Ziele des Zentralabiturs durchaus sinnvoll. Wir waren einfach mutig, uns modernen Ansätzen zu stellen und Wege neu zu gehen. Am Anfang war es eine reine Überzeugungssache. Doch unsere Erfahrung lehrt uns, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Das Abitur 2018 hatte einen Schnitt von 1,89 und in diesem Jahr war es 2,07. Das ist weit über dem Berliner Landesschnitt (2,4, Anm. d. Red.). Und wir sind davon überzeugt, dass das, was unsere Schülerinnen und Schüler mitnehmen, weit über diese Dezimalzahl hinausgeht.

 

Was könnte man, auch mithilfe der Anregung von Eltern, leicht an anderen Schulen übernehmen?

Jedes Jahr kommen ca. 1.000 Pädagoginnen und Pädagogen aus ganz Europa zu uns. Und unsere Schülerinnen und Schüler erzählen ihnen, wie Schule läuft. Tendenziell gibt es ja in der Grundschule und in der Sekundarstufe 1 noch eher Spielräume. Doch je weiter es „nach oben“ geht, desto dünner wird die Luft. Da kann gerade das, was hier in der Oberstufe gemacht wird, für viele richtungsweisend sein. Auf unserer Homepage der „Neuen Oberstufe“ kann man sich die Ideen anschauen und davon übernehmen, was für die eigene Situation passt. Wir haben zum Beispiel Tage für die Vermittlung von Lern- und Arbeitskompetenzen eingeführt, bieten aber auch Workshops mit lebenspraktischen Themen an. Wir bringen den Kindern bei, wie sie einen Handyvertrag ausfüllen oder einen Mietvertrag abschließen können. Das kann ganz einfach an jeder Schule installiert werden.

 

Wie können Eltern ihre Kinder am besten in Sachen Schule unterstützen?

Das Wichtigste ist, in einem guten Dialog mit der Schule zu stehen und dass man versucht, mit den Lehrerinnen und Lehrern zu reflektieren: Was läuft gut? Und was sollte sich ändern? Kinder merken, wenn Eltern und Lehrer an einem Strang ziehen. Wenn Eltern Gutes als selbstverständlich und ohne Dank mitnehmen, dann aber über Schule maulen, ohne sich für Verbesserungen einzusetzen, bringen sie ihre Kinder in die Rolle der „armen Opfer, die die Ungerechtigkeit der Welt passiv erleiden müssen“. Man muss nicht alles gut finden. Aber es hilft, sich so zu verhalten, dass bei den Kindern ankommt: „Hey, das ist eine Herausforderung. Wo liegt darin eine Chance für dich? Lässt sich eventuell etwas an den Umständen verändern?“ Und bloß keine Panik, wenn mal eine schlechte Note nach Hause gebracht wird! Wenn man ehrlich ist, hat man die selbst auch gehabt. Darum dem Kind nicht noch mehr Druck machen. Viel wichtiger ist doch, dass es Freude in der Schule hat.

 

Wann sind denn Ihrer Ansicht nach Sorgen berechtigt?

Wenn Kinder wirklich nicht wissen, was sie wollen, wenn sie dauerhaft antriebslos sind, wenn sie permanent nur am Handy sind, keine Freunde haben, nicht über die Themen reden, die sie wirklich bewegen, wenn sie ein Stück weit verloren sind. Dann sind Sorgen berechtigt. Spielsucht und Internetabhängigkeit sind leider keine Seltenheit mehr. Das sind Dinge, die wirklich relevant sind. Und man sollte nicht scheuen, sich kompetenten Rat und auch therapeutische Hilfe zu holen. Ich hoffe, dass Freundeskreise, Nachbarschaft, Sportvereine oder auch Gemeinden Orte sind, an denen Kinder – auch in Peergroups – ein Gegenüber finden. Dort können sie sich entdecken, merken, wofür ihr Herz schlägt und Leidenschaft entwickeln. Eltern sollten gerade isolierten Kindern diese Erfahrungsräume öffnen und anfangen, sich wirklich für ihr Kind zu interessieren, herauszufinden, was das Kind kann und möchte. Und ihm zugestehen, dass es anders sein darf und andere Interessen hat, als die Erwachsenen sich das manchmal vorstellen. Kinder sind gottgeschaffene, eigenständige Persönlichkeiten mit ganz eigenen Möglichkeiten. Die zu entdecken und zu fördern ist die Aufgabe von Eltern und Lehrerinnen und Lehrern.

Das Interview führte Anna Koppri.

Kleinunternehmen Großfamilie: So lebt es sich mit acht Kindern

Weihnachtsfeier-Marathon, teure Schwimmbad-Tickets und abschätzige Kommentare – Großfamilie Müller hat’s manchmal schwer. Trotzdem geht die Harmonie nicht flöten. Wie das?

Fast eine Stunde ist meine kleine Familie mit öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs, um an den Rand Berlins zu gelangen. Zehn Minuten schlendern wir mitten auf der dörflich anmutenden Straße, denn wann hat man als Großstädter schon mal eine Straße ganz für sich allein? Schließlich machen wir vor dem fliederfarbenen Haus der Familie Müller Halt. Ein schlanker junger Mann mit südländischem Teint empfängt uns freudig und warmherzig. Martin, der Familienvater, und mein Mann kennen sich von einem gemeinsamen Musiktherapie-Studium. Schon beim Betreten der Wohnküche beschleicht mich ein Gefühl von Ehrfurcht: Hier soll eine zehnköpfige Familie leben? Davon zeugt einzig der lange Tisch mit den vielen Sitzgelegenheiten, ansonsten ist alles picobello ordentlich. Mutter Christina, auch sie hat einen südländischen Einschlag, empfängt uns genauso warmherzig und tiefenentspannt wie ihr Mann. Ihr Bauch kann schon nicht mehr ganz verbergen, dass darin gerade ein elftes Familienmitglied heranwächst.

EIN TISCH VOLLER KINDER

Vom Tisch blicken mir drei adrett gekleidete Jungen im Grundschulalter entgegen, die geduldig vor ihren Tellern warten, auf denen bunte Kuchenstücke liegen. Zu ihnen gesellen sich in den nächsten Minuten, fröhlich plaudernd, fünf weitere Kinder im Alter von knapp zwei bis fünfzehn Jahren. Trotz kühler Temperaturen ist unser fast zweijähriger Sohn der einzige mit einer Rotznase und auch der einzige, der sich schon vor offiziellem Beginn des Kaffeetrinkens am Obstteller bedient. Nun wird gesungen und fröhlich zugelangt. Den Papageienkuchen hat der zehnjährige Wilhelm fast ohne Hilfe gebacken.

Als ich mein Diktiergerät einschalte, wandern immer mal wieder neugierige Blicke aus zehn Augenpaaren zu mir herüber, bereit, sich jederzeit am Gespräch zu beteiligen.

NOCH NICHT VOLLSTÄNDIG

Das Haus mit den sechs Kinderzimmern hat die Familie 2011 bezogen, als die Grundstückspreise noch erschwinglich waren. Die monatlichen Raten für den Kredit sind sogar ein wenig geringer als die Miete für das Reihenhaus, in dem sie vorher gewohnt haben.

Martin (Jahrgang 1979) und Christina (1978) haben sich in ihrem Heimatort in Thüringen schon im Jugendalter kennengelernt und mit Anfang Zwanzig geheiratet. Als sie über Familienplanung gesprochen haben, sei schnell klar gewesen, dass beide sich mehrere Kinder vorstellen konnten. Vier oder fünf mindestens. Danach hätten sie es einfach immer noch mal gewagt. Christina sagt, sie habe so ein Gefühl gehabt, noch nicht vollständig zu sein. Martin erläutert, dass ein neues Kind ja auch immer ein neuer Mensch sei, auf den man sich erst einlassen müsse: „Doch irgendwie haben unsere Kapazitäten das hergegeben.“

DER LUSTIGE PAPA

Ich bin noch immer baff von der freundlichen, selbstbewussten und bildschönen Kinderschar und frage sie nach den Superkräften ihrer Eltern, so eine Großfamilie am Laufen zu halten. Mit einem Lachen verrät die 14-jährige Elisabeth: „Papa ist sehr geduldig.“ Und Wilhelm (10) ergänzt: „Ja, und nett.“ August (8) weiß noch hinzuzufügen: „Und lustig.“ Wie man es denn schaffe, als geduldiger, netter und lustiger Papa mehrere Kinder gleichzeitig zum Verlassen des Hauses fertig zu machen, möchte ich wissen. Daraufhin lacht Martin und gibt zu, dass das eher keine seiner Spezialfertigkeiten sei und am Ende meist die falschen Kinder die falschen Klamotten tragen würden. Christina habe da den besseren Überblick.

MAMA-SUPERKRÄFTE

Christina ist neben ihrem Mann, dem Fels in der Brandung, das Organisationsgenie. Laut Martin hat sie stets alle Termine auf dem Schirm und kümmert sich um die logistische Umsetzung. Sie sei es, die den ganzen Laden zusammen und am Laufen halte. Wilhelm bringt es auf den Punkt: „Sie hat Mama-Superkräfte“. Denn wo schon so manche Kleinfamilie über die hohe Terminbelastung durch Kindergeburtstagseinladungen und Elternsprechtage klagt, lässt Familie Müller sich nicht lumpen. Martin: „Zweimal im Jahr gibt es einen Marathon. Einmal im Dezember, wenn die ganzen Weihnachtsfeiern anstehen, und am Schuljahresanfang die Elternabende. Da stehen wir in der Regel bei jedem Termin auf der Matte.“ Martin arbeitet als Krankenpfleger und Musiktherapeut. Christina ist Sozialarbeiterin bei der Stadtmission und gerade in Elternzeit. Durch das staatliche Bildungs- und Teilhabepaket werden Hobbys und Klassenfahrten der Kinder bezuschusst. Meiner Meinung nach für den Staat ein super Deal, wenn man bedenkt, was die Kinderschar schon in einigen Jahren in die Renten- und Sozialkassen einzahlen wird.

GROSSFAMILIENALLTAG

An einem ganz normalen Wochentag unternehmen Martin oder Christina morgens um 5:50 Uhr ihren Streifzug durchs Haus, um alle Kinder zu wecken. Nach und nach versammelt sich die Familie zum Frühstück in der Wohnküche. Die 14-jährige Elisabeth ist die Erste, die mit wehenden Fahnen das Haus verlässt, denn ihr Schulweg dauert fast eine Stunde. Seit der fünften Klasse besucht sie ein musikbetontes Gymnasium im Herzen Berlins. „Ich musste einen Aufnahmetest machen, und es hat überraschenderweise funktioniert. Die Schule ist richtig cool. Wir haben extra Musikstunden und einen Chor. Montags gehe ich nach der Schule noch zur Stimmbildung.“

VOLLZEIT-JOB

Ein bisschen später machen sich die anderen Schulkinder Hannah, Agathe, Wilhelm und August auf den Weg. Bei gutem Wetter schwingen sie sich aufs Fahrrad, ansonsten nehmen sie den Bus. Albrecht und Joseph werden in den Kindergarten gebracht, und mit der knapp zweijährigen Martha besucht Christina einmal wöchentlich die Krabbelgruppe. Der Vormittag vergeht wie im Flug. Christina kämpft sich durch Wäscheberge, saugt das Haus, räumt auf, lüftet, kocht, und schon um 12 Uhr stehen die ersten Kinder wieder zum Mittagessen auf der Matte. Eine Haushaltshilfe gibt es nicht.

EIN JOB FÜR ZWEI

In den letzten Monaten musste Christina aufgrund von Schwangerschaftskomplikationen strenge Bettruhe halten. Für Martin eine echte Zerreißprobe. Gott sei Dank würden die älteren Kinder ganz selbstverständlich mithelfen, doch neben seinem Job auch noch Christinas Aufgaben zu meistern, sei sehr herausfordernd gewesen. Jetzt darf sie das Bett wieder verlassen und wirbelt in gewohnter Weise durchs Haus.

ALS PAAR AUFTANKEN

Nach den Hausaufgaben sind die Nachmittage gefüllt mit gemeinsamem Spiel im Haus und Garten, denn bei so vielen Geschwistern findet man garantiert immer einen Spielpartner. Jedes Kind ist an mindestens zwei Nachmittagen im Sportverein oder beim Musik- oder Tanzunterricht. Hier und da werden sich Fahrten mit Nachbarsfamilien geteilt. Abends gehen die älteren Kinder selbstständig zu Bett, die jüngeren werden von den Eltern gebracht. Wenn Ruhe eingekehrt ist und die Kräfte reichen, ziehen Christina und Martin manchmal noch zusammen los, um einen Abend in Zweisamkeit außerhalb des Hauses zu erleben. Die großen Mädchen sind es gewohnt, ab und zu die Jüngeren zu hüten. „Diese gemeinsame Zeit ist enorm wichtig, um als Paar aufzutanken“, erklärt Martin. „Wir schauen auch, dass im Alltag Zeiten sind, in denen wir zum Quatschen kommen. Manchmal ist das im Eifer des Gefechts eine umkämpfte Geschichte, die uns mal mehr, mal weniger gut gelingt.“

EIN ZENTRUM FÜR GROSSFAMILIEN

Martins Leidenschaften sind Musik und Literatur. Auch dafür erarbeitet er sich immer wieder Freiräume. Christina trifft sich gern allein mit einer Freundin oder widmet sich ihrem Hobby Nähen. In ihrer Gemeinde engagiert sie sich ehrenamtlich im Team für den Kindergottesdienst, den sie mit aufgebaut hat.

Sonntags setzt sich die ganze Familie in ihren Kleinbus und fährt in die Kirchengemeinde. Hin und wieder besuchen sie alle gemeinsam Freunde oder unternehmen Wochenendausflüge zu den Großeltern. Ihren Sommerurlaub verbringen die Müllers meist an der Ostsee. Dort gibt es ein Familienerholungszentrum, das speziell für Großfamilien ausgelegt ist.

ABSCHÄTZIGE KOMMENTARE

Wenn die Familie gemeinsam in der Öffentlichkeit auftritt, fallen schon auch mal abschätzige Kommentare von Fremden, oder Passanten schütteln ungläubig den Kopf. Das habe sich in den letzten Jahren jedoch deutlich verbessert, erzählen die Eltern. Die überwiegende Mehrzahl der Rückmeldungen sei positiv: „Mensch, gute Arbeit!“

KEINE KARTE FÜRS SCHWIMMBAD

Auf meine Fragen, ob es auch manchmal schwierig sei, in so einer großen Familie zu leben, erhalte ich von den Kindern nur Antworten, wie: „Nein, alles ist toll.“ Nach einigem Überlegen nennen die Eltern Eintrittskarten für den Zoo oder das Schwimmbad, die für ihre Familiengröße nicht existierten, weshalb so ein gemeinsamer Ausflug fast unbezahlbar sei.

Und Taschengeld? Hier gibt es die Regelung, dass jedes Kind pro Schulstufe, in die es geht, einen Euro pro Woche bekommt. Hannah, die Älteste, verdient sich durch gelegentliches Babysitten oder Aushilfsjobs in der Firma von Freunden etwas dazu.

PLATZ NACH OBEN?

Die Müllers sind gern mit ihrer Familie zusammen und können sich kein anderes Leben vorstellen. Unter den Kindern herrscht ein liebevoller Umgang. Alle sind sehr musikalisch und genießen das regelmäßige gemeinsame Musizieren. Ihren christlichen Glauben leben Martin und Christina durch Gebete, zum Beispiel vor dem Essen, beim Zubettbringen oder beim unregelmäßig stattfindenden Familienrat. Sie wollen den Kindern ihren Glauben nicht aufzwingen, sondern wünschen sich, dass diese ganz frei einen positiven Zugang dazu erlangen.

BLOSS KEINE VERGLEICHE

Ob auch nach Kind Nummer neun noch Platz nach oben sei, möchte ich wissen. Beide Eltern schließen das nicht aus, erwähnen nur, dass altersbedingt ja irgendwann eine Grenze erreicht sei. Nach einem herzlichen Abschied muss ich mich auf dem Heimweg bemühen, mich nicht zu vergleichen. Mir ist sogar mein eines Kind schon manchmal zu viel. Ich freue mich total für diese tolle Familie und bin überzeugt, dass jeder von ihnen genau am richtigen Platz ist und die beiden Eltern einfach eine Gabe für das Kleinunternehmen Großfamilie haben.

Anna Koppri liebt es, durch ihren Schreibjob immer wieder Einblicke in die verschiedensten Lebensbereiche zu erhalten. Mehr von ihr auf: liebenlernenblog.wordpress.com

Inzwischen ist bei Familie Müller Kind Nr. 9 dazugestoßen: Mit Adele Johanna sind nun die Mädchen in der Überzahl.

Meinem Schulkind helfen

„Mein Kind ist gerade in die Schule gekommen. Wie kann ich es unterstützen?“

Verena drückt sich am Freitagmorgen ein Tränchen heraus und gibt sich untröstlich. „Jetzt sind schon wieder Ferien! Kannst du uns nicht doch Hausaufgaben geben?“, bettelt sie bei der geliebten Lehrerin, die entspannt am Pult sitzt und die Hefte der Kinder durchschaut. Mit „Ferien“ meint das Mädchen den langen Samstag und den langen Sonntag, an dem sie nicht weiter lernen darf.

Auch Fabian weint. Er sitzt in einer anderen Klasse in einer Stillarbeitsphase vor seinem Rechenheft. „Ich will diese Aufgaben nicht machen!“, jammert er laut und wirft sich schlapp auf den Schultisch, um eine Weile zu schmollen. Seine Lehrerin merkt davon nichts. Sie ist gerade damit beschäftigt, mit Vanessa deren Fibel zu suchen, die sich wieder einmal im Ranzen nicht auffinden lässt. Die Lernvoraussetzungen und die Reife, die Erstklässler in die Schule mitbringen, sind extrem unterschiedlich. Höchst verschieden sind auch die Gegebenheiten, die die Kinder in ihren jeweiligen Schulen vorfinden. Fast immer aber profitieren Schulneulinge davon, wenn sie von ihren Eltern gelassen unterstützt werden.

TIPPS VOM SCHULLEITER

Ich gebe als Schulleiter immer einige Tipps, die für jedes Kind gültig sind:

  • Bei allem, was Ihnen gefällt oder nicht gefällt, und bei allem, was Sie verstehen oder worüber Sie den Kopf schütteln: Sie als Eltern sollten sich stets hinter die Entscheidungen und die Vorgehensweise der Lehrkräfte stellen. Jedenfalls in Gegenwart Ihres Kindes. Denn Erstklässler vergöttern ihre Lehrer gern und für lange Zeit. Das gibt ihnen Sicherheit und Motivation. Beides sollten Eltern nur im Ausnahmefall stören. In der Schule geht es nicht immer gerecht zu. Es können auch nicht alle Kinder immer in der ersten Reihe sitzen.
  • Begrenzen Sie die Bildschirmzeiten Ihrer Kinder! Smartphones, Tablets und Spielekonsolen haben bei Grundschülern nichts zu suchen!
  • Stecken Sie Ihre Kinder so früh wie möglich ins Bett, gönnen Sie ihnen auch mal einen Mittagsschlaf. Im Schlaf werden alle Eindrücke und alles Gelernte verarbeitet und gespeichert.

ÜBERHÄUFEN SIE IHR KIND MIT BÜCHERN!

  • Lesen ist der Schlüssel für den schulischen Erfolg. Daher: Lesen Sie viel mit Ihren Kindern. Üben Sie mit ihnen Buchstaben und Silben. Lesen Sie ihnen vor. Überhäufen Sie sie mit Büchern.
  • Helfen Sie Ihren Kindern dabei, Ordnung im Ranzen und in den Schulmaterialien zu halten. Besuchen Sie die Elternabende, nehmen Sie Anteil, lesen und beachten Sie die schulischen Elternbriefe.
  • Gerade Jungen fangen schnell damit an, Grenzen zu suchen und zu erproben. Sie beleidigen ältere Schüler oder verstecken sich während des Unterrichts auf der Schultoilette. Die Konsequenzen sollten sie dann tragen müssen, ohne dass Sie als Eltern gleich händeringend zum Telefon greifen.
  • Hausaufgaben werden anfangs in der Nähe der Mutter oder des Vaters an einem ruhigen Ort gemacht.

Insgesamt: Bleiben Sie entspannt! Nicht alle Kinder können den schulischen Erwartungen in gleicher Weise entsprechen. Manche können schon an Weihnachten lesen, andere erst später.

Johannes Köster ist Leiter der Primarstufe an der Freien Christlichen Schule Ostfriesland. Er lebt mit seiner Frau und zwei Kindern im Landkreis Leer.
Illustration: Sabrina Müller, sabrinamueller.com