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Soziologieprofessor sagt: Diese drei Dinge machen eine gesunde Beziehung aus

Laut Aaron Antonovsky braucht es drei Stellschrauben für eine gute Partnerschaft. Paarberaterin Ira Schneider sagt, wie sie sich in der Praxis umsetzen lassen.

Mitten im Alltag zwischen all den Aufgaben bleibt die Partnerschaft die klitzekleinste Zelle unserer Gesellschaft. Wenn diese kleine feine Zelle gesund bleibt und munter ist, dann ist das Resultat eine pure Freude. Paare in gesunden Partnerschaften schöpfen aus einer besonderen Kraftquelle. Ich finde es spannend, dass es beispielsweise nachgewiesen ist, dass sie seltener krank werden oder auch beruflich erfolgreicher sind. Doch wie kann eine solche nachhaltig blühende und gesunde Partnerschaft gestaltet werden? Wie gesund ist unsere Beziehung? An welchen Stellschrauben können wir drehen, wenn es nicht so gut läuft?

Antanovskys Theorie

Ich stelle mir die Fragen für meine eigene Partnerschaft, aber auch im Kontext unserer Paarberaterarbeit. Vor allem aber stelle ich sie mir immer wieder neu. Von Lebensabschnitt zu Lebensabschnitt sind andere Herangehensweisen passend. Vor einigen Jahren bin ich auf Aaron Antonovsky, einen Gesundheitssoziologen aus dem 20. Jahrhundert, gestoßen. Immer wieder entdecke ich, wie sich seine Definition von Gesundheit auf die unterschiedlichsten Paardynamiken übertragen lässt. Er behauptet, dass für die Gesundheit ein Dreiklang bestehend aus Bewältigbarkeit, Verstehbarkeit und Sinnhaftigkeit notwendig sei.

Wie können wir unseren Alltag bewältigen? Wie können wir einander verstehen? Wie können wir tiefe Sinnhaftigkeit erleben? Für uns bedeutet das konkret: Wie können uns diese Parameter helfen, Bedürfnissen nach Spaß und Abenteuer, nach emotionaler Nähe und gegenseitiger Anteilnahme und gemeinsamer Ausrichtung zu begegnen? Hier geht es vor allem um die Prophylaxe, also darum, gesund zu bleiben. Seine Definition scheint mir sehr einleuchtend, da er Komponenten nennt, die wir unkompliziert innerhalb unserer Partnerschaften einbauen können und die uns zugleich einen bunten Gestaltungsspielraum eröffnen.

1. Alltag muss schaffbar bleiben

Den Alltag zu regeln – das bestimmt bei den allermeisten Paaren sowieso die Kommunikation: Wie lange dauert deine Sitzung? Wann holst du die Kleine ab? Brauchen wir noch Bananen? Es gibt tausend Dinge zu klären. Sind wir in der Lage, unseren Alltag zu bewältigen? Die Frage mag banal klingen, denn wenn es klappt, dann denken wir gar nicht groß darüber nach. Wenn es allerdings nicht gelingt, die täglichen Anforderungen des Lebens gemeinsam zu meistern, dann ist das eine stetige Quelle der Unzufriedenheit und ruft zahlreiche Konflikte hervor: Ich hatte dich doch gebeten … Warum kannst du nicht einmal …? Siehst du denn nicht, dass ich fürchterlich im Stress bin?

Die Partnerschaft kann schweren Schaden nehmen, wenn Lasten ungleich verteilt sind, man den Eindruck hat, sich nicht aufeinander verlassen zu können oder einer von beiden sich dauerhaft überfordert fühlt. Deshalb ist es so wichtig, hier miteinander im Gespräch zu bleiben: Beim anderen nachfragen, sich gegenseitig unterstützen, einander überraschen mit kleinen Gesten der Zuwendung, einander trösten, sich austauschen und etwas von den alltäglichen Erlebnissen preisgeben. Statt sich von dem tückischen Alltag überwältigen zu lassen, können wir ihn durch unsere tiefe Verbindung und unser Füreinander-da-Sein zusammen bewältigen. So viele Herausforderungen zerren an uns. Auf der Arbeit, in der Ausbildung, in der Kindererziehung oder auch in der Familie.

In der Praxis: Eheabend

Bei uns sieht das ganz praktisch so aus, dass wir einander von unseren täglichen Erlebnissen berichten und gemeinsam unsere Verpflichtungen wie Haushalt, Termine, Einkauf besprechen. Zu Beginn unserer Beziehung fand vor allem die Anteilnahme über das täglich Erlebte völlig automatisch statt, da wir uns extra verabredeten, um einander zu sehen und uns auszutauschen. Doch als wir zusammenzogen, merkten wir schnell: Jeder braucht erst mal Zeit für sich und das ist gut und okay. Dann müssen wir uns nun gemeinsam in der Wohnung verabreden. Wir wollen up to date in den Prozessen und Erlebnissen des anderen sein. Dabei helfen uns folgende tägliche Fragen, gemeinsam den Alltag zu bewältigen: Wie war dein Tag? Wie geht es dir? Welche Absprachen stehen noch an?

Um im Alltag sowohl mit den Absprachen zufrieden zu sein als auch emotional verbunden zu sein, haben wir seit einigen Jahren einen festen Eheabend und einen festen Abend für Terminabsprachen. Genau an diesen Stellen ist Raum, die genannten Bedürfnisse zu äußern, wie zum Beispiel Spaß und Abenteuer bewusst einzubauen, in den Kalender zu schauen und zu überlegen: Wo und wann könnten wir einen Ausflug machen?

2. Wir müssen einander verstehen

In all unseren Bemühungen, den Alltag gemeinsam zu meistern, werden wir an Grenzen stoßen. Eine Grenze ist unsere Unterschiedlichkeit. Wir verstehen oft nicht, warum unser Partner Dinge auf diese Weise tut oder auch nicht tut. Statt dem anderen unfaire Motive zu unterstellen oder schnell mit mehr oder minder gutem Rat beizustehen, ist es hilfreich, nach dem Wozu und nach dem Warum zu fragen. Warum handelt sie so? Kennt er oder sie diese Gewohnheiten woandersher? Helfen ihm oder ihr diese Handlungen in anderen Momenten weiter? Die Handlung als Strategie zu erfassen, ist der Schlüssel. Was braucht er eigentlich? Was für ein Bedürfnis steckt hinter der Handlung? Nachfragen lohnt sich, denn häufig steckt mehr dahinter, als wir denken. Unsere Erinnerungen und Erfahrungen prägen und begleiten uns und finden Ausdruck in unserem Alltag.

In der Praxis: Das Kuchen-Beispiel

Hier ein kleines Beispiel: Mein Mann und ich geraten immer wieder aneinander, wenn es ums Essen geht. Ihm ist wichtig, dass ein Stück Kuchen mehr oder weniger genau geteilt wird. Es geht für ihn um Gerechtigkeit. Zu Hause wurde unter den Geschwistern immer fair geteilt. Ich hingegen öffne den Kühlschrank und bediene mich an dem, was da ist. Es würde mich nicht stören, wenn er das auch tun würde. Dann kauft man halt einen neuen Kuchen.

Kein großes Ding, aber durchaus spannend, wenn man mal genauer draufschaut. Es bedurfte einiger Gespräche, um zum Kern des Problems durchzudringen. Meine Rücksichtslosigkeit fand mein Mann oftmals ärgerlich. Dass ich ihm auch einfach das ganze Stück überlassen konnte, hat er wiederum als großzügig empfunden. Für mich galt lange die Einstellung: Was weg ist, ist weg. So kannte ich es von zu Hause. Inzwischen verstehen wir den anderen und können schmunzeln. Mein Bruder kam zur Welt, da war ich 16. Mein Mann hingegen ist mit zwei Schwestern großgeworden. Beide Erfahrungen des Aufwachsens gingen mit verschiedenen oder in meinem Fall vielmehr mit wenigen Regeln einher. In unseren Elternhäusern herrschten unterschiedliche Kulturen zum Umgang mit Essen und vor allem zum Teilen von Essen. Das musste ich erst lernen und lerne es immer noch.

3. Die Beziehung muss Sinn haben

Aber in einer Beziehung geht es nicht nur darum, den Alltag zu meistern und einander zu verstehen – mindestens genauso wichtig für unsere seelische Gesundheit ist es, dass wir unser Tun und Sein als sinnhaft erleben. Gemeinsam zu träumen, tiefe Wünsche auszusprechen und in die Zukunft zu schauen, verschafft ein Gefühl von Sinnhaftigkeit. Wir schauen etwas Größerem als unserem Alltag entgegen. Wir begreifen tiefer, weshalb wir die Dinge tun, die wir tun, und richten uns gemeinsam aus.

In der Praxis: Wochenende mit Realitätsabgleich

Da für uns die Sinnhaftigkeit einen besonders hohen Stellenwert hat, haben wir dafür ein kleines Ritual entwickelt. Wir nehmen uns regelmäßig eine Auszeit, fahren übers Wochenende weg und schauen auf unser Leben. Es ist eine Zeit, in der wir das, was wir täglich tun, mit unseren Zielen, Träumen und Wünschen abgleichen. Es ist beispielsweise ein Traum von uns, immer wieder Menschen mit Gottes Liebe zu erreichen, ihnen zu zeigen, dass Gott in jedem Mangel an ihrer Seite ist. In unserer Auszeit fragen wir uns, welche Rolle dieser Traum in unserem Alltag spielt. Wo sind wir da einzeln und als Paar unterwegs? Wer könnte unsere Unterstützung brauchen? Sich das bewusst zu machen, verändert wieder unsere Gestaltung des Alltags und räumt Zeit ein für das, was uns wichtig ist.

20 Minuten reichen

Ich bin überzeugt, dass die drei Parameter von Antonovsky eine Menge darüber aussagen, wie wir gemeinsam unterwegs sind. Die Bewältigbarkeit richtet dabei den Blick auf die tagtäglichen Erlebnisse. Die Verstehbarkeit versucht das Handeln und Sein des anderen anzunehmen, zu erforschen und auszuhalten, dass es anders ist als das eigene. Die Verstehbarkeit erinnert uns auch daran, dass wir einen langen Lebensabschnitt ohne unseren Partner durchlebt haben. Und die Sinnhaftigkeit träumt und malt ein Bild der Zukunft.

Was benötigt ihr gerade? Ist einfach ein intensiverer Austausch über das Alltagsgeschehen dran? Tut es euch vielleicht gut, euch über Vergangenes und Aspekte aus der Herkunftsfamilie auszutauschen? Oder wünscht ihr euch neue gemeinsame Träume und Visionen für die Zukunft? Denn zack, da ist er, der gute, liebe, nervige, mühsame, manchmal bunte und gemütliche, manchmal nicht vor To-dos enden wollende Alltag. Aber eine kleine Frage und 20 Minuten Zeit zum Durchatmen können schon genügen. Und plötzlich sind wir überrascht von den Antworten unseres Gegenübers und erleben wieder ein abenteuerliches kurzes Gespräch, emotionale Nähe oder merken, wie unser Zusammensein ein gemeinsames Ziel verfolgt.

Ira Schneider ist Lehrerin für Englisch und Theater und Paarberaterin (Euer-Paarcoaching@web.de). In ihrer Freizeit ist sie gerne kreativ und hat einen kleinen Onlineshop unter dem Label murmel.design. Unter „ira.schneider_“ ist sie auf Instagram zu finden. 

Schmetterlinge auf Irrwegen

Frisch verliebt in den Freund meines Mannes – und dann?

„Was war das?“, dachte ich erschrocken. Dieser Blickkontakt dauerte etwas zu lange und ging mir viel zu tief. Zwar fühlte sich das ungewohnt schön an, aber natürlich auch zutiefst falsch. Mir wurde sofort bewusst, dass etwas Ungewöhnliches passierte, aber dass das der Beginn einer emotionalen Achterbahnfahrt mit heftigen Zerwürfnissen für meine Ehe war, ahnte ich nicht.

Zu Tom (alle Namen geändert), einem langjährigen Freund meines Ehemannes, pflegten wir als Familie ein freundschaftliches Verhältnis und teilten viele Alltagsmomente. Dass wir uns schon so viele Jahre kannten, erschwerte es mir, den Ernst der Lage zu erkennen. Nach diesem Blick nahm ich den jahrelangen Freund plötzlich anders wahr. Ich sammelte meinen Mut, schrieb Tom und konfrontierte ihn mit dem nicht zu leugnenden Knistern zwischen uns. Das war der Beginn vieler Nachrichten.

Zerrissen zwischen Glücksgefühl und Scham

Eine Grenze war überschritten. Es ging nicht mehr nur um Absprachen zur nächsten Grillparty oder zum nächsten Gottesdienstplan. Nein, plötzlich ging es um uns beide. Wir teilten uns einander mit. Wir schrieben über das, was wir fühlten, dachten und erlebten. Damit gossen wir Öl in das beginnende Feuer und beschleunigten die Gefühlslawine massiv.

Eine Zeit der Zerrissenheit in mir hatte begonnen. Auf der einen Seite die Glücksmomente mit Tom in unserer Nachrichtenwelt, auf der anderen die tiefe Scham gegenüber David, meinem Ehemann. Das Tempo der wachsenden Gefühle überstieg meine rationale Entscheidungsfähigkeit.

Kein Kontakt – unmöglich!

Nach wenigen Wochen erzählte ich David von meinen Gefühlen und dem Kontakt zu unserem gemeinsamen Freund. Er reagierte sanft schockiert, aber auch noch zuversichtlich und nicht verurteilend. Darüber war ich sehr dankbar. Jedoch wünschte er sich mit Nachdruck, dass Tom und ich keinen weiteren Kontakt haben sollten, damit es nicht schwieriger für alle Beteiligten werden würde.

Doch zu dem Zeitpunkt dachte ich noch völlig naiv, dass das nicht nötig sei. „Ich habe meine Gefühle doch im Griff und kenne meine Grenzen!“, behauptete ich. Dabei hatte ich die Situation schon lange nicht mehr unter Kontrolle. Ich schrieb Tom noch eine Weile offiziell, später dann heimlich.

Erfüllender als der Ehealltag

All die virtuellen Momente mit Tom erschienen mir schöner, romantischer und erfüllender als mein Ehealltag. Alles fühlte sich so echt, tief und unglaublich nah an, obwohl wir uns ausschließlich in unseren Nachrichten „trafen“. Ich nutzte jede freie Minute, um ihm zu schreiben.

Auf diese Weise nahm ich ihn virtuell fast überall mit – auf Geburtstagspartys, zur Beerdigung, zum Trainieren, zum Unkrautjäten. Ohne dass ich es wahrnahm, entwickelte er sich zu einem riesengroßen Teil meines Lebens. So permanent umgeben von Schmetterlingen gab es allerdings keinen einzigen Tag, an dem mich nicht mein Gewissen plagte und mich stumm anschrie. Ich schrie innerlich eine Menge an Rechtfertigungen zurück: „Wir schreiben uns doch nur und mehr passiert nicht!“, „Es ist doch gar keine echte Affäre!“ …

Die Ehe bröckelt

David spürte, dass ich nicht ganz bei ihm war, dass meine Gefühle und Gedanken bei einem anderen Mann festhingen. Es schmerzte ihn sehr, dass ich es nicht schaffte, den Kontakt zu Tom komplett zu unterbinden. Am meisten verletzte es ihn, dass ich nicht ehrlich zu ihm war. Häufig kam es zu Streit. Derart schwere Auseinandersetzungen hatten wir noch nie zuvor in unserer Ehe miteinander erlebt. Es wurde laut, emotional verletzend und aufwühlend. Nach vielen Diskussionen und Streitereien musste etwas passieren. Als Ehepaar waren wir uns mittlerweile so fremd geworden, dass ich an unserer Liebe zweifelte. Zweimal überlegte ich, ob es vielleicht besser sei, getrennte Wege zu gehen. Wir taten uns nicht mehr gut und verletzten uns permanent mit Worten. Es war keine Freude mehr, in Davids Nähe zu sein. Wir konnten zwar noch gut als Eltern-WG funktionieren, aber natürlich spürten unsere Kinder die Spannungen zwischen uns.

Allerdings gab es hin und wieder Momente der Nähe. Ohne viele Worte zu verlieren, konnten wir uns trotz allem Frust und aller Distanz intim nah sein. Dies war fast unsere einzige Brücke, die noch geblieben war. Wieso konnte es so weit kommen? Ich war doch während der letzten zehn Jahre glücklich in meiner Ehe, oder? Wie konnte Tom einen Platz in meinem Herzen einnehmen, den ich eigentlich meinem Partner versprochen hatte?

„Er hatte etwas in mir geweckt, was viele Jahre schlummerte“

Tom fand mich toll und war begeistert von mir, von meinem Wesen und von Eigenschaften, die David eher nicht so spannend oder erwähnenswert fand. Tom schätzte meine Kreativität, meine Ideen, meine Sensibilität und fand mich als Frau einfach wunderbar. David brachte Lob und Wertschätzung nur sporadisch zum Ausdruck. Eigentlich hatte ich mich damit abgefunden, dass David mir auf andere Weise seine Liebe zeigte.

Ich hatte meine Bedürfnisse vernachlässigt und viel zu selten reflektiert, was mir guttun würde. In den Kleinkindjahren war es leider fast ein Luxus für mich, mal ganz bewusst nach innen zu sehen und zu erkennen, was gerade für mich und uns als Paar dran ist.

Und plötzlich kommt jemand, der mich genau mit meinen Gaben wertschätzt, meine Bedürfnisse versteht und die offenbar brachliegenden Facetten meiner Persönlichkeit wahrnimmt. Er hatte etwas in mir geweckt, was viele Jahre einfach nur schlummerte. Ich sog die Aufmerksamkeit und Wertschätzung von Tom wie ein Schwamm auf. Da war jemand, der mich wirklich sah.

Abschied von Tom

Ein heftiger Streit zwischen David und mir ließ mich plötzlich realisieren, dass es so nicht weitergehen konnte. Meine Gewissensbisse türmten sich zu einer großen Welle, die über mich hereinbrach. Mein Herz schlug, meine Beine zitterten ununterbrochen und ich weinte. David konfrontierte mich damit, dass ich mich entscheiden musste. Das tat ich auch! Nur ein paar Stunden nach diesem Vorfall beendete ich die Verbindung mit Tom. Schweren Herzens, aber klar und bestimmt.

Der Abschied von Tom war schmerzhaft. Es fühlte sich an, als würde ein Teil in mir sterben und zerfallen. Gleichzeitig entwickelte sich eine tiefe Erleichterung und ein Frieden in mir. Endlich gab es keine Gewissensbisse mehr, die mir täglich zusetzten. Außerdem wurde mir mehr und mehr bewusst, was passieren hätte können, wenn wir über das Schreiben hinaus weitere Schritte gegangen wären …

Und heute?

Es hat gedauert, bis ich wieder im Ehealltag ankam. In den Jahren davor waren David und ich mit unseren zwei Kindern vor allem als Team, als WG, als Mini-Management-Group unterwegs. In der Krise haben wir uns als zwei individuelle Persönlichkeiten neu entdeckt. Es war gut, sich selbst neu zu betrachten und zu fragen: Wo stehe ich? Was ist von mir als Persönlichkeit noch da und was ist zu einem großen Wir verschmolzen?

Mittlerweile sind die Gefühle für Tom tatsächlich abgeklungen. Zu Beginn war der Verzicht auf die Nachrichten von Tom wie eine Entwöhnung. Tatsächlich stellten sich mit der Entscheidung für David Vertrautheit, Gefühle und Frieden in unserer Ehe nach und nach wieder ein. Davids Vertrauen in mich und uns musste wieder aufgebaut werden. Es wurde stetig besser, brauchte aber sehr viel Zeit.

Ich bin keineswegs dankbar für diese Erfahrung – zu schmerzhaft und auslaugend war diese Zeit. Dennoch durften wir so viel lernen. Dafür bin ich absolut dankbar!

Unsere Autorin möchte anonym bleiben.

Was hat geholfen?

  • Viele, viele Gespräche zu zweit: Wir versuchten, erst über dieses Thema zu reden, wenn die Kinder schliefen, aber es nicht zu spät werden zu lassen, weil unser Austausch nach 23 Uhr oft aus dem Ruder lief.
  • Körperliche Nähe: Auch wenn dies vielleicht paradox klingt: In manchen Phasen konnten wir uns nur auf körperlicher Ebene nahe sein – das hat unsere Ehe mit gerettet.
  • Freunde und Familienangehörige, die sich trauten, nachzufragen: Dies war leider wirklich eine Seltenheit. Wir versuchten, unsere Ehekrise nicht zu verheimlichen. Die wenigsten trauten sich aber, konkret nachzufragen. Dabei hätte ich mir so sehr mutiges Interesse gewünscht! Seitdem frage ich viel konkreter in meinem Freundes- und Familienkreis nach, wie es in den Ehen geht. Einsamkeit in schweren Zeiten ist kein guter Begleiter.
  • Ehe-Beratung: Wir haben beide schnell gemerkt, dass wir alleine nicht weiterkommen. Die Unterstützung einer Beratungsstelle war für uns massiv hilfreich. Eine Aussage der Beraterin half mir besonders: „Gefühle für jemanden außerhalb der Ehe zu entwickeln, ist völlig normal. Die Frage ist nur: Wie fair und ehrlich gehe ich damit um? Was mache ich draus?“
  • Professionelle Einzelberatung: Jeder von uns nahm persönliche Beratung oder psychologischen Support für sich in Anspruch. Es war gut, einen Rahmen zu haben, um diese Erlebnisse allein und ganz frei mit professioneller Hilfe aufzuarbeiten.
  • Der Eheabend: Unsere Eheberatung empfahl uns, einen festen Abend pro Woche für uns beide zu reservieren, und das machen wir seitdem. An diesem Termin wurde selbst in den schlimmsten Zeiten nicht gerüttelt, selbst wenn es alles andere als romantisch war. Doch diese Abende wurden zu einem emotionalen Anker für uns beide.
  • Eine Freundin: Für ihre Hartnäckigkeit und Ehrlichkeit war ich sehr dankbar. Sie ermutigte mich, an unserer Ehe festzuhalten und daran zu arbeiten. Sie sagte mir sehr oft: „Jeder Mensch hat wundervolle, aber auch herausfordernde Seiten. Das wird auch mit einem anderen Partner so sein.“ Völlig logisch, aber eben nur, wenn man nicht gerade frisch verliebt ist.

Paartherapeut warnt: Verfallen Sie nicht dem Optimierungswahn!

Unzufriedene Paare müssen nicht alles ändern, meint Jörg Berger. Manchmal kann es auch helfen, die Ideale anzupassen.

„Wir nehmen einander an, wie wir sind. Jeder wusste vorher, worauf er sich einlässt.“ „Nein, unsere Ehe gelingt nur, wenn wir auch an uns arbeiten.“ Die Partnerin, die die zweite Überzeugung vertritt (häufiger ist es die Frau), hat den Termin bei mir vereinbart. Sie kann auf meine Unterstützung zählen. Hoffentlich. Paartherapeuten helfen doch bei der Veränderung. Und können den motivieren, der nicht an sich arbeiten will, oder? Der zufriedene Partner kommt widerstrebend. Vielleicht entdeckt der Fachmann das Problem ja bei seiner Frau. Ihm muss doch auffallen, dass sie zu Unzufriedenheit und zum Kritisieren neigt.

Wir leben in der Spannung zwischen unseren Idealen von einer Liebesbeziehung und der Wirklichkeit, die wir erfahren. Damit können wir unterschiedlich umgehen. Wir können unsere Vorstellung von Liebe an die Realität anpassen. Oder wir versuchen, die Liebesbeziehung in Richtung unserer Ideale zu entwickeln. Doch darin, sagt Arnold Retzer, liegt eine Ursache für gemeinsames Unglück. Er ist Paar- und Familientherapeut. In seinem Anti-Ratgeber „Lob der Vernunftehe“ wirbt er für Realismus in der Liebe: Glück nicht als machbar zu verstehen und eine „resignative Reife“ zu entwickeln, die auch mit dem zurechtkommt, was nicht ideal ist. Einige spannende Gedanken aus seiner Streitschrift stelle ich hier vor.

Ist Zufriedenheit schlecht?

Zufriedene Partner können diesen Beitrag als kleine Entschädigung lesen. Denn ihnen machen wir vermutlich in unseren Beiträgen immer wieder Stress – mit unseren unermüdlichen Tipps, den Porträts von glücklichen Ehen oder zumindest tapfer durchgestandenen Krisen. Wozu das alles? Eine Paarbeziehung kann eben immer noch schöner, krisenfester und – wie paradox – gleichzeitig entspannter werden. Und wer das nicht in Anspruch nimmt? Muss der sich nicht träge, oberflächlich und letztlich schuldig an der Beziehung fühlen?

In meiner Praxis versuche ich in der Frage, ob man Dinge verändern oder annehmen muss, unparteiisch zu bleiben. Der Veränderung suchende Partner ist dann häufig irritiert. Der zufriedene Partner glaubt mir das dagegen kaum. Wie kann ich gegen mein eigenes Geschäftsmodell vertreten: „Man kann es auch so lassen“?

Eine Ehe ist wie eine Heizung

Arnold Retzer beschreibt die Not mancher Ehen mit dem Bild einer Heizung, die durch ein Thermostat gesteuert wird. Das Thermostat stellt man auf einen Soll-Wert ein, zum Beispiel behagliche 23° C. Liegt der Ist-Wert darunter, heizt der Brenner, und zwar so lange, bis der Soll-Wert erreicht ist. Ein Soll-Wert kann aber auch überfordern: Die Heizkosten entgleisen oder ein Brenner geht durch den Dauerbetrieb kaputt. Auch für Ehen gibt es Soll-Werte: ein bestimmtes Maß gegenseitiger Aufmerksamkeit und Gespräche im Alltag, die Freizeit gemeinsam verbringen, so und so oft Sex. Ehekonflikte drehen sich meist um einen solchen Soll-Wert, der nicht erreicht wird: Einer wünscht sich mehr, der andere fühlt sich überfordert oder unter Druck gesetzt. Nicht selten verschlechtert dieser Konflikt dann andere Bereiche der Beziehung, die dem Ideal vom gemeinsamen Glück schon sehr nahekamen.

Aber deshalb einfach den Soll-Wert anpassen? Und hinter dem zurückbleiben, was man sich für die Liebe ersehnt und auch für möglich gehalten hat? Manchmal ist das vernünftig. „Wie war das eigentlich zu Beginn Ihrer Beziehung?“, frage ich immer, wenn nur einer zufrieden ist. Oft stellt sich dann heraus, dass das Konfliktthema noch nie die Soll-Größe erreicht hat: Franziska war nie der Kuscheltyp. Sie hat die leidenschaftlichen Momente geliebt, wenn die Stimmung dafür da war. Aber Händchen halten im Alltag, Umarmungen in der Küche oder beim Filmgucken umschlungen auf dem Sofa sitzen – das war noch nie ihr Ding. Patrick war tatsächlich Franziskas Dornröschenprinz, der so manches wachgeküsst hat. Aber er kann nur wachküssen, was auch in Franziska angelegt ist, und er hat auf mehr gehofft.

Umstände können sich ändern

Oft bleiben Menschen auch ihrem Lebensstil ein ganzes Leben lang treu: „Fabian war schon immer ein Chaot“, berichtet Caroline. Trotzdem hat Caroline gehofft, dass er sich mit dem ersten Kind in einen gut organisierten Familienvater verwandelt. Schließlich hat er jetzt Verantwortung. Sie versucht, ihn dahin zu bringen. Aber kann das gelingen?

Manche Beziehungsbereiche verschlechtern sich auch einfach durch Anforderungen. Viele introvertierte Partner zum Beispiel verbrauchen ihre Beziehungsenergie durch die Bedürfnisse kleiner Kinder. Ihre Seele schreit dann nach Rückzug und für den Partner bleibt nicht mehr viel übrig. Wenn emotional verwundbare Menschen einer starken beruflichen Belastung ausgesetzt sind, reichen ihre seelischen Pufferzonen nur noch dafür aus. Zu Hause verhalten sie sich dann selbstbezogen, einfach weil ihre seelische Kraft aufgebraucht ist. Kann das nicht eine Therapie verändern? Ein bisschen schon, aber nicht so weit, wie es sich der Ehepartner wünschen würde, der unter dem Rückzug oder einer Selbstbezogenheit des anderen leidet. Es bleibt oft nur ein Realismus: akzeptieren, was nicht zu verändern ist, und gemeinsam das Beste daraus machen.

Das Glück nehmen, wie es kommt

„Eine der herausragenden Möglichkeiten, Verzweiflung zu erzeugen, besteht darin, dass zwei sich zusammentun und heiraten, um gemeinsam glücklich zu sein“, schreibt Arnold Retzer provozierend. Was Paare daran zur Verzweiflung bringe, sei die Vorstellung von Machbarkeit eines solchen Glücks. Denn wenn Glück machbar ist, muss man den anderen auch glücklich machen und selbst glücklich sein.

Retzer dagegen wirbt dafür, das Glück als „Widerfahrnis“ zu verstehen, etwas, das kommt und geht, das wir aber weder herstellen noch festhalten können: „Dadurch hätten wir sogar mehr Möglichkeiten, Energie und Zeit zur Verfügung, uns auf das zu konzentrieren, was wir beeinflussen können, wofür wir also auch die Verantwortung übernehmen können. Wir könnten uns auf die Launen des Glücks vorbereiten. Wir könnten mit dem Unwahrscheinlichen rechnen, sodass wir, wenn wir das Glück auch nicht erzeugen können, dennoch nicht versäumen, es zu bemerken und zu genießen, wenn es sich denn einstellen sollte. Wir könnten eine Überraschungs- und Glückssensibilität entwickeln.“

Alle Segnungen moderner Gesellschaften – Wohlstand, Gesundheit, Sicherheit, Freiheit – haben eine Schattenseite. Wir leben im Glauben, dass wir einen Anspruch auf das alles haben, zumindest, wenn wir die richtigen Entscheidungen treffen und entsprechend leben. Materielle Not und Krankheit, auch viele Schicksalsschläge und Zwänge erscheinen vermeidbar und damit selbstverschuldet. So ist es auch mit dem Glück, das angeblich jeder selbst schmiedet. Doch wer offen ist für Glück, es aber nicht beansprucht, kommt auch mit manchen Ehesituationen besser zurecht.

Probleme sind oft gescheiterte Lösungsversuche

Arnold Retzer ist ein prominenter Vertreter der sogenannten systemischen Therapie, eines Ansatzes, der das ganze „System“ – eine Familie, eine Organisation oder auch die Paarbeziehung – betrachtet. Seine Therapierichtung geht davon aus, dass Probleme oft Lösungsversuche sind: Lösungen, die nicht zum gewünschten Ergebnis geführt haben, an denen Betroffene aber trotzdem festhalten. Retzer beschreibt das zum Beispiel so: „Ein Ehepartner, der ständig aufgefordert wird, sich zu verändern, fühlt sich, seinen Lebensstil, seine Überzeugungen und seine Autonomie in Frage gestellt. Er reagiert daher vernünftigerweise mit Verteidigung. Die Folge: Die Verteidigungsmaßnahmen stabilisieren genau das, was angegriffen wird.“ Manchmal verändert sich erst dann etwas, wenn der Kampf um die Veränderung befriedet ist. Manchmal lassen sich die lösbaren Probleme angehen, wenn weniger Aufmerksamkeit an ein unlösbares Problem gebunden ist.

Wie aber helfe ich meinem Paar, wenn einer zufrieden ist, der andere sich aber so dringend eine Veränderung wünscht? Zwei Zufriedene haben ja kein Problem – auch wenn man als Außenstehender vielleicht denkt, sie könnten es noch schöner haben. Zwei, die sich von Idealen beflügeln lassen, freuen sich, dass ihre Liebe in Bewegung bleibt – auch wenn man als Außenstehender vielleicht denkt, dass sie sich dadurch manchmal Stress machen.

Der Mittelweg kann helfen

Wenn aber der Veränderungswunsch einseitig ist, versuche ich, ein Paar für einen Mittelweg zu gewinnen. Dabei entdeckt der zufriedene Partner: Ein wenig Veränderung ist der Schlüssel zu der Ruhe und Zufriedenheit, die ihm in den Konflikten verloren gegangen ist. Dafür nimmt er auch einmal Momente in Kauf, in denen er sich überfordert oder gezwungen fühlt. Die Partnerin, die sich mehr wünscht, entdeckt: Mehr Annahme öffnet dem anderen endlich wieder Ohr und Herz und man kann gemeinsam über Möglichkeiten nachdenken, die für beide in Ordnung sind. Dafür kann sie auch einmal verzichten oder ein Ideal loslassen, das sich als unerreichbar herausstellt.

Ab und zu aber kann sich der zufriedene Partner auf keinerlei Veränderung einlassen. Als Therapeut bliebe mir nur, die Rolle des Unzufriedenen einzunehmen: einladen, motivieren, erklären, über die Folgen aufklären … und so immer mehr unterschwelligen Druck aufbauen. Das will ich nicht und beende die Begleitung. Die Partnerin (oder auch der Partner, wenn es umgekehrt ist) bleibt dann mit einer großen Enttäuschung zurück. Besonders ihr kann dann die Weisheit der Vernunftehe helfen.

Jörg Berger ist Psychotherapeut und Paartherapeut in Heidelberg. Neben Ratgebern veröffentlicht er Online-Kurse, die Paaren helfen (epaartherapie.de; derherzenskompass.de/schwereliebe).

Gegensätze in der Ehe – Kraft oder Sprengstoff?

„Warum siehst du das so ganz anders, als ich mir das vorstelle?“ „Warum bist du so weit weg?“ Dr. Michael Hübner erzählt von einem Paar, das sich neu finden musste.

Das gibt’s doch einfach nicht! Ohne sich mit mir abzusprechen, hat mein Mann einen Urlaub in Norwegen gebucht. Einfach alles: Häuschen am See, Überfahrt mit der Fähre und vieles mehr. Ich bin so enttäuscht! Bin ich denn eine Marionette, dass ich da überhaupt nicht mitreden kann? Er ruft auch einfach den Lehrer von unserem Sohn an wegen der Rechtschreibschwierigkeiten, oder er leitet den Neukauf eines Elektroautos ein. Wie oft habe ich ihm schon gesagt, dass ich da auch mitentscheiden möchte?“

Verstehe ich den Kummer von Marina (Person, Situation und Name verändert) recht? Ihr Ehemann Mark entscheidet über wichtige Dinge wie den Familienurlaub und den Autokauf einfach, ohne seine Frau einzubeziehen? Ich kenne seine Ziele, Zwecke und Motivationen nicht. Ist er denn so ein gemeiner, rücksichtsloser Mensch? Hat er so wenig Kooperationsbereitschaft und Gemeinsinn? Bei der Ehefrau macht sich Feindseligkeit ihm gegenüber breit.

Häufig entwickeln Paare an diesem Punkt automatisch Wut, Ärger und Aggressionen, ohne sich bewusst zu machen, was sie da tun. Manchmal „knallt es“, die Gegensätzlichkeit von beiden ist zum Sprengstoff geworden. Sie verstehen einander nicht mehr und wenden sich deshalb vom Partner ab, gehen in den Rückzug, schmollen und sind verletzt. Gedanken an Trennung schleichen sich ein.
Ich kann schon nachvollziehen, dass man hier sauer reagiert. Gleichzeit gebe ich dem bedeutenden Individualpsychologen Rudolf Dreikurs recht, wenn er meint: „Brauchen wir feindliche Gefühle, um Konflikte zu lösen? Die meisten Menschen sind geneigt, das zu glauben. Wie unrecht haben sie doch! Konstruktive Veränderungen bedürfen keiner Feindseligkeit, im Gegenteil …“ (Die Ehe – eine Herausforderung, S. 112) Sicherlich werden viele Paare diesem Gedanken etwas abgewinnen können. Wenn sie als Christen ihre Beziehung an Jesus ausrichten möchten, dann ist das ein guter Ansatzpunkt: Jesus ging es nie um Feindseligkeit, um Konflikte zu lösen.
Es ergibt für mich wenig Sinn, dass ich nur Marina höre. Ich kann das Denken ihres Partners Mark ja nur erahnen. Also vereinbaren wir einen Termin zu dritt und treffen uns etwa eine Woche später. Sie berichtet alles noch einmal. Dann kommt ihr erstaunter Mann zu Wort: „Liebling, zu Beginn unserer Ehe hat es dir doch so gefallen, wenn ich unseren Urlaub geplant habe. Kannst du dich noch an meine Überraschung damals mit Korsika erinnern? Was hast du mich damals gelobt, wenn ich die Dinge in die Hand genommen habe! Da habe ich mir gesagt, das mache ich ab jetzt weiter für dich und unsere Familie. Du hast doch genug mit den Kindern um die Ohren, und wer macht’s denn, wenn nicht ich …?“
Fast verschämt schaut sie zu Boden. Das ist eine ganz andere Perspektive. Für mich ist sie wichtig, um das gemeinsame Problem verstehen zu können.

Unsere gewollte und doch ungewollte Unterschiedlichkeit

Die Ursache für offene und versteckte Ehekonflikte liegt oft in der Unterschiedlichkeit der Partner: Es gibt schnell zupackende Menschen und eher langsame. Es gibt die „Peacemaker“ und kritisch „eckige“ Menschen. Die lauten „Vielredner“ mit einem eher zurückhaltenden stillen Partner. Die mehr gefühlsbetonten und die „trockenen“, nüchternen. Einer ist ein Nähemensch und der Partner der Distanztyp. Der eine sieht schon wieder die nächste drohende Pandemiewelle über sich zusammenschlagen, und der andere …?

Und hier ist längst nicht Schluss. Selbst in Glaubensdingen kann sich das zeigen: Ein eher innig gläubiger Mensch zieht einen in der Gottesbeziehung skeptischen oder sogar ungläubigen Menschen an. Beziehungen beruhen also auf Wechselwirkungen. Beide Partner spielen unbewusst einander fortwährend in die Hände. Aus der Eheberatung wissen wir: Selbst „Tyrannei in der Ehe kann ohne nachgiebige Unterwürfigkeit des anderen Teils nicht aufrechterhalten werden“ (Dreikurs, S. 114).
Ein Lehrsatz aus der Eheberatung mag dabei aufschlussreich sein: „Der Punkt der Anziehung wird in der Partnerschaft leicht zum Punkt des Konfliktes.“ Fazit: Es ist das Phänomen jedes Verliebtseins, dass wir zu Beginn unbewusst wählten, was wir von unserer eigenen Persönlichkeit nicht kannten. Ohne uns dessen bewusst zu sein, war die fremde Andersartigkeit das, was uns reizte. Das kann später zum Konflikt werden.
Der bereits erwähnte Rudolf Dreikurs bringt es so auf den Punkt: „Wir fühlen uns angezogen, wenn wir jemandem begegnen, der uns durch seine Persönlichkeit die Möglichkeit bietet, unsere persönliche Eigenart zu verwirklichen, […] der uns erlaubt, Pläne, die wir seit der Kindheit mit uns getragen haben, fortzusetzen oder wiederzubeleben.“ (S. 114) Dieses unbewusste Verhalten geht noch weiter. Wir können sogar mit Sicherheit sagen: Unser Verhalten beeinflusst den Partner positiv und sogar negativ, weil wir irgendetwas davon haben, was uns selbst meist völlig unklar ist. Fazit: Wir spielen einander unbewusst fortwährend in die Hände und schaffen die Voraussetzung für das, was wir beim anderen erleben.

Beziehung braucht Zeit zur Reflexion

Zurück zu Marina und ihrem Mann Mark: Sie stellen zunächst einmal fest, dass sie sich bisher wenig Zeit genommen haben, ihre Beziehung miteinander zu reflektieren. In vielerlei Richtung sind sie engagiert: Mark ist rastlos in gehobener Stellung als Geschäftsführer tätig. Marina hat durch eine Fortbildung alle Hände voll zu tun. Hinzu kommt aktuell der Hausbau, der durch den Familienzuwachs notwendig wurde, und vieles mehr. Paare, die sich zu wenig Zeit nehmen, um anhand ihrer gemeinsamen Erlebnisse ihre Beziehung zu reflektieren, kommen zweifellos leichter in Konflikte. Meist verlieren sie ihr anfangs gemeinsames Ziel, das Leben miteinander liebevoll zu teilen, aus den Augen. Manche denken, das Motto „Dass ich dich liebe, habe ich dir ja bei unserer Hochzeit schon gesagt!“ sei zielführend.

Verbreitet unter uns ist auch der Glaube, Ehe müsse in einem fast mechanischen Sinne „funktionieren“. Wenn es funktioniert, bedeutet das: „Dann passen wir zueinander.“ Wenn es nicht klappt, heißt das umgekehrt, dass die Rädchen nicht ineinandergreifen. Also passen A und B nicht zueinander. Das ist ein Trugschluss. Eheleute „machen sich passend“. Indem sie sich teils bewusst, teils unbewusst an den Partner und die neuen Gegebenheiten anpassen, verlieren sie nicht. Das Gegenteil ist der Fall: Sie gewinnen und genießen eine immer mehr gelingende Beziehung. Dieses „Anpassen“ bedeutet nicht, dass sie in allem immer nachgeben, sich selbst aus dem Auge verlieren oder gar unterwerfen. Weil der Mensch keine „Maschine“ ist, die „passt“ oder „funktioniert“, ist auch die Ehe dynamisch und nicht als „Mechanismus“ zu verstehen. Der Mensch ist also ständig veränderbar und nicht festgelegt.
Darum sollten Eheleute immer wieder über ihr „Projekt Ehe“ reden, das sie einmal in eigener Verantwortung gegründet haben. Jede/r sollte zur Sprache bringen, wo sie oder er sich benachteiligt fühlt. Paare werden dann vor allem die Bereiche ansprechen, in denen sie ein gewisses Ungleichgewicht, eine Benachteiligung empfinden. Uns ist meist nicht klar, dass wir schon bald nach unserem ersten Kennenlernen nach diesem Gleichgewicht in unserer Beziehung suchen, eine gewisse Ausgewogenheit, eine ausbalancierte „Waage“. Wird sie nicht empfunden, entsteht Unzufriedenheit.
Es kann beispielsweise sein, dass einer von beiden, der sowieso dazu neigte, weniger zu reden, jetzt noch stiller wird, weil der andere meist eher das Wort ergreift. Oder jemand anderes entwickelt noch mehr Zurückhaltung und zieht sich eher zurück, weil der andere als Person der Öffentlichkeit überall bekannt ist. Wenn zwei Leute ähnlich ordentlich sind, werden sie sich nach meiner Erfahrung unbewusst anders ergänzen wollen. Bei einem Paar wurde die geradezu zwanghafte Ordnungsliebe so stark, dass sich einer nur noch „genervt“ sah.
Dieses ergänzende Gleichgewicht darf sein. Sobald allerdings einer von ihnen ein Verhalten als einseitig oder gar störend empfindet, sollte es angesprochen werden. Wo dies nicht geschieht, entwickeln sie sich je länger, desto mehr auseinander, ohne dass es ihnen klar ist.
Bei Marina und Mark lag der erste Korsika-Urlaub bereits fünfzehn Jahre zurück. Muss man sich da nicht ganz nüchtern betrachtet die Frage stellen: Sollten die beiden sich seitdem so wenig in ihrer Persönlichkeit entwickelt haben? Und plötzlich empfindet Mark schmerzhaft, dass er, wie er sagte, sich an einem Ort wiederfindet, wo er gar nicht alleine hinwollte. Er schaut sich um und die Partnerin scheint sehr weit weg vom eigenen Denken, Fühlen und Wollen. Das Gegenüber ist im wörtlichen Sinne „ver-rückt“. Dieses Empfinden hatte auch Marina aufgeschreckt. Deshalb hat sie die Eheberatung aufgesucht. Erst das Reflektieren macht klarer: „Der Partner tickt doch ganz anders als ich. Das muss ich immer wieder neu verstehen. Und ich bin es, die sich auf ihn einstellen, ihn abholen soll, mit ihm das Leben zusammen gestalten will. Das soll fester Entschluss sein.“

Die Frage nach dem Warum

Marina hatte angefangen, Fragen zu stellen. Es waren Fragen wie: „Warum machst du das?“ „Warum übergehst du mich?“ „Warum fühle ich mich nur noch als Anhängsel deiner bereits getroffenen Entschlüsse?“ „Ich fühle mich, als ob ich hinter dir herlaufe und du nur noch den Ton angibst.“

Hilflosigkeit kann wütend, aggressiv, arglistig und hart machen. Hoffnungsvoll und hilfreich kann es dagegen durchaus sein, dass Marina nach dem Warum fragt, wenn es tatsächlich darum geht, den anderen zu verstehen. Solche Fragen können Reibung erzeugen, doch einen Konflikt zur Sprache zu bringen, ist viel besser, als in einem unzufriedenen Nebeneinanderher weiterzumachen.
Marina und Mark sind ins Gespräch gekommen. Sie versuchen, ihre Motive zu klären und sich besser verstehen zu lernen. Ihnen wird langsam klar, warum sie da gelandet sind, wo sie sich jetzt befinden. Gleichzeitig wird ihnen bewusst, dass sie in diesem Zustand nicht verharren möchten und das auch nicht müssen. Es gibt Veränderungsmöglichkeiten und die wollen sie in Angriff nehmen. Dabei hilft ihnen ein weiterer Schritt zurück: Paare können einander besser verstehen, wenn beide ihre Rolle in ihrer Biografie verstehen. Wenn sie sich klarmachen, woher sie kommen und was sie aus ihrer Ursprungsfamilie bewusst und unbewusst einbringen.
Wie Marina und Mark in diesem Prozess weitergekommen sind und was ihre Herkunftsfamilien und Biografien für ihre Ehe bedeuten, darum soll es in der nächsten Ausgabe gehen.

Dr. (theol.) Michael Hübner ist verheiratet und hat fünf erwachsene Kinder. Er ist Gründer und Dozent der Stiftung Therapeutische Seelsorge und Leiter einer Beratungs- und Psychotherapiepraxis in Neuendettelsau. Sein neues Buch: „Der Kick für die Partnerschaft – Vitaminkur für das Ehegespräch“ (Concepcion SEIDEL)

„Sie ist fremdgegangen“

„Unsere Tochter war ihrem Mann untreu. Nun lebt sie getrennt von ihm und ihren Kindern. Wir wissen nicht, wie wir mit dieser Situation umgehen sollen. Einerseits wollen wir unserer Tochter helfen, andererseits sehen wir das Leid, das sie unserem Schwiegersohn und unseren Enkeln zugefügt hat. Was sollen wir bloß tun?“

 

„Und sie lebten glücklich und zufrieden bis an ihr Lebensende“ – dieses klassische Ende der Kindheitsmärchen ist in unserer Seele verankert, und wie wünschen wir uns dies auch für die Ehe unserer Kinder!

Es ist eine starke Erschütterung, wenn eine Ehe zerbricht. Dies betrifft nicht nur die beiden Ehepartner und deren Kinder, sondern auch die Familien und Freunde des Paares. Es wird dann empfunden, als ob eine „Welt zusammenbricht“ und das ist es ja auch: Die Ehe- und Familienwelt fällt auseinander. Gerade die Eltern des Paares stehen verzweifelt und oft ratlos vor dem Ehe-Scherbenhaufen. Die Eltern lieben das eigene Kind, haben aber auch den Partner und die Enkel lieb gewonnen und sitzen nun buchstäblich zwischen den Stühlen.

Eltern sind nicht verantwortlich!

Zuerst ist es wichtig, dass die Eltern sich selbst auch eine Traurigkeit über diese starke Ehekrise zugestehen, aber sich gleichzeitig klar darüber werden, dass diese Krise in der Verantwortung der Ehepartner liegt. Auch wenn die Eltern vielleicht im Vorfeld keine Krise wahrgenommen haben, hätte die Mutter oder der Vater wenig Einfluss darauf nehmen können. Die Ehekrise ist in erster Linie ein Geschehen zwischen den Ehepartnern.

Es ist wichtig, dass die Eltern sich nun nicht zu einem Ehetherapeuten entwickeln, sondern – und das ist sehr viel – weiter für die Familie da sind. Dies bedeutet, dass Sie nur etwas zu dem Konflikt sagen, wenn Sie von der Tochter oder dem Schwiegersohn dazu befragt werden. Machen Sie stattdessen das Angebot: Wir sind an der Seite eurer Familie, doch ihr müsst uns sagen, wo ihr Unterstützung braucht.

Oma und Opa können den Enkeln Sicherheit geben

Diese Klarheit  ist wichtig, denn der Fokus der Eltern sollte besonders auf den Enkelkindern liegen, um Freiraum und Sicherheit für die Enkel zu gestalten. Dazu gehört, dass die Eltern nicht schlecht über die oder den eine/n Ehepartner/in vor den Enkeln sprechen. Dagegen können kleine gemeinsame Unternehmungen, Besuche und Übernachtungen mit und bei Oma und Opa Stabilität in dem wankenden Ehe- und damit auch Familienalltag für die Enkel bringen.

Die Liebe der Eltern zu ihrer Tochter, dem Schwiegersohn und den Enkeln bleibt. Doch sollte gerade diese Liebe nicht dazu verführen, über die Krise zu urteilen, sondern versuchen, die Beziehungs- und die Konfliktebene zu trennen. Im besten Fall versöhnen sich die beiden Ehepartner, und dann soll ja die Beziehung zu allen Beteiligten unbelastet und frei sein. Auch in so einer starken Ehekrise liegt immer die Chance, dass die Familie gestärkt daraus hervorgehen kann.

Ute Sinn ist verheiratet mit Martin, hat drei erwachsene Kinder und lebt und arbeitet als Seelsorgerin und Künstlerin in Wetter/Ruhr.

12 Ideen für ein reiches Ehe-Jahr

Ob das Jahr erst angefangen hat oder schon eine Weile läuft – für die Partnerschaft kann man immer etwas tun. Ira Schneider stellt eine 12-Monats-Challenge vor für ein bereicherndes Jahr.

Nicht nur der Jahresanfang öffnet einen weiten Raum, um Neues zu wagen und voller Hoffnung in die Zukunft zu schauen. Auch unter dem Jahr gibt es immer wieder Neuanfänge, die wir ergreifen und selbst gestalten können.

Gemeinsam unterwegs

Zu wissen, dass mein engster Vertrauter, mein bester Freund und Lieblingsmensch an meiner Seite ist, beflügelt mich. Wir können gemeinsam losgehen. Staunen. Lernen. Loslassen. Annehmen. Uns Vortasten. Ausprobieren. Fallen. Aufstehen. Trösten. Das Leben leben. Mein Mann und ich lieben es, den Alltag zu feiern und uns kleine Challenges, sprich kleine Strategien zu überlegen, um dem anderen eine unerwartete Freude zu bereiten. Hier findet ihr eine Auswahl kleiner Portionen Extraliebe zum Ausprobieren. Das könnt ihr jederzeit starten.

Bevor ihr die 12 Challenges lest, empfehle ich, die Monate zu verteilen. Im besten Fall wechselt ihr euch ab. So hat jeder sechs Challenges. Oder machen beide alles? Auf geht’s in 12 Monate lieben und sich lieben lassen. Bist du dabei?

Januar

Draußen ist es kalt. Die Festlichkeiten liegen hinter uns. Vielleicht schleppen wir ein paar Kilo mehr mit uns. Jedenfalls ist es nachmittags schnell dunkel, und der Frühling lässt noch auf sich warten. Der Weihnachtsbaum ist erloschen, der Adventskranz abgebaut. Trotzdem wollen wir hell erleuchtet ins neue Jahr starten.

Da helfen Teelichter! Zünde sie an und erhelle den Raum. Vielleicht muss dein Lieblingsmensch lange arbeiten und kommt dann unerwartet in ein gemütliches Zuhause. Bei einer Tasse Tee kann der Abend noch richtig gut werden.

Februar

Im Februar wird der Winter zäh. Es war nun lange genug kalt, grau und ungemütlich. Nun erwacht die Vorfreude auf längere Tage. Dieser Ungemütlichkeit kann man zum Beispiel mit einem kulinarischen Vergnügen entgegenwirken – Liebe geht ja bekanntlich durch den Magen. Aber nicht nur irgendeine Liebe geht durch irgendeinen Magen, sondern es geht um euch!

Hat dein Schatz hat ein besonderes Lieblingsessen, ein Lieblingsgetränk oder eine Lieblingsleckerei vom Bäcker? Nichts wie hin zum Bäcker, Supermarkt oder zum Coffee-Shop.

März

„Morgenstund hat Gold im Mund“, weiß der Volksmund. Aber vor allem morgens ist es hektisch. Gerade dann nehme ich mir vor der Arbeit, wenn wir zu unterschiredlichen Zeiten gehen, vor, achtsam innezuhalten und eine WhatsApp Nachricht an meinen Mann zu schreiben. Ein paar warme Guten-Morgen-Worte ermutigen, und er darf wissen, dass ich an ihn denke.

Schnapp dir diesen Monat öfter morgens dein Handy und hinterlasse eine liebevolle Nachricht für den Tag.

April

Es gibt Tage, da habe ich große Augenringe, zerzauste Haare, und meine Haut fühlt sich trocken an. Ich stehe vor dem Spiegel und denke: „Alltag halt …“ Doch genau an solchen Tagen ein Kompliment zu erhalten, kann den Tag in ein anderes Licht rücken.

Sprich deinem Partner oder deiner Partnerin diesen Monat bewusste Komplimente zu. Wie wäre es mit mindestens einem besonderen Kompliment pro Woche?

Mai

Zu einer Beziehung gehört, Erinnerungen im Herzen zu bewahren. Sie sind wie Blumen entlang unseres Lebenspfades als Paar.

Kramt euer Fotoalbum raus und feiert eure gemeinsamen Erinnerungen.

Juni

Freunde von mir haben in Zeiten, in denen Zoom, WhatsApp oder E-Mails noch nicht üblich waren, eine Fernbeziehung zwischen Deutschland und Japan geführt. Sie haben sich in langen Briefen aus ihrem Alltag erzählt. Dann mussten sie warten, bis der Brief ankam und sie eine Antwort erhielten. Ein ganzes Jahr haben sie das geschafft. Wirklich beeindruckend!

Wie wäre es, in diesem Monat mit einem Liebesbrief oder einem Brief, in dem du von dem erzählst, was dich bewegt, oder Fragen stellst, um herauszufinden, was dein Gegenüber bewegt?

Juli

Meine Liebessprache sind Geschenke. Wenn ein anderer Mensch an mich denkt und sich in meiner Abwesenheit etwas Liebevolles überlegt, ist das für mich wundervoll. Das Geschenk ist wie ein Stück Liebe, die greifbar wird. Was dann alles toppt, ist, wenn das Geschenk auch noch liebevoll verpackt ist.

Das ist doch mal eine Challenge: Ein unerwartetes und wundervoll verpacktes Geschenk. Es muss nicht teuer sein, aber eine kleine Freude soll es bereiten.

August

Zeitgeschenke sind immer besonders. Wenn ihr Kinder habt, kann es ein kostbares Geschenk sein, dem anderen einen freien Tag zu ermöglichen. So kann der Partner oder die Partnerin einen Tag lang nach Lust und Laune tun, was ihm oder ihr beliebt. Wenn ihr keine Kinder habt, könnt ihr euch dennoch eine größere Aufgabe abnehmen, um einander Zeit für sich oder eigene Aktivitäten zu schenken.

Nimm deinem Schatz Aufgaben oder Kinderbetreuung ab, damit er oder sie einen Tag für sich gestalten kann.

September

Ein Bereich, der Intimität als Paar schafft, ist der intellektuelle und kreative Austausch. Im Alltag prasseln – in Print oder digital – alle möglichen Informationen und Texte auf uns ein.

Was bewegt oder begeistert dich momentan? Lies deinem Lieblingsmenschen etwas Inspirierendes aus einem Buch, einem Artikel oder der Bibel vor.

Oktober

Jetzt wird es experimentell. Ich lade euch ein, zu verweilen und Stille miteinander auszuhalten und zu genießen. Stellt euch einen Timer und ladet einander ein, euch eine Minute lang in die Augen zu schauen. Das ist alles. Welche Erfahrung macht ihr dabei?

November

Von einem Tag auf den anderen bricht die Kuschelsockenzeit an. Die Heizung wird aufgedreht und die Winterjacke liegt bereit.

Das ist die richtige Zeit für Massagen. Ob Kopf-, Fuß- oder Rückenmassage, du weißt am besten, worüber sich deine Liebste oder dein Liebster am meisten freuen würde. Vielleicht holst du noch ein Flasche Zitronen- oder Orangenöl, dann ist die Wellnessoase perfekt.

Dezember

In den Nikolausstiefeln müssen nicht nur Kekse zerbröseln oder die Schokolade schmelzen. Manchmal bringen Worte das Herz zum Schmelzen

Schreibe eine Dankeskarte für all den Dinge, Eigenschaften und wunderbaren Eigenarten, die du an deinem Partner oder deiner Partnerin wertschätzt.

Ira Schneider ist Paartherapeutin und Autorin. Ihr Ratgeber für Paare erscheint im Juni 2024 bei SCM Hänssler. Mehr unter: @ira.schneider_

Die Farben des Schweigens

Die Kraft und die Macht des Schweigens werden häufig unterschätzt. Stefanie Diekmann, bekennende Extravertierte, hat die Stille in der Zweisamkeit für sich entdeckt – und warnt gleichzeitig davor.

Während im Hafen ein Segler sein Boot zum Auslaufen vorbereitet, blinzeln zwei Weggefährten in die Abendsonne und schweigen. Die Beobachter kommentieren das Geschehen nicht, sie plaudern auch nicht, sie schauen einfach zu und gewinnen innerlich Abstand vom Alltag. Nie hätte ich gedacht, dass ich mich – als eine der beiden Schweigenden – im Nichtsprechen so geborgen fühlen könnte.

Als Henrik und ich heirateten, waren wir eine Wortwolke: kichernd und quatschend. Missbilligend durch den Lärm unseres Austausches musterte mich damals eine ältere Dame und legte mir ihre Hand aufs Knie: „Wenn ihr erst mal 15 Jahre verheiratet seid, habt ihr auch Funkstille. Dann ist es vorbei mit dem Reden.“ Wie ist das also mit dem Schweigen? Eine zwangsläufige Entwicklung in Beziehungen?

Seelische Gewalt

Ich halte das Schweigen nach wie vor für gefährlich: Nach einem Vortrag über Begleitung von Teenagern kommt ein Vater auf mich zu. Er wolle mir eine Rückmeldung geben: „Ich sage nichts mehr zu meinem Sohn. Er hat mein Schweigen verdient. Erst wenn er sich anders verhält, rede ich wieder mit ihm!“ In Sekundenschnelle erfasse ich, dass hier kein Kontakt unterbrochen ist, sondern ein Sender das Übermitteln von Signalen beendet hatte. Auch nach verschiedenen Fragen und dem Versuch, für den ringenden jungen Menschen Verständnis zu vermitteln, bleibt der Sender abgeschaltet. Mit verschränkten Armen und stetigem Kopfschütteln verändert sich vor meinem inneren Auge der 55-jährige Vater zu einem kleinen Jungen. „Kennen Sie Schweigen von Ihren Eltern?“, frage ich tastend. Ohne den Blick zu erwidern, nickt der Vater und beschreibt, wie er selbst nach einigen Tagen des Schweigens seiner Mutter alles versucht hatte, um Gnade zu erlangen. Noch bevor ich mein Mitgefühl für diese Erfahrung ausdrücken kann, dreht er sich um und geht.

Wir wissen heute, dass das Schweigen als Methode zur Zurechtweisung eine Form von seelischer Gewalt ist. Neben den aktiven Formen von psychischer Gewalt kann sie eben auch ausgeübt werden, indem man Dinge unterlässt. So wird der andere, das Opfer, beispielsweise über einen längeren Zeitraum gemieden, ignoriert und mit andauerndem Schweigen gestraft. Das Nicht-Teilen der Gedanken und Gefühle mit dem anderen, gerade wenn es emotional hoch hergeht, lässt den Suchenden im Labyrinth des Schweigens ohne Chance auf einen Ausgang zurück. Schweigen kann dann tiefschwarz wirken und im Gegenüber eine Eigendynamik mit Selbstgesprächen, Selbstzweifeln und Kummer auslösen. Wenn ich den anderen nicht mehr anspreche, nicht auf ihn reagiere, dann verweigere ich die Anerkennung, dass er existiert.

Als wir persönlich in einer großen Krise waren, hat uns das Schweigen vieler Menschen, aus welcher Motivation auch immer, sehr getroffen. Wie erdrückend schweres Grau hat sich durch das Schweigen eine Wand der Einsamkeit gebildet, die ich bis heute bekämpfe. Gerade in Kummer und Not dem anderen ein Signal zu senden, ist überlebenswichtig.

Funkstille

Schweigen kann ein bedrohliches Zeichen von Funkstille zwischen zwei Sendern sein. Sie haben durch eine lange zehrende Wegstrecke oder Differenzen den Kontakt zueinander verloren. Sie senden keine Signale mehr. In Begegnungen mit wortkargen Senioren, frustrierten Eltern, erschöpften Pastoren fühlt es sich bei mir so an, als würde das grau wirkende Schweigen auf eine verstummte Seele hinweisen.

Keine Worte mehr zu finden, heißt vielleicht aber auch, keine passenden wählen zu können, weil das Heute zu fordernd ist. Man ist so ausgelaugt, dass jeder Satz viel Überwindung kostet. Als unsere Kinder klein waren, haben wir es mit einem Eheabend außer Haus versucht. Für viele scheint das das große Heilmittel zu sein. Unsere Ehezeit war jedoch von Erschöpfung und farblosem Schweigen geprägt. Wir hatten einfach keine Worte mehr. Dabei wollten wir so gerne ein „gutes“ Paar sein, eines, das durch sorgfältige Pflege der Kommunikation Krisen vorbeugt. Die Enttäuschung darüber, dass wir uns nichts zu sagen hatten, erstickte den Rest unserer Gesprächsideen. Als wir in einem Kreis von Paaren davon erzählten, erwischte mich eine Rückmeldung dazu hart: „Das ist uns nie passiert. Wir nehmen uns so wichtig, dass wir uns Tage vorher schon Themen notieren. So ein Abend reicht für uns kaum aus, um alles zu besprechen.“ Erst viel später erfuhr ich, dass die anderen Paare sich nicht mehr aus der Deckung trauten, um von ihren wortlosen Abenden zu berichten. Wir haben es damals als hilfreich erlebt und erleben es immer noch, durch einen Film, einen Artikel oder andere Impulse von außen ins Gespräch zu kommen. Dabei spüren wir eine große Verbundenheit beim Humor der englischen Krimis oder dem täglichen Kaffee zwischendurch, wo wir uns von Telefonaten oder dienstlichen Situationen berichten. Wir sind am anderen interessiert – auf unsere Art.

Verbale Streicheleinheiten

Es ist keine Schande, wenn die Worte ausgehen und man sich anschweigt. Das bedeutet aber nicht, dass man sich mit diesem Zustand abfinden muss. Vor einigen Jahren begleitete ich eine Freundin in einer schweren Ehekrise. Sie beschrieb, wie sehr sie den Geruch ihres Mannes mag, wie sie es liebt, wenn er kocht oder mit den Kindern diskutiert. „Und, was sagt er, wenn du ihm das mitteilst?“, fragte ich. Irritiert sah sie mich an: „Er würde ziemlich verstört gucken und mich für gefühlsduselig halten. Das habe ich noch nie gesagt!“ Mir zog sich der Magen zusammen, als mir die Folgen dieser Antwort bewusst wurden. Alle lobenden Worte für seinen Fleiß, für ihren Mut, für gelungene Absprachen des Alltags wurden vom Schweigen erstickt.

Wie selten sagen wir uns im Alltag, was wir an unseren Freunden, Partnern und Kindern mögen. Wenn wir kleine Aufmerksamkeiten wie den liebevollen Gruß zum Geburtstag, eine hilfreiche E-Mail, die reparierte Lampe oder das frisch bezogene Bett nicht nur wahrnehmen, sondern auch würdigen, dann passiert etwas. Das Schweigen zu überwinden ist so, als wenn wir den Sender und Empfänger neu aufeinander eichen. Es ist vielleicht ungewohnt, hat aber wundervolle Wirkungen in unseren Beziehungen. Ich bin überrascht, wie sehr auch Lehrer, Polizis-ten und Ärzte strahlen, wenn ich etwas Gutes ausspreche.

Gesprächspausen zulassen

Manchmal allerdings wünschte ich mir die Erlaubnis zu schweigen. Auf einem Geburtstag von Bekannten fiel es mir unangenehm auf, wie Gesprächspausen als peinlich vermieden wurden und das zartgrüne hoffnungsvolle Schweigen unterdrückt wurde. Den ganzen langen Abend sprachen alle in Plattitüden über den schlimmen Einfluss von Social Media, Klimawandel und Schuldruck. Hätten wir das Schweigen ausgehalten, wer weiß, vielleicht wäre eine persönlichere Note in diesem Geplänkel möglich gewesen.

Auch in Kleingruppen und Gesprächskreisen meiner Kirche wünsche ich mir den Genuss, zusammen zu schweigen, wenn wir Bibel lesen. Das Nachspüren der Worte und der Relevanz für mich gelingt mir nicht, wenn sofort jemand eine druckfertige Antwort liefert und mich mit Klugheit blendet.

Als unsere Kinder ihre Entscheidungen trafen, wie es nach der Schule weitergehen sollte, habe ich viele blubbernde Wörter in mir gehabt, die als Empfehlungen unbedingt raus wollten. Das Schweigen zu bestimmten Hürden oder Hoffnungen ist aber rosa wie zarte Liebe. Ich gehe nicht bewusst als Mutter auf Distanz und schweige, sondern ich bleibe nah und zugewandt und behalte dennoch meine Kommentare und Hinweise erst mal für mich.

Vertrautes Schweigen

Schweigen dürfen ist Luxus, der wie ein goldener Schimmer Freundschaft und Ehen veredelt. Der Weg, um das zu lernen, hat wortreiche Konflikte gebraucht. Ich bin immer gern mit Henrik Auto gefahren. Früher haben wir jeden Satz und jedes Erlebnis der letzten Woche geteilt, heute können wir schweigen. Das Schweigen bedeutet nicht: Kontaktabbruch. Die Stille ist nicht gegen mich gewandt, sondern es ist sogar ein Gönnen der Ruhe und der Entspannung im alltäglichen Gestalten unserer Liebe. Und irgendwann sagt mein Mann in diesen Ehe-Moment der Ruhe meine Lieblingsworte: „Du, ich hab’ mir was überlegt!“ Ich liebe diese Worte, weil so mein Zutrauen in ihn für mich hörbar wird: Auch wenn er manchmal wenig spricht, trägt er sehr wohl Verantwortung für uns und unsere Kinder, und er bringt zum Ausdruck, wie sehr er seine Kirche liebt und unsere Freunde schätzt. Oft kommen dann erstaunliche Ideen zum Vorschein, wie eine neue Terrasse zum morgendlichen Kaffeetrinken und Beten, ein Kurzurlaub mit Freunden oder eine Unterstützung für eines unserer Kinder. Und wo ich mich gerade schreibend so freue: Ich müsste ihm dringend mal sagen, wie gern ich mit ihm schweige.

Stefanie Diekmann ist Gemeindereferentin und lebt mit ihrer Familie in Göttingen.

Plötzlich ist Daniel todkrank: „Wir wussten nicht, ob wir unsere Hochzeit erleben“

Daniel und Miriam lieben sich und wollen heiraten. Doch dann diagnostiziert der Arzt Nierenversagen. Niemand weiß, ob Daniel die nächsten Tage überlebt.

Sie kennen sich seit ihrer Geburt. Daniels Mama ist Miriams Patentante, ihr Papa sein Patenonkel. Schon als Zweijährige kann man sie gemeinsam auf einem Foto in die Kamera lachen sehen. 500 Meter Luftlinie haben sie in dem kleinen sächsischen Dorf ihrer Kindheit voneinander getrennt, aber erst in der Kirchengemeinde haben sie sich mit 14 und 16 Jahren besser kennengelernt. Sie konnten so gut miteinander sprechen, dass sie stundenlang chatteten. Buchseiten hätten sie füllen können mit all den Worten, die zwischen ihnen getauscht wurden.

Diagnose: Nierenversagen

Auf einem Festival 2007 sind sie schließlich zusammengekommen. Miriam stellte dafür allerdings eine Bedingung: „Wir kommen nur zusammen, wenn du mich heiratest.“ Und Daniel konterte: „Ich will im Ausland von meinem Glauben erzählen, da musst du mitkommen.“ Ende 2009 bekam Daniel plötzlich nacheinander verschiedene Symptome: Husten, Bindehautentzündung und Gelenkentzündungen. Als er zum Arzt ging, stellte dieser fest, dass er kurz vor dem Nierenversagen stand. Es folgten zahllose Untersuchungen und eine dreiwöchige Spurensuche. Schließlich stellten die Ärzte eine Autoimmunerkrankung fest, die zu multiplen Entzündungen führt. Ohne Behandlung, wäre er zwei Wochen später vermutlich einfach tot umgefallen.

Der Körper am Ende

Die gemeinsame Zukunft war plötzlich total ungewiss. Sie hatten keine Ahnung, ob sie nun heiraten sollten oder jemals Kinder bekommen würden. Sie wussten nicht mal, wie viele Tage Daniel zu leben hatte. Trotz allem entschieden sie schließlich, den ungewissen Schritt in ein gemeinsames Leben zu wagen. Während Daniel im Krankenhaus war, widmete Miriam sich den Vorbereitungen. Am Tag der Hochzeit hofften alle nur, dass Daniel den Tag überstehen würde. Sein Körper war am Ende. Die Flitterwochen gingen an die Ostsee, dort war er eigentlich nur krank. „Ich hatte einen anderen Mann geheiratet, als ich kannte“, erzählt Miriam. „Durch die Medikamente war er persönlichkeitsverändert. Außerdem war er überhaupt nicht leistungsfähig. Nach zehn Minuten Spaziergang musste er sich erst mal wieder ausruhen.“ „Wir mussten in dieser Zeit lernen, Menschen zu enttäuschen, weil keine Kraft mehr da war“, fügt Daniel hinzu. Für beide war die Zeit der Krankheit eine Zeit, in der sie gemeinsam krank waren. Jeder litt auf seine eigene Weise. Ändern konnte man daran nichts.

Immer glücklich

Trotz allem zweifelte Miriam nie an ihrer Entscheidung für Daniel. Beide waren immer glücklich. Auch die Frage, ob sie es schaffen würde, durchzuhalten, stellte sie sich nie. In Krisenzeiten war die einzige Überlegung: „Was kann ich tun, damit es Daniel besser geht?“ 2011 entschieden sie sich, gemeinsam eine theologische Ausbildung zu machen. Das „European Theological Seminary“ befand sich im Schwarzwald, in einem Luftkurort. Die Natur, die vielen Spaziergänge, auch das Gebet, bewirkten, dass es Daniel immer besser ging. In der nächsten Kreisstadt gab es einen Arzt, der ausgerechnet auf Daniels Autoimmunerkrankung spezialisiert war. Hier konnte er sich ambulant behandeln lassen und drei Jahre später tatsächlich die Medikamente absetzen. Sein Immunsystem hatte sich erholt, es gab keinerlei Krankheitsanzeichen.

Ein kleines Wunder

In den darauffolgenden Jahren wurden sie Eltern. Doch mit der Zeit wurden Daniels Nierenwerte wieder schlechter. Die Autoimmunerkrankung war nicht wiedergekommen, dennoch brauchte er eine Nierentransplantation. Mit zwei Kindern und zehn Jahre später, machte ihm diese Nachricht viel mehr zu schaffen. Anfang März 2010 kam er zum ersten Mal ins Krankenhaus. Zehn Jahre später sollte das Erstgespräch zur Nierentransplantation stattfinden. Anfang März 2020 bekam Daniel seine aktuellen Blutwerte − sie waren wie durch ein Wunder plötzlich viel besser, sodass eine Transplantation nicht mehr nötig war.

„Die Krise hat uns zusammengeschweißt“

„Wenn man dreimal pro Woche ans Sterben denken muss, und schon mal kurz davor war, dann verändert das dein ganzes Leben“, sagt Daniel. „Wir brauchen nicht so viel Zeit und Geld. Wir leben bewusster und sind für viele kleine Dinge dankbar. Stundenlanges Spazierengehen gehört beispielsweise dazu.“ „Wir wären ohne einander nicht die, die wir jetzt sind“, fügt Miriam hinzu, „wir sind die glücklichste Familie auf der Welt.“ Und dabei lachen beide herzlich. „Die Krise hat uns zusammengeschweißt. Die Krankheit ist ein Teil von uns und gehört nicht nur zu Daniel. Wenn man Krisen von außen hat, braucht man innen keine mehr.“ „An den schlimmsten Tagen haben wir einen Cappuccino getrunken, dabei aus dem Fenster gesehen und uns gesagt: „Das Leben ist schön.“ Das Positive zu sehen, hat uns immer sehr geholfen“, erinnert sich Daniel.

Stark trotz Schwachheit

Beide verarbeiten die Krankheit auch durch ihre Kunst. Daniel hat in den vergangenen 12 Jahren 80 Lieder geschrieben. Miriam malt und zeichnet. Durch ihre Künste begegnen andere Menschen ebenfalls Gott. Daniel lebt seinen Glauben dort, wo er gerade ist. Im Krankenhaus genauso wie in der Gemeinde, wo er arbeitet. Beide merken: Auch in ihrer Schwachheit können sie etwas bewirken. Ohne den Schmerz könnten sie nicht das weitergeben, was sie zu geben haben. Sie wissen, dass alles zerbrechlich ist und dass sie nicht absehen können, wie viel Leid noch auf sie zukommen wird. Aber sie investieren viel Kraft und Energie, um immer das Gute zu suchen, sich auf den anderen einzulassen und im Gespräch zu bleiben. Und das nun schon seit zehn Jahren.

Kein Beziehungsratgeber half diesem Paar. So wurden sie trotzdem ein Team

Früher schrien sich Jennifer Zimmermann und ihr Mann wochenlang abends an. Heute ist ihr Partner gleichzeitig ihr bester Freund.

Man sollte es gleich zu Anfang wissen: Wir sind kein Vorzeigepaar. Ich sehe uns heute noch in unserer ersten Wohnung am Frankfurter Westbahnhof sitzen. Draußen donnerten die Güterzüge und drinnen las ich mit roten Ohren das Kapitel über Sex aus unserem Eheratgeber vor. Zehn von zwanzig Kapiteln lang übten wir uns in größtmöglicher Offenheit und wälzten Vorstellungen über Geld und Rollenbilder. Die letzten zehn Einheiten lasen wir nie. Das einzige Buch, das wir gemeinsam (fast) bis zum Ende gelesen haben, enthielt gesammelten Poetry Slam. Das Ehebuch lag unterdessen auf dem Couchtisch und starrte uns vorwurfsvoll an, weil wir offenbar keinen stabilen Grundstein für unsere Beziehung legen wollten.

Viele Ratschläge

Ich kam mit neuen Büchern und Seminarangeboten nach Hause. Mein Angetrauter verdrehte die Augen. Zurecht. Er konterte mit einer Auswahl von Restaurants, in die er mich für ein Ehedate entführen wollte. Ich seufzte, weil in mir ein kleiner grummeliger Zwerg mit Kontrollzwang wohnte, der es überhaupt nicht leiden konnte, wenn jemand anderes sein Essen kochte. Freunde erzählten mir, wie sie in ihre Beziehung investierten. Welche Rituale sie bewusst in ihren Alltag einflochten. Wie sie das gemeinsame Gebet jeden Abend durch persönliche Probleme trug. Wie dieses oder jenes Kommunikationsseminar die Weichen für ihre gemeinsame Zukunft gestellt hatte. Und ich seufzte wieder und schämte mich ein bisschen.

Bedienungsanleitung falsch verstanden

Zu Beginn unserer Ehe war ich mir sicher: Wir hatten etwas an der Bedienungsanleitung für unsere Ehe falsch verstanden. Wie konnte all das, was uns stark machen sollte, all das, was eine Partnerschaft bereichern sollte, sich so verkehrt anfühlen? So furchtbar verkrampft? Würde unsere Ehe es ohne all die Investitionen und die wohlgepflegten Rituale durch die Abgründe schaffen, die sich im Leben manchmal so plötzlich auftun?

Augenringe bis zum Boden

Der erste Abgrund kam schneller als gedacht. Schwerfällig stapften wir durch den unerwartet tiefen Sumpf frisch gebackener Elternschaft: durchwachte Nächte und völlige Fremdbestimmung. Mein Mann machte sein Examen und startete ins Referendariat. Wir bekamen ein zweites Kind. Tageweise entlud sich all die Anspannung in erbitterten Kämpfen, die wir abends auf dem Sofa ausfochten. Tagsüber waren wir zwei abgeschaffte, zerzauste Menschen mit hängenden Schultern und Augenringen bis zum Boden, die um alles in der Welt versuchten, ihre Kinder nicht anzuschreien.

Zwei Freunde

In dieser Zeit waren wir vor allem eins: Freunde. Zwei Freunde, die sich hin und wieder auf die Schultern klopften. Zwei Freunde, die beschlossen hatten, gemeinsam durch die guten und die schlechten Zeiten zu gehen. Und das taten wir. Ein heimlicher Beobachter hätte vielleicht diagnostiziert, dass wir nebeneinander her lebten, so still, wie wir unserer Wege gingen. Aus unserer Perspektive aber sah alles ganz anders aus. Ausgelaugt und verzweifelt klammerten wir uns wortlos an den einzigen anderen Menschen, der mit im Boot saß. Abends trafen wir uns auf der Couch zu unserer Lieblingskrimiserie. Ich schlief auf der Couch ein. Er weckte mich und schickte mich ins Bett. Und am nächsten Morgen standen wir wieder auf und stellten uns gemeinsam dem Chaos, das unser Leben geworden war. Jeder an seiner Front.

Sonntage in der Notaufnahme

Von allen Seiten schien man uns zuzuschmettern, dass wir um alles in der Welt nicht „nur“ Eltern sein dürften. Wir hörten uns schlotternd die Warnungen an. Was würde mit uns passieren, wenn die Kinder eines Tages auszögen? Das Ende war wohl vorprogrammiert. Wir zitterten. Kurz. Dann wechselten wir wieder Windeln, machten die Nächte durch, gingen arbeiten und verbrachten unzählige Sonntage mit einem fiebernden Kind in der Notaufnahme.

Immer noch ein Team

Und eines Tages blickten wir über die Schultern und stellten fest, dass wir das Schlimmste hinter uns hatten. Wir blickten an uns herab und stellten fest, dass wir uns immer noch an den Händen hielten. Irgendwann in dieser Zeit kam der Moment, in dem mir klar wurde, dass wir uns nicht mehr zu dem Paar entwickeln würden, das in meinem Kopf wohnte. Wir waren anders, als ich gedacht hatte. Wir konnten einander immer noch zum Lachen bringen. Wir bewunderten einander immer noch für den Umgang mit unseren Kindern. Wir arbeiteten immer noch als Team. Und wir lernten zu schätzen, was wir miteinander hatten, statt uns krampfhaft in eine Form zu pressen, in die wir nicht passten.

Nur überleben

Zeiten des Ausnahmezustands sind keine glorreichen Zeiten. Egal, ob wir ein neues Familienmitglied durch die ersten Monate begleiten, ein Elternteil pflegebedürftig wird oder eine Krankheit die Familie durchschüttelt – es gibt Zeiten, in denen wir nur überleben. Es gibt Zeiten, in denen unsere Ehe nur überlebt. Aber zu wissen, dass der Mann an meiner Seite versprochen hat, mich auch noch morgen zu lieben, egal, wie müde und elend ich heute durch die Wohnung geschlurft bin – das ist eins der größten Geschenke in meinem Leben.

Trotz allem

Es sind Zeiten wie diese, in denen ich den Wert von Treue schätzen gelernt habe. Von Zuverlässigkeit. Und Freundschaft. Es sind Zeiten wie diese, in denen ich gelernt habe, dass Liebe etwas anderes ist als die Summe der schönen gemeinsamen Stunden. Denn wie mein Mann in dieser Zeit zu seiner müden Frau gehalten hat, das erklärt meinem Herz etwas darüber, wie treu auch Gott ist. Wie zuverlässig. In einer Zeit, in der auch mein Glaube nur knapp überlebte, gab es keine deutlichere Botschaft, als jeden Morgen aufzuwachen und meinen Mann neben mir zu finden. Immer noch. Trotz allem.

Alle suchen den idealen Partner

In dem Buch „Ehe“, das der US-amerikanische Pastor Timothy Keller 2011 gemeinsam mit seiner Frau Kathy veröffentlichte, beschreibt er einen Wandel im Verständnis von Ehe. „Früher ging es in der Ehe um uns, jetzt geht es um mich.“ Vergangene Jahrhunderte haben die Ehe als ökonomische und soziale Institution begriffen. Heute tritt der verständliche Wunsch nach Selbstverwirklichung in den Vordergrund, wenn es um die Erwartungen an eine Beziehung geht. In einer von Keller zitierten Studie suchen die befragten Singles vor allem nach Partnern, für die sie sich nicht ändern müssen. Sie suchen „den idealen Partner, einen Menschen, der glücklich, gesund, interessant und mit dem Leben zufrieden ist. Noch nie zuvor in der Geschichte der Menschheit hat es eine Gesellschaft gegeben, die so voller Menschen war, die alle den idealen Partner suchten.“

Der Prinz auf dem weißen Pferd

In einer Zeit, in der die Geschichte vom Prinzen auf seinem weißen Pferd in allen Schattierungen von Hollywood ausgeschlachtet worden ist, drängt sich die Überlegung auf, ob das Warten auf den idealen Partner, den „Seelenverwandten“, nicht alles leichter gemacht hätte. Meist kann ich diese Frage nach einigem Gedankenwälzen unter „Selbstoptimierung“ verstauen. In meinem Leben nimmt sie einen ähnlichen Stellenwert ein wie die Frage, ob regenbogenfarbene Haare mein Leben besser – weil bunter – machen würden. Etwa fünf Minuten lang erscheint sie wirklich dringend. Dann rastet mein Fünfjähriger aus, weil die Nudeln alle sind und ich blicke in das tiefenentspannte Gesicht meines Mannes und weiß wieder, dass ich hier richtig bin. Aber die Frage nach dem idealen Partner ist nicht für jeden so eindeutig zu lösen wie für mich. Und manchmal scheint es so, als ob wir, wenn wir an der Optimierung unserer Partnerwahl scheitern – und das tun wir immer, egal wie gründlich wir suchen – mit der Optimierung unserer Beziehungen weitermachen.

Gegen den Optimierungswahn

Wie wir mit Ehe umgehen, erinnert mich manchmal an meinen Pinterest-Account. Ständig werden mir Bilder von perfekten Lösungen für meine Wohnprobleme vorgeschlagen. Aber Paare lassen sich viel schwerer optimieren als Wohnzimmer. Paare sind zwei komplexe Menschen mit vielen Jahren Leben im Gepäck und jeder hat einen Reisekoffer voller rumpelnder Gedanken, den er hinter sich herzieht.

Ich durfte zu der liebevollen Erkenntnis kommen, dass es ok ist, nicht das Paar zu sein, das ständig investiert und optimiert. Dass es sogar ok ist, ein paar Wochen lang das Paar zu sein, das sich abends anschreit, wenn uns das am Ende einen Schritt weiterbringt. Es kann sich vollkommen richtig anfühlen, Eheratgeber zu lesen und gemeinsam Seminare zu besuchen. Aber es gibt tausend andere Möglichkeiten, eine Ehe zu einem guten Ort für beide Partner zu machen. Für uns ist es tausendundein Gespräch, das wir den Tag über zwischen Tür und Angel führen. Es sind die Insider, die nur wir verstehen. Der gelegentliche kinderfreie Nachmittag mit einem heimlichen Eis. Und dann gibt es die schlechten Zeiten. Die, in denen wir auf dem Zahnfleisch gehen. Manchmal reicht es dann, wenn der andere über deinen schrägen Witz lacht. Wenn einer weiß, wie du deinen Kaffee trinkst. Wenn du mit deinem besten Freund unter einem Dach wohnst und irgendwie versuchst, das Lebenschaos zu managen. Ja, wirklich, es gibt Zeiten, da reicht Freundschaft voll und ganz. Vergiss nur nicht, ab und zu auf die starke Schulter neben dir zu klopfen.

Jennifer Zimmermann lebt mit ihrem Mann und ihren drei Kindern in Bad Homburg. Vor einigen Monaten ist ihr erstes Buch erschienen: „Als Gott mich fallenließ. Vom Ausharren und Weitergehen mit ihm“ (SCM R.Brockhaus).

Freundschaft in Wüstenzeiten

Jennifer Zimmermann hatte immer mit einem Idealbild von der christlichen Ehe zu kämpfen. Mittlerweile hat sie gemerkt: Eine Ehe lässt sich nicht so leicht optimieren und die Freundschaft zu ihrem Mann trägt auch durch Wüstenzeiten.

Man sollte es gleich zu Anfang wissen: Wir sind kein Vorzeigepaar. Ich sehe uns heute noch in unserer ersten Wohnung am Frankfurter Westbahnhof sitzen. Draußen donnerten die Güterzüge und drinnen las ich mit roten Ohren das Kapitel über Sex aus unserem Eheandachtsbuch vor. Zehn von zwanzig Kapiteln lang übten wir uns in größtmöglicher Offenheit, wälzten Vorstellungen über Geld und Rollenbilder, endeten in abwechselndem Gebetsgestotter. Die letzten zehn Andachten lasen wir nie. Das einzige Buch, das wir gemeinsam (fast) bis zum Ende gelesen haben, enthielt gesammelten Poetry Slam. Ohne Gebetsaufforderungen. Das Andachtsbuch lag unterdessen auf dem Couchtisch und starrte uns vorwurfsvoll an, weil wir offenbar keinen stabilen Grundstein für unsere Ehe legen wollten.

Ich kam mit neuen Büchern und Seminarangeboten nach Hause. Mein Angetrauter verdrehte die Augen. Zurecht. Er konterte mit einer Auswahl von Restaurants, in die er mich für ein Ehedate entführen wollte. Ich seufzte, weil in mir ein kleiner grummeliger Zwerg mit Kontrollzwang wohnte, der es überhaupt nicht leiden konnte, wenn jemand anderes sein Essen kochte. Freunde erzählten mir, wie sie in ihre Beziehung investierten. Welche Rituale sie bewusst in ihren Alltag einflochten. Wie sie das gemeinsame Gebet jeden Abend durch persönliche Probleme trug. Wie dieses oder jenes Kommunikationsseminar die Weichen für ihre gemeinsame Zukunft gestellt hatte. Und ich seufzte wieder und schämte mich ein bisschen.

BEDIENUNGSANLEITUNG FALSCH VERSTANDEN

Zu Beginn unserer Ehe war ich mir sicher: Wir hatten etwas an der Bedienungsanleitung für unsere Ehe falsch verstanden. Wie konnte all das, was uns stark machen sollte, all das, was eine Partnerschaft bereichern sollte, sich so verkehrt anfühlen? So furchtbar verkrampft? Würde unsere Ehe es ohne all die Investitionen, die wohlgepflegten Rituale und die gemeinsamen Gebete durch die Abgründe schaffen, die sich im Leben manchmal so plötzlich auftun?

Der erste Abgrund kam schneller als gedacht. Schwerfällig stapften wir durch den unerwartet tiefen Sumpf frisch gebackener Elternschaft: durchwachte Nächte und völlige Fremdbestimmung. Mein Mann machte sein Examen und startete ins Referendariat. Wir bekamen ein zweites Kind. Tageweise entlud sich all die Anspannung in erbitterten Kämpfen, die wir abends auf dem Sofa ausfochten. Tagsüber waren wir zwei abgeschaffte, zerzauste Menschen mit hängenden Schultern und Augenringen bis zum Boden, die um alles in der Welt versuchten, ihre Kinder nicht anzuschreien.

In dieser Zeit waren wir vor allem eins: Freunde. Zwei Freunde, die sich hin und wieder auf die Schultern klopften. Zwei Freunde, die beschlossen hatten, gemeinsam durch die guten und die schlechten Zeiten zu gehen. Und das taten wir. Ein heimlicher Beobachter hätte vielleicht diagnostiziert, dass wir nebeneinander her lebten, so still, wie wir unserer Wege gingen. Aus unserer Perspektive aber sah alles ganz anders aus. Ausgelaugt und verzweifelt klammerten wir uns wortlos an den einzigen anderen Menschen, der mit im Boot saß. Abends trafen wir uns auf der Couch zu unserer Lieblingskrimiserie. Ich schlief auf der Couch ein. Er weckte mich und schickte mich ins Bett. Und am nächsten Morgen standen wir wieder auf und stellten uns gemeinsam dem Chaos, das unser Leben geworden war. Jeder an seiner Front.

Von allen Seiten schien man uns zuzuschmettern, dass wir um alles in der Welt nicht „nur“ Eltern sein dürften. Wir hörten uns schlotternd die Warnungen an. Was würde mit uns passieren, wenn die Kinder eines Tages auszögen? Das Ende war wohl vorprogrammiert. Wir zitterten. Kurz. Dann wechselten wir wieder Windeln, machten die Nächte durch, gingen arbeiten und verbrachten unzählige Sonntage mit einem fiebernden Kind in der Notaufnahme.

IMMER NOCH EIN TEAM

Und eines Tages blickten wir über die Schultern und stellten fest, dass wir das Schlimmste hinter uns hatten. Wir blickten an uns herab und stellten fest, dass wir uns immer noch an den Händen hielten. Irgendwann in dieser Zeit kam der Moment, in dem mir klar wurde, dass wir uns nicht mehr zu dem „guten christlichen Paar“ entwickeln würden, das in meinem Kopf wohnte. Wir waren anders, als ich gedacht hatte. Wir konnten einander immer noch zum Lachen bringen. Wir bewunderten einander immer noch für den Umgang mit unseren Kindern. Wir arbeiteten immer noch als Team. Und wir lernten zu schätzen, was wir miteinander hatten, statt uns krampfhaft in eine Form zu pressen, in die wir nicht passten.

Zeiten des Ausnahmezustands sind keine glorreichen Zeiten. Egal, ob wir ein neues Familienmitglied durch die ersten Monate begleiten, ein Elternteil pflegebedürftig wird oder eine Krankheit die Familie durchschüttelt – es gibt Zeiten, in denen wir nur überleben. Es gibt Zeiten, in denen unsere Ehe nur überlebt. Aber zu wissen, dass der Mann an meiner Seite versprochen hat, mich auch noch morgen zu lieben, egal, wie müde und elend ich heute durch die Wohnung geschlurft bin – das ist eins der größten Geschenke in meinem Leben.

Es sind Zeiten wie diese, in denen ich den Wert von Treue schätzen gelernt habe. Von Zuverlässigkeit. Und Freundschaft. Es sind Zeiten wie diese, in denen ich gelernt habe, dass Liebe etwas anderes ist als die Summe der schönen gemeinsamen Stunden. Denn wie mein Mann in dieser Zeit zu seiner müden Frau gehalten hat, das erklärt meinem Herz etwas darüber, wie treu auch Gott ist. Wie zuverlässig. In einer Zeit, in der auch mein Glaube nur knapp überlebte, gab es keine deutlichere Botschaft, als jeden Morgen aufzuwachen und meinen Mann neben mir zu finden. Immer noch. Trotz allem.

DER PRINZ AUF DEM WEISSEN PFERD

In dem Buch „Ehe“, das der US-amerikanische Pastor Timothy Keller 2011 gemeinsam mit seiner Frau Kathy veröffentlichte, beschreibt er einen Wandel im Verständnis von Ehe. „Früher ging es in der Ehe um uns, jetzt geht es um mich.“ Vergangene Jahrhunderte haben die Ehe als ökonomische und soziale Institution begriffen. Heute tritt der verständliche Wunsch nach Selbstverwirklichung in den Vordergrund, wenn es um die Erwartungen an eine Beziehung geht. In einer von Keller zitierten Studie suchen die befragten Singles vor allem nach Partnern, für die sie sich nicht ändern müssen. Sie suchen „den idealen Partner, einen Menschen, der glücklich, gesund, interessant und mit dem Leben zufrieden ist. Noch nie zuvor in der Geschichte der Menschheit hat es eine Gesellschaft gegeben, die so voller Menschen war, die alle den idealen Partner suchten.“

In einer Zeit, in der die Geschichte vom Prinzen auf seinem weißen Pferd in allen Schattierungen von Hollywood ausgeschlachtet worden ist, drängt sich die Überlegung auf, ob das Warten auf den idealen Partner, den „Seelenverwandten“, nicht alles leichter gemacht hätte. Meist kann ich diese Frage nach einigem Gedankenwälzen unter „Selbstoptimierung“ verstauen. In meinem Leben nimmt sie einen ähnlichen Stellenwert ein wie die Frage, ob regenbogenfarbene Haare mein Leben besser – weil bunter – machen würden. Etwa fünf Minuten lang erscheint sie wirklich dringend. Dann rastet mein Fünfjähriger aus, weil die Nudeln alle sind und ich blicke in das tiefenentspannte Gesicht meines Mannes und weiß wieder, dass ich hier richtig bin. Aber die Frage nach dem idealen Partner ist nicht für jeden so eindeutig zu lösen wie für mich. Und manchmal scheint es so, als ob wir, wenn wir an der Optimierung unserer Partnerwahl scheitern – und das tun wir immer, egal wie gründlich wir suchen – mit der Optimierung unserer Beziehungen weitermachen.

GEGEN DEN OPTIMIERUNGSWAHN

Wie wir mit Ehe umgehen, erinnert mich manchmal an meinen Pinterest-Account. Ständig werden mir Bilder von perfekten Lösungen für meine Wohnprobleme vorgeschlagen. Aber Paare lassen sich viel schwerer optimieren als Wohnzimmer. Paare sind zwei komplexe Gotteskinder mit vielen Jahren Leben im Gepäck und jeder hat einen Reisekoffer voller rumpelnder Gedanken, den er hinter sich herzieht. Wenn irgendwer vor Selbstoptimierung Halt machen sollte – sei sie körperlicher, psychischer oder geistiger Natur – dann sollten wir Christen es sein, die wir an einen Gott glauben, der die Machtverhältnisse der Welt einfach auf den Kopf stellt und die Letzten zu Ersten erklärt. Es gibt niemanden auf dieser Welt, der mit mir so geduldig ist wie er. Und wenn es Ecken und Kanten in unserer Beziehung gibt, dann hat er Zeit genug, sie rund zu lieben. Oder uns beizubringen, wie wir sie lieben lernen.

Ich durfte zu der liebevollen Erkenntnis kommen, dass es ok ist, nicht das Paar zu sein, das ständig investiert und optimiert. Dass es sogar ok ist, ein paar Wochen lang das Paar zu sein, das sich abends anschreit, wenn uns das am Ende einen Schritt weiterbringt. Es kann sich vollkommen richtig anfühlen, Andachtsbücher zu lesen und gemeinsam Seminare zu besuchen. Aber es gibt tausend andere Möglichkeiten, eine Ehe zu einem guten Ort für beide Partner zu machen. Für uns ist es tausendundein Gespräch, das wir den Tag über zwischen Tür und Angel führen. Es sind die Insider, die nur wir verstehen. Der gelegentliche kinderfreie Nachmittag mit einem heimlichen Eis. Und dann gibt es die schlechten Zeiten. Die, in denen wir auf dem Zahnfleisch gehen. Manchmal reicht es dann, wenn der andere über deinen schrägen Witz lacht. Wenn einer weiß, wie du deinen Kaffee trinkst. Wenn du mit deinem besten Freund unter einem Dach wohnst und irgendwie versuchst, das Lebenschaos zu managen. Ja, wirklich, es gibt Zeiten, da reicht Freundschaft voll und ganz. Vergiss nur nicht, ab und zu auf die starke Schulter neben dir zu klopfen.

Jennifer Zimmermann lebt mit ihrem Mann und ihren drei Kindern in Bad Homburg. Vor einigen Monaten ist ihr erstes Buch erschienen: „Als Gott mich fallenließ. Vom Ausharren und Weitergehen mit ihm“ (SCM R.Brockhaus).