Artikel aus der Rubrik Tankstelle im Heft

Von Herz zu Herz im Bauwagen

Christof Matthias schwärmt von einer Männerrunde, die sich auf einem Bauernhof trifft.

Als ich um 23.00 Uhr nach Hause komme, scheint mein Gesicht zu strahlen. „Na, ist es euch wieder gut gegangen?“, fragte mich meine Frau. „Jupp, wie immer.“ Dann schwärme ich in gewohnter Weise von meinen Erfahrungen, dem Austausch und dem tollen Essen. Einmal monatlich treffen wir uns in überschaubarer Männerunde von acht bis zwölf Männern, um Beziehungen zu knüpfen und Freundschaften zu bauen. Bewusst haben wir uns dafür ein männergeeignetes Domizil gesucht. Einen Bauernhof, auf dem wir richtig Lagerfeuer machen, die Motorsäge auch am späten Abend auf Hochtouren bringen oder mit einem Schlepper tatsächlich im Gelände fahren können, ohne vorher um Erlaubnis zu fragen. Hammer, da erwacht das männliche Herz zum Leben. Diese Aktionen sind aber immer nur der Einstieg, um bei einem Abendessen über unsere Themen ins Gespräch zu kommen. Dazu setzen wir uns in der Regel in einen alten Bauwagen, der als Gruppenraum ausgebaut wurde. Das Ambiente ist nützlich, rustikal, eher einfach, und Sauberkeit spielt keine dominante Rolle. Auf einem Bauernhof wäre das auch nicht so einfach. Nur die Spinnweben und toten Fliegen, die sich auf dem Tisch schon wieder breit gemacht haben, fegen wir immer schnell noch vom Tisch. Während wir uns mit Männergetränken, Bratwürstchen vom Grill oder einer ahlen Wurst (Kasseler Spezialität) versorgen, werfe ich das Thema des Abends in die Runde, heute: „Leben mit Vision“. Wohl ein wenig einfältig denke ich, dass nun alle ihre Vision benennen oder neu finden könnten. Aber gerade weil wir so ehrlich sind, kommen auch ganz unerwartet Antworten: „Ich hatte Visionen für mein Leben, sie aber alle aufgegeben. Diesbezüglich kann ich Gottes Stimme nicht hören.“ „Ich lasse mich nur von Gott lieben. Mehr will und brauche ich nicht.“ Der Austausch entwickelt sich wieder mal anders als gedacht. Toll, wie verschieden wir doch sind, welch unterschiedliche Denkansätze wir verfolgen und wie wir einander bereichern können. Ich versuche, noch etwas Gemeinsames zu finden: Könnte es sein, dass Gott sich für jeden Mann etwas Besonderes gedacht hat und dieses Etwas vielleicht Gottes Vision für uns ist? Dazu können alle ein Ja und Amen finden. Als ich auf die Uhr schaue, bin ich überrascht. Die Zeit ist wieder superschnell vergangen. In guter Tradition beenden wir auch diesen Abend im Gebet füreinander und mit zwei Liedern. Ich habe von „meiner Truppe“ wieder ganz Neues erfahren, kann Anteil nehmen, für andere da sein – klasse. Alle Anwesenden empfinden diesen Ort, an dem wir uns so ehrlich, offen und rückhaltlos geben können, als einmalig.

Bildschirmfoto 2016-02-18 um 10.06.17Christof Matthias ist freiberuflicher Supervisor und Regionalleiter von Team.F,
Vater von drei leiblichen Söhnen, einem mehrfach behinderten Pflegesohn, zwei
Schwiegertöchtern und Opa von zwei Enkeltöchtern.

 

 

Jetzt neu! Wie früher!

Moor Jovanovski entdeckt hilfreiche Botschaften im Supermarkt.

Schnell noch auf dem Rückweg einkaufen. Der Tag war schon sehr voll, aber der Kühlschrank umso leerer. Es liegt einer dieser Arbeitstage hinter mir, bei denen ich das Gefühl habe, mich selbst zu überholen. Es gibt viel zu entscheiden, zu konzipieren, zu sprechen, zu schreiben, zu denken, zu lösen, zu arrangieren und vor allem zu geben. An so einem Tag ist nicht nur der Kühlschrank leer. Eine gewisse Leere macht sich auch in meinem Innern breit.
Jetzt also einkaufen. Die Familie braucht Abendbrot, und bedauerlicherweise liegt der Supermarkt auf meinem Heimweg von der letzten Besprechung. Vom Parkplatz hechte ich in den Supermarkt. Vom Toastbrot zu den Aufbackbrötchen. Ach ja, das Gemüse war doch am Eingang. Also zurück. Oh nein, Mutter mit Kind im Weg! Lächeln und dann rechts überholen (gilt eigentlich die StvO auch im Supermarkt?). Schnell die Tomaten einpacken (meine Güte, sind die teuer …) und weiter zum Kühlregal. Der Hektikmodus manifestiert sich in einem Herzrasen, als ich die Regale mit meinen Augen nach dem Lieblingskäse absuche. Warum räumen die immer alles um? Neuropsychologie in den Supermärkten … ich brauch das jetzt nicht. Ich drehe innerlich auf Hochtouren. Verliere ich jetzt die Nerven wegen eines Frischkäses? Endlich entdeckt. Wie konnte es anders sein: direkt vor meiner Nase. Jetzt reicht‘s! Ich will nach Hause auf die Couch. Runtertakten. Ausruhen. Akkus aufladen. Gerade will ich den Käse in den Wagen werfen und mich in einer fließenden Bewegung mit dem Einkaufswagen in Richtung Kasse bewegen, da bleibt mein Blick auf der Verpackung hängen. Ein unübersehbarer Hinweis – außergewöhnlich in der Formulierung: „Jetzt neu! Wie früher!“ Ich bleibe unweigerlich stehen. Was jetzt? Neu oder alt? Ist das jetzt besser oder schlechter? War früher doch alles besser? Hoffentlich meinen die nicht das Haltbarkeitsdatum! Ich bin verwirrt. In diese Gedanken versunken gehe ich (erstaunlicherweise) langsam zur Kasse.
Das will mir nicht aus dem Kopf: Altes neu entdecken. Das ist doch eine Quelle. Und nachdem ich gezahlt, alles im Auto verstaut habe und wieder auf dem Fahrersitz bin, beginne ich ein spontanes Gebet. So, wie ich es früher oft gemacht habe. So wie ich einmal im Lukasevangelium las. Dort nahm sich Jesus einfach zwischen der Geschäftigkeit des Tages eine Auszeit zum Beten (Kapitel 5 Vers 16). Er lotete den Tag aus und entschied sich für Auszeiten zwischendrin. Und Beten können und dürfen – das ist und bleibt doch eine Quelle. Ob kurz, ob lang. Ob bewusst, ob unbewusst. Egal, an welchem Ort und egal, worum es geht. Dieses und jenes. In der Hektik, in der Ruhe. Am Morgen. Am Abend. Oder eben zwischendrin.
Der Zugang zu dieser Quelle ist so individuell, wie eben jeder von uns ist. Und aus dieser Quelle strömt Leben und Kraft, Zuversicht und Ruhe. Die Leere wird aufgefüllt. Die Akkus laden auf. Nur muss mein inneres Auge eben zuerst an dieser Aussage heften bleiben, damit mir das wieder bewusst wird: „Jetzt neu! Wie früher!“ Und in mir höre ich diese leise Stimme: „Egal wann, egal wo, egal wie, ich bin deine Quelle.“ Bis ich zu Hause bin, höre ich nicht auf, aus dieser Quelle in meinem Auto zu schöpfen. Und zum Abendbrot komme ich dann auch nicht zu spät.

 

 

Ich bin kein Jogger

Warum Stefan Gerber zum 40. keinen Marathon läuft.

Ich bin nicht so der Jogger. Natürlich habe ich es auch versucht. Schließlich sind einige meiner großen Vorbilder, wie der Willow-Creek-Pastor Bill Hybels, bekennende Läufer. Also habe ich die eine oder andere Runde in der wunderschönen Gegend gedreht, die direkt vor meiner Haustür beginnt. Trotz starken Willens scheiterte ich kläglich! Mehr als dreimal in Folge schaffte ich es nie.
Ich bin einfach kein Jogger. Das musste ich mir mit der Zeit eingestehen. Und so hab ich auch der Versuchung widerstehen können, mich zu meinem vierzigsten Geburtstag in diesem Jahr mit einer Marathonteilnahme zu beglückwünschen. Ist ja toll für alle Männer, die das auf die Reihe kriegen. Aber ich will mich doch nicht noch zu meinem Geburtstag mit so etwas abplagen!
Ich bin aber auch nicht ganz unsportlich. Viel Freude erlebe ich beim Strampeln auf dem Fahrrad. Erst an der Aare entlang, danach schwitzend den Berg hinauf in den Wald und zum Schluss in rasantem Tempo herunter, der Dusche entgegen. Ich gebe zu, dass selbst diese einstündigen Biketouren etwas Überwindung kosten. Doch wenn ich mich überwinden konnte, ist es jedes Mal eine wohltuende Tankstelle für Körper und Geist.
Ich bin ein Siegertyp. Nicht, dass ich immer gewinne. Aber ich gewinne gerne. Darum liegt mir wohl das Joggen so überhaupt nicht: Wenn ich mich da alleine abmühe, gibt es einfach wenig zu gewinnen. Schon früher als Kind fand ich zu den Teamsportarten einen besseren Zugang. Nachmittage lang machte ich mit meinen Kollegen den Schulhausplatz unsicher, wo wir leidenschaftlich Rollhokkey spielten.
Ich bin dankbar dafür, dass vor einigen Jahren in unserem Dorf eine Unihockey-Hobbymannschaft gegründet wurde. Ein verbindliches Mittun in einem ambitionierten Sportverein war für mich, neben all meinen Tätigkeiten und den unregelmäßigen Arbeitszeiten, nicht drin. Und genau da trifft diese Plauschmannschaft den Nerv unserer Zeit: Wenig Verbindlichkeit, viel Fun. Wer mittwochs um 18 Uhr zum gemeinsamen Training kommen kann – wunderbar.Wer verhindert ist – auch okay.
Ich bin kein Theoretiker, mich interessiert die Anwendung mehr als die Technik. Das ist im Sport so, aber auch ganz generell. Und darum bin ich so froh, dass unsere „Trainings“ eigentlich keine solchen sind. Wir teilen die Anwesenden in zwei Gruppen, und dann geht’s schon los mit dem Spiel: Auf jede vergebene Chance folgt ein „dummer“ Spruch eines Mitspielers, jedes Tor wird würdig gefeiert und tut der Seele des Siegertyps in mir richtig gut. Tankstelle pur.
Ich bin in Bewegung. Inzwischen bin ich ziemlich verbindlich beim Unihockey-Team dabei. Einfach weil ich dem wöchentlichen Termin eine hohe Priorität gebe, geben will. Da ist sie, die viel besagte intrinsische Motivation (Motivation von innen heraus), die ich beim Joggen trotz bestem Willen nie aufbringen konnte (da blieb es immer Motivation von außen: „Man(n) sollte …“). Bewegung ist wichtig, Bewegung ist gesund, Bewegung muss aber unbedingt auch Spaß machen!

 

 

Energie aus dem Konsumtempel

Gottfried Muntschick hat Spaß an einem – aus Männersicht – ziemlich exotischen Hobby.

Weiterlesen

Allein mit Kevin

Wenn Christof Matthias mit seinem behinderten Pflegesohn einige Runden dreht, öffnet sich eine innere Tür.

Weiterlesen

Entspannung aus der Konserve

Gottfried Muntschick hat Spaß an großen Filmen, auch wenn seine Frau nicht immer Verständnis dafür hat.

Weiterlesen

Wenn der Hecht beisst

Christof Matthias lässt beim Angeln am See alles hinter sich.

Weiterlesen

Als meine Kinder selbstständig wurden

Stefan Gerber lässt den Nachwuchs ran.

Weiterlesen

Papas liebstes Kind

Ich fahre leidenschaftlich gern Auto. Es ist für mich ein Gebrauchsgegenstand und Arbeitsgerät. Mein Auto passt zu mir, und seit einem ADAC-Sicherheitstraining ist es auch ein richtiger Spaßfaktor. Ja, es ist auch ein Kostenfaktor, aber man kann halt nicht alles haben. Mein Auto ist mir auch Lehrmeister und Metapher für mein Vatersein.

Beim Sicherheitstraining habe ich Bremsen und Kurvenfahren gelernt. Jetzt mache ich ohne Scheu bei Regen und Gefahr eine Vollbremsung und freue mich, wenn ich die Autobahnabfahrt mit einem Schnitt von 100 schaffe. Frauen, die das lesen, halten mich für verantwortungslos. Ich meine aber, jede Heirat ist wie eine Vollbremsung bei Regen, und jedes geborene Kind ist wie eine Kurvenfahrt mit 100. Du musst Nerven wie Stahlseile haben, das Steuer fest in der Hand behalten und dich langsam auf die neue Situation einstellen. Ich war bei unserer Hochzeit 26 und eingefleischter Junggeselle. Da war schon manche Vollbremsung nötig, damit der Ehewagen nicht an die Wand fuhr.

Ich lerne von meinem Auto auch, dass es nicht gut ist, immer nur Vollgas zu fahren. Man kommt zwar schnell zum Ziel, aber der Preis ist hoch. Schnelle Väter trimmen ihre Kinder auf das Ziel und verpassen, was alles auf dem Weg geschieht. Wer immer nur den kürzesten Weg nimmt, entdeckt nichts Neues. Was für ein Schatz ist es, wenn du mit deinem Kind unterwegs bist. Du kannst an der Hand eines Kindes zum Beispiel die Langsamkeit entdecken. Jeder Spaziergang wird zur kostenlosen Survivaltour und zum erlebnispädagogischen Entschleunigungsseminar. Ich habe es in der Elternzeit gelernt. Leider erst nach Überlastungssymptomen und einer Auszeit bei der Geburt unserer fünften Tochter, aber es war nicht zu spät und prägt meine Lebenshaltung bis heute.

Und dann das Tanken. Du musst anhalten und neuen Kraftstoff tanken. Ich liebe den Diesel als Bild für die Vaterschaft. Diesel ist flüssig, und Vaterschaft muss auch flüssig sein. Vatersein ist keine Aufgabe, die du erledigen musst, um dich dann anderen Dingen widmen zu können. Es ist ein Aggregatzustand, in dem du lebst. Nicht hart wie ein Klotz. Nicht gasförmig, sprich überall präsent, aber nicht zu greifen. Nein, Väter sind flüssig, weil sie tragen, in die Weite führen und weil sie guten Antrieb geben. Und das machen sie gut und anders als Mütter.

Und sie machen es anders als andere Väter. Das lehrt mich der Straßenverkehr auch. Ich fahre gelassen 120, weil ich es so will. Andere fahren anders. Ich kann auch anders, aber ich will es nicht immer. Hier macht mir mein Auto Mut, Vaterschaft so zu leben, wie ich es für gut halte, auch wenn andere, ja, selbst meine Frau, es oft anders sehen. Ich bin kein Sturkopf, wie die 130-Linksfahrer, aber ich lass mich auch nicht verrückt machen von jeder neuen Welle und den vielen neuen Möglichkeiten. Ich möchte vor Gott und meiner Frau den Fahrstil meines Lebens vertreten können.

Du fragst dich vielleicht, warum ich nichts über Unfälle geschrieben habe. Weil ich es nicht wollte. Und was willst du?

Gottfried Muntschick ist Generalsekretär im CVJM Sachsen-Anhalt und Referent im Bereich Männer- und Familienarbeit.