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Alles auf Anfang?

Warum das Alte nicht mehr das Neue ist.

„Juhu, endlich!“, juble ich meinen Kindern zu: „Euer Training fängt wieder an!“ In den letzten Tage sind die Inzidenzwerte in unserer Stadt gefallen, und der normale Alltag beginnt wieder anzulaufen. „Welches Training?“, kommt aus dem Garten. Erst lache ich, weil ich den klugen Humor meines Kindes vermute und dann realisiere ich: Die Zeiten der Distanz haben auch Distanz zu unserem alten Leben gefordert. Alles um mich herum fährt weder in den Alltagsmodus hoch. Was ist aber mein neuer Alltag? Was passt zu mir und meinen Kindern heute?

Ich spüre, dass unsere Familie eine andere geworden ist. Aus dem ersten Lockdown haben wir die Spaziergänge und Entdeckungen des Umlandes als wertvoll gerettet. Wir haben unseren Tagesablauf verändert. Wir spielen online mit der Großfamilie und haben so mehr Kontakt als in der Zeit vor der Pandemie. Und nun soll das Alte all das Neue ablösen. Will ich das?

Ich brauche die Zeit, um die innerliche Bremse zu lösen. Die Bremse, die ich in mir nicht als Ausbremsen und Stillstand empfinde, sondern als Konzentration auf uns als Familie im Stop-Modus des gesellschaftlichen Lebens. Wir suchen zusammen eine Idee für einen neuen Alltag in alten Möglichkeiten. Interessanterweise war uns allen dabei besonders wichtig, Menschen einzuladen. Zusammen sortieren wir unsere Werte. Welche Hobbys und Aktivitäten von uns und unseren Kindern formen die Persönlichkeit und machen Superspaß? Und welche dienen mehr der gesellschaftlichen Akzeptanz und nicht dem Individuum?

Dabei kommt auch unser erhöhtes Serien-Schauen zur Sprache. Ich muss mich hinterfragen lassen und gebe nach einigem Nachdenken zu, dass es nun vorbei ist mit dem „Es geht ja nix Anderes!“ als Ausrede. Die mediale Nutzung ist ein großes Diskussionsthema. Was wollen wir weiter fördern – Lernen mit Apps, Hörbücher, Online Skat … – und was nicht?

Wir fühlen uns als Familie erschöpft und nehmen das ernst. Wir sehen gut hin, was uns gerade zu viel abverlangt. Keiner von uns will in das Alte zurück. Aber Leidenschaften wie Tariks Fußball oder Riekas geliebte Escape Rooms können nicht oft genug stattfinden.

Je länger wir die nächsten Wochen bedenken, desto mehr kribbelt es in mir. Was für eine große Chance haben wir. Durch diese Zäsur können wir aus dem alten Alltag Neues werden lassen und zwar so bewusst, wie es wenigen Menschen in anderen Zeiten möglich war.

In mir blubbert es wie vor der Einschulung, einer ungeliebten Weisheitszahn-OP und den großen Ferien zusammen und ich spüre, ich will meine Kraft in das Neue investieren. In der Bibel finde ich dazu einen Vers, der mich aufmuntert: „Denn siehe, ich will ein Neues schaffen, jetzt wächst es auf, erkennt ihr’s denn nicht?“ (Jesaja 43, 19) Gott lädt mich ein, mutig hinzusehen. Das Wachsen des Neuen wahrzunehmen. Nicht Zackzack, sondern achtsam.

Ja, ich will das Neue entdecken und damit heute beginnen.

Stefanie Diekmann ist Gemeindereferentin in Göttingen

Gärtnern mit Kindern

In diesem Jahr scharren wir alle mit den Füßen, ins Freie zu kommen, unsere Gesichter der Sonne entgegenzustrecken und die Hände in kühle, fruchtbare Erde zu stecken.

Gärtnern erdet uns im wahrsten Sinne des Wortes. Niemals habe ich das so konkret erfahren wie während des Lockdowns im letzten Jahr. Mein unperfekter und wilder Garten war und ist mein Ankerpunkt.

Wie sollte ich mit dem Gärtnern anfangen?

Gärtnern kann man tatsächlich überall – egal, ob du Kräuter in einem Topf ziehst, ein kleines Hochbeet anlegst oder hochmotiviert einen 100-m²-Garten aus dem Boden stampfst. Binde dein Kind unbedingt mit ein! Kinder verfolgen den Weg vom Samen bis zur fertigen Pflanze mit wachem Interesse, auch wenn ihnen die gärtnerische Ausdauer fehlt. Erwarte nicht, dass sie sich von Anfang bis Ende selbstständig um ein Beet kümmern. Oft braucht es elterliche Unterstützung, die ein Kinderbeet vor dem Verdursten und der Verunkrautung rettet. Wenn es dann ums Ernten geht, sind sie wieder hochmotiviert.

Oft sind wir überfordert von tausend Informationen, und manchmal halten die uns davon ab, mit dem Gärtnern anzufangen. Ich will dir Mut machen, erste kleine Schritte zu gehen. Ein großer Blumenkübel, ein Hochbeet aus dem Baumarkt, aufeinandergestapelte Autoreifen, Holzkisten: Überall können wir leckere Sachen anbauen. Sogar auf einem Balkon! Fehler werden dir auf jeden Fall passieren. Aber durch sie gelangst du zu mehr Wissen.

Sorten für Anfänger

Überlege mit deinen Kindern, was ihr anbauen wollt. Beschränkt euch auf einfache Sorten:

  • Pflücksalat (Aussaat ab April – dieser Salat wächst nach, er kann also laufend geerntet werden; auch für Balkonkästen geeignet)
  • Erdbeeren (Vorgezogene Pflanzen im Herbst im Freiland oder in Töpfen anpflanzen)
  • Radieschen (Aussaat ab April – Topsi und Flamboyant 2 sind milde Sorten)
  • Cherrytomaten (Vorgezogene Pflanzen ab Mitte Mai ins Freie)
  • Kohlrabi (Vorgezogene Pflanzen ab April ins Freie)
  • Kürbis (braucht viel Platz und Sonne – ab Mitte Mai als vorgezogene Pflanze ins Freie)
  • Gurken (ab Mitte Mai als vorgezogene Pflanze ins Freiland oder auf den Balkon, benötigt eine Rankstütze)
  • Karotten (Aussaat ab April)
  • Kräuter (Jungpflanzen ab April ins Freie oder in Töpfe)

Auf die Lage und die Erde kommt es an

Entscheidend für gute Erträge:

  • Lage: Du kannst fast alle Sorten im Halbschatten anbauen. Pralle Sonne benötigen Kürbisse, Gurken und Erdbeeren. Cherrytomaten gedeihen auch an halbschattigen Plätzen, normale Tomaten hingegen brauchen volle Sonne.
  • Erde: Gute, fruchtbare Erde bringt gute Früchte hervor. Billige Blumenerde aus dem Baumarkt wird nur zu Frust führen. Mische eigene Erde mit Kompost oder besorge qualitativ hochwertige torffreie Gartenerde. Möchtest du längerfristig gärtnern, solltest du eine Kompostmiete anlegen. Für wenig Platz gibt es Thermokomposter und den Bokashi-Eimer.

Erwarte nicht, dass dein Garten oder Balkon sofort wie ein Vorzeigegarten auf Instagram aussieht oder dein Kind immer Lust zum Gärtnern hat. Wenn am Ende der Erfolg vielleicht nur mäßig ist, wird dein Kind gelernt haben, wie viel Arbeit in einem Radieschen und einer Möhre steckt. Und wie viel Geschmack!

Veronika Smoor ist Autorin, Referentin und zweifache Mutter und bloggt unter veronikasmoor.com.

Dankbar jammern

Die schwierige Frage nach dem Wohlergehen

Wenn mich jemand fragt, wie es mir oder uns geht, weiß ich oft nicht, was ich antworten soll. „Es geht uns gut. Wir sind bisher gesund geblieben, haben ein sicheres Einkommen und die Kinder kommen mit dem Homeschooling klar.“ Oder: „Es geht uns nicht so gut. Ich vermisse es, Freunde, Freundinnen und Verwandte zu treffen. Die Situation macht mir Angst. Und den Kindern fehlen ihre Freunde und ihr Sport.“

Jammern auf hohem Niveau? Ja, das ist es wohl. Die Frage ist ja: Womit vergleiche ich unsere Situation: Mit der Zeit vor Corona? Mit Menschen, die deutlich stärker durch Corona oder andere Dinge eingeschränkt werden? Oder gar mit Menschen, die nicht im reichen Europa leben und ganz andere Sorgen haben als die, wann endlich wieder Vereine und Restaurants öffnen dürfen?

Ich finde beides wichtig: Auch wenn es uns im Vergleich mit vielen anderen Menschen gut geht, dürfen wir benennen, was uns schmerzt und was uns fehlt. Es kann tröstlich sein, sich mit anderen auszutauschen, denen es ähnlich geht. Hier ist Ehrlichkeit wichtig. Wenn alle nur „Danke, gut!“ antworten, entsteht kein Austausch. Und wer nicht von seinen Herausforderungen und Problemen redet, findet auch keine Lösung dafür. Denn auch „Luxusprobleme“ können belasten und das Leben schwer machen.

Aber es ist auch wichtig, die eigene Situation in das Gesamtbild einzufügen und wahrzunehmen, wo wir stehen. Es ist hilfreich, auf das Gute zu sehen, das wir haben. Zu erkennen, womit wir gerade beschenkt sind und Gott dafür zu danken. Und sicher ist es so, dass an einem Tag eher das eine und am nächsten Tag das andere überwiegt. Lasst uns also dankbar jammern – und unsere Zuversicht auf Gott setzen!

Bettina Wendland ist Redakteurin bei Family und FamilyNEXT und lebt mit ihrer Familie in Bochum.

 

Von Liedern und Tränen: Das erlebt eine Psychologische Beraterin auf der Isolierstation

Corona hat das Leben von Christina Ott grundlegend verändert. Als Beraterin steht sie Ärzten und Patienten zur Verfügung. Und hält auch mal die Hand zum Abschied.

Und wieder trete ich in voller Schutzmontur ans Bett einer schwer erkrankten Patientin. Eben wurde ihre Zimmernachbarin häppchenweise von mir gefüttert. Nun kann ich mich Frau W. zuwenden. Wir kennen uns schon. Heute wirkt die kleine Frau besonders zerbrechlich. Sie liegt schwach in ihren Kissen und schaut mich aufmerksam an. Die Sauerstoffmaske hat ihren Nasenrücken wundgescheuert. Ich greife behutsam ihre Hand. Unser Gespräch bringt uns zum Lied „Der Mond ist aufgegangen“. Frau W. freut sich, dass ich es auch kenne.

Erst beginne ich die Melodie zu summen. Dann fange ich einfach zu singen an. Frau W. stimmt mit kurzatmigen Textfetzen ein. Ich verlangsame mein Tempo, bis wir ein Gleichmaß gefunden haben. Als ich mich im Text verhasple, sagt Frau W. geduldig: „Das macht nichts“. Mitten in der vorletzten Strophe – der Strophe vom Sterben – weiß ich nicht mehr weiter. Beim Singen für meine Kinder hatte ich sie immer übersprungen. Die letzte Strophe kommt dann wieder flüssig: „… verschon‘ uns Gott mit Strafen und lass uns ruhig schlafen und unsern kranken Nachbarn auch.“

Irgendetwas tun im Corona-Chaos

Eigentlich hatte ich den Beruf der Krankenschwester vor einem Jahr an den Nagel gehängt. Nach zahlreichen psychologischen Ausbildungen wollte ich einer anderen Leidenschaft folgen. Deshalb ging ich im April 2020 in die Selbständigkeit als Psychologische Beraterin, Referentin und Autorin. Doch Corona machte mir einen Strich durch die Rechnung. Der Start verlief eher holprig. Viele Aufträge mussten abgesagt werden. Im Herbst schnellte die Zahl der registrierten Coronafälle in unserem Landkreis Schmalkalden-Meinigen dann nach oben. Die Thüringer Landesregierung startete einen Aufruf, mit dem medizinisches Personal reaktiviert werden sollte. Das ließ mich etwas in die Tat umsetzen, was schon länger in meinem Hinterkopf präsent war.

Anfang Januar bot ich dem Elisabeth-Klinikum Schmalkalden meine Mitarbeit als Krankenschwester an. Ich wollte wenigstens irgendetwas tun können in dieser akuten Notlage. Damit kam der Stein ins Rollen: Mein psychologisches Know-how stach der Pflegedienstleiterin ins Auge, der zuständige Chefarzt setzte sich für eine Anstellung ein und der Verwaltungsleiter machte es möglich. So fand ich mich innerhalb weniger Tage auf der Isolierstation wieder. Als Krankenschwester mit spezieller Aufgabenstellung.

Im Schutzanzug ist Naseputzen unmöglich

Durch diese neue Arbeit hat sich mein  Leben verändert. Angesichts der harten Realität, in die ich nun mit eingebunden bin, ist ein Stück meiner Leichtigkeit verflogen. Dafür kam mehr Tiefgang dazu. Das erlebe ich als Bereicherung. Natürlich ist persönliches Erleben immer ganz anders als Vermutungen aus sicherem Abstand. Schon am ersten Tag hatte ich Grundlegendes zu lernen: Schutzanzug anziehen? Ja sicher. Und dabei nichts verkehrt machen. Es geht schließlich auch um meine Gesundheit. Also konzentrieren und jedes Detail beachten. Wer erst einmal im Isolierbereich ist, sollte für längere Zeit dortbleiben. Naseputzen? Ist nicht möglich. Ich frage eine routinierte Kollegin, wie sie das Problem löst. Sie zuckt die Schultern und antwortet pragmatisch: „Hochziehen“. Was die gute Kinderstube verboten hat, bleibt hier als einzige Option. Genauso wenig ist es im Isoliertrakt möglich, einen Schluck Wasser zu trinken oder zur Toilette zu gehen.

Persönlichen Bedürfnisse werden automatisch zurückgestellt, um Covid-19-Patienten zu versorgen. Die Schwestern der Station machen das seit Monaten. Obwohl ihre Erschöpfung spürbar ist, tun sie tagtäglich diese schwere Arbeit: Pflege unter widrigsten Umständen. Keine Schwester hat das während ihrer Ausbildung in dieser Form gelernt. Das Gleiche gilt für Ärzte. Auf ihnen lastet enorme Verantwortung. Und eine wirkliche Entlastung ist nicht in Sicht. Das Telefon klingelt und holt meine abschweifenden Gedanken abrupt wieder ins Stationsgeschehen.

Patienten müssen mit Folie abgedeckt werden

Eine neue Patientin wird angekündigt für das eben freigewordene Bett. Zwei Schwestern ziehen los. Beim ersten Mal erschütterte der Vorgang mich noch: Der infektiöse Patient muss mit Folie im Bett oder Rollstuhl abgedeckt werden. Für sein Gesicht bekommt er behelfsmäßig ein Loch eingerissen. Auf diese Weise von vermummten Schwestern abgeholt werden, bedeutet seelischen Stress für die Menschen. Sie kommen über die Notaufnahme, von anderen Stationen oder werden im ambulanten Bereich „rausgefischt“. Wenn sich dann die Tür der Isolierstation hinter dem Patienten schließt, ticken die Uhren anders. Das Personal lässt sich nur noch über die Stimme oder über die Art der Bewegung wiedererkennen. Den schnellen Sprung ins Zimmer, um nach dem Rechten zu sehen, etwas nachzufragen oder auf die Klingel zu reagieren, gibt es auf der Isolierstation nicht.

Seltsame Behauptungen von Mitbürgern

Ärzte und Schwestern können nur ratlos den Kopf schütteln, wenn Mitbürger behaupten, es wäre alles nicht so arg und es gäbe keine Übersterblichkeit. Dabei wäre es doch ein Leichtes, Ärzte und Schwestern zu befragen, die tagtäglich mit dieser Thematik zu tun haben. Doch offensichtlich benutzen manche Menschen lieber andere Quellen. Solche Behauptungen reichen bis auf die Isolierstation. Schwestern erzählten mir, dass sie da schon krasse Episoden erlebt hätten. Es gab tatsächlich Patienten, die sich lächerlich machten über die notwendigen Schutzmaßnahmen. Das stelle man sich vor: Ausgerechnet die Menschen bekommen das an den Kopf geworfen, die sich selbst in Gefahr begeben, um die Ignoranten vor den schlimmsten Folgen zu schützen.

Corona ist fies

Meine eigene Sicht auf das Virus ist im letzten Jahr mitgewachsen. Ende März 2020 hatte ich mein druckfertiges Buch „Unvollkommen glücklich – Vom Mut, ich selbst zu sein“ um ein aktuelles Kapitel ergänzt. Darin geht es um Mut in unsicheren Zeiten und es gibt erste Coronabezüge. Schon damals flößte mir das Virus Respekt ein. Gleichzeitig waren Zuversicht und Gottvertrauen immer meine Begleiter. Auf der Isolierstation steht mir nun deutlich vor Augen, was ich vorher eher mit dem Kopf verstanden hatte: wie tückisch und unberechenbar dieses Virus ist. Und wie massiv es unseren Anspruch auf ein Leben nach eigenen Vorstellungen hinterfragt. Ich erlebe nun ganz existenziell, was ich damals aus der psychologischen Perspektive so beschrieb: „Kaum etwas hilft uns mehr aus emotionaler Bedrückung, als etwas Sinnvolles tun zu können. Für uns und für andere.“

Als bunt zusammengewürfeltes Team funktionieren

Es fühlt sich einfach richtig an, hier zu sein als Ansprechpartnerin für medizinisches Personal. Die Ärzte nutzen dies im Rahmen von regelmäßigen Teamsupervisionen. Mit Schwestern ergeben sich die besten Gespräche beim gemeinsamen Arbeiten. Immer schwingen dabei persönliche Belastungen mit. Die eine hat Trouble in der Familie. Der andere macht sich Gedanken darum, wie sein Zwölftklässler demnächst das Abitur bewältigen wird. Leiharbeitskräfte sind weit weg von Zuhause und wissen nicht, wie sie die Freizeit in unserer derzeit „schlafenden“ Kleinstadt nutzen können. Unser Team auf der Isolierstation ist bunt zusammengewürfelt aus Pflegerinnen und Pflegern, die bereit gewesen sind, sich dort einsetzen zu lassen. Es stellt die Beteiligten täglich vor Herausforderungen, Hand in Hand zu arbeiten, ohne als echtes Team zusammengewachsen zu sein.

Ein Brief muss reichen

Ich komme mit einer unserer neuen Patienten, Frau Sch., ins Gespräch. Sie erzählt mir, dass ihr Mann ebenfalls im Haus liegt und noch gar nicht weiß, dass sie nun auch eingeliefert wurde. Nun will sie ihn besuchen – unmöglich. Ein weißes A4-Blatt hilft weiter. Die Patientin diktiert, ich schreibe. Gemeinsam suchen wir passende Worte, um den herzkranken Mann gleichzeitig informieren und beruhigen zu können. Der letzte Satz sprudelt aus Frau Sch. heraus: „Wir drücken uns gegenseitig die Daumen, dass wir noch viele schöne Stunden mit unseren Enkeln erleben können. Deine J.“ Anschließend bringe ich den Brief auf die andere Station. Ich darf ins Zimmer des Patienten. Er liegt zusammengerollt in seinem Bett. Die Langeweile lässt er gern unterbrechen. Nachdem ich den Brief vorgelesen habe, reiche ich ihn Herrn Sch. Er steckt das gefaltete Blatt mit einer raschen Bewegung unter sein Kopfkissen. In seinen Augen schimmern Tränen.

Ich möchte es den Menschen leichter machen

Natürlich gibt es Situationen, in denen auch ich nicht weiß, was ich sagen oder tun soll. Dann gebe ich trotzdem, was ich habe: ein offenes Ohr, ein weites Herz und den einen oder anderen weiterführenden Gedanken. Ich mag den Leitspruch der Pastorin Monika Deitenbeck-Goseberg, die kurz vor Ausbruch der Pandemie in Deutschland verstarb. Sie sagte immer wieder: „Wir sind dazu auf der Welt, um es anderen leichter zu machen zu leben, zu lieben, zu leiden und zu glauben.“ Wie weise. So zeigt sich Christsein von der besten Seite. Deshalb bin ich gern dabei. Ich möchte es Menschen leichter machen – Patientinnen und Patienten, Ärztinnen und Ärzten, Schwestern und den Verantwortlichen des Hauses. In unserer Menschlichkeit sind wir alle gleich bedürftig nach Zuspruch, Wertschätzung und Unterstützung. Als der Verwaltungsleiter unter seine Mail den kurzen Satz schrieb: „Schön, dass Sie bei uns sind“, war das eine echte Bestätigung für mich.

Abschied von Frau W.

Als ich Frau W. beim nächsten Dienst wieder aufsuche, liegt sie im Sterben. Leise singe ich ihr noch einmal das Lied vor – „Der Mond ist aufgegangen.“ Ich habe den Text inzwischen aufgefrischt. Frau W. öffnet die Augen und wendet mir ihr Gesicht zu. Später will sie nur noch, dass ich still bei ihr bleibe und ihr die Hand halte. Zwischendurch sagt sie ein paar Mal: „Du bist ein liebes Mädchen!“ Gerührt antworte ich ihr: „Und Sie sind eine freundliche Frau.“ Ihre Hand hält mich fest, sobald ich eine kleine Bewegung mache, um mich leise zu entfernen. Ich schmunzle und bleibe noch länger sitzen. Später frage ich sie: „Darf ich Ihnen noch einmal die Lippen anfeuchten?“ „Gerne.“ Ihre Hand löst sich. Mit einem Stielschwämmchen wische ich Frau W. vorsichtig über die Lippen. Dann streichle ich sie zart und verlasse mit einem Segensgebet im Herzen leise das Zimmer.

Christina Ott ist Psychologische Beraterin. 2020 hat sie ihr Buch „Unvollkommen glücklich – Vom Mut, ich selbst zu sein“ (Francke) veröffentlicht.

Auf zum Meer

Zwischen Windeln wechseln und Silben schwingen
schau ich zum Fenster raus.
Seele atme auf!
Schwingt sich hinaus,
Raus!
Aus dem Haus.
In diese Welt,
die im Stillstand liegt
und nicht weiß, wie sie diese Krise besiegt.
Eingesperrt im Hier und Jetzt.
Innerlich verletzt.
Aber meine Seele traut sich zu reisen.
Über die Grenzen hinaus
mit Reisefieber im Gepäck.
Ohne Angst sich anzustecken.
Über die Häuser, Wiesen hinweg.
Sehnsüchtig sucht sie nach Abwechslung –
Wechselt Tapete gegen Straßen
Straßen gegen Frischluft
Frischluft gegen Meeresbrise
Meeresbrise mit Ruhe.
Ich atme ein, ich atme aus.
Lausche den Wellen.
Ruhe findet sich am Strand.
Liegend zwischen Wellentoben
mit Cocktail in der Hand
und in der anderen ein Buch.
Such, such nach ihr, der Stille!
Ich atme ein, ich atme aus
Stille.
Stille!
Stille?
Stille, die mich aufhorchen lässt und zurück zieht, ins heimische Nest.
Ein Schrei!
„Oh, nein!“
Die Schere!
Sie lag nicht am gewohnten Platz
und nun sind sie ab.
Das Chaos perfekt.
Ich hab deine Haare auf dem Boden entdeckt.
„Mama ab!“
Du strahlst mich an.
Und Windel voll,
na toll!
Ich atme ein, ich atme aus!
und sage nur:
„Ich kehr sie weg!“
Unter den Teppich damit.
Wie den Rest dieser Tage,
wo ich mich frage:
„Was soll ich als erstes, zweites, drittes … ständig tun?“ , anstatt
„Seele, was brauchst du, um auszuruhen?“
Sehnsucht nach der Weite!
Sehnsucht nach mehr.
Ich atme ein und atme aus.
Nehme dich in den Arm,
schwing dich leise hin und her.
Lausche den Worten, sie klingen,
wenn sie erzählen von fernen Ländern und Meer.
Seele, du musst schwingen!
So rufen wir gemeinsam:
„Hinaus, inaus im Sauseschritt.“
Lassen To-dos und volle Windeln zurück.
Winken dem Chaos:
„Auf Wiedersehen!“
Jetzt müssen wir gehen.
Atmen ein, atmen aus.
Rennen los.
Der Seele hinter her.
Hand in Hand in Richtung Meer.

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Homeschooling: Es ist nicht alles schlecht

Der digitale Unterricht bringt für Schülerinnen und Schüler, Lehrkräfte und Eltern viele Herausforderungen. Aber er birgt auch Chancen.

Noch immer dürfen viele Schülerinnen und Schüler nicht in die Schule und lernen via Distanzunterricht von zu Hause aus. Teilweise hat es lange gedauert, bis das auch einigermaßen funktionierte. Bei Eltern kann schnell die Frage aufkommen: „Verpasst mein Kind wichtige Lerninhalte?“ Das muss nicht unbedingt der Fall sein – ob das Lernen von zu Hause aus klappt, hängt von vielen Faktoren ab.

Homeschooling: Probleme an Haupt- und Realschulen

Längst läuft nicht immer alles gut beim Homeschooling: Eltern sitzen überfordert im Homeoffice und müssen zusätzlich ihre Kinder beim Unterricht begleiten. Nicht alle Schülerinnen und Schüler haben einen funktionstüchtigen Laptop zu Hause oder bekommen einen von der Schule gestellt. Janine Weber (Name geändert), Gymnasiallehrerin für Biologie und Sport und Klassenlehrerin einer 5. Klasse, weiß beispielsweise von Kolleginnen, die dem Großteil ihrer Schülerinnen und Schüler deswegen die Arbeitsblätter regelmäßig nach Hause bringen. Gerade an Haupt- und Realschulen gäbe es oft Motivationsprobleme, besonders die Teenager würden manchmal den ganzen Tag verschlafen. Und auch unter den Lehrkräften gäbe es ab und zu schwarze Schafe, sagt sie. Manche hätten einfach aufgegeben und würden nicht einmal versuchen, Videokonferenzen anzubieten.

Lehrkräfte lernen technisch hinzu

Trotzdem hat die Pandemie den Fortschritt in Sachen digitaler Bildung deutlich beschleunigt. Die Professorin für Didaktik der Informatik Ira Diethelm freut sich beispielsweise darüber, dass der digitalen Bildung endlich mehr Augenmerk geschenkt wird: „Alle konzentrieren sich gerade gleichzeitig auf ein Thema. Das bringt tatsächlich Dynamik in die Sache und man gelangt auch schneller zu Entscheidungen, wie zum Beispiel Tablets für Lehrkräfte und Schülerinnen und Schüler zur Verfügung zu stellen.“

Nach fast einem Jahr Ausnahmezustand wäre nun auch genügend Zeit vorhanden, neue Gewohnheiten zu entwickeln und Expertise aufzubauen. „Die meisten Lehrkräfte sind in ihrer technischen Kompetenz weitergekommen und haben positive Erfahrungen damit gemacht. Das ist ganz wichtig, um nachhaltig eine Veränderung zu erreichen, egal in welchem Zusammenhang“, meint Diethelm.

Experimente via Handy

Janine Weber hatte schon vor Corona ihr ganzes Arbeitsmaterial digitalisiert. „Ich arbeite schon ewig mit einer Tafelbildsoftware, das kommt mir jetzt zugute“, berichtet die Gymnasiallehrerin. Ihr Unterricht ist praxisorientiert, sie arbeitet viel mit Experimenten, die die Kinder zu Hause aus Alltagsmaterialien nachmachen können.

Da sie die Versuche nicht mehr in der Schule durchführen kann, dreht sie nun mit ihrem Handy Videos, die sie in die Präsentation einbaut. Zu Beginn des Distanzunterrichts hatte sie Respekt vor der Aufgabe und konnte sich den dauerhaften Online-Unterricht nicht richtig vorstellen. „Aber jetzt bin ich total begeistert davon. Ich hätte nie gedacht, dass das so gut laufen kann“, sagt sie zufrieden. Ungefähr 90 Prozent ihres Unterrichts kann sie wie geplant umsetzen. Das liegt auch daran, dass sie am Gymnasium unterrichtet und die Kinder den nötigen Ehrgeiz mitbringen. Zudem sind die Eltern ihrer Klasse sehr kooperativ und unterstützen beim Distanz-Unterricht.

Schwache Schüler profitieren manchmal vom Homeschooling

Für manche Kinder scheint der Online-Unterricht sogar besser als der reguläre Unterricht zu funktionieren. Janine Weber erzählt von einigen leistungsschwachen Schülern, die plötzlich viel besser abschneiden, weil sie zu Hause nicht so stark abgelenkt werden. „3- Schüler sind auf einmal im Einserbereich. Das sind die positiven Effekte“, berichtet die Lehrerin. Auch Ira Diethelm sieht Chancen im Distanz-Unterricht: „Schüchterne Schülerinnen und Schüler, die sich sonst nicht gerne melden und keine vermeintlich dumme Frage stellen wollen, können ihre Fragen nun per Mail oder Chat stellen. Das ist für manche leichter.“

Alexandra von Plüskow-Kaminski, Bildungskoordinatorin im Landkreis Heidekreis, gibt außerdem zu bedenken, dass es beim Lernen nicht immer nur um den konkreten Lerninhalt geht: „Bei den Kindern ist viel Lernzuwachs an anderer Stelle zu beobachten. Zum Beispiel beim Erstellen von Power-Point-Präsentationen und Podcasts für den Unterricht.“

Dialog ist besonders wichtig

Was aber können Eltern tun, wenn das Homeschooling bei ihrem Kind nicht so gut klappt wie erwartet? Frau von Plüskow-Kaminski rät, zunächst einmal mit der Klassen- oder Fachlehrkraft des Kindes zu sprechen: „Der Dialog ist besonders wichtig und dass alle Beteiligten in die Schuhe des anderen schlüpfen, um die Situation auch aus anderen Blickwinkeln zu betrachten.“ Grundsätzliche Herausforderungen, die vielleicht die ganze Schule betreffen, könnten dann auch mit der Schulleitung besprochen werden.

Vieles liegt in Sachen Homeschooling immer noch im Argen. Die Bildungsschere zwischen denen, die über die nötige technische Ausstattung verfügen und von ihren Eltern begleitet werden, und denen, die keine Unterstützung bekommen, wird immer größer. Trotzdem bemüht sich ein Großteil der Lehrkräfte nach bestem Wissen und Können, den Herausforderungen des Distanz-Unterrichtes gerecht zu werden. Janine Weber versucht zum Beispiel, ihre zögerlichen Kolleginnen und Kollegen für den Video-Unterricht zu motivieren, und merkt, wie die Zurückhaltung nachlässt: „Langsam trauen sich immer mehr. Am Anfang habe nur ich Videokonferenzen gehalten, jetzt hat meine Klasse jeden Tag Online-Unterricht.“

Sarah Kröger ist freie Journalistin und Projektmanagerin und bloggt unter neugierigauf.de zu Themen wie Familie, Digitales, Arbeit, Soziales und Nachhaltigkeit.

18 werden sie nur einmal…

Lange fiebern Jugendliche auf diesen Tag hin: endlich erwachsen, endlich volljährig! Juliane Just gibt Anregungen, wie man diesen besonderen Tag angemessen würdigen kann – auch in Zeiten von Corona.

Nicht nur das Geburtstagskind selbst – auch Eltern, Freunde und Verwandte planen oft lange im Vo-raus, wie der 18. Geburtstag gefeiert werden kann. In der Regel gibt es eine Party, Familie und Freunde kommen. Vielleicht trinkt man endlich den Wein, den der Vater vor 18 Jahren zur Geburt des Kindes gekauft hat. Oder besucht den damals gepflanzten Baum. Aber auch wer nicht so vorausschauend war und bereits bei der Geburt für das Erreichen der Volljährigkeit vorgesorgt hat, kann diesen Geburtstag zu etwas ganz Besonderem machen. Und trotz Corona-Einschränkungen ist es möglich, einen 18. Geburtstag zu feiern, der für bleibende Erinnerungen sorgt.

Vorab zwei Denkanstöße: Ein 18. Geburtstag kann eine ganze Menge Druck erzeugen, sowohl beim Geburtstagskind als auch bei den Menschen, die die Feier ausrichten. Erwartungen, Wünsche, Träume, Hoffnungen – all das kann den Tag überfrachten und verderben. Ich finde es wichtig, die Wünsche und Vorstellungen des Geburtstagskindes in Erfahrung zu bringen und zu respektieren. Welchen Schwerpunkt die Geburtstagsfeier haben soll, ist recht individuell, und es ist wichtig, die Grundrichtung gemeinsam festzulegen.
Als zweites möchte ich dafür plädieren, die Feier nicht einfach sang- und klanglos auf die Zeit „nach Corona“ zu verschieben. Natürlich darf und soll die große Party nachgeholt werden, sobald es möglich ist. Trotzdem ist es wichtig, den eigentlichen Tag angemessen zu begehen.

Kreative Geschenke

Rituale nachholen

Wein gekauft, Baum gepflanzt – alles, was man vor 18 Jahren nicht getan hat, kann man nachholen. Natürlich wäre der Zeitpunkt vor 18 Jahren cool gewesen, aber der zweitbeste Zeitpunkt ist jetzt. Also nicht das „Versäumnis“ bedauern, sondern jetzt die Gelegenheit ergreifen: Pflanzt den Baum, kauft den Wein oder was es sonst für Rituale und Ideen gibt.

Eine Lebenserinnerung zusammenstellen

Das geht auf verschiedene Weisen:

Vor 18 Jahren wurde schon gefilmt, zunehmend auch digital. Neben den stolzen Eltern sind es oft Oma und Opa, die Filmmaterial über ihr Enkelchen zusammengetragen und aufbewahrt haben – zu feierlichen Meilensteinen, Schulaufführungen oder im Alltag. Daraus kann ein Film werden, der das Leben des Geburtstagskindes liebevoll begleitet. Das hat natürlich eine Menge Peinlichkeitspotenzial, da ist Feingefühl gefragt.
Fotos lassen sich ähnlich verarbeiten. Ein Rundruf in der Verwandtschaft, bei Paten und Freunden sorgt für Material über die familieninternen Bilder hinaus. Die Fotos kann man auf eine Leinwand als Diashow projizieren oder ein Fotobuch oder -album erstellen. Ein analoges Album hat den Vorteil, dass man es immer noch mal zur Hand nehmen und durchblättern kann.
Denkbar ist auch eine Foto-Collage mit einem Foto aus jedem Lebensjahr. Hier wird auf einen Blick die Entwicklung des Kindes sichtbar.

Album der Wertschätzung

Bekannte baten für den 18. Geburtstag ihrer Tochter da-rum, dass alle ein persönliches Blatt gestalten mit Gedanken oder Erlebnissen und dem, was sie am Geburtstagskind lieben. Aus diesen einzelnen Blättern haben die Eltern ein Buch zusammengestellt und es ihrer Tochter am Geburtstag überreicht.

Video der Begegnungen

Andere Eltern haben zusammen mit Freunden des Kindes ein Video aus eher aktuellen Filmschnipseln zusammengestellt. Das spiegelt zwar keinen Entwicklungsverlauf wider, zeigt aber sehr schön ein Blitzlicht des 18-jährigen Ist-Zustands.

Mit Einschränkungen feiern

Viele Jugendliche entscheiden sich dafür, die große Party zu verschieben auf eine Zeit ohne Kontaktbeschränkungen und Hygieneregeln. Das ist okay, solange es für das Geburtstagskind okay ist. Aber es gibt Alternativen:

Virtuelles Essen

Alle Partyteilnehmer kochen jeweils zu Hause und essen auch dort – verbunden per Videokonferenz. Jeder bereitet das gleiche Essen vor, man erzählt und lacht miteinander und verspeist seine Eigenkreation vor dem Bildschirm. Eine charmante Alternative, bei der erfreulich viel Stimmung aufkommt. Rechtzeitig vorher können Rezepte oder gleich ganze Zutatenpakete verschickt werden.

Filmabend

Einige Anbieter haben es mittlerweile standardmäßig im Programm, dass man sich mit anderen zusammenschaltet und einen gemeinsamen Chat hat, während man einen Film schaut. Alternativ kann man eine Telefonkonferenz schalten und so gemeinsam den Film schauen und quatschen. Auch hier ist es nett, wenn zum Beispiel Snacks vorher rumgeschickt werden.

Spieleabend

Ob Online Escape Rooms, Among Us oder klassische Spiele – ein digitaler Spieleabend ist witzig! Bei meinen Kindern der entsprechenden Altersgruppe ist Among Us das angesagteste Spiel – sie verabreden sich zum Spielen und schalten eine Telefonkonferenz, um dabei miteinander quatschen zu können. Es gibt aber auch kostenlose Spiele-Apps wie „Houseparty“, bei denen man sich per Video-Chat verbinden kann.

Das besondere Outfit

Nur weil die Party digital und zu Hause stattfindet, heißt das noch lange nicht, dass man in Jogginghose teilnehmen sollte. Alle stylen sich wie für einen „echten“ Partyabend und erscheinen so im Video-Chat. Screenshots und virtuelle Modenschau (wenn gewünscht) nicht vergessen!

Juliane Just lebt mit ihrer großen Patchworkfamilie in der Nähe von Berlin. Sie ist Kreisbeauftragte für die Arbeit mit Kindern im Kirchenkreis Neukölln, unterrichtet Religion und macht musikalische Früh-erziehung. Als Juliane Jacobsen schreibt sie Kinderbücher.

Zwischen Windeln und Silbenschwingen

Eindrücke aus dem Homeschooling

Ich habe den Überblick verloren. Irgendwo zwischen Bad und Küche ist er mir abhandengekommen. Gerade bin ich von hier nach da gelaufen und wollte – was eigentlich? Überall liegt etwas. Meine Gedanken springen von einem zum anderen und die Kinder mittendurch. Was wollte ich tun? Wäsche aufhängen? Den Kuchen in den Kühlschrank stellen? Brei auftauen oder die Staubflusen davor retten, im Mund des Krabbelkindes zu verschwinden? Kochen wäre jetzt wahrscheinlich das dringendste. Aber es kommt noch eine unangenehm riechende Windel dazwischen. Im selben Moment ist leider „Teams“ abgestürzt, und die Sechsjährige ruft leicht panisch nach mir, weil die Gesichter in der Homeschooling-Videokonferenz sie alle nur noch wie stumme Fische anstarren.

Wo wir schon beim Thema Schule sind: An Rosenmontag ist übrigens schulfrei. Also kein „Guten Morgen Frau Maurer, Guten Morgen Lene, Guten Morgen Frau Maurer, Guten Morgen Frau Maurer, Guten Morgen Anton“ aus dem Kinderzimmer. Und an Faschingsdienstag dürfen sich die Kinder verkleidet vor den Laptop setzen … Sooo besonders finde ich das jetzt gar nicht. Meine Tochter lag auch schon im Bett vor der Videokonferenz, weil die Lehrerin gesagt hat, sie sollen es sich zum Geschichtevorlesen „ganz gemütlich“ machen. Ein anderes Mal saß sie auf der Stange ihres umgekippten Drehstuhls halb unter dem Schreibtisch, als ich ins Zimmer kam. Oder sie hatte eine Puppe, einen Teddy oder ein Barbiepferd auf Schoß oder Schreibtisch platziert, während sie über den Bildschirm gestellte Minusaufgaben löste. Heute habe ich – nicht wissend, dass sie ihr Mikro nicht mehr auf mute geschaltet hat – lautstark erklärt, dass sie den Becher mit Wasser NICHT direkt neben den Laptop stellen darf. Warum? Naja, sie hatte doch gerade noch mit mir geredet über drei Zimmer hinweg. Konnte ich ahnen, dass sie gerade drangenommen wurde?

Homeschooling. Allein darüber könnte ich inzwischen ein Buch schreiben … Aber die Zeit habe ich gerade wirklich nicht. Eigentlich wollte ich ja auch wickeln gehen. Schreiben kann ich dann noch abends auf dem Fußboden sitzend und auf den Schlaf der Kinder wartend – am Handy. Bis der Zeigefinger der rechten Hand nicht mehr tippen kann.  Einschlaftipp meiner Ältesten in diesem Moment: „Ich schwinge in meinem Kopf die Wörter und zähle die Königsbuchstaben. Dann kann ich bestimmt einschlafen.“ Wie bitte? Inzwischen verstehe ich dieses Erste-Klasse-Fachvokabular als Hilfslehrerin sogar ganz gut. Neulich hat sie sich in den Schlaf gekopfrechnet. Wie geht so etwas? Wahrscheinlich ist sie notorisch unterfordert, bewegt sich zu wenig und ist einfach nicht müde. Ich hingegen schlafe inzwischen fast auf dem Fußboden ein. Nur das Tippen hält mich noch wach. Und das Silbenschwingen von „Sche-re“.

Ein Gastbeitrag von Hannah Jesgarz

Erzieherin: So bringen Sie Ihre Kleinen zuhause in Bewegung

Wohin mit dem Bewegungsdrang der Kinder, wenn es draußen ungemütlich ist und kein Sport stattfindet? Expertin Anika Schunke hat da Ideen.

Man braucht nur zwei Dinge, um den Kleinen Bewegung zu Hause zu ermöglichen: ein bisschen Platz und flexible Eltern. Wenn es im Haus Treppen gibt, ist jetzt der richtige Zeitpunkt, Treppensteigen zu üben. Sind die Kinder sicher, kann dies spielerisch vertieft werden. Lassen Sie die Kinder verschiedene Dinge die Treppe herunterrollen und unten wieder einsammeln. Sie können auch auf die eine Seite der Treppe ein großes Pappstück legen, das als Bahn dient.

Kartons werden zum Parcours

In der Wohnung können Sie einen Parcours aus Kartons, Kissen, Hockern, Tüchern und Decken zum Rein-, Drauf- und Durchklettern, zum Runterhüpfen und Verstecken aufbauen. Spannen Sie eine Art Spinnennetz in einem Zimmer, können die Kinder darüber-, darunter- und hindurchsteigen üben. Das kann auch in den Parcours eingebunden werden. Gehen Sie den Parcours mit Ihrem Kind durch oder lassen Sie es diesen unter Beobachtung frei erkunden. Viele Kissen übereinander ergeben einen schönen Polsterberg, sind aber eine wackelige Sache. Bleiben Sie deshalb in der Nähe.

Reize wollen verarbeitet werden

Bringen Sie Brettspiele in Bewegung, indem Sie Puzzleteile oder Memorykarten im Raum verteilen, welche dann eingesammelt werden. Das klappt auch schon mit Zweijährigen, erfordert zu Beginn aber Geduld. Kuscheltiere und Puppen verstecken und suchen macht den Kleinen auch Spaß.

Für die ganz Kleinen können Sie einen Karton mit Dingen wie Raschelfolie, Glöckchen, Tüchern, Beißringen, Gummibändern bestücken, an denen sie ziehen, drehen oder kratzen können. Auch Tunnel, in die man sie hineinlegen kann, sind spannend. Achten Sie darauf, ab wann es Ihrem Kind zu viel wird. Wenn es quengelig und unruhig wird, nehmen Sie es zu sich, damit es die Reize verarbeiten kann.

Anika Schunke ist Erzieherin und bietet Bewegungskurse für Eltern und Kinder an. Sie lebt mit ihrer Familie in Eggenstein bei Karlsruhe. Sie hat das Buch „Kleine Räume, großer Spaß“ (Meyer und Meyer) geschrieben.

Homeschooling: Jetzt machen die Öffentlich-Rechtlichen Bildungsfernsehen – aber gucken die Schüler das überhaupt?

Die öffentlich-rechtlichen Sender haben ihr Bildungsprogramm erweitert, um Familien während der Schulschließungen zu unterstützen. Dabei machen sie jedoch einen entscheidenden Fehler.

Seit Montag (11. Januar) bieten ARD und ZDF ein erweitertes Fernsehprogramm an. Der Bildungskanal ARD-alpha sendet zum Beispiel wochentags von 9- 12 Uhr das Programm „Schule daheim“, der Kinderkanal KiKa reagiert mit einer Sonderprogrammierung, das ZDF erweitert sein Angebot »Terra X plus Schule« in der Mediathek und auf YouTube. Doch erreichen die Sendungen die Zielgruppe?

Simon ist 16 Jahre alt und geht in die zehnte Klasse einer privaten Gesamtschule. Über die Frage, wann er sich das letzte Mal eine öffentlich-rechtliche Informationssendung angeschaut hat, muss er länger nachdenken. „Bei Terra X habe ich schon öfter mal reingeguckt, wenn ich irgendwelche Fragen zum Unterricht habe. Das ist aber extrem selten“, sagt er dann. Den Fernseher schaltet er eigentlich nur an, wenn er Sportsendungen schauen möchte. Dass für ihn extra das Bildungsprogramm im Fernsehen erweitert wurde, interessiert ihn relativ wenig. Und selbst bei Interesse könnte er es gar nicht gucken, da er vormittags Videokonferenzen hat und für die Schule ansprechbar sein muss.

Klassisches Fernsehen kann sinnvoll sein

Gibt es also überhaupt Kinder oder Jugendliche, die von einem erweiterten linearen Bildungsfernsehen profitieren? „Ja“, sagt Markus Sindermann, Geschäftsführer der Fachstelle für Jugendmedienkultur NRW: „Auch im Jahr 2021 gibt es noch Haushalte, die über keinen oder lediglich über einen eingeschränkten Internetzugang verfügen.“ Zudem könne es an technischen Geräten fehlen, wenn es zum Beispiel nur einen Laptop im Haushalt gebe, aber mehrere schulpflichtige Kinder und Eltern, die parallel im Homeoffice arbeiten müssten. „Die Nutzungszahlen sprechen dafür, dass die linearen Angebote genutzt werden“, sagt auch die Medienwissenschaftlerin Maya Götz. Gerade Kinder und Preteens profitierten davon, denn auch im zweiten Lockdown könnten viele Schulen besonders für die Jüngeren nicht genügend Angebote auf die Beine stellen.

Wirklich gut nutzen lässt sich das klassische Fernsehprogramm allerdings nur, wenn es pädagogisch begleitet wird. Indem Eltern oder Lehrerende zum Beispiel einzelne Sendungen auswählen, die zur individuellen Lernsituation des Kindes passen. „Insbesondere bei jüngeren Kindern ist eine Begleitung durch einen Elternteil wichtig, damit über die gezeigten Inhalte gesprochen werden kann“, erklärt Markus Sindermann. Damit das Fernsehprogramm auch einen langfristigen Lerneffekt hat, sollten die Formate im Idealfall zum Mit- oder Nachmachen aufrufen.

Jugendliche nutzen vor allem Online-Videos

Je älter die Kinder werden, desto uninteressanter wird das lineare Bildungs-Fernsehen allerdings für sie. „Bei den Älteren […] wird es schon kniffeliger. Denn für den Unterricht sind die Angebote dann sinnvoll, wenn sie den ganz konkreten Lernstoff betreffen“, sagt Maya Götz. Die Chancen, dass ein Schüler in drei Stunden „Schule daheim“ den passenden Input für das anstehende Deutschreferat oder den nächsten Englisch-Test bekommt, sind jedoch verschwindend gering.

In einem der seltenen Fälle, in denen Simon Terra X guckt, schaut er es nicht im Fernsehen, sondern auf YouTube. Das Videoportal nutzt er auch, wenn er etwas für die Schule recherchieren muss. Geschichtliche Fragen lässt er sich gerne von MrWissen2go erklären, bei Problemen in Mathe schaut er sich ein Video vom YouTuber Lehrerschmidt an. Auch die Eltern von jüngeren Kindern erzählen, dass ihre Kinder vor allem auf Online-Videos zurückgreifen, wenn sie öffentlich-rechtliche Formate wie Checker Tobi oder Anna und die wilden Tiere nutzen. Umso wichtiger also, dass die Inhalte des Fernsehprogramms auch online verfügbar und gut über Suchmaschinen auffindbar sind. So kann das Wissen dann abgerufen werden, wenn es benötigt wird.

Angebote sind kaum zu finden

Zwar bauen die öffentlichen Fernsehsender ihre Online-Angebote gerade aus, aber leider wird einem die Suche nicht immer leicht gemacht. Jede Bundesanstalt hat eigene Angebote. Die meisten sind nach Themen sortiert, allerdings nur grob nach Alter. Wer gezielt nach Videos für den Matheunterricht in der 7. Klasse sucht, wird hier wahrscheinlich nicht fündig. Am übersichtlichsten strukturiert ist da noch das Lernangebot der BR-Mediathek „Schule Daheim“. Und leider ist auch die Auffindbarkeit durch die Suchmaschinen noch nicht optimal, berichtet Maya Götz: „Hier sind die Wissensinfluencer*innen und kommerziellen Anbieter den öffentlich-rechtlichen Anbietern in Sachen Suchmaschinenoptimierung zurzeit etwas voraus, sodass deren Angebote schneller gefunden werden.“

Grundsätzlich ist der Ausbau der Bildungsangebote von ARD und ZDF, vor allem der ihrer Online-Mediatheken, ein tolles Angebot mit viel Potential – auch für die Zeit nach Corona. Simon lernt gerne mit Videos: „Videos gucken ist tatsächlich oft einfacher. Wenn ich nach acht Stunden aus der Schule komme, dann hab ich nicht mehr Bock, zuhause auch noch zu lesen.“ Jetzt müssen diese Angebote nur noch besser gefunden werden.

Sarah Kröger ist freie Journalistin und Projektmanagerin und bloggt unter neugierigauf.de zu Themen wie Familie, Digitales, Arbeit, Soziales und Nachhaltigkeit.

Eine Übersicht zu allen Bildungsprogrammen der ARD gibt es auf einer extra Seite.