Werteberge statt Spielzeughalden

Manche Kinderzimmer gleichen einem Spielzeugladen oder – je nach Alter – einem Elektronikgeschäft. Wie können Eltern dem allgegenwärtigen Konsumdruck gegensteuern? Anregungen von Silke Mayer

Mensch, Papa, biiiitttteeee!“, quengelt der zehnjährige Leon Groß für eine PlayStation Portable, während sein Vater gerade Unterlagen für eine Geschäftsreise zusammensucht. „Aber warum denn nicht? Papa? Pa-pa!“ Herr Groß sieht auf die Uhr und seufzt. „Also gut, wenn ich zurück bin, kaufen wir eine.“ Zur gleichen Zeit steht Frau Hartwig im Zimmer ihrer Tochter – einem Prinzessinnenreich aus Lila und Pink – und diskutiert über den anstehenden Schulranzen. „Nein, den von Lillifee!“, nölt die kleine Anna, „Sophie bekommt auch einen.“ Nach langem Hin und Her, Bitten, Betteln und Keifen gibt Frau Hartwig nach. Und hat ein schlechtes Gewissen. War es richtig, wieder einmal einzulenken? Eigentlich kann sie sich den teuren Ranzen gar nicht leisten.

Das große Quengeln
Laut Statistischem Bundesamt geben Eltern im Schnitt 550 Euro pro Monat für Kleidung, Spielzeug und Nahrungsmittel ihres Kindes aus, manchmal die Hälfte des Haushaltsnettoeinkommens. Dabei gibt es eine deutliche Steigerung nach Altersphasen: Kinder bis zu sechs Jahren kosten am wenigsten, ab der Grundschule wird es teurer und am meisten berappen die Eltern von Teenagern. Aber auch bei den Kleinen ist mittlerweile ein Anstieg zu verzeichnen: Für die Ausstattung von Erstklässlern bezahlten Eltern laut der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) 2011 durchschnittlich 215 Euro. Das sind 30 Euro mehr als noch ein Jahr zuvor.

Den Handel dürfte es freuen. Denn der hat Kinder längst schon als kaufkräftige Zielgruppe entdeckt. In Zeiten, in denen es kaum noch darum geht, Fehlendes oder Defektes zu ersetzen, werden Gewinne mit dem Wunsch nach immer Neuem gemacht. „Kunden finden – Kunden binden“ heißt ein gängiger Slogan aus der Welt des Vertriebs. Und so werden Kinder- und Jugendprodukte weitflächig beworben: auf Plakaten, in Zeitungen, Internet und TV. Kinder zwischen sechs und 13 Jahren sehen monatlich etwa 900 Werbespots. Verschiedenen Studien zufolge haben Sechsjährige bereits 50 Prozent ihrer Konsumkompetenzen ausgebildet, 100 Prozent erreichen sie mit 16 Jahren.

Wen wundert es da, dass auch der Nachwuchs immer bestens informiert ist, was es gerade auf dem Markt gibt? Sobald etwas Begehrenswertes die Runde durch Freundeskreis und Schule macht, beginnt das große Quengeln. Besonders gestresste Eltern sind dafür anfällig. Der Wunsch nach Ruhe verleitet oft zu vorschnellem Nachgeben. Manch einer schlägt seinem Kind aber auch deshalb kaum etwas ab, weil er ein schlechtes Gewissen hat. Weil ihm vielleicht aus beruflichen Gründen häufig die Zeit für Sohn oder Tochter fehlt oder weil er als Alleinerziehender mit Geschenken unbewusst den fehlenden Elternteil wettmachen möchte.

Bloß kein Außenseiter
So gut wie alle Eltern geben klein bei, wenn irgendwann das verzweifelte Totschlagargument ertönt: „Alle in meiner Klasse haben das! Ich bin der Einzige, der …“ Dann greift die Angst der Eltern vor Ausgrenzung. Niemand will sein Kind zum Außenseiter machen. Jeder kann sich vorstellen, wie es ist, nicht dazuzugehören. Durch eigene Kindheitserinnerungen, aber auch als erwachsenes Mitglied einer Gesellschaft, in der Konsum und Besitz einen übergroßen Stellenwert einnehmen.

Sozialpsychologisch betrachtet hat jeder Mensch den Wunsch nach Zugehörigkeit und Anerkennung und orientiert sich an den Normen und Standards seiner Bezugsgruppe. In anderen Worten: Es gilt, innerhalb des eigenen Umfelds dazuzugehören, mitzuhalten in punkto Aussehen, berufliche Position, Auto, Wohnung oder Mode. Schon immer war das so, im alten Rom wie auch bei unseren Eltern.

Neu ist allerdings die Steigerung, die das Thema Besitztum in den letzten Jahrzehnten erfahren hat. Immer schneller kommen neue Produkte auf den Markt, Trends wechseln in immer rascherer Folge. Das Weihnachtsfest geht mittlerweile unter im Kaufrausch und allenthalben wird uns demonstriert, Besitz sei gleichbedeutend mit Glück und Lebensfreude. „Ich kaufe, also bin ich“, scheint das Credo der modernen Gesellschaft zu sein.

Wer unreflektiert ein solches Wertesystem und Konsumverhalten (vor)lebt, hat es schwer, Kindern ihre Wünsche abzuschlagen. Wer selbst Markenprodukte kauft, setzt damit Maßstäbe bei seinem Kind. Laut GfK waren beispielsweise 74 Prozent der Eltern selbst der Ansicht, dass bei einem Schulranzen die Marke besonders wichtig sei (2010). Warum sollten dann Kinder weniger einfordern als ausschließlich bestimmte Fabrikate?

Tiefergehende Werte
Ohne das eigene elterliche Verhalten zu überdenken und zu ändern, hat man kaum eine Chance, dem Sog der oberflächlichen Konsumwelt zu entkommen. Materielles war noch nie ein Garant für Glück, schon gar nicht ein Ersatz für Zeit oder Liebe. Es verhilft weder zu echten Freunden noch zu wahrhaftem Selbstbewusstsein. Anstelle von Konsum und pausenloser Bedürfnisbefriedigung sollten durch Vertrauen, bewusste Lebensgestaltung und Auseinandersetzung tiefergehende Werte vermittelt werden. Am allerbesten ist es natürlich, von klein auf anderen als materiellen Dingen Bedeutung einzuräumen. Ausflüge unternehmen statt massenhaft Spielzeug kaufen, miteinander reden, sich Zeit nehmen, Gemeinsamkeit leben – das ist es, worauf es wirklich ankommt. Zeitlich gestressten Eltern könnte es helfen, ihre Prioritäten anders zu setzen. Ist die saubere Wohnung am Wochenende wirklich so wichtig? Warum nicht einfach das Putzen einmal ausfallen lassen und stattdessen etwas spielen? Oder gemeinsam putzen und die gewonnene Zeit in eine schöne Unternehmung investieren?

Selbstbewusstsein stärken
Kinder sollten erfahren, dass es nicht wichtig ist, immer anerkannt zu sein und um jeden Preis dazuzugehören. Statt bewundernde Aussagen über den BMW des Nachbarn zu machen, könnte auch einmal ein Künstler gelobt werden, der unbeirrt seinen eigenen Weg gegangen ist. Eltern sollten herausstellen, dass es gut und erlaubt ist, eine eigene Meinung zu vertreten. Und das Kind sollte entsprechend gefördert und ermuntert werden. Das Selbstbewusstsein seines Kindes zu stärken, ist ohnehin das A und O im Kampf gegen den Konsumwahn, der aus Gruppendruck erwächst. Um gefeit zu sein gegen den Drang, alles mitmachen zu müssen, helfen dem Kind auch außerschulische Kontakte, etwa in einem Sportverein oder in der Musikschule. Solche Aktivitäten bringen neue Freunde und Aufmerksamkeit von ganz anderer Seite. Ein angenehmer Nebeneffekt ist, dass auf diese Weise Alternativen zu Fernsehen und PC geschaffen werden und damit auch zur allgegenwärtigen Werbung.

Als Eltern findet man Unterstützung im Kontakt zu Gleichgesinnten mit ähnlich konsumkritischer Haltung. Wer richtiggehend etwas bewirken möchte, könnte das Thema einmal beim Elternabend der Schule zur Sprache bringen. Zumindest aber macht es Sinn, sich mit den Eltern der engsten Freunde des Kindes auszutauschen und Absprachen zu treffen.

Tatsache ist: Für Kinder ist es unglaublich wichtig, in ihrer Gruppe dazuzugehören. Im Grunde geht es beim Rückzug aus dem Konsum auch nicht um Verzicht, sondern um Mäßigung. So sollte unterschieden werden, welcher Wunsch für das Kind wirklich bedeutungsvoll ist und was lediglich dazu dient, im Freundeskreis ganz vorne mitzumischen.

Der goldene Mittelweg
Wenn ein Grundschüler auf die weiterführende Schule wechselt, ist das definitiv ein entscheidender Schritt im Leben des Kindes. Der will auch durch eine neue Schultasche signalisiert sein. Hier aus Prinzip zu blocken, wäre mehr schädlich als nützlich und würde eine tiefe Wunde hinterlassen. Hingegen jeden Monat neue Spiele für Nintendo, PlayStation und Co. zu erwerben, wäre erzieherische Achtlosigkeit. Ein guter Indikator dafür, wie viel einem Kind die Erfüllung seines Wunsches wirklich bedeutet, ist übrigens, es etwas vom Taschengeld beisteuern zu lassen.

Wer öfter nach einem Mittelweg sucht zwischen zu hohen Ausgaben und Wunscherfüllung, dem seien die Klassiker unserer Eltern empfohlen: Das Geschenk „aufteilen“ auf mehrere Feiertage, Geburtstag und Weihnachten etwa, oder auf mehrere Verwandte. Dank Internetbörsen kann man heutzutage auch leicht gutes Gebrauchtes finden. Eine weitere Variante wäre, das ein oder andere Teil aus der Habe des Kindes zu verkaufen, um mit dem Erlös wiederum das Gewünschte zu finanzieren.

Anschaffungen für die Kinder sind und bleiben ein Drahtseilakt zwischen Herz und Kopf. Heilsam gegen allzu leichtfertiges Nachgeben ist dabei die Erinnerung an die eigene Kindheit. Auch wir haben unseren Eltern damals erzählt, dass alle außer uns dies und jenes besäßen. Gestimmt hat das früher genauso wenig wie heute. Und wurden wir wirklich direkt zum Außenseiter, wenn uns hin und wieder etwas versagt wurde? Hat es uns dauerhaft psychisch geschadet, wenn wir nicht immer sofort jede Kleinigkeit bekamen?

Unsere schönsten Erinnerungen sind selten die, dass wir mit Spielzeug oder Anziehsachen überhäuft wurden, sondern die, wie uns ein wirklich großer Wunsch erfüllt wurde. Oder es sind Erinnerungen an besondere Menschen und ihre Eigenheiten, an Erlebnisse, an Atmosphäre. Diese Erkenntnis hilft, ab und zu nein zu sagen, wenn die Wünsche unserer Kinder überhand nehmen. Wir tun unseren Kindern keinen Gefallen mit dem allgegenwärtigen Dauerkonsum. Ein Zuviel an Bedürfnisbefriedigung ist gleichzeitig ein Zuwenig an Auseinandersetzung, an Wegweisung, an Förderung und kritischem Hinterfragen.

Ich kannte einmal ein amerikanisches Ehepaar, dessen Kinder an Weihnachten nie mehr als drei Geschenke bekamen – so viele, wie eben Jesus auch nur erhalten hatte. Ein erstaunliches Beispiel für Mäßigung. Vielleicht muss es aber gar nicht so extrem sein. Geschenke nur an Weihnachten – statt schon an den 23 Tagen vorher – wäre ein erster Schritt in die richtige Richtung.

Silke Mayer arbeitet im Bereich Weiterbildung und Training, daneben ist sie als freiberufl iche Autorin tätig. Sie lebt mit ihrer Familie in Duisburg.

Foto: thinkstock/stockbyte

„Kinder brauchen gute Musik“

Ein Interview mit Daniel Jakobi, Vater, Schlagzeuger und Produzent der „Feiert Jesus! Kids“-CDs.

Machen Sie als Familie zusammen Musik?

Jacobi: Musik ist ein natürlicher Bestandteil unseres Familienalltags. Wir hören gern und viel Musik zu Hause und im Auto. Eine „Familienband“ haben wir zwar nicht, aber unsere beiden Kinder – acht und drei Jahre alt – spielen Klavier und Schlagzeug und singen gerne. Sie schnappen sich auch gern ihre Ukulelen und schrammeln einfach drauf los. Dann gibt es öfters Konzerte für Papa und Mama. Das sind sehr spielerische, Spaß-motivierte Aktionen. Manchmal spiele ich auch Cajon und übe ein bisschen mit meiner Tochter am Klavier. Aber wir haben keine festen „Musikrituale“. Für mich ist eher wichtig, dass man Kindern neben der Möglichkeit, selbst zu musizieren, auch gute Musik zum Hören anbietet.

Was ist für Sie denn „gute“ Musik?

Damit meine ich Musik, die mit Herz gemacht ist und nicht nur schnell produziert wurde. Ich finde auch wichtig, dass Kinder einen Höreindruck von live gespielter Musik mitbekommen. Dass man sie auch mal zum Konzert mitnimmt, wo sie sehen und hören, was passiert, wenn Leute Instrumente spielen und live singen. Gerade Musik für Kinder sollte immer einen hohen Qualitätsanspruch haben.

Ist es denn sinnvoll, die Kinder zur musikalischen Früherziehung oder zum Instrumentalunterricht in die Musikschule zu schicken?

Ja, absolut. Es gibt viele wissenschaftliche Untersuchungen, die zeigen, was das Musizieren für die Entwicklung der Kinder bringt. Mal abgesehen davon, dass es toll ist, ein Instrument spielen zu können.

Und wenn das Kind nach ein paar Monaten keine Lust mehr hat und nicht üben will?

Ich denke, das sind ganz normale Phasen, die immer auftreten, wenn man sich mit einer Herausforderung längere Zeit beschäftigt. Aber das ernsthafte Erlernen eines Instruments bringt es auch mit sich, dass man Disziplin übt. So lernen die Kids, langfristige Ziele nicht aus den Augen zu verlieren – auch über Durststrecken hinweg. Es muss klare Abmachungen geben: Unsere Tochter wollte zum Beispiel aus eigenem Antrieb Klavier spielen. Sie hat aber mittlerweile auch öfter Durststrecken beim Üben. Sie möchte dann gern mit einem neuen Instrument anfangen. Wir haben mit ihr aber vereinbart, dass sie während der Grundschulzeit bei ihrer ersten Wahl – dem Klavier – bleibt. Danach können wir gemeinsam weitersehen. In diesen Durststrecken sind gemeinsames Üben und viel Ermutigung entscheidende Hilfsmittel. Kleine Erfolge feiern und große Ziele in kleine Pakete verpacken! Kleine Konzerte oder Vorspiele können auch motivieren.

Wie können Eltern denn ihre Kinder motivieren, wenn sie selbst keinen Zugang zur Musik haben?

Kinder kann man leicht zum Musizieren motivieren, wenn sie anderen beim Musizieren zuschauen und zuhören. Vielleicht hilft dabei ein Tag der offenen Tür bei der örtlichen Musikschule, ein Konzert oder das Reinschnuppern in den Kinderchor der Kirchengemeinde. Wir sollten auch unsere Gottesdienste als Möglichkeit, Musik zu erleben, für die musikalische Prägung unserer Kinder nicht unterschätzen. Wenn mein Kind schon musiziert und ich es durch eine Durststrecke begleiten möchte, dann wirken Lob und Anerkennung oft Wunder. Das kann ich auch ohne besondere eigene musikalische Bildung leisten.

Instrumente lernen ist die eine Seite der Musik, Singen die andere…

Beim Singen ist der Vorteil, dass du immer Worte hast und diese Worte eine Botschaft haben. Kinder prägen sich Inhalte übers Singen sehr gut ein. Obwohl Singen nicht meine größte Leidenschaft ist, singe ich doch gerne mit meinen Kindern – vor allem abends am Bett oder im Auto. Ich merke, dass bei meinen Kindern in bestimmten Situationen Lieder aufkommen, die wirklich passen. Unser Sohn saß mit zweieinhalb Jahren hinten im Auto. Meine Frau hatte sich verfahren und war ein bisschen ratlos. Plötzlich sang er ein Lied von einer „Feiert Jesus! Kids“-CD: „Du bist immer bei mir, Jesus“. Das ist cool, gerade für Eltern, die ihren Kindern etwas von ihrem Glauben weitergeben wollen.

Haben die „Feiert Jesus! Kids“- Lieder eine spezielle Botschaft?

Das würde ich nicht sagen. Das „Feiert Jesus!“-Label umfasst ja im Wesentlichen Lobpreismusik, aber im Kindersegment fassen wir das etwas weiter. Wir haben auf der neuen CD zum Beispiel einen Rap, der die Noahgeschichte erzählt. Oder wir nehmen Lieder mit hinein, die sich stark am Alltag der Kinder, an Spiel- oder Schulsituationen orientieren und die Brücke von dort zum kindlichen Glauben schlagen. Diese Bandbreite der Songs und die Tatsache, dass alle Lieder komplett von Kindern gesungen werden, macht sicherlich einen großen Teil des Charmes der „Feiert Jesus! Kids“-Reihe aus.

Interview: Bettina Wendland

Freundinnen – mit und ohne Kind

Es ist einer dieser perfekten Som­merabende. Der Duft von Ge­grilltem lässt  den  Partygästen  das Wasser   im   Mund    zusammenlaufen. Gespräche,  zirpende  Grillen und  fröhli­ ches Gelächter schaffen eine entspannte Atmosphäre.  Auch wir sind  unter  den Gästen: Sina und Veronika. Wir kennen uns  nicht.  Und  beginnen   einfach  so ein Gespräch.  Partygeplänkel, aus dem dann ganz schnell mehr entsteht.  Denn so  unterschiedlich  wir  auch  sind,  es gibt  entscheidende  Gemeinsamkeiten: unser schräger Sinn für Humor,  unsere Liebe zum  Essen  und  unser  Interesse an christlicher Jugendarbeit.

Diese   Party   ist   der   Ausgangspunkt einer wunderbaren Frauenfreundschaft, die  über  die  Jahre  von  tiefen  Gesprä­chen,  Lachen und  geteilten  Sorgen genährt  wird. Und die auch Prüfungen standhalten   muss.    Als   erste    Kon­flikte aufgrund  der unterschiedlichen Lebenssituationen entstehen.  Oder als Veronikas  erste  Tochter  geboren  wird und  Sina darunter  leidet, dass sich die­ ser Traum von Ehe und Familie für sie selbst  noch  nicht   erfüllt  hat.  Immer wieder erlebt unsere Freundschaft Veränderungen,  die  uns  herausfor­ dern, die andere neu anzunehmen und verstehen zu lernen.

Die Freundschaft vor dem Mutterwerden

Veronika: Wir leben zwei Stunden  von­ einander  entfernt.  Das bedeutete früher stundenlange Telefonate am Abend, die sich meistens um Stress auf der Arbeit, Männer, unsere Beziehung zu Gott und um Gewichtsprobleme (eingebildet oder echt) drehten. Besuche gaben uns das Gefühl, angekommen zu sein. In der Gegenwart der Anderen erlebten wir Verständnis und Seelen­Wellness. Oft haben  wir nicht  viele Worte gebraucht. Und manchmal  ganz ganz viele. Uns verband auch die Liebe zum Reisen. Wir   haben   es   trotz   vollen  Terminka­ lenders geschafft, einmal ein „Weiber­ wochenende“ in Rom, Sinas Lieblingsstadt, zu verbringen.

Sina:  Wie   in   jeder   Beziehung    war die Anfangsphase unserer Freundschaft spannend. In ausgiebigen Gesprächen wurde die Vergangenheit der Anderen miterlebt, Gemeinsamkeiten gefunden, Höhen und Tiefen gemeinsam bestritten und die Unterschiedlichkeiten einfach erst mal übersehen. Als ich Veronika kennenlernte, hatte ich gerade erst den christlichen Glauben für mich entdeckt und  saugte alles auf, was mein  christli­ches Umfeld von sich gab. Veronika war mir eine große Hilfe in meiner ersten Orientierungsphase. Sie hat mir beige­ bracht, dass Glaube absolute Freiheit be­deutet! Außerdem  hatte ich bei ihr seit langer Zeit mal wieder das Gefühl, eine Freundin  gefunden  zu haben, die mich annimmt und  unterstützt, wie ich bin. Das war sehr erholsam!

Wertschätzung

Veronika: Ich schätze an Sina, dass sie mir den Pizzabäckertanz und die Her­ stellung von Pasta beigebracht hat. Oder dass sie mir einmal während einer sehr traurigen  Phase einen liebevoll gestalte­ ten Karton voller Aufmuntersüßigkeiten geschenkt  hat.  Ich liebe Sinas  Humor, ihr  Lachen.  Sie  hat  eine  ganz  große Liebe zu  Menschen  und  zu  Gott.  Sie geht den Dingen auf den Grund (kein Wunder  als Wissenschaftlerin!).  Das ist für mich anstrengend, denn ich weiche unangenehmen  Angelegenheiten    ger­ ne aus. Sina ist sozusagen mein spre­ chendes  Gewissen, das die Dinge beim Namen nennt, die ich selbst gerne unter den  Teppich  kehren  würde.  Ich  liebe auch   ihre   Zerbrechlichkeit   und   ihre unfassbare  Stärke, mit der sie den  He­rausforderungen des Lebens begegnet.

Sina: Ich schätze an Veronika, dass sie felsenfest  verlässlich ist, dass  man  ihr Lachen aus zwei Kilometern Entfernung hört, dass sie einen Sinn für das Schöne und  das Detail hat,  was man  in ihren Fotografien   und   ihrem    gemütlichen Zuhause  erkennt.  Ich genieße  unseren Austausch   über   Gott   und   die   Welt. Mittlerweile können  wir entspannt dis­kutieren,  ohne die Angst, verschiedene Ansichten könnten unsere Freundschaft beeinträchtigen. Ich mag ihre liebevolle Art, mich auf Fehler hinzuweisen, dass sie nicht  nachtragend  ist und  dass  sie mir Hoffnung  und Trost gibt. Ich genie­ße es, wie sie mich umsorgt,  wenn ich sie besuche und bin ganz gerührt, wenn sie mich ihren Töchtern als „Tante Sina“ präsentiert.

Der Start in die Kinderphase

Veronika: Einige Zeit nach unserem Kennenlernen   wollten    mein    Mann und ich eine Familie gründen. Sina wünschte   sich   zu   diesem   Zeitpunkt selbst  sehnlichst  Kind  und  Mann. Unsere Freundschaft erlitt ihre erste Belastungsprobe, unter deren Gewicht Risse auftraten.  Ich wollte diese Risse nicht.  Ich  versuchte  sie  zu  ignorieren und schönzureden, aber letztendlich mussten   wir  uns   beide   eingestehen, dass wir an sehr unterschiedlichen Punkten  unseres  Lebens standen.  Und von diesen Punkten aus war die Position der jeweils Anderen meilenweit entfernt.

Sina: Wir kamen in eine neue Phase unserer Freundschaft. Meine Lebens­ realität war die gleiche wie vorher, aber für Veronika sollte ein neuer Abschnitt beginnen. Für mich war klar, dass sich alles verändern würde und ich konnte diese neue Situation erst mal nur kri­ tisch annehmen. Die Angst, dass die unterschiedlichen Lebensrealitäten un­ überwindbar werden und aus einem Telefonat in der Woche eine Karte zu Weihnachten werden könnte, machte sich in mir breit. Ich spürte Skepsis und Einsamkeit.Veronika: Ich erinnere mich genau an den Moment, als Sina unsere neuge­ borene Tochter das erste Mal im Arm hielt. Ihr liefen Tränen übers Gesicht. Und ich wusste, dass das nicht nur Freudentränen waren, sondern auch Tränen über ihre Ehe­ und Kinderlosig­ keit. In dem Moment gab es mir einen Stich der Enttäuschung ins Herz. Als beste Freundin musste sie doch meine riesige Freude über dieses neue Leben teilen! Ich war voll Sorge, dass Sina von mir Abstand nehmen würde. Denn ich konnte mich nicht mehr in dem Maße in die Freundschaft investieren wie vor­ her. Abends war ich oft dermaßen er­ schöpft, dass die Kraft nicht mehr dafür reichte, zum Telefon zu greifen oder ei­ nen E­Mail­Gruß zu senden. Ich hoffte einfach, dass unsere gemeinsame Ver­ gangenheit und gegenseitiges Verständ­ nis unsere Freundschaft durch diese Zeit tragen würden.Sina: Die Freude über den Nachwuchs war natürlich riesengroß, aber die Sehn­ sucht nach einer eigenen Familie lässt sich mit einem süßen Knirps auf dem Arm einfach nicht mehr so gut verdrän­ gen. Es begann eine Zeit mit neuen Prioritäten und Problemen. Die Pro­bleme von Veronika wurden schwerer nachzuvollziehen und schon so banale Dinge wie der Tagesablauf konnten zum Hindernis werden. Wenn ich nach meinem Arbeitstag, dem Sport oder an­ deren Unternehmungen am späteren Abend nach Hause kam, erreichte ich meist eine übermüdete Veronika, die nach dem 24-­Stunden-­Job Kind nicht mehr die Muße hatte, wie früher zwei Stunden mit mir zu quatschen. Obwohl der verminderte Kontakt anfangs nicht leicht war, merkte ich, dass es uns aber immer noch wichtig war zu wissen, was in dem Leben der Anderen passierte.

Die Krise überwunden

Veronika: Mir wurde klar, dass ich Sina in ihrer Sehnsucht nach Familie neu annehmen und ihr weiterhin Freundin sein wollte. Für mich als frischgebacke­ ne Mutter bedeutete das, nicht nur stän­ dig von meinem Baby zu schwärmen, über Windelberge und Schlafentzug zu klagen, sondern mich für die Lebens­ wirklichkeit meiner Singlefreundin zu öffnen. Es war nicht immer einfach, denn ich wollte nicht in Gefahr geraten, mich zu verbiegen, um Sina „zu gefal­ len“. Andererseits tat es mir unend­ lich gut, mit ihr über babyferne Dinge sprechenzu können. Zum Beispiel über meine Beziehung zu Gott, über das neue Jamie­Oliver­Kochbuch, über Lite­ ratur oder Nahost­Politik.

Sina: Wir haben akzeptiert, dass sich unsere Freundschaft verändert hat, ohne dass sich die Position der Anderen im eigenen Herzen verändert hat. Wir hören und sehen uns vielleicht nicht mehr so oft, aber die Qualität unserer Freundschaft leidet nicht darunter. Wir haben uns miteinander weiterentwi­ckelt und haben offen und ehrlich Din­ge akzeptiert, die für einen selbst viel­ leicht nicht nachvollziehbar waren. Wir haben Anteil genommen und auch mal das Eigene zurückgesteckt. Mittlerweile genieße ich den Austausch über die un­terschiedlichen Lebenslagen, das lässt die eigene Situation in neuem Licht erscheinen.

Veronika: Ich habe festgestellt, dass ich Sina durch meine Ehe und Mutterrolle nicht „überlegen“ bin, im Gegenteil. Ich lerne von Sina unglaublich viel. Sie ist in den letzten Jahren in Glaubensdin­ gen stark gewachsen. Davon profitiere ich, wenn ich mal wieder den Durch­ blick verloren habe. Da holt sie mich zurück auf den richtigen Weg. Und ich bleibe offen für die Lebenswirklichkeit von Singlefrauen. Ich habe gelernt, dass es kein Patentrezept für die Partnersu­ che gibt und dass wohlwollende, trös­ tende Worte oft verletzend sein kön­ nen. In dunklen Zeiten hilft es meiner Freundin zu wissen, dass ich sie lieb habe, ihr zuhöre und mich still und be­ tend an ihre Seite stelle. Sprüche à la: „Der Richtige kommt schon noch“ oder „Du hast ja noch so viel Zeit“ sind nicht hilfreich.

Sina: Mir als Single gibt die Freund­ schaft mit einer Mutter die Möglichkeit, einen neuen Standpunkt kennenzuler­ nen.Esbestärkt mich im Glauben an die Familieund desillusioniert auch so man­ ches Mal die zu romantische Vorstel­ lung von Ehe und Elternsein. Veronika kann mir vielleicht keine Tipps für meine Lebenslage geben, aber sie unter­ stützt mich und eröffnet mir auch mal eine andere Sicht auf die Dinge. Das  Gute ist, dass unsere  Freundschaft nicht  durch  den Be­ziehungsstatus oder die Anzahl der Kinder definiert wird, sondern   durch  die  Verbindung   von  zwei  Frauen,  die durch  die richtige  Mischung  an Gemeinsamkeiten und Unterschiedlichkeiten gefestigt wurde.

Freundschaftspflege

Veronika:  Freundschaft als Mutter  leben – das gestaltet sich nicht immer  einfach. Will ich mal in Ruhe telefo­ nieren,  dann  hängt  mir  garantiert  nach  zwei Minuten ein Kleinkind kreischend  am Hosenbein. Oder Erschöp­ fung wirkt sich so lähmend  auf mich aus, dass ich Tref­ fen oder Telefonate um Wochen verschiebe. Ich vergesse Geburtstage. Oder wichtige Anliegen, für die ich beten sollte. Trotzdem merke ich, wie gut es mir tut, meine Freundschaften zu pflegen. Das gelingt mir, wenn ich meine „Freundschaftspflege“ plane. In meiner Wochen­ planung trage ich Anrufe und E­Mails ein. Ich achte auch darauf, Freundinnen in regelmäßigen Abständen  zu se­ hen. Das bündele ich auch gerne, indem ich Geburtstags­ und gelegentliche Dinnerpartys schmeiße.  Eine tief ver­ wurzelte Freundschaft überlebt eine kurze Dürreperiode. Aber an anhaltendem Pflegemangel wird sie irgendwann zugrunde  gehen.

Sina: Ich habe gelernt, unseren  Kontakt besser zu timen. Auch wenn mein  Leben mehr  Flexibilität zulässt,  versu­ che ich mich  an  Veronikas  Tagesablauf  zu  orientieren. Das heißt  zum  Beispiel keine Anrufe während  der „Kin­ der­ins­Bett­bring­Phase“, Termine einhalten und nicht kurzfristig  alles umschmeißen, weil es für einen  selbst ja unproblematisch ist. Es gilt das Wesentliche  zu bere­ den, das Nebensächliche  zu ignorieren  und  das Schöne zu genießen,  und das ist in so einer Freundschaft meist die gemeinsame Zeit.

Veronika Smoor aus Waldbach bei Heilbronn ist zweifache Mutter und Hausfrau. Gerne lässt sie Windelberge und Putzlappen links liegen, um sich dem Schreiben und der Fotografie zu widmen. Ihren Mütter-Alltag verarbeitet sie in ihrem Blog: http://smoorbaer.wordpress.com
Sina Roth aus Biberach arbeitet als Biologin. Neben ihrer Leidenschaft für die Jugendarbeit lebt sie ihre Kreativität beim Schreiben und Fotografieren aus. Sie arbeitet an einem Buch über Frauen, Beziehungen und das Kopfkino der weiblichen Welt.