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Die gemeinsame Zukunft zimmern: 7 Tipps für Langzeitpaare

Die Kinder sind groß und gehen langsam aus dem Haus. Wie seht ihr auf die gemeinsame Zukunft? Mit Vorfreude oder Alltagssorgen? Die Paarcoaches Susanne und Marcus Mockler geben 7 Ideen für eine Paarbeziehung mit Vision.

Stell dir vor, du stehst mit deinem Partner vor einer riesigen Leinwand. Die Farben leuchten, die Pinsel sind bereit. Aber anstatt einfach loszulegen, fragt ihr euch: Was wollen wir eigentlich malen? Wie soll unser gemeinsames Werk aussehen? Diese Frage ist nicht nur für Künstler mega-wichtig, sondern auch für uns Paare, die ihre gemeinsame Zukunft zusammen gestalten wollen.

Die Vision: Euer innerer Kompass für die gemeinsame Zukunft

Ein altes schottisches Sprichwort sagt: „Wenn wir heiraten, übernehmen wir einen versiegelten Brief, dessen Inhalt wir erst auf hoher See lesen.“ Krass, oder? Am Anfang der Beziehung hätten wir nie gedacht, welche Stürme das Leben bringt. Kinder, Karriere, Krankheiten, Krisen – all das verändert uns. Deshalb ist es so wichtig, immer wieder innezuhalten und zu fragen: Wo wollen wir eigentlich hin?

Insbesondere dann, wenn die Kinder größer werden und aus dem Haus gehen, ergeben sich neue Spielräume, um Ideen zu entwickeln, Neues zu wagen oder nochmals durchzustarten – vielleicht beruflich, aber vor allem als Paar. Die Kraft ist noch da, nun ist auch mehr Zeit verfügbar, weil die Kinder nicht mehr so viel brauchen. Dann kann es losgehen. Nur wohin?

Eine gemeinsame Vision ist wie ein Kompass. Sie kann uns im Alltag leiten. Paare mit einer klaren Vorstellung und Perspektive sind glücklicher und stärker als Paare, die ziellos irgendwohin driften. Denn sie ziehen an einem Strang und lassen sich nicht so leicht aus der Bahn werfen. Aber wie entsteht so eine Vision? Die findet ihr nur heraus, wenn ihr miteinander sprecht. Hier ein paar konkrete Schritte, wie das einfacher wird.

Sieben Schritte zur Vision

Schritt 1: Euer Dreamday

Einmal im Jahr solltet ihr euch einen „Dreamday“ gönnen. Das ist kein Tag zum Ausruhen, sondern ein Date, an dem ihr über eure Träume und Ziele sprecht. Wo seht ihr euch in fünf, zehn oder zwanzig Jahren? Was wollt ihr unbedingt erleben? Welche Wünsche habt ihr als Paar – und welche Wünsche hat jeder für sich?

Folgende Fragen können euch dabei helfen:

  • Was wollen wir gemeinsam unbedingt erreichen?
  • Welche aufregenden Orte wollen wir sehen?
  • Welche Fähigkeiten wollen wir uns aneignen?
  • Welches gemeinsame Hobby oder Ehrenamt könnten wir starten?
  • Wie stellen wir uns den Ruhestand vor, wenn wir alt und grau sind?

Schreibt eure Antworten auf, visualisiert eure Ziele mit Bildern oder Collagen. Ein Traumhaus, eine Weltreise, ein Gartenprojekt – alles ist erlaubt!

Schritt 2: Die Finanzen klären

Geld ist ein Thema, das viele Paare lieber umgehen. Aber wer die gemeinsame Zukunft gestalten will, kann das nicht beiseite lassen. Wann ist der beste Zeitpunkt, um mit der Vorsorge anzufangen? Die Antwort: vor zwanzig Jahren. Der zweitbeste Zeitpunkt ist jetzt!

Analysiert eure Ausgaben. Wofür gebt ihr unnötig Geld aus? Wo könnt ihr sparen? Setzt euch finanzielle Ziele: Wie viel wollen wir für den Ruhestand auf die hohe Kante legen? Welche Versicherungen brauchen wir wirklich? Was wollen wir unseren Erben hinterlassen?

Wichtig: Mach deinen Partner zum Co-Piloten. Wenn einer allein die Finanzen regelt, gibt es oft Stress. Und es kann schwierig werden, wenn nur einer von euch beiden Einblick in die Vermögenssituation hat. Was, wenn diesem Partner mal etwas zustößt? Es ist ratsam, dass beide genug wissen, um im Notfall die Finanzen übernehmen zu können.

Schritt 3: Gesundheit und Fitness stärken

Natürlich hat man vieles in Bezug auf die gemeinsame Zukunft nicht im Griff. Das Älterwerden bringt Veränderungen mit sich, die nicht immer schön und angenehm sind. Statt dagegen anzukämpfen, solltet ihr lernen, damit umzugehen. Und ihr könnt euren persönlichen Beitrag dazu leisten, damit ihr mit höherer Wahrscheinlichkeit gesund alt werdet.

Investiert in eure Körper und Seelen. Bewegt euch regelmäßig, esst gesund und gönnt euch Auszeiten. Bleibt mental fit: Lest Bücher, löst Rätsel oder lernt eine neue Sprache.

Ein weiterer Punkt: Sorgt dafür, dass ihr beide für den Notfall Bescheid wisst. Wüsstest du, wo wichtige Dokumente und Konten sind, wenn dein Partner im Krankenhaus liegt? Habt ihr Vorsorgevollmachten und eine Patientenverfügung unterschrieben? Auch das ist ein unschönes, aber wichtiges Thema. Sprecht darüber, wie ihr euch im schlimmsten Fall euer Ende vorstellt. Dann muss niemand raten.

Schritt 4: Soziale Netze pflegen

Eine starke Beziehung lebt nicht nur von der Zweisamkeit, sondern auch von den Beziehungen nach außen. Freunde, Familie, Nachbarn – all das gehört dazu. Macht Fahrradtouren, Grillpartys, Spieleabende. Ein guter sozialer Zusammenhalt ist wichtig.

Es muss übrigens nicht alles gemeinsam unternommen werden. Unternehmt was mit anderen. Ob Männerrunde oder Mädelsabend – tut auch jeder persönlich etwas zur Pflege von Beziehungen. Gerade Männer tun sich hier oft schwer. Aber es ist wichtig, gute Freundschaften zu haben, um sich auszutauschen und auch um mit Problemen nicht allein zu bleiben.

Helft andererseits als Ehe-Team Freunden beim Umzug oder engagiert euch ehrenamtlich. Das stärkt eure Bindung und verstärkt in euch die Gewissheit, Teil von etwas Größerem zu sein.

Schritt 5: Glauben vertiefen

Für viele Paare ist der Glaube wichtig. „Couples who pray together stay together“ („Paare, die gemeinsam beten, bleiben zusammen“) – da ist was dran. Wir beobachten, dass Paare, die ihren Glauben teilen, tendenziell stärkere Beziehungen haben und weniger trennungsgefährdet sind. Das ist natürlich keine Garantie. Man muss auch gemeinsam an der Ehe arbeiten. Aber der gemeinsame Glaube stärkt die Bindung zwischen euch.

Fangt lieber klein an, als gar nichts zu machen: Betet vor dem Essen, lest jeden Morgen eine Bibelstelle oder die Tageslosung der Herrnhuter Brüdergemeine. Engagiert euch gemeinsam in eurer Gemeinde oder unterstützt ein Hilfsprojekt. Das schweißt zusammen und gibt eurer Beziehung Tiefe.

Schritt 6: Krisen als Booster nutzen

Keine Beziehung ist perfekt. Aber gerade in schweren Zeiten zeigt sich, was ein Paar wirklich verbindet. Seid ehrlich miteinander. Teilt eure Ängste, Sorgen und Hoffnungen. Sucht euch professionelle Hilfe, wenn ihr allein nicht weiterkommt. Statt euch auseinanderzuleben, seht Veränderungen als Chance, euch neu kennenzulernen.

Schritt 7: Den Alltag begeisternd leben

Letztendlich geht es darum, euer Leben mit kleinen Dingen zu etwas Besonderem zu machen. Anstatt im Alltagstrott zu versinken, gestaltet ihn proaktiv. Kocht zusammen neue Rezepte. Tanzt in der Küche. Macht spontane Ausflüge oder überrascht euch gegenseitig. Denkt daran: Glück entsteht nicht durch große Events, sondern durch die kleinen Momente, die wir bewusst erleben.

Fazit: Eure gemeinsame Zukunft startet jetzt!

Eines Tages werden wir sterben – aber an allen anderen Tagen nicht. Also lasst uns die Zeit nutzen, um unsere Zukunft aktiv zu gestalten. Redet miteinander, träumt zusammen und arbeitet Hand in Hand an euren Zielen. Denn eines ist sicher: Eine Beziehung, die gepflegt wird, kann auch nach Jahren noch mega-aufregend sein und vor allem zunehmendes und tieferes Glück bringen.

Also: Pinsel raus und los geht’s mit dem Malen! Eure Zukunft wartet!

Susanne & Marcus Mockler sind seit über 30 Jahren verheiratet und engagieren sich für starke Ehen (geliebtes-leben.de). Sie haben acht erwachsene Kinder. Susanne arbeitet als Paartherapeutin, Marcus ist Journalist. Gemeinsam haben sie das Buch „Da geht noch was! 7 Liebes-Booster für Langzeitpaare“ (adeo) geschrieben.

Beziehungsprobleme durch Überforderung? Experte gibt Tipps

Reagieren Partner ständig gereizt, sind gestresst und dünnhäutig, steht schnell die Frage im Raum, ob etwas mit der Beziehung nicht stimmt. Doch manchmal ist Überforderung das, erklärt Psychotherapeut Jörg Berger.

Jede Paarbeziehung hat Kipppunkte. Werden sie überschritten, verändert sich das Gleichgewicht, in das sich das gemeinsame Leben eingependelt hat. Maren und Bastian (Namen geändert) zum Beispiel sind glücklich in die Liebe gestartet. Sie hatten tolle erste Jahre. In den Augen ihrer Freunde waren sie ein Dream-Team und irgendwie sind sie es auch heute noch. Trotzdem ist Maren frustriert. Sie fühlt sich im Stich gelassen mit allem, was erledigt werden muss. Warum verzieht sich Bastian in den Garten und pflegt ihn, obwohl drinnen das Chaos herrscht? „Das entspannt mich“, entschuldigt er sich. „Ich brauche auch Zeit für mich. Das war doch schon immer so.“ Umgekehrt fehlen Bastian Zärtlichkeit, Sex und Austausch mit Maren. „Wenn alles an mir hängt“, verteidigt sich Maren, „muss ich doch abends weiter machen. Dann bin ich müde und falle ins Bett.“ Sind das Beziehungsprobleme? Oder doch Überforderung?

Kein Beziehungsproblem

Haben Maren und Bastian ein Problem in ihrer Paarbeziehung? Kommen persönliche Defizite ans Licht, von denen sie früher nur nichts gemerkt haben? Ich kann verstehen, wenn es den beiden so vorkommt. Doch ich sehe nichts dergleichen, als ich sie kennenlerne. Sie haben ein Defizit, das nichts mit ihnen zu tun hat: Ihnen fehlt Zeit. Sie haben viel zu wenig Zeit für ihre Aufgaben, für das Miteinander und für sich selbst. Bis zum zweiten Kind ging es noch irgendwie.

Doch mit dem dritten ist es gekippt. Die Hoffnung, dass es nach der Geburt wieder entspannter wird, hat sich nicht erfüllt. Alles, was ungeplant dazu kommt, ist nun viel zu viel: eine ADS-Verdachtsdiagnose der Fünfjährigen, ein Wasserschaden im Keller. Bastian sitzt beim Abendessen und kann sich nicht entspannen. Es ist ihm zu laut und er schämt sich zugleich dafür. Es sind doch seine geliebten Kinder. Wenn die Kinder streiten oder jemand etwas runterwirft, reagiert er gereizt. Als Maren ihn dann auch noch tadelnd ansieht, steht er wütend auf und geht. „Super“, denkt sich Maren. „Jetzt muss ich schon wieder alles allein machen und er hat seine Ruhe.“

Überforderung erkennen

Wenn Maren und Bastian darüber nachdenken, was eigentlich los ist, stehen sie unter dem gleichen Tabu wie ich bei der Einschätzung ihres Problems. Sie können kaum ihre kleine Lia ansehen und sich denken: „Ohne dich wären wir noch im Gleichgewicht.“ Doch andere Einschätzungen führen in Sackgassen, wie etwa die, dass Bastian seine Verantwortung nicht übernehme und selbstbezogen sei oder dass Maren nur noch die Kinder liebe und ihr Bastians Bedürfnisse egal seien. Denn das stimmt nicht. So waren beide nie. Unter normalen Umständen sind beide verantwortungsvoll und großzügig. Doch die Umstände sind nicht normal. Es ist alles so viel.

Wie viel Familienleben ein Paar bewältigen kann, liegt auch an gesellschaftlichen Faktoren. Manchmal entlastet es ein Paar, wenn ich darauf aufmerksam mache:

„Die Anforderungen an Familien sind enorm gestiegen. Kindergarten und Schule binden Eltern viel mehr ein, als es früher der Fall war. Außerdem hat die Mobilität zugenommen. Deshalb ist Ihre Situation ganz typisch: Ihre Eltern wohnen nicht in der Nähe. Auch Ihre Geschwister können gerade kaum aushelfen. Sie sind weit weg oder selbst in der Überforderungsfalle. Schließlich gehen junge Paare wie Sie mehr auf die emotionalen Bedürfnisse ihrer Kinder ein, als es Ihre Eltern getan haben. Das ist natürlich gut. Aber das braucht Zeit und kostet Kraft.“

Maren und Bastian können allmählich erkennen, dass sie sich den Umständen entsprechend gut schlagen. Sie tragen schon Verantwortung über ihre Leistungsgrenzen hinaus. Es ist nicht selbstverständlich, dass es überhaupt noch schöne Momente zu zweit gibt. Diese Sicht entspannt und schafft auch eine Grundlage für einen Aktionsplan.

Delegieren und Standards senken

Kinder sind ein Geschenk an die Gesellschaft. Warum sollte es nicht in Ordnung sein, um mehr Hilfe zu bitten? Wenn man es erklärt und die Hilfe wertschätzt, sind viele bereit, zu unterstützen, auch wenn sich Geben und Nehmen nicht ausgleichen. Entlastung bringen Kinderbetreuung, Fahrten zu Terminen oder Hilfe in Haus und Garten. Vielleicht finanzieren Großeltern, die weiter weg wohnen, eine Haushaltshilfe oder einen Babysitter, wenn sie wissen, wie sehr das eine notvolle Situation entlastet.

Wenn überlastete Paare ihre Ansprüche senken, sind die Folgen oft nicht so katastrophal wie befürchtet. Ein Kindergeburtstag mit süßen Stückchen und Limo, Sackhüpfen und freiem Spiel auf dem Hof macht genauso viel Freude wie der durchgestylte Geburtstag mit raffinierter Verköstigung, Bastelaktion und süßen Tütchen zum Abschied. Vielleicht erleben die kleinen Gäste sogar intensiver, worum es eigentlich geht: um Spaß mit dem Geburtstagskind.

Mit einigen Lehrern lassen sich Bündnisse schließen, wenn man sich anvertraut. Bei Buchvorstellungen oder Präsentationen ist es vielleicht in Ordnung, dass ein Kind selbstständig sein Bestes gibt und dafür genauso gelobt wird wie andere Kinder, die stundenlang mit den Eltern gefeilt haben. Vielleicht dürfen Eltern auch mal eine Notiz ins Heft kleben, dass es in einer Woche nicht für alle Hausaufgaben gereicht hat. Das würde nicht nur entlasten, es wäre auch eine Lebensschule für das Kind: Man muss nicht über jedes Stöckchen springen, das einem jemand hinhält.

Der Preis fürs Familiesein

„Könnten Sie es vielleicht auch akzeptieren?“ Das klingt seltsam aus dem Mund eines Therapeuten, zu dem man doch kommt, um etwas zu ändern. Doch manche Probleme sind einfach der Preis, den ein Paar bezahlt, um eine so große Familie zu sein, wie man es möchte – und manchmal auch: wie es sich ergeben hat. Vielleicht gehört es für ein paar Jahre dazu, dass beide unausgeglichen sind und überreagieren. Man streitet sich und versöhnt sich oder geht einander ein paar Stunden aus dem Weg. Vielleicht kann man mit dem leben, was einem fehlt: einem Mangel an Zeit zu zweit, an Intimität oder an Sicherheit, dass der andere mit anpackt, wenn man selbst nicht mehr kann. Angenommen, dies wäre der Preis fürs Familiesein, wäre es das nicht wert? Und könnte es den Mangel und die Überforderung aufwiegen, wenn man genug Zeiten mit den Kindern gestaltet, die einen auch selbst glücklich machen?

Ich will nicht zu viel versprechen, doch manchmal liegt der Schlüssel zur Veränderung in der Akzeptanz. Dann machen überforderte Paare die Erfahrung: „Wenn ich den Mangel annehme, spürt meine Frau weniger Erwartungen und geht wieder auf mich zu.“ – „Wenn ich schätzen kann, was der andere schon beiträgt, motiviert das, und mein Mann findet zu der Extrameile, die eigentlich schon über seine Grenzen geht.“

Welchen Preis können wir zahlen?

Eine ähnliche Doppelbelastung aus Mangel und Überforderung kann auch durch andere Situationen ins Leben kommen. Es kann auch ein Karriereschritt zu viel sein oder ein umfangreiches Ehrenamt. Doch nicht immer ist das Zuviel selbst gewählt. Manchmal ist es auch eine Erkrankung oder ein Elternteil des Paares, das akut hilfsbedürftig wird. Auch dann könnten die beschriebenen Strategien helfen, sich in Überforderung und Frust zu entlasten.

Ist die Entscheidung darüber, wie groß die Familie werden darf, noch nicht gefallen? Dass wir mit jeder Lebensentscheidung ins Risiko gehen, sollte uns nicht ängstlich machen. Warum sollten wir für das, was wir wirklich wollen, nicht auch einen Preis zahlen? Umgekehrt hilft diese Frage herauszufinden, was ein Paar wirklich will: Wäre es uns eine größere Familie wert, zur Not eine Lebensphase lang einen Mangel in der Paarbeziehung zu tragen oder überfordert zu sein? Eine mutige Entscheidung ließe sich so auf eine tragfähige Grundlage stellen. Das wäre auch realistisch. Denn ein Paar kann lernen, mit einem Mangel oder einer Überforderung liebevoll umzugehen. Es gibt aber keinen therapeutischen Trick, der beides aus der Welt schafft, wenn die Zeit nicht für alles reicht. Andererseits kann es auch Liebe sein, die sagt: „Mehr traue ich mir und uns nicht zu.“

Jörg Berger ist Psychologe und Psychotherapeut mit eigener Praxis in Heidelberg. psychotherapie-berger.de

Zum Vertiefen Jörg Berger: „Die Anti-Erschöpfungsstrategie“ (Herder Verlag, 2023)

Ein Kind zu viel!?

Reagieren Partner ständig gereizt, sind gestresst, dünnhäutig und wenig umsichtig, steht schnell die Frage im Raum, ob etwas mit der Beziehung nicht stimmt. Doch manchmal liegt das Problem woanders, erklärt Jörg Berger.

Jede Paarbeziehung hat Kipppunkte. Werden sie überschritten, verändert sich das Gleichgewicht, in das sich das gemeinsame Leben eingependelt hat. Maren und Bastian (Namen geändert) zum Beispiel sind glücklich in die Liebe gestartet. Sie hatten tolle erste Jahre. In den Augen ihrer Freunde waren sie ein Dream-Team und irgendwie sind sie es auch heute noch. Trotzdem ist Maren frustriert. Sie fühlt sich im Stich gelassen mit allem, was erledigt werden muss. Warum verzieht sich Bastian in den Garten und pflegt ihn, obwohl drinnen das Chaos herrscht? „Das entspannt mich“, entschuldigt er sich. „Ich brauche auch Zeit für mich. Das war doch schon immer so.“ Umgekehrt fehlen Bastian Zärtlichkeit, Sex und Austausch mit Maren. „Wenn alles an mir hängt“, verteidigt sich Maren, „muss ich doch abends weiter machen. Dann bin ich müde und falle ins Bett.“

Kein Beziehungsproblem

Haben Maren und Bastian ein Problem in ihrer Paarbeziehung? Kommen persönliche Defizite ans Licht, von denen sie früher nur nichts gemerkt haben? Ich kann verstehen, wenn es den beiden so vorkommt. Doch ich sehe nichts dergleichen, als ich sie kennenlerne. Sie haben ein Defizit, das nichts mit ihnen zu tun hat: Ihnen fehlt Zeit. Sie haben viel zu wenig Zeit für ihre Aufgaben, für das Miteinander und für sich selbst. Bis zum zweiten Kind ging es noch irgendwie.

Doch mit dem dritten ist es gekippt. Die Hoffnung, dass es nach der Geburt wieder entspannter wird, hat sich nicht erfüllt. Alles, was ungeplant dazu kommt, ist nun viel zu viel: eine ADS-Verdachtsdiagnose der Fünfjährigen, ein Wasserschaden im Keller. Bastian sitzt beim Abendessen und kann sich nicht entspannen. Es ist ihm zu laut und er schämt sich zugleich dafür. Es sind doch seine geliebten Kinder. Wenn die Kinder streiten oder jemand etwas runterwirft, reagiert er gereizt. Als Maren ihn dann auch noch tadelnd ansieht, steht er wütend auf und geht. „Super“, denkt sich Maren. „Jetzt muss ich schon wieder alles allein machen und er hat seine Ruhe.“

Eine entlastende Sicht

Wenn Maren und Bastian darüber nachdenken, was eigentlich los ist, stehen sie unter dem gleichen Tabu wie ich bei der Einschätzung ihres Problems. Sie können kaum ihre kleine Lia ansehen und sich denken: „Ohne dich wären wir noch im Gleichgewicht.“ Doch andere Einschätzungen führen in Sackgassen, wie etwa die, dass Bastian seine Verantwortung nicht übernehme und selbstbezogen sei oder dass Maren nur noch die Kinder liebe und ihr Bastians Bedürfnisse egal seien. Denn das stimmt nicht. So waren beide nie. Unter normalen Umständen sind beide verantwortungsvoll und großzügig. Doch die Umstände sind nicht normal. Es ist alles so viel.

Wie viel Familienleben ein Paar bewältigen kann, liegt auch an gesellschaftlichen Faktoren. Manchmal entlastet es ein Paar, wenn ich darauf aufmerksam mache:

„Die Anforderungen an Familien sind enorm gestiegen. Kindergarten und Schule binden Eltern viel mehr ein, als es früher der Fall war. Außerdem hat die Mobilität zugenommen. Deshalb ist Ihre Situation ganz typisch: Ihre Eltern wohnen nicht in der Nähe. Auch Ihre Geschwister können gerade kaum aushelfen. Sie sind weit weg oder selbst in der Überforderungsfalle. Schließlich gehen junge Paare wie Sie mehr auf die emotionalen Bedürfnisse ihrer Kinder ein, als es Ihre Eltern getan haben. Das ist natürlich gut. Aber das braucht Zeit und kostet Kraft.“

Maren und Bastian können allmählich erkennen, dass sie sich den Umständen entsprechend gut schlagen. Sie tragen schon Verantwortung über ihre Leistungsgrenzen hinaus. Es ist nicht selbstverständlich, dass es überhaupt noch schöne Momente zu zweit gibt. Diese Sicht entspannt und schafft auch eine Grundlage für einen Aktionsplan.

Delegieren und Standards senken

Kinder sind ein Geschenk an die Gesellschaft. Warum sollte es nicht in Ordnung sein, um mehr Hilfe zu bitten? Wenn man es erklärt und die Hilfe wertschätzt, sind viele bereit, zu unterstützen, auch wenn sich Geben und Nehmen nicht ausgleichen. Entlastung bringen Kinderbetreuung, Fahrten zu Terminen oder Hilfe in Haus und Garten. Vielleicht finanzieren Großeltern, die weiter weg wohnen, eine Haushaltshilfe oder einen Babysitter, wenn sie wissen, wie sehr das eine notvolle Situation entlastet.

Wenn überlastete Paare ihre Ansprüche senken, sind die Folgen oft nicht so katastrophal wie befürchtet. Ein Kindergeburtstag mit süßen Stückchen und Limo, Sackhüpfen und freiem Spiel auf dem Hof macht genauso viel Freude wie der durchgestylte Geburtstag mit raffinierter Verköstigung, Bastelaktion und süßen Tütchen zum Abschied. Vielleicht erleben die kleinen Gäste sogar intensiver, worum es eigentlich geht: um Spaß mit dem Geburtstagskind.

Mit einigen Lehrern lassen sich Bündnisse schließen, wenn man sich anvertraut. Bei Buchvorstellungen oder Präsentationen ist es vielleicht in Ordnung, dass ein Kind selbstständig sein Bestes gibt und dafür genauso gelobt wird wie andere Kinder, die stundenlang mit den Eltern gefeilt haben. Vielleicht dürfen Eltern auch mal eine Notiz ins Heft kleben, dass es in einer Woche nicht für alle Hausaufgaben gereicht hat. Das würde nicht nur entlasten, es wäre auch eine Lebensschule für das Kind: Man muss nicht über jedes Stöckchen springen, das einem jemand hinhält.

Der Preis fürs Familiesein

„Könnten Sie es vielleicht auch akzeptieren?“ Das klingt seltsam aus dem Mund eines Therapeuten, zu dem man doch kommt, um etwas zu ändern. Doch manche Probleme sind einfach der Preis, den ein Paar bezahlt, um eine so große Familie zu sein, wie man es möchte – und manchmal auch: wie es sich ergeben hat. Vielleicht gehört es für ein paar Jahre dazu, dass beide unausgeglichen sind und überreagieren. Man streitet sich und versöhnt sich oder geht einander ein paar Stunden aus dem Weg. Vielleicht kann man mit dem leben, was einem fehlt: einem Mangel an Zeit zu zweit, an Intimität oder an Sicherheit, dass der andere mit anpackt, wenn man selbst nicht mehr kann. Angenommen, dies wäre der Preis fürs Familiesein, wäre es das nicht wert? Und könnte es den Mangel und die Überforderung aufwiegen, wenn man genug Zeiten mit den Kindern gestaltet, die einen auch selbst glücklich machen?

Ich will nicht zu viel versprechen, doch manchmal liegt der Schlüssel zur Veränderung in der Akzeptanz. Dann machen überforderte Paare die Erfahrung: „Wenn ich den Mangel annehme, spürt meine Frau weniger Erwartungen und geht wieder auf mich zu.“ – „Wenn ich schätzen kann, was der andere schon beiträgt, motiviert das, und mein Mann findet zu der Extrameile, die eigentlich schon über seine Grenzen geht.“

Welchen Preis können wir zahlen?

Eine ähnliche Doppelbelastung aus Mangel und Überforderung kann auch durch andere Situationen ins Leben kommen. Es kann auch ein Karriereschritt zu viel sein oder ein umfangreiches Ehrenamt. Doch nicht immer ist das Zuviel selbst gewählt. Manchmal ist es auch eine Erkrankung oder ein Elternteil des Paares, das akut hilfsbedürftig wird. Auch dann könnten die beschriebenen Strategien helfen, sich in Überforderung und Frust zu entlasten.

Ist die Entscheidung darüber, wie groß die Familie werden darf, noch nicht gefallen? Dass wir mit jeder Lebensentscheidung ins Risiko gehen, sollte uns nicht ängstlich machen. Warum sollten wir für das, was wir wirklich wollen, nicht auch einen Preis zahlen? Umgekehrt hilft diese Frage herauszufinden, was ein Paar wirklich will: Wäre es uns eine größere Familie wert, zur Not eine Lebensphase lang einen Mangel in der Paarbeziehung zu tragen oder überfordert zu sein? Eine mutige Entscheidung ließe sich so auf eine tragfähige Grundlage stellen. Das wäre auch realistisch. Denn ein Paar kann lernen, mit einem Mangel oder einer Überforderung liebevoll umzugehen. Es gibt aber keinen therapeutischen Trick, der beides aus der Welt schafft, wenn die Zeit nicht für alles reicht. Andererseits kann es auch Liebe sein, die sagt: „Mehr traue ich mir und uns nicht zu.“

Beantworten sich Fragen der Familienplanung anders, wenn ein Paar glaubt und mit Gottes Hilfe im Familienleben rechnet? Aus meiner Perspektive würde ich sagen: Eher nicht, weil der Glaube unsere Grenzen nicht grundsätzlich verschiebt, die uns unsere leib-seelische Ausstattung und unsere Lebenssituation setzen. Paare müssen manchmal umgekehrt ihren Zugang zum Glauben anpassen, wenn dieser nicht auch noch zur Stressquelle werden soll.

Eine Wende im Glauben

Überforderte Paare, die glauben, bräuchten Gott dringend als Kraftquelle. Doch viele aktive Kirchengemeinden sind blind für die Engpässe, die das Familienleben mit sich bringen kann. Selbst ein Paar, das offensichtlich auf dem Zahnfleisch geht, wird mit allerlei Anfragen zur Mithilfe heimgesucht. Oft erwartet das ein Paar auch selbst von sich, weil es so geprägt ist. Wenn sich ein Paar innerlich sicher wird, dass es in seiner Kirchengemeinde auftanken darf und nicht helfen muss, kann es das den meisten verständlich machen und das Unverständnis weniger ignorieren. Es kann eine andere Seite des Glaubens entdecken als eine, die engagiert dient. Jesus hat denen, die ihm folgen, auch Erfrischung und Ruhe für die Seele versprochen und eine Aufgabenlast, die sanft auf den Schultern liegt (Matthäus 11,28). Wäre das nicht auch eine Facette des Glaubens, die man seinen Kindern vorleben möchte?

Jörg Berger ist Psychologe und Psychotherapeut mit eigener Praxis in Heidelberg. psychotherapie-berger.de

Zum Vertiefen Jörg Berger: „Die Anti-Erschöpfungsstrategie“ (Herder Verlag, 2023)

Mehr Freundschaft, weniger Leidenschaft? Beziehungsexperte klärt auf

Schadet es dem Sexualleben, wenn man einander zu gut kennt? Paarcoach Marc Bareth erklärt, wie Sie dieser Dynamik entgehen und wie die Leidenschaft bleibt.

Alex fragt sich, ob die größere emotionale Nähe auch ein Grund für die fehlende Leidenschaft zwischen Julia und ihm sein könnte. Wehmütig denkt er an ihre Anfänge zurück, als sie kaum die Finger voneinander lassen konnten. Inzwischen ist ihre Freundschaft gewachsen und sie fühlen sich viel vertrauter. Gemeinsam haben sie Hürden überwunden, eine tiefe Verbundenheit aufgebaut. Doch genau diese Nähe erscheint Alex jetzt wie ein Hindernis für ihr Liebesleben.

Bindung durch Sex

Vielen Menschen fällt es leicht zu glauben, dass emotionale Nähe zu einer unbefriedigenderen Sexualität führt, weil es sich mit ihren eigenen Erfahrungen zu decken scheint. Sie erinnern sich, dass sie in ihren schlechtesten Beziehungen am meisten sexuelle Anziehung verspürten. Oder dass sie sich in emotional distanzierten Phasen körperlich besonders zueinander hingezogen fühlten. Solche Erfahrungen sind weit verbreitet. Sie bedeuten aber nicht, dass weniger emotionale Nähe zu besserem Sex führt, sondern lassen sich dadurch erklären, dass in diesen Beziehungen die Bindung bedroht war und die Partner sich deshalb durch Sex aneinander binden wollten.

Wenn die emotionale Nähe in einer Beziehung wächst, entsteht ein Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit. Diese Intimität kann die anfängliche Aufregung und sexuelle Spannung, die oft mit dem Unbekannten und Abenteuerlichen verbunden ist, verringern. Dieser Effekt wird jedoch mehr als aufgewogen durch die Tatsache, dass Menschen sich sicherer, offener und freier fühlen, ihre sexuellen Wünsche zu äußern und auszuleben, wenn eine starke emotionale Bindung besteht. Emotionale Nähe schafft Vertrauen, Offenheit und emotionale Sicherheit – alles wichtige Grundlagen für eine erfüllende Sexualität. Deshalb ist sich die überwiegende Mehrheit von Wissenschaftlerinnen und Experten einig, dass mehr emotionale Nähe zu einem besseren, nicht zu einem schlechteren Sexualleben führt.

Zuviel Routine

Dass es bei Julia und Alex im Bett nicht mehr rundläuft, kann alle möglichen Gründe haben. Vielleicht hat das Älterwerden bei beiden Spuren hinterlassen, oder sie haben inzwischen andere Lebensprioritäten, die weniger Raum für Intimität lassen. Es könnte aber auch an mangelnder Offenheit und Neugier für Neues liegen, dass das Liebesleben zu routiniert und damit langweilig geworden ist. Ungeklärte Konflikte, die unbewusst in ihre Sexualität hineinwirken und die Leidenschaft hindern, könnten ebenfalls eine Rolle spielen. Hinzu kommen möglicherweise veränderte Hormonspiegel, die das Verlangen beeinflussen, oder eine zu enge Vorstellung davon, was Sex eigentlich ist und wie er ablaufen soll.

All das sind mögliche Erklärungen. Aber ganz sicher liegt es nicht daran, dass sich die beiden jetzt emotional näher sind als zu Beginn ihrer Partnerschaft. Diese Interpretation ist nicht nur falsch, sie ist auch schädlich. Sie führt zu Resignation, anstatt den Blick für die wahren Auslöser zu öffnen. Wenn Paare hingegen gemeinsam an den Ursachen arbeiten oder neue, für die aktuelle Lebensphase passende Formen der gemeinsamen Sexualität suchen, können sie die Sexualität in ihrer Beziehung mit Leidenschaft wiederbeleben.

Marc Bareth und seine Frau Manuela stärken mit FAMILYLIFE Schweiz Ehen und Familien. Er bloggt unter familylife.ch/five

Auf eigenen Füßen – Ehe mit Nichtchristen

Elternfrage: „Unsere Tochter (22) und ihr Verlobter planen zu heiraten. Er teilt unseren christlichen Glauben nicht. Wie können wir als Eltern, die sich einen gläubigen Schwiegersohn gewünscht hätten, weise mit dieser Situation umgehen?“

Die Hoffnung auf eine Ehe des eigenen Kindes, die auf Gott ausgerichtet ist, kann ein starkes Motiv für das elterliche Handeln gegenüber dem Fast-Schwiegersohn und der Tochter sein. Um die Beziehung zur Tochter zu stabilisieren und gleichzeitig die Beziehung zum Schwiegersohn aufzubauen, ist daher Feingefühl vonnöten. Auch, weil Christen von Menschen, die Gott nicht kennen, manchmal als bewertend, kontrollierend oder sogar ausgrenzend empfunden werden. Eine Triebfeder für das Miteinander kann der Bibelvers aus Johannes 13,35 sein: „Eure Liebe zueinander wird der Welt zeigen, dass ihr meine Jünger seid.“

Keine Distanz aufbauen

Fragen, mit denen Sie sich beschäftigen können, um gut mit der Situation umzugehen, sind: Was hilft dem jungen Mann, das persönliche Christsein zu entdecken und zu verstehen? Gibt es Rituale, die Ihre Tochter als einengend wahrgenommen hat oder sogar als sinnentleert empfindet? Gibt es Momente des christlichen Glaubens, die sie auch in ihrer Ehe mit einem Nichtchristen weiterverfolgen möchte? Durch einen inneren Schritt zurück auf einen Beobachtungsposten können Sie als Eltern sogar etwas über Ihren eigenen Glauben lernen. Wo sind die persönlichen Werte tatsächlich auf Jesus Christus ausgerichtet? Wo geht es um Rituale und Traditionen? Gemeinsam können Sie überlegen, welche Geschenke Sie im christlichen Glauben sehen, um diese dann weiterzugeben: Beispielsweise ein ausgesprochener Segen für die Ehe, ein bewusst gewählter Bibelvers für die Tochter oder ein Brief mit Wünschen für die Ehe …

Dabei geht es nicht darum, zu jedem Geburtstag oder möglichen Anlass ein frommes Buch oder einen Bibelverskalender zu schenken. Es geht auch nicht darum, alle Entscheidungen und alle Wochenendaktionen durch Kommentare zu bewerten und stetig zu fragen, ob das junge Paar schon eine Gemeinde für sich ausprobiert hat. Diese Punkte führen zu Distanz. Es führt womöglich auch dazu, dass sich Ihre Tochter falsch fühlt. Es geht darum, etwas mit wirklichem Wert aus Ihrer persönlichen Beziehung zu Jesus an Ihre Tochter und gegebenenfalls auch an das Paar zu schenken.

Die Kraft des Segens

Es beweist dienende Liebe, wenn Sie als Eltern mit den Grenzen und Abgrenzungen des jungen Paares gelassen umgehen. Die Beziehung wird stärker durch die Bereitschaft, Ihrer Tochter den Freiraum für eigene Entscheidungen zu lassen. Sie haben auf Ihrer Seite etwas, was unschlagbar ist: die Kraft des Gebetes und des Segens. Mit Ihrem engagierten Einsatz als Betende können Sie persönlich, aber auch im Leben Ihrer Tochter mit spannenden Entwicklungsschritten rechnen.

Stefanie Diekmann ist Gemeindereferentin in Göttingen, verheiratet und Mutter von drei erwachsenen Kindern.

Partner fürs Leben: Paar-Expertin verrät, wie die Beziehung glücklich bleibt

Den Partner fürs Leben finden! Das wünschen sich viele. Aber ist der Traum von der ewigen Liebe nicht der Stoff für kitschige Liebesromane? Nein, sagt Psychologin Tabea Müller und gibt Tipps, wie die Liebe im Alltag lebendig bleibt und ein Leben lang halten kann.

Es war ein Novembertag in Paris, als er niederkniet und die Frage aller Fragen stellt. „Jaaaaa!“, antworte ich. Er steckt mir einen Ring an. Wir küssen uns, lachen erleichtert. Nur wenige Schritte entfernt erfüllt ein Straßenmusiker die Luft mit Geigenklängen. Zu unseren Füßen liegt Paris mit seinen verwinkelten Gassen und unendlichen Möglichkeiten – wie ein Spiegel unserer gemeinsamen Zukunft. Der Partner fürs Leben – der Traum ist zum Greifen nahe.

Der perfekte Moment

Nicht nur der Moment schien perfekt, sondern auch der Mann an meiner Seite. Mein kleines Herz konnte das große Glück gar nicht fassen, dieses vor uns liegende gemeinsame Abenteuer, das für immer halten sollte.

Niemals zuvor war ich mir einer Entscheidung so sicher wie in jenem Augenblick, auf den Stufen von Sacré-Cœur vor einem Dutzend Jahren. Ja, ich wollte seine Frau werden. Er sollte mein Mann werden. Mein one and only, mein Partner fürs Leben. Der, der besser zu mir passt als alle, die bisher meinen Weg gekreuzt haben. Auch wenn wir beide nicht perfekt sind, füreinander sind wir es – oder werden es jeden Tag ein Stückchen mehr. Und noch immer bin ich überzeugt, die richtige Wahl getroffen zu haben.

Der Traum von der ewigen Liebe

Der Traum von der ewigen Liebe ist zeitlos – der Wunsch, den einen Partner fürs Leben zu finden, begleitet die Menschheit durch alle Generationen hindurch. Auch heute noch wollen 67 Prozent der „Generation Z“ laut einer österreichischen Jugendstudie einmal heiraten. Kein Wunder, denn die positiven Auswirkungen sind enorm: Glücklich Verheiratete leben zum Beispiel im Durchschnitt vier bis acht Jahre länger als unglücklich verheiratete oder geschiedene Paare. Sie haben mehr natürliche Killerzellen in ihren weißen Blutkörpern und sind dadurch weniger anfällig für Krankheiten.

Die tatsächliche Zahl der Eheschließungen sinkt trotzdem seit 1950 stetig. Das kann an der erschlagenden Auswahl an potenziellen Partnern liegen, die wir dank Internet inzwischen weltweit haben. Aber auch an unseren Erwartungen, die höher sind als je zuvor. Als ich meine Oma fragte, wie sie sich unter ihren Verehrern für meinen Opa entschieden hatte – ich wusste, dass es mehrere Anwärter gab –, antwortete sie: „Er hatte ein Motorrad.“

Partner fürs Leben und veränderte Ansprüche

Ein Motorrad! Das hätte heute bei Weitem nicht gereicht. Wir sehnen uns nach dem einen Menschen, der uns so sehr in seinen Bann zieht, dass uns alle anderen völlig egal sind. Wir träumen von einer Zukunft, in der wir alles teilen, beste Freunde, anregende Gesprächspartner und leidenschaftliche Liebhaber sind. Und wir wollen, dass eine einzige Person all unsere oft widersprüchlichen Bedürfnisse erfüllt – sei es Nähe, Freiheit, Verbundenheit und Erotik. Die Psychologin Esther Perel bringt es auf den Punkt: „Heute erwarten wir von einem Partner fürs Leben, was früher ein ganzes Dorf geleistet hat – und wir leben doppelt so lang wie damals.“ Kein Wunder, dass Enttäuschungen kommen, wenn wir uns diese Erwartungen nicht bewusst machen.

Den one and only kann es trotzdem geben, davon bin ich überzeugt und mit mir alle, die heutzutage noch heiraten wollen. Dabei hat das gar nicht so viel mit diesem Jemand zu tun, sondern damit, wie wir ihn oder sie wahrnehmen und behandeln. Der one and only bekommt von uns den Stellenwert, wichtiger zu sein als alles andere in unserem Leben. Diese Person ist die einzige Familie, die wir uns aussuchen können. Wir lieben sie und behandeln sie dementsprechend wie etwas ganz Wertvolles. In den ersten zwei Jahren ist das auch easy, denn da sind wir vollgepumpt mit Liebeshormonen, wie auf Drogen. Wir vergeben kleine Macken, finden sie vielleicht sogar süß. Pendeln sich die Hormone nach geraumer Zeit wieder im Normalbereich ein, stören uns Eigenheiten immer mehr. Zudem haben wir uns an die Gegenwart des Partners oder der Partnerin gewöhnt und nehmen sie oder ihn für selbstverständlich.

Was eine glückliche Ehe ausmacht

Wenn wir das Agieren unseres Partners zudem als persönliche Angriffe empfinden – was selten wirklich der Fall ist –, schleichen sich nach und nach negative Gefühle ein, und die Beziehung gerät in einen Abwärtsstrudel. Wir gehen in Gegenangriff, der Rosenkrieg beginnt: Einer kritisiert, der andere verteidigt sich, findet für jedes Fehlverhalten einen Grund. Wenn der Kritisierende auf seinem Standpunkt beharrt und mit verächtlichen, sarkastischen Bemerkungen reagiert, zieht sich der andere meist stillschweigend zurück. Gar nicht mal böswillig, sondern aus Selbstschutz vor der Flut an negativen Gefühlen, die eine leichte, humorvolle Wendung der Situation unmöglich machen.

Kritik, Verachtung, Rechtfertigung, Rückzug: Das sind laut dem Psychotherapeuten John Gottman die vier apokalyptischen Reiter, die das Ende einer Ehe ankündigen. Seit einem halben Jahrhundert erforscht er mit seinem Team im „Liebeslabor“ in Seattle Ehen und liefert beeindruckende Ergebnisse. Nicht nur können sie nach einer kurzen Beobachtungsphase mit einer Wahrscheinlichkeit von 95 % vorhersagen, ob sich ein Paar im Laufe seines Lebens scheiden lassen wird, viel wichtiger: Sie fanden auch heraus, was glückliche Ehen ausmacht. Denn auch glückliche Paare streiten – aber sie haben Strategien, die verhindern, dass Konflikte eskalieren. Kleine Rettungsversuche wie ein humorvoller Kommentar oder eine Entschuldigung wirken wahre Wunder. So kann das Stresslevel im Streit sinken und eskaliert nicht. Aus all seinen physiologischen Messungen und Beobachtungen siebte Gottman sieben Geheimnisse heraus, die glückliche Paare gemeinsam haben. Ich habe mir erlaubt, diese ein bisschen zu würzen.

7 Tipps für glückliche Paare

1. Gefährten

Glückliche Paare sind beste Freunde. Sie wissen, was den anderen gerade beschäftigt, wovon er träumt oder was ihn belastet.

Konkret: Geh nicht schlafen, bevor du weißt, wie es deinem Partner heute erging und was er oder sie erlebt hat. Erwarte stets, dass er/sie dir etwas erzählt, was du so nicht erwartet hast. Falls das nicht der Fall ist, stell kreativere Fragen.

2. Verehrer

Selbst nach vielen Ehejahren bewundern und respektieren glückliche Paare einander und erzählen ihre gemeinsame Liebesgeschichte positiv und detailliert.

Konkret: Behandle deinen Partner so respektvoll wie einen Kunden und gib ihm am Ende des Tages nicht nur deine müden „Reste“. Würdest du mit ihr oder ihm genauso umgehen, wenn dein Chef oder Jesus selbst zu Gast wäre? Merkt der andere, dass er oder sie dir kostbar ist?

3. Cheerleader – oder Anästhesisten

Glücklich Liebende wenden sich einander zu, kommen in der Gegenwart des anderen zur Ruhe und bauen im Gespräch den Stress des Tages ab. Egal, was passiert ist, sie stärken einander den Rücken.

Konkret: Kommt dein Partner bei dir zur Ruhe und kann entspannen? Falls nicht, hilft: Handy weglegen, aktiv mit Augenkontakt zuhören und Verständnis äußern. Dazu eine ordentliche, nicht zu sanfte Massage und der Stress fühlt sich definitiv unwohl.

4. Influencer

Glückliche Paare lassen sich vom anderen beeinflussen und schätzen ihre oder seine Sichtweise und Expertise.

Konkret: Werde selbst zum Traumpartner und zeige dich von deiner besten Seite. Dabei hilft folgende Frage: Bin ich jemand – gesund, produktiv, sauber, großzügig, ehrlich und geduldig –, mit dem man unbedingt zusammenbleiben möchte? Dann ist der andere nämlich mit Sicherheit auch offen für deine Ideen.

5. Harte Weicheikocher

Die nicht lösbaren Konflikte – das sind übrigens zwei Drittel –, die es in jeder Beziehung gibt, lassen glückliche Paare stehen und akzeptieren, dass sie Teil ihres gemeinsamen Lebens sind. Die lösbaren Konflikte lösen sie.

Konkret: Unterstelle deinem Partner NIE eine böse Absicht, höchstens Unachtsamkeit oder Unwissenheit. Dazu gehört auch, nicht aufzurechnen. 50:50 ist eine nette, aber unrealistische Idee von Beziehung, manchmal sind es 100:100, manchmal 80:20, manchmal 30:30 … Das Energielevel schwankt und das ist okay.

6. Diplomaten

Auch bei Konflikten, die zu Patt-Situationen führen, bleiben sie im Gespräch. Sie versuchen, die Grundmotivation des anderen hinter dem Standpunkt zu verstehen, bauen im Gespräch durch Rettungsversuche Stress ab und halten die nicht verhandelbaren Aspekte so gering wie möglich.

Konkret: Oft steckt irgendeine Angst hinter nicht verhandelbaren Standpunkten. Wenn du dazu neigst, ängstlich zu sein, versuche mutiger zu werden und dir häufiger die bestmöglichen Szenarien vorzustellen. Neurotizismus ist einer der wenigen Charakterzüge, die mit einer unglücklichen Ehe einhergehen.

7. Sinnfluencer

Durch Zukunftsträume, Finanzpläne oder Gottmomente im Alltag haben sich glückliche Paare einen gemeinsamen Sinn geschaffen. Wiederkehrende Familienrituale wie das gemeinsame Planen von Kindergeburtstagen oder ein ganz besonderer Ablauf an Heiligabend verbinden und definieren ein Wir-Gefühl.

Konkret: Nehmt euch Zeit und schreibt auf, was ihr in 1/3/10 Jahren besitzen sowie gelernt und erlebt haben möchtet. Dann fangt an, eure gemeinsamen Nenner probezuleben.

Lass dich von dieser Masse nicht erschlagen. Sie soll lediglich als Inspiration dienen, ganz nach dem Motto: „Das Gute behaltet.“ Vieles liegt in deiner Hand und du musst nicht warten, bis sich dein Partner oder deine Partnerin verändert.

Tabea Müller ist Psychologin und lebt mit ihrer Familie bei Karlsruhe. tabeasarah.de

Partnerschaft eintönig? Vielleicht ist es eine „Bierdeckelallianz“

Gleiche Hobbies, gleicher Freundeskreis, alles gemeinsam machen. Eine solche Partnerschaft wird irgendwann eintönig. Paarexperte Marc Bareth nennt das eine „Bierdeckelallianz“ und erklärt, wie neuer Schwung in die Partnerschaft kommt.

Herr und Frau Flückiger verbindet eine innige Beziehung. Sie haben jung geheiratet und sind nicht nur Ehepartner, sondern auch beste Freunde. Sie verbringen gerne ihre Freizeit zusammen und haben einen großen gemeinsamen Freundeskreis. Doch schleichend wurde die Partnerschaft eintönig.

Wie ein gedrosselter Sportwagen

Dennoch hat sich bei den Flückigers in den letzten Jahren eine gewisse Unzufriedenheit mit ihrer Partnerschaft breitgemacht. Frau Flückiger beklagt immer öfter, dass ihr Ehealltag eintönig sei. Sie vermisst das Neue, das Überraschende in ihrer Beziehung. Und Herr Flückiger empfindet seine Ehe zunehmend als anstrengend. Sie entzieht ihm Energie. Kürzlich hat er einem Freund anvertraut, dass er sich zu Hause wie ein Sportwagen fühlt, dessen Motor auf 80 km/h gedrosselt ist.

Eine solche Partnerschaft nenne ich eine Bierdeckelallianz. Sie sind wie zwei Bierdeckel, die sich aneinanderlehnen. Sie stützen sich gegenseitig und können dank dem anderen stehen. Sie brauchen einander, denn gemeinsam schaffen sie, was jeder für sich nicht schafft. Zwei aneinandergelehnte Bierdeckel sind aber auch voneinander abhängig. Keiner darf sich zu fest bewegen, verändern oder gar wachsen, sonst könnte das Ganze einstürzen.

Das erlebt das Ehepaar Flückiger. Weil beide nicht allein durchs Leben gehen können, klammern sie sich aneinander und suchen die Verschmelzung. Das führt dazu, dass sich ihr Leben zunehmend auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner abspielt. In der Freizeit machen sie nur noch das, worauf beide Lust haben. Lebensbereiche und Themen, zu denen sie unterschiedliche Ansichten haben, verdrängen sie.

Nähe und Freiheit

Der Preis dafür, ein Herz und eine Seele zu sein, ist, dass beide alle Eigenschaften und Interessen gekappt haben, die nicht mit denen des Partners übereinstimmen. Eine solche Beziehung ist eine falsch verstandene Art von Einssein. Sie führt zu den Symptomen, unter denen die Flückigers heute leiden: Langeweile, Stagnation, Leblosigkeit und Verkümmerung.

Ein gesundes Einssein ist keine Bierdeckelallianz, sondern lässt sich mit dem Bild zweier starker Bäume beschreiben, deren Kronen sich zu einem gemeinsamen Blätterdach verbinden. Es ist die volle Nähe zweier Menschen, die beide auch unabhängig voneinander im Leben stehen könnten. Es ist eine Nähe, die dem anderen Freiheit, Entwicklung und Veränderung zugesteht, weil dies für den fest verwurzelten und selbst stehenden Baum nicht bedrohlich ist. Der Weg zu mehr Lebendigkeit in der Partnerschaft besteht darin, in enger Verbindung mit dem Partner und trotzdem ganz bei sich selbst zu bleiben.

Wenn die Flückigers wieder mehr Lebendigkeit in ihre Beziehung bringen wollen, führt kein Weg daran vorbei, sich die eigene Individualität in kleinen Schritten zurückzuerobern. Dazu gehören zwei Seiten. Zum einen, sich zu trauen, den Partner nicht ständig zu schonen, sondern zu seinen Bedürfnissen zu stehen und sich selbst in seiner Andersartigkeit dem Partner zuzumuten. Und andererseits dem anderen eine eigene Meinung, andere Bedürfnisse und eine Entwicklung zuzugestehen, auch wenn sich das bedrohlich anfühlt.

Marc Bareth und seine Frau Manuela stärken mit FAMILYLIFE Schweiz Ehen und Familien. Marc Bareth ist der Leiter dieser Arbeit. Er bloggt unter: familylife.ch/five

Beziehungs-Zoff vermeiden, auf Augenhöhe leben

Wenn es in der Partnerschaft kracht, liegt es oft daran, dass unterschiedliche Persönlichkeitsanteile aufeinandertreffen. Paartherapeutin Ira Schneider erklärt, wie Partner auf Augenhöhe zusammenfinden.

Als Paar seid ihr eine Dyade, also ein System aus zwei Personen. Wenn Kinder dazukommen, entstehen mehrere Dyaden. Die Mutter-Kind-Dyade, die Vater-Kind-Dyade und auch eine neue Triade entsteht, denn ihr seid dann zu dritt. Je mehr Kinder dazukommen, desto komplexer wird es. Aber schon in der Dyade als Paar steckt genug Zündstoff, den es anzuschauen gilt. Das geschieht, wenn sich die Parter nicht auf Augenhöhe begegnen.

Innere Anteile verstehen

Zunächst einmal: Eine Paarbeziehung bewegt sich immer zwischen Fortschritt (Progression) und kindlichen Anteilen (Regression). Denn auch als Erwachsene tragen wir unsere kindlichen Anteile weiterhin in uns. Die Progression steht für unsere selbstständigen Anteile, wie „Identität, Stabilität, Autonomie, Reife, Tatkraft und Kompetenzen“ (Heidrun Ferguson, Partnerschaftsprobleme und chronischer Stress). Die Regression steht für „Einssein, Pflege, Umsorgung, Schutz, Geborgenheit und Abhängigkeit“ (Ferguson). Diese bedürftigen Anteile in uns werden innerhalb unserer Ehe aktiviert, und es geht darum, beweglich und flexibel mit ihnen umgehen zu können. Das können Paare miteinander lernen. Diese inneren Anteile begegnen jedem Paar in verschiedensten Abschnitten und Momentaufnahmen immer wieder. In der Paartherapie und zur Reflexion hat sich die Transaktionsanalyse als hilfreich erwiesen. Die Transaktionsanalyse ist eine „sozialpsychologische Theorie und Methode, welche Austausch und die Begegnungen von Menschen in den Vordergrund stellt und dabei unterschiedliche Kontexte sowie Persönlichkeitsanteile und Lebensgeschichten der Menschen berücksichtigt“ (Jürg Bolliger, Grundlagen der Transaktionsanalyse). Dabei reagieren Paare in der Interaktion meist auf drei verschiedenen Ebenen (vgl. Bolliger):

  • Eltern-Ich: Ein Teil des Paares kann aus dem Eltern-Ich reagieren. Dieses Eltern-Ich kann fürsorglich oder kritisch sein.
  • Kind-Ich: Ein Teil des Paares kann aber auch aus einem Kind-Ich reagieren. Dieses Kind-Ich kann angepasst, rebellisch oder frei sein.
  • Erwachsenen-Ich: Ein Teil des Paares kann aus dem Erwachsenen-Ich reagieren. Dieses kann realitätsbezogen, problemlösend und sachbezogen sein.

Im ungünstigen Zustand

Das Ziel einer Paarbeziehung ist, dass sich beide auf Augenhöhe im Erwachsenen-Ich begegnen. Nehmen wir folgende Paarsituation an: Greta und Ben sind mit Freunden im Kino verabredet. Sie machen sich im Flur fertig. Draußen regnet es in Strömen. Ben nimmt noch schnell einen Regenschirm zur Hand. Greta nimmt eine dünne Übergangsjacke und wirft sie sich über. Die beiden sind ohnehin spät dran. Ben verspürt einen Fürsorgedrang und will nicht, dass Greta sich erkältet.

Gleichzeitig erlebt er innerlich einen Kontrollverlust: Wenn Greta krank wird, liegt sie mehrere Tage flach und fällt bei der Kinderbetreuung aus. Ben verwandelt sich in ein kritisches und fürsorgliches Eltern-Ich zugleich. Aus ihm schießt es heraus: „Du nimmst doch nicht etwa bei dem Regen eine Übergangsjacke. Zieh dir doch was Richtiges an. Hier, deine Regenjacke.“ Greta fühlt sich augenblicklich angegriffen. Ihr wurde suggestiv eine umgekehrte Rolle zugewiesen. Statt bei sich zu bleiben, springt sie in die Dynamik mit rein und reagiert aus einem trotzigen Kind-Ich heraus. Sie zischt: „Das ist ja wohl meine Sache. Ich brauche eigentlich gar keine Jacke.“ Sie lässt sowohl die Übergangsjacke als auch die Regenjacke drinnen liegen und stapft raus. Schon ist die Stimmung im Eimer. Greta könnte einen weichen Blick auf Ben einnehmen und nachhorchen, wovor er sich schützt, weshalb er so vehement auf die Jacke pocht.

Wenn Paare sich wie Kinder oder Eltern verhalten, passiert das in der Regel unbewusst. Die Begleitaffekte können jedoch oft Wut oder eine diffuse und nicht greifbare Stimmung sein. Eine Möglichkeit wäre hier, dass Greta Ben erklärt, dass sie gern für sich selbst sorgen und dementsprechend auch gern allein entscheiden möchte, wie sie sich kleidet. Ben muss lernen, Gretas Grenzen und Autonomie zu wahren. Auch würde es ihm in dieser Situation helfen, seine eigentliche Angst, nämlich die Fantasie einer kranken Greta, die nicht mehr ihren Fürsorgeanteil bezüglich der Kinder übernehmen kann, zu kommunizieren.

Gemeinsame Augenhöhe finden

Es kann sehr kräftezehrend und wohltuend zugleich sein, sich mit der eigenen Vergangenheit zu beschäftigen. Keine Herkunftsfamilie, kein Paar ist perfekt. Doch allein die Tatsache, dass ihr euch mit diesen Fragen auseinandergesetzt habt, ist ein enormer Schritt. Sicher, eure kindlichen Anteile werden immer ein Stück weit bleiben und es ist wichtig, sie liebevoll zu umsorgen und anzunehmen. Ihr könnt mit eurer Ehe aber auch vieles, wenn nicht sogar alles überschreiben und wiedergutmachen und Ja zu einer Partnerschaft auf Augenhöhe sagen.

Hilfreiche Fragen für eure Beziehung

  • Rutscht ihr manchmal in verdrehte Rollen? Wenn ja, welche Situationen kommen euch hier in den Sinn?
  • Wenn ihr gerade nicht im Erwachsenen-Ich reagiert, zu was neigt ihr eher: zum Eltern-Ich oder zum Kind-Ich?
  • Welches kleine Signalwort könntet ihr verabreden, um euch daran zu erinnern, wieder aus dem Erwachsenen-Ich zu reagieren?

Ira Schneider arbeitet als Paartherapeutin und Autorin. Der Artikel stammt leicht verändert aus ihrem frisch erschienenen Buch „Jeden Tag ein neues Ja“ (SCM Hänssler).

Commitment: Dieser Satz hält Ihre Beziehung lebendig

Was der Beziehung wirklich dient, geht tiefer als Kommunikation oder Sexualität. Es ist Commitment. Paarexperte Marc Bareth weiß, was wir einander immer wieder sagen müssen, um eine stabile Partnerschaft zu leben.

Eine große Studie hat kürzlich untersucht, was für das Gelingen einer Partnerschaft entscheidend ist. Ist es die Kompatibilität der beiden Partner? Eine überdurchschnittlich gute Kommunikation? Oder etwa eine befriedigende Paarsexualität? Nein, es ist ein Commitment.

Eine feste Zusage

Die Forschenden rund um Samantha Joel haben 43 bestehende Paarstudien kombiniert und sind zu dem Ergebnis gekommen, dass es einen Faktor gibt, der wichtiger ist als Kompatibilität, Kommunikation und Sex: Es ist das Wissen, dass die andere Person voll und ganz hinter einem steht und einen nicht im Stich lässt. Oder kurz: Commitment. Dies ist das Fundament unseres Beziehungshauses. Auf dem uneingeschränkten Ja zueinander bauen alle anderen Beziehungsbereiche wie Kommunikation, Konfliktlösung und Freizeitgestaltung auf.

Wenn das Fundament Risse bekommt, hat das unmittelbare Auswirkungen auf alle Beziehungsräume, vom Umgang mit den Schwiegereltern über die Sexualität bis zum Umgang mit Geld. Ich will das am Beispiel der Kommunikation verdeutlichen. Sarah ist eine hervorragende Kommunikatorin. Sie beherrscht die Gewaltfreie Kommunikation und andere Konzepte im Schlaf. Doch all das nützt ihr nichts, wenn sie spürt, dass das Commitment ihres Partners bröckelt. Denn wenn sie sich nicht mehr sicher ist, ob er zu ihr steht und sie unterstützt, werden bei ihr Ängste aktiviert.

Standhaft gegen die Ur-Angst

Der Verlust des Partners gehört zu den bedrohlichsten Szenarien unseres Lebens. Wir reagieren darauf ähnlich wie Menschen vor 3.000 Jahren, wenn sie einer wütenden Bärenmutter gegenüberstanden: Unser Körper schüttet Adrenalin und Cortisol aus und es kommt zu einer Fight-Flight-Freeze-Reaktion. Während es bei der Begegnung mit der Bärenmutter noch überlebenswichtig war, alle mentalen und körperlichen Ressourcen für eine Kampf-, Flucht- oder Erstarrungsreaktion zu bündeln, ist dies in einer heutigen Partnerschaft eher nicht hilfreich. Denn diese Reaktion führt dazu, dass wir nicht mehr auf unsere erlernten Kommunikationsstrategien zurückgreifen können. Dazu bräuchten wir unser Großhirn.

Die Bedrohung – das schwindende Commitment unseres Partners – führt dazu, dass das Stammhirn übernimmt und das Großhirn abschaltet.So kann Sarah ihre kommunikativen Fähigkeiten nicht mehr abrufen. Stattdessen wird sie aggressiv, flieht oder erstarrt. Natürlich reagiert ihr Partner nicht gut darauf und die Paarkommunikation, eigentlich immer eine Stärke dieses Paares, bricht zusammen.Weil das Commitment so zentral für jede Partnerschaft ist, sind Paare im Vorteil, die die Ehe als lebenslange und grundsätzlich unauflösliche Gemeinschaft verstehen. Wer weiß, dass die Partnerin auch in schweren Konflikten nicht von seiner Seite weicht, ist weniger gefährdet, dass das Stammhirn das Ruder übernimmt, weil zu wenig Commitment des Gegenübers wahrgenommen wird.

Um dem Gegenüber zu zeigen, dass man durch dick und dünn zusammenhält, sind Worte wichtig. Noch bedeutender als sich „Ich liebe dich“ zu sagen, ist es, sich gegenseitig sein Commitment zu bestätigen. Deshalb lautet der wichtigste Satz in einer Beziehung: „Ich bin da für dich und stehe immer hinter dir.“ Wenn wir einander diesen Satz wirklich glauben können, dann gibt uns das die Sicherheit, die wir als Grundlage für alle Beziehungsbereiche brauchen.

Marc Bareth und seine Frau Manuela stärken mit FAMILYLIFE Schweiz Ehen und Familien. Marc Bareth ist der Leiter dieser Arbeit. Er bloggt unter familylife.ch/five

Störenfried: Wenn das innere Kind dazwischenfunkt

Ein plötzlicher Ausraster, undefinierbare Gefühle – so oder anders kann sich das innere Kind zu Wort melden und die Harmonie in der Partnerschaft stören. Therapeutin Melanie Schüer erklärt die Zusammenhänge.

„Tut mir leid, ich weiß auch nicht, warum ich mich so aufgeregt habe. Irgendwas hat mich daran total getroffen …aber es ist nicht deine Schuld“, murmelt Lea, während sie sich Milch in ihren Kaffee gießt und zaghaft ihrem Mann zulächelt. Wieder mal ist sie ziemlich wütend geworden in einer Situation, die so ähnlich – das fällt ihr jetzt, mit etwas Abstand auf – immer wieder für Konflikte sorgt.

„Wenn ich mal so darüber nachdenke, geht es bei meinen Ausrastern ziemlich oft um dieses Thema Vergessen werden“, denkt sie laut nach. Und tatsächlich: Gerade hat ihr Mann den Käse vergessen, den sie so gern morgen zum Frühstück genossen hätte. Ihr Sohn hat vor ein paar Tagen nicht daran gedacht, ihren Brief zur Post zu bringen, als er in der Stadt war und als ihre beste Freundin hatte sich letzte Woche nicht, wie angekündigt, gemeldet. In all diesen Situationen hatte Lea ziemlich wütend reagiert – übertrieben wütend, wie sie selber findet, eigentlich unreif, kindlich. Und das ist ganz logisch, denn diese Situationen lösen aufgrund von Leas Biografie etwas aus, das ihr inneres Kind betrifft.

Das innere Kind und die Persönlichkeit

Manchmal nehmen wir Menschen in uns verschiedene Stimmen wahr. Das ist keine Spaltung der Persönlichkeit, sondern die normale Tatsache, dass jeder Mensch verschiedene innere Anteile besitzt. Diese inneren Anteile hängen auch mit unseren unterschiedlichen Rollen zusammen, die wir im Alltag einnehmen – zum Beispiel der Rolle als Freundin, als Partner, als Mutter, Vater, Angestellter oder als Schülerin. Das innere Kind ist der Teil unserer Persönlichkeit, der stark in unserer Kindheit verwurzelt ist. Hier kommen prägende Eindrücke, Gefühle und Erfahrungen aus unserer Kindheit zum Tragen.

Innerer Erwachsener – inneres Kind

Zwei oft sehr gegensätzliche innere Anteile sind das sogenannte ‚Erwachsenen-Ich‘ und das ‚Innere Kind‘. Wenn wir sicher in der Rolle als Erwachsene agieren und uns dem, was uns begegnet, gewachsen fühlen, dann ist das Erwachsenen-Ich in uns besonders präsent. Wir fühlen uns dann souverän, selbstsicher und kompetent – zumindest sind diese Gefühle stärker als Ängste, Sorgen oder Selbstzweifel. Es ist wortwörtlich der erwachsene, reife Teil unserer Persönlichkeit – man könnte auch sagen, „Die Stimme der Vernunft“. Das mag positiv klingen, beinhaltet aber auch negatives Potenzial im Sinne von Druck, Perfektionismus und Verlust von Lebensfreude. Wer immer nur auf die eigene innere Erwachsene hört, schwächt oft wichtige Aspekte des Lebens wie Fantasie, Unbeschwertheit, Freude oder Spontaneität.

In diesen Zuständen kommt ein anderer Anteil besonders stark zum Vorschein: unser inneres Kind. Das innere Kind kann uns befähigen, das Leben zwischendurch leicht zu nehmen und zu genießen. Wir können dann herumalbern und völlig im Moment sein. Gleichzeitig sind mit dem Inneren Kind auch bestimmte negative Erfahrungen verbunden. Wenn das innere Kind in uns stark wird, dann kann es auch passieren, dass wir uns unzulänglich, gedemütigt, abgelehnt, hilflos oder belächelt fühlen. Diese Gefühle hängen mit Erfahrungen aus unserer Kindheit zusammen, die natürlich individuell unterschiedlich sind. Sie werden in Momenten wach, in denen wir an Situationen aus unserer Kindheit erinnert werden – oft sprechen wir dann von „Triggern“. Es kann sich dann anfühlen, als wären wir in die Situation von früher zurückversetzt. So wie Lea, die mit Blick auf die Trigger-Situationen der letzten Zeit ein Muster erkennt und versteht, dass sie sich in diesen Momenten fühlt wie in bestimmten Situationen ihrer Kindheit.

Grundüberzeugungen auf der Spur

Prägende Erfahrungen in der Kindheit führen zur Entwicklung fester Grundüberzeugungen. Das sind quasi Glaubenssätze, die oft unbewusst unsere Sicht auf uns selbst, andere Menschen und Situationen formen. Grundüberzeugungen können zum Beispiel sein:

  • Wenn ich nicht alles perfekt mache, werde ich nicht akzeptiert
  • Wenn ich anders als andere bin, werde ich zurückgewiesen
  • Egal was ich tue, es ist nie genug
  • Ich darf nicht zu hohe Ansprüche stellen, um andere nicht zu nerven
  • Ich muss alles kontrollieren, weil ich sonst nicht sicher bin
  • Andere Menschen werden mich früher oder später enttäuschen
  • Wenn andere mich wirklich kennenlernen, mögen sie mich nicht mehr

Selbstverständlich gibt es auch positive Überzeugungen, zum Beispiel „Ich kann etwas leisten!“ oder „Ich darf meine Meinung sagen!“ Aber durch Krisen und Problemen, insbesondere in der Paarbeziehung, bekommen die negativen Grundüberzeugungen stärkeres Gewicht. Das hängt damit zusammen, dass wir uns in einer Paarbeziehung besonders öffnen und dadurch verletzlich machen und an unser Gegenüber Bedürfnisse und Erwartungen herantragen, die denen eines Kindes gegenüber den Eltern ähneln (Geborgenheit, Annahme, Liebe, Interesse, etc.).

Im Fall Lea

In Leas Fall könnte man die negative Grundüberzeugung in etwa so formulieren: „Wenn andere mich vergessen, zeigt das, dass ich ihnen nicht wichtig bin.“ Lea war mit einem völlig überforderten alleinerziehenden als Vater groß geworden. Der Vater hatte oft vergessen, Lea etwas zu Essen vorzuberteiten oder Lea vom Kindergarten abzuholen. Sie erinnerte sich noch genau daran, wie sie dann als letztes Kind noch wartete, während ihr Erzieher Jan versuchte, ihren Vater zu erreichen.

Wenn Lea ihren Vater dann weinend begrüßte, spielte er das Problem herunter: „Ach komm, mach‘ doch nicht so ein Theater, Lealein. Ich komm doch immer irgendwann, oder etwa nicht? Es dreht sich doch nicht immer alles nur um dich.“ Irgendwann hatte sich Leas Traurigkeit mit Wut vermischt. Die Wut half ihr ein wenig, sich stärker zu fühlen. Das Gefühl von Hilflosigkeit und Ohnmacht angesichts der Traurigkeit, die ja ohnehin nur belächelt wurde, wurde ein wenig abgeschwächt durch die Wut über das Verhalten ihres Vaters. Und genau diese Gefühle kamen auch jetzt wieder hoch, wenn sich vergessen und infolgedessen nicht wertgeschätzt fühlte.

Das innere Kind und die Paarbeziehung

Diese negativen Grundüberzeugungen aus der Kindheit und die dazugehörigen Gefühle wie Scham, Angst Traurigkeit, Wut und Verhaltensweisen wie Konfliktvermeidung, übertriebene Anpassung oder mangelnde Offenheit haben einen enormen Einfluss auf die Entwicklung einer Paarbeziehung. Denn in einer solchen Beziehung machen wir uns besonders verletzlich und entwickeln eine enge Verbundenheit, die auch Verlassensängste oder Angst vor Abhängigkeit auslösen kann.

Im Paar-Alltag werden immer wieder Situationen entstehen, die uns an Erlebnisse aus der Kindheit entwickeln – oft sind wir uns dessen gar nicht bewusst. Diese Ähnlichkeit der Situation (zum Beispiel eine frustrierte Reaktion meines Partners, weil ich etwas nicht schaffe) kann die vertrauten Denkmuster, Gefühle und dann auch Verhaltensweisen auslösen, zum Beispiel, wenn Lea ihren Mann anschreit, weil sie sich in diesem Moment wieder wie die kleine, vergessene Lea fühlt und, weil die Traurigkeit sich zu überwältigend anfühlt, mit Wut reagiert.

Diese Dynamik kann Konflikten immer wieder befeuern, weil beide Partner nicht verstehen, was eigentlich gerade passiert. Scheinbare kindische, unreife Verhaltensweisen treten immer wieder zutage, denn handlungsleitend ist in diesen Fällen tatsächlich das innere Kind!

Das innere Kind auf frischer Tat ertappen

Um diese Zusammenhänge zu erkennen, ist es wichtig, zunächst einmal zu verstehen, welche Situationen zu Unstimmigkeiten und Konflikten führen. Überlegen Sie in einer ruhigen Situation, mit etwas Abstand zu einem konkreten Streit, ob Sie gewisse Muster erkennen können. Was haben die letzten Konfliktanlässe, an die Sie sich erinnern können, gemeinsam? Was sind Themen, die ähnlich sind – zum Beispiel Äußerung von Kritik, Umgang mit Verschiedenheit, Einstellungen zu bestimmten Fragen wie Haushaltsführung, Finanzen, Alltagsgestaltung. Meist kommen schnell Muster zum Vorschein und zeigen an, was Ihr inneres Kind oder das Ihres Gegenübers triggert.

Dann gilt es, ein wenig in der Zeit zurückzureisen: Inwiefern kennen Sie dieses Thema/ähnliche Situationen aus Ihrer Kindheit? Wie haben Sie sich damals gefühlt? Was war damals belastend und stressig? Was hat Sie verletzt, beschämt, wütend gemacht oder geängstigt?

Das innere Kind beruhigen

Wichtig ist, in so einem Reflexionsprozess das innere Kind nicht einfach beiseitezuschieben im Sinne von „Ach so, das liegt nur an meiner Kindheit – okay, das ignoriere ich.“ Das wäre auf Dauer nicht hilfreich, denn das innere Kind meldet sich an ähnlichen Stellen wieder, weil dieses Thema in der Kindheit nicht ausreichend geklärt und verarbeitet werden konnte. Es gilt daher, die Verletzung des inneren Kindes ernst zu nehmen und wie ein liebevoller Erwachsener mit Verständnis zu reagieren.

Es klingt vielleicht komisch, aber erlauben Sie sich ruhig ein wenig Kopfkino. Stellen Sie sich selbst als Kind in einer belastenden Situation vor, an die Sie sich noch erinnern können. Und dann gehen Sie in Ihrer Fantasie als heutiges, erwachsenes Ich auf Ihr jüngeres Ich zu und blicken es freundlich an. Sagen Sie ihm das, was Sie damals schon hätten hören müssen. Sprechen Sie Ihm Mut und Trost zu und erklären Sie, dass die Situation heute anders ist als damals. Wenn Sie offen dafür sind, stellen Sie sich auch gerne vor, sich dem inneren Kind zuwendet, es tröstet und stärkt.

Grundüberzeugungen verändern

Wenn Sie einen Schritt weitergehen möchten, reflektieren Sie auch, welche Grundüberzeugung hinter dem erlebten Konflikt stehen könnte – zum Beispiel im Beispiel von Lea: „Ich werde vergessen, weil ich nicht wichtig bin.“

Überlegen Sie, welche Erfahrungen zu dieser Überzeugung geführt haben – und welche anderen, positiven Erfahrungen und Erkenntnisse ihr widersprechen. Sammeln Sie ruhig Argumente, was für uns was gegen die Wahrheit dieser Überzeugung spricht. Und wenn sie der Realität nicht standhält, dann formulieren Sie – am besten schriftlich, so lernt unser Gehirn effektiver – eine positivere, realistische Grundüberzeugung – wie beispielsweise „Ich bin Gott so wichtig, dass er sogar die Zahl der Haare auf meinem Kopf kennt. Ich bin mir selber wichtig. Und es gibt Menschen, denen ich wichtig bin wie …..“ Lesen Sie sich die positiven Sätze immer wieder durch – so So können Sie neue Denkpfade prägen, die nach und nach Ihre Wahrnehmung prägen und zur Realität werden. Womöglich fühlt sich das anfangs künstlich an – das ist normal, denn Ihr Gehirn hat ja jahrelang das Gegenteil gedacht! Geben Sie dem Training also etwas Zeit.

Nicht alles geht in Eigenregie

Vieles können wir selbst durch Reflexion erreichen. Manche Prozesse brauchen aber Begleitung und Hilfe. Einige Grundüberzeugungen sitzen so tief, haben eine so destruktive Wirkung, manche Erfahrungen unseres inneren Kindes waren so massiv, dass eine Aufarbeitung alleine nicht gelingt. Ein freundliches, professionelles Gegenüber macht einen großen Unterschied und kann einen sehr heilsamen Prozess in Gang bringen. Psychotherapie, Lebensberatungsstellen und Seelsorge können dazu hilfreiche Angebote sein.

Melanie Schüer ist Mutter von zwei Kindern und areitet als Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin und Autorin im Osnabrücker Land.