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Partner fürs Leben: Paar-Expertin verrät, wie die Beziehung glücklich bleibt

Den Partner fürs Leben finden! Das wünschen sich viele. Aber ist der Traum von der ewigen Liebe nicht der Stoff für kitschige Liebesromane? Nein, sagt Psychologin Tabea Müller und gibt Tipps, wie die Liebe im Alltag lebendig bleibt und ein Leben lang halten kann.

Es war ein Novembertag in Paris, als er niederkniet und die Frage aller Fragen stellt. „Jaaaaa!“, antworte ich. Er steckt mir einen Ring an. Wir küssen uns, lachen erleichtert. Nur wenige Schritte entfernt erfüllt ein Straßenmusiker die Luft mit Geigenklängen. Zu unseren Füßen liegt Paris mit seinen verwinkelten Gassen und unendlichen Möglichkeiten – wie ein Spiegel unserer gemeinsamen Zukunft. Der Partner fürs Leben – der Traum ist zum Greifen nahe.

Der perfekte Moment

Nicht nur der Moment schien perfekt, sondern auch der Mann an meiner Seite. Mein kleines Herz konnte das große Glück gar nicht fassen, dieses vor uns liegende gemeinsame Abenteuer, das für immer halten sollte.

Niemals zuvor war ich mir einer Entscheidung so sicher wie in jenem Augenblick, auf den Stufen von Sacré-Cœur vor einem Dutzend Jahren. Ja, ich wollte seine Frau werden. Er sollte mein Mann werden. Mein one and only, mein Partner fürs Leben. Der, der besser zu mir passt als alle, die bisher meinen Weg gekreuzt haben. Auch wenn wir beide nicht perfekt sind, füreinander sind wir es – oder werden es jeden Tag ein Stückchen mehr. Und noch immer bin ich überzeugt, die richtige Wahl getroffen zu haben.

Der Traum von der ewigen Liebe

Der Traum von der ewigen Liebe ist zeitlos – der Wunsch, den einen Partner fürs Leben zu finden, begleitet die Menschheit durch alle Generationen hindurch. Auch heute noch wollen 67 Prozent der „Generation Z“ laut einer österreichischen Jugendstudie einmal heiraten. Kein Wunder, denn die positiven Auswirkungen sind enorm: Glücklich Verheiratete leben zum Beispiel im Durchschnitt vier bis acht Jahre länger als unglücklich verheiratete oder geschiedene Paare. Sie haben mehr natürliche Killerzellen in ihren weißen Blutkörpern und sind dadurch weniger anfällig für Krankheiten.

Die tatsächliche Zahl der Eheschließungen sinkt trotzdem seit 1950 stetig. Das kann an der erschlagenden Auswahl an potenziellen Partnern liegen, die wir dank Internet inzwischen weltweit haben. Aber auch an unseren Erwartungen, die höher sind als je zuvor. Als ich meine Oma fragte, wie sie sich unter ihren Verehrern für meinen Opa entschieden hatte – ich wusste, dass es mehrere Anwärter gab –, antwortete sie: „Er hatte ein Motorrad.“

Partner fürs Leben und veränderte Ansprüche

Ein Motorrad! Das hätte heute bei Weitem nicht gereicht. Wir sehnen uns nach dem einen Menschen, der uns so sehr in seinen Bann zieht, dass uns alle anderen völlig egal sind. Wir träumen von einer Zukunft, in der wir alles teilen, beste Freunde, anregende Gesprächspartner und leidenschaftliche Liebhaber sind. Und wir wollen, dass eine einzige Person all unsere oft widersprüchlichen Bedürfnisse erfüllt – sei es Nähe, Freiheit, Verbundenheit und Erotik. Die Psychologin Esther Perel bringt es auf den Punkt: „Heute erwarten wir von einem Partner fürs Leben, was früher ein ganzes Dorf geleistet hat – und wir leben doppelt so lang wie damals.“ Kein Wunder, dass Enttäuschungen kommen, wenn wir uns diese Erwartungen nicht bewusst machen.

Den one and only kann es trotzdem geben, davon bin ich überzeugt und mit mir alle, die heutzutage noch heiraten wollen. Dabei hat das gar nicht so viel mit diesem Jemand zu tun, sondern damit, wie wir ihn oder sie wahrnehmen und behandeln. Der one and only bekommt von uns den Stellenwert, wichtiger zu sein als alles andere in unserem Leben. Diese Person ist die einzige Familie, die wir uns aussuchen können. Wir lieben sie und behandeln sie dementsprechend wie etwas ganz Wertvolles. In den ersten zwei Jahren ist das auch easy, denn da sind wir vollgepumpt mit Liebeshormonen, wie auf Drogen. Wir vergeben kleine Macken, finden sie vielleicht sogar süß. Pendeln sich die Hormone nach geraumer Zeit wieder im Normalbereich ein, stören uns Eigenheiten immer mehr. Zudem haben wir uns an die Gegenwart des Partners oder der Partnerin gewöhnt und nehmen sie oder ihn für selbstverständlich.

Was eine glückliche Ehe ausmacht

Wenn wir das Agieren unseres Partners zudem als persönliche Angriffe empfinden – was selten wirklich der Fall ist –, schleichen sich nach und nach negative Gefühle ein, und die Beziehung gerät in einen Abwärtsstrudel. Wir gehen in Gegenangriff, der Rosenkrieg beginnt: Einer kritisiert, der andere verteidigt sich, findet für jedes Fehlverhalten einen Grund. Wenn der Kritisierende auf seinem Standpunkt beharrt und mit verächtlichen, sarkastischen Bemerkungen reagiert, zieht sich der andere meist stillschweigend zurück. Gar nicht mal böswillig, sondern aus Selbstschutz vor der Flut an negativen Gefühlen, die eine leichte, humorvolle Wendung der Situation unmöglich machen.

Kritik, Verachtung, Rechtfertigung, Rückzug: Das sind laut dem Psychotherapeuten John Gottman die vier apokalyptischen Reiter, die das Ende einer Ehe ankündigen. Seit einem halben Jahrhundert erforscht er mit seinem Team im „Liebeslabor“ in Seattle Ehen und liefert beeindruckende Ergebnisse. Nicht nur können sie nach einer kurzen Beobachtungsphase mit einer Wahrscheinlichkeit von 95 % vorhersagen, ob sich ein Paar im Laufe seines Lebens scheiden lassen wird, viel wichtiger: Sie fanden auch heraus, was glückliche Ehen ausmacht. Denn auch glückliche Paare streiten – aber sie haben Strategien, die verhindern, dass Konflikte eskalieren. Kleine Rettungsversuche wie ein humorvoller Kommentar oder eine Entschuldigung wirken wahre Wunder. So kann das Stresslevel im Streit sinken und eskaliert nicht. Aus all seinen physiologischen Messungen und Beobachtungen siebte Gottman sieben Geheimnisse heraus, die glückliche Paare gemeinsam haben. Ich habe mir erlaubt, diese ein bisschen zu würzen.

7 Tipps für glückliche Paare

1. Gefährten

Glückliche Paare sind beste Freunde. Sie wissen, was den anderen gerade beschäftigt, wovon er träumt oder was ihn belastet.

Konkret: Geh nicht schlafen, bevor du weißt, wie es deinem Partner heute erging und was er oder sie erlebt hat. Erwarte stets, dass er/sie dir etwas erzählt, was du so nicht erwartet hast. Falls das nicht der Fall ist, stell kreativere Fragen.

2. Verehrer

Selbst nach vielen Ehejahren bewundern und respektieren glückliche Paare einander und erzählen ihre gemeinsame Liebesgeschichte positiv und detailliert.

Konkret: Behandle deinen Partner so respektvoll wie einen Kunden und gib ihm am Ende des Tages nicht nur deine müden „Reste“. Würdest du mit ihr oder ihm genauso umgehen, wenn dein Chef oder Jesus selbst zu Gast wäre? Merkt der andere, dass er oder sie dir kostbar ist?

3. Cheerleader – oder Anästhesisten

Glücklich Liebende wenden sich einander zu, kommen in der Gegenwart des anderen zur Ruhe und bauen im Gespräch den Stress des Tages ab. Egal, was passiert ist, sie stärken einander den Rücken.

Konkret: Kommt dein Partner bei dir zur Ruhe und kann entspannen? Falls nicht, hilft: Handy weglegen, aktiv mit Augenkontakt zuhören und Verständnis äußern. Dazu eine ordentliche, nicht zu sanfte Massage und der Stress fühlt sich definitiv unwohl.

4. Influencer

Glückliche Paare lassen sich vom anderen beeinflussen und schätzen ihre oder seine Sichtweise und Expertise.

Konkret: Werde selbst zum Traumpartner und zeige dich von deiner besten Seite. Dabei hilft folgende Frage: Bin ich jemand – gesund, produktiv, sauber, großzügig, ehrlich und geduldig –, mit dem man unbedingt zusammenbleiben möchte? Dann ist der andere nämlich mit Sicherheit auch offen für deine Ideen.

5. Harte Weicheikocher

Die nicht lösbaren Konflikte – das sind übrigens zwei Drittel –, die es in jeder Beziehung gibt, lassen glückliche Paare stehen und akzeptieren, dass sie Teil ihres gemeinsamen Lebens sind. Die lösbaren Konflikte lösen sie.

Konkret: Unterstelle deinem Partner NIE eine böse Absicht, höchstens Unachtsamkeit oder Unwissenheit. Dazu gehört auch, nicht aufzurechnen. 50:50 ist eine nette, aber unrealistische Idee von Beziehung, manchmal sind es 100:100, manchmal 80:20, manchmal 30:30 … Das Energielevel schwankt und das ist okay.

6. Diplomaten

Auch bei Konflikten, die zu Patt-Situationen führen, bleiben sie im Gespräch. Sie versuchen, die Grundmotivation des anderen hinter dem Standpunkt zu verstehen, bauen im Gespräch durch Rettungsversuche Stress ab und halten die nicht verhandelbaren Aspekte so gering wie möglich.

Konkret: Oft steckt irgendeine Angst hinter nicht verhandelbaren Standpunkten. Wenn du dazu neigst, ängstlich zu sein, versuche mutiger zu werden und dir häufiger die bestmöglichen Szenarien vorzustellen. Neurotizismus ist einer der wenigen Charakterzüge, die mit einer unglücklichen Ehe einhergehen.

7. Sinnfluencer

Durch Zukunftsträume, Finanzpläne oder Gottmomente im Alltag haben sich glückliche Paare einen gemeinsamen Sinn geschaffen. Wiederkehrende Familienrituale wie das gemeinsame Planen von Kindergeburtstagen oder ein ganz besonderer Ablauf an Heiligabend verbinden und definieren ein Wir-Gefühl.

Konkret: Nehmt euch Zeit und schreibt auf, was ihr in 1/3/10 Jahren besitzen sowie gelernt und erlebt haben möchtet. Dann fangt an, eure gemeinsamen Nenner probezuleben.

Lass dich von dieser Masse nicht erschlagen. Sie soll lediglich als Inspiration dienen, ganz nach dem Motto: „Das Gute behaltet.“ Vieles liegt in deiner Hand und du musst nicht warten, bis sich dein Partner oder deine Partnerin verändert.

Tabea Müller ist Psychologin und lebt mit ihrer Familie bei Karlsruhe. tabeasarah.de

Partnerschaft eintönig? Vielleicht ist es eine „Bierdeckelallianz“

Gleiche Hobbies, gleicher Freundeskreis, alles gemeinsam machen. Eine solche Partnerschaft wird irgendwann eintönig. Paarexperte Marc Bareth nennt das eine „Bierdeckelallianz“ und erklärt, wie neuer Schwung in die Partnerschaft kommt.

Herr und Frau Flückiger verbindet eine innige Beziehung. Sie haben jung geheiratet und sind nicht nur Ehepartner, sondern auch beste Freunde. Sie verbringen gerne ihre Freizeit zusammen und haben einen großen gemeinsamen Freundeskreis. Doch schleichend wurde die Partnerschaft eintönig.

Wie ein gedrosselter Sportwagen

Dennoch hat sich bei den Flückigers in den letzten Jahren eine gewisse Unzufriedenheit mit ihrer Partnerschaft breitgemacht. Frau Flückiger beklagt immer öfter, dass ihr Ehealltag eintönig sei. Sie vermisst das Neue, das Überraschende in ihrer Beziehung. Und Herr Flückiger empfindet seine Ehe zunehmend als anstrengend. Sie entzieht ihm Energie. Kürzlich hat er einem Freund anvertraut, dass er sich zu Hause wie ein Sportwagen fühlt, dessen Motor auf 80 km/h gedrosselt ist.

Eine solche Partnerschaft nenne ich eine Bierdeckelallianz. Sie sind wie zwei Bierdeckel, die sich aneinanderlehnen. Sie stützen sich gegenseitig und können dank dem anderen stehen. Sie brauchen einander, denn gemeinsam schaffen sie, was jeder für sich nicht schafft. Zwei aneinandergelehnte Bierdeckel sind aber auch voneinander abhängig. Keiner darf sich zu fest bewegen, verändern oder gar wachsen, sonst könnte das Ganze einstürzen.

Das erlebt das Ehepaar Flückiger. Weil beide nicht allein durchs Leben gehen können, klammern sie sich aneinander und suchen die Verschmelzung. Das führt dazu, dass sich ihr Leben zunehmend auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner abspielt. In der Freizeit machen sie nur noch das, worauf beide Lust haben. Lebensbereiche und Themen, zu denen sie unterschiedliche Ansichten haben, verdrängen sie.

Nähe und Freiheit

Der Preis dafür, ein Herz und eine Seele zu sein, ist, dass beide alle Eigenschaften und Interessen gekappt haben, die nicht mit denen des Partners übereinstimmen. Eine solche Beziehung ist eine falsch verstandene Art von Einssein. Sie führt zu den Symptomen, unter denen die Flückigers heute leiden: Langeweile, Stagnation, Leblosigkeit und Verkümmerung.

Ein gesundes Einssein ist keine Bierdeckelallianz, sondern lässt sich mit dem Bild zweier starker Bäume beschreiben, deren Kronen sich zu einem gemeinsamen Blätterdach verbinden. Es ist die volle Nähe zweier Menschen, die beide auch unabhängig voneinander im Leben stehen könnten. Es ist eine Nähe, die dem anderen Freiheit, Entwicklung und Veränderung zugesteht, weil dies für den fest verwurzelten und selbst stehenden Baum nicht bedrohlich ist. Der Weg zu mehr Lebendigkeit in der Partnerschaft besteht darin, in enger Verbindung mit dem Partner und trotzdem ganz bei sich selbst zu bleiben.

Wenn die Flückigers wieder mehr Lebendigkeit in ihre Beziehung bringen wollen, führt kein Weg daran vorbei, sich die eigene Individualität in kleinen Schritten zurückzuerobern. Dazu gehören zwei Seiten. Zum einen, sich zu trauen, den Partner nicht ständig zu schonen, sondern zu seinen Bedürfnissen zu stehen und sich selbst in seiner Andersartigkeit dem Partner zuzumuten. Und andererseits dem anderen eine eigene Meinung, andere Bedürfnisse und eine Entwicklung zuzugestehen, auch wenn sich das bedrohlich anfühlt.

Marc Bareth und seine Frau Manuela stärken mit FAMILYLIFE Schweiz Ehen und Familien. Marc Bareth ist der Leiter dieser Arbeit. Er bloggt unter: familylife.ch/five

Beziehungs-Zoff vermeiden, auf Augenhöhe leben

Wenn es in der Partnerschaft kracht, liegt es oft daran, dass unterschiedliche Persönlichkeitsanteile aufeinandertreffen. Paartherapeutin Ira Schneider erklärt, wie Partner auf Augenhöhe zusammenfinden.

Als Paar seid ihr eine Dyade, also ein System aus zwei Personen. Wenn Kinder dazukommen, entstehen mehrere Dyaden. Die Mutter-Kind-Dyade, die Vater-Kind-Dyade und auch eine neue Triade entsteht, denn ihr seid dann zu dritt. Je mehr Kinder dazukommen, desto komplexer wird es. Aber schon in der Dyade als Paar steckt genug Zündstoff, den es anzuschauen gilt. Das geschieht, wenn sich die Parter nicht auf Augenhöhe begegnen.

Innere Anteile verstehen

Zunächst einmal: Eine Paarbeziehung bewegt sich immer zwischen Fortschritt (Progression) und kindlichen Anteilen (Regression). Denn auch als Erwachsene tragen wir unsere kindlichen Anteile weiterhin in uns. Die Progression steht für unsere selbstständigen Anteile, wie „Identität, Stabilität, Autonomie, Reife, Tatkraft und Kompetenzen“ (Heidrun Ferguson, Partnerschaftsprobleme und chronischer Stress). Die Regression steht für „Einssein, Pflege, Umsorgung, Schutz, Geborgenheit und Abhängigkeit“ (Ferguson). Diese bedürftigen Anteile in uns werden innerhalb unserer Ehe aktiviert, und es geht darum, beweglich und flexibel mit ihnen umgehen zu können. Das können Paare miteinander lernen. Diese inneren Anteile begegnen jedem Paar in verschiedensten Abschnitten und Momentaufnahmen immer wieder. In der Paartherapie und zur Reflexion hat sich die Transaktionsanalyse als hilfreich erwiesen. Die Transaktionsanalyse ist eine „sozialpsychologische Theorie und Methode, welche Austausch und die Begegnungen von Menschen in den Vordergrund stellt und dabei unterschiedliche Kontexte sowie Persönlichkeitsanteile und Lebensgeschichten der Menschen berücksichtigt“ (Jürg Bolliger, Grundlagen der Transaktionsanalyse). Dabei reagieren Paare in der Interaktion meist auf drei verschiedenen Ebenen (vgl. Bolliger):

  • Eltern-Ich: Ein Teil des Paares kann aus dem Eltern-Ich reagieren. Dieses Eltern-Ich kann fürsorglich oder kritisch sein.
  • Kind-Ich: Ein Teil des Paares kann aber auch aus einem Kind-Ich reagieren. Dieses Kind-Ich kann angepasst, rebellisch oder frei sein.
  • Erwachsenen-Ich: Ein Teil des Paares kann aus dem Erwachsenen-Ich reagieren. Dieses kann realitätsbezogen, problemlösend und sachbezogen sein.

Im ungünstigen Zustand

Das Ziel einer Paarbeziehung ist, dass sich beide auf Augenhöhe im Erwachsenen-Ich begegnen. Nehmen wir folgende Paarsituation an: Greta und Ben sind mit Freunden im Kino verabredet. Sie machen sich im Flur fertig. Draußen regnet es in Strömen. Ben nimmt noch schnell einen Regenschirm zur Hand. Greta nimmt eine dünne Übergangsjacke und wirft sie sich über. Die beiden sind ohnehin spät dran. Ben verspürt einen Fürsorgedrang und will nicht, dass Greta sich erkältet.

Gleichzeitig erlebt er innerlich einen Kontrollverlust: Wenn Greta krank wird, liegt sie mehrere Tage flach und fällt bei der Kinderbetreuung aus. Ben verwandelt sich in ein kritisches und fürsorgliches Eltern-Ich zugleich. Aus ihm schießt es heraus: „Du nimmst doch nicht etwa bei dem Regen eine Übergangsjacke. Zieh dir doch was Richtiges an. Hier, deine Regenjacke.“ Greta fühlt sich augenblicklich angegriffen. Ihr wurde suggestiv eine umgekehrte Rolle zugewiesen. Statt bei sich zu bleiben, springt sie in die Dynamik mit rein und reagiert aus einem trotzigen Kind-Ich heraus. Sie zischt: „Das ist ja wohl meine Sache. Ich brauche eigentlich gar keine Jacke.“ Sie lässt sowohl die Übergangsjacke als auch die Regenjacke drinnen liegen und stapft raus. Schon ist die Stimmung im Eimer. Greta könnte einen weichen Blick auf Ben einnehmen und nachhorchen, wovor er sich schützt, weshalb er so vehement auf die Jacke pocht.

Wenn Paare sich wie Kinder oder Eltern verhalten, passiert das in der Regel unbewusst. Die Begleitaffekte können jedoch oft Wut oder eine diffuse und nicht greifbare Stimmung sein. Eine Möglichkeit wäre hier, dass Greta Ben erklärt, dass sie gern für sich selbst sorgen und dementsprechend auch gern allein entscheiden möchte, wie sie sich kleidet. Ben muss lernen, Gretas Grenzen und Autonomie zu wahren. Auch würde es ihm in dieser Situation helfen, seine eigentliche Angst, nämlich die Fantasie einer kranken Greta, die nicht mehr ihren Fürsorgeanteil bezüglich der Kinder übernehmen kann, zu kommunizieren.

Gemeinsame Augenhöhe finden

Es kann sehr kräftezehrend und wohltuend zugleich sein, sich mit der eigenen Vergangenheit zu beschäftigen. Keine Herkunftsfamilie, kein Paar ist perfekt. Doch allein die Tatsache, dass ihr euch mit diesen Fragen auseinandergesetzt habt, ist ein enormer Schritt. Sicher, eure kindlichen Anteile werden immer ein Stück weit bleiben und es ist wichtig, sie liebevoll zu umsorgen und anzunehmen. Ihr könnt mit eurer Ehe aber auch vieles, wenn nicht sogar alles überschreiben und wiedergutmachen und Ja zu einer Partnerschaft auf Augenhöhe sagen.

Hilfreiche Fragen für eure Beziehung

  • Rutscht ihr manchmal in verdrehte Rollen? Wenn ja, welche Situationen kommen euch hier in den Sinn?
  • Wenn ihr gerade nicht im Erwachsenen-Ich reagiert, zu was neigt ihr eher: zum Eltern-Ich oder zum Kind-Ich?
  • Welches kleine Signalwort könntet ihr verabreden, um euch daran zu erinnern, wieder aus dem Erwachsenen-Ich zu reagieren?

Ira Schneider arbeitet als Paartherapeutin und Autorin. Der Artikel stammt leicht verändert aus ihrem frisch erschienenen Buch „Jeden Tag ein neues Ja“ (SCM Hänssler).

Commitment: Dieser Satz hält Ihre Beziehung lebendig

Was der Beziehung wirklich dient, geht tiefer als Kommunikation oder Sexualität. Es ist Commitment. Paarexperte Marc Bareth weiß, was wir einander immer wieder sagen müssen, um eine stabile Partnerschaft zu leben.

Eine große Studie hat kürzlich untersucht, was für das Gelingen einer Partnerschaft entscheidend ist. Ist es die Kompatibilität der beiden Partner? Eine überdurchschnittlich gute Kommunikation? Oder etwa eine befriedigende Paarsexualität? Nein, es ist ein Commitment.

Eine feste Zusage

Die Forschenden rund um Samantha Joel haben 43 bestehende Paarstudien kombiniert und sind zu dem Ergebnis gekommen, dass es einen Faktor gibt, der wichtiger ist als Kompatibilität, Kommunikation und Sex: Es ist das Wissen, dass die andere Person voll und ganz hinter einem steht und einen nicht im Stich lässt. Oder kurz: Commitment. Dies ist das Fundament unseres Beziehungshauses. Auf dem uneingeschränkten Ja zueinander bauen alle anderen Beziehungsbereiche wie Kommunikation, Konfliktlösung und Freizeitgestaltung auf.

Wenn das Fundament Risse bekommt, hat das unmittelbare Auswirkungen auf alle Beziehungsräume, vom Umgang mit den Schwiegereltern über die Sexualität bis zum Umgang mit Geld. Ich will das am Beispiel der Kommunikation verdeutlichen. Sarah ist eine hervorragende Kommunikatorin. Sie beherrscht die Gewaltfreie Kommunikation und andere Konzepte im Schlaf. Doch all das nützt ihr nichts, wenn sie spürt, dass das Commitment ihres Partners bröckelt. Denn wenn sie sich nicht mehr sicher ist, ob er zu ihr steht und sie unterstützt, werden bei ihr Ängste aktiviert.

Standhaft gegen die Ur-Angst

Der Verlust des Partners gehört zu den bedrohlichsten Szenarien unseres Lebens. Wir reagieren darauf ähnlich wie Menschen vor 3.000 Jahren, wenn sie einer wütenden Bärenmutter gegenüberstanden: Unser Körper schüttet Adrenalin und Cortisol aus und es kommt zu einer Fight-Flight-Freeze-Reaktion. Während es bei der Begegnung mit der Bärenmutter noch überlebenswichtig war, alle mentalen und körperlichen Ressourcen für eine Kampf-, Flucht- oder Erstarrungsreaktion zu bündeln, ist dies in einer heutigen Partnerschaft eher nicht hilfreich. Denn diese Reaktion führt dazu, dass wir nicht mehr auf unsere erlernten Kommunikationsstrategien zurückgreifen können. Dazu bräuchten wir unser Großhirn.

Die Bedrohung – das schwindende Commitment unseres Partners – führt dazu, dass das Stammhirn übernimmt und das Großhirn abschaltet.So kann Sarah ihre kommunikativen Fähigkeiten nicht mehr abrufen. Stattdessen wird sie aggressiv, flieht oder erstarrt. Natürlich reagiert ihr Partner nicht gut darauf und die Paarkommunikation, eigentlich immer eine Stärke dieses Paares, bricht zusammen.Weil das Commitment so zentral für jede Partnerschaft ist, sind Paare im Vorteil, die die Ehe als lebenslange und grundsätzlich unauflösliche Gemeinschaft verstehen. Wer weiß, dass die Partnerin auch in schweren Konflikten nicht von seiner Seite weicht, ist weniger gefährdet, dass das Stammhirn das Ruder übernimmt, weil zu wenig Commitment des Gegenübers wahrgenommen wird.

Um dem Gegenüber zu zeigen, dass man durch dick und dünn zusammenhält, sind Worte wichtig. Noch bedeutender als sich „Ich liebe dich“ zu sagen, ist es, sich gegenseitig sein Commitment zu bestätigen. Deshalb lautet der wichtigste Satz in einer Beziehung: „Ich bin da für dich und stehe immer hinter dir.“ Wenn wir einander diesen Satz wirklich glauben können, dann gibt uns das die Sicherheit, die wir als Grundlage für alle Beziehungsbereiche brauchen.

Marc Bareth und seine Frau Manuela stärken mit FAMILYLIFE Schweiz Ehen und Familien. Marc Bareth ist der Leiter dieser Arbeit. Er bloggt unter familylife.ch/five

Störenfried: Wenn das innere Kind dazwischenfunkt

Ein plötzlicher Ausraster, undefinierbare Gefühle – so oder anders kann sich das innere Kind zu Wort melden und die Harmonie in der Partnerschaft stören. Therapeutin Melanie Schüer erklärt die Zusammenhänge.

„Tut mir leid, ich weiß auch nicht, warum ich mich so aufgeregt habe. Irgendwas hat mich daran total getroffen …aber es ist nicht deine Schuld“, murmelt Lea, während sie sich Milch in ihren Kaffee gießt und zaghaft ihrem Mann zulächelt. Wieder mal ist sie ziemlich wütend geworden in einer Situation, die so ähnlich – das fällt ihr jetzt, mit etwas Abstand auf – immer wieder für Konflikte sorgt.

„Wenn ich mal so darüber nachdenke, geht es bei meinen Ausrastern ziemlich oft um dieses Thema Vergessen werden“, denkt sie laut nach. Und tatsächlich: Gerade hat ihr Mann den Käse vergessen, den sie so gern morgen zum Frühstück genossen hätte. Ihr Sohn hat vor ein paar Tagen nicht daran gedacht, ihren Brief zur Post zu bringen, als er in der Stadt war und als ihre beste Freundin hatte sich letzte Woche nicht, wie angekündigt, gemeldet. In all diesen Situationen hatte Lea ziemlich wütend reagiert – übertrieben wütend, wie sie selber findet, eigentlich unreif, kindlich. Und das ist ganz logisch, denn diese Situationen lösen aufgrund von Leas Biografie etwas aus, das ihr inneres Kind betrifft.

Das innere Kind und die Persönlichkeit

Manchmal nehmen wir Menschen in uns verschiedene Stimmen wahr. Das ist keine Spaltung der Persönlichkeit, sondern die normale Tatsache, dass jeder Mensch verschiedene innere Anteile besitzt. Diese inneren Anteile hängen auch mit unseren unterschiedlichen Rollen zusammen, die wir im Alltag einnehmen – zum Beispiel der Rolle als Freundin, als Partner, als Mutter, Vater, Angestellter oder als Schülerin. Das innere Kind ist der Teil unserer Persönlichkeit, der stark in unserer Kindheit verwurzelt ist. Hier kommen prägende Eindrücke, Gefühle und Erfahrungen aus unserer Kindheit zum Tragen.

Innerer Erwachsener – inneres Kind

Zwei oft sehr gegensätzliche innere Anteile sind das sogenannte ‚Erwachsenen-Ich‘ und das ‚Innere Kind‘. Wenn wir sicher in der Rolle als Erwachsene agieren und uns dem, was uns begegnet, gewachsen fühlen, dann ist das Erwachsenen-Ich in uns besonders präsent. Wir fühlen uns dann souverän, selbstsicher und kompetent – zumindest sind diese Gefühle stärker als Ängste, Sorgen oder Selbstzweifel. Es ist wortwörtlich der erwachsene, reife Teil unserer Persönlichkeit – man könnte auch sagen, „Die Stimme der Vernunft“. Das mag positiv klingen, beinhaltet aber auch negatives Potenzial im Sinne von Druck, Perfektionismus und Verlust von Lebensfreude. Wer immer nur auf die eigene innere Erwachsene hört, schwächt oft wichtige Aspekte des Lebens wie Fantasie, Unbeschwertheit, Freude oder Spontaneität.

In diesen Zuständen kommt ein anderer Anteil besonders stark zum Vorschein: unser inneres Kind. Das innere Kind kann uns befähigen, das Leben zwischendurch leicht zu nehmen und zu genießen. Wir können dann herumalbern und völlig im Moment sein. Gleichzeitig sind mit dem Inneren Kind auch bestimmte negative Erfahrungen verbunden. Wenn das innere Kind in uns stark wird, dann kann es auch passieren, dass wir uns unzulänglich, gedemütigt, abgelehnt, hilflos oder belächelt fühlen. Diese Gefühle hängen mit Erfahrungen aus unserer Kindheit zusammen, die natürlich individuell unterschiedlich sind. Sie werden in Momenten wach, in denen wir an Situationen aus unserer Kindheit erinnert werden – oft sprechen wir dann von „Triggern“. Es kann sich dann anfühlen, als wären wir in die Situation von früher zurückversetzt. So wie Lea, die mit Blick auf die Trigger-Situationen der letzten Zeit ein Muster erkennt und versteht, dass sie sich in diesen Momenten fühlt wie in bestimmten Situationen ihrer Kindheit.

Grundüberzeugungen auf der Spur

Prägende Erfahrungen in der Kindheit führen zur Entwicklung fester Grundüberzeugungen. Das sind quasi Glaubenssätze, die oft unbewusst unsere Sicht auf uns selbst, andere Menschen und Situationen formen. Grundüberzeugungen können zum Beispiel sein:

  • Wenn ich nicht alles perfekt mache, werde ich nicht akzeptiert
  • Wenn ich anders als andere bin, werde ich zurückgewiesen
  • Egal was ich tue, es ist nie genug
  • Ich darf nicht zu hohe Ansprüche stellen, um andere nicht zu nerven
  • Ich muss alles kontrollieren, weil ich sonst nicht sicher bin
  • Andere Menschen werden mich früher oder später enttäuschen
  • Wenn andere mich wirklich kennenlernen, mögen sie mich nicht mehr

Selbstverständlich gibt es auch positive Überzeugungen, zum Beispiel „Ich kann etwas leisten!“ oder „Ich darf meine Meinung sagen!“ Aber durch Krisen und Problemen, insbesondere in der Paarbeziehung, bekommen die negativen Grundüberzeugungen stärkeres Gewicht. Das hängt damit zusammen, dass wir uns in einer Paarbeziehung besonders öffnen und dadurch verletzlich machen und an unser Gegenüber Bedürfnisse und Erwartungen herantragen, die denen eines Kindes gegenüber den Eltern ähneln (Geborgenheit, Annahme, Liebe, Interesse, etc.).

Im Fall Lea

In Leas Fall könnte man die negative Grundüberzeugung in etwa so formulieren: „Wenn andere mich vergessen, zeigt das, dass ich ihnen nicht wichtig bin.“ Lea war mit einem völlig überforderten alleinerziehenden als Vater groß geworden. Der Vater hatte oft vergessen, Lea etwas zu Essen vorzuberteiten oder Lea vom Kindergarten abzuholen. Sie erinnerte sich noch genau daran, wie sie dann als letztes Kind noch wartete, während ihr Erzieher Jan versuchte, ihren Vater zu erreichen.

Wenn Lea ihren Vater dann weinend begrüßte, spielte er das Problem herunter: „Ach komm, mach‘ doch nicht so ein Theater, Lealein. Ich komm doch immer irgendwann, oder etwa nicht? Es dreht sich doch nicht immer alles nur um dich.“ Irgendwann hatte sich Leas Traurigkeit mit Wut vermischt. Die Wut half ihr ein wenig, sich stärker zu fühlen. Das Gefühl von Hilflosigkeit und Ohnmacht angesichts der Traurigkeit, die ja ohnehin nur belächelt wurde, wurde ein wenig abgeschwächt durch die Wut über das Verhalten ihres Vaters. Und genau diese Gefühle kamen auch jetzt wieder hoch, wenn sich vergessen und infolgedessen nicht wertgeschätzt fühlte.

Das innere Kind und die Paarbeziehung

Diese negativen Grundüberzeugungen aus der Kindheit und die dazugehörigen Gefühle wie Scham, Angst Traurigkeit, Wut und Verhaltensweisen wie Konfliktvermeidung, übertriebene Anpassung oder mangelnde Offenheit haben einen enormen Einfluss auf die Entwicklung einer Paarbeziehung. Denn in einer solchen Beziehung machen wir uns besonders verletzlich und entwickeln eine enge Verbundenheit, die auch Verlassensängste oder Angst vor Abhängigkeit auslösen kann.

Im Paar-Alltag werden immer wieder Situationen entstehen, die uns an Erlebnisse aus der Kindheit entwickeln – oft sind wir uns dessen gar nicht bewusst. Diese Ähnlichkeit der Situation (zum Beispiel eine frustrierte Reaktion meines Partners, weil ich etwas nicht schaffe) kann die vertrauten Denkmuster, Gefühle und dann auch Verhaltensweisen auslösen, zum Beispiel, wenn Lea ihren Mann anschreit, weil sie sich in diesem Moment wieder wie die kleine, vergessene Lea fühlt und, weil die Traurigkeit sich zu überwältigend anfühlt, mit Wut reagiert.

Diese Dynamik kann Konflikten immer wieder befeuern, weil beide Partner nicht verstehen, was eigentlich gerade passiert. Scheinbare kindische, unreife Verhaltensweisen treten immer wieder zutage, denn handlungsleitend ist in diesen Fällen tatsächlich das innere Kind!

Das innere Kind auf frischer Tat ertappen

Um diese Zusammenhänge zu erkennen, ist es wichtig, zunächst einmal zu verstehen, welche Situationen zu Unstimmigkeiten und Konflikten führen. Überlegen Sie in einer ruhigen Situation, mit etwas Abstand zu einem konkreten Streit, ob Sie gewisse Muster erkennen können. Was haben die letzten Konfliktanlässe, an die Sie sich erinnern können, gemeinsam? Was sind Themen, die ähnlich sind – zum Beispiel Äußerung von Kritik, Umgang mit Verschiedenheit, Einstellungen zu bestimmten Fragen wie Haushaltsführung, Finanzen, Alltagsgestaltung. Meist kommen schnell Muster zum Vorschein und zeigen an, was Ihr inneres Kind oder das Ihres Gegenübers triggert.

Dann gilt es, ein wenig in der Zeit zurückzureisen: Inwiefern kennen Sie dieses Thema/ähnliche Situationen aus Ihrer Kindheit? Wie haben Sie sich damals gefühlt? Was war damals belastend und stressig? Was hat Sie verletzt, beschämt, wütend gemacht oder geängstigt?

Das innere Kind beruhigen

Wichtig ist, in so einem Reflexionsprozess das innere Kind nicht einfach beiseitezuschieben im Sinne von „Ach so, das liegt nur an meiner Kindheit – okay, das ignoriere ich.“ Das wäre auf Dauer nicht hilfreich, denn das innere Kind meldet sich an ähnlichen Stellen wieder, weil dieses Thema in der Kindheit nicht ausreichend geklärt und verarbeitet werden konnte. Es gilt daher, die Verletzung des inneren Kindes ernst zu nehmen und wie ein liebevoller Erwachsener mit Verständnis zu reagieren.

Es klingt vielleicht komisch, aber erlauben Sie sich ruhig ein wenig Kopfkino. Stellen Sie sich selbst als Kind in einer belastenden Situation vor, an die Sie sich noch erinnern können. Und dann gehen Sie in Ihrer Fantasie als heutiges, erwachsenes Ich auf Ihr jüngeres Ich zu und blicken es freundlich an. Sagen Sie ihm das, was Sie damals schon hätten hören müssen. Sprechen Sie Ihm Mut und Trost zu und erklären Sie, dass die Situation heute anders ist als damals. Wenn Sie offen dafür sind, stellen Sie sich auch gerne vor, sich dem inneren Kind zuwendet, es tröstet und stärkt.

Grundüberzeugungen verändern

Wenn Sie einen Schritt weitergehen möchten, reflektieren Sie auch, welche Grundüberzeugung hinter dem erlebten Konflikt stehen könnte – zum Beispiel im Beispiel von Lea: „Ich werde vergessen, weil ich nicht wichtig bin.“

Überlegen Sie, welche Erfahrungen zu dieser Überzeugung geführt haben – und welche anderen, positiven Erfahrungen und Erkenntnisse ihr widersprechen. Sammeln Sie ruhig Argumente, was für uns was gegen die Wahrheit dieser Überzeugung spricht. Und wenn sie der Realität nicht standhält, dann formulieren Sie – am besten schriftlich, so lernt unser Gehirn effektiver – eine positivere, realistische Grundüberzeugung – wie beispielsweise „Ich bin Gott so wichtig, dass er sogar die Zahl der Haare auf meinem Kopf kennt. Ich bin mir selber wichtig. Und es gibt Menschen, denen ich wichtig bin wie …..“ Lesen Sie sich die positiven Sätze immer wieder durch – so So können Sie neue Denkpfade prägen, die nach und nach Ihre Wahrnehmung prägen und zur Realität werden. Womöglich fühlt sich das anfangs künstlich an – das ist normal, denn Ihr Gehirn hat ja jahrelang das Gegenteil gedacht! Geben Sie dem Training also etwas Zeit.

Nicht alles geht in Eigenregie

Vieles können wir selbst durch Reflexion erreichen. Manche Prozesse brauchen aber Begleitung und Hilfe. Einige Grundüberzeugungen sitzen so tief, haben eine so destruktive Wirkung, manche Erfahrungen unseres inneren Kindes waren so massiv, dass eine Aufarbeitung alleine nicht gelingt. Ein freundliches, professionelles Gegenüber macht einen großen Unterschied und kann einen sehr heilsamen Prozess in Gang bringen. Psychotherapie, Lebensberatungsstellen und Seelsorge können dazu hilfreiche Angebote sein.

Melanie Schüer ist Mutter von zwei Kindern und areitet als Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin und Autorin im Osnabrücker Land.

Empathisch

Was ist Empathie? Nicht das, was viele denken.

Wenn ich mit Menschen über ihre Partnerschaft spreche, sagen mir viele, dass sie sich wünschten, ihr Partner oder ihre Partnerin hätte mehr Empathie. Vor allem von Frauen höre ich, dass es ihren Männern schwerfällt, das Mitgefühl aufzubringen, das sie eigentlich bräuchten. Stattdessen bekommen sie viele gut gemeinte Hinweise, wie man die Situation lösen könnte. Auch Aufmunterungen im Sinne von „Du schaffst das schon!“ stehen hoch im Kurs.

Anknüpfungspunkte

Wenn uns der andere erzählt, was ihn bedrückt, ist es manchmal schwer, einfühlsam darauf zu reagieren. Wenn wir ehrlich sind, finden wir das Gehörte oft schwer nachvollziehbar, manchmal sogar haarsträubend. Meistens findet der Zuhörer keinen Anknüpfungspunkt an die Erfahrungen seines Gegenübers, weil er selbst die gleichen Ereignisse ganz anders wahrgenommen und interpretiert hätte. Wie kann man mitfühlen, wenn man selbst nie etwas Ähnliches erlebt hat? Und wahrscheinlich auch nie etwas Ähnliches erleben wird, weil man anders gestrickt ist und anders mit dem Leben umgeht?

Diesen Überlegungen liegt ein großes Missverständnis über Empathie zugrunde. Als Gesellschaft haben wir hier eine kollektive Bildungslücke. Empathisch zu sein, bedeutet nämlich nicht, dass ich das Erleben meines Partners/meiner Partnerin nachvollziehen kann. Vielmehr bedeutet es, dass ich ihm/ihr aufmerksam zuhöre und ihm/ihr glaube, wenn er/sie mir davon erzählt, was ein bestimmtes Erlebnis bei ihm/ihr ausgelöst hat. Auch wenn das nicht mit meinem Erleben zusammenpasst. Die Empathieforscherin Brené Brown bringt es auf den Punkt: „Empathie bedeutet nicht, sich mit einer Erfahrung zu verbinden, sondern mit den Gefühlen, die durch eine Erfahrung ausgelöst wurden.“

Ungerecht behandelt

Als empathische Zuhörerinnen und Zuhörer versuchen wir also, in uns selbst etwas zu finden, das das Gefühl kennt, das unser Gegenüber beschreibt, und daran anzudocken. Ein Beispiel: Nadine erzählt Tobias, wie schwierig es für sie ist, dass ihr Kollege alle Lorbeeren für ein Projekt erhält, zu dessen Erfolg hauptsächlich sie beigetragen hat. Gerade heute hat ihr Vorgesetzter wieder vor dem ganzen Team die hervorragende Arbeit des Kollegen gelobt und ihren Beitrag mit keinem Wort erwähnt.

Tobias liegt die Lösung auf der Zunge: „Dann musst du dich halt wehren.“ So hätte er es gemacht. Ist ja absurd, dass man sich so etwas bieten lässt. Doch stattdessen fragt er sich: „Gibt es etwas in mir, das mir helfen könnte, zu erkennen und mich mit dem zu verbinden, was Nadine fühlt?“ Und tatsächlich kennt auch Tobias Situationen, in denen er sich ungerecht behandelt fühlt oder das Gefühl hat, dass ihn niemand wahrnimmt. Und wenn er dort anknüpft, wird es ihm gelingen, einfühlsam auf Nadine zu reagieren.

Marc Bareth und seine Frau Manuela stärken mit FAMILYLIFE Schweiz Ehen und Familien. Marc Bareth ist der Leiter dieser Arbeit. Er bloggt unter: familylife.ch/five

Als Paar einen Treuebruch überleben

Wenn ein Treuebruch passiert, fällt die betrogene Person oft aus allen Wolken. Ist eine Ehe nach einer Affäre noch zu retten? Von Christina Glasow

Kati (alle Namen geändert) hatte schon wochenlang so ein Gefühl … Jetzt hält sie Tills Handy in der Hand und starrt mit klopfendem Herzen auf seinen Chatverlauf mit Lena. Kati kennt sie schon lange. Sie arbeitet für die gleiche Firma wie Till. Was sie da liest, lässt sie erstarren: Herzchen, Küsschen, „Ich vermisse dich“, „Ich sehne mich nach dir“ …

In Katis Kopf und Herz bricht Chaos aus: Schmerz. Wut. Angst. Enttäuschung. Scham. Wie konnte er das nur tun? Bin ich nicht gut genug? Ist unsere Beziehung eine einzige Lüge? Wie lange geht das schon so? Was hat er ihr über uns erzählt? Ich werfe ihn raus. Ich will ihn nicht verlieren.

Mit Katis Entdeckung konfrontiert, kommt Till stammelnd mit der Wahrheit heraus. Er hat Angst und ist gleichzeitig von einer tonnenschweren Last befreit. Till hatte sich mit Lena so lebendig gefühlt, so begehrt. Aber Kati anzulügen, war schwer. Er liebt sie doch. Er war ständig in Angst, aufzufliegen. Aber auch unfähig, aufzuhören.

Wo und wie beginnt Treuebruch?

Treuebruch ist ein Durchbrechen der getroffenen Vereinbarung über die Exklusivität einer Partnerschaft. Ein Aufbauen von Intimität mit einer dritten Person. Wie genau diese aussieht, wo die Grenze liegt, ist sehr unterschiedlich. Treuebruch hat viele Gesichter: einmalig oder länger andauernd, mit einer Person aus dem Umfeld oder jemand Unbekanntem, mit oder ohne Gefühle, „nur“ emotional oder auch körperlich … Es finden Heimlichkeiten, Hintergehen und damit ein Vertrauensbruch statt, der die betrogene Person in unterschiedlichem Maße erschüttert.

Oft entsteht Untreue schleichend und mit einer Person aus dem Lebensumfeld (Freundeskreis, Job, Hobby, Gemeinde), der man mehr und mehr Aufmerksamkeit schenkt, die auch erwidert wird. Unmerklich wird so der Punkt der Freundschaftlichkeit überschritten. Der Partner oder die Partnerin dürfte jetzt nicht mehr danebenstehen, wenn Nachrichten ausgetauscht werden. Ist dieser Punkt erreicht, wird es schwierig, aus der Situation wieder herauszukommen.

Was ist jetzt wichtig?

Auch wenn die Hürde riesengroß ist: Es ist besser, wenn die untreue Person den Treuebruch selbst beichtet, als dass es durch andere oder durch die betrogene Person herausgefunden wird. Nach dem Aufdecken der Untreue können auf beiden Seiten schwer aushaltbare Gefühle wie Enttäuschung, Verrat, Hilflosigkeit, Schmerz, Angst, Zerrissenheit, Wut und Scham aufkommen. Eine Trennung scheint eine naheliegende, schnelle Lösung zu sein. Es ist jedoch wichtig, keine vorschnellen Entscheidungen zu treffen.

Ein Treuebruch muss nicht das Ende einer Beziehung sein. Wenn beide grundsätzlich die Beziehung weiterführen möchten (von diesem Fall gehe ich im Weiteren aus), ist es möglich, einen Treuebruch zu verarbeiten. In meiner Praxis durfte ich schon viele Paare begleiten, die sich diesem schmerzhaften Prozess gestellt haben und anschließend als Paar gestärkt aus dieser Krise hervorgegangen sind. Ob ein Treuebruch verarbeitet werden kann, hängt davon ab, wie empathisch der Verursacher mit der Verletztheit des Gegenübers umgeht, sodass das verlorene Vertrauen wieder wachsen kann. Im zweiten Schritt muss geschaut werden, ob und welche Faktoren es in der Beziehungsdynamik gibt, die den Boden für den Treuebruch bereitet haben könnten.

Wichtige Schritte für die Verarbeitung

Kontaktabbruch und Transparenz: Die untreue Person um die grenzüberschreitenden Interaktionen beziehungsweise muss den anderen Kontakt beenden. Und zwar in Form von klarer und fairer Kommunikation, zum Beispiel: „Meine Frau/mein Mann weiß jetzt über uns Bescheid. Ich entscheide mich, an meiner Beziehung zu arbeiten. Das zwischen uns ist aus.“ Etwaige Kontaktversuche der dritten Person sollten sofort mitgeteilt werden.

Faktencheck und Gefühlslage: Es braucht jetzt Zeit, über die Gefühle und das Geschehene zu sprechen. Immer wieder und solange es nötig ist. Die betrogene Person hat jetzt Gedankenspiele darüber, wie genau der Treuebruch ausgesehen haben mag. Auch wenn es schmerzhaft ist, ist es wichtig, die Fakten zu kennen, damit die Gedanken darüber irgendwann zur Ruhe kommen können. Manchmal sind die Befürchtungen schlimmer als das, was tatsächlich geschehen ist. Bitte nicht, um die eigene Haut zu retten oder den anderen zu schonen, die „Salamitaktik“ anwenden und Informationen erst nach und nach preisgeben. Das erschüttert immer wieder das Vertrauen und sorgt für Rückschläge im Prozess.

Zum eigenen Schutz sollte nicht zu detailliert nachgefragt werden. Welche genauen Wortlaute oder Zärtlichkeiten ausgetauscht wurden, ist nicht unbedingt relevant, um ein Bild vom Geschehenen zu bekommen. Die Devise lautet: so viel Information wie nötig und so wenig wie möglich. Sollten auch nach dem Aufdecken noch Emotionen für die dritte Person vorhanden sein, durchläuft die ehemals untreue Person parallel einen Prozess des Loslassens und der Trennung.

Oft ist mit dem Aufdecken jedoch die Affäre auch emotional vorbei. Die Gedanken und Gefühle sind bald wieder sortiert und fokussiert auf die ursprüngliche Beziehung. Für die betrogene Person fängt aber alles erst an. Die Verarbeitung dauert ihre Zeit und ist anstrengend. Je geduldiger und gründlicher sich beide Partner dem Prozess der Verarbeitung stellen, desto besser sind die Chancen, die Krise zu bewältigen. Es braucht jetzt von beiden Personen vor allem Geduld.

Sätze wie „Darüber haben wir doch jetzt schon x-mal gesprochen, du musst jetzt auch mal darüber wegkommen“ oder „Wir haben doch nur geschrieben, es ist doch nichts passiert“ bringen den Verarbeitungsprozess nicht voran. Im Gegenteil: Die verletzte Person fühlt sich nicht gesehen und im Schmerz alleingelassen. Nun ist es wichtig, Empathie zu zeigen, die emotionale Achterbahn des oder der anderen liebevoll auszuhalten und die Konsequenz des eigenen Handelns verantwortungsvoll zu tragen. Wenig hilfreich für den Prozess ist es, wenn die betrogene Person verdrängt und schnell und oberflächlich vergibt. Es ist wichtig, die Gefühle zuzulassen, auch wenn das unangenehm ist.

Nur durch gemeinsames Tragen dieser schmerzhaften Folgen kann die Beziehung heilen und wachsen. Es führt kein gesunder Weg daran vorbei! Es kann in dieser Phase zu langen, kräftezehrenden Gesprächen kommen. Hilfreich ist es hier, vor dem Gespräch einen Zeitrahmen zu vereinbaren, um zu einem Ende zu finden, auch wenn noch nicht alles besprochen ist.

Freiwillige Rechenschaft: Für die meisten betrogenen Partner ist es in der ersten Zeit schwierig, mit bestimmten Trigger-Situationen umzugehen, ohne ständig zu kontrollieren, zum Beispiel wenn die ehemals untreue Person allein ausgeht. In der ersten Zeit kann es helfen, freiwillig Rechenschaft abzulegen: Wenn Till ins Büro fährt, hat Kati jedes Mal Angst, dass er dort Lena treffen und sich wieder Heimlichkeiten zwischen den beiden einstellen könnten. Till versteht das. Die beiden haben verabredet, dass er von sich aus erzählt, wenn er Lena gesehen hat. Wenn Kati unsicher ist, fragt sie zusätzlich nach. Langsam kann so Vertrauen und Sicherheit zurückkehren.

Es ist eine besondere Herausforderung, wenn sich die dritte Person weiterhin im Umfeld des Paares befindet. Den Job oder den Freundeskreis zu verlassen, sind große Schritte, die man nicht unbedingt gehen kann oder möchte. Diese Situationen können sehr knifflig sein und werden am besten professionell begleitet. Als Richtschnur kann dienen, dass die betrogene Person das Tempo vorgibt, wie und ob wieder ein Treffen oder gar eine Annäherung an die dritte Person stattfindet. Es muss weder alles schnell wieder normal sein, noch muss es bedeuten, dass nie wieder miteinander gesprochen wird. Zunächst ist es am wichtigsten, dass das Paar wieder zueinander findet. Alles, was das weitere Umfeld betrifft, kann dann zu seiner Zeit folgen, sofern das gewünscht ist.

Wie konnte das passieren?

In Studien zum Thema Untreue geben 40 Prozent der Befragten an, in ihrem Leben schon einmal untreu gewesen zu sein, wobei es Männer und Frauen etwa gleichermaßen betrifft. Wie kommt es dazu? Die Gründe sind sehr individuell und können an dieser Stelle nur angerissen werden. Oft beobachte ich in meiner Arbeit mit betroffenen Paaren aber das gleiche Grundprinzip:

Die Lebensumstände eines Menschen verändern sich stetig. Sie wandeln sich in Bezug auf den Job, Wohnort, Kinder, Hobbys, Ehrenamt oder Freundschaften. Aber auch Krankheiten oder der Verlust eines geliebten Menschen führen zu Veränderungen. Man passt sich den Gegebenheiten an und setzt Prioritäten. Manches muss weichen, weil die Kraft oder die Zeit dazu fehlt. Vor allem in der Kleinkind-Phase bleibt häufig wenig Raum für anderes.

Oft fällt diesem Lauf des Lebens die Pflege der Paarbeziehung, also die ungeteilte Zeit mit dem Partner/der Partnerin, als Erstes zum Opfer. Man funktioniert zusammen als Team, aber den Bedürfnissen des Gegenübers wird weniger Beachtung geschenkt. In seinem Buch „Die 5 Sprachen der Liebe“ beschreibt Gary Chapman, was Menschen brauchen, um sich geliebt zu fühlen und wie man es schaffen kann, trotz Unterschiedlichkeit beim Gegenüber keinen Mangel aufkommen zu lassen. Das Bedürfnis nach ungeteilter Zeit mit dem Partner spielt eine große Rolle. Tritt über einen längeren Zeitraum ein Mangel auf, der von einer dritten Person gestillt wird, besteht die Gefahr, dass sich eine Außenbeziehung anbahnt.

Die eigene Prägung, alte Glaubenssätze, das Selbstbewusstsein und auch bereits vorangegangene ungeklärte Verletzungen in der Beziehung tragen außerdem dazu bei. Das bedeutet, dass für die Umstände, die den Treuebruch begünstigt haben, in der Regel beide Verantwortung tragen. Für den Treuebruch an sich trägt aber ausschließlich die untreue Person die Verantwortung. Die Gründe sind also sehr individuell und oft komplex. Es lohnt sich, hier mit professioneller Unterstützung hinzuschauen, um die Basis der Beziehung nachhaltig zu festigen. Das gilt besonders, wenn Untreue wiederholt ein Thema ist. Meist spielen die psychologischen und lebensgeschichtlichen Hintergründe eine relevante Rolle. Aber auch als Opfer wiederholter Untreue ist es wichtig, sich Hilfe zu holen und abzuwägen, ob eine Trennung die bessere Alternative wäre, als sich immer wieder so tief verletzen zu lassen.

Wann ist die Krise bewältigt?

Um mit einem erlittenen Treuebruch abzuschließen, ist es wichtig, sich irgendwann zu entscheiden, die zugefügte Verletzung loszulassen und zu vergeben. Nicht, weil man das tun müsste oder das Gegenüber das erwartet, sondern um des eigenen Herzens willen. Ich glaube, dass Gott uns die Möglichkeit zu vergeben hauptsächlich um unseretwillen geschenkt hat, damit unser Herz nicht bitter wird. Unvergebenes liegt als Last auf der eigenen Seele. Vergebung ermöglicht es einem selbst, wieder frei zu werden. Vergeben bedeutet nicht vergessen. Es ist aber der Schritt, den beide brauchen, damit das Geschehene irgendwann nicht mehr zwischen ihnen steht.

Jedes Paar sollte an den Stellschrauben für eine gesunde und reife Beziehung arbeiten: Kommunikation auf Augenhöhe, Arbeit an den eigenen Themen sowie ein aufmerksames, wertschätzendes und liebevolles Miteinander. Wer gerade in einer Krise dieser Art steckt, dem möchte ich Mut machen: Es wird sich nicht für immer so anfühlen. Wer die wichtigen oben genannten Punkte beachtet, hat eine gute Chance, das Geschehene zu verarbeiten und reifer daraus hervorzugehen. Es braucht Zeit und Vertrauen in den Prozess. Aber es lohnt sich!

Ein Jahr später schauen Kati und Till auf eine schmerzhafte Zeit zurück. Inzwischen ist Ruhe eingekehrt. Die aufreibenden Gespräche sind vorbei. Ab und zu kommen Erinnerungen hoch, aber sie schmerzen nur noch kurz. Die beiden sind wieder aufmerksamer füreinander geworden und haben gelernt, über ihre Gefühle und Bedürfnisse zu sprechen. Tills Kontakt zu Lena beschränkt sich auf ein „Hallo“ im Büro. Katis Groll ihr gegenüber hat sich abgeschwächt. Aber ob und wie Kati ihr wieder begegnen möchte, darüber ist sie sich noch nicht sicher.

Christina Glasow ist Heilpraktikerin für Psychotherapie und lebt mit ihrer Familie in Pulheim. christinaglasow.de

Treuebruch! So können Sie Ihre Partnerschaft retten

Wenn ein Treuebruch passiert, fällt die betrogene Person oft aus allen Wolken. Ist die Partnerschaft nach einer Affäre noch zu retten? Paartherapeutin Christina Glasow gibt Tipps, wie die Beziehung überleben kann.

Kati (alle Namen geändert) hatte schon wochenlang so ein Gefühl … Jetzt hält sie Tills Handy in der Hand und starrt mit klopfendem Herzen auf seinen Chatverlauf mit Lena. Kati kennt sie schon lange. Sie arbeitet für die gleiche Firma wie Till. Was sie da liest, lässt sie erstarren: Herzchen, Küsschen, „Ich vermisse dich“, „Ich sehne mich nach dir“ …

In Katis Kopf und Herz bricht Chaos aus: Schmerz. Wut. Angst. Enttäuschung. Scham. Wie konnte er das nur tun? Bin ich nicht gut genug? Ist unsere Beziehung eine einzige Lüge? Wie lange geht das schon so? Was hat er ihr über uns erzählt? Ich werfe ihn raus. Ich will ihn nicht verlieren.

Mit Katis Entdeckung konfrontiert, kommt Till stammelnd mit der Wahrheit heraus. Er hat Angst und ist gleichzeitig von einer tonnenschweren Last befreit. Till hatte sich mit Lena so lebendig gefühlt, so begehrt. Aber Kati anzulügen, war schwer. Er liebt sie doch. Er war ständig in Angst, aufzufliegen. Aber auch unfähig, aufzuhören.

Wo und wie beginnt Treuebruch?

Treuebruch ist ein Durchbrechen der getroffenen Vereinbarung über die Exklusivität einer Partnerschaft. Ein Aufbauen von Intimität mit einer dritten Person. Wie genau diese aussieht, wo die Grenze liegt, ist sehr unterschiedlich. Treuebruch hat viele Gesichter: einmalig oder länger andauernd, mit einer Person aus dem Umfeld oder jemand Unbekanntem, mit oder ohne Gefühle, „nur“ emotional oder auch körperlich … Es finden Heimlichkeiten, Hintergehen und damit ein Vertrauensbruch statt, der die betrogene Person in unterschiedlichem Maße erschüttert.

Oft entsteht Untreue schleichend und mit einer Person aus dem Lebensumfeld (Freundeskreis, Job, Hobby, Gemeinde), der man mehr und mehr Aufmerksamkeit schenkt, die auch erwidert wird. Unmerklich wird so der Punkt der Freundschaftlichkeit überschritten. Der Partner oder die Partnerin dürfte jetzt nicht mehr danebenstehen, wenn Nachrichten ausgetauscht werden. Ist dieser Punkt erreicht, wird es schwierig, aus der Situation wieder herauszukommen.

Was ist jetzt wichtig?

Auch wenn die Hürde riesengroß ist: Es ist besser, wenn die untreue Person den Treuebruch selbst beichtet, als dass es durch andere oder durch die betrogene Person herausgefunden wird. Nach dem Aufdecken der Untreue können auf beiden Seiten schwer aushaltbare Gefühle wie Enttäuschung, Verrat, Hilflosigkeit, Schmerz, Angst, Zerrissenheit, Wut und Scham aufkommen. Eine Trennung scheint eine naheliegende, schnelle Lösung zu sein. Es ist jedoch wichtig, keine vorschnellen Entscheidungen zu treffen.

Ein Treuebruch muss nicht das Ende einer Beziehung sein. Wenn beide grundsätzlich die Beziehung weiterführen möchten (von diesem Fall gehe ich im Weiteren aus), ist es möglich, einen Treuebruch zu verarbeiten. In meiner Praxis durfte ich schon viele Paare begleiten, die sich diesem schmerzhaften Prozess gestellt haben und anschließend als Paar gestärkt aus dieser Krise hervorgegangen sind. Ob ein Treuebruch verarbeitet werden kann, hängt davon ab, wie empathisch der Verursacher mit der Verletztheit des Gegenübers umgeht, sodass das verlorene Vertrauen wieder wachsen kann. Im zweiten Schritt muss geschaut werden, ob und welche Faktoren es in der Beziehungsdynamik gibt, die den Boden für den Treuebruch bereitet haben könnten.

Wichtige Schritte für die Verarbeitung

Kontaktabbruch und Transparenz: Die untreue Person um die grenzüberschreitenden Interaktionen beziehungsweise muss den anderen Kontakt beenden. Und zwar in Form von klarer und fairer Kommunikation, zum Beispiel: „Meine Frau/mein Mann weiß jetzt über uns Bescheid. Ich entscheide mich, an meiner Beziehung zu arbeiten. Das zwischen uns ist aus.“ Etwaige Kontaktversuche der dritten Person sollten sofort mitgeteilt werden.

Faktencheck und Gefühlslage: Es braucht jetzt Zeit, über die Gefühle und das Geschehene zu sprechen. Immer wieder und solange es nötig ist. Die betrogene Person hat jetzt Gedankenspiele darüber, wie genau der Treuebruch ausgesehen haben mag. Auch wenn es schmerzhaft ist, ist es wichtig, die Fakten zu kennen, damit die Gedanken darüber irgendwann zur Ruhe kommen können. Manchmal sind die Befürchtungen schlimmer als das, was tatsächlich geschehen ist. Bitte nicht, um die eigene Haut zu retten oder den anderen zu schonen, die „Salamitaktik“ anwenden und Informationen erst nach und nach preisgeben. Das erschüttert immer wieder das Vertrauen und sorgt für Rückschläge im Prozess.

Zum eigenen Schutz sollte nicht zu detailliert nachgefragt werden. Welche genauen Wortlaute oder Zärtlichkeiten ausgetauscht wurden, ist nicht unbedingt relevant, um ein Bild vom Geschehenen zu bekommen. Die Devise lautet: so viel Information wie nötig und so wenig wie möglich. Sollten auch nach dem Aufdecken noch Emotionen für die dritte Person vorhanden sein, durchläuft die ehemals untreue Person parallel einen Prozess des Loslassens und der Trennung.

Oft ist mit dem Aufdecken jedoch die Affäre auch emotional vorbei. Die Gedanken und Gefühle sind bald wieder sortiert und fokussiert auf die ursprüngliche Beziehung. Für die betrogene Person fängt aber alles erst an. Die Verarbeitung dauert ihre Zeit und ist anstrengend. Je geduldiger und gründlicher sich beide Partner dem Prozess der Verarbeitung stellen, desto besser sind die Chancen, die Krise zu bewältigen. Es braucht jetzt von beiden Personen vor allem Geduld.

Sätze wie „Darüber haben wir doch jetzt schon x-mal gesprochen, du musst jetzt auch mal darüber wegkommen“ oder „Wir haben doch nur geschrieben, es ist doch nichts passiert“ bringen den Verarbeitungsprozess nicht voran. Im Gegenteil: Die verletzte Person fühlt sich nicht gesehen und im Schmerz alleingelassen. Nun ist es wichtig, Empathie zu zeigen, die emotionale Achterbahn des oder der anderen liebevoll auszuhalten und die Konsequenz des eigenen Handelns verantwortungsvoll zu tragen. Wenig hilfreich für den Prozess ist es, wenn die betrogene Person verdrängt und schnell und oberflächlich vergibt. Es ist wichtig, die Gefühle zuzulassen, auch wenn das unangenehm ist.

Nur durch gemeinsames Tragen dieser schmerzhaften Folgen kann die Beziehung heilen und wachsen. Es führt kein gesunder Weg daran vorbei! Es kann in dieser Phase zu langen, kräftezehrenden Gesprächen kommen. Hilfreich ist es hier, vor dem Gespräch einen Zeitrahmen zu vereinbaren, um zu einem Ende zu finden, auch wenn noch nicht alles besprochen ist.

Freiwillige Rechenschaft: Für die meisten betrogenen Partner ist es in der ersten Zeit schwierig, mit bestimmten Trigger-Situationen umzugehen, ohne ständig zu kontrollieren, zum Beispiel wenn die ehemals untreue Person allein ausgeht. In der ersten Zeit kann es helfen, freiwillig Rechenschaft abzulegen: Wenn Till ins Büro fährt, hat Kati jedes Mal Angst, dass er dort Lena treffen und sich wieder Heimlichkeiten zwischen den beiden einstellen könnten. Till versteht das. Die beiden haben verabredet, dass er von sich aus erzählt, wenn er Lena gesehen hat. Wenn Kati unsicher ist, fragt sie zusätzlich nach. Langsam kann so Vertrauen und Sicherheit zurückkehren.

Es ist eine besondere Herausforderung, wenn sich die dritte Person weiterhin im Umfeld des Paares befindet. Den Job oder den Freundeskreis zu verlassen, sind große Schritte, die man nicht unbedingt gehen kann oder möchte. Diese Situationen können sehr knifflig sein und werden am besten professionell begleitet. Als Richtschnur kann dienen, dass die betrogene Person das Tempo vorgibt, wie und ob wieder ein Treffen oder gar eine Annäherung an die dritte Person stattfindet. Es muss weder alles schnell wieder normal sein, noch muss es bedeuten, dass nie wieder miteinander gesprochen wird. Zunächst ist es am wichtigsten, dass das Paar wieder zueinander findet. Alles, was das weitere Umfeld betrifft, kann dann zu seiner Zeit folgen, sofern das gewünscht ist.

Wie konnte das passieren?

In Studien zum Thema Untreue geben 40 Prozent der Befragten an, in ihrem Leben schon einmal untreu gewesen zu sein, wobei es Männer und Frauen etwa gleichermaßen betrifft. Wie kommt es dazu? Die Gründe sind sehr individuell und können an dieser Stelle nur angerissen werden. Oft beobachte ich in meiner Arbeit mit betroffenen Paaren aber das gleiche Grundprinzip:

Die Lebensumstände eines Menschen verändern sich stetig. Sie wandeln sich in Bezug auf den Job, Wohnort, Kinder, Hobbys, Ehrenamt oder Freundschaften. Aber auch Krankheiten oder der Verlust eines geliebten Menschen führen zu Veränderungen. Man passt sich den Gegebenheiten an und setzt Prioritäten. Manches muss weichen, weil die Kraft oder die Zeit dazu fehlt. Vor allem in der Kleinkind-Phase bleibt häufig wenig Raum für anderes.

Oft fällt diesem Lauf des Lebens die Pflege der Paarbeziehung, also die ungeteilte Zeit mit dem Partner/der Partnerin, als Erstes zum Opfer. Man funktioniert zusammen als Team, aber den Bedürfnissen des Gegenübers wird weniger Beachtung geschenkt. In seinem Buch „Die 5 Sprachen der Liebe“ beschreibt Gary Chapman, was Menschen brauchen, um sich geliebt zu fühlen und wie man es schaffen kann, trotz Unterschiedlichkeit beim Gegenüber keinen Mangel aufkommen zu lassen. Das Bedürfnis nach ungeteilter Zeit mit dem Partner spielt eine große Rolle. Tritt über einen längeren Zeitraum ein Mangel auf, der von einer dritten Person gestillt wird, besteht die Gefahr, dass sich eine Außenbeziehung anbahnt.

Die eigene Prägung, alte Glaubenssätze, das Selbstbewusstsein und auch bereits vorangegangene ungeklärte Verletzungen in der Beziehung tragen außerdem dazu bei. Das bedeutet, dass für die Umstände, die den Treuebruch begünstigt haben, in der Regel beide Verantwortung tragen. Für den Treuebruch an sich trägt aber ausschließlich die untreue Person die Verantwortung. Die Gründe sind also sehr individuell und oft komplex. Es lohnt sich, hier mit professioneller Unterstützung hinzuschauen, um die Basis der Beziehung nachhaltig zu festigen. Das gilt besonders, wenn Untreue wiederholt ein Thema ist. Meist spielen die psychologischen und lebensgeschichtlichen Hintergründe eine relevante Rolle. Aber auch als Opfer wiederholter Untreue ist es wichtig, sich Hilfe zu holen und abzuwägen, ob eine Trennung die bessere Alternative wäre, als sich immer wieder so tief verletzen zu lassen.

Wann ist die Krise bewältigt?

Um mit einem erlittenen Treuebruch abzuschließen, ist es wichtig, sich irgendwann zu entscheiden, die zugefügte Verletzung loszulassen und zu vergeben. Nicht, weil man das tun müsste oder das Gegenüber das erwartet, sondern um des eigenen Herzens willen. Ich glaube, dass Gott uns die Möglichkeit zu vergeben hauptsächlich um unseretwillen geschenkt hat, damit unser Herz nicht bitter wird. Unvergebenes liegt als Last auf der eigenen Seele. Vergebung ermöglicht es einem selbst, wieder frei zu werden. Vergeben bedeutet nicht vergessen. Es ist aber der Schritt, den beide brauchen, damit das Geschehene irgendwann nicht mehr zwischen ihnen steht.

Jedes Paar sollte an den Stellschrauben für eine gesunde und reife Beziehung arbeiten: Kommunikation auf Augenhöhe, Arbeit an den eigenen Themen sowie ein aufmerksames, wertschätzendes und liebevolles Miteinander. Wer gerade in einer Krise dieser Art steckt, dem möchte ich Mut machen: Es wird sich nicht für immer so anfühlen. Wer die wichtigen oben genannten Punkte beachtet, hat eine gute Chance, das Geschehene zu verarbeiten und reifer daraus hervorzugehen. Es braucht Zeit und Vertrauen in den Prozess. Aber es lohnt sich!

Ein Jahr später schauen Kati und Till auf eine schmerzhafte Zeit zurück. Inzwischen ist Ruhe eingekehrt. Die aufreibenden Gespräche sind vorbei. Ab und zu kommen Erinnerungen hoch, aber sie schmerzen nur noch kurz. Die beiden sind wieder aufmerksamer füreinander geworden und haben gelernt, über ihre Gefühle und Bedürfnisse zu sprechen. Tills Kontakt zu Lena beschränkt sich auf ein „Hallo“ im Büro. Katis Groll ihr gegenüber hat sich abgeschwächt. Aber ob und wie Kati ihr wieder begegnen möchte, darüber ist sie sich noch nicht sicher.

Christina Glasow ist Heilpraktikerin für Psychotherapie und lebt mit ihrer Familie in Pulheim. christinaglasow.de

Empathie – Was sich wirklich dahinter verbirgt

Gefordert und doch oft missverstanden: Empathie. Was das wirklich ist, erklärt Beziehungsexperte Marc Bareth.

Wenn ich mit Menschen über ihre Partnerschaft spreche, sagen mir viele, dass sie sich wünschten, ihr Partner oder ihre Partnerin hätte mehr Empathie. Vor allem von Frauen höre ich, dass es ihren Männern schwerfällt, das Mitgefühl aufzubringen, das sie eigentlich bräuchten. Stattdessen bekommen sie viele gut gemeinte Hinweise, wie man die Situation lösen könnte. Auch Aufmunterungen im Sinne von „Du schaffst das schon!“ stehen hoch im Kurs.

Anknüpfungspunkte

Wenn uns der andere erzählt, was ihn bedrückt, ist es manchmal schwer, einfühlsam darauf zu reagieren. Wenn wir ehrlich sind, finden wir das Gehörte oft schwer nachvollziehbar, manchmal sogar haarsträubend. Meistens findet der Zuhörer keinen Anknüpfungspunkt an die Erfahrungen seines Gegenübers, weil er selbst die gleichen Ereignisse ganz anders wahrgenommen und interpretiert hätte. Wie kann man mitfühlen, wenn man selbst nie etwas Ähnliches erlebt hat? Und wahrscheinlich auch nie etwas Ähnliches erleben wird, weil man anders gestrickt ist und anders mit dem Leben umgeht?

Diesen Überlegungen liegt ein großes Missverständnis über Empathie zugrunde. Als Gesellschaft haben wir hier eine kollektive Bildungslücke. Empathisch zu sein, bedeutet nämlich nicht, dass ich das Erleben meines Partners/meiner Partnerin nachvollziehen kann. Vielmehr bedeutet es, dass ich ihm/ihr aufmerksam zuhöre und ihm/ihr glaube, wenn er/sie mir davon erzählt, was ein bestimmtes Erlebnis bei ihm/ihr ausgelöst hat. Auch wenn das nicht mit meinem Erleben zusammenpasst. Die Empathieforscherin Brené Brown bringt es auf den Punkt: „Empathie bedeutet nicht, sich mit einer Erfahrung zu verbinden, sondern mit den Gefühlen, die durch eine Erfahrung ausgelöst wurden.“

Ungerecht behandelt

Als empathische Zuhörerinnen und Zuhörer versuchen wir also, in uns selbst etwas zu finden, das das Gefühl kennt, das unser Gegenüber beschreibt, und daran anzudocken. Ein Beispiel: Nadine erzählt Tobias, wie schwierig es für sie ist, dass ihr Kollege alle Lorbeeren für ein Projekt erhält, zu dessen Erfolg hauptsächlich sie beigetragen hat. Gerade heute hat ihr Vorgesetzter wieder vor dem ganzen Team die hervorragende Arbeit des Kollegen gelobt und ihren Beitrag mit keinem Wort erwähnt.

Tobias liegt die Lösung auf der Zunge: „Dann musst du dich halt wehren.“ So hätte er es gemacht. Ist ja absurd, dass man sich so etwas bieten lässt. Doch stattdessen fragt er sich: „Gibt es etwas in mir, das mir helfen könnte, zu erkennen und mich mit dem zu verbinden, was Nadine fühlt?“ Und tatsächlich kennt auch Tobias Situationen, in denen er sich ungerecht behandelt fühlt oder das Gefühl hat, dass ihn niemand wahrnimmt. Und wenn er dort anknüpft, wird es ihm gelingen, einfühlsam auf Nadine zu reagieren.

Marc Bareth und seine Frau Manuela stärken mit FAMILYLIFE Schweiz Ehen und Familien. Marc Bareth ist der Leiter dieser Arbeit. Er bloggt unter: familylife.ch/five

Langfristige Partnerschaft: Von Spaziergängen und Wanderwegen

Eine Partnerschaft durchlebt viele verschiedene Stadien und ist von unterschiedlichen Faktoren geprägt. Wie wir Herausforderungen gemeinsam meistern und langfristig glücklich bleiben können, verrät Paartherapeutin Ira Schneider.

Zueinander „Ja“ zu sagen bedeutet, sich all dem Schönen zu widmen, das eine Partnerschaft zu bieten hat. Wir dürfen das Paarsein feiern – all das Leichte, Fluffige und Blumige genießen. Aber nicht nur: Manche der gemeinsamen Wegstrecken sind wie Spaziergänge, andere wie Wanderungen mit Hürden.

Berge und Täler

Wer eine Weile gemeinsam durchs Leben tanzt, erfährt auch Herausforderungen. Nicht nur ältere Paare, sondern auch viele junge Paare wissen unabweislich: Jedem Paar begegnen Stolpersteine. Das Leben, das uns von außen vor Herausforderungen stellt, aber auch unser emotionales Gepäck, die Anteile, die wir mitbringen, können überwältigend sein. Genau deswegen ist es wichtig, sich gemeinsam bewusst auf die Spaziergänge und auf die Wanderwege zu begeben, die uns zu Überwindern machen. Gemeinsam machen wir uns mit unserem Gepäck auf durch die Berge und Täler. Dabei gilt es, sich auch den inneren und äußeren Gepäckstücken behutsam zuzuwenden. Viele sind ständig auf der Suche nach neuen Tools, nach etwas, das schnell hilft. Das alles hat seine Berechtigung. Für Wanderwege dagegen braucht man Zeit, um sie zu bewältigen. Genauso kostet es Zeit und Bereitschaft, sich den biografischen Spuren zuzuwenden. Aber es lohnt sich.

Dieser Wanderweg kann für jedes Paar zu einer noch verbundeneren Zukunft führen, denn etwas, das fast jedes Paar nach einiger Zeit der Reflexion erlebt, ist, dass man innerhalb einer Beziehung mit seinem Gegenüber so spricht, wie früher mit einem selbst gesprochen wurde, oder dass man sein Gegenüber so erlebt, wie man Bindungspersonen in seiner Kindheit und Jugend erlebt hat. Da wiederholt sich etwas, da wird etwas Altes aktualisiert: Geborgenheit und Schmerz. Macht und Ohnmacht. Vertrauen und Angst. Zuwendung und Abwendung.

Prägende Vergangenheit

Das Gemenge unserer kindlichen Erfahrungen, und zwar sowohl der wohltuenden als auch der schmerzlichen, vermischt sich mit unserem Hier und Jetzt. Muss uns das beunruhigen? Auf keinen Fall: Mit unserem Gegenüber können wir Uraltes überschreiben, ein zutiefst heilsames Korrektiv erleben und neue Beziehungserfahrungen über alte legen. Wir können unseren Lebenspfad neu beschreiben. Was wir nicht verkennen dürfen, ist, dass wir unsere Prägung nicht einfach abschneiden, uns umdrehen und nach vorne schauen können, als wäre sie bedeutungslos. Sie bleibt bei uns. Sie zählt. Sie ist nicht egal. Sie richtet sich ein und beeinflusst unbewusst unser Handeln und Fühlen im Hier und Jetzt. Wir können sie nicht mal eben wie ein Gewand abstreifen. Nein, sie kommt in einem anderen Kleid immer wieder ans Tageslicht.

Die vergangenen Erfahrungen jedes Einzelnen in seinem ursprünglichen familiären Umfeld und in seiner frühkindlichen Entwicklung haben mit den größten Einfluss auf eine Paarbeziehung. Das Gute ist aber: Alles, was wir verstehen, kann uns daran hindern, unbewusst alte verinnerlichte Reaktionsmuster zu wiederholen. Aber eins ist paradoxerweise wahr: Zurückblicken bringt Paare nach vorne.

Ob ihr in eurer Partnerschaft lieber erst einmal spazieren gehen und euch der gemeinsamen Wundertüte des Gestaltens widmen wollt oder gleich mit der Wandertour starten wollt, ist euch überlassen. Ihr entscheidet, was ihr gerade am meisten braucht. Wenn Ihr Lust habt: Ich würde mich freuen, euch mit meinem Buch auf der gemeinsamen Reise zu begleiten.

Ira Schneider arbeitet als Paartherapeutin und Autorin. Der Ausschnitt stammt aus ihrem frisch erschienenen Ratgeber „Jeden Tag ein neues Ja“ bei SCM Hänssler. Mehr dazu unter: @ira.schneider_ und auf schneider-ira.com