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Wackelzahnpubertät – Worauf sich Eltern kurz vor der Einschulung einstellen müssen

Kurz vor der Einschulung erleben Kinder eine emotionale Achterbahnfahrt: die Wackelzahnpubertät. Wutanfälle und Kuschelmomente wechseln sich ab. Familienberaterin Daniela Albert erklärt, warum die Kinder so „schwierig“ sind und worauf es für die Eltern ankommt.

Ich nenne die Wackelzahnpubertät immer mit einem Augenzwinkern meinen persönlichen Endgegner, denn keine Entwicklungsphase hat mich als Mutter so gefordert wie die Zeit rund um den Schuleintritt, wenn die Kinder kognitiv riesige Sprünge machen und sich körperlich vom Kleinkind zum Großkind entwickeln. Man merkt sehr schnell: Arme und Beine werden länger und das ganze Kind scheint plötzlich überall „drüberzuhängen“, wenn man es, wie früher, zum Trösten oder Kuscheln auf den Schoß nehmen will.

Wechselspiel zwischen Nähe und Ablösung

Apropos Trösten und Kuscheln: Vielleicht ist es damit gerade auch gar nicht so einfach? Während es noch vor Kurzem normal war, dass das Kind in emotionalen Nöten zu den Eltern kam und körperliche Nähe suchte, kann es sein, dass es jetzt erst mal ein bisschen Abstand braucht, wenn die Gefühle überkochen. Die Wackelzahnphase ist ein ständiges Wechselspiel zwischen Nähe und Ablösung.

Kinder durchlaufen in dieser Zeit einen wichtigen Autonomieprozess. Schon länger sind neben den Eltern andere Menschen in ihrem Leben wichtig geworden: Betreuungspersonen, Gleichaltrige und auch mediale Idole dienen nun ebenfalls als Orientierungspunkte und prägen das kindliche Universum mit. Der Wunsch nach mehr Selbstständigkeit und eigenen Wegen wird größer.

Ganz und gar angenommen

Gleichzeitig sind Kinder in dieser Phase noch klein und bedürftig. So kann es sein, dass sie nachmittags selbstbewusst mit anderen Kindern um die Häuser ziehen und nicht nach uns fragen und nachts in unser Bett gekrochen kommen. Die meisten Kinder suchen ihren Wutanfällen selbst wieder die Nähe zu den Eltern und möchte eigentlich nur wissen und spüren, dass sie dort geborgen und geliebt ist. Diese innerliche Ablösung kann nur gut funktionieren, wenn unsere Kinder sich bei uns ganz und gar angenommen fühlen und immer einen Ort haben, an dem sie sich sicher wissen.

Wenn ein Kind also in emotionalen Nöten ist, machen Sie als Eltern sich bewusst, dass sich bei ihrem Kind gerade viel verändert. Schauen Sie, wann es Nähe braucht und sich mit Ihnen zusammen wieder beruhigen möchte und wann es gut ist, es erst einmal bei sich und den eigenen Gefühlen zu lassen. Besprechen Sie solche Situationen hinterher mit ihrem Kind, nicht, um es für ihren Wutanfall zu tadeln, sondern um zu verstehen, was da eigentlich in dem Kind vorgegangen ist und um  zu helfen, sich selbst besser zu begreifen.

Die Wackelzahnpubertät ist übrigens nicht nur mein persönlicher Endgegner, sondern auch meine Lieblingsphase in der kindlichen Entwicklung, denn nie wieder darf man so nah dabei sein, wenn sich eine junge Persönlichkeit entwickelt und entfaltet.

Daniela Albert ist Autorin, Eltern- und Familienberaterin, lebt mit ihrer Familie in Kaufungen und bloggt unter: eltern-familie.de

Paartherapeut: Eine Fähigkeit verbessert den Sex. Aber sie ist schwer zu erlernen

Um die Erotik auch bei langjährigen Beziehungen aufrechtzuerhalten, braucht es laut Jörg Berger nicht viel. Aber Paare müssen dafür etwas wagen.

„Hat seine Wirkung nicht verfehlt“, schreibt Heinz-Dieter in der Bewertung in der Shop Apotheke. Früher waren es Tollkirsche, Muskat oder auch die Tomate als „Liebesapfel“, heute heißen sie Libido Lady oder libiLoges (Heinz-Dieters Wahl). Mittel, die unser Begehren steigern oder uns sogar begehrenswerter machen – das klingt fast zu schön, um wahr zu sein. Gleichzeitig gibt es kaum ein Paar, das sich nicht einmal Gedanken um die Erotik in seiner Beziehung macht. Ist die Anziehung zwischen uns noch so, wie wir es uns wünschen? Ist es normal, wenn die Intensität unserer sexuellen Begegnungen nachlässt?

Tatsächlich gibt es das: Ein Liebesmittel, das unser Begehren weckt und uns begehrenswerter macht. Es wirkt biochemisch. Trotzdem können wir es in keiner Apotheke kaufen. Es ist teuer. Doch wir bezahlen nicht mit Geld, sondern mit Mut. Das Liebesmittel ist die seelische Nähe, die ein Paar wagt, ein Lebendigsein in der Gegenwart des anderen. Sie entsteht durch Offenheit. Denn allein die räumliche Nähe schafft noch keine seelische Nähe. Zwei Gefangene können sich die Zelle teilen, ohne sich nahezukommen, zwei Kranke das Zwei-Bett-Zimmer oder auch ein pensioniertes Paar den ganzen Alltag. Seelische Nähe erfordert den Mut zur Offenheit und den Mut, den Partner so willkommen zu heißen, wie er wirklich denkt, fühlt und handelt. Aber tun wir das nicht ganz selbstverständlich? Und falls nicht, warum nicht?

Was ist psychische Nähe?

Wie lange können Sie Ihrem Partner in die Augen schauen, ohne dass es peinlich wird? Wie lange können Sie den Körper des anderen einfach betrachten oder aufmerksam berühren? Und wann wird das irgendwie unangenehm? Wie offen teilen Sie Ihre Gedanken, Gefühle, Bedürfnisse und Gelüste mit? Wie lange fühlen sich beide sicher, wenn Tränen fließen?

Jedes Paar reguliert seelische Nähe. Es wagt Nähe und löst sie wieder auf: ansehen und wegsehen, die Intimität eines Schweigens zulassen und durch Humor wieder vertreiben, tiefe Gefühle offenbaren und dann sagen, dass sie kein Drama sind, einem Herzensleid Raum geben und dann nach einer Lösung suchen.

Das Mittelmaß ist wichtig

Offenbar haben wir ein Gefühl dafür, wie viel Nähe gut ist. Wir sorgen dafür, dass sie nicht zu viel und nicht zu wenig wird. Wir wollen uns dem anderen nicht auf eine Weise zumuten, die vielleicht unangenehm oder bedrohlich wird. Jeder hat als Kind auch die Erfahrung gemacht, einem Elternteil mit den eigenen Bedürfnissen und Verhaltensweisen zu viel zu sein. Das hat uns geprägt. Außerdem kann Nähe bei einem selbst zwiespältige Gefühle auslösen, zum Beispiel Unsicherheit oder Verpflichtung. Wenn wir eine entspannte Zeit haben wollen, regulieren wir seelische Nähe am besten auf ein gutes Mittelmaß. Aber wir können auch mehr seelische Nähe zulassen. Das setzt stärkere Gefühle frei. Wir werden lebendiger und drücken uns tiefer aus. Das kommt auch dem Sex zugute.

Mehr seelische Nähe zulassen bedeutet allerdings auch: mehr Scham, mehr Unsicherheit und mehr Schuldgefühle erleben. Billiger bekommen wir seelische Nähe nicht. Wir können diese Gefühle aber zulassen und annehmen. Sie sind menschlich. Mit der Zeit werden wir uns immer sicherer dabei fühlen. Außerdem können wir den anderen liebevoll unterstützen, wenn sie/er sich schämt, unsicher oder schuldig fühlt. Wie das aussieht und was das ermöglicht, kann ich an einem Beispiel aus der Sexualtherapie zeigen. Ich habe es verfremdet und andere Namen gewählt.

Ein Beispiel: Von wenig Lust auf Sex zu mehr Sex

Marit lernt für Prüfungen. Sie ist gestresst und das wird noch ein paar Monate dauern. Auf Sex lässt sie sich nur ein, wenn sie sich entspannt fühlt, und das kommt gerade selten vor. Gleichzeitig fühlt sie sich schuldig, weil sie so wenig auf Svens Bedürfnisse eingeht und diejenige ist, die bestimmt, was geht und was nicht. Sven ist ausgehungert und fast immer offen für Sex. Er versucht aber, kein Begehren aufkommen zu lassen. Denn er will den sexuellen Frust nicht spüren. Außerdem will er Marit nicht bedrängen. Was würden Sie den beiden raten?

Marit und Sven haben ihre Toleranz für seelische Nähe gesteigert. Denn Marit lässt sich nun auch auf Zärtlichkeiten ein, wenn sie gestresst ist. Das entspannt sie und sie öffnet sich für Svens Nähe, wenn sie unausgeglichen ist. Der Preis ist: Marit mutet sich Seiten zu, die sie selbst an sich nicht mag, ihre schlechte Laune und Gereiztheit zum Beispiel. Sie muss außerdem manchmal dazu stehen, dass Zärtlichkeiten nicht zum Sex führen. Mehr geht dann einfach nicht. Nun schämt sie sich und fühlt sich auch schuldig: Sie hat Sven Lust gemacht und muss sich zurückziehen.

Sven kann seinen Frust und seine Ungeduld dann nicht immer verbergen. Aber für all das gibt es nun eine Erlaubnis. Es darf so sein. Sven hilft Marit sogar, sich nicht schuldig zu fühlen, Marit bejaht Svens Frust und nimmt ihn nicht persönlich. Die beiden haben nun häufiger Sex als vorher. Denn Marit nutzt auch die Vielleicht-kommt-die-Lust-ja-Situationen, nicht nur die sicheren, entspannten Abende. Doch noch wertvoller ist die gewachsene seelische Intimität. Beide bringen tiefere Gefühle in die sexuelle Begegnung ein. Sie sind spontaner und zeigen mehr von sich. Sie folgen zwar immer noch einem vertrauten Ablauf, aber durch das, was sie von sich zeigen, erleben sie es immer anders.

Zu Lust und Unlust stehen

Hier sehen wir, wie seelische Nähe – wenn wir sie wagen – den Sex belebt. Je mehr wir in der sexuellen Begegnung von uns zu zeigen wagen, desto spannender wird sie. Auch wenn es manchmal Mut kostet, zur eigenen Lust und Unlust zu stehen, spontane Gedanken und Gefühle zu zeigen oder einer Neugier zu folgen, ohne vorher zu wissen, wie das für den anderen ist. Mut kostet es, weil wir beim anderen auch einmal einen Schreck auslösen, eine Abwehr oder ein Unbehagen. Aber genau das macht seelische Nähe aus, dass beide mit allem sein dürfen, was sie denken, empfinden und brauchen, und so reagieren dürfen, wie sie eben reagieren. Dabei setze ich voraus, dass dies einigermaßen taktvoll geschieht und keiner mit harter Kritik oder langem Rückzug belastet wird. Man könnte zwar auch bei Kritik oder Rückzug behaupten: „Ich bin authentisch und drücke so meine Gefühle aus.“ Aber das stimmt ja nicht, denn die wahren Gefühle bleiben hinter der Kritik oder dem Rückzug verborgen.

Wer seelische Nähe wagt, fördert auch die erotische Polarität. Idealerweise baut sich im Alltag eine erotische Spannung auf, die sich im Sex entlädt. Spannung entsteht zwischen Polen. Romane und Filme spielen mit der Polarität: die Karrierefrau und der Chaot, der Snob und die Frau aus einfachen Verhältnissen, der Vernunftmensch und die verhängnisvoll leidenschaftliche Femme fatale. Auch unsere Liebesbeziehungen spielen sich zwischen solchen Polen ab.

Gegensätze ziehen sich an

Bei größeren Projekten – einem großen Ausmisten oder einem Umzug zum Beispiel – packt mich Furor, eine aggressive Entschlossenheit. Sie erleichtert Entscheidungen. Sie hilft, unsere Pläne auch gegen Widerstände zu behaupten. Meine Frau kann mit meiner Aggression besser umgehen, seit ich sie mit Worten ankündige oder zu ihr stehe, wenn sie sich nicht verbergen lässt. Denn dann ist klar, dass meine Frau ihren Pol ruhig auch ausleben darf. Sie hält meiner Geradlinigkeit dann Feingefühl entgegen, das auch mal wartet oder einen Umweg geht. Auch wenn das Konfliktpotenzial birgt, ergänzen wir uns. Gleichzeitig beleben solche Situationen unsere Beziehung auch in erotischer Hinsicht. Es wird eine Polarität spürbar, die vielleicht schon zu Beginn unserer Liebe Anziehungskräfte ausgeübt hat.

Andere Pole sind: stille Tiefgründigkeit und spritzige Geselligkeit, Sparsamkeit und Großzügigkeit, Gewohnheit und Veränderung, Berührbarkeit und Robustheit, Disziplin und Freiheit, Selbsthingabe und Durchsetzung. Die seelische Nähe nimmt zu, je mehr sich die Gedanken, Gefühle und Bedürfnisse beider Pole zeigen dürfen und in der Beziehung Raum finden. Auch wenn wir Spannungen nicht unbedingt in unserer Beziehung brauchen, hält uns die Spannung lebendig. Manchmal würden wir den anderen lieber auf unseren Pol ziehen. Das Miteinander wäre dann einfacher. Aber statt echter Nähe hätten wir dann nur ein Arrangement, bei dem sich beide beschneiden und vieles für sich behalten. Warum sollten wir jemanden begehren, der uns immer ähnlicher wird? Warum verschmelzen mit einem Menschen, der sein Geheimnis verloren (nein! – nur vor uns verborgen) hat und uns kaum mehr schenken kann als das, was wir von uns selbst kennen?

Sex auf Platz zwei

Die Psychologie der seelischen Nähe ist mir in einer Hinsicht sympathisch. Sie verweist den Sex auf den zweiten Platz. Dort gehört er hin. Manchmal ist er ein Zeichen, wie es um die Liebe steht. Unsere Sehnsucht nach erfüllendem Sex verweist uns auf etwas Wichtigeres. Michael Lukas Moeller, Professor für Medizinische Psychologie und Paartherapeut, beschrieb das so: „Seit Menschengedenken sind alle Kulturen erpicht auf Liebesmittel, Aphrodisiaka. Mit den Beziehungen der Paare – kann man daraus schließen – stand es schon immer nicht zum Besten. Denn was ist das wirksamste Aphrodisiakum? Jeder weiß es, keiner wagt es, die Einsicht auszusprechen: das lebendige Paar.” (aus: Die Wahrheit beginnt zu zweit, S. 113)

Jörg Berger ist Psychotherapeut und Paartherapeut in Heidelberg. Neben Ratgebern veröffentlicht er Online-Kurse, die Paaren helfen (epaartherapie.de; derherzenskompass.de/schwereliebe).

„Wir sind eins!“ – Warum Paaren bei diesem Satz die Alarmglocken schrillen sollten

Es gibt nichts Schöneres, als wenn zwei Menschen ganz in ihrer Liebe zueinander aufgehen? Doch, das gibt es, denn symbiotische Beziehungen sind nicht der Idealzustand.

„Musst du heute wirklich zum Sport? Lass uns doch lieber einen gemütlichen Abend zusammen auf dem Sofa verbringen.“ Den Satz hört Laura nicht zum ersten Mal von Marc. Sie bekommt ein komisches Gefühl in der Magengegend. Ja, sie möchte zum Sport! Dort trifft sie ihre Freundin und fühlt sich fit. Sie weiß aber, wenn sie jetzt geht, kann es sein, dass sich Marc ihr gegenüber morgen den ganzen Tag kühl verhält. Wahrscheinlich wird er ihr vorhalten, dass ihr der Sport wichtiger sei als die Beziehung.

Den distanzierten Marc auszuhalten, fällt ihr schwer. Sie wünscht sich Harmonie. Gleichzeitig würde sie doch gerne zum Sport gehen, aber sie weiß, dass sie das mit schlechtem Gewissen tun wird. Beim letzten Mal entschuldigte sie sich schließlich dafür, dass sie dem Sport den Vorrang gegeben hatte. So richtig von Herzen kam diese Entschuldigung allerdings nicht. Seitdem ist die Stimmung zwischen ihnen wieder harmonisch – zumindest sieht das von außen so aus.

Unter Beziehungen kann das Individuum leiden

Wenn die eigenen Bedürfnisse und Gefühle unterdrückt werden, damit die Beziehung harmonisch verlaufen kann, spricht man von symbiotischen Verhaltensmustern. Die Partner agieren nicht eigenständig, sondern in Abhängigkeit vom Verhalten des oder der anderen. Authentisches Verhalten wird unterdrückt, zum Beispiel aus Angst vor Verlust, Konflikten oder Ablehnung.

Solche Tendenzen gibt es, unterschiedlich ausgeprägt, wohl in jeder Beziehung. Das ist bis zu einem gewissen Grad und in bestimmten Situationen auch unproblematisch. Schwierig wird es, wenn einer oder beide Partner sich dabei nicht mehr wohlfühlen. Das wird wahrscheinlich irgendwann passieren, denn damit Symbiose funktioniert, bleibt nur ein sehr begrenzter Bewegungsspielraum, die Grenzen sind starr.

Doch jeder Mensch hat sein Leben lang den Drang nach Entwicklung und Entfaltung seines Potenzials. Entwicklung bedeutet Veränderung, Beweglichkeit, Flexibilität. Ein starres Beziehungssystem steht dann irgendwann im Weg. Wenn wir auf Dauer nicht sein können, nicht authentisch leben können, macht uns das unglücklich.

In der Kindheit erlernte Strategien prägen uns als Erwachsene

Aber wie kommt es eigentlich, dass wir manchmal nicht wir selbst sind? Wir alle sind geprägt von Werten und Erfahrungen, die uns in der Kindheit vermittelt wurden. Damals haben wir gelernt, welches Verhalten wir an den Tag legen sollten, damit unser Bedürfnis nach Anerkennung und Liebe gestillt wird. Ein Beispiel: „Wenn ich immer lieb und brav bin, werde ich gelobt.“ Niemand will immer nur lieb und brav sein, aber als Kind waren wir von unseren Eltern abhängig. Sie waren für die Erfüllung unserer Bedürfnisse zuständig, also haben wir uns entsprechend verhalten.

Anstelle unseres authentischen „Selbst“ haben wir also eine Variante unseres „Selbst“ entfaltet, das uns die Befriedigung unserer Bedürfnisse gesichert hat. Als Erwachsene stehen wir nicht mehr in dieser Abhängigkeit. Wir können frei über unser Leben bestimmen. Doch die altbewährten Strategien sind tief in uns verwurzelt. Sie funktionieren oft auch heute noch. Aber es kann passieren, dass ihre Anwendung uns auf Dauer ausbrennen lässt. Dass wir bitter und dünnhäutig werden, dass wir es als Druck und Stress empfinden, ein Selbst zu leben, das wir gar nicht sind. So setzt der Gedanke an den nahenden Sportabend und das damit wahrscheinlich verbundene Gespräch mit Marc Laura unter Stress, sie bekommt Herzklopfen. Doch wie kann ich überhaupt wissen, wer ich bin? Lässt sich ein authentisches Leben mit einer liebevollen Beziehung verbinden oder ist dann jeder auf seinem eigenen Trip unterwegs?

„Der Mensch wird am Du zum Ich“

Der Schweizer Psychoanalytiker und Paartherapeut Jürg Willi vertrat die These, dass sich Menschen nicht in mitmenschlicher Unabhängigkeit entwickeln, sondern in Beziehung zu anderen Menschen. Die Intensität einer Liebesbeziehung ist einzigartig und trägt somit die größte Chance auf Entwicklung in sich. Wer sieht mich sonst so ungeschminkt und auch mal unreflektiert oder unausstehlich? Kein anderer Kontext meines Lebens bietet so viele Interaktionen und damit die Möglichkeit für Austausch, ehrliche Kritik und Feedback.

Sehr schön zusammengefasst ist das in dem Satz von Martin Buber: „Der Mensch wird am Du zum Ich.“ Mit dem Du ist es wie mit einem Spiegel, der mir die Möglichkeit gibt, mich selbst zu sehen. Vielleicht mag ich nicht alles, was ich sehe, aber alles gehört zu mir dazu. Manches könnte ich ohne den Spiegel gar nicht erkennen.

Sofern ich einen guten Draht zu meinem Inneren habe und authentisch lebe, ist eine Beziehung also eine super Basis, auf der ich mich persönlich entwickeln kann. Lebe ich aber nicht authentisch, birgt die Intensität der Liebesbeziehung auch das Risiko, dass sich destruktive Dynamiken entwickeln, die eine persönliche Entwicklung kaum zulassen.

In einer Beziehung, trotzdem man selbst

Trotzdem ist es ein Balanceakt, im Gleichgewicht zwischen dem Bedürfnis nach Eigenständigkeit sowie nach Beziehung und Harmonie zu leben. Differenzierung lautet hier das Zauberwort. Der Psycho- und Ehetherapeut David Schnarch formuliert es so: „Jeder wird im Laufe seiner Differenzierung eigenständiger und sogleich kooperationsfähiger.“ Differenzierung bedeutet also: in engen Beziehungen zu leben und dabei ein stabiles Selbstgefühl zu bewahren und mein Agieren nicht von den Reaktionen des Gesprächspartners abhängig zu machen.

Nur so bin ich überhaupt ein echtes Gegenüber, ein Spiegel, durch den sich wiederum meine engen Bezugspersonen weiterentwickeln können. Differenzierung ist also nicht das Gegenteil von Nähe, sondern sie ermöglicht in der Partnerschaft erst eine gesunde Version von emotionaler Nähe.

Fünf Tipps helfen dem Freiraum

Wie sieht das praktisch aus? Zurück zu Laura und Marc. Seit der Pandemie haben sie angefangen, im Home-Office zu arbeiten. Laura sitzt am Esstisch, Marc eigentlich im Büro. Er findet die Vorstellung schön, gemeinsam zu arbeiten, also kommt er dazu und richtet seinen Arbeitsplatz neben Laura ein. So könnte man sich zwischendurch noch unterhalten und zusammen einen Kaffee trinken.

Laura spürt, wie sich ihr Magen zusammenzieht und sich ein Gefühl der Enge in ihr ausbreitet. Sie braucht Ruhe und Platz zum Arbeiten, sie arbeitet am liebsten alleine. Diese Situation fühlt sich für sie nicht gut an.

Was nun? Das wären die Tipps für Laura, und nicht nur für sie:

  • Wahrnehmen und annehmen, was gerade in mir passiert.
  • Mein Empfinden und meinen Wunsch gut kommunizieren in Form von „Ich-Botschaften“ (von mir selbst und meinem Empfinden sprechen, ohne den anderen anzuklagen). Don’t: „Du engst mich ein. Du kannst doch im Büro arbeiten.“ Do: „Ich fühle mich gerade unzufrieden und merke, wie Ärger in mir hochsteigt. Ich kann mich schlecht konzentrieren, wenn wir hier zu zweit sitzen und wünsche mir, während meiner Bürozeiten alleine zu arbeiten. Ich freue mich aber, wenn wir uns zur Kaffeepause treffen.“
  • Konflikte als Chance betrachten, den anderen besser verstehen zu lernen, statt sie um jeden Preis zu vermeiden. Das gelingt durch „aktives Zuhören“: Nacheinander beiden Sichtweisen Raum geben, bis sich beide ganz vom anderen verstanden fühlen. Dabei ist das Ziel das Verstehen und auch Aushalten von unterschiedlichen Standpunkten.
  • Trotz Unterschiedlichkeit zugewandt bleiben und im Austausch über Gefühle und Wünsche sein.
  • Nicht den anderen verändern wollen, sondern erkennen, dass ich nur mich selbst (und damit auch die Beziehungsdynamik) ändern kann. Also die Verantwortung (nur) für mein Handeln übernehmen.

Individualität ist manchmal schwer

Wer symbiotische Beziehungsdynamiken durchbricht, erntet nicht unbedingt Beifall. Über ihre Gefühle und Bedürfnisse zu sprechen und mehr Raum einzufordern, ist Laura auch schwergefallen. Marc fühlte sich abgelehnt und ungeliebt. Das auszuhalten, war herausfordernd. Mit der Zeit erkannte er, dass sie sich nicht von ihm abgewendet hatte, sondern nur den für sie so wichtigen Freiraum beanspruchte.

Ihr Durchbrechen dieses symbiotischen Verhaltens ermöglicht auch ihm, sich weiterzuentwickeln. Er lernt, selbst mehr auf seine eigenen Bedürfnisse zu achten und entwickelt für ihn passende alternative Strategien, unabhängig von Laura. Er erlebt auch, dass Laura ihm diese nicht übel nimmt. Im Gegenteil, beide genießen es, Dinge alleine zu tun und dann auch wieder gemeinsam Zeit zu verbringen. Ganz freiwillig.

Christina Glasow arbeitet als Paarberaterin und psychologische Beraterin. Sie lebt mit ihrem Mann und ihren drei Kindern in Pulheim bei Köln. christinaglasow.de

Wir sind eins!

Es gibt nichts Schöneres, als wenn zwei Menschen ganz in ihrer Liebe zueinander aufgehen? Doch, das gibt es, denn symbiotische Beziehungen sind nicht der Idealzustand. Irgendwann fehlt nämlich das Gegenüber. Von Christina Glasow

Musst du heute wirklich zum Sport? Lass uns doch lieber einen gemütlichen Abend zusammen auf dem Sofa verbringen.“ Den Satz hört Laura nicht zum ersten Mal von Marc. Sie bekommt ein komisches Gefühl in der Magengegend. Ja, sie möchte zum Sport! Dort trifft sie ihre Freundin und fühlt sich fit. Sie weiß aber, wenn sie jetzt geht, kann es sein, dass sich Marc ihr gegenüber morgen den ganzen Tag kühl verhält. Wahrscheinlich wird er ihr vorhalten, dass ihr der Sport wichtiger sei als die Beziehung.

Den distanzierten Marc auszuhalten, fällt ihr schwer. Sie wünscht sich Harmonie. Gleichzeitig würde sie doch gerne zum Sport gehen, aber sie weiß, dass sie das mit schlechtem Gewissen tun wird. Beim letzten Mal entschuldigte sie sich schließlich dafür, dass sie dem Sport den Vorrang gegeben hatte. So richtig von Herzen kam diese Entschuldigung allerdings nicht. Seitdem ist die Stimmung zwischen ihnen wieder harmonisch – zumindest sieht das von außen so aus.

HAUPTSACHE HARMONISCH

Wenn die eigenen Bedürfnisse und Gefühle unterdrückt werden, damit die Beziehung harmonisch verlaufen kann, spricht man von symbiotischen Verhaltensmustern. Die Partner agieren nicht eigenständig, sondern in Abhängigkeit vom Verhalten des oder der anderen. Authentisches Verhalten wird unterdrückt, zum Beispiel aus Angst vor Verlust, Konflikten oder Ablehnung.

Solche Tendenzen gibt es, unterschiedlich ausgeprägt, wohl in jeder Beziehung. Das ist bis zu einem gewissen Grad und in bestimmten Situationen auch unproblematisch. Schwierig wird es, wenn einer oder beide Partner sich dabei nicht mehr wohlfühlen. Das wird wahrscheinlich irgendwann passieren, denn damit Symbiose funktioniert, bleibt nur ein sehr begrenzter Bewegungsspielraum, die Grenzen sind starr.

Doch jeder Mensch hat sein Leben lang den Drang nach Entwicklung und Entfaltung seines Potenzials. Entwicklung bedeutet Veränderung, Beweglichkeit, Flexibilität. Ein starres Beziehungssystem steht dann irgendwann im Weg. Wenn wir auf Dauer nicht sein können, nicht authentisch leben können, macht uns das unglücklich.

ERLERNTE STRATEGIEN

Aber wie kommt es eigentlich, dass wir manchmal nicht wir selbst sind? Wir alle sind geprägt von Werten und Erfahrungen, die uns in der Kindheit vermittelt wurden. Damals haben wir gelernt, welches Verhalten wir an den Tag legen sollten, damit unser Bedürfnis nach Anerkennung und Liebe gestillt wird. Ein Beispiel: „Wenn ich immer lieb und brav bin, werde ich gelobt.“ Niemand will immer nur lieb und brav sein, aber als Kind waren wir von unseren Eltern abhängig. Sie waren für die Erfüllung unserer Bedürfnisse zuständig, also haben wir uns entsprechend verhalten.

Anstelle unseres authentischen „Selbst“ haben wir also eine Variante unseres „Selbst“ entfaltet, das uns die Befriedigung unserer Bedürfnisse gesichert hat. Als Erwachsene stehen wir nicht mehr in dieser Abhängigkeit. Wir können frei über unser Leben bestimmen. Doch die altbewährten Strategien sind tief in uns verwurzelt. Sie funktionieren oft auch heute noch. Aber es kann passieren, dass ihre Anwendung uns auf Dauer ausbrennen lässt. Dass wir bitter und dünnhäutig werden, dass wir es als Druck und Stress empfinden, ein Selbst zu leben, das wir gar nicht sind. So setzt der Gedanke an den nahenden Sportabend und das damit wahrscheinlich verbundene Gespräch mit Marc Laura unter Stress, sie bekommt Herzklopfen. Doch wie kann ich überhaupt wissen, wer ich bin? Lässt sich ein authentisches Leben mit einer liebevollen Beziehung verbinden oder ist dann jeder auf seinem eigenen Trip unterwegs?

„DER MENSCH WIRD AM DU ZUM ICH“

Der Schweizer Psychoanalytiker und Paartherapeut Jürg Willi vertrat die These, dass sich Menschen nicht in mitmenschlicher Unabhängigkeit entwickeln, sondern in Beziehung zu anderen Menschen. Die Intensität einer Liebesbeziehung ist einzigartig und trägt somit die größte Chance auf Entwicklung in sich. Wer sieht mich sonst so ungeschminkt und auch mal unreflektiert oder unausstehlich? Kein anderer Kontext meines Lebens bietet so viele Interaktionen und damit die Möglichkeit für Austausch, ehrliche Kritik und Feedback.

Sehr schön zusammengefasst ist das in dem Satz von Martin Buber: „Der Mensch wird am Du zum Ich.“ Mit dem Du ist es wie mit einem Spiegel, der mir die Möglichkeit gibt, mich selbst zu sehen. Vielleicht mag ich nicht alles, was ich sehe, aber alles gehört zu mir dazu. Manches könnte ich ohne den Spiegel gar nicht erkennen.

Sofern ich einen guten Draht zu meinem Inneren habe und authentisch lebe, ist eine Beziehung also eine super Basis, auf der ich mich persönlich entwickeln kann. Lebe ich aber nicht authentisch, birgt die Intensität der Liebesbeziehung auch das Risiko, dass sich destruktive Dynamiken entwickeln, die eine persönliche Entwicklung kaum zulassen.

Trotzdem ist es ein Balanceakt, im Gleichgewicht zwischen dem Bedürfnis nach Eigenständigkeit sowie nach Beziehung und Harmonie zu leben. Differenzierung lautet hier das Zauberwort. Der Psycho- und Ehetherapeut David Schnarch formuliert es so: „Jeder wird im Laufe seiner Differenzierung eigenständiger und sogleich kooperationsfähiger.“ Differenzierung bedeutet also: in engen Beziehungen zu leben und dabei ein stabiles Selbstgefühl zu bewahren und mein Agieren nicht von den Reaktionen des Gesprächspartners abhängig zu machen.

Nur so bin ich überhaupt ein echtes Gegenüber, ein Spiegel, durch den sich wiederum meine engen Bezugspersonen weiterentwickeln können. Differenzierung ist also nicht das Gegenteil von Nähe, sondern sie ermöglicht in der Partnerschaft erst eine gesunde Version von emotionaler Nähe.

AUTHENTISCH(ER) LEBEN UND TROTZDEM ZUGEWANDT BLEIBEN

Wie sieht das praktisch aus? Zurück zu Laura und Marc. Seit der Pandemie haben sie angefangen, im Home-Office zu arbeiten. Laura sitzt am Esstisch, Marc eigentlich im Büro. Er findet die Vorstellung schön, gemeinsam zu arbeiten, also kommt er dazu und richtet seinen Arbeitsplatz neben Laura ein. So könnte man sich zwischendurch noch unterhalten und zusammen einen Kaffee trinken.

Laura spürt, wie sich ihr Magen zusammenzieht und sich ein Gefühl der Enge in ihr ausbreitet. Sie braucht Ruhe und Platz zum Arbeiten, sie arbeitet am liebsten alleine. Diese Situation fühlt sich für sie nicht gut an.

Was nun? Das wären die Tipps für Laura, und nicht nur für sie:

  • Wahrnehmen und annehmen, was gerade in mir passiert.
  • Mein Empfinden und meinen Wunsch gut kommunizieren in Form von „Ich-Botschaften“ (von mir selbst und meinem Empfinden sprechen, ohne den anderen anzuklagen). Don’t: „Du engst mich ein. Du kannst doch im Büro arbeiten.“ Do: „Ich fühle mich gerade unzufrieden und merke, wie Ärger in mir hochsteigt. Ich kann mich schlecht konzentrieren, wenn wir hier zu zweit sitzen und wünsche mir, während meiner Bürozeiten alleine zu arbeiten. Ich freue mich aber, wenn wir uns zur Kaffeepause treffen.“
  • Konflikte als Chance betrachten, den anderen besser verstehen zu lernen, statt sie um jeden Preis zu vermeiden. Das gelingt durch „aktives Zuhören“: Nacheinander beiden Sichtweisen Raum geben, bis sich beide ganz vom anderen verstanden fühlen. Dabei ist das Ziel das Verstehen und auch Aushalten von unterschiedlichen Standpunkten.
  • Trotz Unterschiedlichkeit zugewandt bleiben und im Austausch über Gefühle und Wünsche sein.
  • Nicht den anderen verändern wollen, sondern erkennen, dass ich nur mich selbst (und damit auch die Beziehungsdynamik) ändern kann. Also die Verantwortung (nur) für mein Handeln übernehmen.

Wer symbiotische Beziehungsdynamiken durchbricht, erntet nicht unbedingt Beifall. Über ihre Gefühle und Bedürfnisse zu sprechen und mehr Raum einzufordern, ist Laura auch schwergefallen. Marc fühlte sich abgelehnt und ungeliebt. Das auszuhalten, war herausfordernd. Mit der Zeit erkannte er, dass sie sich nicht von ihm abgewendet hatte, sondern nur den für sie so wichtigen Freiraum beanspruchte.

Ihr Durchbrechen dieses symbiotischen Verhaltens ermöglicht auch ihm, sich weiterzuentwickeln. Er lernt, selbst mehr auf seine eigenen Bedürfnisse zu achten und entwickelt für ihn passende alternative Strategien, unabhängig von Laura. Er erlebt auch, dass Laura ihm diese nicht übel nimmt. Im Gegenteil, beide genießen es, Dinge alleine zu tun und dann auch wieder gemeinsam Zeit zu verbringen. Ganz freiwillig.

Christina Glasow arbeitet als Paarberaterin und psychologische Beraterin. Sie lebt mit ihrem Mann und ihren drei Kindern in Pulheim bei Köln. www.christinaglasow.de

Tragetuch: „Gebt euren Babys Nähe!“, sagt die Expertin

Babytragetücher liegen im Trend. Warum das Tragen so wichtig ist und was man dabei beachten sollte, erklärt die Trageschulleiterin Petra Wilhelm.

Warum erlebt das Tragen von Babys so einen Aufschwung?
Eigentlich wurden Babys schon immer getragen. Mit dem Kinderwagen ist es in den Hintergrund gerückt und erlebt jetzt wieder eine Hochkultur, auch aus ganz praktischen Gründen: Man ist beweglicher, wenn man das Kind am Körper trägt! Menschenbabys sind Traglinge. Die Wissenschaft hat inzwischen bewiesen, dass sie am Körper der Eltern weiterreifen. Die Eltern sorgen beim Tragen für die Temperaturregulierung des Kindes. Auch rhythmische Körperarbeiten wie Herzschlag und Atmung bekommen immer wieder Impulse. Durch das Tragen wird auch die Verdauung unterstützt und das Urvertrauen und Selbstwertgefühl werden gestärkt. Babys funktionieren noch wie in der Steinzeit: Weggelegt werden bedeutet Todesgefahr! Am Körper der Eltern finden sie Sicherheit.

Aber es gibt doch auch Babys, die im Liegen zufriedener sind?
Wenn sich ein Kind wohlfühlt und eine gewisse Zeit gern im Kinder- oder Stubenwagen liegt, sollten Eltern dies genießen! Aber wenn das Kind zeigt, dass es die Nähe braucht, dann sollten sie es an den Körper nehmen.

Ab wann sollten Mütter ein Tragetuch verwenden?

Ab wann und wie lange sollte man sein Kind tragen?
Von Anfang an und so lange, wie es beiden guttut! Die Mutter sollte sich nicht gleich am Tag nach der Geburt das Tragetuch umbinden, sondern sich erst einmal im Wochenbett erholen und dort viel mit dem Baby kuscheln. Solange gibt es den Papa oder andere Bezugspersonen, die das Baby tragen können. Bei einem gesunden Kind spricht nichts dagegen, es von Anfang an zu tragen. Jedoch sehe ich Neugeborene nicht so gern in einer Tragehilfe, da konstruktionsbedingt die Haltung des Babys aufrechter ist und die Beinchen weiter gespreizt werden. Neugeborene haben in den ersten Wochen die Beinchen lieber eng zusammen und angehockt. Das brauchen sie, damit sich die Hüften gut entwickeln. Diese Haltung lässt sich mit einem Tragetuch meist besser unterstützen.

Wie finde ich heraus, was das richtige System für uns ist?
Das Angebot an Tragetüchern und -hilfen ist inzwischen riesig und macht es Eltern schwer, die für sie passende Tragemöglichkeit zu finden. Eine Trageberatung spart hier Zeit, Nerven und Geld, indem sie teure Fehlkäufe und Rückenschmerzen verhindert. In der Beratung wird individuell geschaut, was Eltern und Kind brauchen, und es wird die Möglichkeit des Erlernens und Ausprobierens gegeben. Gemeinsam wird geschaut, welche Trageweise wirklich passt und Eltern und Kind gut unterstützt. Denn gerade auch das Kind hat ein gehöriges Wörtchen mitzureden.

Was sollte das Kind im Winter anhaben?

Was empfehlen Sie im Herbst und Winter, wenn sowohl das Baby als auch die Eltern mehr anhaben?
Solange das Kind noch nicht selbst läuft, sollte es mit in der Jacke der Eltern getragen werden. Tragejacken und -einsätze schützen beide vor der Kälte. Wenn es schon läuft, kann es in der Tragehilfe über der Jacke getragen werden. Wenn das Kind dabei einen Schneeanzug trägt, bitte bei längerer Tragezeit überprüfen, ob es ihm nicht zu kalt ist. Die Luft wird beim Einbinden aus den Polstern des Anzuges gedrückt, und er kann so das Kind nicht mehr wärmen. Ein Wollwalkanzug ist da die bessere Wahl.

Interview: Ruth Korte

Wochenbettdepression bis Psychose: Wenn die Tage nach der Geburt zur Zerreißprobe werden

Sarah, Beatrice und Anna hatten nach der Geburt ihres Kindes mit psychischen Krankheiten zu kämpfen. Lisa-Maria Mehrkens erzählt ihre Geschichte.

Sarah wurde nach langem Kinderwunsch endlich schwanger. Doch bereits im dritten Monat wurde Schwangerschaftsdiabetes bei ihr festgestellt. Sechs Monate lang musste sie sich mehrmals täglich Insulin spritzen. Für sie eine schwere Zeit voller Überwindung, Angst, Schmerzen, Tränen, die sie für ihr Kind erträgt. Innerlich plagen sie Zweifel: „Ohne Kind keine Nadeln, dieser Gedanke war permanent in meinem Kopf. Ich versuchte, das Kind dafür nicht zu hassen. Es konnte ja auch nichts dafür! Oder?“

Die Geburt ging schnell, aber ständige Hebammenwechsel, das schmerzhafte und langwierige Nähen eines Dammrisses, Beschimpfungen durch den Arzt und ihr neugeborener Sohn, der weit weg von ihren Armen schreiend unter der Wärmelampe lag, ließen Sarah nur Überforderung fühlen. Auch mehrere Monate nach der Geburt wartete sie vergeblich, dass sich Liebesgefühle für ihr Kind einstellten. Erst nach drei Jahren suchte Sarah sich Hilfe, um die Beziehung zu ihrem Sohn zu retten – viel zu spät, wie sie selbst bekennt.

Was ist eine nachgeburtliche posttraumatische Belastungsstörung?

So wie Sarah ergeht es etwa ein bis zwei Prozent aller Frauen in Deutschland, bei denen schwierige Schwangerschaftsverläufe und traumatische Geburten zu starken psychischen Beeinträchtigungen im Wochenbett führen. Die Dunkelziffer von Frauen, die nach der Geburt unter quälenden Gedanken und Alpträumen leiden, ist weitaus höher. Experten sprechen von einer „nachgeburtlichen posttraumatischen Belastungsstörung“. Dabei ist es unwichtig, ob Schwangerschaft und Geburt nur subjektiv als besonders belastend erlebt wurden oder auch objektiv schwierig waren, etwa durch einen Kaiserschnitt oder wenig einfühlsame Geburtshelfer. Wiederkehrende negative Erinnerungen an die Geburt, Schlafstörungen, Gereiztheit und das Vermeiden aller mit der Geburt verbundenen Aktivitäten, wie Sexualität mit dem Partner oder Körperkontakt mit dem Kind, können die Folgen sein. Häufig fällt es Betroffenen schwer, sich die mangelnden Liebesgefühle zu ihrem Kind einzugestehen.

Wann wird der Baby Blues zur Krankheit?

Doch auch ohne schwierige Schwangerschaft oder eine als traumatisch erlebte Geburt können psychische Erkrankungen im Wochenbett auftreten. Sie entstehen meist durch eine Kombination aus genetischen, hormonellen, psychischen und sozialen Einflüssen, zum Beispiel Vorerkrankungen, familiäre Häufungen, die Hormonumstellung im Wochenbett, eine zu geringe Unterstützung durch das Umfeld oder auch ein zu hoher Erwartungsdruck der Mutter an sich selbst.

Etwa 50 bis 70 Prozent aller Mütter kennen den „Baby Blues“ ein paar Tage nach der Geburt: Durch Hormonumstellungen kann es zu häufigem Weinen, Ängstlichkeit, Stimmungsschwankungen, Erschöpfung sowie Konzentrations-, Appetit- und Schlafstörungen kommen. Verschwinden diese Symptome nach spätestens zwei Wochen nicht von allein, könnte es sich um eine Erkrankung handeln, die einer Behandlung bedarf.

Depression nach der Geburt

So erging es Beatrice, die zweimal nach der Entbindung ihrer Söhne an einer mehrmonatigen Depression erkrankte. Sie musste häufig weinen, litt an Übelkeit und Erschöpfung, konnte kaum schlafen und essen. Das erschwerte auch den Aufbau von Nähe zu ihren Kindern: „Ich hatte Angst vor dem nächsten Tag. Ich hatte Angst, nie eine glückliche Mutter werden zu können.“ Ihre Familie und Freunde unterstützten sie durch Gebet und praktische Hilfe. Doch erst Medikamente, ein Klinikaufenthalt und eine Psychotherapie brachten nach einigen Monaten Besserung.

An einer nachgeburtlichen Depression wie bei Beatrice leiden ungefähr 10 bis 15 Prozent aller Mütter. Symptome treten bei manchen schon während der Schwangerschaft, bei anderen erst bis zu einem Jahr nach der Geburt auf. Antriebsschwäche, Lustlosigkeit, innere Leere und Traurigkeit, Appetit- und Schlafstörungen sowie Konzentrationsschwäche sind nur einige Anzeichen. Sehr belastend erleben viele Mütter das Gefühl, ihr Kind nicht richtig zu lieben, und das damit verbundene schlechte Gewissen. Manchmal geht die Krankheit mit starken Ängsten oder Zwängen einher.

Daraus können eigene Erkrankungen entstehen, die betroffene Frauen und ihr Umfeld stark belasten und einen normalen Alltag unmöglich machen. Dadurch denken manche Mütter sogar an Selbstmord. Die seltenste und schwerste Form der nachgeburtlichen Erkrankungen ist die Psychose, die etwa ein bis zwei von 1.000 Müttern betrifft. Symptome zeigen sich meist in den ersten vier Wochen nach der Entbindung. Dazu zählen unrealistische, extreme Ängste, Wahnvorstellungen und Halluzinationen, die meist auf das Kind bezogen sind und eine große Gefahr für Mutter und Kind darstellen.

Eine Psychose lähmte Anna

Anna erkrankte nach der Geburt ihrer Tochter an einer solchen Psychose. Das Wochenbett verbrachte sie ohne Kind in der Psychiatrie. Es folgten mehrere Klinikaufenthalte mit und ohne Kind sowie eine ambulante Psychotherapie. Anna durfte ihre Tochter eine Zeit lang nicht allein sehen, wurde vorübergehend für nicht geschäftsfähig erklärt, ihr Mann zu ihrem Vormund bestimmt. Sie erhielt viel Unterstützung und Kraft von ihrem Umfeld durch Gebet, Gespräche und praktische Hilfe.

Doch die notwendigen Medikamente hatten Nebenwirkungen: „Die Tage waren lang und zäh und kosteten mich unglaublich viel Kraft. Ich hatte an nichts mehr Freude oder Spaß. Ich fühlte mich wie erschlagen, ständig müde und überfordert von allem und jedem. Ich dachte, meine Tochter nicht genug zu lieben. Sie ging mir auf die Nerven und ich musste aufpassen, sie nicht zu schlagen. Ich überlegte, ob meine Familie ohne mich besser dran wäre und ob ich mir etwas antun sollte“, beschreibt sie ihren damaligen Zustand. Ein erster Versuch, die Medikamente abzusetzen, brachte die Psychose zurück. Bis heute muss Anna Medikamente nehmen und ist nur eingeschränkt arbeitsfähig.

Erkrankung rechtzeitig erkennen

Viele Betroffene schämen sich für ihre Erkrankung oder haben Schuldgefühle und sprechen nicht darüber. Doch bei etwa 20 bis 30 Prozent der Mütter mit einer nachgeburtlichen psychischen Erkrankung werden die Mutter-Kind-Bindung und damit auch die Entwicklung des Kindes negativ beeinflusst. Deswegen ist es umso wichtiger, die Erkrankungen rechtzeitig zu erkennen und passend zu behandeln. Denn dann bestehen gute Heilungschancen.

Der Austausch mit Familie, Freunden, anderen Betroffenen oder professionellen Helfern und Helferinnen wie Hebammen, Psychotherapeuten oder Fachärzten kann hilfreich sein, um das Erlebte zu verarbeiten. Auch praktische Unterstützung im Alltag durch das Umfeld wirkt entlastend auf die Betroffenen. Ebenso können Selbsthilfevereine ein guter Anlaufpunkt sein (siehe Kasten). Bei schweren Verläufen von Depressionen und Psychosen sind schnelle medizinische und medikamentöse Behandlungen durch Ärzte und Psychotherapeuten wichtig, um die Gefahr für Mutter und Kind abzuwenden und eine langfristige Bindungsstörung zu verhindern. Dafür gibt es spezielle Fachkliniken. Diese Behandlungen können jedoch bis zu mehreren Jahren dauern.

Drei Mütter – drei Zukunftsvisionen

Sarah, Beatrice und Anna haben unterschiedliche Krankheitsverläufe erlebt. Sie wollen anderen betroffenen Frauen Hoffnung geben, dass sie nicht allein sind und es besser wird. Sarahs Sohn ist mittlerweile fast sieben Jahre alt. Noch heute kämpft sie um die emotionale Nähe zu ihm. Eine Mutter-Kind-Kur soll nun Besserung bringen. Beatrice erlebte zweimal, dass nachgeburtliche Depressionen geheilt werden können, und hat heute eine sehr gute Beziehung zu ihren beiden Söhnen. Dennoch entschied sie sich unter anderem aus Sorge, die Erkrankung erneut durchstehen zu müssen, gegen ein weiteres Kind. Obwohl Anna bis heute mit den Folgen ihrer Erkrankung zu kämpfen hat, hat sie eine gute Bindung zu ihrer zweieinhalbjährigen Tochter aufgebaut und wünscht sich ein zweites Kind. All diese Mütter verbindet die Liebe zu ihren Kindern und der Wunsch nach der besonderen Nähe zwischen Mutter und Kind. Und dafür werden sie weiterkämpfen.

Lisa-Maria Mehrkens ist Psychologin und freie Journalistin und lebt mit ihrer Familie in Chemnitz.

Hier finden Betroffene Hilfe:

Selbsthilfevereine:
schatten-und-licht.de
postpartale-depression.ch
selbsthilfe.at
Spezialisierte Beratungsstelle:
nachdergeburt.com
Wochenbettdepressionshotline (D):
0 15 77/47 42 654
Elternnotruf (CH):
08 48/35 45 55

„Ich kämpfe um die Nähe zu meinem Baby“

Die Bindung zwischen Mutter und Kind ist ab der Schwangerschaft durch eine besondere Nähe geprägt. Manchmal wird der Aufbau dieser Nähe durch belastende äußere Umstände oder Erkrankungen erschwert. Drei Frauen haben Lisa-Maria Mehrkens ihre Erlebnisse geschildert.

Sarah wurde nach langem Kinderwunsch endlich schwanger. Doch bereits im dritten Monat wurde Schwangerschaftsdiabetes bei ihr festgestellt. Sechs Monate lang musste sie sich mehrmals täglich Insulin spritzen. Für sie eine schwere Zeit voller Überwindung, Angst, Schmerzen, Tränen, die sie für ihr Kind erträgt. Innerlich plagen sie Zweifel: „Ohne Kind keine Nadeln, dieser Gedanke war permanent in meinem Kopf. Ich versuchte, das Kind dafür nicht zu hassen. Es konnte ja auch nichts dafür! Oder?“ Die Geburt ging schnell, aber ständige Hebammenwechsel, das schmerzhafte und langwierige Nähen eines Dammrisses, Beschimpfungen durch den Arzt und ihr neugeborener Sohn, der weit weg von ihren Armen schreiend unter der Wärmelampe lag, ließen Sarah nur Überforderung fühlen. Auch mehrere Monate nach der Geburt wartete sie vergeblich, dass sich Liebesgefühle für ihr Kind einstellten. Erst nach drei Jahren suchte Sarah sich Hilfe, um die Beziehung zu ihrem Sohn zu retten – viel zu spät, wie sie selbst bekennt.

KRANK IM WOCHENBETT

So wie Sarah ergeht es etwa ein bis zwei Prozent aller Frauen in Deutschland, bei denen schwierige Schwangerschaftsverläufe und traumatische Geburten zu starken psychischen Beeinträchtigungen im Wochenbett führen. Die Dunkelziffer von Frauen, die nach der Geburt unter quälenden Gedanken und Alpträumen leiden, ist weitaus höher. Experten sprechen von einer „nachgeburtlichen posttraumatischen Belastungsstörung“. Dabei ist es unwichtig, ob Schwangerschaft und Geburt nur subjektiv als besonders belastend erlebt wurden oder auch objektiv schwierig waren, etwa durch einen Kaiserschnitt oder wenig einfühlsame Geburtshelfer. Wiederkehrende negative Erinnerungen an die Geburt, Schlafstörungen, Gereiztheit und das Vermeiden aller mit der Geburt verbundenen Aktivitäten, wie Sexualität mit dem Partner oder Körperkontakt mit dem Kind, können die Folgen sein. Häufig fällt es Betroffenen schwer, sich die mangelnden Liebesgefühle zu ihrem Kind einzugestehen.

Doch auch ohne schwierige Schwangerschaft oder eine als traumatisch erlebte Geburt können psychische Erkrankungen im Wochenbett auftreten. Sie entstehen meist durch eine Kombination aus genetischen, hormonellen, psychischen und sozialen Einflüssen, zum Beispiel Vorerkrankungen, familiäre Häufungen, die Hormonumstellung im Wochenbett, eine zu geringe Unterstützung durch das Umfeld oder auch ein zu hoher Erwartungsdruck der Mutter an sich selbst.

Etwa 50 bis 70 Prozent aller Mütter kennen den „Baby Blues“ ein paar Tage nach der Geburt: Durch Hormonumstellungen kann es zu häufigem Weinen, Ängstlichkeit, Stimmungsschwankungen, Erschöpfung sowie Konzentrations-, Appetit- und Schlafstörungen kommen. Verschwinden diese Symptome nach spätestens zwei Wochen nicht von allein, könnte es sich um eine Erkrankung handeln, die einer Behandlung bedarf.

DAS KIND NICHT RICHTIG LIEBEN

So erging es Beatrice, die zweimal nach der Entbindung ihrer Söhne an einer mehrmonatigen Depression erkrankte. Sie musste häufig weinen, litt an Übelkeit und Erschöpfung, konnte kaum schlafen und essen. Das erschwerte auch den Aufbau von Nähe zu ihren Kindern: „Ich hatte Angst vor dem nächsten Tag. Ich hatte Angst, nie eine glückliche Mutter werden zu können.“ Ihre Familie und Freunde unterstützten sie durch Gebet und praktische Hilfe. Doch erst Medikamente, ein Klinikaufenthalt und eine Psychotherapie brachten nach einigen Monaten Besserung.

An einer nachgeburtlichen Depression wie bei Beatrice leiden ungefähr 10 bis 15 Prozent aller Mütter. Symptome treten bei manchen schon während der Schwangerschaft, bei anderen erst bis zu einem Jahr nach der Geburt auf. Antriebsschwäche, Lustlosigkeit, innere Leere und Traurigkeit, Appetit- und Schlafstörungen sowie Konzentrationsschwäche sind nur einige Anzeichen. Sehr belastend erleben viele Mütter das Gefühl, ihr Kind nicht richtig zu lieben, und das damit verbundene schlechte Gewissen. Manchmal geht die Krankheit mit starken Ängsten oder Zwängen einher. Daraus können eigene Erkrankungen entstehen, die betroffene Frauen und ihr Umfeld stark belasten und einen normalen Alltag unmöglich machen. Dadurch denken manche Mütter sogar an Selbstmord. Die seltenste und schwerste Form der nachgeburtlichen Erkrankungen ist die Psychose, die etwa ein bis zwei von 1.000 Müttern betrifft. Symptome zeigen sich meist in den ersten vier Wochen nach der Entbindung. Dazu zählen unrealistische, extreme Ängste, Wahnvorstellungen und Halluzinationen, die meist auf das Kind bezogen sind und eine große Gefahr für Mutter und Kind darstellen.

VON ALLEM ÜBERFORDERT

Anna erkrankte nach der Geburt ihrer Tochter an einer solchen Psychose. Das Wochenbett verbrachte sie ohne Kind in der Psychiatrie. Es folgten mehrere Klinikaufenthalte mit und ohne Kind sowie eine ambulante Psychotherapie. Anna durfte ihre Tochter eine Zeit lang nicht allein sehen, wurde vorübergehend für nicht geschäftsfähig erklärt, ihr Mann zu ihrem Vormund bestimmt. Sie erhielt viel Unterstützung und Kraft von ihrem Umfeld durch Gebet, Gespräche und praktische Hilfe. Doch die notwendigen Medikamente hatten Nebenwirkungen: „Die Tage waren lang und zäh und kosteten mich unglaublich viel Kraft. Ich hatte an nichts mehr Freude oder Spaß. Ich fühlte mich wie erschlagen, ständig müde und überfordert von allem und jedem. Ich dachte, meine Tochter nicht genug zu lieben. Sie ging mir auf die Nerven und ich musste aufpassen, sie nicht zu schlagen. Ich überlegte, ob meine Familie ohne mich besser dran wäre und ob ich mir etwas antun sollte“, beschreibt sie ihren damaligen Zustand. Ein erster Versuch, die Medikamente abzusetzen, brachte die Psychose zurück. Bis heute muss Anna Medikamente nehmen und ist nur eingeschränkt arbeitsfähig.

Viele Betroffene schämen sich für ihre Erkrankung oder haben Schuldgefühle und sprechen nicht darüber. Doch bei etwa 20 bis 30 Prozent der Mütter mit einer nachgeburtlichen psychischen Erkrankung werden die Mutter-Kind-Bindung und damit auch die Entwicklung des Kindes negativ beeinflusst. Deswegen ist es umso wichtiger, die Erkrankungen rechtzeitig zu erkennen und passend zu behandeln. Denn dann bestehen gute Heilungschancen.

Der Austausch mit Familie, Freunden, anderen Betroffenen oder professionellen Helfern und Helferinnen wie Hebammen, Psychotherapeuten oder Fachärzten kann hilfreich sein, um das Erlebte zu verarbeiten. Auch praktische Unterstützung im Alltag durch das Umfeld wirkt entlastend auf die Betroffenen. Ebenso können Selbsthilfevereine ein guter Anlaufpunkt sein (siehe Kasten). Bei schweren Verläufen von Depressionen und Psychosen sind schnelle medizinische und medikamentöse Behandlungen durch Ärzte und Psychotherapeuten wichtig, um die Gefahr für Mutter und Kind abzuwenden und eine langfristige Bindungsstörung zu verhindern. Dafür gibt es spezielle Fachkliniken. Diese Behandlungen können jedoch bis zu mehreren Jahren dauern.

NÄHE UND LIEBE KÖNNEN WACHSEN

Sarah, Beatrice und Anna haben unterschiedliche Krankheitsverläufe erlebt. Sie wollen anderen betroffenen Frauen Hoffnung geben, dass sie nicht allein sind und es besser wird. Sarahs Sohn ist mittlerweile fast sieben Jahre alt. Noch heute kämpft sie um die emotionale Nähe zu ihm. Eine Mutter-Kind-Kur soll nun Besserung bringen. Beatrice erlebte zweimal, dass nachgeburtliche Depressionen geheilt werden können, und hat heute eine sehr gute Beziehung zu ihren beiden Söhnen. Dennoch entschied sie sich unter anderem aus Sorge, die Erkrankung erneut durchstehen zu müssen, gegen ein weiteres Kind. Obwohl Anna bis heute mit den Folgen ihrer Erkrankung zu kämpfen hat, hat sie eine gute Bindung zu ihrer zweieinhalbjährigen Tochter aufgebaut und wünscht sich ein zweites Kind. All diese Mütter verbindet die Liebe zu ihren Kindern und der Wunsch nach der besonderen Nähe zwischen Mutter und Kind. Und dafür werden sie weiterkämpfen.

Lisa-Maria Mehrkens ist Psychologin und freie Journalistin und lebt mit ihrer Familie in Chemnitz.

Psychotherapeut zeigt: So unterschiedlich sind introvertierte und extravertierte Partner

Schüchterne Menschen leben und lieben anders als gesellige. Wie unterschiedlich sie Urlaub, Job und Sex verstehen, zeigt Experte Jörg Berger mit einem Wörterbuch.

Wer ist eigentlich merkwürdiger? Menschen, die im größten Trubel auftanken und entspannen können? Oder Menschen, die unausstehlich werden, wenn man sie von ihren Rückzugsmöglichkeiten abschneidet? Bereits Ihre Antwort auf diese Frage verrät Ihnen, ob Sie eher introvertiert oder extravertiert sind. Nur selten finden in der Liebe zwei sehr introvertierte Menschen zusammen, auch zwei sehr extravertierte Persönlichkeiten gehen nicht oft eine Paarbeziehung ein. Denn stille Menschen schätzen die Tatkraft und Lebendigkeit extravertierter Persönlichkeiten. Umgekehrt reizt diese die Ruhe und Empfindungstiefe introvertierter Partner. Viele Paare haben daher ein Aha-Erlebnis, wenn sie dem Gegensatz auf die Spur kommen, wie Menschen die Welt erleben.

Gesellig oder unabhängig?

Die Persönlichkeitspsychologie wird auch Psychologie der Unterschiede genannt (Differenzielle Psychologie). Sie befasst sich also vor allem mit der Frage, in welcher Hinsicht sich Menschen unterscheiden. Zu den wenigen wissenschaftlich gesicherten Eigenschaften, die Menschen voneinander unterscheiden, gehört die Dimension Introversion – Extraversion. Als extravertiert (wörtlich: außengerichtet) gelten Menschen, die in Fragebögen angeben, dass sie gesellig, gesprächig, aktiv und beziehungsorientiert sind. Introvertierte (wörtlich: Innengerichtete) kreuzen dagegen an, dass sie gegenüber anderen Menschen zurückhaltend sind, ihre Unabhängigkeit lieben und Aktivitäten auch gerne alleine durchführen.

Extraversion und Introversion sind dabei nicht als zwei Schubladen zu verstehen, in die man die Menschheit sauber einteilen könnte. Es sind vielmehr zwei Pole, und Persönlichkeiten befinden sich irgendwo zwischen diesen Polen, manche also auch in der Mitte. Ob sich ein Mensch eher introvertiert oder extravertiert entwickelt, ist weitgehend angeboren, auch wenn natürlich die Lebenserfahrungen bestimmen, wie sich diese Neigung entfaltet. Wer aus seinem zurückhaltenden Partner einen Partylöwen machen will, wird aber genauso auf Grenzen stoßen, wie der, der einen erlebnishungrigen Partner für ein beschauliches Leben gewinnen will.

Menschen lieben unterschiedlich

Der Persönlichkeitsunterschied in diesem Bereich reicht jedoch noch tiefer als bei unterschiedlichen Vorlieben. Extravertierte haben ein starkes Stimulationsbedürfnis und können intensive Sinneseindrücke gut verkraften. Sie fühlen sich daher wohl, wenn etwas los ist. Wenn sie nur schwache Reize erleben, fühlen sie sich schnell leer, gelangweilt und unruhig. Introvertierte dagegen reagieren stark auf Sinneseindrücke, ihnen genügen schwächere Reize, um sich angeregt und berührt zu fühlen. Deshalb brauchen sie Zeiten allein, um die Eindrücke zu verarbeiten und ihren Sinnen eine Pause zu gönnen. Dass introvertierte Menschen als weniger beziehungsorientiert gelten, halte ich für ein Missverständnis. Sie brauchen nur eine andere Dosis in ihren Beziehungen. Wo extravertierte Menschen ihre Liebe durch viele gemeinsame Aktivitäten und intensiven Austausch ausdrücken, zeigt sich die introvertierte Liebe durch eine Empfindungstiefe und eine starke innere Verbundenheit.

Ob Menschen eher introvertiert oder extravertiert sind, beeinflusst auch in der Liebe, wie sie Situationen erleben und was sie brauchen, um sich wohl zu fühlen. Das gleiche Wort kann etwas völlig anderes bedeuten, je nachdem ob Sie introvertiert oder extravertiert sind. Deshalb habe ich für Sie ein kleines Wörterbuch erstellt, das Ihnen Übersetzungshilfen für einige Schlüsselbegriffe der Liebe gibt.

Freizeit – runterkommen oder hochfahren?

Entspannung, die
introvertiert: Angenehme Abschirmung von Reizen; Möglichkeit, Erlebnisse im eigenen Inneren nachklingen zu lassen und auszukosten
extravertiert: Energiespendende Stimulation durch Begegnungen mit anderen Menschen und schöne Erlebnisse

Urlaub, der
introvertiert: Regeneration und Baumeln lassen der Seele an einem Ort sanfter Schönheit
extravertiert: Erlebnissteigerung durch neue, fremdartige Eindrücke und Aktivitäten

Freunde, die
introvertiert: Seelenverwandte, mit denen Gespräche in die Tiefe gehen; Menschen, die inspirieren, die eigene Entfaltung anregen und helfen, das Leben zu bewältigen
extravertiert: Interessante Persönlichkeiten, die Spaß an den gleichen Aktivitäten haben; Gefährten, die einander tatkräftig unterstützen und voranbringen.

Manche Paare fordert es heraus, in der Freizeitgestaltung auf einen Nenner zu kommen. Die Bedürfnisse des anderen können sich geradezu bedrohlich anfühlen: Der Erlebnishunger des einen kann beim anderen die Angst vor Überforderung und Überreizung wecken. Das Ruhebedürfnis des introvertierten Partners kann sich für den anderen wie eine Verurteilung zu Langeweile und einem verpassten Leben anfühlen. Diskussionen, welcher Lebensstil nun „normal“ oder „gut“ ist, bringen natürlich nicht weiter. Es bleibt nichts, als eine Wertschätzung dafür aufzubringen, wie der andere die Welt erlebt. Ein kleiner Trost: Das, was Sie am anderen schon immer lieben, hat auch mit ihrer/seiner Extraversion beziehungsweise Introversion zu tun. Wenn ich Paare berate, dann erlebe ich immer wieder: Wo Wertschätzung ist, finden sich auch Kompromisse. Warum soll der introvertierte Partner zum Beispiel nicht einfach später zur Party dazustoßen, damit jeder ein passendes Maß an Geselligkeit findet?

Nähe – Berührung oder Umarmung?

Gespräch, gutes
introvertiert: respektvolles Erkunden der inneren Welt des anderen; Anvertrauen von Gedanken und Gefühlen, die nicht viele erfahren
extravertiert: unzensierte Öffnung der eigenen Gedanken und Gefühle; fröhliches Eintreten in den inneren Raum des anderen

Medien, soziale
introvertiert: Möglichkeit, mit anderen verbunden zu sein, ohne dass es gleich intensiv und verpflichtend wird (Emoticons: in besonderen Momenten)
extravertiert: Möglichkeit, mit vielen Menschen gleichzeitig im Austausch zu sein (Emoticons: mehr davon!)

Sex, der
introvertiert: sanfte, wohlige Verschmelzung mit dem geliebten Menschen; Eintauchen in intensive Sinneseindrücke, gerne mit geschlossenen Augen
extravertiert: Fortsetzung der Kommunikation mit körperlichen Mitteln; Ort höchster Erlebnissteigerung mit intensivem Austausch und gemeinsamen Experimenten

Auch was Nähe angeht, kann es zu negativen Urteilen kommen: Der extravertierte Partner kann in seiner Direktheit und Intensität auf den anderen grob wirken. Die Vorsicht des introvertierten Partners kann dem anderen gehemmt vorkommen. Solche Urteile können Sie ablegen, wenn Sie nun die Gründe für die Unterschiede kennen. Das macht es leichter, sich in der Mitte zu treffen. Introvertierte Partner lernen dann, Bedingungen zu schaffen, unter denen sie auch eine leichte Überreizung verkraften: Für ein Gespräch könnte das zum Beispiel eine Verabredung zu Hause sein, die hilft, sich auf die Begegnung einzustimmen, unnötige Reize (wie elektronische Medien) abzustellen und sich vielleicht auch mit sanften Reizen wie ruhiger Musik zu umgeben.

Eine ähnliche Einstimmung kann auch beim Sex helfen, sich auf intensivere Reize einzulassen und zum Beispiel den Blickkontakt zu halten oder im erotischen Gespräch zu bleiben. Umgekehrt kann der extravertierte Partner lernen, dass auch er Reize intensiver wahrnimmt, wenn er vorher zur Ruhe und bei sich ankommt. Dann kann auch eine behutsame Annäherung im Gespräch oder beim Sex herrlich intensiv sein.

Aufgaben – Tiefgang oder Tempo?

Job, guter
introvertiert: Möglichkeit, die eigenen Gaben und das eigene Wesen zu entfalten und etwas Gutes beizutragen; ausgewogene Mischung von Teamarbeit und Arbeit alleine
extravertiert: abwechslungsreiche Herausforderung, sich selbst, andere und Projekte in Bewegung zu setzen

Job, schlechter
introvertiert: aufreibende Überreizung; der Aggression anderer ausgesetzt sein, ohne fliehen zu können
extravertiert: lähmende Eintönigkeit und krank machende Freiheitsbeschneidung

Kinder, die
introvertiert: empfindsame Gegenüber, denen man Respekt entgegenbringt und die man gemäß ihrer einzigartigen Persönlichkeit erzieht
extravertiert: fröhliche Wesen, die man anregen, in Bewegung und manchmal auf Kurs bringen muss

In der Aufgabenteilung können sich introvertierte und extravertierte Partner zu einem unschlagbaren Team verbinden. Die Weisheit und das Feingefühl des einen Partners machen die Dynamik und Tatkraft des anderen treffsicherer. Dabei sollte der introvertierte Partner darauf achten, den anderen mit seiner Empfindsamkeit nicht auszubremsen. Der extravertierte Partner dagegen sollte lernen, vor jeder Aktion einen Seitenblick auf den anderen zu werfen und zu spüren, welche Auswirkungen die Aktion wohl auf den anderen hat. Oft genügt eine kleine Rückfrage oder Anpassung, um die Einheit mit dem introvertierten Partner zu wahren.

Vielleicht atmen Sie am Ende dieses Artikels auf, weil Ihre Unterschiede nicht so groß sind. Sie finden leicht Kompromisse, wie intensiv Sie Ihre Kommunikation und Erlebnisse gestalten. Dann helfen Ihnen die Gedanken vielleicht, in manchen Bereichen noch Feinabstimmungen vorzunehmen. Vor allem aber werden Sie andere Paare verstehen, die größere Gegensätze überbrücken müssen. Vielleicht seufzen Sie aber auch und fragen sich, warum die Liebe so kompliziert ist. Doch wenn Kompromisse Sie viel Energie und Kreativität kosten, gewinnen Sie als Paar etwas Wertvolles: eine Einheit, die sehr unterschiedliche Gaben umfasst und sehr unterschiedlichen Menschen Freundschaft bieten kann.

Jörg Berger arbeitet als Psychotherapeut in eigener Praxis in Heidelberg.

Zwischen Nähe und Abstand

Innerhalb kürzester Zeit habe ich die Corona-Abstandsregeln verinnerlicht. So sehr, dass ich schon bei Filmszenen mit freundschaftlichen Umarmungen innerlich zusammenzucke. Schließlich ist Abstand halten das Gebot der Stunde. Und so eiere ich gemeinsam mit anderen durch den Supermarkt – immer vor der Herausforderung, in den maximal 2 Meter breiten Gängen 1,5 Meter Abstand zu wahren.

Corona verhindert Begegnungen. Verhindert Nähe. Verhindert geteilte Freude und geteiltes Leid. Paare dürfen nur zu zweit ins Standesamt. Die Feier mit Familie und Freunden fällt aus oder wird verschoben. Trauerfeiern finden ohne den Trost und die Umarmungen einer großen Trauergemeinde statt. Und Kindergeburtstage werden im Stil von „Dinner for One“ gefeiert: Mama, Papa und Geschwister müssen die Rollen von Oma, Opa, Freunden und Verwandten ausfüllen …

Corona trennt uns. Aber Corona bringt uns auch näher zusammen. An vielen Stellen erleben wir eine unerwartete Solidarität: Eltern zahlen Reitstunden weiter, obwohl ihre Kinder nicht reiten können, damit die Schulpferde weiter versorgt werden. Schüler und Studenten bieten Senioren an, für sie einzukaufen. An den Fenstern wird zeitgleich gesungen, es werden Kerzen angezündet und viele sprechen ein Gebet. Der Ton in dienstlichen Mails wird herzlicher, fürsorglicher: „Bleiben Sie gesund!“

Und viele Menschen finden kreative Lösungen: Videobotschaften für die Hochzeit, Trostkarten für die Beerdigung, digitale Gottesdienste … Oma skypt mit dem Enkel und er schickt ihr ein lustiges Video von seinem Hund.

So muss es weitergehen! Auch wenn Corona uns noch weiter in Atem hält: Lasst uns nicht in Schockstarre oder Jammern verfallen, sondern alles nutzen, was möglich ist. Lasst uns Briefe schreiben und Päckchen verschicken! Greift zum Telefon! Vernetzt euch in den sonst so oft gescholtenen sozialen Netzwerken. Und wenn der Spuk hoffentlich bald vorbei ist: Lasst uns gemeinsam feiern! Ganz ohne Abstand!

Bettina Wendland ist Redakteurin von Family und FamilyNEXT und lebt mit ihrer Familie in Bochum.

Das richtige Maß an Zuwendung

„Unser zweiter Sohn (3) ist ein sehr braves und kooperierendes Kind. Die Geburt seiner kleinen Schwester vor wenigen Monaten hat er gut weggesteckt. Nun fragte mich eine Erzieherin, ob er zu kurz komme. Sollte ich ihm mehr Aufmerksamkeit schenken, obwohl er so unproblematisch ist?“

Rückmeldungen von außen haben einen Wert. Sie sind deshalb so wertvoll, weil sie Eltern die Möglichkeit geben, einen Schritt zurückzutreten und ihr Verhalten, das ihres Kindes und das Zusammenspiel als Familie bewusster wahrzunehmen. Dabei können einige wichtige Veränderungen für die Entwicklung des Kindes angestoßen oder gar ein verfahrenes negatives Muster zwischen Eltern und Kind entlarvt werden. Alles in allem ist es eine Einladung zum Hinsehen.

BEWUSST BEOBACHTEN

Wachsame und mitdenkende Erzieherinnen sind eine Bereicherung. Jedoch haben Menschen mit pädagogischem Beruf wie Erzieher oder Lehrer, aber auch Großeltern oder Freunde nicht per se den „besseren“ Blick auf das eigene Kind. Wenn Fachkräfte aber zum genauen Hinsehen auffordern, kann das dazu führen, dass Eltern sich vergewissern: So wollen wir das Miteinander. Es ist gut so. Sicherlich war die Begegnung mit der Erzieherin, von der Sie berichten, nicht ganz einfach. Die Aufgabe, Ihren Sohn, seinen großen Bruder und nun auch noch das Baby nicht aus dem Blick zu verlieren, ist sicherlich fordernd genug für Sie. Doch anstatt sich mit Fragen und Vorwürfen zu beschäftigen, möchte ich Sie ermutigen, diese Rückmeldung als Chance zu sehen, Ihren Sohn und sein kooperierendes Verhalten einmal bewusst zu betrachten. Folgende Fragen können Ihnen dabei helfen: Drückt er Ärger aus, wenn er übersehen oder missverstanden wird? Gibt es Momente, in denen er einen bewussten Blickkontakt oder Kuschelzeit von Ihnen benötigt? Wissen Sie, was ihn zum Lachen bringt, was er gern isst oder welches Buch gerade sein Favorit ist? Diese kleinen Alltagsmomente können Hinweise sein, ob er mit seiner wenig fordernden Art ausreichend Nähe bekommt und seine Bedürfnisse ausdrückt.

EMOTIONEN BENENNEN

Sie können ihm dabei helfen, seine Gedanken und Wünsche zu erspüren. Manchmal hilft eine kleine Minute mit einem Bilderbuch oder einem Wimmelbuch, in dem Menschen verschiedene Emotionen durch ihren Gesichtsausdruck zeigen. Sie können bewusst fragen: Wann bist du zornig? Anschließend können Sie mit einem Spiel verschiedene Gesichtsausdrücke aus dem Buch nachahmen. Um ihm zu helfen, sich wahrgenommen zu fühlen, nennen Sie zum Beispiel am Esstisch bewusst seinen Namen, sehen Sie ihn an und lassen Sie ihn als Erstes ausdrücken, was er für sein Brot als Aufstrich wählt. Oder fragen Sie ihn während der Autofahrt: „Wie fühlst du dich? Welches Lied wollen wir zusammen singen?“

Insgesamt muss er nicht unbedingt auf ein Geschwisterchen mit Aufruhr und Trotz reagieren. Es gibt Kinder, die in sich ruhen und auch auf starke Veränderungen sehr gelassen reagieren. Auch das darf das Ergebnis Ihrer Beobachtung sein.

Stefanie Diekmann ist Pädagogin und Autorin und lebt mit ihrer Familie in Göttingen.
Illustration: Sabrina Müller, sabrinamueller.com