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Familienurlaub auf dem Rad

Kann Radfahren, Zelten, Baden und Nudeln mit Tomatensoße ein echter Urlaub für die Familie sein? Ja! Wie das geht, berichtet Familienvater Manuel Lachmann.

Drei Fahrräder, ein Laufrad, ein Fahrradanhänger, zwei Packsäcke und vier Radtaschen – damit starteten wir unseren Urlaub: eine Radreise auf dem Elberadweg in Sachsen. Für unseren Sohn Nathanael (zu der Zeit sechs Jahre alt) begann mit der Ankunft am Bahnhof in Halle/Saale der nervenaufreibendste Teil der Reise: „Schaffen wir den Zug?“, fragte er immer wieder. Und: „Passen wir denn alle in den Zug mit unseren Fahrrädern und dem Anhänger?“ Wir passten hinein!

In unserem Abteil saß ein älteres Ehepaar, ebenfalls mit dem Rad unterwegs, mit dem wir leicht ins Gespräch kamen. Die Zugfahrt verging dadurch wie im Nu. Nach etwa zwei Stunden kamen wir in Coswig an. Nun fuhren wir per Rad die drei Kilometer zum ersten Zeltplatz. Am Zeltplatz angekommen hieß es erst einmal Zelt aufbauen, auspacken und etwas essen. Die Kinder haben direkt den Spielplatz ausfindig gemacht und das Freibad entdeckt, das zum Zeltplatz gehört. Natürlich wurden Freibad samt Rutsche und Spielplatz ausgiebig getestet.

Urlaub pur: Pause mit Eis

Unser Ziel am nächsten Tag hieß Dresden-Mockritz – 22 Kilometer entfernt. Wir fuhren entlang der Elbe durchs Grüne mit wunderschöner Landschaft. Da die Strecke nur wenige Steigungen enthielt, gab es für den dreijährigen Isaak genug Gelegenheiten, auf seinem Laufrad neben uns herzufahren. Wenn er nicht selbst fahren wollte, fuhr er im Anhänger mit. Das Laufrad haben wir dann am Anhänger mit Spanngummis befestigt.

Der Stadtrand von Dresden war schon in Sicht, als wir hinter einer Kurve ein Café mit Eiswagen entdeckten. Es war dort so schön, dass wir gleich zwei Eis gegessen haben. Zudem hatten die Kinder ihren Spaß im Sandkasten und wir Eltern konnten uns bei einem Kaffee mit Blick auf die Elbe und Dresden entspannt zurücklehnen. Der letzte Teilabschnitt des Tages führte uns quer durch Dresden. Auf gut ausgebauten Radwegen hieß es für Nathanael: immer Mama mit dem Radanhänger folgen! Papa fuhr als Schlusslicht hinterher. Souverän meisterte Nathanael die lange Strecke mit viel Autoverkehr bis zum Zeltplatz. Zur großen Freude unserer Jungs hatte der Zeltplatz einen eigenen Swimmingpool. Nathanael hatte erst wenige Tage vor dem Urlaub sein Seepferdchen gemacht. Umso schöner war es, dass er hier jeden Tag üben konnte.

Beliebte Rituale

Radfahren und Schwimmen macht hungrig. Da gibt es nichts Besseres als frisch gekochtes Essen von Papa. Das klappt auch auf einem einflammigen Campingkocher. Die Speisekarte ist meist begrenzt auf drei Gerichte. Am liebsten mögen die Jungs Nudeln mit Tomatensoße und Würstchen. Das geht auch einen ganzen Radurlaub lang. Während ich die Kochutensilien verstaue, geht meine Frau Franzi mit den Kindern zur allabendlichen Abwasch-Session. Die Kinder verhandeln täglich neu, wer abwaschen darf und wer abtrocknen muss.

Vor Eintritt der Dämmerung heißt es umziehen, Zähne putzen und in den Schlafsack kuscheln, damit Mama die Vorlesezeit beginnen kann. Diese Zeit hat sich zu einem beliebten Urlaubsritual entwickelt. Da beiden Kindern nur eine Radtasche zur Verfügung steht, kann die Gute-Nacht-Lektüre nur aus einem gemeinsamen Buch bestehen, das die gesamte Urlaubszeit abdeckt.

Sonnenuntergang am See

Am nächsten Tag fuhren wir weiter nach Pirna – eine Tour von etwa 24 Kilometern. Auch diese Etappe war sehr schön, allerdings kam immer mal eine kleine Steigung dazwischen. Erst einmal fuhren wir ein Stück durch Dresden, bis wir wieder auf den Elberadweg zurückkehren konnten. Ab da konnten wir die Landschaft genießen. Immer wieder dachte sich Franzi Geschichten aus, um die aus Nathanaels Sicht langweiligen Streckenteile zu überbrücken und ihn bei Laune zu halten.

Auf diesem Wegabschnitt erwartete uns eine ordentliche Steigung hinauf zum Schloss Pillnitz. Nicht nur Nathanael kämpfte mit dem Berg, auch wir Erwachsenen – mit voller Beladung und Anhänger. Belohnt wurden wir mit dem Blick auf das Schloss und der schönen Aussicht ins Tal.

Am Zeltplatz angekommen, bauten Franzi und ich das Zelt auf, während die Kinder Stöcke, Moos und Tannenzapfen sammelten und zu einem Lagerfeuer aufschichteten. Nathanael und Isaak sind kreative Kinder, die in der Natur mit viel Fantasie spielen. Das Lagerfeuer wurde vor unserem Zelt aufgebaut und wie ein „echtes Feuer“ behandelt, an dem wir sitzen und Würstchen grillen.

Bei diesem Zeltplatz lag der Badesee mit Sandstrand gleich nebenan. Da wir Eimer und Schaufel immer dabeihaben, ging es nach dem Zeltaufbau zum Spielen, Sandburgenbauen und Planschen an den See. Nach dem Abendessen kehrten wir zum Badesee zurück und genossen die untergehende Sonne.

Staudamm bauen

Wenn man mehrere Tage mit Fahrrad und Zelt unterwegs ist, verfolgt man den Wetterbericht genauer als sonst. Da für den kommenden Tag Regen gemeldet war, entschieden wir, eine Etappe mit Zeltplatz auszulassen und ein Stück mit dem Zug zu fahren. Dafür wollten wir dann drei Nächte an unserem letzten Zeltplatz in Bad Schandau bleiben.

So ging es am nächsten Tag von Pirna eine gute halbe Stunde an der Elbe entlang bis in die Stadt Wehlen. Während wir auf den Zug warteten, gesellten sich Paddler mit einem großen aufblasbaren Schlauchboot zu uns. Schnell kamen wir ins Gespräch. Sie kamen aus der Gegend und meinten, wir hätten eine gute Entscheidung getroffen, gerade diese Strecke mit dem Zug zu fahren. Die Gegend ist hier besonders reizvoll, da die Elbe sich mit ihren vielen Kurven und Biegungen durch die Landschaft schlängelt, was man vom Zug aus am besten sieht.

In Bad Schandau angekommen, ging es entlang der Kirnitzsch zu unserem letzten Zeltplatz. Wir kannten ihn schon von einem früheren Kletterurlaub. Das Gelände ist stufenartig gebaut, wir hatten unseren Platz ganz oben. Bei wunderbarem Sonnenschein war alles schnell aufgebaut. Danach ging es mit den Kindern hinunter an die Kirnitzsch zum Spielen, Bootfahren und Staudammbauen im eiskalten Wasser. Franzi fuhr nach Bad Schandau, um Postkarten und Lebensmittel zu kaufen. In der Touristeninformation erkundigte sie sich nach dem Wetter. Die Verkäuferin versicherte ihr: „Die letzten Tage war schon häufig Regen gemeldet, es kam aber nie etwas herunter!“ Mit dieser Aussage kehrte sie fröhlich zum Zeltplatz zurück.

Nächtliche Überraschung

Müde vom Spielen im kalten Fluss waren wir alle zunächst schnell eingeschlafen. Nach einiger Zeit wurde ich wach, weil ich Regen hörte. Ich spürte ihn auch im Zelt – meine Isomatte war nass! Es gewitterte ordentlich. Meine große Sorge war, dass die Kinder davon wach werden könnten, aber sie schliefen seelenruhig weiter. Franzi und ich versuchten, die Kinder mitsamt ihren Schlafsäcken immer wieder auf die noch trockenen Stellen im Zelt zu platzieren. Mittlerweile floss ein kleiner Fluss durchs Zelt. Daher war an Schlafen nicht mehr zu denken. Am nächsten Morgen beschlossen wir einstimmig, unseren Urlaub zu beenden. Nun mussten wir bei Regen packen. Wegen der schweren nassen Sachen ging es nur langsam zum Bahnhof nach Bad Schandau. Von dort fuhren wir bis Halle/Saale mit dem Zug.

Unser Fazit: Es war ein wundervoller Urlaub, auf den wir mit einem lachenden und einem weinenden Auge zurückblicken. Es gab tolle unerwartete Schwimmgelegenheiten, Natur pur, Sonne, Zeit zum Erholen. Und es gab Wasser im Zelt. Wir hatten uns das Zelt – ein älteres Modell – für den Urlaub geliehen. Nach dem Urlaub stand fest, dass es Zeit für ein eigenes neues und regenfestes Zelt ist. Wir sind sehr dankbar für die gemeinsame Zeit, die wir als Familie erleben durften. In diesen Tagen haben wir gelernt, gemeinsam stark zu sein und aus jedem Erlebnis das Positive hervorzuheben.

Manuel Lachmann ist Hausmann, lebt mit seiner Familie in Halle/Saale, leitet dort „Die Männerreise – Abenteuer Identität“ 

Familienfreundliche Gemeinden?

Es hängt sehr stark von den einzelnen (Kirchen-)Gemeinden ab, wie sehr sich Familien willkommen und zu Hause fühlen. Lisa-Maria Mehrkens hat bei Familien nachgefragt, wie sie ihr Gemeindeleben gestalten und was sie sich von Gemeinden wünschen.

Wie familienfreundlich Gemeinden wahrgenommen werden, ist sehr unterschiedlich. In den meisten Gemeinden gibt es über die Woche verteilt Angebote für verschiedene Altersgruppen, zum Beispiel Mama-Kind-Kreise, Krabbelgruppen, Jungschar, Teenkreis oder Junge Gemeinde. Auch parallel zum sonntäglichen Gottesdienst finden Angebote für Kinder und Teens statt. Manche Gemeinden haben für Eltern mit Kleinkindern spezielle und gut ausgestattete Spielräume, in die der Gottesdienst per Ton oder Bild übertragen werden kann. Doch nicht jede Kirche oder Gemeinde hat die baulichen Möglichkeiten, einen extra Raum für Familien einzurichten. „Ungemütlich, zu klein, zu laut“ nannten einige Eltern die bei ihnen vorhandenen Räume. Einige wünschten sich zusätzliche Still- oder Wickelmöglichkeiten sowie Rückzugsmöglichkeiten, wenn es den Kindern zu viel wird.

„Wir kommen immer auf den letzten Drücker zum Mutti-Kind-Kreis. Oft ist es leider nur ein weiterer Termin im stressigen Alltag“, beschreibt eine Mutter das Problem vieler Familien. Der Alltag ist so vollgepackt, dass – selbst familienfreundliche – Gemeindeveranstaltungen manchmal nur zusätzlicher Stress sind. Dabei können enge Beziehungen, die über die kirchlichen Veranstaltungen hinaus Bestand haben, günstig für das eigene Glaubensleben und Wohlbefinden sein. Deshalb plädieren viele Eltern dafür, bei Gemeindeveranstaltungen mehr Zeit für Austausch und die Pflege von Beziehungen einzuräumen. Zum Beispiel bei Familientreffen mit viel gemeinsamer Zeit und einem kurzen geistlichen Impuls. Ein gemeinsames Mittagessen nach dem Gottesdienst würde den Druck verringern, sich zu Hause um das Essen kümmern zu müssen und für Gemeinschaft und Austausch sorgen. Gleichzeitig hätten die Kinder gleichaltrige Freunde zum Spielen, was auch die Eltern entlastet. „Je mehr die Menschen aus der Gemeinde auch Teil des alltäglichen Lebens sind, umso einfacher ist es auch, Glaube in den Alltag zu bringen. Besonders wenn auch die Freunde der Kinder Teil der Gemeinde sind“, betont ein Vater.

Gottesdienst als Familie erleben

Der Besuch des wöchentlichen Gottesdienstes ist vor allem für die Eltern herausfordernd, deren Kinder noch nicht alt genug für den Kindergottesdienst sind. Dann kann bei Paaren nur ein Elternteil bewusst dem Gottesdienst folgen, während der andere den Nachwuchs betreut. Für Alleinerziehende ist es noch schwieriger. Einige Eltern bemängeln die ungünstigen Zeiten oder die zu lange Dauer der Gottesdienste. „Familienfreundliche Gottesdienste sollten zu familienfreundlichen Zeiten stattfinden sowie abwechslungsreich, kurz und prägnant gestaltet werden“, schlägt eine Mutter vor. Dennoch gehen einige Familien auch mit Babys und (Klein-) Kindern fast jeden Sonntag in den Gottesdienst. „Für mich schafft der Gottesdienst Zeit und Raum für Begegnungen mit Gott, die mir im Alltag fehlen. Zudem ist mir die Zeit auch wichtig für die Begegnung mit anderen und weil meine Kinder im Kindergottesdienst etwas vom Glauben hören“, erklärt ein Vater seine Beweggründe. Eine Mutter betont, dass es wichtig sei, gemeinsam als Familie Erfahrungen mit Gott zu machen. Die altersspezifischen Angebote unter der Woche nehme meist nur ein Teil der Familienmitglieder wahr. „Im Gottesdienst können wir zumindest zeitweise alle zusammen sein. Das stärkt uns als Familie gemeinsam in unserem Glauben.“

Zum Fußball oder in die Gemeinde?

Neben jüngeren Kindern sind auch Teenager ein wichtiger Teil von Gemeinden, der gelegentlich zu wenig beachtet wird. Manchmal konkurrieren ihre Hobbys, wie ein Fußballspiel oder eine Theateraufführung, zeitlich mit Gemeindeangeboten. Für viele Teenager ist entscheidend, zu welchem Angebot ihre Freunde gehen. Spezielle Jugendgottesdienste, gemeinsame Ausflüge, Mahlzeiten oder (Online-)Treffen unter der Woche stärken die Gemeinschaft und Freundschaften der Teens innerhalb der Gemeinde. Einige Eltern finden, ihre Teens könnten mehr in die Gemeindestrukturen eingebunden werden und Aufgaben übernehmen, damit sie Verantwortung lernen und sich gebraucht fühlen. „Man kann Jugendlichen schon mehr Verantwortung und Aufgaben übertragen, als man manchmal denkt“, meint eine Mutter. Auf diese Art können sich die jüngeren Gemeindemitglieder auch in verschiedenen Bereichen ausprobieren und ihre Begabungen entdecken und stärken. Gottesdienste und andere Angebote sollten so gestaltet werden, dass sie die Lebenswelt der Jugendlichen ansprechen. So fühlen sich Teenager auch nach der Konfirmation oder dem Ende des Bibelunterrichts noch als Teil der Gemeinde.

Anschluss nicht verlieren

„Seit wir Kinder haben, gehen wir nicht mehr jeden Sonntag in den Gottesdienst. Es ist einfach zu anstrengend, die Kinder ruhig zu halten, mit ihnen zu spielen und gleichzeitig noch dem Lobpreis oder der Predigt zu folgen. Ein Kinderprogramm gibt es erst ab drei Jahren. Da bleiben wir lieber zu Hause.“ Das berichtet eine Mutter von Zwillingen im Alter von einem Jahr. Und sie ist mit dieser Erfahrung nicht allein. Seit die Corona-Pandemie verschiedene Online-Angebote wachsen ließ, nutzen besonders Familien mit Babys und Kleinkindern, die noch zu jung für die Kindergottesdienste sind, die Möglichkeit, vom gemütlichen Sofa aus an Online-Treffen teilzunehmen oder den Gottesdienst im Livestream zu verfolgen. Eine Mutter berichtet, dass auch ihr spezieller Hauskreis für Mütter mit Babys meist online stattfindet: „So kann man sich stummschalten, wenn das Baby schreit. Und jede Mama kann füttern und wickeln, wie es gerade passt“, berichtet sie. Auch bei Hausgottesdiensten innerhalb der Familie oder zusammen mit Gästen kann durch mehr Flexibilität besser auf die einzelnen Bedürfnisse eingegangen werden.

Dennoch berichten manche Eltern, sich durch den fehlenden persönlichen Kontakt nicht mehr richtig als Teil der Gemeinde zu fühlen. Deshalb stellt sich neben der Frage, wie familienfreundlich Gemeinden sind, auch die Frage, wie gemeindefreundlich eine Familie ist. Die Möglichkeiten der Eltern, sich in die Gemeinde einzubringen, sind vielfältig: einen Hauskreis oder die Jugendgruppe leiten, den Gottesdienst moderieren, sich im Lobpreis, dem Leitungskreis oder der Technik engagieren. Die Verantwortung zwischen dem Dienst in der Gemeinde und der Betreuung der Kinder kann dabei abwechselnd aufgeteilt werden. Oder man nimmt die Kinder mit und integriert sie, soweit es geht. „Wenn ich den Beamer-Dienst im Gottesdienst habe, sitzt mein Sohn meist mit auf meinem Schoß. Manchmal lasse ich ihn eine Folie weiterklicken und er freut sich, dass er mir helfen kann“, berichtet ein Vater.

In Gemeinden Talente für Gott einsetzen

Eine andere Familie erzählt, dass sie sich gemeinsam als „Familienband“ in der Lobpreisarbeit beteiligen. „Das ist für uns perfekt. Wir haben als Familie ein gemeinsames Hobby, können gleichzeitig Zeit in der Gemeinde verbringen und unsere Talente für Gott einsetzen“, erklärt die Mutter. Gemeinsame Mahlzeiten nach Gottesdiensten, Aktivitäten mit anderen Familien oder feste wöchentliche Treffen tragen die gemeindeinternen Beziehungen in den Alltag und können auch von den Familien selbst initiiert werden. Zudem können sich Eltern für regelmäßige Familiengottesdienste stark machen und aktiv dort mitwirken. Wenn die Eltern-Kind-Räume nicht zufriedenstellend sind, können sich Familien zusammenschließen und selbst für eine Verbesserung einsetzen.

Sowohl die Gemeinden als auch die Familien selbst sind durch gegenseitiges Verständnis, Austausch und Kompromisse in der Verantwortung, eine gemeinsame Basis zu finden. Nur so kann eine Gemeinde für alle gelebt werden. Eine Mutter betont, Gemeinden sollten Familien als „stark prägende Konstante für das Glaubensleben“ wertschätzen und unterstützen. Ihre Idee: eine „Patenschaft“ von älteren Eltern für jüngere Familien.

Lisa-Maria Mehrkens ist Journalistin, Autorin und Psychologin. Mit ihrer Familie wohnt sie in Chemnitz. Mehr auf Instagram unter: mehrkens.journalismus und himmelslichtfuerdich

Highlight vor der Haustür: Urlaub auf Rädern

Kann Radfahren, Zelten, Baden und Nudeln mit Tomatensoße ein echter Urlaub für die Familie sein? Ja! Wie das geht, berichtet Familienvater Manuel Lachmann.

Drei Fahrräder, ein Laufrad, ein Fahrradanhänger, zwei Packsäcke und vier Radtaschen – damit starteten wir unseren Urlaub: eine Radreise auf dem Elberadweg in Sachsen. Für unseren Sohn Nathanael (zu der Zeit sechs Jahre alt) begann mit der Ankunft am Bahnhof in Halle/Saale der nervenaufreibendste Teil der Reise: „Schaffen wir den Zug?“, fragte er immer wieder. Und: „Passen wir denn alle in den Zug mit unseren Fahrrädern und dem Anhänger?“ Wir passten hinein!

In unserem Abteil saß ein älteres Ehepaar, ebenfalls mit dem Rad unterwegs, mit dem wir leicht ins Gespräch kamen. Die Zugfahrt verging dadurch wie im Nu. Nach etwa zwei Stunden kamen wir in Coswig an. Nun fuhren wir per Rad die drei Kilometer zum ersten Zeltplatz. Am Zeltplatz angekommen hieß es erst einmal Zelt aufbauen, auspacken und etwas essen. Die Kinder haben direkt den Spielplatz ausfindig gemacht und das Freibad entdeckt, das zum Zeltplatz gehört. Natürlich wurden Freibad samt Rutsche und Spielplatz ausgiebig getestet.

Urlaub pur: Pause mit Eis

Unser Ziel am nächsten Tag hieß Dresden-Mockritz – 22 Kilometer entfernt. Wir fuhren entlang der Elbe durchs Grüne mit wunderschöner Landschaft. Da die Strecke nur wenige Steigungen enthielt, gab es für den dreijährigen Isaak genug Gelegenheiten, auf seinem Laufrad neben uns herzufahren. Wenn er nicht selbst fahren wollte, fuhr er im Anhänger mit. Das Laufrad haben wir dann am Anhänger mit Spanngummis befestigt.

Der Stadtrand von Dresden war schon in Sicht, als wir hinter einer Kurve ein Café mit Eiswagen entdeckten. Es war dort so schön, dass wir gleich zwei Eis gegessen haben. Zudem hatten die Kinder ihren Spaß im Sandkasten und wir Eltern konnten uns bei einem Kaffee mit Blick auf die Elbe und Dresden entspannt zurücklehnen. Der letzte Teilabschnitt des Tages führte uns quer durch Dresden. Auf gut ausgebauten Radwegen hieß es für Nathanael: immer Mama mit dem Radanhänger folgen! Papa fuhr als Schlusslicht hinterher. Souverän meisterte Nathanael die lange Strecke mit viel Autoverkehr bis zum Zeltplatz. Zur großen Freude unserer Jungs hatte der Zeltplatz einen eigenen Swimmingpool. Nathanael hatte erst wenige Tage vor dem Urlaub sein Seepferdchen gemacht. Umso schöner war es, dass er hier jeden Tag üben konnte.

Beliebte Rituale

Radfahren und Schwimmen macht hungrig. Da gibt es nichts Besseres als frisch gekochtes Essen von Papa. Das klappt auch auf einem einflammigen Campingkocher. Die Speisekarte ist meist begrenzt auf drei Gerichte. Am liebsten mögen die Jungs Nudeln mit Tomatensoße und Würstchen. Das geht auch einen ganzen Radurlaub lang. Während ich die Kochutensilien verstaue, geht meine Frau Franzi mit den Kindern zur allabendlichen Abwasch-Session. Die Kinder verhandeln täglich neu, wer abwaschen darf und wer abtrocknen muss.

Vor Eintritt der Dämmerung heißt es umziehen, Zähne putzen und in den Schlafsack kuscheln, damit Mama die Vorlesezeit beginnen kann. Diese Zeit hat sich zu einem beliebten Urlaubsritual entwickelt. Da beiden Kindern nur eine Radtasche zur Verfügung steht, kann die Gute-Nacht-Lektüre nur aus einem gemeinsamen Buch bestehen, das die gesamte Urlaubszeit abdeckt.

Sonnenuntergang am See

Am nächsten Tag fuhren wir weiter nach Pirna – eine Tour von etwa 24 Kilometern. Auch diese Etappe war sehr schön, allerdings kam immer mal eine kleine Steigung dazwischen. Erst einmal fuhren wir ein Stück durch Dresden, bis wir wieder auf den Elberadweg zurückkehren konnten. Ab da konnten wir die Landschaft genießen. Immer wieder dachte sich Franzi Geschichten aus, um die aus Nathanaels Sicht langweiligen Streckenteile zu überbrücken und ihn bei Laune zu halten.

Auf diesem Wegabschnitt erwartete uns eine ordentliche Steigung hinauf zum Schloss Pillnitz. Nicht nur Nathanael kämpfte mit dem Berg, auch wir Erwachsenen – mit voller Beladung und Anhänger. Belohnt wurden wir mit dem Blick auf das Schloss und der schönen Aussicht ins Tal.

Am Zeltplatz angekommen, bauten Franzi und ich das Zelt auf, während die Kinder Stöcke, Moos und Tannenzapfen sammelten und zu einem Lagerfeuer aufschichteten. Nathanael und Isaak sind kreative Kinder, die in der Natur mit viel Fantasie spielen. Das Lagerfeuer wurde vor unserem Zelt aufgebaut und wie ein „echtes Feuer“ behandelt, an dem wir sitzen und Würstchen grillen.

Bei diesem Zeltplatz lag der Badesee mit Sandstrand gleich nebenan. Da wir Eimer und Schaufel immer dabeihaben, ging es nach dem Zeltaufbau zum Spielen, Sandburgenbauen und Planschen an den See. Nach dem Abendessen kehrten wir zum Badesee zurück und genossen die untergehende Sonne.

Staudamm bauen

Wenn man mehrere Tage mit Fahrrad und Zelt unterwegs ist, verfolgt man den Wetterbericht genauer als sonst. Da für den kommenden Tag Regen gemeldet war, entschieden wir, eine Etappe mit Zeltplatz auszulassen und ein Stück mit dem Zug zu fahren. Dafür wollten wir dann drei Nächte an unserem letzten Zeltplatz in Bad Schandau bleiben.

So ging es am nächsten Tag von Pirna eine gute halbe Stunde an der Elbe entlang bis in die Stadt Wehlen. Während wir auf den Zug warteten, gesellten sich Paddler mit einem großen aufblasbaren Schlauchboot zu uns. Schnell kamen wir ins Gespräch. Sie kamen aus der Gegend und meinten, wir hätten eine gute Entscheidung getroffen, gerade diese Strecke mit dem Zug zu fahren. Die Gegend ist hier besonders reizvoll, da die Elbe sich mit ihren vielen Kurven und Biegungen durch die Landschaft schlängelt, was man vom Zug aus am besten sieht.

In Bad Schandau angekommen, ging es entlang der Kirnitzsch zu unserem letzten Zeltplatz. Wir kannten ihn schon von einem früheren Kletterurlaub. Das Gelände ist stufenartig gebaut, wir hatten unseren Platz ganz oben. Bei wunderbarem Sonnenschein war alles schnell aufgebaut. Danach ging es mit den Kindern hinunter an die Kirnitzsch zum Spielen, Bootfahren und Staudammbauen im eiskalten Wasser. Franzi fuhr nach Bad Schandau, um Postkarten und Lebensmittel zu kaufen. In der Touristeninformation erkundigte sie sich nach dem Wetter. Die Verkäuferin versicherte ihr: „Die letzten Tage war schon häufig Regen gemeldet, es kam aber nie etwas herunter!“ Mit dieser Aussage kehrte sie fröhlich zum Zeltplatz zurück.

Nächtliche Überraschung

Müde vom Spielen im kalten Fluss waren wir alle zunächst schnell eingeschlafen. Nach einiger Zeit wurde ich wach, weil ich Regen hörte. Ich spürte ihn auch im Zelt – meine Isomatte war nass! Es gewitterte ordentlich. Meine große Sorge war, dass die Kinder davon wach werden könnten, aber sie schliefen seelenruhig weiter. Franzi und ich versuchten, die Kinder mitsamt ihren Schlafsäcken immer wieder auf die noch trockenen Stellen im Zelt zu platzieren. Mittlerweile floss ein kleiner Fluss durchs Zelt. Daher war an Schlafen nicht mehr zu denken. Am nächsten Morgen beschlossen wir einstimmig, unseren Urlaub zu beenden. Nun mussten wir bei Regen packen. Wegen der schweren nassen Sachen ging es nur langsam zum Bahnhof nach Bad Schandau. Von dort fuhren wir bis Halle/Saale mit dem Zug.

Unser Fazit: Es war ein wundervoller Urlaub, auf den wir mit einem lachenden und einem weinenden Auge zurückblicken. Es gab tolle unerwartete Schwimmgelegenheiten, Natur pur, Sonne, Zeit zum Erholen. Und es gab Wasser im Zelt. Wir hatten uns das Zelt – ein älteres Modell – für den Urlaub geliehen. Nach dem Urlaub stand fest, dass es Zeit für ein eigenes neues und regenfestes Zelt ist. Wir sind sehr dankbar für die gemeinsame Zeit, die wir als Familie erleben durften. In diesen Tagen haben wir gelernt, gemeinsam stark zu sein und aus jedem Erlebnis das Positive hervorzuheben.

Manuel Lachmann ist Hausmann, lebt mit seiner Familie in Halle/Saale, leitet dort „Die Männerreise – Abenteuer Identität“ 

Einzelkinder: Mythen und Wahrheit

Über Einzelkinder gibt es viele Vorurteile. Sind sie berechtigt? Einzelkinder, Einzelkind-Eltern und Experten berichten über das Aufwachsen ohne Geschwister. Von Lisa-Maria Mehrkens

Laut Statistischem Bundesamt lebte 2022 in über der Hälfte der Familien nur ein Kind. Rund ein Viertel der Kinder wachsen dauerhaft als Einzelkinder auf. Sind diese tatsächlich verwöhnt, egoistisch oder sozial weniger kompetent, wie gängige Vorurteile lauten? „Einige Vorurteile können in Einzelfällen zutreffen. Dennoch sind sie keineswegs allgemeingültig“, betont der Psychotherapeut Joachim Lask, der in eigener Praxis auch Paare und Familien berät.

Die wissenschaftliche Studienlage ist nicht eindeutig. Eine große österreichische Studie von 2013 zeigte, dass Einzelkinder in der Kindheit in Bezug auf Kooperation, Konkurrenz, Verantwortung und Teilen gegenüber Kindern mit Geschwistern etwas zurückliegen. Dafür haben sie manchmal einen Vorsprung im Selbstwertgefühl, in der kognitiven und sprachlichen Entwicklung und bei schulischen Leistungen. Oft wissen Einzelkinder eher, was sie selbst wollen, da sie sich nicht an (älteren) Geschwistern orientieren oder auf diese Rücksicht nehmen müssen.

Die von mir befragten Eltern konnten die Vorurteile aus eigenen Erfahrungen jedenfalls nicht bestätigen. Einzelkinder würden genauso liebevoll und fürsorglich mit anderen spielen und auch teilen. „Auch Geschwister sind kein Garant dafür, dass Teilen Spaß macht“, erklärt eine Mutter. „Es gibt sicher solche Einzelkinder, aber es gibt auch solche Geschwisterkinder. Das kommt vielmehr auf die Erziehung, den Charakter und das Umfeld an“, meint eine andere.

Exklusive Zeiten

Ob gewollt oder ungewollt – das Leben mit einem Einzelkind hat seine Vorteile. Am häufigsten genannt werden finanzielle Aspekte, mehr Flexibilität und Spontaneität, da man nur auf ein Kind Rücksicht nehmen muss, und insgesamt weniger Stress. Zudem ist es leichter, ein Kind bei den Großeltern oder einem Babysitter abzugeben, wodurch man mehr Unternehmungen ohne Kind machen kann. „Ich genieße es, dass mein Kind jetzt aus dem Gröbsten raus ist und ich wieder ein Stück weit Freiheiten und mein altes Leben zurückhabe“, sagt eine Einzelkind-Mutter.

Für manche ist es Gefühlssache: „Genau wie ich damals wusste, dass jetzt der Zeitpunkt für ein Kind ist, weiß ich jetzt, dass ich kein weiteres mehr möchte. Ein Kinderwunsch kann genauso deutlich gefühlt werden wie ein ‚Kein-Kinderwunsch‘. Dabei geht es weder um Überforderung noch darum, das Muttersein zu bereuen. Es fühlt sich einfach stimmig an“, erklärt eine andere Mutter.

Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut Dr. Simon Meier ist Leiter einer Familienberatungsstelle. „Einzelkinder stehen viel mehr im Fokus ihrer Eltern. Alle Zuwendung und Aufmerksamkeit konzentrieren sich auf dieses eine Kind. Dadurch gibt es mehr exklusive Zeiten für das Kind allein, zum Spiel und zur Interaktion zwischen Eltern und Kind. Zudem stehen häufig mehr Ressourcen zur schulischen und außerschulischen Förderung zur Verfügung“, sagt er. Das kann ein Vorteil sein. So können Eltern in Ruhe alle Entwicklungsschritte aufnehmen und genießen, die sonst mit mehreren Kindern nebenbei ablaufen. „Man kann sein Kind ständig Lieblingskind nennen“, beschreibt eine Mutter.

Wenn der Spielpartner fehlt

Einzelkinder genießen oft die alleinige Aufmerksamkeit der Eltern. Geschwisterrivalitäten bleiben ihnen erspart. Doch manche Einzelkinder berichten, sich gelegentlich einsam zu fühlen oder starken Druck zu spüren, die Erwartungen der Familie zu erfüllen. Ohne Geschwister als Spielpartner sind die Eltern zudem öfter gefordert. Viele sind besorgt, ihr Kind könne doch zu einem egoistischen, sozial weniger kompetenten Menschen heranwachsen. „Geschwisterkinder erleben mehr Frustrationen durch Prozesse des Teilens, des Zurücksteckens und dadurch, dass sie abwarten und ihre Bedürfnisse aufschieben müssen“, erklärt Simon Meier.

Dennoch kann man auch Einzelkindern ausreichend Sozialkompetenz vermitteln. „Es ist notwendig, dass Eltern ihrem Kind von Anfang an Möglichkeiten bieten, mit anderen Kindern in Kontakt zu treten – ob auf dem Spielplatz, in Krabbelgruppen oder im Kindergarten. Solche Interaktionen mit Gleichaltrigen fördern grundlegende soziale Kompetenzen wie Teilen, Zusammenarbeit und Empathie“, rät Joachim Lask. Er ergänzt: „Eltern von Einzelkindern sollten ihre Erwartungen an das Kind kritisch überdenken. So können sie ihre eigenen, vielleicht unerfüllten Wünsche verstehen. Damit gelingt es, das Kind angemessen zu unterstützen, ohne es zu überfordern oder einzuschränken.“

Einzelkinder können Teilen lernen

Auch die befragten Einzelkind-Eltern versuchen, ihren Kindern – auch außerhalb der Betreuung in Kita und Schule – viel sozialen Umgang mit anderen Kindern zu ermöglichen: durch Unternehmungen und Urlaube mit anderen Familien mit gleichaltrigen Kindern, Treffen auf dem Spielplatz oder die Beteiligung in Sportgruppen. „Man kann jedem Kind von Anfang an vermitteln, dass man Spielsachen oder Essen teilt. Es braucht kein Geschwisterchen, um das zu lernen“, meint ein Vater. Gegen die Langeweile, die das Kind vielleicht ohne Spielpartner zu Hause empfindet, hilft, ihm frühzeitig beizubringen, alleine zu spielen, und es möglichst oft in den Haushalt einzubeziehen. „Meine Tochter liebt es, mir beim Kochen oder Backen zu helfen und es ‚allein‘ zu machen“, schildert eine Mutter ihre Erfahrungen.

Wissenschaft und Erfahrungswerte stimmen überein: Vorurteile gegenüber Einzelkindern sind lediglich pauschale Aussagen, die im Einzelfall ganz anders sein können. Nicht alle Einzelkinder sind egoistisch und nicht alle Geschwisterkinder teilen gern. Denn letztlich hängen die Charaktereigenschaften und die Entwicklung eines Kindes von viel mehr ab als von der Geschwisteranzahl.

Lisa-Maria Mehrkens ist Journalistin, Autorin und Psychologin. Mit ihrer Familie wohnt sie in Chemnitz. Mehr unter: mehrkens.journalismus

 

Schicksal Sandwichkind?

Wie stark prägt die Geschwisterkonstellation die Persönlichkeit von Kindern? Daniela Albert räumt mit einigen Missverständnissen auf.

„Mama, ich habe es eigentlich am besten! Ich hatte immer irgendwen zum Spielen. Ich bin voll froh, das mittlere Kind zu sein!“ Na also, geht doch, denke ich mir, als mein Sandwichkind mir die Vorteile seiner Position inmitten seiner Geschwister erklärt. Normalerweise führe ich nämlich ganz andere Gespräche, wenn es um die Vor- und Nachteile geht, die dieses Kind, das gleichzeitig kleine und große Schwester ist, mit ins Leben nimmt.

Sandwichkindern haftet die Vorstellung an, dass sie von ihren Eltern oft übersehen oder vernachlässigt werden. Die Aufmerksamkeit der Eltern, so die These, wird eher vom ältesten und vom jüngsten Kind beansprucht. „Die Arme“, habe ich schon das eine oder andere Mal in Bezug auf unser mittleres Kind gehört. Doch wie arm sind Sandwichkinder wirklich? Und wie führungsstark und extrovertiert die Großen? Eine rebellische, unternehmungslustige Kleine hätte ich hier bei uns im Haushalt definitiv im Angebot – die Frage ist nur, ob das Zufall ist oder tatsächlich der Geburtenreihenfolge geschuldet.

Die fürsorgliche große Schwester

Um diese Frage zu beantworten, lohnt sich ein Blick in die Geschwisterforschung. Lange Zeit galten dort bestimmte Charaktereigenschaften, die sich durch die Position innerhalb der Familie ergeben, als erwiesen. Verschiedene Studien haben bestimmte Typen identifiziert. So scheinen die kleinen Brüder in einer reinen Jungs-Familie besonders wettbewerbsfreudig und ehrgeizig zu sein und eigentlich immer darauf aus, andere zu übertrumpfen. Große Schwestern hingegen gelten als besonders mütterlich und fürsorglich. Kleine Schwestern, besonders, wenn sie mit großen Brüdern aufwuchsen, sollen besonders weiblich sein und bei Männern zeitlebens einen Beschützerinstinkt wecken.

Du ahnst es: Solche Typen mögen zwar einst in Studien aufgefallen sein, doch sie eignen sich nicht besonders gut als Aussage über die Auswirkung der Konstellation der Geschwister. Vielmehr sind sie Kinder ihrer Zeit gewesen – denn viele dieser Erkenntnisse sind bereits 30 oder 40 Jahre alt, einige sogar noch älter. Erziehung fand in unserer eigenen Kindheit und besonders in der der Generation davor noch stark entlang von Geschlechtergrenzen statt. So war es zum Beispiel sehr wahrscheinlich, dass eine große Schwester von der Mutter auch Aufgaben im Bereich der Betreuung und Versorgung jüngerer Geschwister zugeteilt bekommen hat und sich so auch für diesen Bereich mitverantwortlich fühlte. Daraus ist eine prägende Erfahrung für das weitere Leben entstanden.

Die Erziehung von Jungs hingegen erfolgte wettbewerbsorientiert. Schon früh wurden sie dazu ermutigt, miteinander ihre Kräfte zu messen und sich bei Sport und Spiel zu übertrumpfen. Kleinere Brüder mussten sich hier doppelt und dreifach anstrengen. Meistens gelang es ihnen nicht, mit den Großen mitzuhalten. Es trotzdem immer wieder zu versuchen, kann für sie ein starker Antrieb gewesen sein – und darin gemündet haben, dass sie Zeit ihres Lebens mithalten oder besser sein wollten.

Der entscheidende Faktor

Heute haben wir eine größere Achtsamkeit entwickelt, was Rollenzuschreibungen und Aufgabenverteilungen innerhalb der Familie angeht. Jungs haben immer häufiger Väter als Vorbilder, die sich ebenfalls in der Kindererziehung und der Hausarbeit einbringen. Und Mädchen werden zu Hause genauso ermutigt, Leistung zu erbringen und sich etwas zuzutrauen, wie ihre Brüder dies seit jeher wurden. Doch bedeutet das, dass es im Kontext von moderner Erziehung egal ist, in welcher Reihenfolge wir geboren werden?

Nicht ganz. Denn zum einen mögen wir heute viele Klischees hinterfragt haben und uns in unserer Erziehung nicht mehr so sehr von traditionellen Rollenverständnissen leiten lassen – frei davon sind wir aber noch lange nicht. Auch heute noch müssen Töchter weit häufiger im Haushalt helfen oder die Betreuung der kleinen Geschwister übernehmen als Söhne. Bei Jungen werden Leistungs- und Wettbewerbsgedanken noch immer stärker gefördert, während wir Mädchen noch immer unbewusst beibringen, lieber bescheiden und zurückhaltend zu sein. Wir können aber festhalten, dass das Erziehungsverhalten von uns Eltern der entscheidende Faktor ist, wenn es darum geht, wie sich unsere Kinder entwickeln.

Geschwister – die längste Beziehung

Neben den eher geschlechtsspezifischen Eigenschaften, die durch Erziehung und den Platz in der Geschwisterkonstellation geprägt werden, gibt es ja auch noch die allgemeineren Vorstellungen davon, wie Kinder aufgrund ihrer Geburtsreihenfolge sein können. Was ist denn nun dran an den führungsstarken Ältesten, den teamfähigen Sandwichkindern und den rebellischen Kleinen?

Selbstverständlich hängt unsere Entwicklung auch davon ab, wie wir aufwachsen und welchen Platz wir in unserer Familie und unter unseren Geschwistern einnehmen. Die Geschwisterbeziehungen sind in der Regel die längsten und intensivsten Beziehungserfahrungen, die wir machen. Anders als die Beziehung zu unseren Eltern, die von einem starken Machtgefälle geprägt ist, sind Geschwisterbeziehungen mehr auf Augenhöhe. Unterschiede, die vor allem in den frühen Jahren bestehen, gleichen sich mit zunehmendem Alter mehr und mehr an. Und Hierarchien werden im Lauf des Lebens mehrfach neu verhandelt.

Ältere Kinder übernehmen in der Interaktion mit ihren jüngeren Geschwistern oft automatisch die Führung. Sie erklären Spiele, leiten ihre kleinen Brüder und Schwestern in sozialen Situationen an und sind Vorbilder. Die Jüngeren sind in diesem Konstrukt immer bestrebt, mit den Großen mitzuhalten, hinterherzukommen, dabei zu sein. Sie versuchen, das Gefälle, das es oft zwischen ihnen gibt, weil die Großen nun einmal mehr können und mehr dürfen, wettzumachen, indem sie sich besonders anstrengen. Manchmal machen sie Entwicklungsschritte dadurch deutlich früher, als es bei ihren großen Geschwistern der Fall war. Natürlich prägt auch all das die Persönlichkeit.

Die mittleren Kinder sind – wie meine Tochter es so schön beschrieben hat – die, die immer mit jemandem eng verbunden sind. Je nachdem, in welcher Entwicklungsphase sie sich gerade befinden, fühlen sie sich mal mehr den Älteren und dann wieder den Jüngeren zugehörig. Sie können auch als Bindeglied zwischen den Großen und Kleinen dienen, weil sie sich aufgrund ihrer Position in beide hineinversetzen können. Die ihnen zugeschriebenen positiven Eigenschaften Teamfähigkeit, Verhandlungsgeschick, Kompromissbereitschaft konnten gut erlernt werden.

Nicht in Schubladen stecken

Nur: Pauschalisieren kann man all dies nicht. Geschwisterkonstellationen haben einen Einfluss darauf, wie wir uns entwickeln, aber dieser ist weit weniger von der Geburtsreihenfolge abhängig, als lange Zeit angenommen. Vielmehr kommt es darauf an, was für Persönlichkeiten in unserer Familie miteinander leben und wie wir als Eltern mit unseren Kindern umgehen. Welche Rolle jemand in einer Familie einnimmt, ist von vielen verschiedenen inneren und äußeren Faktoren abhängig. Auch kann sich die Rolle der jeweiligen Kinder im Lauf des Lebens verändern. Wir sind nicht auf einen bestimmten Platz im Familiensystem festgeschrieben.

Als Eltern können wir einen großen Teil dazu beitragen, dass unsere Kinder nicht in Schubladen geraten, die vermeintlich an ihrem Platz in der Geschwisterreihenfolge hängen. Beispielsweise können wir Rollenklischees, die wir mit uns herumtragen, reflektieren und bewusst aufbrechen. Auch diese Fragen können wir uns stellen: Sehen wir unsere Kinder so, wie sie sind, und gehen wir entsprechend auf sie ein? Wie werden bei uns zu Hause Probleme besprochen, wie darf Streit ausgetragen werden, wo werden wir selbst als Vermittler zwischen unseren Kindern tätig? Schlagen wir uns unbewusst oft auf die Seite eines bestimmten Kindes? Haben wir Erwartungen an eines unserer Kinder, die wir an die anderen nicht haben? Fördern wir Konkurrenz zwischen den Geschwistern oder Kooperation?

Wichtig ist, dass wir im Hinterkopf behalten, dass wir es mit kleinen Menschen zu tun haben, die jenseits ihres Alters und der Frage, als wievielter sie in unsere Familie gekommen sind, gesehen und wertgeschätzt werden wollen. Mit kleinen Menschen, die in unserer Familie Übungsfelder brauchen, in denen sie ihre Fähigkeiten und Talente entfalten dürfen und auf denen ihre ganz eigene Persönlichkeit einen sicheren Platz hat.

Daniela Albert ist Erziehungswissenschaftlerin und Eltern- und Familienberaterin (familienberatung-albert.de). Sie lebt mit ihrem Mann und ihren drei Kindern in Kaufungen bei Kassel und bloggt unter eltern-familie.de

Geschwister – Warum die Konstellation nicht unser Schicksal ist

Wie stark prägt die Konstellation der Geschwister die Persönlichkeit von Kindern? Familienberaterin Daniela Albert räumt mit einigen Missverständnissen auf.

„Mama, ich habe es eigentlich am besten! Ich hatte immer irgendwen zum Spielen. Ich bin voll froh, das mittlere Kind zu sein!“ Na also, geht doch, denke ich mir, als mein Sandwichkind mir die Vorteile seiner Position inmitten seiner Geschwister erklärt. Normalerweise führe ich nämlich ganz andere Gespräche, wenn es um die Vor- und Nachteile geht, die dieses Kind, das gleichzeitig kleine und große Schwester ist, mit ins Leben nimmt.

Sandwichkindern haftet die Vorstellung an, dass sie von ihren Eltern oft übersehen oder vernachlässigt werden. Die Aufmerksamkeit der Eltern, so die These, wird eher vom ältesten und vom jüngsten Kind beansprucht. „Die Arme“, habe ich schon das eine oder andere Mal in Bezug auf unser mittleres Kind gehört. Doch wie arm sind Sandwichkinder wirklich? Und wie führungsstark und extrovertiert die Großen? Eine rebellische, unternehmungslustige Kleine hätte ich hier bei uns im Haushalt definitiv im Angebot – die Frage ist nur, ob das Zufall ist oder tatsächlich der Geburtenreihenfolge geschuldet.

Die fürsorgliche große Schwester

Um diese Frage zu beantworten, lohnt sich ein Blick in die Geschwisterforschung. Lange Zeit galten dort bestimmte Charaktereigenschaften, die sich durch die Position innerhalb der Familie ergeben, als erwiesen. Verschiedene Studien haben bestimmte Typen identifiziert. So scheinen die kleinen Brüder in einer reinen Jungs-Familie besonders wettbewerbsfreudig und ehrgeizig zu sein und eigentlich immer darauf aus, andere zu übertrumpfen. Große Schwestern hingegen gelten als besonders mütterlich und fürsorglich. Kleine Schwestern, besonders, wenn sie mit großen Brüdern aufwuchsen, sollen besonders weiblich sein und bei Männern zeitlebens einen Beschützerinstinkt wecken.

Du ahnst es: Solche Typen mögen zwar einst in Studien aufgefallen sein, doch sie eignen sich nicht besonders gut als Aussage über die Auswirkung der Konstellation der Geschwister. Vielmehr sind sie Kinder ihrer Zeit gewesen – denn viele dieser Erkenntnisse sind bereits 30 oder 40 Jahre alt, einige sogar noch älter. Erziehung fand in unserer eigenen Kindheit und besonders in der der Generation davor noch stark entlang von Geschlechtergrenzen statt. So war es zum Beispiel sehr wahrscheinlich, dass eine große Schwester von der Mutter auch Aufgaben im Bereich der Betreuung und Versorgung jüngerer Geschwister zugeteilt bekommen hat und sich so auch für diesen Bereich mitverantwortlich fühlte. Daraus ist eine prägende Erfahrung für das weitere Leben entstanden.

Die Erziehung von Jungs hingegen erfolgte wettbewerbsorientiert. Schon früh wurden sie dazu ermutigt, miteinander ihre Kräfte zu messen und sich bei Sport und Spiel zu übertrumpfen. Kleinere Brüder mussten sich hier doppelt und dreifach anstrengen. Meistens gelang es ihnen nicht, mit den Großen mitzuhalten. Es trotzdem immer wieder zu versuchen, kann für sie ein starker Antrieb gewesen sein – und darin gemündet haben, dass sie Zeit ihres Lebens mithalten oder besser sein wollten.

Der entscheidende Faktor

Heute haben wir eine größere Achtsamkeit entwickelt, was Rollenzuschreibungen und Aufgabenverteilungen innerhalb der Familie angeht. Jungs haben immer häufiger Väter als Vorbilder, die sich ebenfalls in der Kindererziehung und der Hausarbeit einbringen. Und Mädchen werden zu Hause genauso ermutigt, Leistung zu erbringen und sich etwas zuzutrauen, wie ihre Brüder dies seit jeher wurden. Doch bedeutet das, dass es im Kontext von moderner Erziehung egal ist, in welcher Reihenfolge wir geboren werden?

Nicht ganz. Denn zum einen mögen wir heute viele Klischees hinterfragt haben und uns in unserer Erziehung nicht mehr so sehr von traditionellen Rollenverständnissen leiten lassen – frei davon sind wir aber noch lange nicht. Auch heute noch müssen Töchter weit häufiger im Haushalt helfen oder die Betreuung der kleinen Geschwister übernehmen als Söhne. Bei Jungen werden Leistungs- und Wettbewerbsgedanken noch immer stärker gefördert, während wir Mädchen noch immer unbewusst beibringen, lieber bescheiden und zurückhaltend zu sein. Wir können aber festhalten, dass das Erziehungsverhalten von uns Eltern der entscheidende Faktor ist, wenn es darum geht, wie sich unsere Kinder entwickeln.

Geschwister – die längste Beziehung

Neben den eher geschlechtsspezifischen Eigenschaften, die durch Erziehung und den Platz in der Geschwisterkonstellation geprägt werden, gibt es ja auch noch die allgemeineren Vorstellungen davon, wie Kinder aufgrund ihrer Geburtsreihenfolge sein können. Was ist denn nun dran an den führungsstarken Ältesten, den teamfähigen Sandwichkindern und den rebellischen Kleinen?

Selbstverständlich hängt unsere Entwicklung auch davon ab, wie wir aufwachsen und welchen Platz wir in unserer Familie und unter unseren Geschwistern einnehmen. Die Geschwisterbeziehungen sind in der Regel die längsten und intensivsten Beziehungserfahrungen, die wir machen. Anders als die Beziehung zu unseren Eltern, die von einem starken Machtgefälle geprägt ist, sind Geschwisterbeziehungen mehr auf Augenhöhe. Unterschiede, die vor allem in den frühen Jahren bestehen, gleichen sich mit zunehmendem Alter mehr und mehr an. Und Hierarchien werden im Lauf des Lebens mehrfach neu verhandelt.

Reihenfolge der Geschwister

Ältere Kinder übernehmen in der Interaktion mit ihren jüngeren Geschwistern oft automatisch die Führung. Sie erklären Spiele, leiten ihre kleinen Brüder und Schwestern in sozialen Situationen an und sind Vorbilder. Die Jüngeren sind in diesem Konstrukt immer bestrebt, mit den Großen mitzuhalten, hinterherzukommen, dabei zu sein. Sie versuchen, das Gefälle, das es oft zwischen ihnen gibt, weil die Großen nun einmal mehr können und mehr dürfen, wettzumachen, indem sie sich besonders anstrengen. Manchmal machen sie Entwicklungsschritte dadurch deutlich früher, als es bei ihren großen Geschwistern der Fall war. Natürlich prägt auch all das die Persönlichkeit.

Die mittleren Kinder sind – wie meine Tochter es so schön beschrieben hat – die, die immer mit jemandem eng verbunden sind. Je nachdem, in welcher Entwicklungsphase sie sich gerade befinden, fühlen sie sich mal mehr den Älteren und dann wieder den Jüngeren zugehörig. Sie können auch als Bindeglied zwischen den Großen und Kleinen dienen, weil sie sich aufgrund ihrer Position in beide hineinversetzen können. Die ihnen zugeschriebenen positiven Eigenschaften Teamfähigkeit, Verhandlungsgeschick, Kompromissbereitschaft konnten gut erlernt werden.

Nicht in Schubladen stecken

Nur: Pauschalisieren kann man all dies nicht. Geschwisterkonstellationen haben einen Einfluss darauf, wie wir uns entwickeln, aber dieser ist weit weniger von der Geburtsreihenfolge abhängig, als lange Zeit angenommen. Vielmehr kommt es darauf an, was für Persönlichkeiten in unserer Familie miteinander leben und wie wir als Eltern mit unseren Kindern umgehen. Welche Rolle jemand in einer Familie einnimmt, ist von vielen verschiedenen inneren und äußeren Faktoren abhängig. Auch kann sich die Rolle der jeweiligen Kinder im Lauf des Lebens verändern. Wir sind nicht auf einen bestimmten Platz im Familiensystem festgeschrieben.

Als Eltern können wir einen großen Teil dazu beitragen, dass unsere Kinder nicht in Schubladen geraten, die vermeintlich an ihrem Platz in der Geschwisterreihenfolge hängen. Beispielsweise können wir Rollenklischees, die wir mit uns herumtragen, reflektieren und bewusst aufbrechen. Auch diese Fragen können wir uns stellen: Sehen wir unsere Kinder so, wie sie sind, und gehen wir entsprechend auf sie ein? Wie werden bei uns zu Hause Probleme besprochen, wie darf Streit ausgetragen werden, wo werden wir selbst als Vermittler zwischen unseren Kindern tätig? Schlagen wir uns unbewusst oft auf die Seite eines bestimmten Kindes? Haben wir Erwartungen an eines unserer Kinder, die wir an die anderen nicht haben? Fördern wir Konkurrenz zwischen den Geschwistern oder Kooperation?

Wichtig ist, dass wir im Hinterkopf behalten, dass wir es mit kleinen Menschen zu tun haben, die jenseits ihres Alters und der Frage, als wievielter sie in unsere Familie gekommen sind, gesehen und wertgeschätzt werden wollen. Mit kleinen Menschen, die in unserer Familie Übungsfelder brauchen, in denen sie ihre Fähigkeiten und Talente entfalten dürfen und auf denen ihre ganz eigene Persönlichkeit einen sicheren Platz hat.

Daniela Albert ist Erziehungswissenschaftlerin und Eltern- und Familienberaterin (familienberatung-albert.de). Sie lebt mit ihrem Mann und ihren drei Kindern in Kaufungen bei Kassel und bloggt unter eltern-familie.de

Von wegen „Krönchen richten“: Warum manche Probleme Zeit brauchen

Was kommt nach dem Hinfallen? Manche Hindernisse im Leben brauchen etwas Zeit, damit man sie gut bewältigen kann.

Seit einigen Jahren schon pflege ich eine innige WhatsApp-Freundschaft mit einer lieben Freundin und damit das moderne Äquivalent einer herkömmlichen Brieffreundschaft. So viele Nachrichten sind über die Wochen und Jahre hin- und hergeflogen, dass wir einander, unsere Familien und Lebensumstände sehr gut kennenlernen konnten. Wir teilen die fröhlichen und die traurigen Momente des Alltags, die Kuriositäten und die Banalitäten des Lebens. Aber auch unsere Sorgen und unseren Kummer, unsere Erleichterungen und unsere Höhenflüge. Trotz der räumlichen Distanz ist über die Jahre hinweg eine herzliche Nähe entstanden, Vertrautheit und damit Vertrauen gewachsen.

Wenn ich so zurückblicke, dann gab es aber auch jede Menge zu erzählen, zu verarbeiten und zu sortieren: die Coronajahre, die in so vieler Hinsicht eine Grenzerfahrung für unsere Familien waren. Schulsorgen, Kindersorgen, Jobsorgen, kleine und große Herausforderungen, tiefe Trauer und manchen Ärger – der ganz normale Alltagswahnsinn ganz normaler Familien. Es gab und gibt jede Menge zu bewältigen und so gehen, stolpern, fallen wir durch unsere Leben und haben das Glück, einander davon auf die Mailbox quatschen zu können.

Keine Zeit zum Wundenlecken

Noch etwas fällt mir beim Zurückschauen, aber auch beim Umschauen in meiner nächsten Umgebung auf. Ist die eine Hürde genommen, die Herausforderung gewuppt, das Tal durchquert, dann schütteln wir uns kurz und traben zur nächsten. Das Leben, vor allem das Leben mit vielen lässt einem kaum eine Pause für langes Wundenlecken, gründliche Reflexionen und ordentliches Verdauen der Ereignisse. Und wir selbst bestehen auch nicht darauf, wie sollten wir auch? Zum einen traben Alltag und Leben ebenfalls munter weiter, längere Haltestellen sind nicht vorgesehen. Zum anderen ist menschliche Funktionstüchtigkeit ein hoher Wert in unseren Breiten.

Es gibt eine allseits beliebte Postkarte zu diesem Phänomen, zu finden auf jedem Spruchpostkartenständer in Supermärkten und Geschenkelädchen: „Hinfallen, aufstehen, Krone richten, weitergehen“, heißt es dort kunstvoll gelettert und gern mit Krönchen verziert. Diese Spruchweisheit ist meines Erachtens eine hübsch getarnte Variante des althergebrachten „Reiß dich am Riemen! Stell dich nicht so an, weiter geht‘s!“. Die Karte bringt auf den Punkt, was ich von mir erwarte: Ich lasse mich durch nichts unterkriegen, habe alles im Griff. Wenn ich falle, stehe ich einfach wieder auf und mache unbeirrt weiter. Denn ich bin ja nicht aus Zucker, kein Weichei, und wenn etwas dumm gelaufen ist, mache ich einen Haken dran.

Grenzen ignoriert

Diese Philosophie lässt sich auf nahezu alle Lebensbereiche anwenden, ganz gleich, ob simple Alltagsherausforderung oder echter Ausnahmezustand, ob kleine Kränkung oder veritable Grenzerfahrung. Eine Postkarte für alle Anlässe. So ein Motto, auch wenn es auf eine Postkarte passt, verlangt sehr viel von meinem Herzen und Hirn, meinem Körper und meinem Geist. Es verlangt vor allem, die eigenen Bedürfnisse und Grenzen und die Begrenztheit der eigenen Ressourcen zu ignorieren. Du darfst zwar fallen, aber nur, um gleich wieder aufzustehen und den Stolperstein möglichst schnell hinter dir zu lassen. Wir haben alles in der Hand und zwar mit festem Griff. Vielleicht nicht die Ereignisse, aber doch uns selbst.

Das ist ein fataler Irrtum. Eine Postkartenweisheit, die eine Beschaffenheit der menschlichen Seele suggeriert, die der einer Teflonpfanne gleicht und an der alle Herausforderungen abperlen, ohne gravierende Spuren zu hinterlassen. Eine verlockende Illusion hat sie außerdem im Gepäck. Die Idee von Kontrolle, wenn man sich nur genug Mühe gibt. Wir gestatten uns selten bis nie, innezuhalten und zuzugeben: „Das war einfach zu viel. Ich weiß nicht mehr weiter, heute nicht und morgen aller Wahrscheinlichkeit auch nicht. Ich brauche dringend eine Pause, die letzten Wochen waren herausfordernd. Dieser Kummer hat mein Leben für immer verändert. Mit dieser Schuld muss ich leben. Dieses leidige Thema holt mich immer wieder ein.“ Selbst Trauernden wird häufig nur eine begrenzte Zeit zugestanden, bevor sie sich und ihre Emotionen wieder im Griff haben sollen.

Dellen im Krönchen

Meiner bescheidenen Erfahrung nach melden sich aber Altlasten und Gebrochenheiten in schöner Regelmäßigkeit in Form von Stolpersteinen zurück, über die man dann nicht einfach hinweggehen kann. Wer zu lange immer weiter macht, brennt aus. Auf manchen Schmerz gibt es ein lebenslanges Abo, manche Fehler suchen mich immer wieder heim. Nicht alles, was dir widerfährt, wird wieder gut. Du merkst es spätestens dann, wenn der eigene Körper protestiert, weil das Weitermachen nach dem Fallen die einzige Zielrichtung ist und er lieber in die andere Richtung will. Oder liegen bleiben möchte, nur für ein Weilchen. Du fällst, du stehst auf, richtest dein Krönchen und gehst weiter, aber wie? Hinkend und lahmend? Mit zusammengebissenen Zähnen, weil die Teflon-Beschichtung der Seele in Wirklichkeit nicht allzu haltbar ist und sich die Kratzer nur mit viel Mühe ignorieren lassen?

Ich denke allerdings nicht, dass wir nun dringend Postkartenmotive bräuchten mit Lebensweisheiten wie: „Hinfallen, liegen bleiben, noch tiefer einbuddeln und im Jammertal heimisch werden.“ Das wäre kaum eine praktikable Lösung. Und ich wünsche wirklich niemandem ein Leben zusammengekauert in Ausweglosigkeit. Aber zwischen „sich einrichten im Jammertal“ und „beharrlich weitermachen, als wäre nie etwas gewesen“ darf es Rastplätze geben, Seitenstreifen und Ruhebänkchen: eine Weile neben dem Weg sitzen bleiben und die eigenen Glieder und Umstände sortieren. Möglichkeiten finden, um anzuhalten und sich um dringende Bedürfnisse zu kümmern. Auftanken und ausruhen in dem Wissen, dass ich weder die Ereignisse noch mich selbst immer im Griff haben kann und muss. Zeit zum Weinen und Zeit, Frieden zu schließen. Zeit, Atem zu holen und Zeit, still zu werden, weil das Leben zu laut ist.

Hin und wieder vergessen wir im Strudel der Ereignisse, dass wir Menschen sind und nicht Gott. Menschen müssen und können nicht immer funktionieren, weitermachen und unverdrossen weitergehen. Manchmal hat das blöde Krönchen so viele Dellen, dass man es beherzt in die Ecke schmeißen oder gegen einen Regenhut eintauschen darf. Als Menschenkind bin ich wertvoll und geliebt, auch wenn ich ein Weilchen nicht weiterzugehen vermag. Ich darf stolpern, ich darf hinfallen und mich dann getrost an die Seite setzen, um zu klagen, Kraft zu sammeln, Haare zu raufen und Hilfe zu erbitten.

Klagen und Haareraufen

Oft finde ich Trost in der Bibel. Die Psalmen Davids gehören zu meinen liebsten Texten. Sie sind in gewisser Weise sehr viel menschenfreundlicher als unsere Postkartenweisheiten. Vielmehr sind sie ein wahrer Schatz für beanspruchte Menschenherzen, die dringend eine Pause brauchen. Dort findest du eine wortgewaltige Fülle an Gezeter und Gejammer, an Klagen und Haareraufen. Du findest aber auch Rufe nach Hilfe und Vergebung. Lieder der Zuversicht und des Vertrauens auf Gott, der weiß, dass seine Menschenkinder in schöner Regelmäßigkeit fallen, nicht zuletzt über ihre eigenen Füße, der Zuflucht ist und sichere Burg. Die Psalmen besingen nicht, wie man sich am Riemen reißt oder die Zähne zusammenbeißt.

Ich mag sie, weil sie Gott mitten hinein ins allermenschlichste Leben holen, meinen Gott, der mich tröstet und hält, wenn es mich umgehauen hat. Der Psalmist hat offenbar überhaupt keine Hemmungen, sein Straucheln und Fallen Gott entgegenzusingen, seine Bedürftigkeit nach Zuwendung, Trost und Hilfe. Genau das möchte ich mich häufiger trauen. Wenn das Leben mich zu Fall bringt, muss ich nicht sofort weitermachen, als wäre nichts gewesen.

Ganz praktisch darf ich Termine streichen und das Tempo rausnehmen. Ich darf Nein sagen, wenn es mir zu viel wird. Früh zu Bett gehen und spazieren, traurig sein und mir ratlos die Haare raufen, solange es eben dauert. Wenn ich dann so weit bin, wenn die Kraft wiederkehrt, wenn die Tränen getrocknet und die Sorgen sortiert sind, dann kann ich mich auf den Weg machen. Vielleicht sind die ersten Schritte wacklig und unsicher, langsamer und suchender. Aber ich gehe, in meinem Tempo. Die nächste Herausforderung kommt bestimmt. Wo ein Weg, da auch Hürden. Vielleicht brauchen wir eine Postkarte, die uns erinnert: „Hinsetzen, zu Kräften kommen und mit Gott und lieben Freunden quatschen!“

Sandra Geissler ist katholische Diplomtheologin und arbeitet als Lehrerin und Schulseelsorgerin. Sie lebt mit ihrer Familie in Nierstein am Rhein und bloggt unter: 7geisslein.com

Der Mist mit dem Krönchen

Was kommt nach dem Hinfallen? Sandra Geissler über den Umgang mit den Hindernissen des Lebens.

Seit einigen Jahren schon pflege ich eine innige WhatsApp-Freundschaft mit einer lieben Freundin und damit das moderne Äquivalent einer herkömmlichen Brieffreundschaft. So viele Nachrichten sind über die Wochen und Jahre hin- und hergeflogen, dass wir einander, unsere Familien und Lebensumstände sehr gut kennenlernen konnten. Wir teilen die fröhlichen und die traurigen Momente des Alltags, die Kuriositäten und die Banalitäten des Lebens. Aber auch unsere Sorgen und unseren Kummer, unsere Erleichterungen und unsere Höhenflüge. Trotz der räumlichen Distanz ist über die Jahre hinweg eine herzliche Nähe entstanden, Vertrautheit und damit Vertrauen gewachsen.

Wenn ich so zurückblicke, dann gab es aber auch jede Menge zu erzählen, zu verarbeiten und zu sortieren: die Coronajahre, die in so vieler Hinsicht eine Grenzerfahrung für unsere Familien waren. Schulsorgen, Kindersorgen, Jobsorgen, kleine und große Herausforderungen, tiefe Trauer und manchen Ärger – der ganz normale Alltagswahnsinn ganz normaler Familien. Es gab und gibt jede Menge zu bewältigen und so gehen, stolpern, fallen wir durch unsere Leben und haben das Glück, einander davon auf die Mailbox quatschen zu können.

Keine Zeit zum Wundenlecken

Noch etwas fällt mir beim Zurückschauen, aber auch beim Umschauen in meiner nächsten Umgebung auf. Ist die eine Hürde genommen, die Herausforderung gewuppt, das Tal durchquert, dann schütteln wir uns kurz und traben zur nächsten. Das Leben, vor allem das Leben mit vielen lässt einem kaum eine Pause für langes Wundenlecken, gründliche Reflexionen und ordentliches Verdauen der Ereignisse. Und wir selbst bestehen auch nicht darauf, wie sollten wir auch? Zum einen traben Alltag und Leben ebenfalls munter weiter, längere Haltestellen sind nicht vorgesehen. Zum anderen ist menschliche Funktionstüchtigkeit ein hoher Wert in unseren Breiten.

Es gibt eine allseits beliebte Postkarte zu diesem Phänomen, zu finden auf jedem Spruchpostkartenständer in Supermärkten und Geschenkelädchen: „Hinfallen, aufstehen, Krone richten, weitergehen“, heißt es dort kunstvoll gelettert und gern mit Krönchen verziert. Diese Spruchweisheit ist meines Erachtens eine hübsch getarnte Variante des althergebrachten „Reiß dich am Riemen! Stell dich nicht so an, weiter geht‘s!“. Die Karte bringt auf den Punkt, was ich von mir erwarte: Ich lasse mich durch nichts unterkriegen, habe alles im Griff. Wenn ich falle, stehe ich einfach wieder auf und mache unbeirrt weiter. Denn ich bin ja nicht aus Zucker, kein Weichei, und wenn etwas dumm gelaufen ist, mache ich einen Haken dran.

Grenzen ignoriert

Diese Philosophie lässt sich auf nahezu alle Lebensbereiche anwenden, ganz gleich, ob simple Alltagsherausforderung oder echter Ausnahmezustand, ob kleine Kränkung oder veritable Grenzerfahrung. Eine Postkarte für alle Anlässe. So ein Motto, auch wenn es auf eine Postkarte passt, verlangt sehr viel von meinem Herzen und Hirn, meinem Körper und meinem Geist. Es verlangt vor allem, die eigenen Bedürfnisse und Grenzen und die Begrenztheit der eigenen Ressourcen zu ignorieren. Du darfst zwar fallen, aber nur, um gleich wieder aufzustehen und den Stolperstein möglichst schnell hinter dir zu lassen. Wir haben alles in der Hand und zwar mit festem Griff. Vielleicht nicht die Ereignisse, aber doch uns selbst.

Das ist ein fataler Irrtum. Eine Postkartenweisheit, die eine Beschaffenheit der menschlichen Seele suggeriert, die der einer Teflonpfanne gleicht und an der alle Herausforderungen abperlen, ohne gravierende Spuren zu hinterlassen. Eine verlockende Illusion hat sie außerdem im Gepäck. Die Idee von Kontrolle, wenn man sich nur genug Mühe gibt. Wir gestatten uns selten bis nie, innezuhalten und zuzugeben: „Das war einfach zu viel. Ich weiß nicht mehr weiter, heute nicht und morgen aller Wahrscheinlichkeit auch nicht. Ich brauche dringend eine Pause, die letzten Wochen waren herausfordernd. Dieser Kummer hat mein Leben für immer verändert. Mit dieser Schuld muss ich leben. Dieses leidige Thema holt mich immer wieder ein.“ Selbst Trauernden wird häufig nur eine begrenzte Zeit zugestanden, bevor sie sich und ihre Emotionen wieder im Griff haben sollen.

Dellen im Krönchen

Meiner bescheidenen Erfahrung nach melden sich aber Altlasten und Gebrochenheiten in schöner Regelmäßigkeit in Form von Stolpersteinen zurück, über die man dann nicht einfach hinweggehen kann. Wer zu lange immer weiter macht, brennt aus. Auf manchen Schmerz gibt es ein lebenslanges Abo, manche Fehler suchen mich immer wieder heim. Nicht alles, was dir widerfährt, wird wieder gut. Du merkst es spätestens dann, wenn der eigene Körper protestiert, weil das Weitermachen nach dem Fallen die einzige Zielrichtung ist und er lieber in die andere Richtung will. Oder liegen bleiben möchte, nur für ein Weilchen. Du fällst, du stehst auf, richtest dein Krönchen und gehst weiter, aber wie? Hinkend und lahmend? Mit zusammengebissenen Zähnen, weil die Teflon-Beschichtung der Seele in Wirklichkeit nicht allzu haltbar ist und sich die Kratzer nur mit viel Mühe ignorieren lassen?

Ich denke allerdings nicht, dass wir nun dringend Postkartenmotive bräuchten mit Lebensweisheiten wie: „Hinfallen, liegen bleiben, noch tiefer einbuddeln und im Jammertal heimisch werden.“ Das wäre kaum eine praktikable Lösung. Und ich wünsche wirklich niemandem ein Leben zusammengekauert in Ausweglosigkeit. Aber zwischen „sich einrichten im Jammertal“ und „beharrlich weitermachen, als wäre nie etwas gewesen“ darf es Rastplätze geben, Seitenstreifen und Ruhebänkchen: eine Weile neben dem Weg sitzen bleiben und die eigenen Glieder und Umstände sortieren. Möglichkeiten finden, um anzuhalten und sich um dringende Bedürfnisse zu kümmern. Auftanken und ausruhen in dem Wissen, dass ich weder die Ereignisse noch mich selbst immer im Griff haben kann und muss. Zeit zum Weinen und Zeit, Frieden zu schließen. Zeit, Atem zu holen und Zeit, still zu werden, weil das Leben zu laut ist.

Hin und wieder vergessen wir im Strudel der Ereignisse, dass wir Menschen sind und nicht Gott. Menschen müssen und können nicht immer funktionieren, weitermachen und unverdrossen weitergehen. Manchmal hat das blöde Krönchen so viele Dellen, dass man es beherzt in die Ecke schmeißen oder gegen einen Regenhut eintauschen darf. Als Menschenkind bin ich wertvoll und geliebt, auch wenn ich ein Weilchen nicht weiterzugehen vermag. Ich darf stolpern, ich darf hinfallen und mich dann getrost an die Seite setzen, um zu klagen, Kraft zu sammeln, Haare zu raufen und Hilfe zu erbitten.

Klagen und Haareraufen

Die Psalmen Davids gehören zu meinen liebsten Texten. Sie sind in gewisser Weise sehr viel menschenfreundlicher als unsere Postkartenweisheiten. Vielmehr sind sie ein wahrer Schatz für beanspruchte Menschenherzen, die dringend eine Pause brauchen. Dort findest du eine wortgewaltige Fülle an Gezeter und Gejammer, an Klagen und Haareraufen. Du findest aber auch Rufe nach Hilfe und Vergebung. Lieder der Zuversicht und des Vertrauens auf Gott, der weiß, dass seine Menschenkinder in schöner Regelmäßigkeit fallen, nicht zuletzt über ihre eigenen Füße, der Zuflucht ist und sichere Burg. Die Psalmen besingen nicht, wie man sich am Riemen reißt oder die Zähne zusammenbeißt.

Ich mag sie, weil sie Gott mitten hinein ins allermenschlichste Leben holen, meinen Gott, der mich tröstet und hält, wenn es mich umgehauen hat. Der Psalmist hat offenbar überhaupt keine Hemmungen, sein Straucheln und Fallen Gott entgegenzusingen, seine Bedürftigkeit nach Zuwendung, Trost und Hilfe. Genau das möchte ich mich häufiger trauen. Wenn das Leben mich zu Fall bringt, muss ich nicht sofort weitermachen, als wäre nichts gewesen.

Ganz praktisch darf ich Termine streichen und das Tempo rausnehmen. Ich darf Nein sagen, wenn es mir zu viel wird. Früh zu Bett gehen und spazieren, traurig sein und mir ratlos die Haare raufen, solange es eben dauert. Wenn ich dann so weit bin, wenn die Kraft wiederkehrt, wenn die Tränen getrocknet und die Sorgen sortiert sind, dann kann ich mich auf den Weg machen. Vielleicht sind die ersten Schritte wacklig und unsicher, langsamer und suchender. Aber ich gehe, in meinem Tempo. Die nächste Herausforderung kommt bestimmt. Wo ein Weg, da auch Hürden. Vielleicht brauchen wir eine Postkarte, die uns erinnert: „Hinsetzen, zu Kräften kommen und mit Gott und lieben Freunden quatschen!“

Sandra Geissler ist katholische Diplomtheologin und arbeitet als Lehrerin und Schulseelsorgerin. Sie lebt mit ihrer Familie in Nierstein am Rhein und bloggt unter: 7geisslein.com

Silvester mit Teenagern? So gelingt die Party

Jedes Jahr die gleiche Frage: Wie feiern wir Silvester? Eltern möchten gerne mit den Kindern feiern, aber viele Teenager finden die Party mit den Eltern öde. Wie ein Familienfest gelingen kann verrät Pädagogin Stefanie Böhmann.

Eins steht für unsere Kinder fest, die mittlerweile Teenager oder junge Erwachsene sind: Um 24 Uhr an Silvester wollen sie das neue Jahr nicht mit einem musikalischen Feuerwerk oder langen Ausführungen über das letzte Jahr oder nicht erreichbaren Vorsätzen für das neue Jahr begrüßen, sondern mit handfesten Umarmungen und einem Glas Sekt in der Hand. Alles andere wird boykottiert.

Teebeutelrakete

Die Knallerei muss nicht mehr sein. Denn unsere jungen Erwachsenen sind zunehmend am Erhalt der Welt interessiert und sehen in den Knallern doch zu viel Umweltverschmutzung. Was natürlich nicht gegen ein nachbarliches Schnorren von ein paar Knallern um 24 Uhr spricht, um doch noch den pyromanen väterlichen Genen etwas nachzukommen. Alternativ kann man einen Teebeutelraketen-Wettbewerb durchführen. Dazu muss sich jeder eine Teebeutelrakete bauen. Alle zählen den Countdown runter. Jeder zündet die eigene Rakete an und hofft, mit der eigenen Teebeutelrakete am höchsten zu kommen (Anleitung: kurzelinks.de/9c8c).

Fondue gehört bei uns zu Silvester wie, man könnte schon sagen: das Amen in der Kirche. Es braucht doch seine Zeit, bis man satt geworden ist. Und diese Zeit hat man ja normalerweise an diesem besonderen Abend im Jahr. Unser letzter Silvesterabend hat uns allen sehr gut gefallen: Unsere Kinder meinten einige Wochen vorher, dass sie vermutlich alle außer Haus seien, was uns dazu veranlasst hatte, Freunde einzuladen. Eine Woche vor Silvester stellte sich heraus, dass unsere Kids dann doch lieber mit Freunden zu Hause feiern wollten. An einen Esstisch passten wir somit nicht mehr. Wir stellten im „Kinderzimmer“ eine Bierbank auf, sodass die Jugend erst mal für sich das Fondue gegessen und Musik gehört und getanzt hat.

Das Erstellen eines kurzen Jahresrückblicks mit Highlights aus dem vergangenen Jahr oder einer selbst moderierten Nachrichtensendung mit den wichtigsten Fakten war auch schon alles mal da und hat für Spaß, Anerkennung und Zeitvertreib gesorgt.

Alt gegen jung

Wenn alle Gäste involviert sein sollen, eignet sich das klassische „Activity“-Spiel. Hat man es nicht im Haus, kann man sich mit der „Wortbowl“ gut behelfen, denn dazu braucht man nur etwas zum Schreiben, kleine Zettel und eine Schale. Jeder Teilnehmer schreibt drei Hauptwörter auf jeweils einen kleinen Zettel, der in der Mitte einmal geknickt und dann in die Wortschale gelegt wird (wie zum Beispiel Herbstzeitlose, Pyrotechniker, Christbaumkerzenständer). Man teilt die ganze Gruppe in zwei Gruppen – sehr beliebt: alt gegen jung.

In der ersten Runde muss man wie bei „Tabu“ das Wort erklären, darf aber das Wort selbst oder Wortteile davon nicht benutzen. Jede Gruppe hat eine Minute Zeit zum Erklären, dann wird gewechselt. Mitraten darf immer nur die eigene Gruppe. Die anderen müssen aber aufpassen, denn die Wörter werden, nachdem alle erklärt und erraten und die erreichten Punkte gezählt wurden, wieder in die Bowl gelegt. In der nächsten Runde werden die gleichen Wörter pantomimisch gespielt. In der darauffolgenden Runde darf nur noch ein anderes Wort gesagt werden, um den Begriff zu umschreiben (zum Beispiel für Herbstzeitlose – Pflanze). In der letzten Runde dürfen nur noch Geräusche gemacht werden, was sehr lustig ist (zum Beispiel Pyrotechniker – Peng!). Wir hatten so viel Spaß dabei, dass der Abend förmlich verflogen ist und wir gestaunt haben, wie schnell es Mitternacht war!

Stefanie Böhmann ist Pädagogin und individual-psychologische Beraterin. Sie lebt mit ihrer Familie in Hamburg.

Umweltbewusst reisen? So gelingt der nachhaltige Familienurlaub

Familien planen schon jetzt den wohlverdienten Urlaub für das nächste Jahr. Wie gelingt es, diesen zu genießen und gleichzeitig umweltbewusst und nachhaltig zu reisen?

Langsam neigt sich das Jahr dem Ende zu und erste Gedanken drehen sich um den Urlaub im nächsten Sommer. Nachhaltigkeit kann und sollte ein Aspekt sein, den man in der Urlaubsplanung berücksichtigt, denn Tourismus und Freizeitaktivitäten auf Reisen haben enorme Auswirkungen auf die Luft- und Wasserqualität, die Biodiversität und das Landschaftsbild. Im Urlaub verbrauchen wir meist mehr Ressourcen als zu Hause – sei es Wasser, Energie oder Lebensmittel. Unsere Verantwortung ist es aber, die Erde zu bewahren steht. Und sowohl im Kampf gegen den Klimawandel als auch gegen die Ausbeutung des Globalen Südens spielt Nachhaltigkeit eine große Rolle.

Sanfter Tourismus

Daher wird „nachhaltiges Reisen“ immer beliebter. Gemeint ist damit eine Form des Tourismus, die im besten Fall keine negativen Folgen für die Natur und Bevölkerung am Zielort hat. Wer sanft oder nachhaltig verreist, belastet die Umwelt so wenig wie möglich und versucht, die Kultur im Reiseland nicht (negativ) zu verändern, sondern passt sich an.

Worauf sollten wir also konkret achten, wenn wir als Familie oder als Paar nachhaltig verreisen wollen? Es beginnt schon bei der An- und Abreise. Wie gelangen wir möglichst umweltschonend an unseren Zielort? Muss es wirklich ein weit entferntes Reiseziel sein? Können wir mit der Bahn anreisen? Flüge oder Kreuzfahrten sind bekanntlich problematisch, da diese besonders viele CO2-Emissionen mit sich bringen. Wenn man nur zu zweit unterwegs ist und mit dem Auto fahren möchte, ist es auch eine gute Idee, eine Mitfahrgelegenheit zu nutzen oder anzubieten, zum Beispiel über blablacar.de. Das spart auch Geld.

Nachhaltig reisen

Nachhaltig reisen geht mit sanftem Tourismus einher und bedeutet, sich auch vor Ort verantwortungsvoll zu verhalten: Müll vermeiden, Wasser und Strom sparen, aber auch die Kultur und Traditionen respektieren und die Tier- und Pflanzenwelt nicht zu zerstören.

Wie können wir uns also auch am Urlaubsziel möglichst umweltschonend fortbewegen? Gibt es öffentliche Verkehrsmittel oder Sharing-Modelle, die wir nutzen können? Können wir gar mit dem Fahrrad fahren?

Eine nachhaltige Unterkunft zu finden, ist mittlerweile nicht mehr schwierig. Es gibt immer mehr Hotels oder Ferienbauernhöfe, die mit saisonalen und regionalen (Bio-)Lebensmitteln kochen, Bio-Textilien verwenden, naturnah gebaut sind, Ressourcen aus der Umgebung und Ökostrom nutzen und dies durch Siegel und Zertifikate nachweisen. Beim Urlaub im Ferienhaus können wir unser nachhaltiges Verhalten von zu Hause weiterverfolgen – oder den Urlaub nutzen, um etwas Neues auszuprobieren: Brot selbst backen, möglichst plastikfrei einkaufen…

Und schon das Packen können wir nachhaltig gestalten: Wir sollten nur so viel einpacken, wie wir benötigen. Weniger Gewicht bedeutet weniger Emissionen bei der Fortbewegung. Was ist in der Grundausstattung in unserer Unterkunft enthalten? Was bringen wir von zu Hause mit, um unnötigen Müll zu sparen (Soda-Stream, Bienenwachstücher…)?

Für das Freizeitprogramm können wir nachhaltige Projekte und Aktivitäten einplanen: Ruderboot oder Stand-up-Paddling statt Motorboot, Radtour statt Ausflug mit dem Auto. Und brauchen wir wirklich noch ein zehntes Souvenir? Außerdem können wir mit offenen Augen unsere Wege gehen und Müll einsammeln, wo er nicht hingehört.

Eine gute Wahl treffen

Wie finden wir nun den richtigen Ort für den nächsten Urlaub? Können wir jeder Unterkunft trauen, die behauptet, sie sei nachhaltig? Es gibt unterschiedliche Möglichkeiten, das herauszufinden: Sucht auf der Homepage oder auf Social Media nach Informationen über die Nachhaltigkeit der Unterkunft. Über besonders innovative und nachhaltige Unterkünfte gibt es manchmal auch Reportagen und Berichte im Internet oder in Magazinen. Hilfreich können auch die Bewertungen anderer Gäste sein. Oder ihr fragt direkt bei der Unterkunft nach.

Vielleicht gibt es sogar Projekte und Aktivitäten, an denen sich die Gäste beteiligen können – und an denen im besten Fall auch Kinder oder Jugendliche Spaß haben.

Plattformen für nachhaltige Unterkünfte

Öko-Reiseportale helfen dabei, eine Vorauswahl zu treffen. So findet ihr zum Beispiel auf goodtravel.de Unterkünfte ausgewählt nach Kriterien wie Architektur (naturnahe Bauweise), Umwelt (bewusste Nutzung von Ressourcen) oder Kulinarik (regionale und frische Bioküche) in jeder Preiskategorie.

bookitgreen.com bewertet Unterkünfte nach bestehenden Zertifikaten im Tourismus, den eigenen 15 Nachhaltigkeitskriterien und den Bewertungen der Gäste (neben Sauberkeit und Freundlichkeit auch Nachhaltigkeit). Für jede Buchung pflanzt das Unternehmen einen Baum. fairweg.de wählt Hotels basierend auf ihren zwölf Nachhaltigkeitskriterien aus. Dazu zählen das Angebot an Bio-Lebensmitteln und Bio-Textilien, eine E-Ladestation, Ökostrom und eine Solaranlage. Ihr könnt auch ein Hotel in Verbindung mit einem Flug dorthin buchen. Fliegen zählt nicht zu den umweltschonenden Reisemethoden, daher bietet die Plattform eine CO2-Kompensation der Flüge an.

Unterkünfte auf forumandersreisen.de orientieren sich an Mensch und Umwelt, indem die Ressourcen vor Ort sorgsam und gezielt genutzt und die wirtschaftliche Entwicklung in den Reiseländern unterstützt werden. Der Urlaub soll besonders ethisch und sozial gerecht sein.

renatour.de ist spezialisiert auf naturnahes Reisen und hat vor allem für Familien nachhaltige Angebote. Bei den Unterkünften wird Wert auf eine gesunde, landestypische Küche möglichst in Bio-Qualität gelegt. Hier findet ihr eine europaweite übersichtliche Auswahl an Urlaubsangeboten wie „Single mit Kind“, „Urlaub mit Teenagern“ oder „Urlaub mit Tieren“.

Nachhaltiges Reisen wird immer einfacher. Warum es also nicht einfach mal probieren?

Helena Berger ist Voluntärin bei der Zeitschrift Family.