Mit der Checkliste zur Traumfrau

Nach dem Tod seiner Frau sucht Franz nach einer neuen Partnerin anhand einer Liste mit 30 Punkten und findet Andrea.

Die Lebensgeschichte der Lermers liest sich wie ein Roman, bei dem der Autor arg dick aufgetragen hat. Das passt doch alles gar nicht in zwei Leben! Nach dem plötzlichen Tod seiner Ehefrau sucht Franz in einer besonders trüben Stunde nach einer neuen Partnerin anhand einer Liste mit 30 Punkten – Eigenschaften, die seine Traumfrau erfüllen soll. Und er findet Andrea auf einer Internetplattform. Auch sie ist schwer vom Leben gebeutelt. Sie hat eine katastrophale Ehe hinter sich, in der sie Missbrauch und Gewalt erlebt hat. Die Verbindung endete mit dem Selbstmord des Ehemannes.

Heute leben Andrea und Franz Lermer zusammen mit ihren vier Kindern als Patchworkfamilie in Sachsen und betreiben eine Landwirtschaft mit Westernflair. Ihre Seminare auf der Ranch sind immer ausgebucht, obwohl sie keine Werbung dafür machen und obwohl man dort weder Reiten noch Lassowerfen lernen kann. Denn eigentlich wollen sie vor allem von Jesus erzählen – mitten im säkularisierten Osten, wo sich drei Viertel der Bevölkerung keiner Religion zugehörig fühlen.

Christof Klenk hat die Lermers in Hainichen besucht.

Leute öffnen sich

Sie sind beide verwitwet, haben heftige Schicksalsschläge erlebt und bieten Seminare mit dem Titel „Heil und gesund“ an. Inwiefern helfen Ihre Erfahrungen da?

Franz: Das ist unser Kapital. Viele fühlen sich völlig unverstanden in ihrer Situation, kommen zu uns und merken: Hier versteht mich doch jemand. Vielleicht haben sie Missbrauch erlebt wie Andrea. Vielleicht finden sie sich in den wirtschaftlichen Geschichten wieder, die ich erlebt habe.

Andrea: Wir erleben, dass sich Leute öffnen können, weil sie sagen: Ich habe fast die gleiche Geschichte. Manchmal erzählen sie uns Dinge, die sie nicht mal ihren Psychiatern erzählen. Manchmal wissen sie auch gar nicht, warum sie solche Schwierigkeiten im Leben haben.

Und was bieten Sie ihnen an?

Franz: Viele Leute suchen Heilung. Wir sind keine Therapeuten, keine Seelsorger, sondern für die Leute da. Wir raten niemandem ab, zum Arzt oder Therapeuten zu gehen. Unsere Seminare dauern eineinhalb bis drei Tage, in denen wir als Christen von uns erzählen und was wir mit Gott erlebt haben. Wir beten auch für die Menschen – und erleben, dass Gott handelt.

Andrea: Ich war am Anfang total hilflos, wenn die Leute anfingen, ihre Geschichte zu erzählen. Ich hatte keine Lösung für ihre Situation und habe gemerkt: Das kann ich gar nicht tragen. Dann haben wir angefangen, für die Menschen zu beten – und für Gott gab es eine Lösung.

In jedem steckt ein Cowboy

Welche Rolle spielen die Pferde und eure Ranch in dem Prozess?

Franz: Das gehört zu unserer Geschichte. Wir züchten Pferde und verkaufen sie; das ist unser Hobby. Wir haben eine Landwirtschaft, wo wir Black Angus-Rinder züchten. Das ist unser Flair, und die Leute finden es toll. Die Atmosphäre wirkt entspannend. Am Anfang haben wir versucht, die Pferde mit einer therapeutischen Rolle einzubeziehen. Das lenkt aber eher ab von dem, was uns wichtig ist.

Andrea: Bei den Seminaren haben wir den Stall immer geöffnet. Man kann die Pferde streicheln, wir bieten aber kein Reiten an.

Franz: Über dem Stall haben wir einen Saloon. Das ist unser Veranstaltungsaal, in den 100 Leute reinpassen. Dort machen wir unsere Seminare. Diese Umgebung holt die Leute ab. Wir dachten am Anfang, dass sie das möglicherweise doof finden, aber scheinbar steckt ein Cowboy in jedem.

Andrea: Uns gefällt das. Wenn wir irgendwo ohne Hut hinkommen, dann sagen die Leute manchmal: „Habt ihr den Hut nicht dabei?“

Als ihr euch kennengelernt habt, hattet ihr beide eine schwere Geschichte hinter euch. Hat euch das verbunden?

Andrea: Am Anfang hat es uns schon verbunden, dass wir beide unsere Partner verloren hatten und in einer ähnlichen Situation steckten. Man fühlte sich verstanden. Wir konnten uns über Vieles austauschen.

Franz: Trotzdem hätte auch alles schief gehen können, gerade mit den Kindern. Wir kennen so viele Geschichten, die so sind wie unsere, bei denen es überhaupt nicht funktioniert hat. Patchwork – das ist für viele die Hölle.

Und könnt ihr erklären, warum es bei euch funktioniert?

Franz: Die einzige Erklärung, die ich abgeben könnte, wäre unsere Kennenlerngeschichte. Ich habe meinen Kindern ein Bild von Andrea gezeigt und die waren überzeugt, dass sie sie bereits kennen. Bei Andreas Eltern und Kindern war’s genauso, als sie ein Bild von mir sahen. Da sind wir in eine offene Tür reingefallen. Unsere Kinder waren damals 9, 12, 13 und 16.

Andrea: Die Kinder von Franz haben mich sehr schnell gefragt: „Kann ich zu dir Mama sagen?“ Da bin ich fast vom Stuhl gefallen.

Franz: Und wir haben über die Jahre in dem Bewusstsein gelebt, dass sich das auch noch mal ändern kann; aber jetzt sind es mehr als zehn Jahre.

Unerträglicher Schmerz

Konntet ihr euch in dem Trauerprozess helfen?

Andrea: Als wir uns kennengelernt haben, war der Trauerprozess noch nicht abgeschlossen.

Franz: Wir haben uns vier Monate nach dem Tod unserer Ehepartner kennengelernt.

Andrea: Wir haben viel gesprochen, gefragt: „Wie geht es dir?“ und haben das ausgewertet. Es war übernatürliche Heilung, das kann ich nicht anders sagen.

Franz: Ich hatte nach dem Tod meiner Frau das Gefühl, dass ich auf der Brust eine blutende Wunde habe, ein unerträglicher Schmerz. In einem Bild: Wie ein riesiger Haufen Sand vor der Tür, der wegmuss. Du kannst das Ding ignorieren und auf 50 Jahre verteilt wegschaufeln, aber so lange klebst du auch daran fest. Ich habe mich schnell da durchgewühlt, geschaufelt wie ein Kaputter und bin durch den Trauerprozess gegangen.

Und was bedeutet das Schaufeln …?

Franz: Sich damit konfrontieren, auseinandersetzen, drüber nachdenken, das zulassen.

Andrea: Es ist so: Der Partner ist plötzlich weg. Die Welt dreht sich aber weiter. Du hast alles noch an der Backe. Das Leben hört nicht auf deswegen. Und dann ist die Frage: Wie machst du jetzt weiter?

Franz: Wir raten den Leuten davon ab, das Gedenken an den Verstorbenen ständig am Leben zu erhalten. Der Tod geht knallhart mit dir um. Wir empfehlen den Leuten darum: „Entferne dich bewusst davon, lass los, geh in dein neues Leben!“ Du kannst auch entscheiden, daran festzuhalten. Aber dann wird es dich immer begleiten. Und wenn du eine neue Beziehung hast, dann hat der alte Partner dort nichts mehr zu suchen. Das tut nicht gut.

Andrea: Ich musste immer wieder dagegen ankämpfen, dass ich mir keine Selbstvorwürfe mache. Wenn sich der Partner umgebracht hat, dann fängt man an, die Schuld bei sich selbst zu suchen. Da musste ich loslassen und mir klar machen, dass das nicht meine Verantwortung war.

Der eigene Mann am Strick

Bevor Ihr Mann sich umbrachte, waren Sie mit den Kindern zu Ihren Eltern geflüchtet, weil Ihr Partner Sie geschlagen hatte. Kann man da überhaupt trauern?

Andrea: Am Anfang schon. Ich hatte mir zwar immer wieder gewünscht, dass ich aus dieser Beziehung rauskomme, aber wenn man dann den Partner am Strick hängen sieht, dann ist es nochmal was ganz Anderes.

Franz: Man könnte sagen: Du hast, egal was vorher war, eine „Best of“-Sammlung von Erinnerungen.

Andrea: Das fängt automatisch an. Man versucht sich an die wenigen schönen Situationen zu erinnern. Da gibt es schon einen massiven Trauerprozess. Später hat sich das umgewandelt in Wut und Anklage; das musste ich Stück für Stück bearbeiten.

Viele tun sich schwer damit, sich nochmals auf eine neue Beziehung und ein neues Umfeld einzulassen. Was war für euch ausschlaggebend für diesen Schritt?

Andrea: Ich glaube, das war Gottes Reden damals. Das, was wir gemacht haben, war ganz schön waghalsig. Ich habe meinen Job aufgegeben, meine Wohnung gekündigt, bin mit zwei Kindern hierhergezogen. Das hätte alles super schiefgehen können.

Franz: Wir haben gemerkt, dass wir uns nach einer dauerhaften, langfristigen Beziehung sehnen. Das ist eine Grundsehnsucht. Die Frage ist nur, welche Erfahrungen man gemacht hat. Das ist völlig unterschiedlich. Wir haben eine Menge Paare in unseren Seminaren, die richtig um ihre Ehe kämpfen. In einem Seminar war das besonders krass: Da kamen sechs Ehepaare – die Partner sind zum Teil getrennt angereist – und alle sechs Paare haben erzählt, dass sie sich auf diesem Seminar versöhnt haben. Sie haben sogar Scheidungstermine abgesagt … unglaublich, was da passiert ist!

Uns beiden hilft unsere „Bubble-Time“. Wir erzählen davon in unseren Seminaren: Seit fünf, sechs Jahren setzen wir beide uns jeden Tag in der Früh zusammen und tauschen uns aus: „Wie geht es dir emotional, geistlich, wie geht’s dir körperlich und mit deiner Sexualität?“ Und versuchen dadurch immer wieder eine Einheit als Paar zu finden.

So eine „Bubble-Time“ hat vier Fragen, habe ich gelernt …

Franz:  Ja. Wir stehen so früh auf, wie es notwendig ist. Und dann sagen wir uns etwa: „Ich fühle mich geliebt“, das heißt: Es ist alles gut. Meine Liebestanks sind voll. Das miteinander abzuchecken, halten wir für hilfreich.

Andrea: Ich bin der Umarmungstyp. Er schenkt mir den ganzen Tag Aufmerksamkeit, aber …

Franz: … Ich mag das schon, denke aber nicht immer dran. Für mich ist es viel wichtiger, dass du da bist.

Andrea: Ich habe dann erwähnt, dass ich mir eine Umarmung wünsche. Er hat darauf gesagt: „Mensch, das habe ich gar nicht auf dem Schirm.“ Wir haben uns kleine Hilfestellungen gegeben. Er hat beispielsweise gesagt: „Pass auf, dann umarme ich dich jetzt dreimal.“ Das hört sich jetzt dumm an, daraus ist aber was Tolles entstanden.

Franz: Bubble kommt von Seifenblase. Die Einheit, um die es da geht, ist so empfindlich wie eine Seifenblase. Ein doofer Blick kann unsere Einheit zerstören.

Die Liste

Frau Lermer, wie haben Sie es geschafft nach den Erfahrungen, die Sie gemacht haben, wieder einem Mann zu vertrauen?

Andrea: Wir haben viel miteinander gesprochen. Das ist der Schlüssel gewesen. Natürlich hat mir auch die Liste geholfen, die der Franz geschrieben hat.

Was ist das Besondere an dieser Liste?

Franz: Die Liste beschreibt eine Frau, wie ich sie gesucht habe. Ich hatte nach dem Tod meiner ersten Frau den Eindruck, Gott sagt mir, ich solle eine solche Liste erstellen. Nach 28 Punkten war ich fertig, hatte dann aber noch die Eingebung, zwei Punkte dazu zu schreiben: Pferd und Bauernhof … Dabei hatte ich damals mit beidem gar nichts am Hut! Und nun sitzt die Frau, die ich in der Liste beschrieben habe, eins zu eins hier! Es stimmt alles. Größe, Gewicht, Haarfarbe … Alles passt.

Vielen Dank für das Gespräch!

Zwischen Mauerfall und Brexit

Viola Ramsden ist in der DDR aufgewachsen, hat als Jugendliche die Wendezeit erlebt und viele Jahre an verschiedenen Orten gewohnt – unter anderem in London. Nun ist sie wieder in ihre „Heimat“ zurückgekehrt und denkt darüber nach, wo sie eigentlich hingehört.

Ich bin ein Wendekind. Ein Zonenmädchen. Eine Vertreterin der „Dritten Generation Ost“. Damit gehöre ich zu den rund 2,4 Millionen Menschen, die ihre Kindheit zunächst in der DDR erlebten und anschließend im vereinigten Deutschland erwachsen wurden. Vor einiger Zeit las ich in der WELT, dass wir Zonenkinder mit unserer unablässigen Identitätssuche etwas verzweifelt wirkten. Auch ich habe mich auf die Suche nach Wurzeln und Identität begeben. Ich schreibe sogar regelmäßig darüber in meinem Blog. Doch verzweifelt fühle ich mich dabei kaum. Im Gegenteil: Das Nachforschen hat mich inspiriert, befreit und selbstbewusster gemacht.

Heimat im Erzgebirge

Meine (gefühlte) „Heimat“ ist das Erzgebirge. Hier habe ich meine relativ behütete Kindheit zu DDR-Zeiten verbracht und bin danach während der Pubertät im stressig-verwirrenden, kompliziert-ostdeutschen Chaos der Wendejahre groß geworden. Mein erzgebirgisches Elternhaus ist der Ort, an den ich seither immer wieder zurückkehre, auch wenn sich mein derzeitiger Wohnsitz mal wieder geändert hat.

Von Norddeutschland nach Jerusalem

Nach dem Abitur verschlug es mich als Praktikantin zuerst nach Norddeutschland und dann in den Ruhrpott, bevor ich als Studentin in Marburg und Cambridge lebte. Später verbrachte ich einige Zeit als Volontärin in Jerusalem und Berlin, ehe ich vor 13 Jahren nach London ging. Dort habe ich bis vor kurzem gelebt, geliebt und gearbeitet. Nun sind wir als Familie – mein britischer Mann, mein Kind und ich – nach Deutschland gezogen. Ein unstetes Erwachsenenleben, mit vielen Stationen, Zwischenstopps und noch mehr Adressen. Woran liegt das?

Unterwegs aus Abenteuerlust

Ich vermute, dass eine Mischung verschiedener Faktoren dazu beigetragen hat: die komplexen Erlebnisse und oft schwierigen Zusammenhänge der Wendezeit, mit denen wir ostdeutschen Jugendlichen konfrontiert waren, gepaart mit individueller Neugier, dem Globalisierungsprozess und sich daraus ergebenden Möglichkeiten sowie Abenteuerlust, Weltoffenheit und einer gewissen inneren Unruhe. Trotz aller Weltenbummelei empfinde ich meine ostdeutsche Herkunft auch heute noch als prägend. In meinem Blog denke ich immer wieder ausführlich darüber nach, wie und weshalb das so ist.

Unaufhörlicher Kulturschock

Der abrupte Wechsel von einer vertrauten Gesellschaftsordnung zu einem völlig neuen System fühlte sich in den 90er Jahren wie ein unaufhörlicher Kulturschock und Stresstest an. Allerdings hätte ich das zu dem Zeitpunkt so nicht artikulieren können. Damals musste man da einfach irgendwie durch. Überleben. Alles Neue so schnell wie möglich verstehen und sich zu eigen machen. Verletzungen wurden ignoriert und Hilfestellungen gar nicht erst erwartet.

Als „Ossi“ abgestempelt

Dieser intensive Umbruch hat bei allen Ostdeutschen tiefe Spuren hinterlassen. Ich selbst gehörte zu den Heerscharen junger Menschen, die den Osten verließen, weil sich anderswo bessere Chancen boten. Wie so viele bemühte ich mich um schnelle, bedingungslose Anpassung, um ja nicht als „Ossi“ abgestempelt zu werden. Ich wollte stattdessen als eigenständige Persönlichkeit mit individuellem Charakter, Fähigkeiten und Eigenarten gemocht und anerkannt werden. Meistens gelang das auch, aber doch war da immer das Gefühl, nicht ganz ich selbst zu sein und mit meinen spezifisch ostdeutschen Erfahrungen nicht wirklich verstanden zu werden.

Die Außenseiterin

Es gab Momente, in denen ich meinen Background bewusst verschwieg. Und so manches Mal fühlte ich mich inmitten von gleichaltrigen Westdeutschen als Außenseiterin. Denn natürlich galt das Westdeutsche immer als die (unausgesprochene) Norm, während ostdeutsche Befindlichkeiten als weniger gut, richtig, wertvoll, cool, bedeutsam oder lebenswert wahrgenommen wurden. Eine anstrengende Zeit, die aber auch mit vielen schönen, interessanten und unbeschwerten Jugenderfahrungen, neuen Freundschaften, Spaß und Gelegenheiten gefüllt war.

Neue Heimat: London

So richtig zu mir selbst gefunden habe ich erst während meiner Zeit in London. Denn hier war das Westdeutsche nicht mehr der Normalfall. Inmitten einer kosmopolitischen Metropole wurde ich als eine von vielen verschiedenen Ausländerinnen wahrgenommen. Mein Kollegen-, Freundes- und Bekanntenkreis rekrutierte sich aus einer Mischung von Menschen aller Kontinente mit den verschiedensten kulturellen und ethnischen Hintergründen, Hautfarben, Religionen und Eigenschaften. Uns alle verband dabei die Erfahrung, sich als Migranten in einem anderen Land zurechtfinden zu müssen. So fühlte ich mich in London schon bald wie zu Hause, und dieses Gefühl hielt über viele Jahre an.

Nicht mehr willkommen

Doch dann erlebte ich eine weitere politische Wende: den Brexit. Nach dem Referendum vor über drei Jahren fühlte ich mich in meiner englischen Wahlheimat nicht mehr willkommen. Die Grundlage, auf der ich mir als EU-Bürgerin dort ein Leben aufgebaut hatte, war plötzlich verschwunden. Hinzu kam die Familiengründung. Bereits seit Jahren hatte ich meine Ursprungsfamilie immer mehr vermisst. Dieses Gefühl verstärkte sich nach der Geburt unseres Kindes zusehends. Die Familie meines Mannes lebt noch weiter weg, in Südafrika. So entschieden wir uns, gemeinsam nach Deutschland zu gehen.

Ungläubiges Staunen

Da wir vorerst einmal zurück in meinen erzgebirgischen Heimatort gezogen sind, bin ich gerade recht intensiv damit beschäftigt, mein Verhältnis zur „Heimat“ neu auszuloten. Es ist eine merkwürdig vertraute Erfahrung, nach einem halben Leben in der Ferne mit einem Mal wieder da zu sein. Momentan herrschen dabei zwei Empfindungen vor. Zuerst eine Art ungläubiges Staunen und Glücksgefühl, dass wir als Familie jetzt hier sein können. Eine riesige Freude darüber, dass mein Sohn sich inmitten der größeren Familie so unglaublich wohl fühlt. Es ist wunderschön zu erleben, wie viele Leute sich über unsere Rückkehr freuen. Ich genieße es, so viel Zeit wie möglich mit Menschen zu verbringen, die ich so lange vermisst habe. Das Gefühl, gewollt zu sein, tut gut! Die andere Komponente ist der Umzug von einer Großstadt aufs Land. Da sind die Gefühle gemischter. Zwar ist es schön, den Stress und die Isolation hinter sich zu lassen, und ich schätze die idyllische Umgebung. Aber ich vermisse die Vielfalt von Menschen und Möglichkeiten.

Wurzeln sind wichtig

Meine ostdeutsch-erzgebirgischen Wurzeln sind für mich mit der Zeit immer wichtiger geworden. Da finden sich viele wesentliche Erfahrungen und Werte, die mich durchs Leben begleiten und leiten: eine Grundeinstellung von Bodenständigkeit und Echtheit, die mich dazu ermutigt, mir selbst treu zu bleiben und mich nicht vom Schein unwichtiger Dinge blenden zu lassen. Dazu kommt jene rigorose Flexibilität, aus den Umständen das Beste zu machen. Eine Eigenschaft, die vor allem während der vielen Jahre im Ausland unentbehrlich schien. Wertvoll sind mir zudem Familien- und Gemeinschaftssinn sowie das stetige Suchen nach tiefen und authentischen Beziehungen. Zu DDR-Zeiten erlebte ich in unserem Dorf ein Umfeld, in dem die meisten Menschen mit ähnlichen finanziellen und sozialen Umständen zurechtkamen. Wohl auch deshalb ist für mich heute eine unstrittige Gleichwertigkeit und Gleichberechtigung meiner Mitmenschen von zunehmender Bedeutung – inklusive diverser ethnischer, kultureller und religiöser Hintergründe, sowie unabhängig von Geschlecht, sozialem Status, finanziellen Mitteln und sexueller Orientierung.

Zu spät Mutter

Natürlich gibt es in meiner Prägung auch Aspekte, die mein heutiges Leben weniger positiv beeinflussen. Da ist zum Beispiel jener Begriff des ostdeutschen „Gebärstreiks“, weil junge Frauen nach der Wende eine Zeit lang kaum noch Kinder zur Welt brachten. Auch ich war damals komplett damit beschäftigt, mich in meinem neuen Umfeld zurechtzufinden. Später investierte ich meine Energie vor allem darin, mir im Ausland ein Leben aufzubauen. Hinzu kamen einige komplizierte Beziehungserfahrungen. So verging viel Zeit, bevor ich damit anfing, bewusst in ein gemeinsames (Familien-)Leben zu investieren. Nun genieße ich das Mamasein und das Zusammenleben in unserer liebevollen Kleinfamilie sehr. Manchmal wünschte ich mir jedoch, dass ich damit schon etwas eher hätte beginnen können.

Zukunftsangst

Auch das in der Pubertät durchlebte Chaos der Wendejahre hat seine schwierigen Spuren hinterlassen. So kommt es immer wieder vor, dass ich mit Zukunftsangst kämpfe. Ganz besonders habe ich das durch den Brexit gespürt. Die dadurch ausgelöste politische Unsicherheit mit nicht absehbaren Folgen für mein eigenes Leben hat mich unendlich gestresst. Zum Schluss bleibt die Frage: „Wo gehöre ich hin?“ Die Antwort darauf verweist jedoch auf keinen Ort, sondern auf Beziehungen, die mich über die Jahre hinweg begleiten. Das ist vor allem meine Familie, aber auch die Beziehung zu Gott, die mich durch meinen christlichen Glauben weiter trägt. Denn wo immer ich auch gerade bin, kommt mein Glaube mit, ist mein Gott schon da.

Viola Ramsden ist Marketing-Managerin im Erziehungsurlaub sowie Gesprächstherapeutin und Bloggerin unter Myostblog. Sie lebte in den letzten 13 Jahren in London und wohnt momentan mit ihrer Familie im Erzgebirge

„Unsere Trauer will Ausdruck finden“

Monika Osmaston-Zakes wurde innerhalb von zwei Jahren mit dem plötzlichen Tod ihrer Mutter und ihres Mannes konfrontiert. Bei diesen persönlichen Abschieden ist sie viele steinige Trauerwege gegangen. Und hat schließlich eine Ausbildung zur Trauerbegleiterin gemacht. Mit ihrem Buch „Begleitet in meiner Trauer“ möchte sie anderen Trauernden auf ihren Wegen zur Seite stehen.

Ein Buch zum Thema „Trauer“ zu schreiben, stelle ich mir schwierig vor. Trauer ist ja sehr individuell, oder?
Ja, Trauer ist etwas sehr Individuelles. Je nachdem, wen ich verloren habe, unter welchen Umständen, je nach Lebensgeschichte und nach Temperament zeigt sich Trauer sehr unterschiedlich. Und trotzdem bewegt sie sich für jeden auch in ähnlichen Themenfeldern. Mein Trauerbuch sollte kein Rezeptbuch werden, sondern vor allem ermutigen zu einem eigenen Weg. Dadurch dass ich Beispiele aus meinem eigenen Erleben oder dem anderer Trauernder erzähle, will ich verschiedene Fenster öffnen: „Aha, so könnte ich damit umgehen.“ Und dann muss jeder schauen, was für ihn oder sie stimmig ist. Von daher sind es immer Angebote, aber keine Rezepte.

Gibt es denn bestimmte Phasen der Trauer?
Ich schreibe in meinem Buch nicht von Phasen, sondern von Gezeiten, in Anlehnung an Ruthmarijke Smeding und ihr Modell „Gezeiten der Trauer“. Ich finde die Bilder aus diesem Modell sehr passend: Die Schleusenzeit beginnt mit dem Eintritt des Todes und findet in der Beerdigung ihren Abschluss. Sie ist damit eine nicht wiederkehrende Zeit im Trauerprozess. Im Bild des Januskopfes – benannt nach dem römischen Gott Janus, der ein nach vorn und hinten gerichtetes Gesicht hat – kommt sehr treffend zum Ausdruck: Das, was war, ist nicht mehr, und die Zukunft ist noch nicht vorstellbar. Dies ist häufig begleitet von heftigen Trauerreaktionen. In der Labyrinthzeit geht es darum: Wer bin ich ohne den anderen? Und wie finde ich ohne den anderen in mein neues Leben? Hier ist das Labyrinth ein wunderschönes Bild: Ich gehe nicht verloren wie im Irrgarten, sondern ich werde meinen Weg finden – über viele Kehren und Wendungen. Ich werde zu meiner Mitte finden und auch wieder herausfinden aus der Trauer. Eine weitere der Gezeiten ist die Regenbogenzeit. Der Regenbogen steht ja schon in der Bibel für Hoffnung und für die Zusage Gottes: „Ich bin mit dir.“ Trauer ist kein linearer Prozess. Schon am Anfang des Trauerprozesses kann ich ganz viel Hoffnung und Trost empfinden, und dann wieder holen mich heftige Reaktionen ein, weil ich den anderen schmerzlich vermisse.

Heilt die Zeit alle Wunden?
Nein, das tut sie nicht. Die Zeit schafft Abstand zu dem, was geschehen ist. Die Zeit eröffnet mir einen Zeitraum, in dem Heilung geschehen kann. Aber die Zeit an sich heilt keine Wunden. Es gibt Trauerverläufe, in denen die Trauer nach ganz langer Zeit aufbricht, da sie vorher keinen Ausdruck gefunden hat.

Wie kann ich der Trauer denn Ausdruck geben?
Die Trauer will mir helfen, den Verlust in mein Leben zu integrieren. Wenn ich der Trauer Ausdruck gebe, dann wird sie sich mit der Zeit verändern. Eine Möglichkeit, der Trauer Ausdruck zu geben, ist es, den Tränen freien Lauf zu lassen und zu wissen, dass darin auch der Schmerz abfließen kann. Tränen signalisieren ja auch den anderen: Ich brauche euch jetzt, ich brauche eure Nähe, eure Zuwendung. Wenn ich Menschen habe, die dafür offen sind, kann ich mich ihnen mitteilen. Oder ich kann kreative Ausdrucksformen finden. Ob im Erzählen, im Schreiben, im Gestalten, im Weinen, im Schreien, in der Klage Gott gegenüber. Und dann kann sich langsam etwas verändern. Und sich vielleicht in Dankbarkeit, vielleicht in neue Zuversicht wandeln.

Sie haben gerade die Klage Gott gegenüber erwähnt. Wie kann der Glaube in der Trauer helfen?
Auf ganz vielfältige Weise. Zum einen bietet mir der Glaube einen Raum und ein Gegenüber für meine Klage. Meine Klage geht nicht ins Leere, ich kann darüber mit Gott ins Gespräch kommen. Sie ihm vor die Füße werfen. Mit ihm ringen. Und selbst wenn ich keine Worte finde, hört Gott meinen stillen Schrei. Und der Glaube gibt mir eine Hoffnung, die Hoffnung auf Auferstehung. Er gibt mir damit auch einen Platz für den Verstorbenen. Ich glaube, alle Trauernden fragen sich nach dem Tod eines nahen Menschen: Wo ist mein Verstorbener jetzt? Und jeder macht sich ein Bild. Hier hat der Glaube ganz starke Hoffnungsbilder. Und das kann mich mit meinem Verstorbenen verbinden, dass er bei dem Gott ist, an den ich auch glaube. Außerdem hilft der Glaube durch seine Rituale: sowohl die gemeinschaftlich praktizierten wie das Totengedenken am Ewigkeitssonntag, die Auferstehungsfeier am Ostermorgen oder die Fürbitten in der Kirche, als auch die individuell praktizierten, indem Sie ein Abendgebet sprechen oder morgens Ihren Tag bewusst mit Gott beginnen. Ich finde, dass der Glaube eine große Stütze und eine große Stärke sein kann.

Wo finde ich Hilfe, wenn ich merke, dass ich allein nicht klarkomme?
Sie können sich an das örtliche Hospiz wenden. Hospize haben meist nicht nur Angebote für sterbende Menschen, sondern auch für trauernde Menschen: Einzelbegleitungen oder Trauergruppen, Trauercafés oder Trauerseminare. Im Internet findet man auch verlustspezifische Angebote, wie den Verband für verwaiste Eltern, für verwitwete Menschen oder für Angehörige nach Suizid oder Gewaltverbrechen. Der Bundesverband Trauerbegleitung hat eine Homepage, wo man lokale Trauerbegleiter/innen finden kann. Niemand muss allein unterwegs sein. Es gibt vielfältige Angebote.

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Bettina Wendland.

 

Buchtipp: Monika Osmaston-Zakes: Begleitet in meiner Trauer. Ein Hoffnungsbuch für schwere Zeiten (SCM Hänssler)

Im Training bleiben

Fast jeder Mensch träumt vom Glück in der Liebe. Aber warum tun wir so wenig für die Beziehung, wenn wir erst mal den Partner fürs Leben gefunden haben? Von Marc Bareth

Es ist ein schwülheißer Dezembernachmittag in Kenia. Meine Frau und ich sind als Referenten beim dreitägigen Leadership-Training einer lokalen Kirche im Einsatz. Jetzt, nach getaner Arbeit, lassen wir uns gerne vom Bischof die Gegend zeigen. Wir kaufen einer Frau die letzten Mangos des Tages ab. Sie schneidet sie uns gleich auf. Als wir mit ihr sprechen, erscheint ihr Sohn Carlos. Ein schlanker Junge, etwas scheu, aber mit einem verschmitzten Lächeln auf dem Gesicht.

Carlos Kiprop ist dreizehn Jahre alt und hat einen Lebenstraum, dem er vieles unterordnet: Er möchte Profiläufer werden und gehört zum Stamm der Kalendjin. Und die Kalendjin sind Läufer. „Die einzig wahren Läufer“, so ihr Selbstverständnis. Tatsächlich kommen viele der weltbesten Stars aus diesem Dorf, an dessen Eingang ein großer Bogen mit der Aufschrift „Home of Champions“ steht. Auf dem Gelände der St. Patricks High School etwas außerhalb des Ortskerns dürfen nur die ehemaligen Schülerinnen und Schüler einen Baum pflanzen, die Weltmeister, Olympiasieger oder Weltrekordhalter sind. Es sind unzählige Bäume. Als wir durch die Anlage geführt werden und die Namen der Ausnahmeathleten auf den Schildern vor den Bäumen lesen, verstummen wir ehrfürchtig. Und fragen uns gleichzeitig: Wie kann ein so verschlafenes Kaff irgendwo im Hinterland von Kenia so viel Exzellenz hervorbringen?

Carlos investiert einiges, damit sein Traum in Erfüllung gehen wird. Um 6 Uhr früh macht er das, was einem dreizehnjährigen Teenager in Europa so ziemlich zuletzt einfallen würde: Er läuft ganz allein 5 Kilometer den Berg hoch und dann wieder runter. Das macht er jeden Tag, selbstverständlich auch am Wochenende. Nach dem morgendlichen Berglauf geht er zur Schule. Doch Carlos freut sich vor allem auf die Nachmittage, denn dann absolviert er mit seinem Schulteam das zweite Training des Tages. Er ist stolz darauf, dass er seine Schule im 3000-Meter-Hindernislauf repräsentieren darf.

Die Geschichte von Carlos klingt in uns bis heute nach. Wir haben uns gefragt, was wir im Westen bereit sind, in unsere Lebensträume zu investieren, zum Beispiel und im Besonderen in das Ziel einer langjährigen glücklichen Partnerschaft. In einer Umfrage gaben 81 Prozent aller deutschen Frauen und Männer an, dass eine dauerhafte Partnerschaft ein Lebenstraum von ihnen ist. Eine gelingende, erfüllende Beziehung ist für uns also ein sehr wichtiges Ziel. Das ist auch ein Grund dafür, dass das Auseinanderbrechen einer Partnerschaft immer ein massiver Einschnitt ist.

NUTZEN EINER STARKEN BEZIEHUNG

Der Nutzen einer starken, lebenslangen Partnerschaft ist wissenschaftlich klar erwiesen. Sie macht nicht nur glücklicher, sondern auch wohlhabender sowie körperlich und geistig gesünder. Und nicht zuletzt bietet sie ein sicheres Umfeld für das Aufwachsen von Kindern. Die Harvard Study of Adult Development läuft seit 1938 und ist eine der aussagekräftigsten Studien über das Leben und die Entwicklung von Erwachsenen. Die gesammelten Daten über das Leben der Studienteilnehmer und ihrer Partner, ihrer Kinder und ihrer Großkinder würden eine ganze Bibliothek füllen. Der mittlerweile vierte Direktor dieser Studie, Robert Waldinger, beschreibt eine wichtige Erkenntnis so: „Wir haben den Weg unserer Männer verfolgt, bis sie über 80 waren. Dann wollten wir auf ihre Lebensmitte zurückschauen, um zu sehen, ob wir vorhersagen können, wer zu einem glücklichen, gesunden 80-Jährigen werden würde und wer nicht. Als wir alles ausgewertet hatten, was wir über sie im Alter von 50 wussten, war es nicht ihr Cholesterinspiegel, der vorhersagte, wie alt sie werden würden, sondern wie zufrieden sie in ihren Beziehungen waren. Die Menschen, die mit 50 am zufriedensten in ihren Beziehungen waren, waren die gesündesten im Alter von 80.“ Und in seinem über 30 Millionen Mal geschauten TED-Talk fasst es Waldinger so zusammen: „Die wichtigste Botschaft der Studie lautet: Gute Beziehungen machen uns glücklicher und gesünder. Punkt.“

PARTNERSCHAFT UND GOTTESBEZIEHUNG

Dabei kann unsere Partnerschaft nicht isoliert von unseren anderen Lebensbereichen betrachtet werden, sie strahlt aus und beeinflusst unser ganzes Leben. Ungelöste Konflikte haben immer auch einen Einfluss auf unsere Spiritualität. Viele würden diese Bereiche gerne trennen, doch das geht nicht. Unsere Beziehung zu Gott und die zu unserer Partnerin oder unserem Partner sind untrennbar miteinander verbunden.

Schon vor rund 2000 Jahren schrieb ein guter Freund und Weggefährte von Jesus: „Entsprechend gilt für euch Männer: Zeigt euch im Zusammenleben mit euren Frauen verständnisvoll und nehmt auf ihre von Natur aus schwächere Konstitution Rücksicht. Sie sind ja durch Gottes Gnade Erben des ewigen Lebens genau wie ihr. Respektiert und achtet sie also, damit der Erhörung eurer Gebete nichts im Weg steht.“ (1. Petrus 3,7)

Vielen springt beim Lesen dieser Bibelverse der erste Teil ins Auge. Noch spannender finde ich aber den letzten Satz. Wer meint, er könne schlecht mit seiner Frau umgehen und seine Gebete würden trotzdem erhört, der irrt. Wir müssen unsere Partnerin oder unseren Partner respektieren und achten, wenn wir wollen, dass der Erhörung unserer Gebete nichts im Weg steht. Der Verfasser beschreibt hier sehr eindeutig eine Verbindung zwischen dem Eheleben und dem geistlichen Leben. Ich denke, dieser Bibelvers ist wenig populär, weil dieser Zusammenhang nicht gerne gehört wird. Doch auch das positive Gegenbeispiel scheint wahr zu sein: Eine liebevolle Beziehung führt offensichtlich dazu, dass der Erhörung unserer Gebete nichts mehr im Weg steht. Wenn wir in unserer Partnerschaft eine Atmosphäre der Annahme und Beziehungssicherheit schaffen, ist das eine wesentliche Grundlage, auf welcher wir wachsen und uns immer mehr in das hinein entwickeln können, was Gott für uns vorgesehen hat.

ZU WENIG INVESTIERT

Wir bekennen uns entschlossen zum Lebenstraum „dauerhafte glückliche Partnerschaft“. Doch was investieren wir wirklich, um unsere Beziehung zu stärken? Stehen wir – im übertragenen Sinn – jeden Morgen um 6 Uhr auf, um zusätzlich zu unserem normalen Teamtraining noch 10 Kilometer zu laufen? Die Kluft zwischen dem hohen Stellenwert einer langjährigen glücklichen Beziehung und den kleinen Investitionen dafür ist manchmal erschreckend. Es ist kaum zu erklären, dass wir etwas als unseren Lebenstraum bezeichnen, aber dann nicht bereit sind, wenigstens bewusst zwei Stunden pro Woche dafür einzusetzen. Nur wenigen Paaren gelingt es über die Jahre, sich regelmäßig Zeit zu nehmen, um an ihrer Beziehung zu arbeiten. Im Alltag drängen sich immer wieder Karriere, Kinder, Stress und Hobbys vor. Was uns eigentlich wichtig wäre, hat dann keinen Platz mehr.

Vielleicht liegt es daran, dass wir glauben, wir seien bereits mit der Fähigkeit zur Welt gekommen, eine gute Liebesbeziehung zu führen. Wir denken, wir müssten das nicht trainieren und keine Zeit extra dafür aufwenden, der normale Paaralltag sei genug Beziehungspflege. In anderen Lebensbereichen ist für uns das Konzept „wenig investieren und viel erwarten“ sehr irritierend. Ein Bauer beispielsweise, der auf einem Feld nichts sät und trotzdem reiche Ernte erwartet – er ist ja schließlich Bauer. Genauso absurd wäre es, wenn Carlos erwarten würde, ein guter Läufer zu werden, ohne dafür trainieren zu müssen.

BEZIEHUNGSTRAINING

Doch wie kann dieses Beziehungstraining aussehen? Es beginnt ganz banal damit, dass wir regelmäßige Zeiten zu zweit planen, um unsere Beziehung zu pflegen. Diese Zeiten müssen wir priorisieren, ja, wir müssen sie verteidigen wie eine Löwenmutter ihren Nachwuchs. Als nächstes müssen wir uns Mut antrainieren. Probleme ansprechen, den ersten Schritt machen, vergeben, uns unserem Partner öffnen, zusammen beten und uns verletzlich zeigen. Das alles braucht eine große Portion Mut, vertieft aber auch unsere Beziehung.

Der dritte Trainingstipp besteht darin, sich jährlich neue Impulse zu suchen. Sei es durch einen Ehe-Kurs, ein Paarwochenende, ein Beziehungsbuch oder ein Coaching – solche externen Anstöße bringen uns weiter auf dem Weg zum Lebenstraum „langjährige glückliche Beziehung“.

Marc Bareth schreibt regelmäßig in Family und FamilyNEXT und hat Impulse für die Ehe in seinem neuen Buch „Beziehungsstark – 5 Minuten für deine Partnerschaft“ zusammengetragen. Mehr dazu: www.familylife.ch/beziehungsstark

Ein Leben, das ich gerne lebe

Wenn unsere Wohnung zu voll ist, kann das belastend sein. Dann hilft es aufzuräumen. Dasselbe gilt für unser Leben. Debora Güting über inneres und äußeres Aufräumen.

Nach den Ferien schleiche ich für eine Bestandsaufnahme durch jeden Raum unseres Hauses. Dass die Uhr in den letzten Wochen etwas langsamer getickt hat als vorher, ist offensichtlich. Der Boden im Gäste- WC: Wann habe ich den das letzte Mal gewischt? Im Zimmer nebenan finde ich potenzielles Bastelmaterial auf dem Boden. Die Küchenschublade für Diverses (Tesa, Pflaster, Schreibsachen etc.) ist so überfüllt, dass ein dazugestopfter Brief in das Schüsselfach darunter geschubst wurde. Ohne gleich anzufangen und in einen Arbeitsmodus zu geraten, nehme ich mir Zeit zum Nachdenken: Wie hoch möchte ich das Ziel „Ordnung und Sauberkeit“ setzen?

Leichter atmen

Vor einiger Zeit schon habe ich festgestellt, dass für mich innere und äußere Ordnung zusammenhängen. Bin ich zum Beispiel aufgewühlt, dann hilft es mir, in der Küche alles wegzuräumen und die Arbeitsflächen abzuwischen. Der freie Platz in der Küche gibt mir auch auf emotionaler Ebene das Gefühl, leichter atmen zu können. Ist die Wohnung dagegen unordentlich und dreckig, fühle ich mich auch als Mensch eher unzulänglich und mit dem Gesamtzustand meines Lebens unzufrieden.

Alles muss raus

Ein praktischer Tipp von „Simplify your Life“ hat sich in meiner Aufräum-Praxis bewährt: Wenn du eine überfüllte Küchenschublade, ein Unterwäschefach oder gar eine ganze Garage aufräumen möchtest, dann räume den definierten Raum erst mal ganz aus. Alles raus da. Einmal auswischen, kehren, Krümel entfernen, sauber machen oder was auch immer nötig ist, um diesen Platz als neu, frisch, frei und sauber zu empfinden. Und dann innehalten und den Anblick genießen. Und dann kommt der Clou: Nur die Gegenstände, die mir Freude machen, mich zum Lächeln bringen und andere gute Gefühle bereiten, kommen wieder rein: Kleider, in denen ich mich wohl fühle, Stifte, mit denen ich gern schreibe und neben einigem Nützlichem, was gut funktioniert, natürlich auch Dinge, die einfach schön sind und der Seele guttun.

Der Hometrainer kommt weg

Übrig bleibt zum Beispiel die selbstgenähte Tischdecke der Tante, die ich nie auflege. Sie entlockt mir ein schlechtes Gewissen und einen Seufzer. Nicht mein Geschmack. Wird auch nie meiner werden. Die bleibt draußen. Das Kleid, das ich für die Hochzeit von Freunden vor sechs Jahren gekauft habe und in das ich seit fünf Jahren nicht mehr reinpasse. Das bleibt draußen. Die Schönheit des Kleides hilft nicht, und es ist kein gutes Gefühl, dieses Stück anzusehen. Der Hometrainer mit vielen Funktionen, den ich theoretisch ja auch bei Regen benutzen könnte. Aber praktisch fühle ich mich nur schuldig, wenn er so einstaubt. Der bleibt draußen.

Der „Geschenkt“-Laden

Ja, es ist mühsam, sich mit den „übrigen“ Gegenständen zu befassen und Entscheidungen zu treffen. Es hilft, wenn man weiß, wo man Dinge hingeben kann, die noch gut sind. Bei mir ist es der „Geschenkt“-Laden für Nachhaltigkeit in der Nähe. Mancher ist vielleicht begabt, etwas zu verkaufen oder zu verschenken oder sogar umzuarbeiten.

Pure Motivation

Als Ergebnis meines Aufräumens habe ich einen Kleiderschrank, den ich gern aufmache. Mit Kleidern, die ich mag. Oder eine Garage mit Dingen, die ich brauche und benutze. Das Gesamtziel motiviert: ein Wohnraum, durch den ich gern gehe. Möglichst viel von dem, was mich belastet, möchte ich nicht hegen und pflegen und nicht von links nach rechts schieben. Denn wer hat etwas davon? Die Tante hat nichts davon, der Hometrainer nicht und bei Kleidern, die zu klein sind, meine Selbstannahme nicht.

Eine gute Perspektive

In der Praxis finde ich es schwer, mir vorzustellen, dass mein ganzer Wohnraum sich mal so anfühlt. Aber es ist eine gute Perspektive. Und es fühlt sich lebendig an, dass ich das entscheiden kann. Denn ich entscheide ja selbst, was mir guttut und was nicht. Natürlich lebe ich mit anderen Menschen zusammen und kann nicht alles aussortieren, was mir einfällt. Trotzdem gibt es mir Reife und Entscheidungsfreiraum, dass ich die Möglichkeit habe, selbst zu entscheiden. Und die kleinen Schritte auf dem Weg dahin befreien: Eine Handtasche, die wirklich nur das enthält, was mir das Aus-dem-Haus-Gehen erleichtert, oder eine übersichtliche Schublade geben mir ein gutes Gefühl, das auch eine Weile anhält. Und manchmal tut es dann so gut, dass ich gleich noch eine zweite Stelle in Angriff nehme.

Von außen nach innen

Um mein „unordentliches“ Inneres aufzuräumen, hilft natürlich eine abgewischte Arbeitsplatte nicht auf Dauer. Wie räume ich mein Leben auf? In meiner Kur im letzten Jahr habe ich folgende Aufgabe bekommen: Male den Kuchen deines Lebens. Alle Bereiche, die Zeit oder auch emotionale Energien fordern, sind ein Stück von diesem Kuchen: Arbeit, Familie, Aufgaben in der Kirchengemeinde, Ehe, Beziehungen, Haushalt, … Jeder ist ganz frei, seine Stücke zu definieren. Jedes Stück soll so groß sein, wie es einen Teil vom meinem (gefühlten) Leben einnimmt. Sind die Stücke aufgemalt und benannt, kommt Farbe ins Spiel. Die Torte soll bunt werden. Grün steht für Bereiche, die mir Freude machen und die mich auftanken lassen, auch wenn sie Zeit oder Energie benötigen. Rot steht für Bereiche, die mich Nerven kosten und frustrieren und die ich nur widerwillig tue. Und die mich Zeit kosten, die ich eigentlich nicht investieren will. Gelb steht für Bereiche, die sich in der Mitte befinden. Ein Stück des Kuchens darf auch verschiedene Farben haben und ganz individuell angemalt werden. So kann die Arbeit selbst Freude machen, der nörgelnde Kollege aber den Tag verderben. Das wäre dann ein grünes Stück mit rotem Bereich.

Ein buntes Leben

Ebenso wie beim Aufräumen von Gegenständen kann ich überlegen, welche Bereiche meines Lebens mir Freude bereiten und welche mich belasten. Und wenn ich den Kuchen gemalt habe, sehe ich alle diese Bereiche vor mir. Ein buntes Leben. Die Frage ist nun, wenn ich meinen Lebenskuchen sehe: Möchte ich diesen Kuchen essen? Oder klarer: Möchte ich mein Leben so leben? Wenn ja, ist alles gut.

Schweres Streichen

Als ich meinen Kuchen des Lebens sah, wurde mir so mancher rote Bereich klarer vor Augen geführt. Natürlich kann ich vieles nicht einfach streichen oder loswerden. Im Gegenteil: Oft ist es besonders schwer, gerade die roten Bereiche loszuwerden. Denn bei vielen roten Bereichen gibt es tiefere Gründe, warum sich diese bei mir „eingenistet“ haben. Einen schwelenden Konflikt in einer Beziehung nehme ich vielleicht hin, weil ich nicht wage, über mein Unbehagen zu reden. Oder weil ich nicht gelernt habe, für mich zu kämpfen. Eine Überlastung kommt vielleicht von Erwartungen anderer, die ich denke, erfüllen zu müssen. Eine große Frustration ist vielleicht da, weil Werte, die ich habe, in Konflikt miteinander stehen und ich mir dessen nicht bewusst bin.

Überfällige Entscheidungen

Ich kann versuchen, Prioritäten zu setzen, neue Ansätze zu suchen und eventuelle Einstellungen oder Erwartungen, die dem Auflösen der Bereiche entgegenstehen, zu formulieren und loszulassen. Dafür kann auch ein Seelsorger oder Berater hinzugezogen werden. Es ist auch erlaubt, größere Striche zu ziehen und endlich den Mut aufzubringen, überfällige Entscheidungen zu treffen. Auch wenn das manches ungewiss macht. Vielleicht ist es nötig, die Arbeitsstelle zu wechseln. Oder ich sollte eine Freundschaft beenden, in die ich immer nur investieren muss und in der ich selbst keinen Raum habe, ich zu sein.

Den roten Fleck angehen

Nicht immer muss es so tragisch und tiefgründig sein. Bei manchem roten Bereich reicht es, wenn ich etwas anders angehe und bewusst eigene Erwartungen loslasse. Manche Aufgaben im Haushalt, die mich nerven, kann ich vielleicht delegieren oder irgendwie anders Entlastung suchen. Wenn ich mutig bin und Schritte gehe, öffnen sich vielleicht Wege, auf die ich vorher gar nicht gekommen bin. Klar ist: Veränderungen und Entscheidungen kosten erstmal Kraft und Nerven. Und nicht alles lässt sich vielleicht so verändern, wie ich es gerne hätte. Aber wenn ich nichts angehe, bleibt alles, wie es ist.

Wie mit einer Schublade beim äußeren Aufräumen zu beginnen, ist es gut, auch hier erst mal an einem Bereich anzufangen und einen ersten roten Fleck anzugehen. Weitere können dann folgen. Mein Ziel ist ein Kuchen, den ich gern esse. Oder: ein Leben, das ich gern lebe.

Debora Güting ist Pastorin im Pastoralteam in der Kirche des Nazareners in Seligenstadt. Nebenher schreibt sie gern ihre Gedanken zum Leben in einen Artikel oder sie referiert bei Frauenevents. Sie lebt mit ihrer Familie in Linsengericht.

„Heimat ist das Gefühl, angekommen zu sein“

Mit 18 Jahren kam Bonita Niessen aus Südafrika nach Deutschland. Sie hat schnell Wurzeln geschlagen und als Sängerin viele Erfolge zu verzeichnen – zum Beispiel in der Rolle der Rosa Parks im Musical „Martin Luther King“.

„Dass jeder fair behandelt wird, das war unser Traum“,singt Bonita Niessen im Chormusical „Martin Luther King“. Sie verkörpert hier die Rolle der Afroamerikanerin Rosa Parks, die am 1. Dezember 1955 in Montgomery, Alabama festgenommen wurde, weil sie sich geweigert hatte, ihren Sitzplatz im Bus für einen Weißen zu räumen. Ihr Gemeindepfarrer Martin Luther King und eine Bürgerinitiative organisierten den ersten Kundenboykott der jüngeren US-Geschichte: Der „Busstreik von Montgomery“ gilt als Anfang vom Ende der Rassentrennung in Amerika.

DURCHBRUCH BEI STEFAN RAAB

„Ich bin im Südafrika der 70er Jahre geboren“, erzählt die zierliche Sängerin, „und in der Nähe von Kapstadt aufgewachsen. Mitten in der Apartheid, die Bürgerrechtsbewegung von Nelson Mandela war in vollem Gange. Wir hatten die gleichen Themen, mit denen 20 Jahre zuvor die schwarzen Afroamerikaner in den USA zu kämpfen hatten.“ In der Schule war Parks kein Thema, „aber als ich später von ihrer Geschichte erfuhr, hat es mich bestärkt: Egal, wie aussichtslos etwas ist – wenn eine Frau mit dunkler Hautfarbe in den USA der 50er Jahre etwas bewirken konnte, dann kann ich das heute auch. Es gibt Gerechtigkeit, und sie ist es wert, dafür zu kämpfen.“

Schon mit zwölf schrieb Bonita Jeanetta Louw ihre ersten Songs und begleitete sich auf der Gitarre dazu. Mit 18 kam sie als Au-pair nach Deutschland. Und sie blieb: Sie studierte an der Stage School of Music in Hamburg, sang bald in einer Band und einem Gospelchor, trat mit Till Brönner auf und veröffentlichte im Jahr 2000 ihr erstes Album. Der Durchbruch kam, als sie 2003 in der Castingshow SSDSGPS (Stefan sucht den Super-Grand-Prix-Star) hinter Max Mutzke Zweite wurde. Bonita wirkte mit in den Pop-Oratorien „Die zehn Gebote“ und „Luther“ und verkörpert von Januar bis April 2020 die Rosa Parks im Chormusical „Martin Luther King“. „Musik ist sehr, sehr wichtig für mich, ich singe für mein Leben gern und habe mein Hobby zum Beruf gemacht. Mehr noch: Ich fühle mich dazu regelrecht berufen!“, erklärt Bonita Niessen.

SCHNELL WURZELN GESCHLAGEN

Für die 42-Jährige ist die Familie allerdings genauso wichtig wie die Musik: „Als ich vor sieben Jahren Mutter eines Sohnes wurde, hat sich mein Glück verdoppelt! Mama zu sein, ist die schönste und wichtigste Aufgabe, die ich jemals haben werde.“ Doch ihr Glück ist nicht ungetrübt: „Ich wünsche, ich könnte meine südafrikanische Familie öfter sehen und mein Glück mit ihnen teilen. Wir sind überall auf der Welt verstreut und müssen es daher aushalten, uns eher selten zu treffen. Aber ich war schon zweimal mit meinem Sohn und meinem Mann in Südafrika, und meine Mutter ist auch ab und zu hier.“

Bonita in Südafrika, Foto: privat

Bonita in Südafrika, Foto: privat

Welches der beiden Länder ist denn nun ihre Heimat? „Meine Heimat ist nicht ortsgebunden. Heimat ist für mich ein Gefühl, das Gefühl, angekommen zu sein. Und das kann überall sein. Wo ich in meiner Seele Glückseligkeit empfinde, das ist meine Heimat – egal, wo auf der Erde ich gerade bin.“ In Deutschland hat Bonita Niessen schnell Wurzeln geschlagen. „Dass das so gut geklappt hat, liegt daran, dass ich die Sprache relativ früh gelernt und mich sehr für die Kultur interessiert habe. Ich lebe hier seit 23 Jahren, länger als in meiner alten Heimat. Und als ich dann Mutter geworden bin und mein Sohn hier in Deutschland geboren wurde, das war schon ein tiefer Wurzelschlag.“

NICHT ALLES SO ENG SEHEN

Ob sie Rituale oder Traditionen aus der alten Heimat mit nach Deutschland gebracht hat? „Nein, ich kannte nur die kolonialistischen Bräuche, die uns aufgezwungen wurden, Teatime zum Beispiel. Als Teenager habe ich mich davon verabschiedet, weil das ja nicht wirklich afrikanische Rituale sind.“ Sie lacht: „Die habe ich aber auch nicht. Was ich importiert habe, das ist die Mentalität, das Leben zu genießen und nicht alles so eng zu sehen. Jeden Tag mit Freude zu starten und mit Freude zu beenden, egal, welche Umstände man hat.“

Aber: „Wenn ich abends für meine Familie hier in Deutschland koche, versuche ich mich daran zu erinnern, wie meine Eltern das Essen für uns vorbereitet haben. Ich habe einige unschöne Erinnerungen aus meiner Kindheit, aber mit dem Essen habe ich nur positive Assoziationen. Das Sonntagsmahl nach dem Kirchenbesuch war immer ein Fest. Ab und zu fallen mir wieder Rezepte von früher ein, und dann geht’s rund in der Küche!“

IN DIE HAARE GEFASST

Rassismus erlebt sie meist subtil, aber auch schon mal direkt, „angefangen davon, dass ich von wildfremden Menschen ausgefragt oder auf mein Aussehen angesprochen werde. Meine Haare sind oft ein Thema, und im schlimmsten Fall wird in meine Frisur hineingefasst. Oder wenn die Rede ist von ,euch‘ und ,ihr‘, dann weiß ich immer nicht genau, wen die Menschen meinen – wer soll dieses ,ihr‘ sein? Alle dunkelhäutigen Frauen in Deutschland? Es stört mich auch, dass manche immer noch politisch unkorrekte Wörter oder rassistische Bezeichnungen benutzen und das nicht schlimm finden.“

„Gott ist Liebe” ist ein wichtiger Satz für sie. „Alles, was Gott erschaffen hat, wurde nicht nur aus Liebe geschaffen, sondern es ist Liebe. Wer also andere so wie sich selbst liebt, trägt somit das Göttliche in sich und ist Gott nah!“ Sie seufzt: „Eigentlich müsste so vieles anders sein. Noch immer ist der Traum von Rosa Parks und Martin Luther King nicht überall auf der Welt Wahrheit geworden. Dass Menschen in Frieden, ohne Gewalt und ohne Armut und als Gemeinschaft leben können, davon sind wir leider noch sehr weit entfernt, und das macht mich traurig.“

Carmen Möller-Sendler lebt und arbeitet im Ruhrgebiet. Sie ist Diplom-Journalistin und Öffentlichkeitsarbeiterin, Mutter von zwei erwachsenen Töchtern und stolze Oma einer hinreißenden Enkelin.

Ohne Vollmacht geht es nicht

Beim Thema Vorsorge sollte man nicht nur an die alten Eltern denken. Auch für erwachsene Kinder ist eine Vollmacht unerlässlich. Annunziata Hoensbroech hat das erfahren müssen.

Sie machen sich dafür stark, dass Eltern für ihre erwachsenen Kinder eine Vorsorgevollmacht haben. Warum ist das wichtig?
Ich habe selbst erfahren, dass es sehr wichtig ist. Als Eltern gehen wir davon aus, dass wir uns als Problemlöser oder als Krisenbewältiger einbringen, wenn es für unsere Kinder eng oder schwierig wird. Aber bei unseren jungen, erwachsenen Kindern haben wir mit deren Volljährigkeit das Recht verloren, so zu agieren. Es gibt dieses gefühlte Naturrecht der Eltern im juristischen Sinn nicht. Eltern fehlt ohne eine Vorsorgevollmacht die Basis, sich in einer Krise auch weiterhin um ihr Kind zu kümmern, es zu vertreten, wenn es dies nicht selbst tun kann und über 18 ist.

Sie haben auf Ihre persönlichen Erfahrungen hingewiesen …
Mein Sohn hat mit 26 Jahren während eines Studienaufenthaltes in Barcelona einen Unfall erlitten. Er wurde schwerstens verletzt und lag acht Wochen im Koma. Er war nicht in der Lage, für sich selbst zu handeln. Durch eine glückliche Fügung hatte ich eine Generalvollmacht von ihm. Von dem Moment, als ich nach Spanien flog, bis anderthalb Jahre später, als er wieder richtig auf seinen eigenen Beinen stand, habe ich diese Vollmacht unendlich oft gebraucht, um im Interesse meines Sohnes und für ihn Entscheidungen zu treffen.

Wie kam es, dass Sie für Ihren Sohn so eine Vollmacht hatten?
Für Menschen meiner Generation Mitte 50 ist es ganz normal, unsere älter werdenden Eltern zu fragen, ob sie uns eine solche Vorsorge-Vollmacht ausstellen. Im Zuge dessen habe ich auch über mich selbst nachgedacht. Ich habe das Naheliegende gemacht und meine Kinder gefragt, ob sie so eine Bevollmächtigung von mir annehmen. Das alles passierte im Vorfeld einer großen, sehr abenteuerlichen Motorradreise, die mein ältester Sohn mit seinem Zwillingsbruder geplant hatte. Da habe ich gesagt: „Alles, was mir passieren kann, kann euch auch passieren. Gerade wenn ihr jetzt auf eine Reise geht durch die Türkei, den Iran, rund ums Schwarze Meer – wollt ihr das nicht auch umgekehrt machen?“ Und so haben wir gegenseitig diese Vollmacht ausgetauscht.

Der Unfall passierte dann ja nicht bei der Motorradreise, sondern später beim Studium in Spanien. Was hätte passieren können, wenn Sie keine Vollmacht gehabt hätten?
Mit so einer Vollmacht schafft man überhaupt erst eine Gesprächsgrundlage. Die haben Sie als Eltern eines volljährigen Kindes sonst nicht. Es gilt sofort – zu Recht – die ärztliche Schweigepflicht. Um den Arzt und sich selbst auf eine juristisch abgesicherte Gesprächsgrundlage zu stellen, müssen Sie so eine Vollmacht haben. Erst dann darf ein Arzt Ihnen überhaupt Informationen über den Zustand des Patienten geben. Nur mit einer Vorsorgevollmacht haben Eltern einen Anspruch darauf, Antworten zu bekommen auf ihre Fragen: Was ist passiert? Was sind die Konsequenzen? Welche Therapien werden vorgeschlagen? Jede Operation, jede Spritze ist eine Körperverletzung, in die der Patient einwilligen muss. Wenn ein kranker Mensch dies selbst nicht kann, braucht er jemanden, der das für ihn übernimmt. Wenn keine Vorsorgevollmacht da ist, wird das Krankenhaus den vorgeschriebenen Weg zu einem Gericht gehen und sagen: „Ich brauche einen gerichtlich bestellten Betreuer, der sich um diesen Patienten kümmert.“ Das Gericht kann als Betreuer bestellen, wen es möchte. Es kann ein Familienmitglied sein, muss es aber nicht. Weil Sie in so einer Krisensituation sowieso schon schwer belastet sind, brauchen Sie nicht noch eine Auseinandersetzung mit einem Gericht, ob es Sie als Betreuer einsetzt.

Was muss man bei der Erstellung einer Vollmacht beachten?
Generell setzt sich Vorsorge aus verschiedenen Elementen zusammen. Für junge Erwachsene ist das Wichtigste eine Vorsorgevollmacht, die Eltern oder eine Vertrauensperson ermächtigt, für diesen Menschen zu sprechen und zu handeln. Diese Vollmacht sollte ein Jurist aufsetzen. Sie kann sich über verschiedene Bereiche erstrecken, zum Beispiel nur gesundheitliche Aspekte abdecken. Man kann aber auch eine Generalvollmacht erteilen. Diese deckt alle Aspekte des Lebens ab. Denn in der Regel sind mit solch einer Krise, wie wir sie erlebt haben, auch gerichtliche Auseinandersetzungen und wirtschaftliche Entscheidungen verbunden. Eine Generalvollmacht wird von einem Juristen aufgesetzt und sollte vom Notar beglaubigt werden. Das geht ganz schnell. Damit habe ich mir als Elternteil alle Handlungsfähigkeit erhalten. Ein zweites Element der Vorsorge ist die Patientenverfügung. Das ist die direkte Anweisung von mir als zukünftiger Patientin an einen zukünftigen Arzt. Eine Patientenverfügung beschäftigt sich mit medizinischen Ausnahmesituationen. Eventuell ist sie für ältere Menschen wichtiger als für junge Erwachsene.

Muss ich denn zum Rechtsanwalt gehen? Es gibt ja auch Vordrucke – zum Beispiel auch auf Ihrer Website. Reicht das nicht aus?
Auf meiner Homepage habe ich für Österreich, die Schweiz und Deutschland von Rechtsanwälten Vordrucke entwickeln lassen. Aber oft hat man das Bedürfnis, eine individuelle Anpassung vorzunehmen. Das sollte ein Jurist machen, damit es auch wasserdicht bleibt.

Und wenn das Kind den Eltern keine Vollmacht erteilen möchte?
Ich würde mich erst einmal erkundigen, woher dieser Widerwille rührt und nachfragen: Um was geht es genau? Ich würde meinem Kind erklären, dass es allem, was in einer Krise kommen mag, wirklich allein gegenübersteht. Ich würde wenigstens versuchen, ihm das dritte Element der Vorsorge nahezubringen: die Betreuungsverfügung. Damit geht es sicher, dass ein Gericht einen vorher genannten Betreuer einsetzt und ihn auch kontrolliert. Wenn das nicht die Eltern sind, ist das zu akzeptieren. Denn wen mein Kind bevollmächtigt, bleibt natürlich ihm überlassen.

Neben dem praktischen Aspekt dieser Generalvollmacht – was hat Ihnen persönlich geholfen in dieser Zeit, in der nicht klar war, wie die Geschichte ausgeht?
Als ich mich nach dem Unfall meines Sohnes in Barcelona wiederfand, hat es mich ungeheuer getragen, dass ich nicht allein durch diese Situation gehen musste. Ich habe das Glück, dass ich viele Geschwister und vier Kinder habe. Noch am selben Abend waren wesentliche Teile der Familie ebenfalls in Barcelona. Es hat eine unglaubliche Familiendynamik um uns herum stattgefunden, die wir nicht organisieren mussten. Es war immer jemand da, der uns unterstützt hat. Das war großartig, vor allem auch für Caspars Geschwister, die immer jemanden hatten, mit dem sie sprechen konnten.
Das zweite hört sich ein bisschen merkwürdig an. Ich habe einen Trick, mich selbst relativ zu setzen. Wenn es ganz dick und schwierig kommt, denke ich darüber nach, ob es jemanden gibt, der in dieser von mir als schwierig empfundenen Situation tauschen würde. Und wenn mir jemand einfällt, der mit mir tauschen würde, kann alles ja gar nicht so schlimm sein. Dann muss ich sogar noch ein bisschen dankbar sein für die Situation und für die Möglichkeiten, die ich habe. Selbst am ersten Tag im Krankenhaus sind mir Menschen eingefallen, die mit mir tauschen würden. Menschen, die keine Chance mehr haben, am Bett ihres Kindes zu sitzen und auf das Überleben zu hoffen. Was hätten die darum gegeben? Das hat mich in der Situation dankbar gemacht und mich angespornt.

Wie wichtig war für Sie das Gebet?
Das hat auch eine große Rolle gespielt. Ich war zwei, drei Tage überhaupt nicht in der Lage zu beten und habe das sehr vermisst. Das war mir vorher noch nie passiert, dass ich nicht beten konnte. Und dann hat ein Prozess eingesetzt. Mir wurde klar: Wenn ich bete, verpacke ich immer kleine Handlungsanweisungen an den lieben Gott: „Mach, dass dies und jenes passiert.“ Es sind kleine Aufträge, die wir in unser Gebet mit hineinflechten. Die Situation war aber so, dass ich nicht wusste, was jetzt passieren soll. Um was bitte oder bete ich? Das Überleben in unsäglichen Umständen ist schwierig. Aber um den Tod und das gnädige Erlösen des eigenen Kindes zu beten, ist vollkommen unmöglich. In dieser Situation hat sich der Gedanke gebildet: Ich bin für nichts verantwortlich. Ich bitte weder für das eine noch für das andere. Ich gebe mich einfach ganz in das Gottvertrauen rein: „Lieber Gott, dein Wille geschieht hier. Schenk mir nur die Kraft, damit fertig zu werden, was geschieht.“ Ich habe jede Handlungsanweisung aus meinen Gebeten herausgenommen und mich vollkommen darauf eingelassen zu beten: „Gott, dein Wille geschehe!“ Das hat mich sehr getragen – bis heute.

Das Interview führte Bettina Wendland.

„Übertreiben Sie es mit der Hygiene nicht!“

Wie sauber muss es bei uns zugehen, damit wir gesund bleiben? Hygiene-Experte Frank Günther warnt vor übertriebener Hygiene. Er rät Familien: „Hände weg von Desinfektionsmitteln im häuslichen Umfeld!“

Wann und wie oft sollten Kinder ihre Hände waschen?
In der Regel so oft wie Erwachsene auch. Insbesondere dann, wenn Gegenstände oder Oberflächen angefasst wurden, die von vielen Menschen berührt werden und deshalb mit Infektionserregern besiedelt sein können: zum Beispiel Türgriffe oder Einkaufswagen. Insbesondere vor dem Essen sollten die Hände gewaschen werden. Kinder erforschen ihre Umwelt noch stark mit den Händen und mit dem Mund. Bei ihnen findet deshalb ein viel stärkerer Austausch mit Keimen untereinander und aus der Umgebung statt.

Muss ich meinem Kind also ständig mit Desinfektionsmittel hinterherlaufen, um es zu schützen?
Sie werden es nicht immer verhindern können, dass Ihr Kind irgendetwas anfasst und sich danach die Finger in den Mund steckt. Was man tun kann, ist, nach jedem Ausflug erst einmal die Hände zu waschen. Das genügt, denn dadurch kann man die Keimbelastung schon stark minimieren. Der Einsatz von Desinfektionsmitteln hingegen kann dem Kind mehr schaden als nützen. Im schlimmsten Fall kann deren Einsatz Hauterkrankungen oder Allergien auslösen. Die Bakterien, die sich auf unserer Hautoberfläche befinden, sind nämlich sehr wichtig für uns, weil sie unser Immunsystem stärken und verhindern, dass sich krankmachende Bakterien auf und in uns ausbreiten können. Mit dem Desinfektionsmittel würden wir nicht nur krankmachende Keime töten, sondern auch die, die gut für uns sind.

Sie raten also grundsätzlich von Desinfektionsmitteln ab?
Ja. Finger weg von Desinfektionsmitteln im häuslichen Umfeld! Auch die Ausbreitung von Infektionen wie einem Magen-Darm-Infekt werden Sie dadurch zu Hause nicht verhindern können. In der Familie herrscht ein so enger Kontakt, dass eine Durchbrechung der Übertragung eigentlich nur durch Isolation gelingen kann – aber damit würde man dem kranken Kind ja noch mehr schaden. Übertreiben Sie es mit der Hygiene nicht! Außer Haus gibt es Situationen, in denen es sinnvoll sein kann, Desinfektionsmittel mit dabei zu haben, etwa im Streichelzoo. Da Tiere für Menschen riskantere Keime auf sich tragen, kann man, wenn nichts anderes zur Hand ist und bevor man etwas isst, die Hände mit Desinfektionsgel reinigen.

Wie gut und wie gründlich sollte man das Kinderzimmer reinigen?
So wie jeden anderen Raum auch. Wischen Sie einfach regelmäßig die Oberflächen ab und saugen sie, um die Staubbelastung zu minimieren und die Vermehrung von Hausstaubmilben zu vermeiden. Deren Kot, der sich vorzugsweise in Textilien wie Matratzen, Teppichen und Bettwäsche befindet, kann nämlich auch Allergien auslösen.

Was ist bei der Zubereitung von Speisen für Kinder zu beachten?
Bei Obst und Gemüse ist immer davon auszugehen, dass die Oberfläche mit Keimen belastet ist, auch wenn es bio ist. Sie wissen nicht, wo es gelegen oder wer es vor Ihnen in der Hand gehalten hat. Diese Keime müssen nicht unbedingt krankmachen, einige bestimmte können es aber. Deshalb sollte man sie vor dem Verzehr immer mit warmem Wasser abwaschen und am besten auch abreiben. So kann man schon einen Großteil der Keime entfernen. Aber auch hier gilt: Eine komplette Keimfreiheit werden Sie nicht erreichen.

Interview: Ruth Korte

Im Sturm der Traurigkeit

Der Mann unserer Autorin kämpft immer wieder mit Depressionen. Wie kommt sie damit klar?

Vor ein paar Jahren, ich war gerade im Auto unterwegs, hörte ich das Lied „Flames“ von Boy. Darin heißt es (frei übersetzt): „Die beständige Angst und Traurigkeit liegt schwer auf deiner aufgewühlten Seele. Ich rufe deinen Namen, aber ich kann nicht zu dir durchdringen. Es tut mir weh, dich so leiden zu sehen. Wenn ich doch nur einen Weg finden könnte, um dich zu beruhigen und zu heilen.“ Als ich so zuhörte, stiegen mir die Tränen in die Augen. Es war, als hätte jemand das in Worte gefasst, was ich gefühlt habe, als ich meinen Mann durch seine Depression begleitete.

Ich wusste von Anfang an, dass er psychische Probleme hat. Als wir uns ineinander verliebten, erzählte er mir, dass er sich gerade von einer Depression erholt habe, die vor ein paar Monaten, während einer Prüfungszeit, aufgetreten sei. Er konnte nichts mehr essen, nicht mehr schlafen und hatte irgendwann einen totalen Blackout. Nichts funktionierte mehr. Er wollte nichts vor mir verheimlichen und mir klar machen, dass ein Ja zu ihm auch ein Ja zu seiner Depression sein würde. Ich wusste also, was mich erwartete und gleichzeitig wusste ich überhaupt nicht, was mich erwartete.

Ein halbes Jahr nachdem wir zusammen waren, war sie wieder da. Eine Depression mit einer Angststörung. Er befürchtete ständig, durch seine Prüfungen zu fallen und sein Studium nicht zu schaffen und lernte Tag und Nacht. Und obwohl die Klausuren immer „sehr gut“ ausfielen, konnte er seinen Erfolg nicht genießen. Er war nicht in der Lage, so etwas wie Freude, Zufriedenheit oder Gelassenheit zu empfinden – und wenn, dann nur für einen kurzen Moment. Es war ein Leben ohne Graustufen. Alles, was ich sagte, schob er, wie es für Depressive typisch ist, entweder in die weiße (gute) oder schwarze (schlechte) Kategorie. Das machte unsere Kommunikation unglaublich schwierig. Gab es etwas, was mir an unserer Beziehung nicht gefiel und ich sagte es ihm, fühlte er sich sehr verletzt. Er zweifelte oft an sich selbst, und, nicht selten, auch an mir. Immer wieder stellte er mich und unsere Beziehung in Frage. Das verletzte mich am allermeisten. Zwei Mal trennten wir uns in den ersten Jahren voneinander. Bis wir ein wirkliches Ja zueinander gefunden hatten, sollten viele Jahre vergehen.

Nicht alle davon waren schlecht. War er medikamentös gut eingestellt und wir in „ruhigen Fahrwassern“ ging es uns sogar sehr gut. Wir reisten zusammen, suchten nach gemeinsamen Hobbys und machten Pläne für die Zukunft. Wir lernten, uns immer mehr so zu lieben, wie wir sind. Wir lernten auch voneinander: Ich lernte von ihm, mehr Ehrgeiz an den Tag zu legen und fing an, mich für Sport zu begeistern. Er lernte von mir, gelassener zu sein und den Moment zu genießen.

Es gab aber auch viele herausfordernde Momente. Als er ins Berufsleben einstieg, war es besonders schwierig. Der Stress und der Erwartungsdruck, der auf ihm lastete, machten ihm so sehr zu schaffen, dass ich befürchtete, er würde nun vollends zusammenbrechen und den Beruf, auf den er so lange hingearbeitet hatte, aufgeben müssen. In Phasen, in denen er psychisch stabil war, versuchte er immer wieder mit Begleitung eines Psychiaters das Antidepressivum, das er inzwischen mehrere Jahre zu sich nahm, auszuschleichen. Doch jeder Versuch scheiterte und warf ihn und uns jedes Mal zurück.

„Wie kommst du da durch?“

Inzwischen sind viele Jahre vergangen. Wir sind verheiratet und haben eine Familie. Mein Mann ist in seinem Beruf inzwischen zufrieden und sehr erfolgreich. Er hat seine Depression und seine Ängste dank der Psychopharmaka und Menschen, die ihn und uns begleiten, im Griff. Die Stürme kommen jetzt seltener, aber es gibt sie noch.

Was hilft mir in stürmischen Zeiten? Diese Frage konnte ich selbst lange nicht beantworten. Fragte man mich, wie ich da durchgekommen sei, gab ich häufig „Mit Gottes Hilfe“ zur Antwort. Und es stimmt: Hätte ich mich in all meiner Verzweiflung, Hilflosigkeit und mit all meinem Schmerz nicht an Gott wenden können, hätte es für uns keine Zukunft gegeben. Aber es sollte nicht nur der Glaube sein, der Angehörige von Depressiven durchträgt. Es sind auch die Freunde, die nachfragen, mitbeten oder, wenn nötig, auch mal ablenken. Es ist wichtig, sich über das, was man an der Seite eines Depressiven erlebt, auszutauschen – und zwar nicht nur mit dem Partner. Je nachdem, wie schwerwiegend seine Depression ist, kann es für ihn sogar zusätzlich belastend und deshalb kontraproduktiv sein. Wenn die Situation so belastend ist, dass ich sie selbst nicht aushalten kann, wende ich mich an meine Eltern, zu denen ich ein sehr gutes Verhältnis habe, und gute, vertrauensvolle Freunde – meistens solche, mit denen ich auch ins Gebet gehen kann. Eine von ihnen ist Psychologin und kann mir auch fachliche Tipps geben.

Überhaupt ist es wichtig, sich mit dem Thema Depression fachlich auseinanderzusetzen. Als ausgebildete Pädagogin dachte ich lange, ich wüsste bereits genug darüber. Ich hatte jedoch nie längere Zeit mit Depressiven zu tun gehabt und wusste schon gar nicht wie es ist, als Angehörige davon betroffen zu sein. Auch ich brauchte Hilfe und Begleitung. Das Internet bietet auf vielen Seiten, wie etwa der Stiftung Deutsche Depressionshilfe, die Möglichkeit, sich zu dem Thema zu informieren. Aber auch ein Gespräch mit einer Person vom Fach, wie etwa einem Psychotherapeuten oder Psychiater, der man direkt Rückfragen stellen kann, ist hilfreich. In vielen Städten gibt es außerdem Selbsthilfegruppen für Angehörige von Depressiven, in denen man sich mit anderen austauschen kann. Je mehr man über Depressionen weiß, desto besser kann man das Verhalten des Partners verstehen und einordnen.

Gleichzeitig ist es wichtig, nicht alle Zweifel und Ängste, die der Partner hat, als übertrieben oder psychisch bedingt abzutun. Es ist nicht die Person selbst, sondern die Depression, die dazu führt, dass diese Gefühle für sie so unerträglich und für uns so unnachvollziehbar werden. Viele verstehen das nicht. „Das ist Quatsch“ oder „Du spinnst ja“ sind Sätze, die mein Mann während einer depressiven Phase manchmal zu hören bekommen hat. Auch Sätze wie „Du bist halt krank“ oder „extrem empfindlich“ sind in so einer Episode wenig hilfreich. Deshalb überlegen wir uns sehr genau, wen wir in dieses Thema einweihen. Mein Mann ist nicht „der Depressive“ oder „der Verrückte“, als den ihn manche abstempeln, weil es ihnen zu anstrengend und unangenehm ist, sich in ihn und seine Gefühlswelt hineinzudenken. Er ist der Mann, den ich liebe und der ab und zu jemanden braucht, der ihn sanft zurück auf die Beine stellt, ohne über seine Gefühle und Gedanken zu urteilen! Das steht niemandem zu – egal, ob gesund oder krank.

Nicht immer die Stärkere

Hilfreich war für mich auch, einzusehen, dass ich als „Gesündere“ von uns, nicht gleichzeitig auch immer die Stärkere sein muss. Natürlich versuche ich für ihn da zu sein, ihn zu trösten und aufzumuntern, wenn es ihm schlecht geht. Aber auch ich habe meine Grenzen, die ich lernen musste anzuerkennen, um nicht selbst krank zu werden. Manchmal bedeutet das auch, ihm vorzuschlagen, mal mit jemand anderem darüber zu sprechen und mich selbst ein bisschen zurückzuziehen. Ja, man darf sein Leben trotzdem genießen und sich selbst etwas Gutes gönnen – auch, wenn es dem Partner gerade nicht gut geht. Für mich bedeutet das, mich mit Freundinnen zu treffen, mir eine Massage zu gönnen oder ausführlich Sport zu machen. Aber auch als Paar darf man sich in solchen Zeiten schöne Abende gönnen und das Leben trotz allem feiern, indem man zum Beispiel einen Babysitter engagiert und ausgeht oder aber sich das Essen nach Hause liefern lässt und einen schönen Film zusammen guckt oder ein Spiel spielt. Umgekehrt gab es übrigens auch schon zahlreiche Situationen, in denen er der Stärkere von uns war, obwohl er der „Kränkere“ ist.

Es wäre falsch zu behaupten, dass wir inzwischen so sturmfest wären, dass uns die Stürme nichts mehr ausmachen würden. Wenn Ängste und Zweifel herumwirbeln und unser Schiff zum Schwanken bringen, erfordert es immer noch viel Kraft und Glauben, Jesus auf dem schwankenden Wasser zu erkennen und darauf zu vertrauen, dass er uns nicht untergehen lässt.

Die Autorin ist der Redaktion bekannt, möchte aber anonym bleiben.

Nicht auf Kosten der Kinder

Wie finden wir ein partnerschaftliches Familienmodell, das allen Beteiligten gerecht wird? Und das auch so etwas wie ein „christliches“ Familienmodell ist? Von Jutta Koslowski

„Meine Rolle, deine Rolle. Gibt es ein ‚christliches‘ Familienmodell?“ – So titelte Family im Herbst 2018. Dazu erschien ein Artikel, der aufräumt mit überkommenen Rollen-Klischees – und das ist gut so. Wir Christen neigen ja manchmal dazu, den gesellschaftlichen Entwicklungen etwas hinterherzuhinken, anstatt für andere wegweisend zu sein. Und so ist es höchste Zeit, Abschied zu nehmen von der Vorstellung, dass die traditionelle Rollenverteilung mit einer göttlichen Ordnung gleichzusetzen ist. „Kinder – Küche – Kirche“: Für viele Frauen ist das nicht mehr ausreichend, auch in christlichen Kreisen. „Kinder – Krippe – Karriere“ heißt dann der neue Lebensentwurf. Bleibt nur die Frage, wie die Aufgaben zwischen den Ehepartnern konkret verteilt werden – allen voran die Aufgabe der Kinderbetreuung.

DIE BESTEN STUNDEN DES TAGES

Mir war schon vor unserer Hochzeit vor 25 Jahren klar, dass es mir viel bedeutet, in meinem Beruf zu arbeiten. Ich wollte Theologie studieren und Pfarrerin werden. Und ich wollte Kinder haben – mindestens vier. Dabei bin ich der Meinung, dass Kinder am besten in ihrer Familie aufgehoben sind, also von Mutter und Vater und allenfalls noch den Großeltern betreut werden sollten. Zwar habe auch ich mit einer Tagesmutter experimentiert. Manche Eltern machen damit ja gute Erfahrungen, aber für mich war es eher schwierig.

Jeden Tag habe ich auf den Moment ihrer Ankunft hingelebt und mich bemüht, dass alles dafür bereit war: die Kinder satt, frisch gewickelt und ausgeschlafen, die Küche aufgeräumt. Dann hat die Tagesmutter die besten zwei Stunden des Tages mit meinen Kindern verbracht; und wenn ich abends zurückkam, habe ich wehmütig die Duplo-Bauwerke und Sandkuchen bewundert, die während meiner Abwesenheit entstanden waren – bevor ich mich dann ans Abendessen und Zubettbringen gemacht habe. Und es gab noch ein Problem: Entweder bauen meine Kinder eine intensive Beziehung zu einer vorübergehenden Bezugsperson auf – dann ist es ein Verlust für sie, wenn diese die Familie wieder verlässt; oder sie bauen keine intensive Beziehung auf – das ist mir ebenfalls nicht recht.

NASEN UND KLOS PUTZEN

Schließlich wurde mir klar: Was ich wirklich brauche, ist jemand, der bei meinen Kindern bleibt, auch wenn sie krank und ungezogen sind. Der sich nicht nur um die Betreuung kümmert, sondern zugleich um den Haushalt. Der Nasen und Klos putzt, den Rasen mäht und Verabredungen mit Freunden organisiert. Wer kann so etwas schaffen? Niemand anders als der Papa! Und wie ist das möglich? Nur durch Teilzeitarbeit. Deshalb habe ich so lange auf meinen Mann eingeredet, bis er sich dazu bereit erklärt hat, seine Arbeitszeit zu reduzieren. Wir einigten uns, in Zukunft beide nur noch „halbtags“ zu arbeiten. Das musste mein Mann seinem Chef klarmachen. „Geht nicht“, konterte der, „ich will Sie zu meinem Nachfolger aufbauen, da müssen Sie ganz zur Verfügung stehen.“ Das ging so lange, bis mein Mann ihm eines Morgens das Kündigungsschreiben auf den Schreibtisch legte (ohne eine neue Arbeitsstelle in Aussicht zu haben). An diesem Tag kam er mit dem Vertrag für eine Teilzeittätigkeit nach Hause. Das hat der Arbeitgeber nie bereut, denn nun ging mein Mann jeden Morgen hochmotiviert aus dem Haus, war fast nie krank und hatte seine Work-Life-Balance gefunden.

ALLES, WAS MAN BRAUCHT

Und wie sah es mit unserem Geld aus? Während meiner Promotion habe ich nichts verdient. Konnten wir als fünf-, später sechsköpfige Familie von einem halben Gehalt leben? Ja, wir konnten! Das liegt zum einen daran, dass wir einen qualifizierten und gut bezahlten Beruf haben. Andererseits lagen wir mit einem halben Gehalt unterhalb der offiziellen „Armutsgrenze“ und hatten Anspruch auf Sozialleistungen. Dabei würde ich noch nicht einmal sagen, dass wir besonders gelitten haben. Wir sind zum Beispiel mehrmals im Jahr in den Urlaub gefahren. Diese gemeinsamen Zeiten waren uns immer sehr wichtig; allerdings haben wir sie unkonventionell und preiswert gestaltet. Einmal, als die Familienkasse leer war, haben wir unseren Kindern gesagt: „Wir fahren in den Sommerferien nach Italien – dann eben ohne Geld.“ Ein paar Nächte haben wir am Strand unter dem Sternenzelt verbracht, bis unsere Kinder protestierten, dass wir wie Obdachlose hausten und auf eigene Faust einen günstigen Campingplatz ausfindig machten.

Wir haben ein alternatives Familienmodell gelebt, für das wir uns niemanden zum Vorbild nehmen konnten: Seit vielen Jahren arbeiten wir beide halbtags und kümmern uns partnerschaftlich um Haushalt, Kinder und alle anderen Aufgaben. Zwischendurch gab es auch Phasen, wo mein Mann wieder in Vollzeit arbeitete. In dieser Zeit haben wir gut verdient – dennoch war am Ende des Monats nicht mehr Geld übrig als zuvor. Im Lauf der Jahre haben wir etliche Male die Situation erlebt, dass sich unser Brutto-Einkommen von einem Tag auf den anderen um mehr als tausend Euro erhöht oder erniedrigt hat, ohne dass sich das nennenswert auf unser Netto-Einkommen ausgewirkt hätte. Daraus habe ich meine persönliche Wirtschafts-Theorie entwickelt: nämlich, dass man eigentlich immer so viel Geld zur Verfügung hat, wie man braucht. Zugegeben, das passt in kein Lehrbuch der Betriebswirtschaftslehre – aber dafür zur Erfahrung des Apostels Paulus: „Ich habe gelernt, mir genügen zu lassen, wie’s mir auch geht. Ich kann niedrig sein und kann hoch sein; mir ist alles und jedes vertraut: beides, satt sein und hungern, beides, Überfluss haben und Mangel leiden; ich vermag alles durch den, der mich mächtig macht“ (Philipper 4, 11–13).

ROLLENTAUSCH

Als unser viertes Kind geboren wurde, haben wir unsere Rollen für eine Weile ganz getauscht: Drei Jahre ist mein Mann in Elternzeit gewesen, weil ich in dieser Zeit mein Vikariat als Pfarrerin absolviert habe – eine Aufgabe, die nur in Vollzeit möglich war. Inzwischen sind wir wieder beide bei unserer 50-50-Rollenverteilung angekommen. Seit alle unsere Kinder am Vormittag im Kindergarten oder in der Schule sind, ist unser Leben einfacher geworden: Wir arbeiten täglich zwischen 8 und 13 Uhr, und am Nachmittag sind wir beide zu Hause und können uns um unsere Kinder kümmern – wobei wir einen traumhaften „Betreuungsschlüssel“ von 2:1 haben und fast jeden Nachmittag auch noch Zeit finden, gemeinsam in der Sonne zu sitzen und einen Kaffee zu trinken …

Mein Mann ist in unserer Familie eher der „Außenminister“, der viele der täglich anfallenden Fahrten übernimmt, während ich die „Innenministerin“ bin, die sich um Dinge wie Haushalt, Schulaufgaben, Musikinstrumente üben kümmert. Andererseits gibt es ein paar Bereiche, wo die klassische Rollenverteilung bei uns eher umgekehrt ist, weil dies unseren Fähigkeiten und unserer Persönlichkeit mehr entspricht. So kocht mein Mann das Essen; dafür greife ich fast täglich zum Werkzeugkasten.

Wichtiger als das Urteil anderer ist die Frage, wie wir innerhalb unserer Familie mit unserer Aufgabenteilung zurechtkommen. Um ehrlich zu sein: Das ist nicht einfach. Sicherlich hat unser Modell manche Vorteile. Allen voran, dass wir nicht in getrennten Lebenswelten leben, sondern dass mein Mann die Telefonnummer unseres Kinderarztes ebenso kennt wie ich. Der größte Nachteil besteht für mich im Verlust von Autonomie im Umgang mit unseren Kindern. Denn natürlich ist mein Mann nicht einfach nur da, sondern er bestimmt mit. Mir scheint, dass ich die einzige Mutter weit und breit bin, die nicht darüber entscheiden kann, ob ihr Kind an einem nasskalten Herbsttag ein Unterhemd anziehen soll …

KINDERTRÄNEN VERMEIDEN

Eins aber steht für mich fest: Der Lebensentwurf, den wir wählen, darf nicht auf Kosten unserer Kinder gehen! Denn für unsere Kinder haben wir uns entschieden, und sie sind besonders schutzbedürftig. Das Kindeswohl muss an oberster Stelle bei allen Entscheidungen stehen.

Einige Kinder fühlen sich tatsächlich wohl bei der Tagesmutter oder in der Kinderkrippe. Aber andere nicht. Ich habe etliche Jahre in einem Kindergarten als Erzieherin gearbeitet. Da konnte ich beobachten, wie manche Kinder auch noch nach Monaten vor allem eine Frage auf dem Herzen hatten: „Wann kommt meine Mama? Wann werde ich abgeholt?“ Natürlich hören die meisten Kinder mehr oder weniger schnell auf zu weinen, wenn man sie mit festem Entschluss abgegeben hat. Aber warum? Weil es in Wirklichkeit doch gar nicht so schlimm ist, wenn Mama und Papa fort sind? Vielleicht versiegen ihre Tränen ja auch, weil sie ihre Ohnmacht erkennen: Meine Eltern sind fort und kommen nicht wieder – auch mit herzzerreißendem Weinen kann ich daran nichts ändern. Aber will ich tatsächlich, dass mein Kind eine solche Lektion der Hilflosigkeit oder gar Verzweiflung lernt?

Ich jedenfalls habe meinen Kindern, als sie jeweils mit drei Jahren in den Kindergarten kamen, gesagt: „Ich möchte, dass es euch hier gut gefällt und ihr glücklich seid. Wenn ihr nicht im Kindergarten bleiben wollt, dann braucht ihr nicht zu weinen; ihr braucht es mir nur zu sagen, und ich nehme euch wieder mit nach Hause oder melde euch ab.“ Zwei unserer vier Kinder haben wir tatsächlich vorübergehend wieder vom Kindergarten abgemeldet. Aber keines von ihnen hat eine einzige Träne dort vergossen. Das war es mir wert. Denn ich bin überzeugt: Tränen von Babys und Kindern bedeuten nichts anderes als bei uns Erwachsenen – sie sind Ausdruck von tiefem seelischen Schmerz. Und Kindertränen sollten wir vermeiden, wenn das Wohl des Kindes im Mittelpunkt unseres Handelns steht.

REICHLICH BELOHNT

Gibt es ein christliches Familienmodell? Es sollte sich nicht in der Zuweisung traditioneller Rollenmodelle zwischen Mann und Frau erschöpfen. Wenn überhaupt, dann wäre es vielleicht dies: In einem christlichen Familienmodell stehen diejenigen im Mittelpunkt, die Jesus seliggepriesen hat, die Schwachen – also vor allem die Kinder (Matthäus 18, 1-5). Und nicht das Geld. Erst recht, wenn es nicht um Alleinerziehende geht, sondern um ein verheiratetes Ehepaar, stellt sich die Frage, ob es wirklich keine andere Option gibt, als ein Kind in Fremdbetreuung zu geben. Ich meine, dass wir es uns in einer Überflussgesellschaft wie der unseren in aller Regel leisten können, auf einen Doppelverdienst zu verzichten, wenn wir bereit sind, unseren Lebensstandard entsprechend zu senken.

In meiner Familie hat unser Familienmodell dazu geführt, dass wir über Jahre hinweg „arm“ waren. Wir waren auf Sozialleistungen wie Wohngeld angewiesen. Das hat manche Nachteile mit sich gebracht; andererseits haben wir erfahren, dass man auch ohne Einkommen sein Auskommen haben kann. Noch gravierender war die Tatsache, dass sowohl mein Mann als auch ich auf viele Karrieremöglichkeiten verzichten mussten, die im Rahmen einer Teilzeittätigkeit nicht zur Verfügung standen. Aber dafür wurden wir reichlich belohnt, indem wir das Gefühl haben, im Leben unserer Kinder nichts verpasst zu haben. Und wenn ich höre: „Ach ja, schon wieder ein Jahr vorbei; wie schnell die Zeit vergeht!“, dann denke ich manchmal im Stillen: Für mich fühlt sich ein Jahr eigentlich wie eine kleine Ewigkeit an, so viel habe ich in dieser Zeit erleben dürfen …

Dr. Jutta Koslowski ist Sozialpädagogin und evangelische Pfarrerin, Autorin und wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Mainz. Sie ist verheiratet und hat vier Kinder. Mit ihrer Familie lebt sie im Kloster Gnadenthal im Taunus.