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Mama, das will ich nicht wissen! – So teilen Sie Probleme mit ihren erwachsenen Kindern!

Eine Beziehung auf Augenhöhe mit den erwachsenen Kindern zu führen, bedeutet auch, offen miteinander zu reden. Aber wieviel kann man preisgeben, ohne dass es peinlich wird?

Wenn ich mit meinen erwachsenen Kindern unterwegs bin, ist es immer auch so, als wenn ich mein Leben noch einmal erleben würde. Unweigerlich werde ich an meine eigenen Herausforderungen in der Ehe, an den Druck im Job oder an Missverständnisse unter Freunden erinnert.

In Erinnerungen gefangen

Nicht selten bin ich dabei sogar mehr in meinen eigenen Erinnerungen an Emotionen und Selbstzweifeln gefangen, als bei dem Anliegen meines Gegenübers zu sein. Eine Begleitung auf Augenhöhe fordert mich heraus, bewusst wahrzunehmen, in welcher Ebene ich gerade herumtanze. Ist es meine eigene Erinnerung, die mich mit Schmerz und Hoffnung wieder einholt? Dann ist es wichtig, meine Antwort zu filtern. Ich kann von meinem Erleben erzählen, meinen Fragen und auch davon, wie ich die Entscheidung heute bewerten würde. Diese Filterfunktion meint auch: Was ist verdaulich für mein Kind?

Manchmal wird das Begleiten auf Augenhöhe aber auch missverstanden, und Eltern teilen ungefiltert ihre aktuellen Herausforderungen im Sexualleben, ihre Sorgen bezüglich des Älterwerdens, des Kontostandes oder die Probleme mit ihrer Biografie. Durch das Zumuten dieser Lebensthemen wollen sie Respekt ausdrücken. Weisheit ist gefragt, denn Kinder bleiben immer Kinder ihrer Eltern.

Fingerspitzengefühl

Wenn wir weise filtern, was wir mit unseren Kindern teilen, können wir als Eltern trotz aller Anfragen und Kritik Vorbilder bleiben. Ein Einblick in die aktuelle Herausforderung fordert daher immer ein großes Maß an Fingerspitzengefühl. Eine Krise darf gern so formuliert werden, dass Eltern auf dem Weg sind. Im Gespräch kann dann die Reaktion des erwachsenen Kindes den weiteren Verlauf beeinflussen. Die Frage nach konkreten Details zeigt: Hier ist ein harmloses und oberflächliches Gespräch nicht zufriedenstellend. Eine konkrete Frage nach dem Umgang in einem Themenfeld ist eine Einladung, auch konkreter zu antworten. Die Eltern dürfen nun auch Fragende und Suchende werden. Die erwachsenen Kinder brauchen diese Momente, in denen sie gemeinsam mit ihren Eltern auf dem Weg sind. Der Erfahrungsvorsprung im Leben bleibt, die Themen des Lebens können aber mit gemeinsam gestellten Fragen von Jung und „Alt“ sehr bereichernd bedacht werden.

Stefanie Diekmann ist Gemeindereferentin in Göttingen, verheiratet und Mutter von drei erwachsenen Kindern.

Zwischen Geborgenheit und Abenteuer

Was ist überhaupt aufregender Sex? Christa und Dr. med. Wilf Gasser machen Paaren Mut, diese Frage für sich zu klären. Denn nur wenn beide wissen, was sie suchen, haben sie auch die Chance, fündig zu werden.

Sex mag uns als eine körperliche Angelegenheit erscheinen, aber entscheidend ist das, was sich im Kopf abspielt. Erfahrungsgemäß reden Paare zu wenig darüber, was hier abgeht – obwohl schon das offene Gespräch über Sex in der Paarbeziehung erotische Spannung aufbauen könnte. Doch was wünsche ich mir eigentlich? Mancher Austausch scheitert schon daran, dass die Ehepartner das selbst nicht so genau wissen. Vielleicht wussten sie es einmal, aber die Beziehung hat sich verändert und das Leben findet unter anderen Bedingungen statt. Deshalb hier ein paar gedankliche Leitplanken, die helfen, den eigenen Wünschen und Sehnsüchten auf die Spur zu kommen.

DAS SEXUELLE VERLANGEN ZWISCHEN „HOME“ UND „ABENTEUER“

Das sexuelle Verlangen umfasst zwei fast widersprüchliche Pole. Auf der einen Seite suchen wir Vertrautheit, Verlässlichkeit, Sicherheit, Annahme und Bindung. Auf der anderen Seite wollen wir Aufregung, Kick, Gewagtes und Neues. Bei vielen Menschen liegt das sexuelle Verlangen eher auf der einen oder anderen Seite, oder es kippt im Verlauf der Zeit auf eine der beiden Seiten. Und sicher spielt in dieser Frage auch unser Geschlecht eine Rolle sowie Veränderungen, die sich mit zunehmendem Alter ergeben.

Wir Männer haben vielleicht testosteron-bedingt eher den Wunsch nach einem intensiven, raschen Erregungsaufbau und einem ausgeprägten Kick. Der Abenteuer-Pol liegt uns naturgemäß recht nahe. In unseren Träumen spielen oft auch sexuelle Spielarten wie Oralsex und diverse Stellungen eine Rolle, und bereits die Gedanken daran können Erregungsgefühle auslösen. Unser Verlangen ist stark auf den Orgasmus ausgerichtet. Eine sexuelle Begegnung ohne Höhepunkt ist für die meisten Männer undenkbar. Was aber keinesfalls heißt, dass der „Home“-Aspekt für uns nicht auch für eine langfristig erfüllende sexuelle Beziehung wichtig wäre.

Wir Frauen verbinden Sex gerne mit „Home“ – einem Ort, an dem wir uns wohl und sicher fühlen. Wir können es genießen, wenn die sexuelle Begegnung zu einer Wellness-Erfahrung wird. Vertrautheit, Zuwendung und Liebe öffnen uns für die Möglichkeit einer sexuellen Begegnung. Vielleicht sogar für die Möglichkeit von Abenteuer. Aber nicht selten sind unsere Männer irritiert, weil wir Frauen nicht mit gleicher Begeisterung Abenteuer-Ideen einbringen oder weil es für uns nicht immer so einfach ist, uns auf ihre Wünsche einzulassen.

SEX MAL ANDERS ODER GANZ VERTRAUT

In den Träumen von Abenteuern hat alles Platz, was auf dem Boden einer vertrauensvollen Beziehung entsteht, und unter Wahrung von Würde und Achtung des Gegenübers ausgelebt oder humorvoll auch als untaugliche Idee verworfen werden kann. Ein erotisches Gespräch zum Beispiel oder das gemeinsame spielerische Entdecken von Dingen, die bisher nicht zum Repertoire gehörten. Statt Sex immer zum Abschluss des Tages kurz vor Mitternacht, warum nicht mal zu ganz anderen Zeiten? Oder mal ein Ortswechsel vom Bett auf das Sofa oder auf den Küchentisch? Oder mal ein Schäferstündchen in der Natur?

„Home“ heißt dagegen: Wir pflegen Vertrautes, wir schaffen eine Atmosphäre, in der sich beide wohl und sicher fühlen. Wir geben dem Raum, was uns guttut und uns zueinander bringt.

Erotische Spannung braucht langfristig unbedingt beide Pole: Home und Abenteuer. Es muss nicht immer ein Gleichgewicht herrschen, aber wenn wir auf der einen oder anderen Seite ein andauerndes Übergewicht haben und das Thema immer auch mit realen oder vielleicht nur vermeintlichen Vorwürfen verbunden ist, führt dies meist bald zum Verlust des Interesses an sexuellen Begegnungen. Zumindest bei demjenigen Partner, dessen Bedürfnisse zu wenig Beachtung finden …

Deshalb unser Tipp: Sprecht als Paar über die Illustration unten. Zuerst über den großen Bogen, in welchen langfristig gelingende Sexualität eingebettet ist. Hier sind die Stichworte dazu:

Verbindlichkeit: Maximale Intimität braucht maximale Verbindlichkeit
Exklusivität/Treue: Was sind eure Vorstellungen und Maßstäbe?
Balance von Geben und Nehmen, Schenken und Empfangen
Wie geht es unserem „Wir-Gefühl“? Wie erlebe ich Verbundenheit in der Sexualität?
Lasst euch dann auf das Spannungsfeld von Home und Abenteuer ein. Dabei ist es hilfreich, wenn beide zunächst mal für sich überlegen: Welche Punkte in der Illustration sind mir besonders wichtig? Man kann die Stichwörter auch auf einer Skala von 1 bis 10 bewerten.

Dass diese Auseinandersetzung mit euren Erwartungen und Enttäuschungen euch möglicherweise auch sehr persönlich in Frage stellt, ist völlig normal! Sie ist aber die Voraussetzung für eine wachsende Intimität.

DAS PROBLEM MIT DEM TRÄUMEN

Es ist toll, wenn ihr über eure Wünsche und Träume ins Gespräch kommt. Gleichzeitig möchten wir euch davor warnen, sie zum Nonplusultra zu machen. Träume sind schön und sehr oft die Triebfeder für menschliches Handeln und für großartige Leistungen. Der Mensch ist ein mit Vorstellungskraft und Fantasie begabtes Wesen, und dies kommt nirgends so zum Tragen wie in der Sexualität. Schwierig wird es allerdings, wenn eure Träume und Vorstellungen gewissermaßen zum einzigen Maßstab werden. Was ihr in der Realität erlebt, ist dann nie wirklich gut genug. Wenn ihr zum Beispiel den gemeinsamen Orgasmus als das ultimative Beispiel von gutem Sex betrachtet, seid ihr jedes Mal enttäuscht, wenn ihr es wieder nicht schafft, obwohl ihr eigentlich für so vieles dankbar sein könntet.

Beim Thema Sex träumen manche lieber von der unerreichbaren sprichwörtlichen Taube auf dem Dach, statt die weniger spektakuläre Realität zu genießen. Die Enttäuschung ist damit vorprogrammiert. Und daraus entsteht dann leicht eine Schuldzuweisung an den Partner oder die Partnerin. Man klagt an oder fühlt sich angeklagt. Beides ist ein Lustkiller!

GOTT ALS COACH?

Versucht euer Gespräch über Home und Abenteuer damit abzuschließen, dass ihr je einen Punkt für mögliches Wachstum definiert. Und falls ihr mit Jesus bekannt seid und das gemeinsame Gebet möglich ist, dann empfehlen wir euch analog zum christlichen Tischgebet ein regelmäßiges „Bett-Gebet“. In unseren schwierigen Lern-Jahren (wohl nicht ganz zufällig auch die Kleinkind-Jahre …) haben wir recht treu vor intimen Begegnungen gebetet und Gott als Coach in unser Schlafzimmer eingeladen. Zugegeben, es war gewöhnungsbedürftig, ihn zum Thema „aufregender Sex“ so persönlich ins Spiel zu bringen!

Ich (Wilf) erlebte es als befreiend, im Gebet um eine leidenschaftliche und eine die Herzen verbindende sexuelle Begegnung zu bitten. Ich empfand als Mann auch eine gewisse Furcht vor der egoistischen und gierigen Seite der Sexualität. Unser „Bett-Gebet“ hat mir geholfen, mich mit meiner männlichen Triebkraft und hormonbedingten Leidenschaft zu versöhnen.

WOHER DIE „AUFREGUNG“?

Wenn ihr nachhaltig aufregenden Sex sucht, spielt es eine Rolle, aus welcher Quelle sich eure Träume nähren. Generell können wir Menschen uns darauf konditionieren, Erregung durch Reize wie zum Beispiel pornografische Bilder, Fetische oder bestimmte Handlungen zu suchen. Diese Reize sind zwar wirksam und führen zumindest einseitig zu einer gewissen Erregung. Aber sie sind ohne jeglichen Bezug zu einer realen Person, beziehungsweise die andere Person ist austauschbar.

Die gute Nachricht ist, dass wir lernen können, unseren Träumen eine Ausrichtung auf einen anderen liebevollen Menschen zu geben. Wir können uns angewöhnen und können es einüben, unsere „sexuelle Aufregung“ aus einer realen Beziehung heraus zu suchen. Wir können lernen, uns ohne Lust und ohne jegliche Erregung auf eine sexuelle Begegnung einzulassen. Und müssen dann aber wissen – beziehungsweise müssen es vielleicht auch erst lernen –, wie wir erotische Brücken bauen und so Erregung aufbauen können. Eine kleine Übung kann dabei helfen (siehe Tipp).

Wir laden euch ein, miteinander im Gespräch zu bleiben und euch einander unvoreingenommen zu begegnen. Selbst wenn das manchmal nicht ganz einfach ist – langfristig könnt ihr nur gewinnen!

 

TIPP: NACKTHEITS-ÜBUNG

Eine kleine und beliebig wiederholbare Übung kann euch helfen, euch auf eine partnerschaftliche Sexualität auszurichten. Sie kann aber auch eine Einstiegshilfe sein, wenn ihr euch für eine sexuelle Begegnung entschieden habt, aber noch keine Spur von erotischen Gefühlen vorhanden ist. Diese unscheinbare und auf den ersten Blick wenig aufregende Übung kann sich wie ein kleiner Spatz in der Hand zur Taube wandeln. Probiert die Übung doch mal aus und sprecht darüber, wie es euch dabei ergeht. Und sollte euch die Übung fast zu einfach scheinen, probiert es trotzdem! Ihr könnt nur gewinnen.

1. Schritt: Nackt nebeneinander liegen: Was macht das mit mir?
Beide Partner ziehen sich im warmen Zimmer nackt aus und machen es sich nebeneinander bequem, ohne sich zu berühren. Nun schließt eure Augen und entspannt euch. Nehmt euch für diesen ersten Schritt mindestens 10 Minuten Zeit. Beide horchen in sich hinein. Was macht das mit mir? Wie fühle ich mich? Wie fühlt sich die eigene Nacktheit an? Fühle ich mich wohl in meiner Haut? Wie fühlt sich die Nacktheit des Partners, der Partnerin an? Welche Gefühle löst dies bei mir aus?

2. Schritt: Einander berühren
Legt Arme und/oder Beine über- oder ineinander, aber ohne, dass ihr euch aktiv streichelt oder stimuliert. Nehmt euch dafür wieder 5-10 Minuten Zeit. Was macht dies mit mir? Wie fühlt es sich an? Fühle ich mich wohl dabei?
Austausch: Was habe ich am meisten genossen? Was war schwierig?

 

Christa und Dr. med. Wilf Gasser sind seit 1983 verheiratet. Sie haben drei erwachsene Kinder und acht Enkel und wohnen in einer kleinen Gemeinschaft in der Nähe Berns. Sie arbeiten als Sexualtherapeuten und bieten Seminare für Paare an: www.wachsende-intimität.ch. Der Artikel basiert auf einem Kapitel aus ihrem Buch „Der Traum vom guten Sex – Druck und Freiheit in der sexuellen Begegnung“.

Alles hat seine Zeit …

Wie ein biblisches Prinzip im Alltag hilft. Von Miriam Koller

Da war sie wieder, die mir so wohlvertraute Stimme meines inneren Kritikers, die mich immer wieder aufs Neue niedermacht, mich klein hält und verunsichert: „Na toll, hast ein paar Wochen durchgehalten, super. Und heute Abend machst du wieder alles kaputt. War ja klar, dass das nichts wird.“ Mein Blick fiel beschämt auf die Chipstüte vor mir, und ich fühlte mich augenblicklich hundeelend.

SPRUNG VOM 10-METER-BRETT

Vor einigen Wochen hatte mich im Buch „Problemzone Frau“ von Veronika Smoor die Aussage gepackt, wir Frauen dürften in puncto Ernährung auf unseren Körper vertrauen lernen. Ich wagte den mutigen Schritt und begann, nur noch so viel zu essen, wie ich tatsächlich Hunger hatte und nur noch das, worauf ich gerade Appetit hatte. Es fühlte sich im ersten Moment an wie ein Sprung vom 10-Meter-Brett. Anlauf nehmen, Augen zukneifen und hoffen, dass es gut geht. Luftleerer Raum, Schwerelosigkeit, Zweifel, Angst – war das wirklich eine so gute Idee?

Aber dann stellte ich nach kurzer Zeit fest, dass ich tatsächlich phasenweise auf ganz unterschiedliche Lebensmittel Appetit hatte und dass es gar nicht nur die „ungesunden“ waren. An der Mehrheit der Abende vermisste ich meine Schokolade überhaupt nicht, von der ich immer dachte, ich sei abhängig. Und statt der Befürchtung, dass ich aufgehen könnte wie ein Hefeteig, geschah tatsächlich das Gegenteil: Ich nahm ab. Ich fühlte mich so gut und so wohl in meinem Körper.

Gestern dann das: plötzlich ein abendlicher Heißhunger auf Chips, Cola und Schokolade. Und ich gab mich ihm hin. Nicht ohne mich dafür zu verurteilen und schwarzzumalen … Heute lese ich in einem Artikel, wie viel Energie der Körper benötigt, um eine Krankheit zu bekämpfen, und da muss ich plötzlich über mich selbst schmunzeln. Dass mich seit zwei Tagen eine Erkältung quält, hatte ich überhaupt nicht in den Zusammenhang gebracht mit meiner gestrigen Fressattacke. Dabei war es völlig klar: Mein Körper hatte nach Lebensmitteln geschrien, die ihm möglichst schnell viel Energie liefern sollten. Natürlich nicht gerade die besten, aber statt auf ihn zu hören und zu vertrauen, dass er schon weiß, was er da tut, habe ich den inneren Kritiker laut seine Schimpftiraden über mir ausschütten lassen und – das ist das Schlimme – ihm auch noch geglaubt.

DEN INNEREN KRITIKER ZUM SCHWEIGEN BRINGEN

Während ich heute darüber nachdachte, wie wunderbar Gott unseren Körper eigentlich geschaffen hat, kam mir ein Bibelvers in den Sinn, an den ich in letzter Zeit öfter denken musste. Prediger 3,1: „Alles hat seine Zeit, alles auf dieser Welt hat seine ihm gesetzte Frist.“ Lässt sich diese Aussage nicht vielleicht auf viel mehr Bereiche unseres Lebens ausdehnen, als wir erahnen? Der Bibelabschnitt geht weiter mit: „Geboren werden hat seine Zeit wie auch das Sterben.“ Und in diesem Zusammenhang verstehen wir diesen Vers meist. Dass es um die Endlichkeit unseres Lebens geht. Aber dass noch eine ganze Reihe an weiteren Aufzählungen folgen, war mir bisher weniger präsent:

„Pflanzen hat seine Zeit wie auch das Ausreißen des Gepflanzten. Töten hat seine Zeit wie auch das Heilen. Niederreißen hat seine Zeit wie auch das Aufbauen. Weinen hat seine Zeit wie auch das Lachen. Klagen hat seine Zeit wie auch das Tanzen. Steine zerstreuen hat seine Zeit wie auch das Sammeln von Steinen. Umarmen hat seine Zeit wie auch das Loslassen. Suchen hat seine Zeit wie auch das Verlieren. Behalten hat seine Zeit wie auch das Wegwerfen. Zerreißen hat seine Zeit wie auch das Flicken. Schweigen hat seine Zeit wie auch das Reden. Lieben hat seine Zeit wie auch das Hassen. Krieg hat seine Zeit wie auch der Frieden.“

Was hier beschrieben wird, lässt den Schluss zu, dass sich diese Weisheit auf sehr viele Bereiche des Lebens anwenden lässt. Warum also nicht auch auf unsere Ernährung und auf unser Vertrauen in unseren Körper? Und wie viel leichter und schöner wäre doch das Leben für uns, wenn wir uns erlauben würden, dieses Prinzip tatsächlich auf uns anzuwenden? Wenn wir den inneren Kritiker zum Schweigen brächten in dem Wissen, dass Gott das ganz anders sieht? Dass unser Schöpfer uns wunderbar gemacht hat und uns den Bauplan „Alles hat seine Zeit“ in die DNA gelegt hat?

DICKE STAUBSCHICHTEN

Ein weiteres Beispiel: Bevor ich Mutter wurde, war mein Haushalt perfekt geplant. Ich führte einen genauen Ablaufplan, wann ich was zu tun hatte und hielt mich daran. Ich hatte das Gefühl, den Haushalt im Griff zu haben. Dann kam die Geburt und mit dem Einzug dieses neuen kleinen Menschleins wurde meine Welt komplett umgekrempelt. Ich hielt keinen meiner Pläne mehr ein. Machte frustriert einen neuen, nur um dann auch diesen nicht erfüllen zu können. Unsere Regale setzten dicke Staubschichten an. Durch die Fenster sahen wir unsere Umgebung zunehmend getrübter. Es gab Ecken in unserem Zuhause, die über Monate hinweg nicht mehr gesaugt wurden. Und wie sehr machte ich mir dafür Vorwürfe …

Es kamen aber auch wieder andere Zeiten. Ich hätte es damals nicht für möglich gehalten. Auch heute noch gibt es diese Phasen, in denen ich es einfach nicht schaffe, den Haushaltsplan einzuhalten. Wo mir schlichtweg die Kräfte fehlen und ich mich nicht dazu aufraffen kann, die Betten frisch zu beziehen. Und auch da habe ich inzwischen eines gelernt: Es bringt weder etwas, mich zu quälen, nur damit „der Plan eingehalten“ wird, noch den inneren Kritiker zu Wort kommen zu lassen und mich schlecht zu fühlen für „mein Versagen“. Nein, ich darf darauf vertrauen, dass es – vielleicht schon in ein paar Tagen – einen Vormittag geben wird, an dem ich plötzlich vor Kraft nur so strotze, es mir förmlich in den Fingern juckt, heute die Betten zu beziehen, und mir die Arbeit dann federleicht von der Hand geht. Alles hat seine Zeit! Gott spricht es uns zu in seinem Wort. Wir dürfen darauf vertrauen, dass es die Wahrheit ist und es als Schutzschild vor uns halten, wenn die spitzen Pfeile des inneren Kritikers mal wieder versuchen, uns zu durchbohren.

Miriam Koller lebt und arbeitet in Weinstadt in der Nähe von Stuttgart. Sie ist Buchhändlerin in einer christlichen Buchhandlung und Mutter einer Tochter im Kindergartenalter.

Wasserläufer in der Pandemie

Christof Klenk zweifelt an der Vorbildfunktion von Petrus beim Verlassen des Bootes.

Was bedeutet Gottvertrauen in Pandemiezeiten? Singen ohne Maske? Auf Bewahrung hoffen und nicht auf den Impfschutz? „Mit meinem Gott kann ich über Wasser laufen“, heißt es in einem Lied. Es geht hier um die Begebenheit, von der in Matthäus 14 berichtet wird. Während die Jünger mit ihrem Boot im Sturm auf dem See Genezareth unterwegs sind, kommt ihnen Jesus auf dem Wasser entgegen, den sie zunächst für ein Gespenst halten. Der mutige Petrus steigt aus dem Boot aufs Wasser und geht auf Jesus zu, der den Jünger auf den letzten Metern retten muss, weil der Fischer dann doch Zweifel bekommt, ob ihn das Wasser trägt.
Diese Geschichte wird immer wieder als Beispiel dafür herangezogen, dass Christen mutig Schritte gehen sollen. Dagegen spricht für mich: Es war nicht die Idee von Jesus, dass Petrus aus dem Boot steigt. Wir lernen Petrus an verschiedenen Stellen als Jünger kennen, der vorschnell Entscheidungen trifft. Und man kann durchaus fragen, inwiefern es sinnvoll ist, dass er hier auf dem Wasser geht und gerettet werden muss. Jesus wäre wohl auch bald im Boot gewesen. Dass die anderen Jünger in ihrem Kahn geblieben sind, wird von Jesus an keiner Stelle kritisiert.
Ich bin überzeugt, dass Gott will, dass wir mutige Schritte tun. Viele christliche Hilfswerke verdanken ihre Existenz nicht zuletzt dem Mut ihrer Gründerinnen und Gründer. Aber Hand aufs Herz: Was hat die Menschheit davon, wenn ich übers Wasser laufe?
Wenn ich die Evangelien richtig verstehe, dann hat Jesus vor allem Menschen geheilt, denen niemand sonst helfen konnte. Er hat sich nicht darauf konzentriert, Nicht-Schwimmern das Bad im See Genezareth zu ermöglichen.

Christof Klenk ist Redakteur bei Family, FamilyNEXT und beim HauskreisMagazin. Der Kommentar greift Gedanken von Dr. Ulrich Wendel aus Faszination Bibel (2/2013) auf.

Meine Tochter hängt an mir

„Meine Tochter (3) folgt mir auf Schritt und Tritt und mag sich nicht allein beschäftigen. Da sie keine Geschwister hat, gibt es niemanden, mit dem sie zu Hause spielen könnte. Ich versuche, sie in meine Aufgaben einzubinden und mich mit ihr zu beschäftigen, habe aber nicht immer Lust dazu und will endlich mal wieder allein aufs Klo! Ist es von einer Dreijährigen zu viel verlangt, auch mal allein zu spielen?“

Grundsätzlich können sich die meisten Dreijährigen entwicklungsbedingt gut allein beschäftigen, in der Gewissheit, dass eine vertraute Person in ihrer Nähe ist. In einem normalen Alltag lernen sie das „nebenbei“. Wenn Ihr Kind immer noch auf Schritt und Tritt in Ihrer Nähe bleibt, hat es dafür vermutlich seine „guten Gründe“.

Muss das Kind einen Verlust verarbeiten?

Um das besser zu verstehen, ist es hilfreich, die Lebensgeschichte Ihres Kindes näher anzuschauen: Waren oder sind Sie und Ihr Kind mit besonderen Herausforderungen konfrontiert, wie etwa dem Verlust einer nahestehenden Person durch Trennung oder Tod, Krankheit, einer traumatischen Geburt, Klinikaufenthalten oder einer unangemessenen Eingewöhnung? Solche und andere „stressende“ Erfahrungen können dazu beitragen, dass Kinder mehr Zeit und elterliche Zuwendung brauchen, um (wieder) die nötige Sicherheit und Vertrauen ins Leben zu gewinnen und ihre Selbstständigkeit zu entfalten.

Es ist gut, dass Sie als wichtigste Bezugsperson – soweit möglich – ganz für Ihre Kleine da waren, um das Urvertrauen (wieder) zu festigen, sich mit ihr beschäftigen, wenn keine anderen Kinder da sind, und sie in Ihren Alltag einbinden. Genauso richtig und wichtig ist es aber auch, dass Sie Ihre eigenen Bedürfnisse wahrnehmen, wie zum Beispiel, etwas für sich allein zu machen oder sich auszuruhen. Indem Sie dies ausdrücken und umsetzen, erfährt Ihr Kind: „Andere Menschen haben auch Bedürfnisse, die beachtet werden müssen“ – eine wichtige Voraussetzung für soziales Verhalten.

Eine Sanduhr schafft Freiräume

Um mehr Freiraum für Sie als Mutter zu schaffen und gleichzeitig die Entwicklung kindlicher Selbstständigkeit zu fördern, können regelmäßige Zeiten mit anderen Bezugspersonen wie Papa, Oma oder anderen Kindern sehr hilfreich sein. Wenn Sie und Ihre Tochter allein sind, könnten Sie zum Beispiel mit einer Sanduhr oder Uhr (mit Zeiger) kleine Auszeiten einführen: Nachdem Sie zusammen eine gute Zeit hatten, erklären Sie Ihrer Tochter klar und kurz: „Ich gehe jetzt … (Ort) und mache … (Handlung). Du kannst so lange … (Spielvorschlag). Wenn die Zeit um ist (siehe Uhr), komme ich wieder.“ Wichtig: Handeln Sie genau so wie angekündigt.

Aufgrund der vorangehenden Erfahrungen: „Mama ist immer für mich da, so wie ich es möchte“, wäre es verständlich, wenn Ihre Tochter erst mal „protestiert“. Das darf sie! Und Mama darf sich trotzdem um ihre eigene Angelegenheit kümmern. Sie ist ja in der Nähe (wenn auch im anderen Raum) und kommt zurück, wie versprochen. Danach geht es wieder gemeinsam weiter. Sie als Mama fühlen sich freier und Ihr Kind hat gelernt: Auf Mama ist Verlass! Und Sie bleiben mit Ihrem Kind verbunden in einer guten Balance von Zeiten der Gemeinsamkeit und des „Für-sich-Seins“.

Beate Döbel ist systemische Einzel-, Paar- und Familientherapeutin (therapiepraxis-doebel.de). 

Unser Sohn guckt Pornos

„Ich habe gesehen, dass mein Sohn (11) sich auf dem Familienlaptop pornografische Fotos und Videos angeschaut hat. Wie gehe ich jetzt damit um?“

Junge Menschen durchleben in ihrer Entwicklung zum Teenager und Jugendlichen eine sehr verletzliche Zeit. Schon kleine Verunsicherungen in Gruppensettings können sie so stark beunruhigen, dass sie sie fortan meiden. Dabei muss es nicht bleiben. Gerade introvertierte Menschen dürfen üben, sich in Gruppen hineinzuleben.

Vertrauen schaffen

Um einen Zugang zu wertvollen Inhalten zu schaffen, ist es zunächst notwendig, bei introvertierten Teens ein Gefühl von Sicherheit und Vertrauen herzustellen. Familien können sich dazu zum Beispiel öfter nach dem Gottesdienst zum Kochen (zum Beispiel in der Kirche) treffen, um ihren Teens zu ermöglichen, miteinander vertraut zu werden. Am Anfang werden noch alle bei ihren Eltern sitzen, doch schnell wird ein Kartenspiel oder eine Runde Fußball die Familien durchmischen. Auch die Mitarbeitenden des Teenkreises können dazukommen. Dieses Kennenlernen bedeutet für die Eltern zwar vielleicht Verzicht auf den sonntäglichen Mittagsschlaf, aber ein Investieren in diese Gemeinschaft als Vorbild für ihre Kinder. Wenn Glaube entdecken und teilen wichtig ist, darf es im Alltag auch etwas kosten.

Sicherheit kann auch ein vorhersehbarer Rahmen einer ersten Mitarbeit bieten. Introvertierte Menschen sind Juwelen für stille, oft übersehene Kinder in der Kindergottesdienstarbeit, mit Senioren oder bei Bastelstationen an quirligen Kirchenfesten – wichtig ist, die Aufgabe klar zu umreißen. In kleineren Gruppen wie einem Minihauskreis kann ein Teenager wie Ihrer seine Fragen ohne Druck durchdenken. Hier lohnt es sich, eine Seniorin zu fragen oder eine Frau aus dem Umfeld der Familie, der Ihre Tochter vertraut.

Zugänge zu Gott

Es gibt verschiedene Zugänge zu Gott: durch Musik, Malen, Naturzeiten, Tagebuchschreiben. Versuchen Sie, Ihrer Tochter zu helfen, ihren ganz persönlichen Weg zu entdecken. Das persönliche Entdecken des Glaubens braucht in der Jugendzeit noch Beispiele wie durch moderne Musik, ein gutes christliches Jugendmagazin oder Bücher etwa von Nick Vujicic, Michael Stahl oder Verena Keil. Darüber bieten Sie ihr ohne Druck eine Infoquelle über Gott im Alltag an.

Das Allerwichtigste für Ihre Tochter sind jedoch Sie und dass Sie als Familie über Gott reden, Fragen stellen, laut grübeln und sich über Gott freuen. So nimmt sie am meisten mit.

Stefanie Diekmann ist Pädagogin, Trainerin für Eltern und Autorin. Sie gestaltet mit ihrem Mann die Evangelisch-Freikirchliche Gemeinde Göttingen und genießt ihre eigene Familie.

Illustration: Sabrina Müller, sabrinamueller.com

 

Mutter verunsichert: Darf wirklich jeder mit meinem Kind schimpfen?

Darf eine Nachbarin bei der Erziehung meines Kindes mitreden? Erziehungswissenschaftlerin Daniela Albert erklärt, was in Ordnung ist und was nicht.

„Letztens schimpfte eine Nachbarin mit meinem Sohn (3). Der wurde daraufhin noch frecher, also griff ich ein und erklärte ihm die Situation. Später fragte mich die Nachbarin, ob es okay sei, dass sie da mal was sage. Man sagt, ‚Um ein Kind zu erziehen, braucht es ein ganzes Dorf‘, aber wer darf bei der Erziehung eigentlich mitreden?“

Das berühmte Dorf, das man braucht, um ein Kind großzuziehen, wird sehr gern in Erziehungssituationen herangezogen. Leider nicht immer in der Art, in der es eigentlich gemeint war. Es handelt sich dabei nämlich um ein afrikanisches Sprichwort, und es geht um das Aufwachsen in engen, familiären Gemeinschaften. Alle Kinder und Erwachsenen kennen sich sehr gut und leben in engerer Verbundenheit miteinander, als wir es heute mit unseren Nachbarn tun. In diesen Gemeinschaften gibt es einen Konsens über Normen und Werte, nach dem alle leben. Auch in Erziehungsfragen.

Gleiche Werte sind Voraussetzung

Enge Verbundenheit und gleiche Wertvorstellungen sind Grundvoraussetzungen dafür, dass jemand in die Erziehung unserer Kinder eingebunden wird. Heute wachsen wir nicht mehr in so engen, natürlich gegebenen Gemeinschaften auf. Die Menschen, die bei der Erziehung mitreden dürfen, suchen wir uns selbst aus. Dass wir mit ihnen ein vertrauensvolles Verhältnis pflegen, Werte teilen und vor allem, dass sie auch unseren Kindern nah genug sind, dass diese sich von ihnen begleiten lassen können, ist dabei wichtig.

Reaktion ist normal

Dies scheint in Ihrem Fall nicht da gewesen zu sein, und das erklärt auch die Reaktion Ihres Sohnes. Was Sie als „noch frecher werden“ beschreiben, ist für mich ein Ausdruck dafür, dass die Ansprache der Nachbarin für ihn nicht in Ordnung war. Er hat wahrscheinlich versucht, sich vor der Einmischung einer Person, die ihm nicht vertraut genug war, zu schützen. Ihr Sohn hat eine sehr gesunde Reaktion gezeigt, indem er erst einmal seine persönlichen Grenzen gewahrt hat.

Persönliche Grenzen aufzeigen

Das bedeutet aber nicht, dass es grundsätzlich falsch ist, wenn andere unseren Kindern etwas sagen, was ihnen nicht passt, auch wenn sie ihnen nicht so nahestehen. Wenn ein anderes Kind mit seinem Verhalten unsere persönlichen Grenzen verletzt, darf das angesprochen werden. Hier muss man zwischen Miterziehen und dem Setzen persönlicher Grenzen unterscheiden. Wer miterziehen darf, das entscheiden Sie. Das Recht, die eigenen Grenzen zu kommunizieren, hat dagegen jeder. Gerade kleine Kinder sind aber häufig überfordert, wenn fremde Personen mit ihnen schimpfen, und verstehen oft gar nicht, was sie gerade falsch gemacht haben. Deshalb finde ich Ihre Reaktion – eingreifen und Ihrem Sohn erklären, was die Nachbarin gestört hat – genau richtig. Wir als Eltern tragen bei so kleinen Kindern die Verantwortung dafür, dass sie die Grenzen anderer Menschen wahren.

Sprechen Sie noch mal mit Ihrer Nachbarin über die Situation und erklären Sie, dass Ihr Sohn noch zu klein ist, um zu verstehen, was falsch gelaufen ist, und dass er sie auch noch nicht gut genug kennt, um von ihr anzunehmen, wenn sie „mal was sagt“. Schlagen Sie ihr vor, stattdessen mit Ihnen zu sprechen, wenn sie etwas am Verhalten Ihres Sohnes stört.

Daniela Albert ist Erziehungswissenschaftlerin und Eltern- und Familienberaterin und lebt mit ihrem Mann und drei Kindern in Kaufungen. Sie bloggt unter eltern-familie.de.

Wer darf mein Kind miterziehen?

„Letztens schimpfte eine Nachbarin mit meinem Sohn (3). Der wurde daraufhin noch frecher, also griff ich ein und erklärte ihm die Situation. Später fragte mich die Nachbarin, ob es okay sei, dass sie da mal was sage. Man sagt, ‚Um ein Kind zu erziehen, braucht es ein ganzes Dorf‘, aber wer darf bei der Erziehung eigentlich mitreden?“

Das berühmte Dorf, das man braucht, um ein Kind großzuziehen, wird sehr gern in Erziehungssituationen herangezogen. Leider nicht immer in der Art, in der es eigentlich gemeint war. Es handelt sich dabei nämlich um ein afrikanisches Sprichwort, und es geht um das Aufwachsen in engen, familiären Gemeinschaften. Alle Kinder und Erwachsenen kennen sich sehr gut und leben in engerer Verbundenheit miteinander, als wir es heute mit unseren Nachbarn tun. In diesen Gemeinschaften gibt es einen Konsens über Normen und Werte, nach dem alle leben. Auch in Erziehungsfragen.

Vertrauensvolles Verhältnis

Enge Verbundenheit und gleiche Wertvorstellungen sind Grundvoraussetzungen dafür, dass jemand in die Erziehung unserer Kinder eingebunden wird. Heute wachsen wir nicht mehr in so engen, natürlich gegebenen Gemeinschaften auf. Die Menschen, die bei der Erziehung mitreden dürfen, suchen wir uns selbst aus. Dass wir mit ihnen ein vertrauensvolles Verhältnis pflegen, Werte teilen und vor allem, dass sie auch unseren Kindern nah genug sind, dass diese sich von ihnen begleiten lassen können, ist dabei wichtig.

Dies scheint in Ihrem Fall nicht da gewesen zu sein, und das erklärt auch die Reaktion Ihres Sohnes. Was Sie als „noch frecher werden“ beschreiben, ist für mich ein Ausdruck dafür, dass die Ansprache der Nachbarin für ihn nicht in Ordnung war. Er hat wahrscheinlich versucht, sich vor der Einmischung einer Person, die ihm nicht vertraut genug war, zu schützen. Ihr Sohn hat eine sehr gesunde Reaktion gezeigt, indem er erst einmal seine persönlichen Grenzen gewahrt hat.

Entscheiden, wer miterzieht

Das bedeutet aber nicht, dass es grundsätzlich falsch ist, wenn andere unseren Kindern etwas sagen, was ihnen nicht passt, auch wenn sie ihnen nicht so nahestehen. Wenn ein anderes Kind mit seinem Verhalten unsere persönlichen Grenzen verletzt, darf das angesprochen werden. Hier muss man zwischen Miterziehen und dem Setzen persönlicher Grenzen unterscheiden. Wer miterziehen darf, das entscheiden Sie. Das Recht, die eigenen Grenzen zu kommunizieren, hat dagegen jeder. Gerade kleine Kinder sind aber häufig überfordert, wenn fremde Personen mit ihnen schimpfen, und verstehen oft gar nicht, was sie gerade falsch gemacht haben. Deshalb finde ich Ihre Reaktion – eingreifen und Ihrem Sohn erklären, was die Nachbarin gestört hat – genau richtig. Wir als Eltern tragen bei so kleinen Kindern die Verantwortung dafür, dass sie die Grenzen anderer Menschen wahren.

Sprechen Sie noch mal mit Ihrer Nachbarin über die Situation und erklären Sie, dass Ihr Sohn noch zu klein ist, um zu verstehen, was falsch gelaufen ist, und dass er sie auch noch nicht gut genug kennt, um von ihr anzunehmen, wenn sie „mal was sagt“. Schlagen Sie ihr vor, stattdessen mit Ihnen zu sprechen, wenn sie etwas am Verhalten Ihres Sohnes stört.

Daniela Albert ist Erziehungswissenschaftlerin und Eltern- und Familienberaterin und lebt mit ihrem Mann und drei Kindern in Kaufungen (www.eltern-familie.de).

Illustration: Sabrina Müller, sabrinamueller.com

Die Farben des Schweigens

Die Kraft und die Macht des Schweigens werden häufig unterschätzt. Stefanie Diekmann, bekennende Extravertierte, hat die Stille in der Zweisamkeit für sich entdeckt – und warnt gleichzeitig davor.

Während im Hafen ein Segler sein Boot zum Auslaufen vorbereitet, blinzeln zwei Weggefährten in die Abendsonne und schweigen. Die Beobachter kommentieren das Geschehen nicht, sie plaudern auch nicht, sie schauen einfach zu und gewinnen innerlich Abstand vom Alltag. Nie hätte ich gedacht, dass ich mich – als eine der beiden Schweigenden – im Nichtsprechen so geborgen fühlen könnte.

Als Henrik und ich heirateten, waren wir eine Wortwolke: kichernd und quatschend. Missbilligend durch den Lärm unseres Austausches musterte mich damals eine ältere Dame und legte mir ihre Hand aufs Knie: „Wenn ihr erst mal 15 Jahre verheiratet seid, habt ihr auch Funkstille. Dann ist es vorbei mit dem Reden.“ Wie ist das also mit dem Schweigen? Eine zwangsläufige Entwicklung in Beziehungen?

Seelische Gewalt

Ich halte das Schweigen nach wie vor für gefährlich: Nach einem Vortrag über Begleitung von Teenagern kommt ein Vater auf mich zu. Er wolle mir eine Rückmeldung geben: „Ich sage nichts mehr zu meinem Sohn. Er hat mein Schweigen verdient. Erst wenn er sich anders verhält, rede ich wieder mit ihm!“ In Sekundenschnelle erfasse ich, dass hier kein Kontakt unterbrochen ist, sondern ein Sender das Übermitteln von Signalen beendet hatte. Auch nach verschiedenen Fragen und dem Versuch, für den ringenden jungen Menschen Verständnis zu vermitteln, bleibt der Sender abgeschaltet. Mit verschränkten Armen und stetigem Kopfschütteln verändert sich vor meinem inneren Auge der 55-jährige Vater zu einem kleinen Jungen. „Kennen Sie Schweigen von Ihren Eltern?“, frage ich tastend. Ohne den Blick zu erwidern, nickt der Vater und beschreibt, wie er selbst nach einigen Tagen des Schweigens seiner Mutter alles versucht hatte, um Gnade zu erlangen. Noch bevor ich mein Mitgefühl für diese Erfahrung ausdrücken kann, dreht er sich um und geht.

Wir wissen heute, dass das Schweigen als Methode zur Zurechtweisung eine Form von seelischer Gewalt ist. Neben den aktiven Formen von psychischer Gewalt kann sie eben auch ausgeübt werden, indem man Dinge unterlässt. So wird der andere, das Opfer, beispielsweise über einen längeren Zeitraum gemieden, ignoriert und mit andauerndem Schweigen gestraft. Das Nicht-Teilen der Gedanken und Gefühle mit dem anderen, gerade wenn es emotional hoch hergeht, lässt den Suchenden im Labyrinth des Schweigens ohne Chance auf einen Ausgang zurück. Schweigen kann dann tiefschwarz wirken und im Gegenüber eine Eigendynamik mit Selbstgesprächen, Selbstzweifeln und Kummer auslösen. Wenn ich den anderen nicht mehr anspreche, nicht auf ihn reagiere, dann verweigere ich die Anerkennung, dass er existiert.

Als wir persönlich in einer großen Krise waren, hat uns das Schweigen vieler Menschen, aus welcher Motivation auch immer, sehr getroffen. Wie erdrückend schweres Grau hat sich durch das Schweigen eine Wand der Einsamkeit gebildet, die ich bis heute bekämpfe. Gerade in Kummer und Not dem anderen ein Signal zu senden, ist überlebenswichtig.

Funkstille

Schweigen kann ein bedrohliches Zeichen von Funkstille zwischen zwei Sendern sein. Sie haben durch eine lange zehrende Wegstrecke oder Differenzen den Kontakt zueinander verloren. Sie senden keine Signale mehr. In Begegnungen mit wortkargen Senioren, frustrierten Eltern, erschöpften Pastoren fühlt es sich bei mir so an, als würde das grau wirkende Schweigen auf eine verstummte Seele hinweisen.

Keine Worte mehr zu finden, heißt vielleicht aber auch, keine passenden wählen zu können, weil das Heute zu fordernd ist. Man ist so ausgelaugt, dass jeder Satz viel Überwindung kostet. Als unsere Kinder klein waren, haben wir es mit einem Eheabend außer Haus versucht. Für viele scheint das das große Heilmittel zu sein. Unsere Ehezeit war jedoch von Erschöpfung und farblosem Schweigen geprägt. Wir hatten einfach keine Worte mehr. Dabei wollten wir so gerne ein „gutes“ Paar sein, eines, das durch sorgfältige Pflege der Kommunikation Krisen vorbeugt. Die Enttäuschung darüber, dass wir uns nichts zu sagen hatten, erstickte den Rest unserer Gesprächsideen. Als wir in einem Kreis von Paaren davon erzählten, erwischte mich eine Rückmeldung dazu hart: „Das ist uns nie passiert. Wir nehmen uns so wichtig, dass wir uns Tage vorher schon Themen notieren. So ein Abend reicht für uns kaum aus, um alles zu besprechen.“ Erst viel später erfuhr ich, dass die anderen Paare sich nicht mehr aus der Deckung trauten, um von ihren wortlosen Abenden zu berichten. Wir haben es damals als hilfreich erlebt und erleben es immer noch, durch einen Film, einen Artikel oder andere Impulse von außen ins Gespräch zu kommen. Dabei spüren wir eine große Verbundenheit beim Humor der englischen Krimis oder dem täglichen Kaffee zwischendurch, wo wir uns von Telefonaten oder dienstlichen Situationen berichten. Wir sind am anderen interessiert – auf unsere Art.

Verbale Streicheleinheiten

Es ist keine Schande, wenn die Worte ausgehen und man sich anschweigt. Das bedeutet aber nicht, dass man sich mit diesem Zustand abfinden muss. Vor einigen Jahren begleitete ich eine Freundin in einer schweren Ehekrise. Sie beschrieb, wie sehr sie den Geruch ihres Mannes mag, wie sie es liebt, wenn er kocht oder mit den Kindern diskutiert. „Und, was sagt er, wenn du ihm das mitteilst?“, fragte ich. Irritiert sah sie mich an: „Er würde ziemlich verstört gucken und mich für gefühlsduselig halten. Das habe ich noch nie gesagt!“ Mir zog sich der Magen zusammen, als mir die Folgen dieser Antwort bewusst wurden. Alle lobenden Worte für seinen Fleiß, für ihren Mut, für gelungene Absprachen des Alltags wurden vom Schweigen erstickt.

Wie selten sagen wir uns im Alltag, was wir an unseren Freunden, Partnern und Kindern mögen. Wenn wir kleine Aufmerksamkeiten wie den liebevollen Gruß zum Geburtstag, eine hilfreiche E-Mail, die reparierte Lampe oder das frisch bezogene Bett nicht nur wahrnehmen, sondern auch würdigen, dann passiert etwas. Das Schweigen zu überwinden ist so, als wenn wir den Sender und Empfänger neu aufeinander eichen. Es ist vielleicht ungewohnt, hat aber wundervolle Wirkungen in unseren Beziehungen. Ich bin überrascht, wie sehr auch Lehrer, Polizis-ten und Ärzte strahlen, wenn ich etwas Gutes ausspreche.

Gesprächspausen zulassen

Manchmal allerdings wünschte ich mir die Erlaubnis zu schweigen. Auf einem Geburtstag von Bekannten fiel es mir unangenehm auf, wie Gesprächspausen als peinlich vermieden wurden und das zartgrüne hoffnungsvolle Schweigen unterdrückt wurde. Den ganzen langen Abend sprachen alle in Plattitüden über den schlimmen Einfluss von Social Media, Klimawandel und Schuldruck. Hätten wir das Schweigen ausgehalten, wer weiß, vielleicht wäre eine persönlichere Note in diesem Geplänkel möglich gewesen.

Auch in Kleingruppen und Gesprächskreisen meiner Kirche wünsche ich mir den Genuss, zusammen zu schweigen, wenn wir Bibel lesen. Das Nachspüren der Worte und der Relevanz für mich gelingt mir nicht, wenn sofort jemand eine druckfertige Antwort liefert und mich mit Klugheit blendet.

Als unsere Kinder ihre Entscheidungen trafen, wie es nach der Schule weitergehen sollte, habe ich viele blubbernde Wörter in mir gehabt, die als Empfehlungen unbedingt raus wollten. Das Schweigen zu bestimmten Hürden oder Hoffnungen ist aber rosa wie zarte Liebe. Ich gehe nicht bewusst als Mutter auf Distanz und schweige, sondern ich bleibe nah und zugewandt und behalte dennoch meine Kommentare und Hinweise erst mal für mich.

Vertrautes Schweigen

Schweigen dürfen ist Luxus, der wie ein goldener Schimmer Freundschaft und Ehen veredelt. Der Weg, um das zu lernen, hat wortreiche Konflikte gebraucht. Ich bin immer gern mit Henrik Auto gefahren. Früher haben wir jeden Satz und jedes Erlebnis der letzten Woche geteilt, heute können wir schweigen. Das Schweigen bedeutet nicht: Kontaktabbruch. Die Stille ist nicht gegen mich gewandt, sondern es ist sogar ein Gönnen der Ruhe und der Entspannung im alltäglichen Gestalten unserer Liebe. Und irgendwann sagt mein Mann in diesen Ehe-Moment der Ruhe meine Lieblingsworte: „Du, ich hab’ mir was überlegt!“ Ich liebe diese Worte, weil so mein Zutrauen in ihn für mich hörbar wird: Auch wenn er manchmal wenig spricht, trägt er sehr wohl Verantwortung für uns und unsere Kinder, und er bringt zum Ausdruck, wie sehr er seine Kirche liebt und unsere Freunde schätzt. Oft kommen dann erstaunliche Ideen zum Vorschein, wie eine neue Terrasse zum morgendlichen Kaffeetrinken und Beten, ein Kurzurlaub mit Freunden oder eine Unterstützung für eines unserer Kinder. Und wo ich mich gerade schreibend so freue: Ich müsste ihm dringend mal sagen, wie gern ich mit ihm schweige.

Stefanie Diekmann ist Gemeindereferentin und lebt mit ihrer Familie in Göttingen.

Zu introvertiert für den Teenkreis?

„Meine Tochter (13) ist sehr introvertiert und hat deshalb wenig Interesse, an Gemeindegruppen wie der Jungschar oder dem Teenkreis teilzunehmen. Wie kann ich meinen schüchternen Teenager trotzdem geistlich wachsen lassen?“

Junge Menschen durchleben in ihrer Entwicklung zum Teenager und Jugendlichen eine sehr verletzliche Zeit. Schon kleine Verunsicherungen in Gruppensettings können sie so stark beunruhigen, dass sie sie fortan meiden. Dabei muss es nicht bleiben. Gerade introvertierte Menschen dürfen üben, sich in Gruppen hineinzuleben.

Vertrauen schaffen

Um einen Zugang zu wertvollen Inhalten zu schaffen, ist es zunächst notwendig, bei introvertierten Teens ein Gefühl von Sicherheit und Vertrauen herzustellen. Familien können sich dazu zum Beispiel öfter nach dem Gottesdienst zum Kochen (zum Beispiel in der Kirche) treffen, um ihren Teens zu ermöglichen, miteinander vertraut zu werden. Am Anfang werden noch alle bei ihren Eltern sitzen, doch schnell wird ein Kartenspiel oder eine Runde Fußball die Familien durchmischen. Auch die Mitarbeitenden des Teenkreises können dazukommen. Dieses Kennenlernen bedeutet für die Eltern zwar vielleicht Verzicht auf den sonntäglichen Mittagsschlaf, aber ein Investieren in diese Gemeinschaft als Vorbild für ihre Kinder. Wenn Glaube entdecken und teilen wichtig ist, darf es im Alltag auch etwas kosten.

Sicherheit kann auch ein vorhersehbarer Rahmen einer ersten Mitarbeit bieten. Introvertierte Menschen sind Juwelen für stille, oft übersehene Kinder in der Kindergottesdienstarbeit, mit Senioren oder bei Bastelstationen an quirligen Kirchenfesten – wichtig ist, die Aufgabe klar zu umreißen. In kleineren Gruppen wie einem Minihauskreis kann ein Teenager wie Ihrer seine Fragen ohne Druck durchdenken. Hier lohnt es sich, eine Seniorin zu fragen oder eine Frau aus dem Umfeld der Familie, der Ihre Tochter vertraut.

Zugänge zu Gott

Es gibt verschiedene Zugänge zu Gott: durch Musik, Malen, Naturzeiten, Tagebuchschreiben. Versuchen Sie, Ihrer Tochter zu helfen, ihren ganz persönlichen Weg zu entdecken. Das persönliche Entdecken des Glaubens braucht in der Jugendzeit noch Beispiele wie durch moderne Musik, ein gutes christliches Jugendmagazin oder Bücher etwa von Nick Vujicic, Michael Stahl oder Verena Keil. Darüber bieten Sie ihr ohne Druck eine Infoquelle über Gott im Alltag an.

Das Allerwichtigste für Ihre Tochter sind jedoch Sie und dass Sie als Familie über Gott reden, Fragen stellen, laut grübeln und sich über Gott freuen. So nimmt sie am meisten mit.

Stefanie Diekmann ist Pädagogin, Trainerin für Eltern und Autorin. Sie gestaltet mit ihrem Mann die Evangelisch-Freikirchliche Gemeinde Göttingen und genießt ihre eigene Familie. Illustration: Sabrina Müller, sabrinamueller.com