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Die Handtuchlektion

Family-Autorin Stefanie Diekmann über das kräftezehrende Zickzack in ihrem Alltag

Mein Tag beginnt müde. Unter meinen Händen erspüre ich mein Handtuch. Die reliefartige Zickzack-Struktur lässt sich gut tasten. Es mutet fast so an, als erkunde ich die Gefühlswelt meiner letzten Tage. Ich fühle mich hin- und hergeworfen. Mein Smartphone mag ich gerade gar nicht zu Hand nehmen.  Die verzweifelten Fragen und mutlosen Seufzer meiner Bekannten und Freunde rauben mir Kraft, denn sie spiegeln das Zickzack-Muster meiner Grübeleien wider.

Die letzten Wochen und Monate haben mich viel gekostet. Und was am meisten hin- und herwirft: Ich erfasse nicht, warum ich so am Limit bin. Ich bin versorgt, beschenkt und sicher – auch in der Pandemie.

Meine Hände spüren die Stoff-Strukturen. Ja, das Zickzack im Alltagsleben war kräftezehrend. Meine Ideen, auf Distanz und fehlende Beziehungen zu reagieren, sind verblasst. Ich bin genervt von Tipps, die doch immer nur in Online-Konferenzen münden und mich nicht ausfüllen. Mir gehen Sorgen um Menschen in Krisen und um die emotionale Entwicklung der Kleinkinder und Jugendlichen nicht aus dem Kopf. Müde melde ich mich von Newslettern ab, die mir Aktivitäten vorschlagen, zu denen ich wenig Kraft habe. Komme mir debil lächelnd vor wie eine weltfremde Oma, wenn ich Schülern Studenten Kraft wünsche, ihren Stoff zu erarbeiten. Finde mich unpräzise in Mails und Messenger-Nachrichten, wenn ich Freunde erreichen will. Ich starte mit Zielen zackig in den Tag, um dann unter Kleinigkeiten die Fassung zu verlieren.

Immer noch fahren meine Hände das Zickzack-Muster nach. Da fliegt wie ein Funke eine Erinnerung in mein Herz: Ich stehe immer mit Gott in Beziehung, der Nähe kann. Der Nähe will und spendet. Vom Zickzack des Lebens mit hin und her und rauf und runter kann ich im Psalm 23 lesen. Heute sind es wohlgeformte Worte. In der realen Situation sind es abgerungene Erkenntnisse aus schweren und verworrenen Zeiten. Es fällt mir schwer, mich darauf einzulassen, dass meine Zeiten von Gottes Beziehung zu mir durchzogen sind.

Das Zickzack-Muster meines eigenen Erlebens findet immer wieder auf die Grundlinie zurück. Eine Basis, die Kraftlosigkeit aushält, Müdigkeit über gesellschaftliche Entwicklungen akzeptiert.

Meine Entscheidung heute besteht darin, das Zickzack in mir mit mehr Gelassenheit zu leben. Ich will mich mit Gottes Nähe vollstopfen, bis ich mich wiedererkennen kann. So lange bleibe ich tastend, dem Hoch und Runter aber nicht mehr schutzlos ausgeliefert. Tastend als Gesehene, Gehaltene.

Stefanie Diekmann ist Gemeindereferentin in Göttingen.

 

 

Toben geht auch zu Hause

Wohin mit dem Bewegungs- und Entdeckerdrang der Kinder, wenn es draußen kalt und ungemütlich ist und – bedingt durch Corona – keine bis wenig Sportangebote stattfinden? Hier ein paar Ideen, wie ihr eure Kinder auch zu Hause in Bewegung bringt.

Platz und Flexibilität

Man braucht nur zwei Dinge, um den Kleinen Bewegung zu Hause zu ermöglichen: ein bisschen Platz und flexible Eltern. Wenn es im Haus Treppen gibt, ist jetzt der richtige Zeitpunkt, Treppensteigen zu üben. Sind die Kinder sicher, kann dies spielerisch vertieft werden. Lassen Sie die Kinder verschiedene Dinge die Treppe herunterrollen und unten wieder einsammeln. Sie können auch auf die eine Seite der Treppe ein großes Pappstück legen, das als Bahn dient.

In der Wohnung können Sie einen Parcours aus Kartons, Kissen, Hockern, Tüchern und Decken zum Rein-, Drauf- und Durchklettern, zum Runterhüpfen und Verstecken aufbauen. Spannen Sie eine Art Spinnennetz in einem Zimmer, können die Kinder darüber-, darunter- und hindurchsteigen üben. Das kann auch in den Parcours eingebunden werden. Gehen Sie den Parcours mit Ihrem Kind durch oder lassen Sie es diesen unter Beobachtung frei erkunden. Viele Kissen übereinander ergeben einen schönen Polsterberg, sind aber eine wackelige Sache. Bleiben Sie deshalb in der Nähe.

Reize wollen verarbeitet werden

Bringen Sie Brettspiele in Bewegung, indem Sie Puzzleteile oder Memorykarten im Raum verteilen, welche dann eingesammelt werden. Das klappt auch schon mit Zweijährigen, erfordert zu Beginn aber Geduld. Kuscheltiere und Puppen verstecken und suchen macht den Kleinen auch Spaß.

Für die ganz Kleinen können Sie einen Karton mit Dingen wie Raschelfolie, Glöckchen, Tüchern, Beißringen, Gummibändern bestücken, an denen sie ziehen, drehen oder kratzen können. Auch Tunnel, in die man sie hineinlegen kann, sind spannend. Achten Sie darauf, ab wann es Ihrem Kind zu viel wird. Wenn es quengelig und unruhig wird, nehmen Sie es zu sich, damit es die Reize verarbeiten kann.

Anika Schunke ist Erzieherin und bietet Bewegungskurse für Eltern und Kinder an. Sie lebt mit ihrer Familie in Eggenstein bei Karlsruhe. Sie hat das Buch „Kleine Räume, großer Spaß“ (Meyer und Meyer) geschrieben.

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Weihnachtsgottesdienst im Wohnzimmer

In diesem Jahr fällt für viele Familien der Besuch des Gottesdienstes, der Christvesper oder Christmette an Heiligabend aus. Doch auch zu Hause lässt sich ein eigenes Familienritual schaffen, um den Festtagen eine besondere Bedeutung zu geben. Von Anke Kallauch

Wichtig: Kinder und Gäste sollten darauf vorbereitet werden, dass wir einen kleinen Gottesdienst feiern wollen. Wenn alle die Lieder, die gesungen werden, schon in den Adventswochen kennengelernt haben, kann man besser mit einstimmen.

Ort und Zeit finden

Wann der beste Zeitpunkt für den Gottesdienst ist, hängt von den anderen Aktivitäten ab. In unserer Familie gab es am frühen Nachmittag immer eine kleine Stärkung, damit man den Gottesdienst gut durchhält. Danach könnte man auch daheim den Gottesdienst starten.

Planen Sie die gemeinsame Zeit und verteilen Sie Aufgaben an alle, die dabei sind (Gebet, Lieder begleiten, Sterne ausschneiden). Suchen Sie einen schönen Platz: vor dem Weihnachtsbaum oder am Wohnzimmertisch. Räumen Sie unnötige Deko zur Seite, damit die Weihnachtsgeschichte im Mittelpunkt steht.

Gestartet wird mit dem Klang eines Glöckchens oder der Melodie eines bekannten Weihnachtsliedes auf dem Xylophon oder der Blockflöte. Jetzt wissen alle: Es geht los.

Die Lieder sind sorgfältig ausgesucht. Wenn jemand Gitarre oder Klavier spielen kann, ist das natürlich toll, aber man kann auch zu Liedern von CDs singen. Kinderlieder wie „Weihnachten ist Party für Jesus“ oder „Ein Kind ist heut geboren“ und ältere Lieder wie „Mit den Hirten will ich gehen“ oder „Wisst ihr noch wie es geschehen“ können dabei sein.

Am besten nimmt man eine Weihnachtskrippe mit robusten Figuren, die man in die Hand nehmen und bespielen kann. Der Stall ist zunächst noch leer, und weit weg davon besucht der Engel Maria. Dann wandern Maria und Josef nach Bethlehem und suchen ihre Unterkunft. Die Hirten auf dem Feld sind natürlich wichtig. Was haben sie erlebt? Die Engel am Himmel singen „Gloria“ – da singen natürlich alle mit. An einer anderen Stelle im Wohnzimmer sehen die Weisen einen hellen Stern und beginnen ihre Reise. Jeder spielt eine oder mehrere Figuren.

Mit verteilten Rollen

Kleinere Kinder können sich manchmal noch nicht an die Geschichte erinnern. Es ist ja schon ein ganzes Jahr her! Dann kann sie auch aus einer Kinderbibel vorgelesen werden.

Wenn größere Geschwister dabei sind und auch Oma und Opa gern aktiv mitmachen, kann die Geschichte auch mit verteilten Rollen gespielt werden. Am besten organisiert man dafür einige Tücher oder die Baby- puppe aus dem Kinderzimmer. Oft staunt man nicht schlecht, welche Gedanken, Handlungen und Worte den Personen dabei zugedacht werden.

Ein kleines Gespräch schließt sich an: Was ist das Wichtigste an der Geschichte? Worüber freust du dich besonders? Wofür willst du Gott „Danke“ sagen? Für jedes „Danke“ kann ein vorher ausgeschnittener Stern zur Krippe gelegt werden.

Mit einem Weihnachtsgebet und Liedern klingt der Gottesdienst daheim aus. „Du bist geboren, Jesus – darüber freuen wir uns riesig! Danke, dass du uns besucht hast. Danke, dass du auch heute bei uns bist. Wir feiern deinen Geburtstag und lassen dich hochleben! Amen.“

Anke Kallauch ist Referentin für Kindergottesdienste im Bund Freier evangelischer Gemeinden. Sie ist verheiratet und hat drei erwachsene Kinder.

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Gegen den Riesen kämpfen

Wie können wir auf die Herausforderungen dieser Zeit gut reagieren?

Als er die Neuigkeiten hörte, konnte er nicht anders als zu seufzen. Schon wieder schlechte Nachrichten! Die riesigen Herausforderungen, die vor ihm lagen, waren kaum zu übersehen und zu überhören. Alle redeten darüber. Unheilschwanger lag Verunsicherung in der Luft wie ein trotziger Novembernebel.

Während ich mit den aktuellen Herausforderungen konfrontiert werde, fällt mir David ein. Der David aus der Bibel. Ein schlaksiger Hirtenjunge tapst mit einer Lunch-to-go-Box in das Gefechtsfeld eines Krieges. Allgegenwärtig die Riesen-Herausforderung. Das Volk Israel hatte kein anderes Gesprächs-Thema mehr: Sie dachten an den Riesen, seufzten über die Bedrohung, redeten beim Essen über den Riesen, vergaßen zu spielen und zu lachen. Sicher träumten sie auch von der Gefahr.

Was mir schon als Kind beim Hören der Bibelgeschichte besonders ins Herz schoss, ist die Empörung über den Riesen Goliath, der sich über Gott lustig macht. Er lacht das Volk Israel aus für ihren Gott. David ist schockiert darüber. Er beginnt seinen Kampf gegen den Riesen, indem er die Fokussierung auf ihn aufhebt: Er bringt Gott ins Spiel. Ja, Gott.

Und ich frage mich heute, ob es nicht auch bei mir an der Zeit ist, fromm zu sein. Das Wort „fromm“ kann „scheinheilig“ bedeuten, aber das meine ich nicht. Auf keinen Fall möchte ich Plattitüden herumschleudern. „Fromm“ heißt für mich: vom Glauben an Gott geprägt.

Ich möchte wie David an Gott denken. An das, was er in meinem Leben schon Gutes getan hat. Und dass er mich nicht vergessen hat. Ich möchte Gott ins Gespräch bringen und anderen helfen, sich aus der Fokussierung auf die Riesensorge zu lösen. Das kann ganz praktisch werden:

  • Ich lese alte Family-Magazine und verschicke sie anschließend an alte Weggefährten.
  • Ich reduziere den Konsum von Nachrichten und Talkshows.
  • Ich suche mir bewusst Künstler, die ich durch einen Download unterstützen kann.
  • Ich nehme den November wahr als herbststürmische Vorbereitung auf den Advent.
  • Ich höre Hörbücher und entdecke Klassiker neu.
  • Ich sitze am Fenster und sehe nach draußen.

Ich will meinen Herzensfokus singend und betend auf Gott richten. Ja, das klingt fromm. Vielleicht auf den ersten Blick etwas unbelesen und unreflektiert.  Als mir dieser Vorwurf gemacht wurde, habe ich den Sorgenriesen grölen hören und mich machtlos, uninformiert und überfordert gefühlt. Aber meiner Familie helfe ich so erschöpft nicht. Ich will aus der Wolke der Kommentare und Vermutungen bewusst aussteigen und fromm sein. Meine Kraft für das Gestalten der Familienzeiten nutzen, mich in Nähe üben und Gott ins Spiel bringen.

Und wenn der Riese in mir besiegt ist, ist auch wieder Zeit für Talkshows und Dokumentationen.

Stefanie Diekmann

Heizung runter, Feuchtigkeit hoch

Der Winter, so scheint es vielen Eltern, ist eine einzige Aneinanderreihung von Infekten. „Das ist ganz normal“, sagt der Gießener Kinderarzt Dr. Frank Wagner und gibt Eltern Tipps, was sie bei einer Erkältung machen und wie sie weiteren Infekten vorbeugen können.

Was ist eigentlich eine Erkältung?

Eine Erkältung ist eine virale Erkrankung, die bei Kindern mit Schnupfen, Husten, Hals- oder Ohrenschmerzen einhergeht. Sie fühlen sich unwohl, sind vielleicht knatschig und haben erhöhte Temperatur, also bis 38,5 Grad. Wenn sie kleiner und zum ersten Mal erkältet sind, kann sie auch höher sein. Wir Pädiater gehen davon aus, dass ein Kind bis zu zehn Infekte im ersten Kita-Winter durchlebt. Bis zum Schulalter sind es also 30 bis 40 Infekte. Das klingt viel, ist aber normal und deutet nicht zwangsläufig auf eine Immunschwäche hin.

Wann sollte man zum Arzt gehen?

Wenn das Allgemeinbefinden des Kindes sich verschlechtert, das Fieber nicht sinkt oder sogar steigt, der Husten stärker wird, Kurzatmigkeit und Pfeifen beim Atmen einsetzen, Flüssigkeit aus dem Ohr läuft und Symptome auftreten, die sich die Eltern nicht erklären und trotz aller Maßnahmen nicht eindämmen können.

Wie differenzieren Sie in Zeiten von Corona?

Es ist schwierig und es wird uns noch lange beschäftigen, wie wir entscheiden sollen, ob ein Risiko für eine Covid-19-Erkrankung vorliegt, zumal die Überprüfung durch den Mund-Nase-Abstrich schmerzhaft ist. Der Riech- und Geschmacksverlust tritt bei infizierten Kindern nicht auf, dafür aber in 30 bis 40 Prozent der Fälle trockener Hus-ten, Fieber und manchmal eine Magen-Darm-Symptomatik. Allerdings ist das bei manchen anderen Viruserkrankungen genauso.

Gehen wir davon aus, mein Kind hat „nur“ eine Erkältung. Was kann ich tun, um es gesund zu pflegen?

Achten Sie darauf, dass Ihr Kind ausreichend Flüssigkeit zu sich nimmt. Gönnen Sie ihm viel Ruhe und vermeiden Sie Stress! Lassen Sie Ihr Kind zu Hause – lieber einen Tag länger als zu kurz. Aber bleiben Sie mit ihm nicht nur im Haus, sondern gehen Sie, wenn es kein Fieber (mehr) hat, an der frischen Luft spazieren. Natürlich sollte es nicht rennen und auch nicht auf dem Spielplatz toben.

Wann sollte man Fiebermedikamente verabreichen?

Wenn das Kind bei 38,8 Grad ganz normal spielt, ist es zunächst nicht notwendig, ihm ein Fiebermedikament zu geben. Wenn es aber schlapp wirkt, Schmerzen oder diese Temperatur abends vor dem Schlafengehen hat, sollten Sie ihm unbedingt etwas geben, weil das Fieber in der Nacht steigt und die erhöhte Temperatur zu einem Flüssigkeitsverlust führt. Dadurch können wiederum die Schleimhäute austrocknen und sogar geschädigt werden, wodurch das Kind ansteckbarer für weitere Infektionen ist.

Wie kann ich mein Kind vor einer Erkältung schützen?

Befeuchten Sie die Nase des Kindes regelmäßig mit reiner Kochsalz- oder Meersalzlösung und achten Sie auf das Raumklima. Die Devise lautet: Heizung runter und Luftfeuchtigkeit hoch! Im Schlafzimmer sollte es nicht wärmer als 16 bis 18 Grad und in den Wohnräumen 21 Grad sein – auch dann, wenn das Kind krank ist. Geben Sie Ihrem Kind vitaminreiches und ballaststoffreiches Essen wie Obst und Gemüse, Vollkornbrot und Müsli, viel Flüssigkeit in Form von Wasser und ungesüßtem Tee.

Interview: Ruth Korte

Wo ist die Solidarität geblieben?

Etwa eine Woche nach dem Lockdown im März hatten wir eine – zwangsweise virtuelle – Sitzung mit unserem freien Redaktionsteam. Wir wollten Dossierthemen festlegen für 2021. Diese Überlegungen waren stark geprägt durch die aktuelle Situation. „Zusammenhalt“, „Nächstenliebe“, „Solidarität“ waren viel genannte Stichpunkte. Aber auch „Nähe“ oder „Umgang mit Krisen“.

Nun, ein halbes Jahr später, sind diese Themen immer noch aktuell. Aber sie fühlen sich ganz anders an. Vor allem die Solidarität, die wir in den ersten Wochen der Corona-Krise oft als so wohltuend erlebt haben, scheint uns abhanden gekommen zu sein. Ein Blick in meinen Facebook News Feed zeigt den Unterschied. Waren dort im März und April Videos von Balkonkonzerten zu sehen oder Hilfsaktionen für Menschen in Quarantäne, stoße ich mittlerweile immer öfter auf unschöne Diskussionen darüber, welchem Experten oder YouTuber nun zu trauen sei, ob die Corona-Maßnahmen sinnvoll oder nur „Verarschung“ sind oder ob der Mund-Nasen-Schutz ein Ausdruck von Nächstenliebe oder unterdrückter Meinungsfreiheit ist.

Und der Ton wird gefühlt immer schärfer. Reflexartig werden Beschimpfungen und Verachtung geäußert – von  beiden Seiten. Und ich habe den Eindruck, dass wir nicht nur unsere Solidarität verloren haben, sondern auch die Nächstenliebe und den Respekt voreinander. Ja, ich tappe selbst auch immer wieder in diese Falle. Weil ich nicht möchte, dass sich Falschaussagen und Verschwörungstheorien verbreiten, dass sie einfach so stehenbleiben, lasse ich mich auf Diskussionen ein – die schnell emotional werden.

Da wünsche ich mir manchmal fast den Lockdown zurück, als zumindest in meiner „Blase“ Zusammenhalt und Solidarität und die Sehnsucht nach Nähe die vorherrschenden Themen waren. Natürlich will ich nicht wirklich einen zweiten Lockdown. Aber diese Solidarität wieder zu erleben – das wünsche ich mir.

Bettina Wendland ist Redakteurin bei Family und FamilyNEXT und lebt mit ihrer Familie in Bochum.

Das Leben neu erfinden

Um Helena und Thomas Gysin wird es plötzlich still in der Corona-Zeit. Von Helena Gysin

Wie dunkle Wolken, die ankündigen, dass bald Regen kommt, so ahnten wir, dass sich unser Leben bald ändern könnte. Wir feierten am
29. Februar genüsslich unseren 28. Hochzeitstag – oder eigentlich erst den siebten: Schneeschuhtour im Berner Oberland, Abendessen bei einem charmanten Italiener, Übernachtung in einem rustikalen B&B. Am Sonntag planten wir einen Gottesdienstbesuch und plötzlich war es Realität: Fremde mussten sich dafür registrieren – damit die Ansteckungskette nachverfolgt werden könne, sagte man uns. Blitzschnell, fast prophetisch, konstatierte Thomas: „Nach Corona wird die Welt nicht mehr die gleiche sein wie jetzt!“ Ja, sie begann sich zu wandeln, die große Welt und unsere kleine. Anlässe und Sitzungen wurden abgesagt. Begegnungen minimiert. Und plötzlich wurde es still um uns herum. Sehr still – in unserer Dienstwohnung in einem Schulhaus. Keine Schüler. Keine Termine. Thomas und Helena allein zu Hause.

Ruhige Kugel und schnelle Bikes

Thomas schob erstmals eine ruhige Kugel, baute seine Überstunden als Hausmeister ab und ging oft zum Angeln am nahegelegenen See. Ich hatte innerhalb weniger Tage einen aufwendigen Artikel zu stemmen und befragte Personen in Chefpositionen, wie sich der Ausbruch von Corona auf ihren Alltag auswirke. Erschreckend, was sich da abzeichnete! In der ersten Woche hatte jeder von uns beiden seine eigene Blickrichtung, bis sich unsere Augen am ersten Wochenende des Lockdowns wieder trafen. Kein Gottesdienst. Kein Wiedersehen mit Freunden. Keine Einladung. Null Erfahrung mit einer solchen Situation. Wir mussten unsere Beziehung, unsere gemeinsamen Aktivitäten neu erfinden. Oft standen wir an den Wochenenden der Lockdown-Zeit relativ früh auf und erkundeten die nähere Umgebung zu Fuß. Wir wanderten manchmal mehrere Stunden. Mal planlos, mal entlang einer geplanten Route.

Dann entschied sich mein liebster Weggefährte recht überraschend, ein E-Bike zu kaufen – nachdem er vor ein paar Jahren noch lauthals verkündete, das komme für ihn erst ab 60 in Frage. Diese Anschaffung eröffnete uns eine neue Variante von gemeinsamen Ausflügen. Plötzlich legten wir spielend vor oder nach dem Frühstück 50 km zurück. Mit unseren E-Bikes wurden selbst die zahlreichen Hügel des Zürcher Oberlandes flach. Wir bewältigten Höhendifferenzen, die uns vorher schon beim Betrachten der Karte den Schweiß auf die Stirn und in die Achselhöhlen getrieben hätten.

Umarmen, Begegnen: Alles liegt flach

Um ehrlich zu sein: Dass wir in dieser Zeit den Gottesdienst aus der Konserve „feiern“ konnten, wann es uns gerade ins Programm passte, das begeisterte uns. Und doch, die Begegnungen in unserer Kirche und anderswo fehlten uns. Umarmungen – naja, mir (Helena) werden die auch mal zu viel, aber jetzt? Jetzt fehlten sämtliche freundschaftlichen und familiären „Drücker“ – unsere Kinder sind selbstständig, allesamt verheiratet. So waren wir auch in dieser Sache ganz auf uns als Paar zurückgeworfen. Wenn wir uns nicht umarmten, umarmte uns keiner. Einen Fixpunkt erfanden wir in dieser Zeit neu: immer um 21 Uhr trafen wir uns zu einer kurzen Gebetszeit. Dort bewegten wir Anliegen vor Gott, die uns die Corona-Zeit aufs Herz legte: die Bitte um Schutz für Menschen im Gesundheitswesen, um Kreativität, Spannkraft und Frieden für Familien, um Aufträge für Unternehmer in unserem Umfeld, um Weisheit für Politiker und Kirchenleitungen. Zu Beginn der Epidemie kaufte ich zudem einen Stapel Postkarten und verschickte per Post Grüße und Ermutigungen. Um den Draht zu Freunden und Bekannten zu halten, tat Thomas dasselbe mit Anrufen per Telefon. Als beziehungstechnisches Highlight trafen wir uns am Karfreitag mit unserer Tochter und ihrem Mann für zwei Stunden zu einem „distanzierten Spaziergang“.

Irgendwann wurde die Isolation zum neuen Alltag. Nicht immer waren wir von ihm begeistert. Manchmal fanden wir ihn öde. Manchmal fühlte sich das Leben in unserer Wohnung an wie im Elfenbeinturm: ein bisschen einsam, gut versorgt und hervorragend abgeschirmt. Insgesamt fühlten wir uns als Paar privilegiert: Wir hatten uns und damit einen Zuhörer, eine Gesprächspartnerin, einen Mitspieler für Tuto, Qwirkle und Co., eine Nervensäge, einen Feinschmecker mit einem neuen Kochbuch inklusive Garthermometer, eine Verbündete und auch einen Liebhaber/ eine Gespielin für das Bettgeflüster. Wir sind stolz auf uns, dass wir die Corona-Challenge nicht nur überstanden, sondern gemeinsam gemeistert haben.

Thomas & Helena Gysin wohnen in einem idyllischen Dorf in der Schweiz. Er ist Hauswart, sie Autorin. Er ist bald 55 Jahre alt, sie 52 Jahre jung. Sie haben drei erwachsene Kinder und werden bald Großeltern.

Weitere Erfahrungsberichte von Paaren in der Corona-Zeit findet ihr in der aktuellen FamilyNEXT

„Ich war in meinem Leben noch nie so krank“: Gesamte Familie mit Covid-19 infiziert

Das Coronavirus hat Familie Müller* voll erwischt. Zeitweise konnte sich Mutter Heike nur auf allen Vieren ins Bad schleppen. Doch in Erinnerung behält sie nicht die Tage im Fiebertraum, sondern die Solidarität der Nachbarn.

Es ist ein Anruf, der Heike Müller* zum ersten Mal stocken lässt: Bei ihrem Hausarzt geht nur der Anrufbeantworter ran. Die Praxis sei geschlossen, weil es Covid-19-Fälle im Team gegeben habe. Tatsächlich hat Heike dort in der Woche zuvor noch ein Rezept abgeholt – und seit Tagen mit Kopf- und Gliederschmerzen zu kämpfen. „Bis zu dem Telefonat habe ich mir überhaupt gar keine Gedanken gemacht“, erzählt sie.

Plötzlich Fieber

Als dann auch noch ihr Mann Fieber bekommt, verstärkt sich die Ahnung des Paares, dass sie sich mit dem Virus angesteckt haben könnten. Zu diesem Zeitpunkt Mitte März befindet sich die Familie aus der Nähe von Tübingen bereits in häuslicher Isolation. Deshalb unternehmen Heike und ihr Mann zwei Tage lang nichts. „Aber am Freitag war das mit dem Fieber so irre, dass wir die Vertretung unseres Hausarztes angerufen haben“, sagt die zweifache Mutter. Der Arzt schickt sie ins Corona-Testzentrum in Tübingen.

Über 40 Grad Fieber

Vater und Mutter Müller lassen sich testen. Und tatsächlich: Sie haben sich angesteckt. Was in den folgenden Tagen passiert, daran kann sich Heike rückblickend nur noch verschwommen erinnern: „Ich war in meinem Leben noch nicht so krank.“ Zehn Tage lang hat sie über 40 Grad Fieber. Wirklich kritisch ist der Zustand bei ihr und ihrem Partner nie – beide haben zu keinem Zeitpunkt Atemnot – wohl aber ist die Zeit nervenzehrend. Auf das Klo kann Heike sich zeitweise nur auf allen Vieren schleppen – wortwörtlich. Sie schläft kaum und wenn doch, plagen sie Fieberträume.

Sportliche Familie

Und auch bei den Kindern machen sich Symptome bemerkbar. Matteo (12) hat Husten und Fieber. Und Noa-Marie (15) hustet und fühlt sich mitunter sehr schlapp. Besonders hart trifft Corona die Familie Müller, weil diese sonst ziemlich fit ist. „Ich hatte meinen Lebtag ein einziges Mal Grippe“, erzählt Mama Heike. Doch der Virus wirft sie aus der Bahn. Die Frage nach dem „Warum ich?“ stellt sich Heike aber nicht. „Ich habe mir eher gedacht: Es wird schon alles seinen Sinn haben“, sagt die Christin.

Von überall her Hilfe

Was Heike Müller aus den Krankheitswochen besonders in Erinnerung bleibt, ist dann auch nicht das Fieber-Delirium. Es ist die Solidarität ihrer Nachbarn. „Eigentlich dachte ich, die ziehen jetzt ein Stacheldraht um unser Haus, machen ein rotes Kreuz an die Tür und schreiben darauf ‚Bannzone‘.“ Das Gegenteil geschieht. Die Müllers erfahren eine „wahnsinnige Welle an Hilfsbereitschaft“. Auf eine Whatsapp-Nachricht an die Nachbarschaft, in der sie von der Quarantäne berichten, bekommen sie innerhalb weniger Minuten „überwältigend viele“ Antworten. Bekannte bieten an, den Hund auszuführen, Brötchen zuzubereiten und einkaufen zu gehen. „Das fand ich unfassbar“, resümiert die 47-Jährige.

Die Kinder werden zu Helden

Und auch die beiden Kids werden angesichts der bettlägerigen Eltern zu Überlebenskünstlern. Noa-Marie organisiert per Smartphone Helfer, die Essen besorgen. Die beiden kochen Nudeln und versorgen die Eltern mit Tee. Für die Mutter ist das ein wahrer Segen. Denn Essen zubereiten hätte sie in den schlimmsten Krankheitstagen nicht können. „Ich bin so stolz auf meine Kinder, dass die das hingekriegt haben“, sagt sie.

150 Masken

Fünf Wochen lang bleibt Heike Müller krankgeschrieben. Als der Nebel sich langsam löst, fragt sie sich, wie sie den Nachbarn etwas von dem Engagement zurückgeben kann, das sie ihrer Familie entgegenbrachten. Zu dem Zeitpunkt gibt es in Deutschland kaum Masken zu kaufen. „Und ich kann nähen. Also habe ich rumgefragt, wer denn eine Maske braucht.“ 150 Stück näht Heike schlussendlich.

Mehrere Masken liegen aufeinander.

Rund 150 Masken hat Mama Müller* genäht. Foto: privat

Als die Müllers schließlich wieder das Haus verlassen dürfen, ist das eine Erleichterung: „Das war fantastisch“, erzählt die Mutter: „Ich habe noch nie erlebt, dass die Kinder so heiß drauf waren, als erstes mit dem Hund Gassi zu gehen.“ Mittlerweile ist die Familie wieder genesen – zum Großteil zumindest. Auch fünf Monate nach dem Lockdown fühlen sich die Familienmitglieder noch erschöpft.

„Es war nie einfacher, Leben zu retten“

Im Nachhinein hat die überstandene Infektion zumindest etwas Gutes: Für die Forschung ist Familie Müller hochinteressant. Aktuell nehmen die Baden-Württemberger an einer Studie teil, die untersucht, inwieweit Kinder an der Verbreitung von Covid-19 beteiligt sind. Außerdem haben sie hautnah erfahren, was dieser Virus zu tun imstande ist. Ihre Masken tragen sie voller Überzeugung: „Es war nie einfacher, Leben zu retten“, sagt Heike Müller.

*Der Nachname wurde von der Redaktion geändert.

Deutsche Familie in Südafrika: Treffen waren im Lockdown nur im Geheimen möglich

Familie Nellessen gehört in Afrika zu den Privilegierten. Der Lockdown bedeutete für sie trotzdem einen Einschnitt. Mutter Britta erzählt von heimlichen Kaffeekränzchen – und der Armut vor der Haustüre.

Die afrikanische Sonne scheint mir ins Gesicht, während ich mit meiner Freundin Andi auf dem Parkplatz vor dem großen Shoppingcenter stehe. Heimlich natürlich, versteckt zwischen unseren beiden Autos, am Rand des großen Parkplatzes. Private Treffen sind in Südafrika immer noch verboten [Stand Mai, Anm. d. Red.], wir zählen Woche sieben des nationalen Lockdowns, der hier deutlich strenger ausfällt als etwa in Deutschland. Die ersten fünf Wochen durften wir noch nicht einmal unser Grundstück verlassen, außer zum gelegentlichen Einkaufen mit Maske. Keine Freunde treffen, nicht einmal zu zweit spazieren gehen, ach was … gar nicht spazieren gehen!

Alles spielt sich nur in und um die eigenen vier Wände ab. Immer mit den gleichen Menschen, der lieben Familie, den wohlerzogenen Kindern und dem perfekten Ehemann. Full House. Großes Haus, großer Garten, beheizter Pool, was will man mehr. Ach ja, und ein volles Portemonnaie natürlich, wenn die Vorräte ausgehen, kauft man halt was nach. Alles kein Problem. Für uns.

Nicht für die Isolation gemacht

So, und da bin ich also, auf dem Parkplatz mit meiner Freundin, schlürfe meinen Kaffee und drücke mich schön unauffällig gegen meine Fahrertür. Heute musste ich eigentlich gar nichts einkaufen. Bin aber trotzdem hier. Ich musste einfach mal raus zu Hause, raus aus den vier Wänden, mal jemanden live und in Farbe sehen, auch mal jemanden in den Arm nehmen. Habe ich gestern übrigens auch schon gemacht mit meiner Freundin Sue. Sue lässt einen Tag später dann, trotz Corona-Krise, ihre Hüfte operieren und ist innerlich unruhig. Meine Güte, der Mensch braucht das doch, dass ihn mal jemand in den Arm nimmt, mal die Tränen abwischt und man sich mal ohne Maske ins Gesicht schaut. Das zweite Mal flossen die Tränen, als wir zusammen gebetet haben, da auf dem Parkplatz zwischen den Autos, als wir gemeinsam diese OP in einer total verrückten Zeit Gott anbefohlen haben. Ich bin nicht für die Isolation gemacht, schluchzte Sabine bereits letzte Woche, am selben Ort.

Eine sechsköpfige Familie lächelt in die Kamera.

Familie Nellessen, Foto: Privat

Ich frage mich, ob die Parkplatzwächter mich unterdessen wiedererkennen. Sagen tun sie nichts … Ich gebe immer ordentlich Trinkgeld, vielleicht liegt es daran. Parkplatzwächter? Ja, die gibt es hier überall in Südafrika vor den Supermärkten. Sie bewachen nicht nur aus Sicherheitsgründen den Parkplatz, sondern helfen mir auch beim Einkaufswagenschieben, beim Einladen ins Auto und beim Ausparken, selbst wenn links und rechts alles frei ist. Sie sind ausgesprochen höflich, grüßen mich mit „Hello Mami“ und ernähren ihre Familie mit dem Trinkgeld, dass ich ihnen dann gebe.

Kein Homeschooling in Blechhütten

Seit dem Lockdown vor sieben Wochen ist das natürlich komplett weggefallen. Genauso wie für sämtliche Straßenverkäufer, die Obst, Telefonkabel oder Sonnenbrillen an der Ampel anbieten. Die Damen, die Maiskolben über einem Feuer in der Blechtonne rösten, die Jungs, die an der Ampel meine Windschutzscheibe putzen wollen oder mit einer großen Mülltüte bewaffnet die Hände aneinanderlegen und darum betteln, mir gegen Kleingeld meinen Müll aus dem Auto abnehmen zu dürfen – sie alle haben seit nunmehr sieben Wochen so gut wie nichts, kein Einkommen, nichts von der Hand in den Mund, nichts für ihre Kinder, nichts für sich selbst. In den Townships kontrolliert das Militär die Ausgangssperre und greift mit Härte und Gewalt durch, damit die große Masse versteht, dass es ernst ist. Menschen sterben an der Gewalt. Das Elend wächst. Kein Sozialstaat fängt hier auf. In den vollen Blechhütten findet auch kein Homeschooling statt – wie auch, wenn man keinen Internetzugang hat. Und wo das Essen knapp wird, da bleibt für Datenpakete kein Geld übrig …

Der Mensch lebt auch vom Brot

So langsam füllen sich Johannesburgs Straßen wieder, nicht, weil es große Lockerungen gegeben hätte, nein. Die Menschen können nicht mehr. Der Präsident hat zwar kleinere Hilfspakete versprochen – wir reden hier über umgerechnet 20 Euro pro Person pro Monat –, aber auf dem Weg zu meinem Shoppingcenter stehen die Menschen wieder an den Ampeln und am Straßenrand und betteln, knien nieder, führen ihre Hand zum Mund, als würden sie essen, falten ihre Hände und schauen flehentlich über ihre Maske. Mir bricht es das Herz, aber es sind einfach zu viele. Dem ein oder anderen reiche ich etwas aus dem Fenster, für die anderen hoffe ich, dass andere dasselbe tun.

„Ich bin nicht für die Isolation gemacht“, hat Sue gesagt. Wie wahr, wer ist das schon? Andi hatte vorgestern ihren ersten richtigen Durchhänger. Wir leben alle in der Ungewissheit, auch in der Uninformiertheit, in der Isolation, sehnen uns nach Kontakten, Gesprächen und Nähe. Der Mensch lebt eben nicht nur von Brot allein. Aber eben auch von Brot. Und das haben viele Menschen hier nun mal nicht.

Keine Supermutti

Ich fühle mich hin- und hergerissen, voller eigener innerer Gegensätze. Ich weiß genau, wie gut wir es als Familie haben, hier in der Sicherheit unserer bewachten Wohnanlage, mit dem gefüllten Kühlschrank und dem sicheren Arbeitsplatz meines Mannes. Im Angesicht der Lebenssituation anderer müsste mir eigentlich jede Klage im Halse stecken bleiben. Tut sie aber nicht. Manches kommt raus. Zu viel? Ich bin schließlich keine Supermutter, die jeden Tag aufs Neue voller Elan und Energie ihre vier Kinder beschult, das Haus putzt, weil sie so dankbar für ihr schönes Zuhause ist, und voller Überzeugung täglich stundenlang gesundes Essen kocht. Supermutti hat auch ihre persönlichen Durchhänger und Krisen, und Supermutti hat nur noch einen sehr dünnen Geduldsfaden … Und eine laute Stimme. Und Supermutti vermisst ihr Leben.

Durchhalten ist angesagt, Gegensätze aushalten. Und noch etwas zählt für mich: ausruhen bei Gott, um Kraft bitten bei Gott, um Weisheit bitten. Jeden Tag neu anfangen, dankbar sein für das Leben. Und das sonst so Selbstverständliche neu schätzen lernen. Und dankbar sein, dass ich eine Adresse „da oben“ habe, bei der ich und diese ganze verrückte Welt gut aufgehoben sind, inklusive aller Gegensätze.

Britta Nellessen, 44, lebt mit ihrem Mann und ihren vier Kindern seit 2018 in Johannesburg, Südafrika. In ihrem deutschen Leben wäre sie Lehrerin an einem Bochumer Gymnasium. Für ihr südafrikanisches Leben hat sie ihre Elternzeit noch einmal verlängert, um das Abenteuer Familie zu meistern.

Mein Weg aus der Stressfalle

Wie Priska Lachmann gelernt hat, mit den Anforderungen ihres Alltags umzugehen.

Hättet ihr meinen Mann vor sechs Jahren nach meiner Stressresilienz gefragt, hätte der mit Sicherheit laut losgelacht. Ich war die hektischste, lauteste und genervteste Person auf diesem Planeten, sobald der Stress über mir hereinbrach. Ich war nicht zu ertragen.

Halt und Trost

In den vergangenen Jahren wurde mein Stresslevel aber nicht nur mit den Kindern immer höher. Auch das Studium, ein Hausbau und meine Freiberuflichkeit bescherten mir wachsende Ansprüche an mein Zeitmanagement, kurze Nächte und viele Momente, in denen ich sehr stress-resilient handeln musste. Ich lernte vor allem, zu atmen und lösungsorientiert zu denken. Ich atme tief ein und aus in diesen Momenten und beruhige damit meine Seele. Gleichzeitig habe ich in den vergangenen Jahren gelernt: Egal was ich in meiner charakterlichen Unzulänglichkeit an Fehlern mache, egal, was ich mir zuschulden kommen lasse, egal, was auf mich einströmt in diesem Leben – ich kann nicht tiefer fallen als in Gottes liebende Hand. Punkt.

Da gibt es kein „Aber“, kein „Was wäre, wenn“. Da ist einfach nur ein liebender Vater, ein großer Gott, der mir zwar nicht versprochen hat, dass mein Leben immer golden und glitzern und glücklich verläuft, der aber mit mir durch die dunklen Täler geht. Der mich an die Hand nimmt und an dessen starke Schulter ich mich lehnen kann, wenn mir alles zu viel wird. Ich finde Halt und Trost in meinem Alltag und Stärke in dieser hoffnungsvollen Gewissheit, dass ich keine Angst haben muss.

Videokonferenz mit Kleinkind

In den letzten Wochen, als Corona unser ganzes Leben veränderte, fanden wir uns als Familie in einer gänzlich ungewohnten Situation wieder. Mein Mann und ich im Homeoffice, zwei Kinder mit Homeschooling und ein zweijähriges Kleinkind, das gerade vier Wochen vorher im Kindergarten eingewöhnt worden war. Alle zu Hause. 24/7. Immer. Die ganze Zeit. Es war herausfordernd, und wir haben glücklicherweise einen Garten. Eines Nachmittags, mein Mann hatte gerade in seinem Job als Solution Consultant eine Kundenpräsentation via Videokonferenz, wurde die Zweijährige wach vom Mittagsschlaf, stapfte halbnackt die Treppen hinunter und kuschelte sich beim Papa auf den Schoß. Der Kunde und der Vertriebler fanden das ganz süß. Und unsere Tochter entspannte sich. Mein Mann sprang plötzlich auf, mitten in seiner Präsentation, denn seine Hose war nass geworden. Schnell brachte er mir unser Kind, zog sich um und sprintete wieder zum Laptop, um seine Präsentation an unserem Esstisch zu Ende zu führen.

Diese Situation zeigte uns, dass wir inzwischen sehr resilient gegenüber Stress geworden sind. Das liegt vor allem daran, dass wir sehr lösungsorientiert denken, aber auch daran, dass wir diesen festen, unerschütterlichen Glauben haben, an dem wir uns festhalten können, wenn wir nicht mehr weiterwissen.

Priska Lachmann ist dreifache Mama, Theologin, Autorin und bloggt unter www.mamalismus.de.