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Alles hat seine Zeit …

Wie ein biblisches Prinzip im Alltag hilft. Von Miriam Koller

Da war sie wieder, die mir so wohlvertraute Stimme meines inneren Kritikers, die mich immer wieder aufs Neue niedermacht, mich klein hält und verunsichert: „Na toll, hast ein paar Wochen durchgehalten, super. Und heute Abend machst du wieder alles kaputt. War ja klar, dass das nichts wird.“ Mein Blick fiel beschämt auf die Chipstüte vor mir, und ich fühlte mich augenblicklich hundeelend.

SPRUNG VOM 10-METER-BRETT

Vor einigen Wochen hatte mich im Buch „Problemzone Frau“ von Veronika Smoor die Aussage gepackt, wir Frauen dürften in puncto Ernährung auf unseren Körper vertrauen lernen. Ich wagte den mutigen Schritt und begann, nur noch so viel zu essen, wie ich tatsächlich Hunger hatte und nur noch das, worauf ich gerade Appetit hatte. Es fühlte sich im ersten Moment an wie ein Sprung vom 10-Meter-Brett. Anlauf nehmen, Augen zukneifen und hoffen, dass es gut geht. Luftleerer Raum, Schwerelosigkeit, Zweifel, Angst – war das wirklich eine so gute Idee?

Aber dann stellte ich nach kurzer Zeit fest, dass ich tatsächlich phasenweise auf ganz unterschiedliche Lebensmittel Appetit hatte und dass es gar nicht nur die „ungesunden“ waren. An der Mehrheit der Abende vermisste ich meine Schokolade überhaupt nicht, von der ich immer dachte, ich sei abhängig. Und statt der Befürchtung, dass ich aufgehen könnte wie ein Hefeteig, geschah tatsächlich das Gegenteil: Ich nahm ab. Ich fühlte mich so gut und so wohl in meinem Körper.

Gestern dann das: plötzlich ein abendlicher Heißhunger auf Chips, Cola und Schokolade. Und ich gab mich ihm hin. Nicht ohne mich dafür zu verurteilen und schwarzzumalen … Heute lese ich in einem Artikel, wie viel Energie der Körper benötigt, um eine Krankheit zu bekämpfen, und da muss ich plötzlich über mich selbst schmunzeln. Dass mich seit zwei Tagen eine Erkältung quält, hatte ich überhaupt nicht in den Zusammenhang gebracht mit meiner gestrigen Fressattacke. Dabei war es völlig klar: Mein Körper hatte nach Lebensmitteln geschrien, die ihm möglichst schnell viel Energie liefern sollten. Natürlich nicht gerade die besten, aber statt auf ihn zu hören und zu vertrauen, dass er schon weiß, was er da tut, habe ich den inneren Kritiker laut seine Schimpftiraden über mir ausschütten lassen und – das ist das Schlimme – ihm auch noch geglaubt.

DEN INNEREN KRITIKER ZUM SCHWEIGEN BRINGEN

Während ich heute darüber nachdachte, wie wunderbar Gott unseren Körper eigentlich geschaffen hat, kam mir ein Bibelvers in den Sinn, an den ich in letzter Zeit öfter denken musste. Prediger 3,1: „Alles hat seine Zeit, alles auf dieser Welt hat seine ihm gesetzte Frist.“ Lässt sich diese Aussage nicht vielleicht auf viel mehr Bereiche unseres Lebens ausdehnen, als wir erahnen? Der Bibelabschnitt geht weiter mit: „Geboren werden hat seine Zeit wie auch das Sterben.“ Und in diesem Zusammenhang verstehen wir diesen Vers meist. Dass es um die Endlichkeit unseres Lebens geht. Aber dass noch eine ganze Reihe an weiteren Aufzählungen folgen, war mir bisher weniger präsent:

„Pflanzen hat seine Zeit wie auch das Ausreißen des Gepflanzten. Töten hat seine Zeit wie auch das Heilen. Niederreißen hat seine Zeit wie auch das Aufbauen. Weinen hat seine Zeit wie auch das Lachen. Klagen hat seine Zeit wie auch das Tanzen. Steine zerstreuen hat seine Zeit wie auch das Sammeln von Steinen. Umarmen hat seine Zeit wie auch das Loslassen. Suchen hat seine Zeit wie auch das Verlieren. Behalten hat seine Zeit wie auch das Wegwerfen. Zerreißen hat seine Zeit wie auch das Flicken. Schweigen hat seine Zeit wie auch das Reden. Lieben hat seine Zeit wie auch das Hassen. Krieg hat seine Zeit wie auch der Frieden.“

Was hier beschrieben wird, lässt den Schluss zu, dass sich diese Weisheit auf sehr viele Bereiche des Lebens anwenden lässt. Warum also nicht auch auf unsere Ernährung und auf unser Vertrauen in unseren Körper? Und wie viel leichter und schöner wäre doch das Leben für uns, wenn wir uns erlauben würden, dieses Prinzip tatsächlich auf uns anzuwenden? Wenn wir den inneren Kritiker zum Schweigen brächten in dem Wissen, dass Gott das ganz anders sieht? Dass unser Schöpfer uns wunderbar gemacht hat und uns den Bauplan „Alles hat seine Zeit“ in die DNA gelegt hat?

DICKE STAUBSCHICHTEN

Ein weiteres Beispiel: Bevor ich Mutter wurde, war mein Haushalt perfekt geplant. Ich führte einen genauen Ablaufplan, wann ich was zu tun hatte und hielt mich daran. Ich hatte das Gefühl, den Haushalt im Griff zu haben. Dann kam die Geburt und mit dem Einzug dieses neuen kleinen Menschleins wurde meine Welt komplett umgekrempelt. Ich hielt keinen meiner Pläne mehr ein. Machte frustriert einen neuen, nur um dann auch diesen nicht erfüllen zu können. Unsere Regale setzten dicke Staubschichten an. Durch die Fenster sahen wir unsere Umgebung zunehmend getrübter. Es gab Ecken in unserem Zuhause, die über Monate hinweg nicht mehr gesaugt wurden. Und wie sehr machte ich mir dafür Vorwürfe …

Es kamen aber auch wieder andere Zeiten. Ich hätte es damals nicht für möglich gehalten. Auch heute noch gibt es diese Phasen, in denen ich es einfach nicht schaffe, den Haushaltsplan einzuhalten. Wo mir schlichtweg die Kräfte fehlen und ich mich nicht dazu aufraffen kann, die Betten frisch zu beziehen. Und auch da habe ich inzwischen eines gelernt: Es bringt weder etwas, mich zu quälen, nur damit „der Plan eingehalten“ wird, noch den inneren Kritiker zu Wort kommen zu lassen und mich schlecht zu fühlen für „mein Versagen“. Nein, ich darf darauf vertrauen, dass es – vielleicht schon in ein paar Tagen – einen Vormittag geben wird, an dem ich plötzlich vor Kraft nur so strotze, es mir förmlich in den Fingern juckt, heute die Betten zu beziehen, und mir die Arbeit dann federleicht von der Hand geht. Alles hat seine Zeit! Gott spricht es uns zu in seinem Wort. Wir dürfen darauf vertrauen, dass es die Wahrheit ist und es als Schutzschild vor uns halten, wenn die spitzen Pfeile des inneren Kritikers mal wieder versuchen, uns zu durchbohren.

Miriam Koller lebt und arbeitet in Weinstadt in der Nähe von Stuttgart. Sie ist Buchhändlerin in einer christlichen Buchhandlung und Mutter einer Tochter im Kindergartenalter.

Wasserläufer in der Pandemie

Christof Klenk zweifelt an der Vorbildfunktion von Petrus beim Verlassen des Bootes.

Was bedeutet Gottvertrauen in Pandemiezeiten? Singen ohne Maske? Auf Bewahrung hoffen und nicht auf den Impfschutz? „Mit meinem Gott kann ich über Wasser laufen“, heißt es in einem Lied. Es geht hier um die Begebenheit, von der in Matthäus 14 berichtet wird. Während die Jünger mit ihrem Boot im Sturm auf dem See Genezareth unterwegs sind, kommt ihnen Jesus auf dem Wasser entgegen, den sie zunächst für ein Gespenst halten. Der mutige Petrus steigt aus dem Boot aufs Wasser und geht auf Jesus zu, der den Jünger auf den letzten Metern retten muss, weil der Fischer dann doch Zweifel bekommt, ob ihn das Wasser trägt.
Diese Geschichte wird immer wieder als Beispiel dafür herangezogen, dass Christen mutig Schritte gehen sollen. Dagegen spricht für mich: Es war nicht die Idee von Jesus, dass Petrus aus dem Boot steigt. Wir lernen Petrus an verschiedenen Stellen als Jünger kennen, der vorschnell Entscheidungen trifft. Und man kann durchaus fragen, inwiefern es sinnvoll ist, dass er hier auf dem Wasser geht und gerettet werden muss. Jesus wäre wohl auch bald im Boot gewesen. Dass die anderen Jünger in ihrem Kahn geblieben sind, wird von Jesus an keiner Stelle kritisiert.
Ich bin überzeugt, dass Gott will, dass wir mutige Schritte tun. Viele christliche Hilfswerke verdanken ihre Existenz nicht zuletzt dem Mut ihrer Gründerinnen und Gründer. Aber Hand aufs Herz: Was hat die Menschheit davon, wenn ich übers Wasser laufe?
Wenn ich die Evangelien richtig verstehe, dann hat Jesus vor allem Menschen geheilt, denen niemand sonst helfen konnte. Er hat sich nicht darauf konzentriert, Nicht-Schwimmern das Bad im See Genezareth zu ermöglichen.

Christof Klenk ist Redakteur bei Family, FamilyNEXT und beim HauskreisMagazin. Der Kommentar greift Gedanken von Dr. Ulrich Wendel aus Faszination Bibel (2/2013) auf.

Meine Tochter hängt an mir

„Meine Tochter (3) folgt mir auf Schritt und Tritt und mag sich nicht allein beschäftigen. Da sie keine Geschwister hat, gibt es niemanden, mit dem sie zu Hause spielen könnte. Ich versuche, sie in meine Aufgaben einzubinden und mich mit ihr zu beschäftigen, habe aber nicht immer Lust dazu und will endlich mal wieder allein aufs Klo! Ist es von einer Dreijährigen zu viel verlangt, auch mal allein zu spielen?“

Grundsätzlich können sich die meisten Dreijährigen entwicklungsbedingt gut allein beschäftigen, in der Gewissheit, dass eine vertraute Person in ihrer Nähe ist. In einem normalen Alltag lernen sie das „nebenbei“. Wenn Ihr Kind immer noch auf Schritt und Tritt in Ihrer Nähe bleibt, hat es dafür vermutlich seine „guten Gründe“.

Muss das Kind einen Verlust verarbeiten?

Um das besser zu verstehen, ist es hilfreich, die Lebensgeschichte Ihres Kindes näher anzuschauen: Waren oder sind Sie und Ihr Kind mit besonderen Herausforderungen konfrontiert, wie etwa dem Verlust einer nahestehenden Person durch Trennung oder Tod, Krankheit, einer traumatischen Geburt, Klinikaufenthalten oder einer unangemessenen Eingewöhnung? Solche und andere „stressende“ Erfahrungen können dazu beitragen, dass Kinder mehr Zeit und elterliche Zuwendung brauchen, um (wieder) die nötige Sicherheit und Vertrauen ins Leben zu gewinnen und ihre Selbstständigkeit zu entfalten.

Es ist gut, dass Sie als wichtigste Bezugsperson – soweit möglich – ganz für Ihre Kleine da waren, um das Urvertrauen (wieder) zu festigen, sich mit ihr beschäftigen, wenn keine anderen Kinder da sind, und sie in Ihren Alltag einbinden. Genauso richtig und wichtig ist es aber auch, dass Sie Ihre eigenen Bedürfnisse wahrnehmen, wie zum Beispiel, etwas für sich allein zu machen oder sich auszuruhen. Indem Sie dies ausdrücken und umsetzen, erfährt Ihr Kind: „Andere Menschen haben auch Bedürfnisse, die beachtet werden müssen“ – eine wichtige Voraussetzung für soziales Verhalten.

Eine Sanduhr schafft Freiräume

Um mehr Freiraum für Sie als Mutter zu schaffen und gleichzeitig die Entwicklung kindlicher Selbstständigkeit zu fördern, können regelmäßige Zeiten mit anderen Bezugspersonen wie Papa, Oma oder anderen Kindern sehr hilfreich sein. Wenn Sie und Ihre Tochter allein sind, könnten Sie zum Beispiel mit einer Sanduhr oder Uhr (mit Zeiger) kleine Auszeiten einführen: Nachdem Sie zusammen eine gute Zeit hatten, erklären Sie Ihrer Tochter klar und kurz: „Ich gehe jetzt … (Ort) und mache … (Handlung). Du kannst so lange … (Spielvorschlag). Wenn die Zeit um ist (siehe Uhr), komme ich wieder.“ Wichtig: Handeln Sie genau so wie angekündigt.

Aufgrund der vorangehenden Erfahrungen: „Mama ist immer für mich da, so wie ich es möchte“, wäre es verständlich, wenn Ihre Tochter erst mal „protestiert“. Das darf sie! Und Mama darf sich trotzdem um ihre eigene Angelegenheit kümmern. Sie ist ja in der Nähe (wenn auch im anderen Raum) und kommt zurück, wie versprochen. Danach geht es wieder gemeinsam weiter. Sie als Mama fühlen sich freier und Ihr Kind hat gelernt: Auf Mama ist Verlass! Und Sie bleiben mit Ihrem Kind verbunden in einer guten Balance von Zeiten der Gemeinsamkeit und des „Für-sich-Seins“.

Beate Döbel ist systemische Einzel-, Paar- und Familientherapeutin (therapiepraxis-doebel.de). 

Unser Sohn guckt Pornos

„Ich habe gesehen, dass mein Sohn (11) sich auf dem Familienlaptop pornografische Fotos und Videos angeschaut hat. Wie gehe ich jetzt damit um?“

Junge Menschen durchleben in ihrer Entwicklung zum Teenager und Jugendlichen eine sehr verletzliche Zeit. Schon kleine Verunsicherungen in Gruppensettings können sie so stark beunruhigen, dass sie sie fortan meiden. Dabei muss es nicht bleiben. Gerade introvertierte Menschen dürfen üben, sich in Gruppen hineinzuleben.

Vertrauen schaffen

Um einen Zugang zu wertvollen Inhalten zu schaffen, ist es zunächst notwendig, bei introvertierten Teens ein Gefühl von Sicherheit und Vertrauen herzustellen. Familien können sich dazu zum Beispiel öfter nach dem Gottesdienst zum Kochen (zum Beispiel in der Kirche) treffen, um ihren Teens zu ermöglichen, miteinander vertraut zu werden. Am Anfang werden noch alle bei ihren Eltern sitzen, doch schnell wird ein Kartenspiel oder eine Runde Fußball die Familien durchmischen. Auch die Mitarbeitenden des Teenkreises können dazukommen. Dieses Kennenlernen bedeutet für die Eltern zwar vielleicht Verzicht auf den sonntäglichen Mittagsschlaf, aber ein Investieren in diese Gemeinschaft als Vorbild für ihre Kinder. Wenn Glaube entdecken und teilen wichtig ist, darf es im Alltag auch etwas kosten.

Sicherheit kann auch ein vorhersehbarer Rahmen einer ersten Mitarbeit bieten. Introvertierte Menschen sind Juwelen für stille, oft übersehene Kinder in der Kindergottesdienstarbeit, mit Senioren oder bei Bastelstationen an quirligen Kirchenfesten – wichtig ist, die Aufgabe klar zu umreißen. In kleineren Gruppen wie einem Minihauskreis kann ein Teenager wie Ihrer seine Fragen ohne Druck durchdenken. Hier lohnt es sich, eine Seniorin zu fragen oder eine Frau aus dem Umfeld der Familie, der Ihre Tochter vertraut.

Zugänge zu Gott

Es gibt verschiedene Zugänge zu Gott: durch Musik, Malen, Naturzeiten, Tagebuchschreiben. Versuchen Sie, Ihrer Tochter zu helfen, ihren ganz persönlichen Weg zu entdecken. Das persönliche Entdecken des Glaubens braucht in der Jugendzeit noch Beispiele wie durch moderne Musik, ein gutes christliches Jugendmagazin oder Bücher etwa von Nick Vujicic, Michael Stahl oder Verena Keil. Darüber bieten Sie ihr ohne Druck eine Infoquelle über Gott im Alltag an.

Das Allerwichtigste für Ihre Tochter sind jedoch Sie und dass Sie als Familie über Gott reden, Fragen stellen, laut grübeln und sich über Gott freuen. So nimmt sie am meisten mit.

Stefanie Diekmann ist Pädagogin, Trainerin für Eltern und Autorin. Sie gestaltet mit ihrem Mann die Evangelisch-Freikirchliche Gemeinde Göttingen und genießt ihre eigene Familie.

Illustration: Sabrina Müller, sabrinamueller.com

 

Mutter verunsichert: Darf wirklich jeder mit meinem Kind schimpfen?

Darf eine Nachbarin bei der Erziehung meines Kindes mitreden? Erziehungswissenschaftlerin Daniela Albert erklärt, was in Ordnung ist und was nicht.

„Letztens schimpfte eine Nachbarin mit meinem Sohn (3). Der wurde daraufhin noch frecher, also griff ich ein und erklärte ihm die Situation. Später fragte mich die Nachbarin, ob es okay sei, dass sie da mal was sage. Man sagt, ‚Um ein Kind zu erziehen, braucht es ein ganzes Dorf‘, aber wer darf bei der Erziehung eigentlich mitreden?“

Das berühmte Dorf, das man braucht, um ein Kind großzuziehen, wird sehr gern in Erziehungssituationen herangezogen. Leider nicht immer in der Art, in der es eigentlich gemeint war. Es handelt sich dabei nämlich um ein afrikanisches Sprichwort, und es geht um das Aufwachsen in engen, familiären Gemeinschaften. Alle Kinder und Erwachsenen kennen sich sehr gut und leben in engerer Verbundenheit miteinander, als wir es heute mit unseren Nachbarn tun. In diesen Gemeinschaften gibt es einen Konsens über Normen und Werte, nach dem alle leben. Auch in Erziehungsfragen.

Gleiche Werte sind Voraussetzung

Enge Verbundenheit und gleiche Wertvorstellungen sind Grundvoraussetzungen dafür, dass jemand in die Erziehung unserer Kinder eingebunden wird. Heute wachsen wir nicht mehr in so engen, natürlich gegebenen Gemeinschaften auf. Die Menschen, die bei der Erziehung mitreden dürfen, suchen wir uns selbst aus. Dass wir mit ihnen ein vertrauensvolles Verhältnis pflegen, Werte teilen und vor allem, dass sie auch unseren Kindern nah genug sind, dass diese sich von ihnen begleiten lassen können, ist dabei wichtig.

Reaktion ist normal

Dies scheint in Ihrem Fall nicht da gewesen zu sein, und das erklärt auch die Reaktion Ihres Sohnes. Was Sie als „noch frecher werden“ beschreiben, ist für mich ein Ausdruck dafür, dass die Ansprache der Nachbarin für ihn nicht in Ordnung war. Er hat wahrscheinlich versucht, sich vor der Einmischung einer Person, die ihm nicht vertraut genug war, zu schützen. Ihr Sohn hat eine sehr gesunde Reaktion gezeigt, indem er erst einmal seine persönlichen Grenzen gewahrt hat.

Persönliche Grenzen aufzeigen

Das bedeutet aber nicht, dass es grundsätzlich falsch ist, wenn andere unseren Kindern etwas sagen, was ihnen nicht passt, auch wenn sie ihnen nicht so nahestehen. Wenn ein anderes Kind mit seinem Verhalten unsere persönlichen Grenzen verletzt, darf das angesprochen werden. Hier muss man zwischen Miterziehen und dem Setzen persönlicher Grenzen unterscheiden. Wer miterziehen darf, das entscheiden Sie. Das Recht, die eigenen Grenzen zu kommunizieren, hat dagegen jeder. Gerade kleine Kinder sind aber häufig überfordert, wenn fremde Personen mit ihnen schimpfen, und verstehen oft gar nicht, was sie gerade falsch gemacht haben. Deshalb finde ich Ihre Reaktion – eingreifen und Ihrem Sohn erklären, was die Nachbarin gestört hat – genau richtig. Wir als Eltern tragen bei so kleinen Kindern die Verantwortung dafür, dass sie die Grenzen anderer Menschen wahren.

Sprechen Sie noch mal mit Ihrer Nachbarin über die Situation und erklären Sie, dass Ihr Sohn noch zu klein ist, um zu verstehen, was falsch gelaufen ist, und dass er sie auch noch nicht gut genug kennt, um von ihr anzunehmen, wenn sie „mal was sagt“. Schlagen Sie ihr vor, stattdessen mit Ihnen zu sprechen, wenn sie etwas am Verhalten Ihres Sohnes stört.

Daniela Albert ist Erziehungswissenschaftlerin und Eltern- und Familienberaterin und lebt mit ihrem Mann und drei Kindern in Kaufungen. Sie bloggt unter eltern-familie.de.

Wer darf mein Kind miterziehen?

„Letztens schimpfte eine Nachbarin mit meinem Sohn (3). Der wurde daraufhin noch frecher, also griff ich ein und erklärte ihm die Situation. Später fragte mich die Nachbarin, ob es okay sei, dass sie da mal was sage. Man sagt, ‚Um ein Kind zu erziehen, braucht es ein ganzes Dorf‘, aber wer darf bei der Erziehung eigentlich mitreden?“

Das berühmte Dorf, das man braucht, um ein Kind großzuziehen, wird sehr gern in Erziehungssituationen herangezogen. Leider nicht immer in der Art, in der es eigentlich gemeint war. Es handelt sich dabei nämlich um ein afrikanisches Sprichwort, und es geht um das Aufwachsen in engen, familiären Gemeinschaften. Alle Kinder und Erwachsenen kennen sich sehr gut und leben in engerer Verbundenheit miteinander, als wir es heute mit unseren Nachbarn tun. In diesen Gemeinschaften gibt es einen Konsens über Normen und Werte, nach dem alle leben. Auch in Erziehungsfragen.

Vertrauensvolles Verhältnis

Enge Verbundenheit und gleiche Wertvorstellungen sind Grundvoraussetzungen dafür, dass jemand in die Erziehung unserer Kinder eingebunden wird. Heute wachsen wir nicht mehr in so engen, natürlich gegebenen Gemeinschaften auf. Die Menschen, die bei der Erziehung mitreden dürfen, suchen wir uns selbst aus. Dass wir mit ihnen ein vertrauensvolles Verhältnis pflegen, Werte teilen und vor allem, dass sie auch unseren Kindern nah genug sind, dass diese sich von ihnen begleiten lassen können, ist dabei wichtig.

Dies scheint in Ihrem Fall nicht da gewesen zu sein, und das erklärt auch die Reaktion Ihres Sohnes. Was Sie als „noch frecher werden“ beschreiben, ist für mich ein Ausdruck dafür, dass die Ansprache der Nachbarin für ihn nicht in Ordnung war. Er hat wahrscheinlich versucht, sich vor der Einmischung einer Person, die ihm nicht vertraut genug war, zu schützen. Ihr Sohn hat eine sehr gesunde Reaktion gezeigt, indem er erst einmal seine persönlichen Grenzen gewahrt hat.

Entscheiden, wer miterzieht

Das bedeutet aber nicht, dass es grundsätzlich falsch ist, wenn andere unseren Kindern etwas sagen, was ihnen nicht passt, auch wenn sie ihnen nicht so nahestehen. Wenn ein anderes Kind mit seinem Verhalten unsere persönlichen Grenzen verletzt, darf das angesprochen werden. Hier muss man zwischen Miterziehen und dem Setzen persönlicher Grenzen unterscheiden. Wer miterziehen darf, das entscheiden Sie. Das Recht, die eigenen Grenzen zu kommunizieren, hat dagegen jeder. Gerade kleine Kinder sind aber häufig überfordert, wenn fremde Personen mit ihnen schimpfen, und verstehen oft gar nicht, was sie gerade falsch gemacht haben. Deshalb finde ich Ihre Reaktion – eingreifen und Ihrem Sohn erklären, was die Nachbarin gestört hat – genau richtig. Wir als Eltern tragen bei so kleinen Kindern die Verantwortung dafür, dass sie die Grenzen anderer Menschen wahren.

Sprechen Sie noch mal mit Ihrer Nachbarin über die Situation und erklären Sie, dass Ihr Sohn noch zu klein ist, um zu verstehen, was falsch gelaufen ist, und dass er sie auch noch nicht gut genug kennt, um von ihr anzunehmen, wenn sie „mal was sagt“. Schlagen Sie ihr vor, stattdessen mit Ihnen zu sprechen, wenn sie etwas am Verhalten Ihres Sohnes stört.

Daniela Albert ist Erziehungswissenschaftlerin und Eltern- und Familienberaterin und lebt mit ihrem Mann und drei Kindern in Kaufungen (www.eltern-familie.de).

Illustration: Sabrina Müller, sabrinamueller.com

Die Farben des Schweigens

Die Kraft und die Macht des Schweigens werden häufig unterschätzt. Stefanie Diekmann, bekennende Extravertierte, hat die Stille in der Zweisamkeit für sich entdeckt – und warnt gleichzeitig davor.

Während im Hafen ein Segler sein Boot zum Auslaufen vorbereitet, blinzeln zwei Weggefährten in die Abendsonne und schweigen. Die Beobachter kommentieren das Geschehen nicht, sie plaudern auch nicht, sie schauen einfach zu und gewinnen innerlich Abstand vom Alltag. Nie hätte ich gedacht, dass ich mich – als eine der beiden Schweigenden – im Nichtsprechen so geborgen fühlen könnte.

Als Henrik und ich heirateten, waren wir eine Wortwolke: kichernd und quatschend. Missbilligend durch den Lärm unseres Austausches musterte mich damals eine ältere Dame und legte mir ihre Hand aufs Knie: „Wenn ihr erst mal 15 Jahre verheiratet seid, habt ihr auch Funkstille. Dann ist es vorbei mit dem Reden.“ Wie ist das also mit dem Schweigen? Eine zwangsläufige Entwicklung in Beziehungen?

Seelische Gewalt

Ich halte das Schweigen nach wie vor für gefährlich: Nach einem Vortrag über Begleitung von Teenagern kommt ein Vater auf mich zu. Er wolle mir eine Rückmeldung geben: „Ich sage nichts mehr zu meinem Sohn. Er hat mein Schweigen verdient. Erst wenn er sich anders verhält, rede ich wieder mit ihm!“ In Sekundenschnelle erfasse ich, dass hier kein Kontakt unterbrochen ist, sondern ein Sender das Übermitteln von Signalen beendet hatte. Auch nach verschiedenen Fragen und dem Versuch, für den ringenden jungen Menschen Verständnis zu vermitteln, bleibt der Sender abgeschaltet. Mit verschränkten Armen und stetigem Kopfschütteln verändert sich vor meinem inneren Auge der 55-jährige Vater zu einem kleinen Jungen. „Kennen Sie Schweigen von Ihren Eltern?“, frage ich tastend. Ohne den Blick zu erwidern, nickt der Vater und beschreibt, wie er selbst nach einigen Tagen des Schweigens seiner Mutter alles versucht hatte, um Gnade zu erlangen. Noch bevor ich mein Mitgefühl für diese Erfahrung ausdrücken kann, dreht er sich um und geht.

Wir wissen heute, dass das Schweigen als Methode zur Zurechtweisung eine Form von seelischer Gewalt ist. Neben den aktiven Formen von psychischer Gewalt kann sie eben auch ausgeübt werden, indem man Dinge unterlässt. So wird der andere, das Opfer, beispielsweise über einen längeren Zeitraum gemieden, ignoriert und mit andauerndem Schweigen gestraft. Das Nicht-Teilen der Gedanken und Gefühle mit dem anderen, gerade wenn es emotional hoch hergeht, lässt den Suchenden im Labyrinth des Schweigens ohne Chance auf einen Ausgang zurück. Schweigen kann dann tiefschwarz wirken und im Gegenüber eine Eigendynamik mit Selbstgesprächen, Selbstzweifeln und Kummer auslösen. Wenn ich den anderen nicht mehr anspreche, nicht auf ihn reagiere, dann verweigere ich die Anerkennung, dass er existiert.

Als wir persönlich in einer großen Krise waren, hat uns das Schweigen vieler Menschen, aus welcher Motivation auch immer, sehr getroffen. Wie erdrückend schweres Grau hat sich durch das Schweigen eine Wand der Einsamkeit gebildet, die ich bis heute bekämpfe. Gerade in Kummer und Not dem anderen ein Signal zu senden, ist überlebenswichtig.

Funkstille

Schweigen kann ein bedrohliches Zeichen von Funkstille zwischen zwei Sendern sein. Sie haben durch eine lange zehrende Wegstrecke oder Differenzen den Kontakt zueinander verloren. Sie senden keine Signale mehr. In Begegnungen mit wortkargen Senioren, frustrierten Eltern, erschöpften Pastoren fühlt es sich bei mir so an, als würde das grau wirkende Schweigen auf eine verstummte Seele hinweisen.

Keine Worte mehr zu finden, heißt vielleicht aber auch, keine passenden wählen zu können, weil das Heute zu fordernd ist. Man ist so ausgelaugt, dass jeder Satz viel Überwindung kostet. Als unsere Kinder klein waren, haben wir es mit einem Eheabend außer Haus versucht. Für viele scheint das das große Heilmittel zu sein. Unsere Ehezeit war jedoch von Erschöpfung und farblosem Schweigen geprägt. Wir hatten einfach keine Worte mehr. Dabei wollten wir so gerne ein „gutes“ Paar sein, eines, das durch sorgfältige Pflege der Kommunikation Krisen vorbeugt. Die Enttäuschung darüber, dass wir uns nichts zu sagen hatten, erstickte den Rest unserer Gesprächsideen. Als wir in einem Kreis von Paaren davon erzählten, erwischte mich eine Rückmeldung dazu hart: „Das ist uns nie passiert. Wir nehmen uns so wichtig, dass wir uns Tage vorher schon Themen notieren. So ein Abend reicht für uns kaum aus, um alles zu besprechen.“ Erst viel später erfuhr ich, dass die anderen Paare sich nicht mehr aus der Deckung trauten, um von ihren wortlosen Abenden zu berichten. Wir haben es damals als hilfreich erlebt und erleben es immer noch, durch einen Film, einen Artikel oder andere Impulse von außen ins Gespräch zu kommen. Dabei spüren wir eine große Verbundenheit beim Humor der englischen Krimis oder dem täglichen Kaffee zwischendurch, wo wir uns von Telefonaten oder dienstlichen Situationen berichten. Wir sind am anderen interessiert – auf unsere Art.

Verbale Streicheleinheiten

Es ist keine Schande, wenn die Worte ausgehen und man sich anschweigt. Das bedeutet aber nicht, dass man sich mit diesem Zustand abfinden muss. Vor einigen Jahren begleitete ich eine Freundin in einer schweren Ehekrise. Sie beschrieb, wie sehr sie den Geruch ihres Mannes mag, wie sie es liebt, wenn er kocht oder mit den Kindern diskutiert. „Und, was sagt er, wenn du ihm das mitteilst?“, fragte ich. Irritiert sah sie mich an: „Er würde ziemlich verstört gucken und mich für gefühlsduselig halten. Das habe ich noch nie gesagt!“ Mir zog sich der Magen zusammen, als mir die Folgen dieser Antwort bewusst wurden. Alle lobenden Worte für seinen Fleiß, für ihren Mut, für gelungene Absprachen des Alltags wurden vom Schweigen erstickt.

Wie selten sagen wir uns im Alltag, was wir an unseren Freunden, Partnern und Kindern mögen. Wenn wir kleine Aufmerksamkeiten wie den liebevollen Gruß zum Geburtstag, eine hilfreiche E-Mail, die reparierte Lampe oder das frisch bezogene Bett nicht nur wahrnehmen, sondern auch würdigen, dann passiert etwas. Das Schweigen zu überwinden ist so, als wenn wir den Sender und Empfänger neu aufeinander eichen. Es ist vielleicht ungewohnt, hat aber wundervolle Wirkungen in unseren Beziehungen. Ich bin überrascht, wie sehr auch Lehrer, Polizis-ten und Ärzte strahlen, wenn ich etwas Gutes ausspreche.

Gesprächspausen zulassen

Manchmal allerdings wünschte ich mir die Erlaubnis zu schweigen. Auf einem Geburtstag von Bekannten fiel es mir unangenehm auf, wie Gesprächspausen als peinlich vermieden wurden und das zartgrüne hoffnungsvolle Schweigen unterdrückt wurde. Den ganzen langen Abend sprachen alle in Plattitüden über den schlimmen Einfluss von Social Media, Klimawandel und Schuldruck. Hätten wir das Schweigen ausgehalten, wer weiß, vielleicht wäre eine persönlichere Note in diesem Geplänkel möglich gewesen.

Auch in Kleingruppen und Gesprächskreisen meiner Kirche wünsche ich mir den Genuss, zusammen zu schweigen, wenn wir Bibel lesen. Das Nachspüren der Worte und der Relevanz für mich gelingt mir nicht, wenn sofort jemand eine druckfertige Antwort liefert und mich mit Klugheit blendet.

Als unsere Kinder ihre Entscheidungen trafen, wie es nach der Schule weitergehen sollte, habe ich viele blubbernde Wörter in mir gehabt, die als Empfehlungen unbedingt raus wollten. Das Schweigen zu bestimmten Hürden oder Hoffnungen ist aber rosa wie zarte Liebe. Ich gehe nicht bewusst als Mutter auf Distanz und schweige, sondern ich bleibe nah und zugewandt und behalte dennoch meine Kommentare und Hinweise erst mal für mich.

Vertrautes Schweigen

Schweigen dürfen ist Luxus, der wie ein goldener Schimmer Freundschaft und Ehen veredelt. Der Weg, um das zu lernen, hat wortreiche Konflikte gebraucht. Ich bin immer gern mit Henrik Auto gefahren. Früher haben wir jeden Satz und jedes Erlebnis der letzten Woche geteilt, heute können wir schweigen. Das Schweigen bedeutet nicht: Kontaktabbruch. Die Stille ist nicht gegen mich gewandt, sondern es ist sogar ein Gönnen der Ruhe und der Entspannung im alltäglichen Gestalten unserer Liebe. Und irgendwann sagt mein Mann in diesen Ehe-Moment der Ruhe meine Lieblingsworte: „Du, ich hab’ mir was überlegt!“ Ich liebe diese Worte, weil so mein Zutrauen in ihn für mich hörbar wird: Auch wenn er manchmal wenig spricht, trägt er sehr wohl Verantwortung für uns und unsere Kinder, und er bringt zum Ausdruck, wie sehr er seine Kirche liebt und unsere Freunde schätzt. Oft kommen dann erstaunliche Ideen zum Vorschein, wie eine neue Terrasse zum morgendlichen Kaffeetrinken und Beten, ein Kurzurlaub mit Freunden oder eine Unterstützung für eines unserer Kinder. Und wo ich mich gerade schreibend so freue: Ich müsste ihm dringend mal sagen, wie gern ich mit ihm schweige.

Stefanie Diekmann ist Gemeindereferentin und lebt mit ihrer Familie in Göttingen.

Zu introvertiert für den Teenkreis?

„Meine Tochter (13) ist sehr introvertiert und hat deshalb wenig Interesse, an Gemeindegruppen wie der Jungschar oder dem Teenkreis teilzunehmen. Wie kann ich meinen schüchternen Teenager trotzdem geistlich wachsen lassen?“

Junge Menschen durchleben in ihrer Entwicklung zum Teenager und Jugendlichen eine sehr verletzliche Zeit. Schon kleine Verunsicherungen in Gruppensettings können sie so stark beunruhigen, dass sie sie fortan meiden. Dabei muss es nicht bleiben. Gerade introvertierte Menschen dürfen üben, sich in Gruppen hineinzuleben.

Vertrauen schaffen

Um einen Zugang zu wertvollen Inhalten zu schaffen, ist es zunächst notwendig, bei introvertierten Teens ein Gefühl von Sicherheit und Vertrauen herzustellen. Familien können sich dazu zum Beispiel öfter nach dem Gottesdienst zum Kochen (zum Beispiel in der Kirche) treffen, um ihren Teens zu ermöglichen, miteinander vertraut zu werden. Am Anfang werden noch alle bei ihren Eltern sitzen, doch schnell wird ein Kartenspiel oder eine Runde Fußball die Familien durchmischen. Auch die Mitarbeitenden des Teenkreises können dazukommen. Dieses Kennenlernen bedeutet für die Eltern zwar vielleicht Verzicht auf den sonntäglichen Mittagsschlaf, aber ein Investieren in diese Gemeinschaft als Vorbild für ihre Kinder. Wenn Glaube entdecken und teilen wichtig ist, darf es im Alltag auch etwas kosten.

Sicherheit kann auch ein vorhersehbarer Rahmen einer ersten Mitarbeit bieten. Introvertierte Menschen sind Juwelen für stille, oft übersehene Kinder in der Kindergottesdienstarbeit, mit Senioren oder bei Bastelstationen an quirligen Kirchenfesten – wichtig ist, die Aufgabe klar zu umreißen. In kleineren Gruppen wie einem Minihauskreis kann ein Teenager wie Ihrer seine Fragen ohne Druck durchdenken. Hier lohnt es sich, eine Seniorin zu fragen oder eine Frau aus dem Umfeld der Familie, der Ihre Tochter vertraut.

Zugänge zu Gott

Es gibt verschiedene Zugänge zu Gott: durch Musik, Malen, Naturzeiten, Tagebuchschreiben. Versuchen Sie, Ihrer Tochter zu helfen, ihren ganz persönlichen Weg zu entdecken. Das persönliche Entdecken des Glaubens braucht in der Jugendzeit noch Beispiele wie durch moderne Musik, ein gutes christliches Jugendmagazin oder Bücher etwa von Nick Vujicic, Michael Stahl oder Verena Keil. Darüber bieten Sie ihr ohne Druck eine Infoquelle über Gott im Alltag an.

Das Allerwichtigste für Ihre Tochter sind jedoch Sie und dass Sie als Familie über Gott reden, Fragen stellen, laut grübeln und sich über Gott freuen. So nimmt sie am meisten mit.

Stefanie Diekmann ist Pädagogin, Trainerin für Eltern und Autorin. Sie gestaltet mit ihrem Mann die Evangelisch-Freikirchliche Gemeinde Göttingen und genießt ihre eigene Familie. Illustration: Sabrina Müller, sabrinamueller.com

 

„Bedrängt mich nicht, aber bietet Unterstützung an!“

Wie erleben junge Erwachsene die Abnabelung von den Eltern? Was wünschen sie sich von ihnen? Borika Lea Luft (22) hat sich umgehört.

„Solange du deine Füße unter meinen Tisch stellst, tust du, was ich sage!“ Wie oft haben wir als Kinder diesen Satz gehört – nicht unbedingt in dieser Formulierung, aber doch in allen möglichen Variationen. Manchmal haben wir uns wirklich nichts sehnlicher gewünscht, als endlich auszuziehen und zu machen, was wir wollen. Nicht von Mama und Papa abhängig zu sein, selbst bestimmen zu dürfen und einfach frei zu sein. Und auf einmal beginnt diese Zeit des Loslassens, Abnabelns, Ausziehens, Unabhängigwerdens, ob aufgrund des Studiums, der Arbeit, eines Auslandsjahres oder einer Beziehung. Gründe wie auch Zeitpunkte sind unterschiedlich, aber irgendwann kommen alle Eltern und ihre Kinder an den Punkt, an dem sie einander auf irgendeine Weise loslassen müssen. Manche fürchten sich davor, andere sehnen es herbei.

AN DEN GEDANKEN GEWÖHNEN

Auch meine Eltern und ich stecken in diesem Prozess. Ein erstes Loslassen gab es, als ich mit 19 für ein halbes Jahr auf eine Bibelschule ging. Das erste Mal richtig weg von Mama und Papa, weitgehend auf mich allein gestellt. Die sechs Monate haben mich sehr geprägt – in meinem Glaubensleben und meiner Beziehung zu Jesus und auch in Hinblick auf die Nähe zu meinen Eltern. Der Weg dahin war für mich sehr schwer, da ich schon immer sehr an meinen Eltern hing und es für mich kaum etwas Schlimmeres gab, als von ihnen getrennt zu sein. Doch diese Zeit ist für uns zum Segen geworden.

Nach der Bibelschule zog ich aufgrund meiner beruflichen Situation wieder daheim ein. Jetzt, mit 22, wohne ich immer noch beziehungsweise schon wieder im Elternhaus und komme nicht umhin, mich tagtäglich mit dem Thema „Loslassen“ und allen zugehörigen Fragen zu beschäftigen. Vor allem meinem Vater ist es schon immer sehr wichtig gewesen, dass meine zwei jüngeren Brüder und ich uns an den Gedanken gewöhnen, irgendwann auf uns allein gestellt zu sein, eigene Entscheidungen treffen und für uns selbst Verantwortung zu übernehmen. Unsere Eltern betonten aber stets, dass sie immer für uns da seien, wenn wir Hilfe oder Unterstützung bräuchten. Und das waren und sind sie auch.

ZWEI TERMINKALENDER

Im Gespräch mit Freunden und Freundinnen zwischen 18 und 23 Jahren habe ich festgestellt, dass Loslassen ein sehr individueller und subjektiver Prozess ist. Jede und jeder versteht ein bisschen etwas anderes darunter. Manchen fällt es leichter, andere tun sich schwer damit, sich zu lösen. Deshalb fand ich es spannend zu erfahren, was andere junge Erwachsene denken und habe sechs Freunde und Freundinnen befragt. Vier von ihnen sind Studierende oder gehen noch zur Schule, zwei stehen an der Schwelle zum Eintritt in das Arbeitsleben. Drei sind schon ausgezogen, die anderen leben noch im Elternhaus. Als Gründe für den Auszug von daheim wurden die Entfernung zur Uni oder Schule, die Heirat oder ein angespanntes Verhältnis zu einem Elternteil genannt. Ob schon ausgezogen oder noch zu Hause lebend – fast alle bewerteten das aktuelle Verhältnis zu den Eltern als gut bis sehr gut. Bei allen Befragten fiel auf, dass sie die Beziehung zu den Eltern in der Pubertät als angespannt und weniger gut beschrieben und der Wunsch nach Freiheit von den Eltern in dieser Zeit groß war.

Auf die Frage, was „Loslassen“ in Bezug auf Eltern und Elternhaus für sie bedeute, wurden folgende Antworten gegeben: „Ausziehen und allein leben“, meint Eduard (18). Bennet (19) nennt die Stichworte „Verantwortung annehmen“ und „selbstständig werden“. „Nicht mehr abhängig sein, eigene Entscheidungen treffen, versuchen, alles selbstständig zu erledigen, wie kochen oder waschen“, lautet die Antwort von Jon (20). Für Melli (20) stehen „Selbstständigkeit, zwei Terminkalender haben, nach eigenen Lösungen suchen“ im Vordergrund. Und Sara (21) antwortet: „Loslassen bedeutet für mich, meine gewohnte Routine mit meinen Eltern loszulassen und eine neue, eigene Routine zu finden. Loslassen bedeutet für mich nicht, seine Eltern nur noch selten zu sehen und sich ganz von ihnen abzuschotten.“

Diese Aussage finde ich sehr bezeichnend. Loslassen heißt nicht, seine Eltern in die Wüste zu schicken, sondern sich ein eigenes, selbstbestimmtes Leben aufzubauen, welches die Eltern zwar enthält, aber nicht durch sie vorgegeben wird.

Rebekka (23) ergänzt diesen Gedanken. Loslassen bedeute für sie, sich selbst zuzutrauen, im Leben klarzukommen. Sie müsse nicht ständig wissen, was ihre Eltern machen und diese nicht, was Rebekka mache. Gleichzeitig finde sie, dass Loslassen auch die Freiheit beinhalte, sich diese Dinge gegenseitig freiwillig zu erzählen. Es bedeute, sich gegenseitig Freiheit zu geben.

Fast allen der Befragten ist oder wäre es wichtig, mit ihren Eltern in Kontakt zu bleiben, ob über Handy, Mail oder durch regelmäßige Besuche.

VERTRAUENSBEWEIS

Letztens kam mir ein Bild für das Loslassen in den Kopf: Ein Vater steht mit seinem Kind an einem Fußgängerüberweg und nimmt es an die Hand. Das Kind möchte sich losreißen und über die Straße zum Park rennen. Es realisiert nicht, dass Autos angerast kommen, die es umfahren könnten. Der Vater erkennt die Gefahr, hält das Kind fester und erklärt ihm: „Es ist gefährlich, einfach so über die Straße zu rennen. Ich möchte, dass du an meiner Hand bleibst, bis wir auf der anderen Straßenseite sind. Ich werde dich sicher nach drüben bringen.“ Das leuchtet dem Kind ein und es geht an der Hand des Vaters über die Straße. Je näher sie der anderen Straßenseite kommen, desto unruhiger wird das Kind. Es möchte allein laufen. Der Vater würde es lieber weiterhin an der Hand halten. Aber er sieht ein, dass das Kind nur noch stärker an seinem Arm ziehen und sich vielleicht einfach losreißen wird, wenn er es nicht loslässt. Also gibt er das Kind frei und es kann allein laufen. Der Vater setzt sich auf eine Bank und beobachtet es aus einer Distanz. Das Kind kann sich frei bewegen, aber es sieht, dass er doch noch irgendwie da ist. Sollte also etwas passieren, hätte es die Möglichkeit, zum Vater laufen.

Dieses Bild bedeutet für mich, dass wir die Führung unserer Eltern bis zu einem gewissen Punkt brauchen. Sie haben mehr Erfahrung, oft mehr Überblick und wissen wirklich manches besser – auch wenn wir das als Teenager oft bezweifeln. Je näher wir dem Erwachsenesein kommen, desto mehr Freiheit wünschen wir uns. Wir zerren an der Hand, wollen allein laufen. Jetzt liegt es an unseren Eltern: Lassen sie uns freiwillig los und unterstützen uns bei unserem Erkundungsdrang? Oder halten sie uns weiter fest und riskieren damit, dass wir uns weiterhin an ihnen festklammern oder dass wir uns losreißen und wegrennen? Loslassen hat viel mit Vertrauen zu tun. Es ist es ein echter Vertrauensbeweis, wenn die Eltern ihre Kinder fliegen lassen. Wenn sie ihnen zutrauen, sich selbstständig im Leben zurechtzufinden und klarzukommen.

KEINE ROMANE ERWARTEN

Zum Schluss habe ich meine Freunde und Freundinnen gefragt, wie sich Eltern nach dem Auszug der Kinder verhalten sollten. Sara hat sich von ihren Eltern gewünscht, „mich zu unterstützen und die Trauer nicht so sehr zu zeigen und verständnisvoll zu sein.“ Jon ist es wichtig, dass seine Eltern ihn „auf Anfrage hin unterstützen, sonst mich meinen Aufgaben selbst überlassen.“ „Lauft mir nicht nach, sonst komme ich nicht wieder“, würde Eduard seinen Eltern raten. Und Melli meint, ihre Eltern sollten nicht enttäuscht sein, wenn sie ohne sie auskommt. „Erwartet keine Romane von meinem Leben“, formuliert Bennet, während Rebekka betont: „Bedrängt mich nicht, aber bietet Unterstützung an!“ Liebe Eltern, wir möchten einerseits unabhängig sein, aber andererseits mit dem Wissen in die Welt gehen, dass ihr für uns da seid, wenn wir euch von uns aus um Hilfe oder Unterstützung bitten. Lasst uns frei, aber seid erreichbar. Bevormundet uns nicht, aber gebt uns Rat, wenn wir ihn erbeten. Und vor allem, betet für uns um Segen, Bewahrung und Weisheit. Das ist nämlich das größte Geschenk, das ihr uns mit auf den Weg ins Erwachsenenleben geben könnt.

Borika Lea Luft (22) lebt in Pforzheim, studiert Soziale Arbeit und absolviert zurzeit ihr Praxissemester bei pro familia. In ihrer Freizeit engagiert sie sich in ihrer Gemeinde.

 

Borika Lea Luft hat für diesen Artikel einen Fragebogen entwickelt, um junge Erwachsene zum Thema Abnabelung und Loslassen zu befragen. Die Befragten haben ihn als sehr hilfreich empfunden. Deshalb haben wir ihn zum Herunterladen online gestellt.

Liebe lässt sich nicht erzwingen

Wenn die 16-jährige Tochter das Elternhaus verlässt, reißt sie ein tiefes Loch …

Wir haben vor knapp zwei Jahren von heute auf morgen den Kontakt zu unserer ältesten Tochter verloren. Sie hatte aus verschiedenen Gründen immer mehr Zeit außerhalb unserer Familie verbracht. Bedingt durch mehrere schwere gesundheitliche Ereignisse in unserer Familie hatten wir nicht genug registriert, dass sie sich auch emotional von uns distanziert hatte. Die Auslöser waren sehr unterschiedliche Auffassungen zu Themen wie Freiheit, Sexualität und Glaube. Ohne dass wir es geahnt haben, hat unsere Tochter sich entschieden, auszuziehen und den Kontakt zu beenden.

In den ersten Wochen standen wir völlig unter Schock. Ich konnte kaum schlafen. Ich habe alles hinterfragt, ständig lief das Kopfkino auf und ab. Ich habe versucht, für die anderen Kinder zu funktionieren. Abends saß ich oft im Zimmer unserer Tochter und habe laut geweint. Ich schrie zu Gott, dass ich diesen Schmerz, diese Ohnmacht, diese Sehnsucht und dieses Ausgeliefertsein nicht aushalte. Es waren Stunden der Verzweiflung, der Wut, des Zerbruchs. Und dazwischen immer wieder die Bilder aus glücklichen Zeiten, die im ganzen Haus an den Wänden hängen …

ZERREISSPROBE
Ich kann Gott nur von Herzen danken, dass er mir seine Engel in Form von anderen Christen geschickt hat. Sie hatten offene Ohren zum Zuhören und beteten für uns. Und es waren oft nicht die Worte, sondern das Händedrücken oder die Umarmungen, die uns großen Trost gespendet haben.

Wir haben natürlich versucht, unsere Tochter zurückzugewinnen. Ein großes Problem war, dass mein Mann und ich sehr unterschiedliche Sichtweisen hatten. Ich bin eher der geradlinige Sturkopf, er der kompromissbereite Grenzenöffner. Was sich bisher ergänzt hatte, wurde nun zur Zerreißprobe. In diesem Punkt mussten wir viel lernen, hatten Kämpfe und Tiefschläge zu tragen und wissen heute, dass wir auch die kleinsten Entscheidungen nur gemeinsam treffen.

Ein großes Gefühl war auch die Hilflosigkeit, nichts tun zu können. Ich bin der Typ von Frau, die immer alles im Griff zu haben scheint. Hier war es an der Zeit einzugestehen, dass nichts mehr läuft und ich nur Gott alles vor die Füße werfen kann. Trotz unseres Kampfes bleibt am Ende nur eine Einsicht: Liebe, Dankbarkeit und Zugehörigkeit lassen sich nicht erzwingen. Trotz ihres minderjährigen Alters und obwohl wir nicht wissen und wussten, welchen Einflüssen sie ausgesetzt ist, blieb als einzig vernünftige Wahl, unsere Tochter loszulassen.

Wir haben sie losgelassen im Wissen, dass sie in Gottes Hand ist, und das ist unser gewaltiger Trost. Er lässt ihre Hand niemals los. Und er kann sie tausendmal besser führen, als wir es je hätten tun können. Dadurch wuchs unsere Zuversicht. Und wir konzentrierten uns auf die Aufgaben, die Gott für uns bereithielt. Wir haben dem Groll keinen Raum in unsere Herzen gegeben, auch wenn die Traurigkeit ein Teil unseres Lebens geworden ist. Aber die Gewissheit, dass Jesus größer ist und alles zum Guten wendet, hat uns eine tiefe innere Ruhe gegeben.

WEIHNACHTSWUNDER
Ende letzten Jahres hat sich Erstaunliches getan. Nach anderthalb Jahren stand unsere Tochter kurz vor Weihnachten überraschend vor unserer Tür. Unbeschreiblich schön und zugleich fern und befremdlich. Balsam fürs Mutterherz, das sich sofort ganz weit macht, obwohl man die Gefahr der Verletzlichkeit nur zu gut kennt. Mittlerweile reagiert sie auch auf Whats-App-Nachrichten und nimmt Einladungen an. Es gäbe viel aufzuarbeiten, und wir befinden uns auf einer vorsichtigen Reise in die gemeinsame Zukunft. Wir sind gespannt, wie Jesus uns führt und klammern uns an seine Hand.

Die Autorin möchte anonym bleiben.