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Mit Kindern streiten: Auf diese fünf Punkte kommt es an

Gerade Konflikte mit den eigenen Kindern fordern Eltern stark. Um sie gut zu meistern, braucht es laut dem Therapeuten Daniel Gulden vor allem eines: Da sein.

Kennen Sie …

  • … lautstarken Zoff mit dem 14-Jährigen, der stundenlang vor dem PC sitzt und mit Freunden zockt? Und jede Ihrer Reaktionen sorgt für schlechte Stimmung?
  • … endlose Diskussionen mit der 13-Jährigen, die nicht einsehen will, dass sie um 22 Uhr zu Hause sein muss?
  • … Diskussionen mit dem 8-Jährigen, der sich konsequent weigert, seine Hausaufgaben zu machen?
  • … gegenseitige Vorhaltungen und Vorwürfe der Eltern, weil man sich nicht einigen kann, was für die 3-Jährige in Sachen Essen richtig, wichtig und angemessen ist?

Erziehung gleicht einem Marathon. Oft machen sich Ohnmacht, Wut oder Resignation breit. Gute Vorsätze von liebevoller, verständnisvoller und partnerschaftlicher Erziehung sind wie weggeschmolzen. Wie kann Erziehung heute gelingen?

Die Psychologen Haim Omer und Arist von Schlippe beschreiben dies in ihrem Konzept der „Neuen Autorität“. Die Grundprämisse lautet: „Ich kann dich nicht zwingen, aber ich bleibe beharrlich.“ Ihr Ziel ist es, Eltern in unterschiedlichen Situationen zu unterstützen, „präsent“ zu bleiben oder die in Schieflage geratene Beziehung wiederherzustellen und zu entwickeln. Und zwar so, dass Eltern weder die eigene Position aufgeben noch mit Drohungen oder Strafen die Beziehung zu ihrem Kind gefährden. Dabei steht der Begriff der „Präsenz“ im Mittelpunkt. Präsenz beschreibt das äußere und innere Reagieren der Eltern auf das Verhalten des Kindes.
Präsenz ist die Folge innerer Haltungen, die Omer und von Schlippe so beschreiben:

  • Ich bin da! Ich bin an dir interessiert! Ich lasse mich nicht abschütteln! Ich möchte mit dir im Kontakt bleiben.
  • Ich bleibe da – auch wenn es (gerade) schwierig ist.
  • Ich kämpfe nicht gegen dich, sondern setze mich für eine wohlwollende Beziehung zu dir ein.
  • Ich kann dich nicht kontrollieren, aber ich kann und werde beharrlich bleiben.
  • Ich bleibe nicht allein.

So zeigt sich Präsenz

Aus diesen Haltungsaspekten, die in Präsenz sichtbar werden, haben Martin Lemme und Bruno Körner sechs Dimensionen formuliert, die den Begriff der Präsenz näher erläutern. Bevor Sie weiterlesen: Erinnern Sie sich an eine sich wiederholende oder einmalige schwierige Erziehungssituation. Eine Situation, in der Sie nicht so handeln konnten, wie Sie wollten. Oder in der Sie mit Ihrem Handeln oder dem Ergebnis unzufrieden waren. Ich lade Sie ein, sich diese konkrete Situation bei den folgenden Punkten jeweils vor Augen zu führen, um sie durch die Brille Ihrer Präsenz zu betrachten. Folgende Dimensionen sind dabei wesentlich:

1. Ich bin da und bleibe da.

Erinnern Sie sich: Wo genau waren Sie in diesem Konflikt? Welche Körperhaltung hatten Sie? Hat sich Ihre Körperhaltung verändert? Wie hoch war die Geschwindigkeit des Konfliktes – im Reden und Handeln? Waren Sie vielleicht abgelenkt und mit etwas anderem beschäftigt oder waren Sie ganz da?

Körperliche Präsenz beschreibt die Qualität und die Quantität der körperlichen Anwesenheit der Eltern. Dies ist geprägt durch drei Aspekte: (1) Körperliches Wohlbefinden – Eltern spüren ihre Kraft, fühlen sich wohl und stabil. (2) Geistige Klarheit – Eltern sind nicht abgelenkt. (3) Bereitschaft, sichtbar zu werden – Eltern suchen den Kontakt mit dem Kind.
Oft vermeiden Eltern aus Angst vor Konflikten kritische Situationen. Dies jedoch intensiviert die schwierige Situation. Um Körperpräsenz zu halten, ist es wichtig, gerade in kritischen Situationen einen wohlwollenden und beziehungsfördernden Kontakt zum Kind zu suchen. Dadurch zeigen Eltern: „Ich bin da – und bleibe da.“ Gleichzeitig sollte das elterliche Auftreten geprägt sein durch Zuwendung, Unterstützung und Beziehung.

Fragen zur Reflexion:

  • In welchen Momenten erlebe ich meine Energie wie und wo im Körper?
  • Bin ich in der Lage, mich ganz auf mein Kind zu konzentrieren – ohne Ablenkung?
  • Bin ich in kritischen Situationen für mein Kind sicht- und erlebbar?
  • Welche Botschaften sende ich durch meine Stimme, Körperhaltung und Mimik?

2. Ich kann handeln.

Erinnern Sie sich: Hatten Sie das Gefühl, wirksam und erfolgreich handeln zu können? Konnten Sie gegebenenfalls auf alternative Handlungsweisen (Plan B oder C) zurückgreifen?

Handlungspräsenz oder pragmatische Präsenz beschreibt die Fähigkeit der Eltern, in kritischen Momenten handlungsfähig zu bleiben und/oder verschiedene Handlungsweisen parat zu haben. Hilfreich ist es, wenn Eltern ihr Handeln unabhängig vom Verhalten des Kindes gestalten können. In manchen Situationen wissen Eltern oft nicht, wie sie konkret wirksam handeln können, oder sie haben nur eine Lösung parat, die jedoch vom Handeln des Kindes abhängt. Dadurch entstehen entweder überhitzte Konflikte, die mit Zwang und Drohung einhergehen, oder Resignation: Eltern schmeißen die Flinte ins Korn.

Eltern können ihre Handlungspräsenz stärken, wenn sie auf wiederkehrende kritische Momente einen Wenn-Dann-Plan für das eigene Verhalten erstellen. So ein Wenn-Dann-Plan könnte lauten: „Wenn ich mich durch das Verhalten des Kindes unter Druck fühle, achte ich auf meinen Atem und verringere mein Sprechtempo.“ Sollten Eltern von einem Verhalten überrascht werden, können sie sich vornehmen, nicht sofort und endgültig zu entscheiden, sondern ihre Reaktion aufzuschieben und zu vertagen.

Fragen zur Reflexion:

  • Wann erlebe ich eine hohe Handlungspräsenz? Wann eine niedrige?
  • Fühle ich mich in meinem Handeln sicher und wirksam? Verfüge ich über verschiedene Handlungsmöglichkeiten?

3. Ich habe meine Emotionen im Blick.

Erinnern Sie sich: Wie emotional haben Sie sich in der Situation erlebt? Konnten Sie Ihre Gefühle in dem Moment wahrnehmen und regulieren? Konnten Sie sich von den Gefühlen Ihres Kindes distanzieren?

Emotionale Präsenz beschreibt die Fähigkeit der Eltern, rechtzeitig aus Konflikten auszusteigen und die eigenen Gefühle und Reaktionen zu regulieren. Eltern handeln unabhängig von aufwallenden Gefühlen. Das heißt nicht, dass sie keine Emotionen mehr zeigen dürfen, sondern dass sie aus Emotionsspiralen aussteigen können. Folgende Schritte können hilfreich sein, um die emotionale Präsenz wiederherzustellen:

  • Aussteigen: Sollten in einem Konflikt „wunde Punkte“ angerührt werden und die Gefühle „hochkochen“, ist es hilfreich, sich und dem Gegenüber eine Pause zu gönnen. Dabei hilft es, durchzuatmen oder ein Thema bewusst aufzuschieben: „Ich höre, was du sagst. Ich bin damit nicht einverstanden. Ich mache mir Gedanken und komme darauf zurück.
  • Beruhigen: Eltern lernen Strategien, wie sie sich beruhigen können. Folgendes könnte dabei helfen: langsames (Aus-)Atmen, ein Spaziergang, Kontakt zu vertrauenswürdigen Menschen.
  • Darauf zurückkommen: In einem günstigen Augenblick sollten Eltern das Gespräch mit ihren Kindern wieder aufnehmen, um die Situation zu klären. Möglicherweise müssen sich Eltern auch bei ihrem Kind entschuldigen.

Fragen zur Reflexion:

  • Wie gelingt es mir, meine Emotionen rechtzeitig wahrzunehmen?
  • Inwieweit gelingt es mir, „heiße“ Situationen zu vertagen und auf günstigere Momente zu verschieben?
  • Was genau führt mich zum Verlust meiner Selbstkontrolle? Sind es immer wieder ähnliche Situationen?
  • Welche Möglichkeiten habe ich, mich selbst zu beruhigen? Was hilft mir dabei?

4. Ich handle, wie ich es will.

Erinnern Sie sich: Haben Sie in dieser Situation so gehandelt, wie Sie es wollten? Waren Sie im Nachhinein von Ihrem Handeln überzeugt? Wenn Ihnen ein Fehler unterläuft, wie gehen Sie dann mit sich um?

Überzeugungs-Präsenz meint das konkrete Verhalten der Eltern, das mit ihren Werten, Vorsätzen und Grundüberzeugungen übereinstimmt. Im Eifer des Alltags erleben Eltern immer wieder, dass das Handeln von den eigenen Werten und Vorsätzen abweicht. Dies führt dazu, dass sie sich selbst oder einander verurteilen und abwerten. Ihre Präsenz wird dadurch geschwächt. Eltern, die klare Grundüberzeugungen haben und wissen, wie sie diese im Alltag umsetzen können, erleben sich wirkungsvoll und zeigen Stärke. Zur Stärkung der Überzeugungs-Präsenz ist es hilfreich, sich seiner inneren Überzeugungen bewusst zu werden und diese positiv zu formulieren.

Fragen zur Reflexion:

  • Bin ich mit dem, was ich bisher tue oder getan habe, einverstanden? Oder stelle ich mein eigenes Handeln in Frage?
  • Ist das, was ich in kritischen Situationen tue, auch das, was ich tun will?
  • Inwieweit kann ich den Haltungen von Omer/von Schlippe (s.o.) zustimmen? Welche Haltung fällt mir leicht, welche schwer?

5. Ich bleibe nicht allein.

Erinnern Sie sich: Hatten Sie das Gefühl, auf ein unterstützendes Netzwerk zurückgreifen zu können, oder fühlten Sie sich allein? Wissen Sie, an wen Sie sich wenden können, wenn eine Situation brenzlig wird?

Unter systemischer Präsenz oder Wir-Präsenz versteht man das gegenseitig stärkende und unterstützende Handeln verschiedener Erziehungspartner: (getrennt lebende) Eltern, Tanten, Großeltern, Erzieherinnen, Lehrer … Alle Beteiligten bilden ein Bündnis für das Kind und gestalten eine positive Beziehung zum Kind.

Eltern erleben sich präsent, wenn sie durch ein gutes Netzwerk Unterstützung finden. Ein Netzwerk von Unterstützern funktioniert nur dann, wenn Offenheit, Wertschätzung und Echtheit das Miteinander prägen.

Fragen zur Reflexion:

  • Welche Menschen unterstützen mich in kritischen Situationen?
  • Wen könnte ich um Unterstützung bitten? Wie und wann gestalte ich die Kontaktaufnahme in der kritischen Situation?

6. Ich habe eine gute Absicht.

Erinnern Sie sich: Was war die Absicht Ihres Handelns? Ging es Ihnen um die Beziehung zum Kind oder darum, dass Sie sich durchsetzen? Wem hat Ihr Handeln gedient? Hatten Sie in der Situation die Entwicklung des Kindes im Blick?

Mit Absichtspräsenz beschreibt man den Fokus oder die Absicht des konkreten Handelns. Die Ausgangsfrage lautet: Welches Ziel verfolge ich durch mein Tun, und woran wird mein Kind dieses erkennen? Das oberste Ziel des Handelns ist die Herstellung einer stabilen und vertrauensvollen Beziehung. In schwierigen Situationen ist es herausfordernd, die Absicht des eigenen Handelns klar im Auge zu behalten.

So kann die Absichtspräsenz gestärkt werden:

  • Eltern erleben sich stärker, wenn sie eine „gute“ Absicht haben, die eine positive Beziehung im Blick hat. Eine destruktive Absicht führt durch Fremd- oder Selbstvorwürfe zumeist zu einer inneren Schwäche. Deshalb stärkt es die Absichtspräsenz, wenn Eltern dem Kind positive Beziehungsangebote machen und die Bereitschaft signalisieren, ihm zuzuhören. Sollte der Kontakt abgebrochen sein, ist die erste Frage: Wie komme ich mit meinem Kind neu in Kontakt?
  • Fehler sind unvermeidlich. Es zeugt von Stärke, wenn Eltern für ihr Fehlverhalten um Entschuldigung bitten können.

Fragen zur Reflexion:

  • Wem dient mein Handeln?
  • Welche Absicht verfolge ich in schwierigen Erziehungssituationen? Geht es um „Sieg und Niederlage“ oder um eine positive Beziehung zu meinem Kind?
  • An welchen Gesten oder Handlungen erlebt mein Kind diese Absicht?
  • Woran kann mein Kind erkennen, dass es mir am Herzen liegt und dass ich Interesse an ihm habe?

Daniel Gulden ist Systemischer Therapeut, Supervisor und Coach für (Neue) Systemische Autorität. Er ist verheiratet, hat drei Kinder und lebt in Kaisersbach: beziehungs-weise.biz

War’s das schon?

In der Midlife-Krise drängen wichtige Lebensthemen an die Oberfläche. Was hilft Paaren, damit klarzukommen? Wie kommen sie gut durch die Krise? Von Michael Hübner

Wolf Biermann beschrieb die Midlife-Krise schon 1977 in dem Lied „Das kann doch nicht alles gewesen sein“. War’s das wirklich schon?, fragt sich der Dichter. „Das bisschen Sonntag und Kinderschreien“? „Die Überstunden, das bisschen Kies, und abends in der Glotze das Paradies“? Müsste nicht eigentlich noch etwas Entscheidendes kommen oder wurde es bereits verpasst?

Midlife-Krise ist nachgewiesen

Zuerst wurde die Midlife-Krise belächelt. Mittlerweile ist sie allerdings wissenschaftlich belegt. Sie ist weder eine Krankheit noch Einbildung. Weder ist man „unmöglich“, noch kann man sich „einfach zusammenreißen“. Sie kann jeden in der sogenannten Lebensmitte treffen, also zwischen 45 und 55. Manche beziffern ihren möglichen Beginn sogar schon auf Mitte 30. Den einen treffen die typischen Gedanken dieser Krise wie ein plötzlicher Schock. Andere beschleicht langsam ein nagender Zwiespalt: Weiter so? Oder: Soll das schon alles gewesen sein?

Schlafstörungen, sexuelle Unlust, …

Weil wichtige Lebensfragen jahrelang verdrängt wurden, können sie mit Macht dann plötzlich und unerwartet aufbrechen. Sowohl Männer als auch Frauen sind betroffen und die Krise läuft bei Paaren eben nicht synchron. Hormone auch im männlichen Körper flachen langsam ab. Das kann sexuelle Unlust und Erektionsstörungen zur Folge haben. Aber unsere Hormone beeinflussen eben auch unser Fühlen, Streben und Verhalten. Männer und Frauen sind plötzlich sehr reizbar, leiden unter Schlafstörungen, fühlen sich abgeschlagen und müde.

Torschlusspanik macht sich breit

Manche Ehepartner stürzen sich in dramatische Abenteuer, getrieben von Minderwertigkeitsgefühlen. Torschlusspanik macht sich breit. Man will noch einmal alles haben und erleben, worauf man bisher verzichten musste: das heiß ersehnte Cabrio, die große Reise, sexuelle Abenteuer. Plötzlich zieht ein Familienvater in das Haus seiner Nachbarin, eine Frau verliebt sich in den Gruppenleiter oder in den Chef …

Leben aneinander vorbei

Wieder andere wechseln überstürzt den Job, wollen im Ausland das große Geld machen oder bestellen einen Termin beim Schönheitschirurgen. Und das Erschreckende: Dies alles geschieht nicht selten am Partner vorbei. „Ich habe plötzlich einen ganz anderen Menschen vor mir!“, sagen mir Eheleute in der Beratung. „Er spricht anders“, „Sie kleidet sich anders, macht alles anders“. Unerkannt bleibt, dass beide schon lange aneinander vorbei lebten. Sein Einfluss auf das Verhalten des anderen ist jetzt gleich Null. Der andere scheint nicht mehr erreichbar. Deutlich wird: Auf der Suche nach Erfüllung soll alles kompromisslos und schnell gehen.

Wie kommt es, dass es manchen Ehen gelingt, sich durch die Stürme der Midlife-Krise hindurch in ruhigere Gewässer zu retten, während andere daran zerbrechen? Fünf entscheidende Eckpunkte sollen dazu genannt werden. Ich möchte sie an dieser Stelle als lange hilfreiche Erfahrung aus der Eheberatung weitergeben:

1. Machen Sie sich die biologischen Zusammenhänge bewusst.

Die Midlife-Krise hat zunächst mit unseren körperlichen Abläufen zu tun. Panik um die zerrinnende Zeit, das tiefe Bewusstsein um die Unumkehrbarkeit der Vergangenheit fordert uns jetzt, die Verantwortung für diese Lebensphase, diese Krise zu übernehmen und die eigene Einstellung, nicht die des anderen, zu überdenken.

2. Vermeiden Sie Machtkämpfe!

Nichts führt so sehr in die Sackgasse jeder Beziehung wie Machtkämpfe. Woran sind Machtkämpfe zu erkennen? Es geht bei ihnen um Sieger oder Verlierer, richtig oder falsch, besser oder schlechter, oben oder unten. Das Denken kreist dabei darum, den anderen von der eigenen Richtigkeit und dessen Unrichtigkeit zu überzeugen. Man will ihn auf diesem Weg um jeden Preis verändern. Diese Haltung führt meist ins Gegeneinander, nicht ins Miteinander. Es entsteht ein „Ehekrieg“. Aus ihm auszusteigen, heißt, zu deeskalieren, „den Anker zu werfen“, dem anderen mitunter, wo es irgend geht, mit Nachdruck auch recht zu geben. Vor allem aber geht, es darum, dass jeder von sich selbst redet, von seinen eigenen Überzeugungen, seinem Empfinden und Erleben, seinen Gefühlen und seinen Wünschen, ohne sich über den anderen zu stellen oder ihn verändern zu wollen.

Erst nur Mauern

An dieser Stelle ein Blick in unsere Ehe: 2010 erzählte mir meine Frau von einer Idee. Sie würde gerne mit mir zusammen ein Sabbatical nehmen und ins Ausland gehen. Wenn ich nicht mitwollte, würde sie auch allein gehen. Fassungslos sah ich zunächst nur Unmöglichkeiten: Wie sollten wir das ohne schwere finanzielle Verluste meistern? Das Haus musste weiter abgezahlt, die Rente eingezahlt, der Arbeitgeber überzeugt, die Arbeit verteilt, den Mitarbeitern diese Planung klargemacht werden. Nein, nein, nein.

Plötzlich Möglichkeiten

So etwa ging es mir, bis ich über die Sache betete. Langsam gelang es mir, nicht mehr zu „mauern“. Lagen darin nicht auch Chancen? Jetzt konnte ich ihr Fragen stellen: „Warum möchtest du das gerne machen? Wie hast du dir das genau vorgestellt? Was bedeutet das für uns beide? Wie können wir das zusammen gestalten?“ Und schließlich, Stück für Stück, öffnete Gott, fast wundersam, alle Wege in diesem Gestrüpp der Undenkbarkeiten. Möglichkeiten in Kenia eröffneten sich. Rückblickend entstand gerade daraus für viele ein großer Segen bis heute, zum Beispiel unsere Hilfsorganisation „TS-Care“ für notleidende Familien in den Slums von Nairobi, und unser gerade erschienenes Ehebuch („Der Kick für die Partnerschaft“).

3. Wer jetzt überlegt handelt, wird es später nicht bereuen.

Wie immer kommt es nicht auf die Tatsachen an, die wir erleben, sondern darauf, wie wir mit diesen Tatsachen verantwortlich umgehen (nach Epiktet, Handbüchlein der Moral, S. 11). Paare können sich jetzt durch Worte, Verhalten, Rückzug oder Trennungsgedanken gegenseitig zutiefst verletzen. Eine „Aufbruchsstimmung“ muss allerdings nicht zur Katastrophe werden. Wir können diese Zeit als Herausforderung erleben. Wir können neue Wege einschlagen. Sie „kann als zweiter Frühling empfunden werden, als willkommener Neustart, als Drücken des ‚Reset‘-Knopfs für das eigene Leben“, so Redakteurin Kristina Kreisel bei FOCUS Online. Durch solche Krisen können Paarbeziehungen eben auch ganz neu reifen.

Jetzt geht es darum, beim anderen um eine gemeinsame Horizonterweiterung, um Veränderungen im Kleinen zu werben. Manche Paare suchen ein neues verbindendes Hobby oder machen gemeinsam Sport, gehen miteinander tanzen oder planen interessante Reisen.

Über sexuelle Vorstellungen reden

Ungesunde Umstände und Angewohnheiten können und sollten jetzt geändert werden. Vielleicht geht es auch darum, sexuelle Vorstellungen zu besprechen und in der Ehe auszuleben. Beginnen Sie die gemeinsamen Umgestaltungen im Kleinen und durchbrechen Sie eingefahrene Routinen wieder mit mehr Abenteuerlust. Reden Sie zusammen darüber, wie Ihr Leben aussehen könnte, wenn die nächste Lebensphase in 5, 10 oder 20 Jahren beginnt.

Auch gute Beziehungen und Freundschaften sind für jedes Paar elementar. Ein Paar, das sich nicht isoliert, sondern gut eingebettet weiß in eine Gemeinschaft, lebt gesund. Ich habe es oft erlebt, dass Paare es geschafft haben, gerade durch solch eine Krise zu einer gesunden, guten Änderung und Erneuerung ihrer Beziehung zu kommen.

4. Liebe ist eine Entscheidung!

Kämpfen Sie immer um das gemeinsame Wir! Mag sein, dass auch in Ihrer Ehe die „Schmetterlinge im Bauch“, Verliebtheitsgefühle und Romantik auf der Strecke geblieben sind. Auf Grundlage einer immer wieder neuen Entscheidung füreinander können Sie dennoch immer wieder entstehen.

5. Die beste Prophylaxe: Rituale

Wenn Sie längst vor der Krise hohen Wert auf Beziehungsriten gelegt haben, werden Sie langfristig positive Folgen ernten. Nehmen Sie sich regelmäßig Zeit für eine gemeinsame Tasse Kaffee. Auch der feste Termin für ein wöchentliches, etwa halbstündiges Ehe-Meeting unter dem Vorzeichen: „Wir wollen unser Projekt Ehe miteinander zum Ziel führen“, ist vielen gestressten Paaren zur Hilfe geworden. Impulse für solche Gespräche haben wir in unserem Buch zusammengestellt. Planen Sie ein jährliches Wochenende zu zweit, den Besuch eines Eheseminars oder -vortrags und natürlich regelmäßige gegenseitige Überraschungen und Freuden.

Und: Gehen Sie immer den ersten Schritt auf den anderen zu! Zeigen Sie einander Ihre Liebe im Alltag und strahlen Sie den anderen öfter mal wieder an, wenn er den Raum betritt.

Dr. (UNISA) Michael Hübner ist verheiratet mit Utina. Die beiden haben fünf erwachsene Kinder. Er ist Leiter der Beratungsstelle Therapeutische Seelsorge, Neuendettelsau.

„Ich liebe einen schwierigen Menschen“

Manche Menschen zerstören durch ihr Verhalten auf Dauer jede nahe Beziehung. Kann man mit ihnen zusammenleben? Von Jörg Berger

Manchmal wird es in einem einzigen Augenblick ganz deutlich: „Was mein Partner tut und sagt, ist nicht normal.“ In diesem Moment bricht ein Damm aus Beschönigungen und Entschuldigungen. Eine Flut schmerzlicher Einsichten spült alte Gewissheiten fort. Die Erkenntnis verändert die gesamte Sicht, und das Leben steht unter Wasser. Dem eigenen Umfeld kann man kaum erklären, was da passiert. Schließlich sind Freunde und Verwandte auch davon ausgegangen, dass alles weitgehend in Ordnung ist. Oder haben sie bereits alles geahnt und nur aus Taktgefühl geschwiegen?

Was bitte ist normal?

Doch wie soll man mit Sicherheit sagen können: „Mein Partner ist schwierig.“ Haben nicht beide ihren Anteil? In etwa 90 Prozent aller Paarbeziehungen ist es auch eine gute Regel, dass sich jeder am besten an die eigene Nase fassen sollte. Doch in etwa zehn Prozent der übrigen Paarbeziehungen führt das nicht weiter. Die Lebensweisheit, dass immer beide schuld sind, verdeckt dann eine schmerzliche Wahrheit, denn es gibt Menschen, die sich in nahen Beziehungen so verhalten, dass mit ihnen ein Zusammenleben konfliktreich und frustrierend ist. Es gibt extreme Verhaltensmuster, die in einer Paarbeziehung schwer erträglich sind. Folgende kommen am häufigsten vor:

Dominanz und Kontrolle. Ein Partner versucht, das gemeinsame Leben weitgehend allein zu bestimmen. Er verwickelt den anderen in zähe Machtkämpfe, wenn dieser mitbestimmen will. Es kommt häufig zu Grenzüberschreitungen: zum Versuch, das zu beeinflussen, was eindeutig in der Entscheidungsfreiheit des anderen liegt. Auch übermäßige Kritik kann ein Mittel von Kontrolle sein.

Verschlossenheit. Ein Partner zieht sich bei Konflikten zurück und verweigert sich emotionaler oder sexueller Nähe. Vielem, was andere Paare gemeinsam tun, entzieht sich der verschlossene Partner ebenfalls.

Verantwortungsflucht. Ein Partner vernachlässigt den Einsatz für das Familieneinkommen, den Haushalt oder die Kindererziehung in schwerwiegender Weise. Er kümmert sich kaum um die eigene Entwicklung und auch nicht um die Paarbeziehung.

Aggression. Ein Partner kann seine Aggression nicht zurückhalten, die sich in lautem Streit, Beleidigungen, Abwertungen, Drohungen, Gewalt oder Racheakten entfesselt.

Sucht. Sie ist ein Sonderfall schwierigen Verhaltens. Ein Suchtmittel wie Alkohol wird zunehmend zum Mittelpunkt des Lebens, und für Partnerschaft und Familie fallen nur noch Reste ab. Hier ist es die Macht der Sucht, die einen Partner schwierig macht, der, abgesehen davon, ein umgänglicher Mensch sein kann.

Ein sicheres Unterscheidungskriterium findet sich außerhalb der Paarbeziehung. Ein schwieriger Partner hat entweder keine nahen Beziehungen außerhalb der Partnerschaft oder es treten ähnliche Probleme wie in der Paarbeziehung auf, sobald Beziehungen näher und verbindlicher werden. Wenn Sie solche Differenzen im Umfeld Ihres Partners feststellen, dann ist die Diagnose eindeutig: „Nicht ich bin schwierig, sondern ich liebe einen schwierigen Menschen.“

Was kann ich tun, damit sich mein Partner ändert?

Partner von schwierigen Menschen suchen meist erst nach leidvollen Jahren eine Seelsorge, Beratung oder Psychotherapie auf. Oft stellen sie eine Frage, auf die es nur eine ernüchternde Antwort gibt. Sie fragen: „Was kann ich tun, damit sich meine Frau/mein Mann anders verhält?“ – „Nichts“, müssen Fachleute dann ehrlich sagen. „Ändern kann sich nur jeder selbst.“ Schwierige Partner sind nicht bereit, in eine Paarberatung oder -therapie zu gehen. Wenn sie dies tun und ernsthaft mitarbeiten, dann stimmt die Einschätzung „schwierig“ nicht, denn dass sie sich nicht korrigieren lassen, ist ein charakteristisches Merkmal schwieriger Menschen. Wenn sich schwierige Partner unverhofft doch selbst in Beratung oder Therapie begeben, ist das eine Chance. Ich kenne jedoch auch Fälle, in denen schwierige Menschen ihre Probleme und Lebenssituation in der Therapie verschleiert haben. Gestärkt von der persönlichen Begleitung leben sie dann ihre unguten Muster umso selbstbewusster aus: „Ich habe gelernt, mich abzugrenzen.“ – „Ich muss auch einmal für mich selbst sorgen.“

Im Zusammenleben mit einem schwierigen Menschen müssen sich betroffene Partner ihrer Ohnmacht stellen: „Selbst wenn ich mich auf der Stelle in eine Heilige/einen Heiligen verwandle, wird das am schwierigen Verhalten meines Partners nichts ändern.“ Als Ausweg öffnen sich drei Wege: eine Trennung als letzte Konsequenz ins Spiel bringen, ein Gleichgewicht aus Unabhängigkeit und Einsatz finden oder die Selbstaufopferung in der Bindung an Gott.

Der erste Weg: Die Trennung als letzte Konsequenz

Für diesen Weg entscheiden sich heute viele, die jahrelang unter einem schwierigen Ehepartner gelitten haben. Sie gehen ihn allerdings zu spät, dann nämlich, wenn sie mit der Beziehung bereits abgeschlossen haben. Es gibt schwierige Menschen, die tatsächlich den Weg der Veränderung suchen, wenn eine Trennung droht. Etliche habe ich in dieser Situation schon begleitet. Aber ihr ernsthaftes Bemühen und ihre Fortschritte nützen manchmal nichts mehr. Sie klopfen wieder beim Partner an. Aber die Tür bleibt verschlossen.

Wenn man dem Partner mit Trennung droht, dann sollte man das früh genug tun, zum Beispiel mit einer Haltung wie dieser: „Ich bin nicht mehr bereit, deine Verschlossenheit zu ertragen. Unser gemeinsames Leben kann man schon längst nicht mehr Ehe nennen. Wenn sich im nächsten halben Jahr nichts ändert, werde ich mich trennen. Zunächst in der Hoffnung auf Änderung, wenn nötig, auch endgültig.“

Ich habe Ethikpapiere unterschiedlicher Kirchen zu diesem Thema studiert. Keines sieht die Ehe als einen Freibrief für einen Partner, sich gehen zu lassen. Keines bindet Menschen in einer bereits gescheiterten Ehe fest. Wenn der veränderungsbereite Partner alle Möglichkeiten ausgeschöpft hat, tragen Kirchengemeinden aller Denominationen einen Weg der Trennung mit. Besonders bei Aggressionsdurchbrüchen, sadistischem Verhalten, schwerer Verantwortungsflucht und Suchtverhalten wird man Mitstreiter finden, die auch helfen, die praktischen Auswirkungen einer Trennung aufzufangen. Vielleicht ist das aber gar nicht nötig, weil dem schwierigen Partner am Ende die Ehe doch wichtiger ist als das Beharren auf seinen Eigenarten, wie auch im folgenden Fall.

Rainer hat sich von der Sexualität zurückgezogen, weil er sich von Leonore kritisiert gefühlt hat. Seit Jahren gibt er kaum noch etwas preis, behält seine Gedanken und Gefühle für sich. Dafür öffnet er sich einer Arbeitskollegin. Rainer gibt sich gar keine Mühe, die Innigkeit mit ihr zu verbergen. Als Leonore nachfragt, räumt er Komplimente, Umarmungen und französische Begrüßungsküsschen ein. „Mir gibt das viel“, sagt Rainer.

Nach einem halben Jahr hat Leonore genug. Sie ist zur Trennung entschlossen, wenn Rainer sich nicht von der Kollegin distanziert. Einige Wochen steht die Zukunft auf der Kippe, dann gibt Rainer nach. Dadurch wird der Alltag auch wieder angenehmer. Leonore und Rainer kommen besser ins Gespräch, die Unternehmungen als Familie machen wieder Freude.

Der zweite Weg: Einsatz bringen und sich unabhängig machen

Es gibt Partner von schwierigen Menschen, die für sich einen zweiten Weg entdeckt haben: Sie investieren in ihre Ehe und grenzen sich gleichzeitig ab, wo es nötig ist. Man kann ihre Ehe in drei verschiedene Bereiche unterteilen: Den ersten Lebensbereich, in dem es trotz allem schön ist, können sie genießen und ausbauen. Dann gibt es einen zweiten Bereich, der nur dann gut läuft, wenn einer einseitig investiert, zum Beispiel einseitig Gelegenheiten zu Nähe sucht und nutzt. Solche Beziehungsbereiche können dann schön und befriedigend sein, wenn man die Einseitigkeit akzeptiert und sich nicht daran aufreibt, dass vom anderen nichts zurückkommt. Drittens gibt es die Beziehungsbereiche, die auch dann nicht schön werden, wenn einer einseitig investiert, weil der andere Partner hier zu stark blockiert. In diesen Bereichen kann man sich unabhängig machen.

Wenn ein Partner zum Beispiel nicht reden will, wird der andere seine Freundschaften vertiefen und dafür auch Zeit einsetzen, die andere mit ihrem Partner verbringen. Das kann man so vertreten: „Eigentlich hätte ich lieber mit dir mehr vertrautes Gespräch. Wenn das aber nicht möglich ist, verbringe ich diese Zeit lieber mit Freunden.“ In einer anderen Situation kann Unabhängigkeit so klingen: „Du drohst mir und beleidigst mich gerade. Wenn du das tust, brauche ich Abstand. Ich werde die Zeit bis zum Wochenende mit den Kindern bei meinen Eltern verbringen.“ Akzeptanz und Loslassen sind hier die Schlüssel, die eine glückliche Ehe ermöglichen, auch wenn im Vergleich zu anderen Ehen vielleicht Wichtiges fehlt.

Leonore steht vor einer weiteren Entscheidung. Wie stellt sie sich zu Rainers sexueller Verweigerung? Eine Paarberatung lehnt er ab, und tiefer gehende Gespräche sind nur alle paar Monate möglich, wenn Rainer einmal sehr gelöst ist. Soll sie noch mal alles aufs Spiel setzen, um ihren Mann hier in Bewegung zu bringen? „Nein“, entscheidet Leonore, „auf keinen Fall, solange die Kinder uns als Eltern brauchen.“ Stattdessen entschließt sie sich zu Unabhängigkeit. Sie öffnet sich gegenüber ihren besten Freundinnen: „In manchem habe ich es sehr gut mit Rainer, aber als Frau muss ich mit unerfüllten Bedürfnissen leben.“ Es tut gut, sich nicht mehr verstecken zu müssen. Außerdem entschließt sich Leonore zu einer anspruchsvollen Fortbildung. Rainer meckert manchmal, weil sie nun viel außer Haus ist und sich oft zum Lernen zurückzieht. Rainer scheint jedoch zu ahnen, dass sie hier eine Erfüllung sucht, die ihr mit ihm fehlt. Letztlich unterstützt er sie bei ihrer Fortbildung.

Der dritte Weg: Eine selbstaufopfernde Liebe

Wenn ich mit Betroffenen nach Wegen suche, stelle ich auch diesen dritten Weg vor. Es ist ein spiritueller Weg, den zum Beispiel Menschen in der Nachkriegsgeneration gegangen sind. Hier sind mir einige Beispiele bekannt. Betroffene haben in einer schwierigen Ehesituation alle Wünsche losgelassen: nach Sicherheit, nach emotionaler und intimer Erfüllung, nach Wertschätzung und Respekt. Stattdessen haben sie sich entschlossen, ihrem Partner zu dienen und ihn zu lieben, ganz gleich, wie sich dieser verhält. Dies ist keine erotische Liebe mehr, sondern eine Nächstenliebe oder sogar Feindesliebe. Das geht freilich nur, wenn Betroffene ihre Bedürfnisse in eine tiefe Gottesbeziehung einbringen wie es Menschen tun, die im Zölibat leben. (Die Nachkriegsgeneration ist auch die letzte, die in größerer Zahl zu einem zölibatären Leben befähigt war.) Ein solcher Weg entspannt eine schwierige Beziehung oft. Mit den Jahren bessern sich schwierige Partner angesichts einer überraschenden und bedingungslosen Liebe.

Dieses Happy End fand die Beziehungsgeschichte von Marga und Heinz-Dieter. Sie blieben kinderlos und dies auch wegen Margas Alkoholproblem. Nüchtern war Marga über viele Ehejahre kaum zu ertragen. Sie war nervös und selbstbezogen. Die meiste Hausarbeit fiel Heinz-Dieter zu, Marga fehlte im Umgang mit ihm jedes Taktgefühl und jede Bereitschaft, seine Bedürfnisse wahrzunehmen. War es Bequemlichkeit oder sein Wachstum im Glauben, die Heinz-Dieter bei Marga hielten? Es war wohl beides. Mit der Entschlossenheit eines Liebenden verschlang Hans- Dieter geistliche Literatur, besuchte Exerzitien und brachte sich ins kirchliche Leben ein. Er gewann dort die Liebe, Ruhe und Großzügigkeit, die er zuhause verschenkte. Als Marga wegen des Trinkens ihren Job verlor, zwang sie das in eine Therapie. Marga reifte über die Jahre. Weil Hans- Dieter sie nicht verurteilte, konnte sich Marga für die Tatsache öffnen, dass sie ihrem Mann manches schuldig blieb. Sie lernte, fürsorglicher und aufmerksamer zu sein, was ihr je nach Tagesform manchmal besser, manchmal schlechter gelang. Rainer brachte die Entwicklung so auf den Punkt: „Eigentlich führen wir eine recht glückliche Ehe.“

Einen Weg aus Überzeugung gehen

Das Zusammenleben mit einem schwierigen Partner zieht Betroffene in einen Strudel der unterschiedlichsten Gefühle. Daher wechseln sie häufig ihre Strategie: Selbstaufopferung schlägt in eine Trennungsdrohung um, dem folgen Beschönigungen und dem wiederum der Versuch, dem Partner ins Gewissen zu reden. Diese wechselnden Verhaltensweisen heben nicht nur ihre Wirkung gegenseitig auf, sie erzeugen auch eine Verwirrung darüber, wo die Probleme liegen und wie es um die Paarbeziehung steht.

Deshalb sollte man sich nach reiflicher Überlegung für einen Weg entscheiden und diesen konsequent durchhalten. Nur dann helfen die genannten Strategien. Wer in der Beziehung den Halt verliert, muss ihn bei seinen tiefsten Überzeugungen finden. Wem das gelingt, der reift als Persönlichkeit und im Glauben enorm. Wenn ein schwieriger Partner dann doch zu einer Veränderung aufbricht, findet sich ein Glück in ungeahnter Tiefe.

 

Wenn Sie einen schwierigen Menschen lieben …

Es gibt Menschen, deren Charakter das Eheleben fast unerträglich macht. Ihre Partner sollten Folgendes beachten:

  • Suchen Sie die Schuld dafür, dass es nicht gelingt, echte Nähe zu Ihrem Partner herzustellen, nicht bei sich.
  • Schwierige Menschen lassen sich nicht ändern. Auch Sie können das nicht.
  • Investieren Sie in Bereiche, in denen Sie mehr Erfüllung finden als in Ihrer Ehe, zum Beispiel in Freundschaften, in die Karriere oder in Ihr geistliches Leben.
  • Suchen Sie nach einer Strategie, die für Sie funktioniert – drei mögliche Wege werden im Artikel beschrieben – und halten Sie mit großer Überzeugung daran fest. Ein ständiger Strategiewechsel wird Ihre Situation verschlimmern.

Jörg Berger ist Psychotherapeut in eigener Praxis. Er lebt mit seiner Familie in Heidelberg.

Zum Weiterlesen: Jörg Berger: „Stachlige Persönlichkeiten – Wie Sie schwierige Menschen entwaffnen“ Francke Verlag, Marburg.

Dieser Artikel ist erschienen in Family 1/16. Ein neuer Folgeartikel ist zu finden in der Ausgabe 5/20 von Family und FamilyNEXT.

Zur Vertiefung: Unter www.derherzenskompass.de/schwereliebe finden Sie einen Kurs des Autors zum Thema „Ich liebe einen schwierigen Menschen.“

 

Schauderhafte Horrorfilme

„Unser Sohn (16) guckt sich die schrecklichsten Horrorfilme an. Wir haben unsere Kinder im Glauben erzogen und nun das! Er sagt zwar, der Glaube sei ihm nicht egal, aber wie passt das zusammen? Auch, dass er diese schlimmen Spiele am Computer spielt?“

Ihr Sohn hat auf dem Weg zum Erwachsensein eine beträchtliche Entwicklung zu absolvieren. Er muss eine Persönlichkeitsstruktur aufbauen auf dem Weg zu einem kompetenten Individuum und zugleich verantwortungsvolle Rollen für seine soziale Integration trainieren – und das Ganze auch noch aus eigenem Antrieb für ein solides Selbstwertgefühl! Dazu gehört auch die Ablösung von den Eltern.

HINSEHEN UND FREIRAUM LASSEN

Er braucht Freiräume, um Erfahrungen machen zu können. Die Freiheit, Strategien zur Entspannung und Selbsterfahrung über Filme und Spiele zu entwickeln, seine Rolle innerhalb von Peergroups zu erkunden, letztlich auch, selbst Antworten auf Glaubensfragen zu finden. Diese Freiräume nehmen Sie ihm, wenn Sie ihn kleinschrittig kritisieren, belehren und korrigieren. Ihre Aufgabe als Eltern ist es, einen Mittelweg zwischen präsentem Hinsehen und Freiraum lassen zu finden. Nun legt Ihr Sohn ein Verhalten an den Tag, das Sie besorgt, da es mit Ihren Werten nicht übereinstimmt. Wird da nicht ausradiert, was das Kind an christlichen Werten und Normen in seinem Glauben aufgebaut hat? Ist das nicht sogar gewaltverherrlichend und steht damit im Widerspruch zum Glauben?

Bei Horrorfilmen ist das keineswegs so. Sie sind – das bestätigen Studien – sogar geeignet, das eigene Aggressivitätslevel zu senken. Das liegt daran, dass Horrorfilme aus der Opferperspektive gedreht werden. Das Töten ist und bleibt negativ besetzt. Der Reiz, die so genannte „Angstlust“, liegt darin, dass man als Zuschauer ausprobiert, was man an Angst aushalten kann, eine Lernsituation im geschützten Raum, denn nach dem Film ist alles beim Alten.

EGO-SHOOTER MACHEN NICHT ZUM KILLER

Auch Ego-Shooter, die ja den Spieler in die Täterperspektive setzen, führen trotzdem nicht automatisch zu erhöhter Gewaltbereitschaft. Auch das zeigen Studien. Häufig handelt der Spieler in konstruierten Notwehrsituationen, man kann also nicht pauschal von Killerspielen sprechen. Vielleicht können Sie mit diesen Informationen schon etwas entspannter mit dem Verhalten Ihres Sohnes umgehen. Das könnte helfen, seinen Interessen mit offener Neugier zu begegnen. Dies wiederum ist der beste Weg, sich als Eltern einen Eindruck davon zu verschaffen, was ihn antreibt, und herauszufinden, ob Handlungsbedarf besteht, weil er sich beispielsweise isoliert oder Suchtverhalten zeigt. Ob er zwischen Realität und Virtualität unterscheiden kann, merken Sie, wenn Sie sich von seinem Hobby erzählen lassen oder mal dabei zusehen oder sogar mitmachen.

Dennoch ist hier und da beharrliches und sachliches Aushandeln und Bestehen auf das Einhalten bestimmter Aufgaben in Schule und Haushalt nötig. Stimmt die Beziehung, lassen sich auch wieder Gespräche über den Glauben führen.

Sabine Vetter ist seit 41 Jahren mit Ekkehart verheiratet. Gemeinsam haben sie sechs erwachsene Kinder und 15 Enkelkinder.
Illustration: Sabrina Müller, sabrinamueller.com

„Unser Kind hört nicht“

„Unsere Tochter (6) tut nicht, was wir ihr sagen. Sagen wir ihr, sie soll den Tisch decken, rennt sie aufs Klo und schließt sich ein. Soll sie ihre Geschwister in Ruhe lassen, nimmt sie sie hoch. Wollen wir gehen, fängt sie wieder an zu spielen. Wie können wir ihr Verhalten ändern?“

Wenn Sie das Verhalten Ihres Kindes verändern möchten, ist es notwendig zu überlegen, warum sich Ihr Kind ständig widersetzt. Dabei spielen die elementaren Bedürfnisse Ihres Kindes eine wichtige Rolle.

Grundlegend brauchen Kinder die absolute Sicherheit, dass sie als ganze Person geliebt und angenommen sind. Diese Liebe müssen Kinder immer wieder mit allen Sinnen erleben und das unabhängig von Konflikten und Brennpunkten, die das ganz normale Familienleben so mit sich bringen. Das erfordert von Eltern einen aufmerksamen Blick für ihr Kind und ein Stück Selbstreflexion. Gibt es in Ihrer Familie oder in Ihrem Umfeld eine große Veränderung, die Ihr Kind verunsichern könnte? Erleben Sie entspannte und fröhliche Familienzeiten? Haben Sie als Vater und Mutter ausreichend Ruhe und Energie für Ihr Kind? Ist sich Ihr Kind Ihrer Liebe sicher?

WEGE AUS DER MACHTKAMPF-FALLE

Haben Kinder mit inneren Nöten zu kämpfen, zeigt sich das häufig an ihrem Verhalten. Manche Kinder ziehen sich zurück, andere reagieren aufmüpfig und provozieren mit ihrem Verhalten. Vielleicht trägt Ihre Tochter irgendeine Verunsicherung oder Belastung in sich, die zu einem solch provokanten Verhalten führen könnte.

Gleichzeitig brauchen Kinder Eltern, die ihnen Orientierung und einen Rahmen für das Zusammenleben geben. Sagen Eltern nicht klar, was sie möchten, muss das Kind an den Reaktionen der Eltern ablesen, was in Ordnung ist und was nicht. Wenn sich ein Kind dann unangemessen verhält, reden sich Eltern häufig den Mund fusselig und landen in der Machtkampf-Falle. Mit vielen Worten versuchen sie ihr Kind zur Einsicht zu bewegen, doch leider selten mit Erfolg. Statt einer Lösung sind Gefühle des Ärgers und der Hilflosigkeit und vielleicht auch Tränen auf beiden Seiten die Folge.

ERWARTUNGEN KLAR FORMULIEREN

Um das zu verhindern, sollten Eltern in einer entspannten Atmosphäre erklären, was sie erwarten, und sich überlegen, wie sie handeln können, wenn sich das Kind nicht daran hält. So macht es die wichtige Erfahrung, dass es nicht ohne Folgen bleibt, wenn es die Geschwister ärgert oder sich vor Aufgaben drückt. Fragen Sie sich: Weiß Ihr Kind, welche Regeln in Ihrer Familie gelten? Wurden diese klar formuliert? Wie haben Sie bisher auf das Nichthören Ihres Kindes reagiert? Könnte es eine Hilfe sein, in einem Familiengespräch diese grundlegenden Regeln zum Essen oder Umgang mit den Geschwistern zu besprechen? Welche Konsequenz könnte es geben, wenn sich Ihre Tochter das nächste Mal im Klo einschließt, wenn der Tisch gedeckt werden soll?

Eine Verhaltensänderung können Sie nicht von heute auf morgen bewirken. Aber mit Geduld, einer konsequenten Haltung und Zuwendung für Ihr Kind wird sich der Familienalltag sicherlich nach einiger Zeit entspannen. Wenn nicht, empfehle ich eine persönliche Erziehungsberatung, die mehr in die Tiefe gehen kann.

Sonja Brocksieper ist Diplom-Pädagogin. Sie lebt mit ihrer Familie in Remscheid und ist Mitarbeiterin bei Team.F. www.sonja-brocksieper.de
Illustration: Sabrina Müller, sabrinamueller.com

Zoff mit der Schwiegertochter

„Ich rassle immer häufiger mit der Frau meines Sohnes aneinander. Unser Verhältnis – auch das zu meinem Sohn – wird dadurch immer schlechter. Ich will, dass wir uns gut verstehen. Wie kann ich dieses Problem angehen?“

Da die gestellte Frage keine Einzelheiten und Beispiele beinhaltet, versuche ich, ein paar Grundsätze aufzuzeigen, die mein Mann und ich uns im Umgang mit unseren Kindern und Schwiegerkindern angeeignet haben.

KEINE BESSERWISSERISCHEN VORSCHLÄGE!

Wir, als Eltern und Schwiegereltern, bemühen uns, uns nicht in die Angelegenheiten der Familien einzumischen. Deutlicher: Als „erste Generation“, die bereits Kinder großgezogen hat, kennen wir auf der einen Seite unsere Defizite, auf der anderen Seite sehen wir, dass wir manches gut und richtig gemacht haben und hoffen, dass unsere erwachsenen Kinder unsere Werte übernehmen. Möglicherweise tun sie das, doch die Schwiegerkinder bringen eine andere Prägung mit, und vielleicht entscheiden und leben sie grundsätzlich anders, als wir es tun würden. Sie setzen persönliche Grenzen, lassen uns nicht mitreden, haben eigene Vorstellungen. Was ist daran verwerflich? Meine Lösung: Ich belasse es dabei und mache auch keine besserwisserischen Vorschläge. Mein Motto: Lernen, die Füße stillzuhalten!

Unsere Söhne haben sich für ihre Frauen entschieden. Manche Mütter empfinden darüber tief im Herzen einen Schmerz: Da ist nun die andere, die ihn doch gar nicht kennt, die vielleicht fordernd und in unseren Augen so gar nicht liebevoll mit unserem Sohn umgeht. Weiß sie überhaupt, was ihm guttut? Was ihm schmeckt? Was ihm gefällt? Warum hackt sie dauernd auf ihm herum? Ich als Mutter sollte lernen anzunehmen, dass ich „raus bin aus der Nummer“. Ich habe für seine Erziehung mein Bestes gegeben. Und nun läuft sein Leben an der Seite einer anderen Frau weiter. Punkt. Akzeptieren sollten wir als Mütter auch, dass unser Sohn zu ihr, seiner Frau halten wird – im Ernstfall gegen uns. So ist es erstrebenswert, eine gute Beziehung zur Schwiegertochter zu pflegen, um auch die Beziehung zu unserem Sohn gesund zu erhalten. Dieser Punkt liegt ganz allein in unserer Verantwortung!

DIE KLÜGERE GIBT NACH!

Hilfreich kann es sein, einmal zu analysieren, welches die schwierigen Themen sind, in denen wir aneinanderrasseln. Vielleicht berühren sie meine eigene Komfortzone, aus der ich nicht heraus möchte. Damit könnte es Momente in der Beziehung geben, in denen ich als die Ältere einfach still sein sollte. So ärgerlich es sich manchmal anfühlt: Der Klügere gibt immer nach! Ich muss nicht alles gutheißen, aber auch nicht alles in Frage stellen, sondern kann der nachwachsenden Generation zutrauen, dass sie ihr Leben regeln kann. Auch ohne mich.

Erst die nötige Zurückhaltung in Bezug auf unsere erwachsenen Kinder und Schwiegerkinder macht ein entspanntes Miteinander möglich – das ist meine/unsere Erfahrung!

Sabine Vetter ist seit 41 Jahren mit Ekkehart verheiratet. Gemeinsam haben sie sechs erwachsene Kinder und 15 Enkelkinder.
Illustration: Sabrina Müller, sabrinamueller.com

Machtkämpfe mit dem Sohn

„Mein Sohn (7) und ich rasseln in Alltagssituationen immer wieder so heftig aneinander, dass sofort Streit und eine übermäßig aggressive Reaktion meines Sohnes folgen. Was kann ich tun, um Stellung zu beziehen, ohne in einen Machtkampf zu schlittern?“

Ich finde es prima, dass Sie aus dieser Streitspirale herauswollen und sich fragen, was Sie tun können. Dadurch zeigen Sie sich in Ihrer Rolle als Eltern handlungsfähig.

KURZE VERSCHNAUFPAUSE

Reagieren Sie ruhig, besonnen und klar. Bleiben Sie sich Ihrer Rolle als Mutter oder Vater bewusst. Suchen Sie erst nach einer kurzen Verschnaufpause das Gespräch mit Ihrem Sohn über seine Reaktion auf die erlebte Situation. Das ist effektiver als eine Klärung während des Streites. Erklären Sie Ihrem Kind, wo Ihre Grenzen sind und was es tun kann, um besser zu reagieren. Fragen Sie ihn auch, was ihn so aufgeregt hat, und nach hilfreichen Ideen für die nächste Situation.

Es könnte auch hilfreich sein, die Situation mit Abstand zu betrachten und sich zu fragen: Wie würde ich in Ruhe und Gelassenheit reagieren? Auf welche Lösungsideen würde ich kommen? Spannend könnte auch sein, ein Verhaltenstagebuch zu führen. Notieren Sie für einige Zeit nach den Konfliktsituationen: Wann traten sie auf und wie liefen sie ab? Was war vorher? Gibt es ein sich wiederholendes Muster? Was könnte das Ursprungsproblem sein? Wie habe ich reagiert? Mit Hilfe dieser Beobachtung sind häufig konstruktive Lösungen des Problems in Sichtweite.

FREIRAUM ZUGESTEHEN

Kinder müssen im Laufe ihrer Entwicklung folgende Grundfertigkeiten erlernen, die sie auf ein eigenständiges Leben vorbereiten:

– Miteinander reden: So lernen Kinder, eigene Bedürfnisse, Meinungen oder Ideen mit Sprache und Gestik zum Ausdruck zu bringen. Ebenso lernen sie, auf Anweisungen von Erwachsenen zu hören und diese zu befolgen. Hierzu gehört auch, dass sie erlernen, durch ihr Handeln Situationen zu beeinflussen und somit Selbstwirksamkeit zu erfahren.

– Selbstständigkeit erwerben: Mit zunehmendem Alter wollen Kinder ihren Lebensraum erweitern, selbstständiger und unabhängiger von den Eltern werden. Es fordert uns heraus, unseren Kindern den Freiraum zur Eigenständigkeit auch in wachsendem Maße zuzugestehen.

– Aufgaben und Probleme selbst lösen: Kinder brauchen den Freiraum, Fragen zu stellen, eigene Ideen und Lösungen zu entwickeln und diese auch auszuprobieren. Auch wenn wir Eltern manches für unmöglich halten, ist es dennoch wichtig, auch die Teillösungen zu feiern oder Scheitern zu akzeptieren.

– Den Umgang mit Gefühlen lernen: Eigene Gefühle wahrzunehmen und sie angemessen zum Ausdruck zu bringen, ist für Kinder nicht immer leicht – insbesondere, wenn die Gefühle intensiv erlebt werden. Diese Lernfelder fordern uns Eltern manchmal ganz schön heraus. Auftretende Schwierigkeiten mit dieser Brille zu sehen, kann uns aber dabei helfen, die Frustration unserer Kinder zu verstehen und sie in ihrer Entwicklung zu unterstützen. Unsere Kinder brauchen Zeit und Raum, um sich zu entwickeln.

Sandra Schreiber ist Beraterin und Systemischer Elterncoach im „LebensRaum Gießen“.
Illustration: Sabrina Müller, sabrinamueller.com

 

„Mein Kind will nicht in die Kita“ – Diese Fragen sollten Sie unbedingt stellen

„Meine Tochter (5) ist immer gern in den Kindergarten gegangen. Aber nun weigert sie sich, sich morgens fertig zu machen. Was kann ich tun?“

Erst einmal ist es erfreulich, dass Ihre Tochter bisher immer gern in den Kindergarten gegangen ist. Das spricht dafür, dass sie sich dort grundsätzlich wohlfühlt. Nun gilt es herauszufinden, ob es Veränderungen gab, die ihre plötzliche Verweigerung erklären könnten. Gab es eventuell einen Personalwechsel? Treten Konflikte zwischen Ihrer Tochter und anderen Kindern auf? Gibt es Veränderungen im Tagesablauf oder in der Gruppenzusammensetzung? Am besten sprechen Sie darüber offen mit den Erzieherinnen und mit Ihrer Tochter.

FRAGEN SIE UNAUFFÄLLIG NACH

Suchen Sie einen ruhigen Zeitpunkt, an dem Sie es sich mit Ihrer Tochter gemütlich machen und sie behutsam fragen, warum sie auf einmal nicht mehr gern in den Kindergarten gehen mag. Wenn Ihre Tochter nicht antworten möchte oder den Grund selbst nicht benennen kann, kann es helfen, Beispiele zu nennen, etwa: „Manchmal kommt es vor, dass Kinder nicht mehr gern zum Kindergarten gehen, weil jemand sie ärgert oder weil sich etwas verändert hat, zum Beispiel bei den Erzieherinnen. Kennst du so etwas?“ Sie können auch immer mal wieder unauffällig Fragen stellen wie „Mit wem hast du denn heute gespielt?“ oder „Welche Erzieherinnen waren heute da?“ oder „War alles gut oder gab es heute Streit oder war jemand gemein?“.

BEARBEITEN SIE TRENNUNGSÄNGSTE

Nicht selten entstehen phasenweise Trennungsängste, die den Abschied erschweren. Überlegen Sie, wenn sich kein anderer Grund finden lässt, gemeinsam mit Ihrer Tochter, was ihr helfen könnte – vielleicht ein Kuscheltier-Begleiter oder etwas, das sie an Mama erinnert (zum Beispiel ein Tuch oder ein Mut-Stein)? Tolle Tipps dazu gibt es auch in dem Buch „Fremdeln-Klammern-Trennungsangst“ von Elizabeth Pantley.

SPRECHEN SIE OFFEN ÜBER SEXUALITÄT UND GEWALT

Obwohl es ein schwieriges Thema ist, sollte man immer wachsam sein in Bezug auf mögliche sexuelle oder aggressive Übergriffe, die auch Grund dafür sein können, dass ein Kind plötzlich nicht mehr in den Kindergarten gehen möchte. Achten Sie sehr genau auf mögliche Verletzungen und fragen Sie vorsichtig: „Manchmal möchten Kinder auch nicht mehr zum Kindergarten, weil dort jemand etwas machen will, das sie nicht wollen. Zum Beispiel irgendwo anfassen, weh tun oder Fotos machen. Hast du das schon mal erlebt?“ Auch Kinderbücher helfen, über dieses Thema ins Gespräch zu kommen und Kinder grundsätzlich zu stärken (Mein Tipp: „Mein Körper gehört mir“ von Dagmar Geisler). Bei Unsicherheiten berät auch unverbindlich und kostenlos der Kinderschutzbund.

HOSPITIEREN SIE IN IHREM KINDERGARTEN

Sollten Sie auf diesem Weg nicht weiterkommen, wäre eine weitere Option, mal einen Tag im Kindergarten zu hospitieren. Sprechen Sie das vorher mit dem Kindergarten ab, mit der Begründung, herausfinden zu wollen, wie Sie Ihrer Tochter helfen können, sich wieder wohler zu fühlen. Erklären Sie Ihrer Tochter, dass Sie heute mal ausnahmsweise zu Besuch kommen dürfen, damit Sie nicht erwartet, dass das nun immer so läuft.

Melanie Schüer ist Erziehungswissenschaftlerin, Mutter von zwei Kindern und als freie Autorin und Elternberaterin auf elternleben.de und neuewege.me unterwegs. Illustration: Sabrina Müller

Wenn Eltern aus der Haut fahren

„Mein Sohn (5) bringt mich ständig auf die Palme. Neulich hat er beim Anziehen für den Kindergarten so lange getrödelt und gemeckert, bis ich ihn am Arm gepackt und angeschrien habe. Wie kann ich meine Gefühle im Zaum halten und meinem Kind auch in Stresssituationen beherrscht begegnen?“

Diese Situation kennt jede Mutter. Wir fühlen uns total hilflos, gestresst und überfordert. Wir kommen an unsere Grenzen und schauen dabei in emotionale Abgründe, die wir bei uns nie für möglich gehalten hätten. Das erschreckt uns und wir fühlen uns furchtbar. Verurteilen Sie sich nicht. Überlegen Sie stattdessen, wie Sie es in Zukunft besser machen können.

Beobachten Sie, in welchen Situationen Sie aus der Haut fahren. Auf immer gleiche, wiederkehrende Stresssituationen kann man sich vorbereiten! Einige Fragen, die in der beschriebenen Situation helfen könnten, sind: Warum trödelt Ihr Sohn? Möchte er überhaupt in den Kindergarten? Möchte er in dem Moment lieber noch etwas spielen? Haben Sie durch Termine Zeitlimits? Gefällt ihm die Kleidung, die für ihn bereitliegt?

DIE SITUATION ENTSTRESSEN

Sie können ihn zum Beispiel selbst Kleidung aus einer begrenzten Auswahl aussuchen lassen oder ihn auch mal im Schlafanzug in den Kindergarten schicken (dies sollten Sie natürlich vorher mit den Erzieherinnen absprechen). „Ich hab’s geschafft“-Listen können die Situation spielerisch entstressen. Ein weiterer Tipp, den Stress aus der Situation zu nehmen, ist, dass Sie sich und Ihrem Kind mehr Zeit vor dem Kindergarten lassen oder aber die Zeit vorher so begrenzen, dass Ihr Kind vor dem Gehen nicht noch ins Spielen gerät. Umso schwerer fällt es ihm dann natürlich, sich davon zu lösen.

Sie können auch mit Ihrem Kind in einem ruhigen Moment darüber sprechen, dass sein Verhalten Ihnen Stress bereitet und es fragen, wie es besser laufen kann. Manchmal muss man sich auch mal die Frage stellen: Ist an dieser Stelle ein Kampf wirklich sinnvoll und nötig?

INNERLICH BIS ZEHN ZÄHLEN

Fragen Sie auch andere Eltern, wie sie in solchen Momenten reagieren, und überlegen Sie vor solchen Eskalationen, wie Sie reagieren möchten. Vielleicht gibt es auch etwas, was Ihr Stresslevel senkt – zum Beispiel ein wenig Entschleunigung im Alltagsstress, eine Haushaltshilfe oder mehr Hilfe aus dem sozialen Umfeld? Ist die Situation da, versuchen Sie, innerlich einen Schritt zurückzutreten und bis zehn zu zählen. Und – was immer gut ist – schicken Sie ein Stoßgebet zu Gott. Sie können überhaupt (auch mit anderen) für gute Ideen beten und dafür, ruhig und liebevoll zu bleiben. Ist die Situation eskaliert, sein Sie nicht zu hart zu sich selbst. Wir alle machen Fehler. Haben Sie Geduld: Elternsein ist eine große Herausforderung, aber mit der Zeit verändert sich viel: Ihre Reaktionen und auch Ihr Kind.

Genau so, wie Sie Ihr Kind um Entschuldigung bitten können, dürfen Sie auch Gott um Vergebung bitten. Er erwartet nicht, dass Sie perfekt sind. Die gute Nachricht ist, dass Gott uns trotzdem liebt und uns genau das Kind anvertraut hat, das wir erziehen können! Wenn Gott uns das zutraut, dann hilft er auch.

Antje Voß ist verheiratet, Mutter von drei erwachsenen Kindern und arbeitet als Hebamme in Gießen. Illustration: Sabrina Müller

 

 

Streiten

ZOFF MIT DEM OBERLEHRER

Dass Paare ihre Konflikte austragen sollten, ist Katharina Hullen durchaus bewusst. Mit ihrem Mann geht das aber leider nicht.

Katharina: Schon Johann Wolfgang von Goethe wusste: „Im Ehestand muss man sich manchmal streiten, denn dadurch erfährt man was voneinander.“ Streiten gehört einfach zu einer guten Beziehung dazu und darum ist es auch so wichtig, gemeinsam an einer guten Streitkultur zu arbeiten.

Aber ganz ehrlich: Ich finde Streiten mit meinem Mann einfach nur ärgerlich. Es beginnt schon mit seiner Grundannahme, er habe von Berufs wegen immer recht. Egal, um welche Sachfrage es geht, er hat schon mal was darüber gelesen, und es war auf jeden Fall anders, als ich es nun behaupte. Nicht selten muss Herr Google als Streitschlichter herhalten, um die eine oder andere Position zu belegen. Aber selbst wenn meine Version Recht bekommt, findet mein Oberlehrer noch den einen Halbsatz im Text, der seine Sicht ebenfalls stützt. „Aaah!“, tönt es zufrieden. „Siehst du, ich hatte recht!“ – „Nein, ich hatte recht!“, bemerke ich sachlich. – „Aber ich hatte auch recht!“ Und mehr braucht Mann nicht. Thema beendet.

Wenn es beim Streiten um ein Fehlverhalten (selbstverständlich meines Mannes) geht, ist es äußerst ärgerlich, dass mich beim Streiten immer die Leidenschaft packt – sprich: Ich werde laut. Lautstärke prallt aber an meinem stoischen, friesischen Ehemann völlig ab. Aber nur scheinbar, denn vor meinen Augen verwandelt sich mein gestandener Zweimetermann in ein schmollendes Kind, welches „pah!“ nun eben gar nichts mehr macht. Und dann wird es schwierig. Entweder ich nehme einige Stunden nach dem Streit noch mal Anlauf, entschuldige mich für meinen Ton und erkläre mich noch mal. Oder ich warte, bis er selbst aus der Schmollecke herauskommt. Damit wäre das Thema allerdings vorerst ausgesessen. Denn der stoische Mann würde sich lieber die Zunge abbeißen, als ein Streitthema noch mal anzusprechen und es in Ruhe zu klären.

Und selbst wenn mein Liebster sich nicht zurückzieht, weicht er dennoch auf eine ärgerliche Art aus: Er überhäuft mich mit sarkastischen Wortspielereien und Witzchen. Der Kabarettist und Sprachfetischist in ihm schafft es einfach nicht, auch nur eine Pointe liegen zu lassen! Es nutzt Ihnen gar nichts, wenn Sie alle Argumente auf Ihrer Seite haben, Ihr Gegenüber jedoch nur mit lustigen, aber ausweichenden Sprüchen kontert.

Ich danke Gott, dass er mir so viel Humor geschenkt hat – er ist der Rettungsanker unserer Ehe. Denn schön ist es, wenn wir beide plötzlich das Lustige an der Situation sehen, die Banalität oder die übertriebene Theatralik, die der Streit bekommen hat. Und dann können wir, obwohl wir gerade eben noch sehr wütend aufeinander waren, miteinander lachen und finden einen Rahmen, wo wir uns besser zuhören können.

 

Katharina Hullen (Jahrgang 1977) ist Bankkauffrau und Dolmetscherin für Gebärdensprache in Elternzeit. Sie und Ehemann Hauke haben fünf quirlige Kinder und leben in Duisburg. Gemeinsam bilden die beiden das Kirchenkabarett „Budenzauber“.

 

 

NICHTS ALS DIE WAHRHEIT

Hauke Hullen bewundert das strategische Geschick seiner Frau, auch wenn sie eigentlich nie recht hat.

Hauke: Ich streite gerne mit meiner Frau. Das ist immer eine sehr erquickliche Angelegenheit. Zuerst stellt Katharina ihren Standpunkt dar, oft verbunden mit einer Forderung. Dann lachen wir beide herzlich darüber. Anschließend löse ich das Missverständnis auf. Am Ende ist meine Frau etwas klüger und ich wie immer im Recht. Eine klassische Win-win-Situation!

Aber Ernst beiseite. Die Realität sieht natürlich anders aus: Ich habe zwar immer noch recht, aber die beste Ehefrau von allen will das nicht einsehen! Das bringt mich stets in eine schwierige Situation: Soll ich um des lieben Friedens willen nachgeben? Oder als aufrechter Kämpfer für das Wahre und Gute ungeachtet meiner persönlichen Nachteile weiterhin für das Richtige einstehen? Ein Dilemma, in dem ich nur zwischen falschen Entscheidungen wählen kann!

Um das Schlimmste zu verhindern, taste ich mich langsam vorwärts und versuche zunächst, konstruktive Lösungen aufzuzeigen. Denn fast immer gibt es eine ganze Reihe von Möglichkeiten, nicht nur Plan B, sondern auch Plan C und D. Eigentlich ein Grund zur Beruhigung der Gemüter – wenn nicht die beste Ehefrau von allen unbeirrbar weiterhin auf Plan A bestehen würde. Doch der Zug für Plan A ist nunmal schon längst abgefahren, weil, ja, weil halt der Göttergatte irgendeine Kleinigkeit übersehen hat.

Schwieriger sind allgemeine Konflikte, wo es ums Grundsätzliche geht, um unsere Ehe, ums Lebensglück oder um die Frage, wer morgens zuerst aufsteht und die Kinder weckt. Die sich anbahnende Eruption lässt sich für Laien im Vorfeld fast nicht erkennen. Doch nach nun immerhin 18-jähriger Erfahrung als Ehemann habe ich inzwischen herausgefunden, dass sich solche Konflikte ganz einfach gar nicht vorhersehen lassen! Ich meine sogar, dass sich diese Naturgewalt besonders dann entlädt, wenn man am wenigsten damit rechnet. Da liegt man, um im Bild zu bleiben, nach einem pflichtbewussten Tag endlich in der Sonne am Strand und freut sich des Lebens, da rollt plötzlich ein Tsunami über einen hinweg, weil sich irgendwo in den tief verborgenen Erdschichten der Ehe eine Spannung aufgebaut hat.

Beliebte Zeiten für solche Erdbeben sind übrigens entweder der Moment, wenn man morgens die Klinke in der Hand hat und schnell noch die Bahn erwischen muss oder wenn man nachts gerade eingeschlafen ist und in 5 Stunden der Wecker klingeln wird. Ich weiß noch nicht genau, ob das daran liegt, dass es Frauen am Gespür für den richtigen Zeitpunkt oder Ort fehlt – oder ob sie im Gegenteil genau merken, wann wir Männer total wehrlos sind.

So oder so sind Streitereien zwischen Kathi und mir meist wahre Kunstwerke der verbalen Kampfkunst und querschießenden Pointen. Wenn wir in der Öffentlichkeit debattieren, fragen uns Bekannte regelmäßig, ob dies eine Probe für ein neues Kabarettstück wäre. Und je länger ich über den Unterhaltungswert unserer Auseinandersetzungen nachdenke, umso mehr beschleicht mich der Gedanke, dass meine Frau den Streit vielleicht nur anfängt, um uns beiden eine Freude zu machen. Ja, so muss es sein!

 

Hauke Hullen (Jahrgang 1974) ist Lehrer für Deutsch und Sozialwissenschaften. Er und Ehefrau Katharina haben fünf quirlige Kinder und leben in Duisburg. Gemeinsam bilden die beiden das Kirchenkabarett „Budenzauber“.