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Der Angst ins Gesicht schauen

Sara Bohlen hat mit „Furchtlos“ ein Buch geschrieben, in dem sie sich intensiv mit einer Strategie gegen die Angst auseinandersetzt.

Bist du furchtlos?
Gute Frage. Ich glaube nicht, dass man wirklich dahin kommt, komplett ohne Angst zu sein. Ich glaube auch nicht, dass es das Ziel ist, keine Angst mehr zu haben. Angst ist eine Emotion, die Gott uns gegeben hat. Der Titel meines Buches ist von daher vielleicht ein bisschen provokant. Trotzdem glaube ich, dass ich immer mehr reflektieren kann, wo ich von Furcht geleitet bin oder war und mich bewusst entscheiden kann, mutige Entscheidungen zu treffen. Das ist das Ziel: Die Angst zu kennen und ihr ins Gesicht zu schauen und dann zu sagen: Ich möchte aber diese Richtung einschlagen und mutig meine Bestimmung leben.

Was sind denn Dinge, vor denen du Angst hast?
Ich kämpfe immer wieder mit der Frage: Was denken Leute über mich? Ich habe Angst, als Leiterin oder als Mama zu versagen. Das hat auch mit meinem eigenen Anspruch an mich selbst zu tun.

Und wie war das für dich in der Corona-Zeit?
Corona war schrecklich und hat sehr viele Ängste hochgeholt, die mir gar nicht so bewusst waren. Wir leiten eine junge Kirche, und bis zu Corona hatten wir eine wahnsinnige Dynamik. Es kamen viele Leute, und wir waren eher ein bisschen überfordert mit dem Wachstum. In der Corona-Zeit war es total schwierig zu merken: Man spürt die Leute nicht. Und die Leute sind vielleicht nicht so verbunden mit der Gemeinde, wie wir uns das gewünscht hätten. Auf einmal kommen Frust und komische Gespräche und Kritik. Ich hatte nicht viel Angst vor dem Virus selbst, sondern Angst, nicht allem gerecht zu werden, Angst, zu versagen, Angst, Leute zu verlieren, Angst vor Kritik und davor, dass ich mich nicht mehr erfolgreich fühle. Da hat Gott mich entlarvt und ich habe gemerkt: Ich möchte nicht, dass ich davon motiviert bin.

Was hat dir geholfen?
Mir hat tatsächlich die Auseinandersetzung mit dem Thema für das Buch geholfen. Ich habe das Gefühl, dass es ein Trick war von Gott, dass ich mich damit auseinandersetzen musste, weil ich mich vorher nicht unbedingt als furchtsamen oder ängstlichen Menschen bezeichnet hätte. Aber die Auseinandersetzung mit dem Thema hat mir gezeigt, dass Angst oft anders aussieht, als man denkt. Nicht nur die haben mit Angst zu kämpfen, die sich die Decke über den Kopf ziehen und sich einigeln, wenn Corona kommt. Angst kann ganz unterschiedlich aussehen. Die Auseinandersetzung mit diesen inneren Glaubenssätzen, mit den Ursachen und den Schutzfunktionen, die man ergreift, wenn man ängstlich ist, hat mir total geholfen. Und das Gebet, Gott zu suchen, um Hilfe zu rufen.

Hast du eine Strategie, wenn du merkst: Jetzt kommt Angst in mir hoch?
Wir haben in dem Kurs, der meinem Buch zugrunde liegt, eine Formel entwickelt: See, Reflect, Choose, Act. Das sind vier Schritte, vier Fragen, die man sich stellen kann. Und das mache ich tatsächlich immer mal wieder. „See“ bedeutet: Was fühle ich gerade? Und auch: Wie reagiert mein Körper? Warum bin ich grad so negativ? „Reflect“ heißt: Wo kommt das her? Wann hat das angefangen? Und „Choose“ bedeutet: Was möchte ich denken? Mein Inneres ist in irgendeine Richtung abgebogen, aber es gibt auch einen anderen Weg, für den ich mich entscheiden kann. Und „Act“ ist dann, diesen Weg zu gehen und entsprechend zu handeln. Diese Formel, diese vier Fragen gehe ich immer mal wieder durch.

Jesus sagt ja häufig: „Fürchtet euch nicht.“ Aber wie passt das zusammen mit seiner Aussage: „In der Welt habt ihr Angst, aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden“?
Ich glaube, dass Angst etwas Normales ist und dass wir keine Angst vor der Angst zu haben brauchen. Wenn Jesus sagt: „In der Welt habt ihr Angst“, bedeutet das: Angst gehört zu uns, zu unserer Menschlichkeit und auch zu dem Umfeld, in dem wir leben, dazu. Das ist nun mal nicht sicher, es ist bedrohlich für uns und auch gefährlich. Jesus sagt: „Ihr habt Angst, das ist normal, das gehört dazu.“ Und diese Aussage „Fürchtet euch nicht“ in der Bibel ist eigentlich immer verknüpft mit „… denn ich bin bei dir“. Das finde ich so stark, dass es nicht heißt „Fürchte dich nicht!“ im Sinne von „Du sollst das nicht fühlen!“. Sondern: „Hey, du brauchst dich nicht zu fürchten, denn ich bin bei dir. Es gibt eine größere Realität in dieser Situation jetzt gerade. Gott hat Macht über unser Weltgeschehen.“ Oder: „Gottes Sicht von mir ist wichtiger als die Sicht von Menschen.“ Wir gucken dann nicht mehr auf das, was uns beängstigt, sondern eben zu Jesus und zu seinen Alternativen.

Du hast einen Bibelvers aus dem 2. Timotheus-Brief als Motto über dein Buch gestellt: „Denn Gott hat uns nicht einen Geist der Furcht gegeben, sondern einen Geist der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit.“ Was fasziniert dich an diesem Vers?
Je mehr ich mich damit auseinandersetze, desto mehr sehe ich, dass Kraft, Liebe und Besonnenheit nicht nur theologisch, sondern auch psychologisch richtige Pfunde gegen die Angst sind. Wenn ich weiß, ich habe die nötige Kraft, ich habe das nötige Beziehungsfundament, ich habe die nötige Unterstützung und ich habe Besonnenheit – was bedeutet, ich reagiere nicht impulsiv, sondern mit Weisheit, mit einer bewussten Entscheidung –, sind das auch psychologisch Schlüssel gegen die Angst. Aber da steht eben auch: Gott hat uns nicht einen Geist der Furcht gegeben, sondern einen Geist der Kraft, Liebe und Besonnenheit. Dass der Heilige Geist das mitbringt in unser Leben und diese Sachen in unserem Leben etablieren möchte, finde ich toll. Dass wir nicht nur angewiesen sind auf Psychologie, sondern dass wir eine Kraft an unserer Seite haben. Ich finde es unglaublich schön, dass wir nicht allein sind, sondern Gott an unsere Seite kommt, um uns in die Freiheit zu führen.

Interview: Bettina Wendland

Sara Bohlen leitet zusammen mit ihrem Mann Renke die „Kirche im Pott“ mit Standorten in Bochum, Dortmund und Münster. Für ihre Gemeinde hat sie zusammen mit einer Psychologin den Kurs „Fearless“ entwickelt, auf dessen Grundlage ihr Buch „Furchtlos“ (SCM R.Brockhaus) entstanden ist. Sara lebt mit Renke und ihren drei Töchtern Amie, Mila und Ella in Bochum.

Mein Sohn hat den Coronablues

„Bei meinem Sohn (9) ist nach zweieinhalb Jahren Pandemie mit Wechselunterricht, teils täglichem Testen, mehreren Quarantänen und Masketragen ordentlich die Luft raus. Er hat schon mehrfach gesagt, dass er nach den Ferien nicht mehr in die Schule zurückkehren will. Man spürt ihm auch eine gewisse Unsicherheit und Angst ab. Es tut mir so leid, dass er bisher keine normale Schulzeit haben konnte. Wie können wir ihm die Schule trotzdem schmackhaft machen?“

„Bei meinem Sohn (9) ist nach zweieinhalb Jahren Pandemie mit Wechselunterricht, teils täglichem Testen, mehreren Quarantänen und Masketragen ordentlich die Luft raus. Er hat schon mehrfach gesagt, dass er nach den Ferien nicht mehr in die Schule zurückkehren will. Man spürt ihm auch eine gewisse Unsicherheit und Angst ab. Es tut mir so leid, dass er bisher keine normale Schulzeit haben konnte. Wie können wir ihm die Schule trotzdem schmackhaft machen?“

Masken tragen, Abstand halten, testen, auf Ausflüge und Klassenreisen verzichten müssen – das sollte eigentlich nicht den Alltag von Familien prägen. Kein Wunder, dass viele Schüler, wie auch Ihr Sohn, schulmüde und frustriert sind.

Die COPSY-Studie, eine Studie des Unikrankenhauses Hamburg-Eppendorf (UKE), in der Kinder und ihre Eltern regelmäßig zur psychischen Belastung durch Corona befragt werden, zeigt, dass Familien, die zusammenhalten und viel Zeit miteinander verbringen, besser mit den Belastungen in der Pandemie umgehen.

Gönnen Sie sich gemeinsame Aktionen!

Es ist also wichtig, in der Familie für Ausgleich zu sorgen. Das ist leichter gesagt als getan, denn Eltern sind durch die Pandemie oft mindestens genauso gestresst und angestrengt wie ihre Kinder. Umso wertvoller ist die gegenseitige Wertschätzung für gemeisterte Schul- und Arbeitstage mit dem Ausblick auf gemeinsame Aktionen am Wochenende, zum Beispiel Geocaching-Touren, Schnitzeljagden, ein feierliches Essen, Wellnesstage mit Kopf-, Rücken- oder Handmassagen. Bei Regenwetter sind ein Lesemarathon, ein Pingpong-Turnier auf dem Esszimmertisch oder ein Pfützenspringwettbewerb eine Option. Auch das ehrliche Gespräch darüber, dass die Pandemie für alle schwer ist, tut Familien gut.

Kinder merken so, dass ihre Eltern auch damit zu kämpfen haben und dass jeder in der Familie ein Mitspracherecht hat. Überlegen Sie sich im Familienrat, was Sie brauchen und was Sie als Familie aufmuntert. Für das menschliche Wohlbefinden ist außerdem Sport sehr wichtig. Er schafft körperlichen Ausgleich und Gemeinschaft. Wir Eltern sind so auf den Geschmack von langen Schnellschritt-Spaziergängen oder Joggingtouren gekommen. Unsere Kinder haben während Corona Fitnessvideos auf YouTube für sich entdeckt. Vielleicht ist das auch etwas für Ihren Sohn?

Holen Sie Ihrem Kind Hilfe!

Auch Klassenkameraden und Freunde helfen gegen Coronablues und Schulmüdigkeit. Selbst in Pandemiezeiten sollte Ihr Kind mindestens ein bis zwei Kinder regelmäßig treffen dürfen.

Wenn Ihr Kind sich trotz allen Vorschlägen gar nicht mehr für die Schule motivieren kann und nur noch deprimiert ist, möchte ich Sie ermutigen, auf den Schulpsychologen oder den Schulsozialarbeiter zuzugehen. Gönnen Sie Ihrem Kind die psychologische Unterstützung, die wesentlich mehr Kinder im Moment brauchen. Ihr Kind ist da nicht allein und es hilft ihm, seinen Weg fröhlicher zu gehen.

Stefanie Böhmann ist Pädagogin und individual-psychologische Beraterin. Sie lebt mit ihrer Familie in Hamburg.

„Das schaffst du doch mit links!“ – Expertin gibt Tipps für linkshändige Kinder

Psychotherapeutin Dr. Johanna Barbara Sattler leitet die erste deutsche Beratungs- und Informationsstelle für Linkshänder. Sie erklärt Dos und Don’ts für Eltern, wenn ihr Kind mit der linken Hand malt, isst und bastelt.

Ab welchem Alter können Eltern erkennen, ob ihr Kind Rechts- oder Linkshänder ist?
Bei manchen Kindern sieht man es schon sehr früh. Bei den meisten klärt es sich bis zum Alter von drei bis vier Jahren. Wenn es bei einem Vierjährigen noch nicht klar ist, sollte man mit dem Kinderarzt sprechen, was die Gründe dafür sein könnten. Bei diesen Kindern gibt es manchmal auch motorische Probleme oder Auffälligkeiten. Dann ist es sinnvoll, therapeutisch einzugreifen.

Der Besteck-Trick zeigt dominante Hand

Manche Eltern, deren Kind häufig die linke Hand benutzt, hoffen, „dass sich das noch gibt“. Ist diese Hoffnung berechtigt?
Bei Linkshändern ist die gegenüberliegende, also die rechte Gehirnhälfte motorisch dominant, sie gibt die stärkeren Signale. Eltern sollten nicht versuchen, das Kind zur Benutzung der rechten Hand anzuregen oder es gar umzuschulen. Denn wenn ein Kind in die falsche Händigkeit kommt, kann das negative Auswirkungen haben wie Konzentrationsstörungen oder Lernschwierigkeiten. Deshalb sollten Eltern nicht versuchen, das Kind zu beeinflussen. Wenn die Händigkeit unklar ist, sollten sie zum Beispiel das Besteck mittig in den Teller legen und dem Kind die Möglichkeit geben, selbst zu entscheiden, welche Hand es nimmt.

Und wenn Eltern sicher sind, dass das Kind ein Linkshänder ist?
Dann sollten sie das Glas oder Besteck auf die linke Seite legen oder stellen. Damit verhindern sie, dass das Glas umfällt oder dass der Ärmel immer durch die Suppe geht. Außerdem sollten sie rechtzeitig auf eine lockere Mal- und Schreibhaltung bei ihrem Kind achten. So helfen sie dem Kind, dass es später nicht über das gerade Geschriebene wischt und dass es den Text gut lesen kann und nicht mit der Hand verdeckt. Dazu gibt es für linkshändige Kinder auch vorbereitende Kindergruppen, die seit der Coronapandemie auch online angeboten werden.

Kindergarten informieren

Gibt es einen Zusammenhang zwischen Linkshänder und Linksfüßer?
Was wir mit den Händen und was wir mit den Füßen tun, ist grundlegend unterschiedlich. Füße brauchen Gleichgewicht. Um mit einem Bein zu schießen, muss man auf dem anderen Bein gut stehen können. Deshalb kommt es oft vor, dass ein Kind, das eigentlich linkshändig ist, mit dem rechten Fuß schießt – und umgekehrt.

Sollten Eltern die ErzieherInnen im Kindergarten auf die Linkshändigkeit hinweisen?
Ich würde nachfragen, wie sie mit Linkshändern umgehen und ob sie Linkshänder-Scheren haben. Es ist auch wichtig, dass das Kind beim Essen und Basteln nicht rechts von einem Rechtshänder sitzt, sonst kommen sich die beiden in die Quere.

Interview: Bettina Wendland

„Möglichst wenig Stress, viel gemeinsame Zeit“

Die Corona-Pandemie hinterlässt besonders bei Kindern und Jugendlichen Spuren. Wichtige Entwicklungen im kindlichen Gehirn fanden während der Lockdown-Phasen nur eingeschränkt statt. Die Neurobiologin Dr. Nicole Strüber erklärt in ihrem Buch „Coronakids“, wie Eltern ihren Kindern helfen können, die Pandemie gut zu verarbeiten.

Was braucht das kindliche Gehirn normalerweise für eine gesunde Entwicklung?
Das kindliche Gehirn braucht Erfahrungen. Es muss sich weiterentwickeln und sich mit all seinen Verschaltungen an seine jeweilige Umwelt anpassen – es muss lernen. Über den eigenen Körper, über die eigene emotionale Welt, über die Naturgesetze und – ganz wichtig – über die soziale Welt. Damit dies möglich ist, benötigt das Kind eine Umwelt, die ihm diese Erfahrungen bietet und die ihm ausreichend Sicherheit vermittelt. Also eine verlässliche Begleitung durch Menschen, mit denen es verbunden ist, und damit einhergehend Ruhe und Entspannung. Nur in diesem Zustand kann das kindliche Gehirn gut lernen.

Was hat den Gehirnen unserer Kinder in der Pandemie und speziell in den Lockdowns gefehlt?
Vor allem entspannte Eltern, denen es gelingt, sich in das Kind und seine Belange einzufühlen. Wir Eltern waren sehr gestresst in der Pandemie, zumindest viele von uns: existenzielle Sorgen, Angst vor einer Erkrankung, Home-Office mit quengelndem Kind auf dem Schoß, Homeschooling, kaum Möglichkeiten zum Stressabbau durch Sport oder Treffen mit Freunden. Ist das elterliche Gehirn im Stressmodus, dann ist es stumpf gegenüber den Bedürfnissen der Kinder. Den Eltern gelingt es nur schlecht, sich in das Kind einzufühlen, zu erkennen, was es gerade braucht, welche Bedürfnisse und Gefühle es daran hindern, ruhig und entspannt zu sein – und von der Umwelt zu lernen.

Masken für Kinder: „Als würde man einem Hund die Nase zuhalten“

Schadet es den Kindern, wenn sie eine Welt voller Masken sehen?
Schön findet das kindliche Gehirn diese Welt voller Masken bestimmt nicht. Es benötigt den Gesichtsausdruck anderer Menschen, um sich in der sozialen Welt zu orientieren. Versiegt diese Informationsquelle, ist das ungefähr so, als würde man einem Hund die Nase zuhalten. Dem kindlichen Gehirn dürfte es zwar nicht so wichtig sein, ob Menschen etwa in der U-Bahn oder im Supermarkt Masken tragen, immens wichtig ist aber die Mimik der Bezugspersonen des Kindes. Über deren Gesichtsausdruck lernt das Kind nämlich auch über seine eigenen Gefühle. Und auch das Erkennen der Mimik der Erziehenden und Lehrenden ist ungemein wichtig für die Orientierung in der sozialen Welt, aber auch für das Lernen.

Schadet es Kindern, dass sie so lange isoliert waren?
Mit zunehmendem Alter benötigen Kinder immer mehr das Miteinander mit anderen Kindern. Sie benötigen das Spiel mit anderen, das Rollenspiel, das gemeinsame Erproben der Welt. Sie üben dabei, eigene negative Gefühle in den Griff zu bekommen und die Perspektiven anderer zu verstehen und zu berücksichtigen. Und sie lernen auch, sogenannte Soft Skills zu entwickeln: Durchhaltevermögen, Konzentration, Kooperationsfähigkeit und weitere. Waren Kinder wirklich isoliert von anderen, dann dürften sie hier zunächst Defizite aufgebaut haben. Viele Kinder hatten aber ja auch ein paar wenige Gleichaltrige oder auch Geschwister, mit denen sie spielen konnten.

Nicht auf Bildung fokussieren

Schadet es ihnen auch, wenn sie die Angst und Not der Pandemie wahrnehmen?
Gerade für die kleineren Kinder sind die Gefahren der Pandemie ja noch sehr abstrakt, sie können die meisten der damit verbundenen Probleme gar nicht einordnen. Ihnen ist vor allem wichtig, dass ihre Bezugspersonen verlässlich bei ihnen bleiben. Ist das nicht sicher, bekommen auch sie Angst. Die elterliche Angst vor all den potenziellen Folgen der Pandemie nehmen sie aber durchaus wahr – und reagieren, vor allem dann, wenn sie selbst eine eher ängstliche Natur haben, ebenfalls mit Angst. Da ist es ganz wichtig, mit den Kindern zu reden, für sie da zu sein und ihnen zu zeigen, dass die Beziehung nicht gefährdet ist.

Was können wir Eltern tun, damit unsere Kinder aufholen, was sie verpasst haben?
Wichtig ist, dass wir uns nicht vor allem auf die Bildung fokussieren. Natürlich ist Bildung wichtig, überaus wichtig, gerade auch für Kinder aus benachteiligten Elternhäusern. Aber – und das ist ein Punkt, den wir nicht vergessen dürfen: Das Gehirn braucht einen Zustand der Ruhe, um nachhaltig lernen zu können. Das Kind muss einigermaßen entspannt sein, darf keine unerfüllten Grundbedürfnisse haben, und es muss gewisse Eigenschaften mitbringen, die ihm das Lernen überhaupt ermöglichen, die oben erwähnten Soft Skills. Füttern wir unsere Kinder nun ausschließlich mit Lerninhalten, ist das in etwa so, als würden wir Wasser in eine verrostete und löchrige Tonne schütten: Es würde versickern.

Wir brauchen Verständnis und Vertrauen

Was brauchen unsere Kinder jetzt am ehesten?
Kinder, Eltern, wir alle brauchen Verständnis füreinander und möglichst wenig Stress. Kinder brauchen Verständnis, wenn das mit dem effizienten Lernen nicht sofort hundertprozentig gelingt. Und auch Jugendliche brauchen Verständnis. Für sie war die Pandemie besonders problematisch, darauf bin ich in meinem Buch ausführlich eingegangen. Es hilft ihnen nicht, wenn sie jetzt hören: „Du hast doch nun schon eineinhalb Jahre eine ruhige Kugel geschoben, jetzt gib mal Gas!“ So funktioniert ihr Gehirn nicht. Und wir alle brauchen Vertrauen darin, dass die Kinder die für sie wichtigen Lerninhalte schon bekommen werden, Vertrauen in das Gehirn, zu dessen Eigenschaften es gehört, sich fehlende Puzzleteile im Weltverständnis selbst zu suchen, und Vertrauen in die Kompetenz der Lehrkräfte, die wichtigen, pandemiebedingt entstandenen Lücken in der Bildung der Kinder aufzuspüren.

Was müssen Familien in den kommenden Monaten beachten, damit sie sich von der Pandemie erholen?
Sie sollten sich auf das Wesentliche konzentrieren. Darauf, möglichst wenig Stress zu haben und viel Zeit gemeinsam zu verbringen. Dinge, die man verschieben kann, zu verschieben. Muss wirklich dieses Jahr renoviert werden? Der Kleiderschrank ausgemistet werden?

Kinder brauchen Aufmerksamkeit, damit der gesellschaftliche Graben sich nicht verschärft

Wie kann Familien geholfen werden, die durch die Pandemie vielen verschiedenen Stresskomponenten ausgeliefert sind oder waren?
Diese Familien brauchen Unterstützung. Sie müssen aufgefangen werden, brauchen Ansprechpartner, niedrigschwellige Hilfen im Stadtteil, um ihre Schwierigkeiten zu bewältigen. Die Eltern benötigen diese Unterstützung, aber auch die Kinder selbst. Gerade Kinder, deren Zuhause kein sicherer Hafen ist, brauchen Menschen außerhalb der Familie, mit denen sie reden können, Erziehende in der Kita, Lehrende in der Grundschule oder auch Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter in den verschiedenen Einrichtungen. Wollen wir verhindern, dass die soziale Schere sich noch weiter öffnet, muss hier personell drastisch aufgestockt werden. Gegenwärtig hat ja kaum jemand Zeit für die Kinder und ihre Probleme. Und Therapieplätze für diejenigen, deren Schwierigkeiten zu groß sind, gibt es auch nicht.

Man kann also knapp sagen: Familien, die viele Ressourcen haben, können sich wahrscheinlich – mit Verständnis und viel freier Zeit – von der Pandemie erholen. Die Kinder aus Familien, die über weniger Ressourcen verfügen, brauchen besonders viel Aufmerksamkeit von außen, damit der gesellschaftliche Graben sich nicht weiter verschärft.

Welche Ressourcen meinst du?
Es geht vor allem um die inneren Ressourcen. Um die Fähigkeit der Eltern, sich in die Kinder einzufühlen, ihre Gefühle zu erkennen und ihnen verlässlich Sicherheit zu vermitteln, sich selbst im Miteinander der Familie entspannen zu können, die Herausforderungen des Alltags anzugehen und auch bewältigen zu können – ohne dass es zu einer Implosion oder Explosion kommt. Aber auch äußere Bedingungen sind wichtig: Gibt es ausreichend Platz, damit sich alle auch mal aus dem Weg gehen können, damit die Kinder ihren Bewegungsdrang ausleben können, ohne allen gleich auf die Nerven zu gehen? Gibt es einen Garten? Gibt es soziale Unterstützung, Großeltern oder Nachbarn, die sich mit den Kindern beschäftigen können, wenn es den Eltern zu viel wird?

Kinder können die Pandemie psychisch unbeschadet überstehen

Wie können wir eine optimistische Einstellung erlangen hinsichtlich der Folgen der Pandemie?
Für uns als Gesellschaft bietet die Pandemie die Gelegenheit, strukturelle Probleme anzugehen, die schon seit Langem gegeben sind, deren Auswirkungen aber nun in Zeiten der Krise deutlich an die Oberfläche treten. Wir können da an die häufig entfremdete Art des Lernens in der Institution Schule oder auch an die Wartelisten im Bereich Psychotherapie denken. Und für die Kinder selbst gilt: Jede Krise, die bewältigt wird, macht stärker. Gelingt es uns, unsere Kinder so zu unterstützen, dass sie gegebenenfalls verpasste Erfahrungen nachholen können und nicht durch erhöhten Bildungsdruck noch mehr emotionale und soziale Erfahrungen verpassen, dann werden sie die Pandemie psychisch unbeschadet überstehen. Und dies mit dem Wissen, dass Krisen überwindbar sind. Dieses Gefühl wird sie auch dann begleiten, wenn sie später auf eigenen Füßen stehend Krisen überwinden müssen. Sie sind gerüstet für Herausforderungen, stark, resilient.

Das Interview führte Priska Lachmann, Autorin und Bloggerin aus Leipzig.

Buchtipps
Dr. Nicole Strüber: Coronakids. Was wir jetzt tun müssen, um unsere Kinder vor den seelischen Folgen der Pandemie zu schützen (Beltz)

Dr. Paul Plener/Dr. Silvia Jelincic: Sie brauchen uns jetzt. Was unsere Kinder psychisch belastet und wie wir sie schützen (edition a)

Kommunikations-Coach: Wer lächelt, wird ein positiverer Mensch

Doro Plutte ist Moderatorin und Coach für Kommunikation. Sie erklärt, wie eine andere Körperhaltung uns zu zufriedenen Menschen machen kann.

Du hast gerade ein Buch veröffentlicht: „Wie Haltung unser Leben verändert.“ Was wäre darauf die Antwort in der Kurzfassung?

Zunächst sehe ich Haltung immer als beide Bereiche – innere und äußere Haltung. Und wenn ich sage, Haltung verändert unser Leben, meine ich, dass wir unsere Einstellung zum Leben allein schon durch unsere Körperhaltung verändern können. Die Körperhaltung hat einen Effekt darauf, wie wir unsere Umgebung wahrnehmen und von ihr wahrgenommen werden. Wir haben mit unserem Körper ein machtvolles Instrument, das wir häufig nicht bewusst einsetzen.

Das andere ist der Bereich der inneren Haltung. Über eine bewusste Haltung können wir steuern, wer wir als Menschen sind und wohin wir uns entwickeln. Das ermöglicht uns, Ziele zu erreichen und dankbar zu sein – viel mehr, als wenn wir unsere Haltung unreflektiert einfach passieren lassen. Aus dem Vollen schöpfen, man selbst sein, das Leben genießen – all diese Dinge hängen für mich auch mit meiner Haltung zusammen.

Wie sieht das Zusammenspiel zwischen innerer und äußerer Haltung denn konkret aus?

Unser Gehirn glaubt unserem Körper mehr als den Informationen, die wir wahrnehmen. Wenn ich mit hängenden Schultern auf einem Stuhl sitze und sage: „Ich freue mich total“, dann wird mein Gehirn immer dem mehr glauben, was mein Körper tut, als dem, was ich sage. Es ist wichtig, dass wir ein Verständnis dafür entwickeln, welchen Einfluss unser Körper auf unser Gehirn ausübt.

Es gibt eine spannende Studie, bei der an zwei Gruppen von Probanden Stifte verteilt wurden. Die einen sollten den Stift quer in den Mund nehmen, sodass ein künstliches Lächeln entsteht, die anderen längs, sodass sich das Gesicht ernst verzieht (schnappt sich einen Stift und macht die beiden Gesichter vor). Dann wurden beiden Gruppen Comics gezeigt und man hat gemessen, wie diese Comics wahrgenommen wurden. Das Interessante war, dass die erste Gruppe die Comics als viel lustiger einstufte als die zweite. Das kommt daher, dass der Körper durch das Lächeln ein Signal ans Gehirn sendet: „Es passiert jetzt etwas Lustiges. Wir haben gerade Spaß.“ Gleiches gilt für das ernste Gesicht. Und das betrifft nicht nur den Mund oder das Lächeln, sondern den kompletten Körper.

Wer lächelt, wird ein positiverer Mensch

Wie kann ich das für mich nutzen?

Wir können mit jedem Bereich des Körpers unsere Gefühlswelt beeinflussen. Wer sich angewöhnt, regelmäßig zu lächeln, wird auf Dauer ein positiverer Mensch. Deshalb gehe ich in meinem Buch den Körper von den Füßen bis zum Kopf durch. Andersherum funktioniert das natürlich auch. Meine innere Haltung zu reflektieren und meine Denkweise bei Bedarf zu verändern, hilft mir, mehr Sicherheit und Selbstbewusstsein auszustrahlen. Das sieht man mir dann auch von außen an.

Wie sieht das im Alltag aus?

In meinen Coachings sage ich den Leuten immer: „Wer selbstbewusst auftreten will, muss erst einmal sicher auftreten.“ Wenn ich in eine unsichere Situation gerate, weil ich mich im Supermarkt über den verschimmelten Käse beschweren möchte, den ich gekauft habe, sollte ich erst mal für einen sicheren Stand sorgen. Das mache ich, indem ich die Füße hüftbreit aufstelle und mir bewusst mache: Ich bin fest verwurzelt mit diesem Boden. Der trägt mich. Allein wenn wir uns solche Gedanken machen, beeinflussen wir damit schon unsere innere Stabilität und Durchsetzungsfähigkeit. Unsere Füße sind sozusagen ein Anker, der uns daran erinnert, für welche Dinge wir im Leben stehen wollen.

Wie würde ich mich verhalten, wenn ich geduldig wäre?

Wie beeinflusst die innere Haltung von Eltern das Familienleben?

Unsere Haltung beeinflusst unsere Kinder und das Familienleben permanent und wird unterbewusst auch von unseren Kindern kopiert. Deshalb ist es gut, sich in einem ruhigen Moment bewusst zu machen, wofür wir eigentlich stehen wollen. Welche Haltung will ich als Mama oder Papa leben? Für mich sind die Worte Liebe, Geduld und Klarheit dabei besonders wichtig.
Als Eltern kommen wir ja immer wieder in Situationen, die uns überfordern. Wenn meine beiden Töchter alles Mögliche gleichzeitig von mir wollen: „Können wir eine Folge gucken, kann ich noch Joghurt haben, können wir rausgehen und nebenher noch Oma anrufen?“ Oder wenn die Kleine darauf besteht, bei Minusgraden Sandalen anzuziehen.

Ich merke dann, wie ich wütend werde und einfach nur zu allem Nein sagen will. Gerade diese Momente können aber Übungsfelder sein, wenn wir sie nutzen, um uns in Erinnerung zu rufen, wofür wir stehen wollen: Liebe, Geduld und Klarheit. Manchmal hilft eine Art Brückenfrage: „Wie würde ich mich jetzt verhalten, wenn ich liebevoll, geduldig und klar wäre?“ So kann ich meine innere Haltung wieder sortieren und für meine Werte einstehen. Gleichzeitig darf ich dabei auch gnädig und liebevoll mit mir selbst sein, wenn ich hinter meinen eigenen Ansprüchen zurückgeblieben bin. Auch das ist eine Frage der Haltung.

Wie entsteht überhaupt so eine Haltung?

Da sind ganz viele Einflüsse involviert. Wer und was uns prägt, beeinflusst auch unsere Haltung – das Elternhaus, Erfahrungen, Überzeugungen und auch Glaubensüberzeugungen, die wir gelernt oder die man uns beigebracht hat. Genauso spielen die Persönlichkeit, die wir mitbringen, und der kulturelle Hintergrund eine wichtige Rolle darin, welche Haltung wir einnehmen. Das ist ein großes Geflecht. Mir geht es aber weniger darum, das aufzulösen. Ich habe eher einen Coaching-Ansatz: Ich kann in diesem Moment reflektieren, welche Haltung ich an den Tag lege, und verändern, was damit vielleicht nicht stimmt. Dafür brauche ich nicht zuerst meine ganze Vergangenheit aufzuarbeiten.

Pandemie versetzt Gesellschaft in Kampfmodus

Inwiefern ist meine innere Haltung auch für die Gesellschaft relevant?

Ich beobachte, dass viele Leute, die mit dem Status quo unzufrieden sind, entweder aus der Haltung eines Opfers oder eines Täters heraus agieren. Das macht es schwierig, die Welt zum Besseren zu verändern. Opferhaltung seufzt: „Ich armer Mensch. Andere – oder auch ich selbst – haben es verbockt. So, wie es ist, ist es blöd. Aber ich kann ja sowieso nichts ändern.“ Ich mache andere, zum Beispiel die eigenen Eltern, den Chef, die Politik, den Partner oder auch das Kind, verantwortlich für meine Gefühle. Aus dieser Haltung heraus kann ich aber keine Verantwortung für mein Leben übernehmen und nicht aktiv gestalten.

Wer sich in dieser Opferrolle nicht mehr wohlfühlt, wird irgendwann ausbrechen, ohne zu wissen, wohin. Das führt Menschen oft in die Täterrolle, sie rebellieren und formulieren Vorwürfe. Es verspricht Genugtuung, endlich mal mit der Faust auf den Tisch zu hauen. Aber das heißt auch: Ich bleibe im Kampfmodus. Gerade während der Pandemie sehen wir das häufig, dass Leute aus der Opferrolle in die Täterrolle flüchten und negative Energie in die Welt tragen. Sie mögen ein gutes Ziel haben. Sie sind unzufrieden mit dem Ist-Zustand und denken: Da muss man doch etwas machen. Weil ihre Forderungen aber aus einer negativen Haltung heraus kommen, bleibt dieser Veränderungswunsch unfruchtbar und führt nur zu noch mehr Uneinigkeit.

Um wirklich etwas zu erreichen, brauchen wir eine neue Haltung. Dafür verwende ich gerne das Bild des CEO – „Chef der Emotionen und Orientierung“. Wie der CEO eines Unternehmens kann ich Chef über mein eigenes Leben sein. Ich übernehme die Verantwortung für das, was ich fühle. Das heißt nicht, dass alle anderen oder auch ich selbst keine Fehler gemacht haben oder ich die Dinge herunterspielen muss. Gemeint ist, dass ich darüber entscheide, was für ein Mensch ich sein will. Das sollte ich mir erst mal angucken, bevor ich meine Vorwürfe in die Welt trage.

Mensch mit „Ja-Gesicht“

Was hat Glaube mit der inneren Haltung zu tun?

Ich glaube fest, dass wir aus christlicher Sicht einen Auftrag haben, darauf zu achten, mit welcher Haltung wir durch die Welt laufen. Ich habe mich beim Schreiben meines Buches oft gefragt, wie stark ich meinen Glauben einfließen lassen möchte. In Coachings oder wenn ich als Moderatorin auf der Bühne stehe, bin ich überwiegend in einem säkularen Umfeld unterwegs. Deshalb hatte ich den Glauben zunächst ans Ende in das Kopf-Kapitel gepackt. Beim Schreiben merkte ich dann, dass das nicht geht. Denn wenn ich darüber nachdenke, wie ich meine Haltung bekommen habe, stoße ich immer wieder auf meinen Glauben. Wenn wir eine Beziehung zu Jesus haben, sind wir davon durchdrungen, und das beeinflusst alle Lebensbereiche und auch unsere Haltung stark.

Mein Glaube taucht daher immer wieder auf, unter anderem in den Kapiteln über die Knie und über das Herz. In meinem Elternhaus stand eine geschnitzte Holzfigur mit betenden Händen, darin steckte ein Papier mit den Worten: „Wer vor Gott kniet, kann vor Menschen stehen.“ Viele Coaching-Ansätze sagen: „Du bist deines eigenen Glückes Schmied, du hast es selbst in der Hand, wichtig ist nur, wie du die Dinge bewertest.“ Ich glaube, es hat viel mehr damit zu tun, zu wissen, von wem mein Leben abhängt. Denn das erfüllt meine Haltung mit Dankbarkeit.

An welcher Haltung arbeitest du gerade noch?

Ich wünsche mir, ein Mensch mit einem „Ja-Gesicht“ zu sein. Ich finde, es gibt Leute, die haben Ja-Gesichter, und welche, die haben Nein-Gesichter. Wenn ich mir vorstelle, wer ich sein will, wenn ich eine alte Frau bin, meine Kinder erwachsen sind und ich vielleicht Oma bin, will ich das mit einem Ja-Gesicht sein. Wenn ich heute manchmal emotional überfordert bin, habe ich dieses Bild im Kopf und erinnere mich, dass jeder Tag dazu beiträgt, ob mein Gesicht ein Ja- oder ein Nein-Gesicht wird. Das heißt nicht, dass ich alles erlauben, hinnehmen oder schönreden muss. Es heißt vielmehr, dass ich mich immer neu für eine positive Haltung entscheiden darf – innerlich und äußerlich. Denn wofür ich mich wieder und wieder entscheide, wird irgendwann meine Normalität.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Ann-Sophie Bartolomäus, Volontärin bei Family und FamilyNEXT.

Facharzt: „Psychische Belastungen bei Jugendlichen sind durch die Lockdowns gestiegen“

Vor allem Depressionen und Angststörungen treten bei Jugendlichen durch die Corona-Pandemie verstärkt auf. Von einer „verlorenen Generation“ will Professor Paul Plener im Interview aber nicht sprechen.

Was sind die häufigsten psychischen Erkrankungen bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen?

Die Liste wird angeführt von den Angststörungen in verschiedenen Formen. Gerade im Jugendalter nehmen soziale Ängste deutlich zu, was damit zu tun hat, dass das Orientieren im Raum der gleichaltrigen sozialen Kontakte eine hohe Wertigkeit hat. Außerdem sind es im Jugendalter auch affektive Erkrankungen, Depressionen zum Beispiel. Wir sehen auch vermehrt Erkrankungen mit Substanzkonsum. Prinzipiell ist das Jugendalter aufgrund der vielen Umbauvorgänge im Gehirn eine Altersperiode, in der sich viele psychische Erkrankungen zum ersten Mal manifestieren.

Was sind Ursachen für diese Erkrankungen?

Es gibt relativ unspezifische Risikofaktoren, von denen wir wissen, dass sie das Risiko von verschiedenen psychischen Erkrankungen beeinflussen, zum Beispiel der sozioökonomische Status, also das Aufwachsen unter finanziell schwächeren Bedingungen. Auch Misshandlungs-, Missbrauchs- und Vernachlässigungserlebnisse erhöhen bei vielen psychischen Krankheiten das Risiko. Es gibt auch einen Einfluss genetischer Faktoren. Der ist, je nach Krankheit, geringer oder deutlicher ausgeprägt. Und natürlich ist nicht zu leugnen, dass es viele Erkrankungen gibt, bei denen es einen starken soziokulturellen Einfluss gibt, etwa bei den Essstörungen, wo das zwar nicht als alleinige Ursache zu nehmen ist, er aber trotzdem auch immer mitprägt.

Wer ist schuld?

Die meisten Eltern fühlen sich schuldig, wenn ihr Kind an einer psychischen Erkrankung leidet. Zu Recht?

Wenn man als Familie betroffen ist, hat man ja oft das Gefühl, es trifft nur einen selbst. Und das ist oft begleitet von dem Stigma, dass es gegenüber psychischen Krankheiten gibt, dass man da als Eltern etwas falsch gemacht hätte. Es gibt natürlich Erkrankungen, bei denen Eltern die Verantwortung übernehmen müssen. Wenn es zum Beispiel zu einem Rosenkrieg in Folge einer Trennung gekommen ist, bei dem die Kinder massiv in Mitleidenschaft gezogen wurden, oder bei Vernachlässigungs- oder Misshandlungserlebnissen. Da können sich die Eltern nicht aus der Verantwortung nehmen, sondern nur versuchen, sich anders zu verhalten. Aber gerade bei genetischen Ursachen oder bei Erkrankungen, die damit zu tun haben, was im Gleichaltrigen-Umfeld passiert, zum Beispiel Mobbing –was ein massiver Risikofaktor für psychische Erkrankungen ist –, haben Eltern in der Ursache erst einmal wenig damit zu tun.

Eltern von Jugendlichen haben oft das Problem, dass sie sich, anders als bei jüngeren Kindern, nicht so gut mit anderen Eltern über die psychische Erkrankung ihres Kindes austauschen können, weil die Jugendlichen das nicht wollen. Wie können Eltern damit umgehen?

Ich denke, dass sich generell Eltern nur mit anderen Eltern austauschen sollten, wenn das mit den Kindern oder Jugendlichen abgesprochen ist. Es wäre angebracht, dass man das vor den Jugendlichen transparent macht und auch die eigene Ohnmacht und Hilflosigkeit thematisiert. Oder die eigene Belastung, die sich ergibt. Eltern können sagen: „Ich habe damit ein Problem und es ist mir wichtig, einen Austausch darüber zu haben.“ Ich finde es auch legitim, wenn die Jugendlichen nicht wollen, dass ihre Eltern im Familienkreis beispielsweise über ihre Essstörung sprechen. Aber es gibt ja auch professionelle Hilfe, an die man sich wenden kann, Familienberatungsstellen und ähnliches. Vielleicht ist das eine Möglichkeit, die Jugendliche akzeptieren können, weil es da eine Schweigepflicht gibt. Wichtig ist, die eigene Betroffenheit zu thematisieren und zu sagen, dass man selbst ratsuchend ist.

Wann sollte ich mir Hilfe von außen holen?

Wann sollten Eltern für ihren Jugendlichen professionelle Hilfe holen bzw. ihr erwachsenes Kind dazu motivieren?

Ich glaube, dass zunächst einmal viele Familien eigene Lösungen suchen. Und das ist auch prinzipiell gut so, dass man überlegt: Was kann ich aus dem eigenen System für Ressourcen aktivieren? Das müssen ja nicht nur die Eltern sein, das können auch Tanten, Onkel, Großeltern sein, die vielleicht gerade in einer Entwicklungsphase, in der Jugendliche mehr Konflikte mit den Eltern haben, einen besseren Zugang haben. Aber wenn man sieht, dass diese familiären Ressourcen erschöpft sind oder dass die Situation, die der Jugendliche hat, zur Belastung für die Familie wird, dann ist auch der Punkt gekommen, wo ich aus meiner Sicht sage: Da braucht es Hilfe von außen. Natürlich auch, wenn es ganz akut ist, wenn Gedanken geäußert werden, nicht mehr leben zu wollen. Da braucht es sofort eine Abklärung von außen.

Welche Auswirkungen haben die Lockdowns aufgrund der Corona-Pandemie auf die psychische Gesundheit von Jugendlichen und jungen Erwachsenen?

Es gibt mittlerweile eine relativ gute Datenlage – weltweit, aber auch aus den deutschsprachigen Ländern. Vor allem bei diesen längeren Lockdown-Bedingungen, die wir gegen Ende des letzten, Anfang diesen Jahres hatten und noch haben, sehen wir, dass es zu einer deutlichen Belastung der Jugendlichen kommt. Studien zeigen, dass die Rate der psychischen Belastungen gestiegen ist. Wir haben eine Studie unter mehreren tausend österreichischen Jugendlichen gemacht, in der wir zeigen konnten, dass mehr als die Hälfte der Befragten über mittelgradige bis schwergradige depressive Symptome berichten und etwa die Hälfte über Angststörungen. Das ist eine Auswirkung, die wir weltweit sehen. Und da ist die Altersgruppe der 15- bis 25-Jährigen auch weltweit diejenige, die am stärksten belastet zu sein scheint.

Manche sprechen schon von einer „verlorenen“ Generation.

Das ist ein Begriff, den ich für unzulässig halte. Der kommt ein bisschen aus dieser Idee heraus: „Die haben ja alle nur zu Hause herumgesessen, und es ist nichts passiert.“ Das vermag ich so nicht zu sehen. Denn auch wenn bei den klassischen Lerninhalten weniger passiert ist, so ist doch im Lernen einiges weitergegangen. Viele Jugendliche haben fundamentale Lernerfahrungen gemacht, was digitales Lernen angeht, aber auch, was das Thema Selbstorganisation und Strukturierung angeht. Diese Themen stehen zwar nicht im Lehrplan, aber trotzdem gab es in diesem Jahr einen immensen Lernzuwachs auf vielen anderen Ebenen.

Wie kann ich Angsstörung und Depression erkennen?

Sie haben gerade gesagt, dass vor allem Depressionen und Angststörungen im Lockdown häufiger zu beobachten sind. Wie können Eltern denn erkennen, dass das ein ernstzunehmendes Problem ist?

Es geht immer um das Erkennen von Veränderungen. Das Kernkriterium der Angststörung ist, dass – oft mit großer Anstrengung – Situationen vermieden werden, vor denen die Betroffenen Angst haben, auch wenn man davor eigentlich keine Angst haben muss. Das klassische Beispiel ist die Spinnenphobie: Die Spinne wird einen nicht töten. Trotzdem verlassen Menschen beim Anblick einer Spinne panisch den Raum, wenn sie eine Spinnenphobie haben. Es wird ein Verhalten vermieden oder es kommt zu einem irrationalen Verhalten, weil wir eine Stresskaskade lostreten, die unserem Körper innewohnt. Eigentlich ist diese Reaktion für Situationen gedacht, die tatsächlich bedrohlich sind. Aber hier werden Situationen, die objektiv nicht bedrohlich sind, vom Körper und von der Psyche als bedrohlich wahrgenommen.

Bei der Depression nehmen die meisten Eltern zuerst einen sozialen Rückzug wahr. Das ist im Lockdown natürlich schwer zu erkennen, weil das Nach-draußen-Gehen ohnehin sehr stark limitiert ist. Man kann auch wahrnehmen, dass betroffene Jugendliche sich von der Familie zurückziehen, was aber natürlich auch ein tendenziell typisches Jugendverhalten ist. Aber wenn es wieder Möglichkeiten gibt, sich mit anderen zu treffen oder in die Schule zu gehen oder andere Aktivitäten auszuüben, werden diese von betroffenen Jugendlichen nicht mehr wahrgenommen. Das andere Anzeichen, das viele schildern, die an einer Depression leiden, ist ein Antriebs- oder Energieverlust. Sie schaffen es morgens nicht mehr aus dem Bett und schaffen es auch gar nicht mehr, am Distanzlernen teilzunehmen. Viele beklagen eine Konzentrationsproblematik oder Schlafstörungen. Und was wir vielfach erlebt haben im Rahmen der Corona-Pandemie, war eine komplette Entgleisung des Tag-Nacht-Rhythmus.

Wer ist der richtige Ansprechpartner?

Was können Eltern denn tun, wenn sie denken, dass ihr Jugendlicher betroffen ist?

Zuerst sollte man sagen, was man selbst wahrnimmt und das als Ich-Botschaft formulieren. Das gibt dem Jugendlichen die Möglichkeit, zu sagen: „Das ist deine Perspektive, meine schaut anders aus.“ Natürlich wäre es vermessen zu glauben, dass man als Elternteil damit immer weit kommt bei Jugendlichen. Weil sie ja in einer Entwicklungsphase sind, wo die Gleichaltrigen eine höhere Wertigkeit im Austausch haben, gerade, wenn es um Probleme geht. Wenn der Jugendliche das Gespräch blockiert, kann man überlegen, wen es im familiären System gibt, der vielleicht besser geeignet ist, ein solches Gespräch zu führen. Wer wird von dem Jugendlichen eher als Gesprächspartner angenommen? Wenn auch da nichts weitergeht, kann man sagen: „Ich habe große Sorgen, ich weiß nicht weiter. Können wir uns bitte an jemanden wenden, der Profi ist? Und wenn der sagt, es ist alles in Ordnung, dann nehme ich das zur Kenntnis und dann ist es für mich auch gut. Aber ich habe ein schlechtes Gefühl und hätte gern, dass wir gemeinsam zu jemandem gehen, der sich das anschaut.“

Sie betonen in Ihrem Buch „Sie brauchen uns jetzt“, dass es wichtig ist, dass Eltern sich ihrer eigenen Werte und Gefühle bewusst sind. Warum?

Wir leben in sehr herausfordernden Zeiten. In Zeiten, die eine extreme Flexibilität und Anpassung von uns fordern. Und es fällt generell Menschen leichter, sich anzupassen, die ein Gefühl dafür entwickelt haben, was ihnen wichtig ist. Wenn es darauf ankommt, mich verändern zu müssen und Entscheidungen zu treffen, geht es immer auch um Priorisierungen. Ich muss abwägen: Kann ich auf das eine verzichten oder auf das andere? Und da tun sich Leute wesentlich leichter, die folgende Fragen beantworten können: Was hat in meinem Leben eine zentrale Bedeutung? Was muss ich unbedingt aufrechterhalten, damit ich mein Leben führen kann? Wo stecke ich Anstrengungen rein, um das aufrechtzuerhalten? Und wo ist es auch okay, wenn Dinge gerade nicht sein können? Das fällt natürlich Leuten leichter, die ein Gefühl dafür entwickelt haben, wo ihre Prioritäten liegen.

Vielen Dank für das Gespräch. 

Prof. Dr. Paul Plener studierte Medizin und absolvierte eine Facharztausbildung für Kinder- und Jugendpsychiatrie sowie Psychotherapie in Ulm. 2018 übernahm er nach leitenden Funktionen in Deutschland die Professur für Kinder- und Jugendpsychiatrie und die Leitung der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie der MedUni Wien/Universitätsklinikum AKH. Er ist neben vielen weiteren Funktionen Mitglied des während der Corona-Krise eingerichteten psychosozialen Krisenstabs der Stadt Wien.

Das Interview führte FamilyNEXT-Redakteurin Bettina Wendland.

„Psychische Belastungen sind durch die Lockdowns gestiegen“

Vor allem Depressionen und Angststörungen treten bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen durch die Einschränkungen der Corona-Pandemie verstärkt auf. Von einer „verlorenen Generation“ will Prof. Dr. Paul Plener aber nicht sprechen. Im FamilyNEXT-Interview erklärt er, welche psychischen Erkrankungen allgemein im Jugendalter häufig vorkommen und wie Eltern damit umgehen können.

Was sind die häufigsten psychischen Erkrankungen bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen?

Die Liste wird angeführt von den Angststörungen in verschiedenen Formen. Gerade im Jugendalter nehmen soziale Ängste deutlich zu, was damit zu tun hat, dass das Orientieren im Raum der gleichaltrigen sozialen Kontakte eine hohe Wertigkeit hat. Außerdem sind es im Jugendalter auch affektive Erkrankungen, Depressionen zum Beispiel. Wir sehen auch vermehrt Erkrankungen mit Sub-stanzkonsum. Prinzipiell ist das Jugendalter aufgrund der vielen Umbauvorgänge im Gehirn eine Altersperiode, in der sich viele psychische Erkrankungen zum ersten Mal manifestieren.

Was sind Ursachen für diese Erkrankungen?

Es gibt relativ unspezifische Risikofaktoren, von denen wir wissen, dass sie das Risiko von verschiedenen psychischen Erkrankungen beeinflussen, zum Beispiel der sozioökonomische Status, also das Aufwachsen unter finanziell schwächeren Bedingungen. Auch Misshandlungs-, Missbrauchs- und Vernachlässigungserlebnisse erhöhen bei vielen psychischen Krankheiten das Risiko. Es gibt auch einen Einfluss genetischer Faktoren. Der ist, je nach Krankheit, geringer oder deutlicher ausgeprägt. Und natürlich ist nicht zu leugnen, dass es viele Erkrankungen gibt, bei denen es einen starken soziokulturellen Einfluss gibt, etwa bei den Essstörungen, wo das zwar nicht als alleinige Ursache zu nehmen ist, er aber trotzdem auch immer mitprägt.

Die meisten Eltern fühlen sich schuldig, wenn ihr Kind an einer psychischen Erkrankung leidet. Zu Recht?

Wenn man als Familie betroffen ist, hat man ja oft das Gefühl, es trifft nur einen selbst. Und das ist oft begleitet von dem Stigma, dass es gegenüber psychischen Krankheiten gibt, dass man da als Eltern etwas falsch gemacht hätte. Es gibt natürlich Erkrankungen, bei denen Eltern die Verantwortung übernehmen müssen. Wenn es zum Beispiel zu einem Rosenkrieg in Folge einer Trennung gekommen ist, bei dem die Kinder massiv in Mitleidenschaft gezogen wurden, oder bei Vernachlässigungs- oder Misshandlungserlebnissen. Da können sich die Eltern nicht aus der Verantwortung nehmen, sondern nur versuchen, sich anders zu verhalten. Aber gerade bei genetischen Ursachen oder bei Erkrankungen, die damit zu tun haben, was im Gleichaltrigen-Umfeld passiert, zum Beispiel Mobbing –was ein massiver Risikofaktor für psychische Erkrankungen ist –, haben Eltern in der Ursache erst einmal wenig damit zu tun.

Eltern von Jugendlichen haben oft das Problem, dass sie sich, anders als bei jüngeren Kindern, nicht so gut mit anderen Eltern über die psychische Erkrankung ihres Kindes austauschen können, weil die Jugendlichen das nicht wollen. Wie können Eltern damit umgehen?

Ich denke, dass sich generell Eltern nur mit anderen Eltern austauschen sollten, wenn das mit den Kindern oder Jugendlichen abgesprochen ist. Es wäre angebracht, dass man das vor den Jugendlichen transparent macht und auch die eigene Ohnmacht und Hilflosigkeit thematisiert. Oder die eigene Belastung, die sich ergibt. Eltern können sagen: „Ich habe damit ein Problem und es ist mir wichtig, einen Austausch darüber zu haben.“ Ich finde es auch legitim, wenn die Jugendlichen nicht wollen, dass ihre Eltern im Familienkreis beispielsweise über ihre Essstörung sprechen. Aber es gibt ja auch professionelle Hilfe, an die man sich wenden kann, Familienberatungsstellen und ähnliches. Vielleicht ist das eine Möglichkeit, die Jugendliche akzeptieren können, weil es da eine Schweigepflicht gibt. Wichtig ist, die eigene Betroffenheit zu thematisieren und zu sagen, dass man selbst ratsuchend ist.

Wann sollten Eltern für ihren Jugendlichen professionelle Hilfe holen bzw. ihr erwachsenes Kind dazu motivieren?

Ich glaube, dass zunächst einmal viele Familien eigene Lösungen suchen. Und das ist auch prinzipiell gut so, dass man überlegt: Was kann ich aus dem eigenen System für Ressourcen aktivieren? Das müssen ja nicht nur die Eltern sein, das können auch Tanten, Onkel, Großeltern sein, die vielleicht gerade in einer Entwicklungsphase, in der Jugendliche mehr Konflikte mit den Eltern haben, einen besseren Zugang haben. Aber wenn man sieht, dass diese familiären Ressourcen erschöpft sind oder dass die Situation, die der Jugendliche hat, zur Belastung für die Familie wird, dann ist auch der Punkt gekommen, wo ich aus meiner Sicht sage: Da braucht es Hilfe von außen. Natürlich auch, wenn es ganz akut ist, wenn Gedanken geäußert werden, nicht mehr leben zu wollen. Da braucht es sofort eine Abklärung von außen.

Welche Auswirkungen haben die Lockdowns aufgrund der Corona-Pandemie auf die psychische Gesundheit von Jugendlichen und jungen Erwachsenen?

Es gibt mittlerweile eine relativ gute Datenlage – weltweit, aber auch aus den deutschsprachigen Ländern. Vor allem bei diesen längeren Lockdown-Bedingungen, die wir gegen Ende des letzten, Anfang diesen Jahres hatten und noch haben, sehen wir, dass es zu einer deutlichen Belastung der Jugendlichen kommt. Studien zeigen, dass die Rate der psychischen Belastungen gestiegen ist. Wir haben eine Studie unter mehreren tausend österreichischen Jugendlichen gemacht, in der wir zeigen konnten, dass mehr als die Hälfte der Befragten über mittelgradige bis schwergradige depressive Symptome berichten und etwa die Hälfte über Angststörungen. Das ist eine Auswirkung, die wir weltweit sehen. Und da ist die Altersgruppe der 15- bis 25-Jährigen auch weltweit diejenige, die am stärksten belastet zu sein scheint.

Manche sprechen schon von einer „verlorenen“ Generation.

Das ist ein Begriff, den ich für unzulässig halte. Der kommt ein bisschen aus dieser Idee heraus: „Die haben ja alle nur zu Hause herumgesessen, und es ist nichts passiert.“ Das vermag ich so nicht zu sehen. Denn auch wenn bei den klassischen Lerninhalten weniger passiert ist, so ist doch im Lernen einiges weitergegangen. Viele Jugendliche haben fundamentale Lernerfahrungen gemacht, was digitales Lernen angeht, aber auch, was das Thema Selbst- organisation und Strukturierung angeht. Diese Themen stehen zwar nicht im Lehrplan, aber trotzdem gab es in diesem Jahr einen immensen Lernzuwachs auf vielen anderen Ebenen.

Sie haben gerade gesagt, dass vor allem Depressionen und Angststörungen im Lockdown häufiger zu beobachten sind. Wie können Eltern denn erkennen, dass das ein ernstzunehmendes Problem ist?

Es geht immer um das Erkennen von Veränderungen. Das Kernkriterium der Angststörung ist, dass – oft mit großer Anstrengung – Situationen vermieden werden, vor denen die Betroffenen Angst haben, auch wenn man davor eigentlich keine Angst haben muss. Das klassische Beispiel ist die Spinnenphobie: Die Spinne wird einen nicht töten. Trotzdem verlassen Menschen beim Anblick einer Spinne panisch den Raum, wenn sie eine Spinnenphobie haben. Es wird ein Verhalten vermieden oder es kommt zu einem irrationalen Verhalten, weil wir eine Stresskaskade lostreten, die unserem Körper innewohnt. Eigentlich ist diese Reaktion für Situationen gedacht, die tatsächlich bedrohlich sind. Aber hier werden Situationen, die objektiv nicht bedrohlich sind, vom Körper und von der Psyche als bedrohlich wahrgenommen. Bei der Depression nehmen die meisten Eltern zuerst einen sozialen Rückzug wahr. Das ist im Lockdown natürlich schwer zu erkennen, weil das Nach-draußen-Gehen ohnehin sehr stark limitiert ist. Man kann auch wahrnehmen, dass betroffene Jugendliche sich von der Familie zurückziehen, was aber natürlich auch ein tendenziell typisches Jugendverhalten ist. Aber wenn es wieder Möglichkeiten gibt, sich mit anderen zu treffen oder in die Schule zu gehen oder andere Aktivitäten auszuüben, werden diese von betroffenen Jugendlichen nicht mehr wahrgenommen. Das andere Anzeichen, das viele schildern, die an einer Depression leiden, ist ein Antriebs- oder Energieverlust. Sie schaffen es morgens nicht mehr aus dem Bett und schaffen es auch gar nicht mehr, am Dis-tanzlernen teilzunehmen. Viele beklagen eine Konzentrationsproblematik oder Schlafstörungen. Und was wir vielfach erlebt haben im Rahmen der Corona-Pandemie, war eine komplette Entgleisung des Tag-Nacht-Rhythmus.

Was können Eltern denn tun, wenn sie denken, dass ihr Jugendlicher betroffen ist?

Zuerst sollte man sagen, was man selbst wahrnimmt und das als Ich-Botschaft formulieren. Das gibt dem Jugendlichen die Möglichkeit, zu sagen: „Das ist deine Perspektive, meine schaut anders aus.“ Natürlich wäre es vermessen zu glauben, dass man als Elternteil damit immer weit kommt bei Jugendlichen. Weil sie ja in einer Entwicklungsphase sind, wo die Gleichaltrigen eine höhere Wertigkeit im Austausch haben, gerade, wenn es um Probleme geht. Wenn der Jugendliche das Gespräch blockiert, kann man überlegen, wen es im familiären System gibt, der vielleicht besser geeignet ist, ein solches Gespräch zu führen. Wer wird von dem Jugendlichen eher als Gesprächspartner angenommen? Wenn auch da nichts weitergeht, kann man sagen: „Ich habe große Sorgen, ich weiß nicht weiter. Können wir uns bitte an jemanden wenden, der Profi ist? Und wenn der sagt, es ist alles in Ordnung, dann nehme ich das zur Kenntnis und dann ist es für mich auch gut. Aber ich habe ein schlechtes Gefühl und hätte gern, dass wir gemeinsam zu jemandem gehen, der sich das anschaut.“

Sie betonen in Ihrem Buch „Sie brauchen uns jetzt“, dass es wichtig ist, dass Eltern sich ihrer eigenen Werte und Gefühle bewusst sind. Warum?

Wir leben in sehr herausfordernden Zeiten. In Zeiten, die eine extreme Flexibilität und Anpassung von uns fordern. Und es fällt generell Menschen leichter, sich anzupassen, die ein Gefühl dafür entwickelt haben, was ihnen wichtig ist. Wenn es darauf ankommt, mich verändern zu müssen und Entscheidungen zu treffen, geht es immer auch um Priorisierungen. Ich muss abwägen: Kann ich auf das eine verzichten oder auf das andere? Und da tun sich Leute wesentlich leichter, die folgende Fragen beantworten können: Was hat in meinem Leben eine zentrale Bedeutung? Was muss ich unbedingt aufrechterhalten, damit ich mein Leben führen kann? Wo stecke ich Anstrengungen rein, um das aufrechtzuerhalten? Und wo ist es auch okay, wenn Dinge gerade nicht sein können? Das fällt natürlich Leuten leichter, die ein Gefühl dafür entwickelt haben, wo ihre Prioritäten liegen.

Vielen Dank für das Gespräch. 

Das Interview führte FamilyNEXT-Redakteurin Bettina Wendland.

Trotz Corona – Familienberaterin ist überzeugt: „Eltern tun ziemlich viel Heldenhaftes“

Fehler machen gehört für die Eltern- und Familienberaterin Daniela Albert zum Elternsein dazu. Warum Eltern sich trotzdem als Heldinnen und Helden fühlen dürfen, erklärt sie im Interview.

Das letzte Jahr war für viele Eltern sehr anstrengend. Was waren deinem Eindruck nach die größten Herausforderungen?

Eltern mussten Rollen einnehmen, die nicht ihre sind. Gerade im ersten Lockdown, als viele Schulen noch keine digitalen Formate hatten, mussten sie im Homeschooling Lehrerrollen übernehmen. Das oft zusätzlich zur eigenen Berufstätigkeit, vielleicht noch zur Betreuung von kleineren Kindern. Herausfordernd war auch, dass dabei viele verschiedene Rollen gleichzeitig ausgefüllt werden mussten.

Haben sich die Beratungsanfragen von Eltern an dich von denen vor Corona unterschieden?

Es werden keine anderen Fragen gestellt. Es sind schon immer ähnliche Themen. Sie sind aber zugespitzter, sie sind drängender. Wenn vorher schon eine Situation in der Familie schwierig war, dann ist es durch Corona wie durch ein Brennglas extremer geworden. Oder die Kräfte sind einfach weniger da, um es selbst zu Hause zu steuern.

Notendruck rausnehmen

Was brauchen Eltern jetzt am dringendsten?

Sie brauchen Entlastung von den verschiedenen Rollen. Auf der einen Seite finde ich es gut, dass es jetzt vermehrt digitale Formate gibt und auch Möglichkeiten, Kinder im Wechselunterricht in die Schule zu schicken, sodass Eltern aus der Lehrerrolle herauskommen. Es ist auch weiterhin wichtig, dass Eltern Befreiungsmöglichkeiten haben, zusätzliche Urlaubstage und Möglichkeiten, sich im Job zurückzunehmen, um nicht in diese starke Überlastung zu kommen. Und was Familien auch bräuchten: Dass man den Druck herausnimmt – natürlich da, wo es geht. Es ist mir klar, dass man bei jemandem, der kurz vor dem Schulabschluss steht, nicht sagen kann: Wir machen nichts mehr. Aber überall, wo es geht, würde ich mich freuen, wenn man den Notendruck und den Versetzungsdruck herunterfahren könnte.

„Ich glaube schon, dass meine Eltern Helden sind. Sie kümmern sich um mich und sind immer für mich da, wenn ich sie brauche oder eine Frage habe. Besonders jetzt in der Corona-Zeit ist das wichtig für mich, weil ich mich nicht so viel mit Freunden treffen kann. Meine Eltern versuchen, mir so viel, wie es geht, zu ermöglichen, damit es mir trotzdem gut geht.“
Johanna (10)

Wir finden, dass viele Eltern Heldenhaftes leisten – nicht nur, aber besonders in Corona-Zeiten. Viele Eltern sehen sich selbst aber nicht als Heldinnen und Helden …

Das ist traurig. Ich glaube, das liegt daran, dass sie ihren eigenen Ansprüchen oft nicht gerecht werden können. Und weil sie das Gefühl haben, sie machen das nicht richtig oder sie machen das nicht gut genug. Aber es ist jetzt wichtig, dass Eltern einen realistischen Blick auf die Situation und sich selbst werfen und sehen, dass sie viel und Großartiges leisten und dass sie ihre Rolle nicht daran festmachen dürfen, dass alles so klappt, wie sie es idealtypisch gern hätten. Die Eltern, die ihre Kinder durch die Pandemie begleiten und ihnen Stabilität geben, tun ziemlich viel Heldenhaftes.

„Ich finde, dass meine Eltern Helden sind, weil sie sich, obwohl sie so viel arbeiten müssen, gut um meine Schwestern und mich kümmern. Sie gehen auch immer mit uns nach draußen.“
Adam (10)

Du hast erwähnt, dass viele Eltern hohe Ansprüche an sich haben. Wie geht man damit um, wenn man ihnen nicht gerecht wird?

Ich finde es wichtig zu überlegen: Wo kommen die Ansprüche her? Warum glaube ich, dass ich das so und so gut machen muss? Warum glaube ich, dass mein Kind nur dann gut ins Leben kommt, wenn ich das mache, was ich mir als idealtypisch vorgenommen habe oder was man auf Instagram sieht oder in Büchern liest? Es ist wichtig, genau zu gucken, was hinter diesem Anspruch steckt. Und sich klarzumachen, dass sehr viel schieflaufen darf und anders laufen darf, als man das eigentlich gern hätte. Und dass trotzdem kein bleibender Schaden entsteht. Viele Ideale sind gut und wichtig, aber das heißt nicht, dass man sie zu 100 Prozent leben muss. Es reicht auch, wenn man sie zu 50 Prozent oder in Krisenzeiten auch nur zu 20 Prozent lebt.

In den allermeisten Familien läuft es gut

Du hast gerade den Begriff „Schaden“ benutzt. Das ist ja eine Angst, die Eltern haben. Aber welchen Schaden können Kinder nehmen, wenn Eltern etwas falsch machen?

Natürlich gibt es Sachen, die können richtig schieflaufen, und die können auch Spuren hinterlassen. Eine von Gewalt oder sehr wenig Zuneigung geprägte Erziehung hinterlässt Spuren. Und sie hinterlässt Schäden. Nur ist das in den allermeisten Familien ja gar nicht der Fall. In den allermeisten Familien läuft es aus dieser Sicht recht gut, und es sind eher die Kleinigkeiten, die mal schiefgehen. Oder es sind Phasen, in denen die Bedürfnisse der Kinder vielleicht nicht gut erfüllt werden können, wie jetzt in der Pandemie, wo sicher auch etwas hinten runterfällt.

Und wenn viel hinten runterfällt und es längerfristig ist, kann es natürlich dazu kommen, dass ein Ungleichgewicht und eine Auffälligkeit auf Seiten der Kinder entsteht. Oder dass die Kinder Probleme bekommen, auch psychischer Natur. Nur ist auch das nicht in Stein gemeißelt für das weitere Leben. Wir haben ja gerade als die Eltern, die nah an ihren Kindern dran sind, die viel Zuneigung leben und sich Mühe geben, das Familienleben instandzuhalten, immer noch Möglichkeiten, einzugreifen. Wir schreiben keine Geschichte, die wir für immer festschreiben und die dann so bleibt.

„Meine Eltern sind stark! Sie beschützen mich, und sie helfen mir immer.“
Aurelia (8)

Wann sollten sich Eltern externe Hilfe holen?

Wenn man bei seinem Kind merkt, dass ein totaler Rückzug stattfindet – nicht ein pubertätstypischer Rückzug. Wenn man gar nicht mehr ans Kind herankommt, wenn das Kind nicht mehr ansprechbar ist oder gar nicht mehr bereit ist, zu kommunizieren. Wenn es sich zurückzieht und alltägliche Dinge nicht mehr schafft. Ein Punkt, sich Hilfe zu suchen, ist immer, wenn man individuell feststellt: Ich beherrsche es nicht mehr. Ich weiß nicht mehr weiter und bin in einer Situation, wo ich dermaßen schwimme, dass es für alle Beteiligten belastend ist. Da ist es immer gut, jemanden von außen draufgucken zu lassen. Das heißt ja nicht sofort, dass man eine Therapie anfangen muss. Manchmal reicht es auch, dass einer von außen mal schaut und sagt: So und so könnte es gehen.

Keine Gefühle runterspielen!

Was ist deiner Meinung und Erfahrung nach das Wichtigste, das Eltern in herausfordernden Zeiten wie diesen tun sollten?

Aufmerksam sein! Ohne die Kinder total zu bedrängen und gerade bei größeren Kindern ständig zu gucken, was sie machen. Aber aufmerksam sein für die Signale, die Kinder senden. Und es ernst nehmen und nicht herunterspielen, wenn ein Kind sagt: „Mir geht es total schlecht.“ Oder: „Ich bin so traurig.“ Wir neigen manchmal dazu, das zu relativieren: „So schlimm ist es doch gar nicht. Du hast noch so viel im Vergleich zu anderen.“ Was objektiv stimmt, die Kinder aber subjektiv nicht weiterbringt. Wir sollten es aushalten, dass wir das als Eltern gerade nicht ändern können. Und wir sollten auf jeden Fall einen Raum geben, wo Gefühle Platz haben.

„Meine Eltern machen ganz viel für mich: alles im Haushalt, Frühstück und so weiter. Sie unterstützen mich beim Lernen. Sie machen auch besondere Sachen mit mir, zum Beispiel in Freizeitparks gehen.“
Moritz (9)

Und was sollten Eltern lassen?

Wie ich schon gesagt habe, dieses Herunterspielen von Gefühlen. Ich finde aber auch wichtig, dass wir nicht unnötig Probleme an die Kinder herantragen. Je nach Alter der Kinder finde ich es auch gut, sie vor zu vielen Informationen zu schützen. Sie sollten zwar grundsätzlich Bescheid wissen, was in der Welt passiert, aber sie müssen nicht jede neue Studie kennen und jede neue Horrormeldung. Und mit älteren Kindern, die eigene Handys oder Tablets haben, sollte man darüber sprechen, dass es zwar viele schreckliche Meldungen gibt, aber dass schlechte Nachrichten eher publiziert werden als gute Nachrichten.

Weg von der Strenge

Du hast gerade ein Buch für Eltern geschrieben: „Unperfekt, aber echt“. Was möchtest du damit erreichen?

Ich hoffe, dass Eltern durch dieses Buch ermutigt werden, sich weniger unter Druck zu setzen und es weniger perfekt machen zu wollen. Dass sie sich selbst und anderen gegenüber fehlertoleranter werden und ein Vergebungsmanagement sich selbst und ihrer Familie gegenüber etablieren. Und wirklich mal von den hohen Ansprüchen wegkommen, mit denen viele Eltern durch die Welt gehen.

„Mama und Papa erlauben mir manchmal, Filme zu gucken. Sie machen mir was zu essen. Bei den Schulaufgaben unterstützen sie mich. Für mich sind sie Helden!“
Leon (9)

Was hast du für dich in den letzten Monaten gelernt?

Ich habe für mich gelernt, dass das, was ich schon immer theoretisch geglaubt habe, wirklich okay ist. Dass es okay ist, im Familienalltag unperfekt zu sein und als Eltern Schwächen zu zeigen, übers Ziel hinauszuschießen, Fragen nicht beantworten zu können oder Fehler zu machen. Und dass es auch keinen Schaden anrichtet. Ich habe das in dieser Corona-Phase ganz besonders von meinen großen Kindern gespiegelt bekommen. Sowohl was schiefgelaufen ist und blöd war – gerade unser großes Kind ist da sehr ehrlich – als auch, dass es okay ist. Und das finde ich wunderbar, auch in dieser schwierigen Zeit so eine Rückmeldung zu bekommen und zu merken: Ich weiß nicht nur theoretisch, dass es gut ist und dazugehört, Fehler zu machen, sondern ich darf es gerade auch praktisch erleben.

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Bettina Wendland, Redakteurin bei Family und FamilyNEXT.

Erst die Jugend!

Auch wenn sich alle nach Normalität sehnen – Vorfahrt hat jetzt die junge Generation. Ein Kommentar von Martin Gundlach

Bisher ist in der Pandemie nicht deutlich geworden, dass Eltern, Kinder oder Jugendliche einen besonderen Stellenwert für unsere Gesellschaft haben. Homeschooling wurde stillschweigend vorausgesetzt, neben dem Homeoffice oft Home-Chaos. In der Impf-Reihenfolge sind Eltern oder Jugendliche nicht erwähnt worden. Jetzt gibt es die Hoffnung, dass das Schlimmste vorbei ist. Die Reihenfolge beim Impfen ist aufgehoben und irgendwann werden dann auch Familien geimpft sein. Denn alle wünschen sich vor allem eines: Normalität.

Trotzdem wäre es ein Fehler zu versuchen, alles wieder wie vor der Pandemie machen zu wollen. Die letzten 16 Monate haben uns verändert, haben manche Entwicklungen verzögert und viele Leben komplett durcheinandergebracht. Deshalb wird uns die Krise noch lange beschäftigen, denn sie hat tiefe Wunden geschlagen. Sie hat vor allem die junge Generation verunsichert, die – nach meinem Gefühl – zu wenig im Blick war.

Die Kirchen und Gemeinden sollten nun zeigen, dass sie das verstanden haben. Dass sie, sobald die Richtlinien sich lockern, die richtigen Prioritäten setzen. Dass sie vor allem und zuerst in Kinder und Jugendliche investieren. Denn die Kids brauchen die Förderung ihrer Begabungen und die Begleitung in ihrer menschlichen und geistlichen Entwicklung dringend. Die Jugendlichen brauchen Impulse, sie brauchen die Gruppe, das Miteinander. Vor allem brauchen sie eine Perspektive in einer Welt, die für sie unübersichtlich und bedrohlich geworden ist.

Ich wünsche mir, dass Pastorinnen und Pastoren, hauptamtliche und ehrenamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sich hier verstärkt einbringen. Und ich empfinde es nicht als Zumutung, wenn erwachsene und reife Christen da im Zweifelsfall noch einige Momente zurückstehen, um der nächsten Generation noch eine Zeit lang das Feld zu überlassen.

Martin Gundlach ist Redaktionsleiter von Family und FamilyNEXT.

Ihr seid Heldeneltern!

In der neuen Ausgabe von Family haben wir ein Dossier zum Thema „Heldeneltern“. Die meisten Eltern würden sich wohl selbst nicht als Heldinnen und Helden bezeichnen. Gerade in der Corona-Zeit sind wir schneller an unsere Grenzen gekommen, als uns lieb ist. Die geballten Anforderungen von Homeschooling, Homeoffice, Kleinkindbetreuung, neuen Regelungen von Medienzeiten, Trösten und Motivieren haben uns herausgefordert. Und oft sind wir ihnen nicht gerecht geworden.

Aber genau das ist ja das Heldenhafte an uns Eltern: Obwohl die Herausforderungen groß sind, geben wir nicht auf, sondern wir geben unseren Kindern das, was wir ihnen geben können. Wir machen nicht alles perfekt, gut oder richtig. Aber wir begleiten unsere Kinder durch diese schwierige Zeit. Und das ist ein riesiger Kraftakt!

Schon im normalen Alltag jenseits von Corona-Zeiten leisten Eltern enorm viel. Umso mehr in diesen schwierigen Zeiten. Das wollen wir wahrnehmen. Dafür wollen wir allen Eltern danken. Und wir wollen euch und uns ermutigen, weiter dranzubleiben, den Kindern das zu geben, was wir können. Und auch an uns selbst zu denken! Denn Heldinnen und Helden müssen immer wieder auftanken und Kraft schöpfen!

Neben dem Dossier zum Thema „Heldeneltern“ im aktuellen Heft werden wir auch in den kommenden Ausgaben immer wieder Artikel oder Interviews unter diesem Label veröffentlichen. Wir hoffen, dass ihr in eurem Alltag davon profitieren könnt!

Bettina Wendland ist Redakteurin von Family und FamilyNEXT.