Fürsorge und Verlangen

Wir kümmern uns um die Sorgen und Bedürfnisse unserer Liebsten. In der Partnerschaft kann das jedoch das sexuelle Verlangen stören. Wie der Gegensatz aus Begehren und Unterstützung eine Bereicherung wird, verrät Tabea Müller.

Endlich schlafen die Kinder. Luise räumt auf, legt frische Kleidung raus und macht das Nachtlicht an. Dann geht sie in die Küche, um die Brotboxen für den nächsten Tag zu füllen. Tim schlurft aus dem Büro und schenkt sich und Luise einen Schluck Wein ein. Zu müde für eine geistreiche Konversation setzen sie sich, um zumindest den Tag in stiller, aber zufriedener Zweisamkeit zu beenden. Seit die Kinder ihre Ehe bereichern, hat sich vieles geändert. Das sexuelle Verlangen leidet darunter.

Mehr Zeit fließt in Alltagsorganisation und Versorgung. Zeiten der Muße und der Langeweile sind rar geworden. Das entbehrliche Schöne in ihrem Leben stellen sie hinten an, bis die vermeintlich dringlichen Dinge erledigt sind – so auch den Sex. Als letzter Punkt auf der To-do-Liste am Abend muss er mit dem ersehnten Schlaf konkurrieren und zieht dabei oft den Kürzeren. Die wenigen Male, die er gewinnt, ähnelt er mehr einem Sandwich im Drive-in als einem festlich gedeckten Mahl: uninspirierend, fantasielos, unkreativ.

Auf andere ausgerichtet

Luise und Tim sind in dieser Hinsicht keine Ausnahme. Je länger eine Beziehung dauert, desto mehr erlebt ein Paar miteinander. Neben all den schönen und aufregenden Dingen kommen auch Stressphasen, Zusammenbrüche und Krankheiten hinzu, in denen der Partner mehr Fürsorge braucht als in den ersten gemeinsamen Urlauben. Den Kaffee ans Bett zu bringen ist dann nicht mehr nur romantisch, sondern notwendig, da die Partnerin das Bett nicht verlassen kann.

Diese Phasen gemeinsam zu meistern, ist einer der vielen Vorteile einer lebendigen Beziehung. Durch die gegenseitige Fürsorge fühlen sich die Partner zugehörig, sicher und geliebt. Sie lässt beide spüren, dass sie jemandem so viel bedeuten, dass dieser nachts für sie aufsteht und seine eigenen Bedürfnisse zurückstellt.Betreten Kinder die Bühne, wird es komplizierter: Plötzlich reicht es nicht mehr, sich nur umeinander und um sich selbst zu kümmern. Tag, Nacht und Hormone werden über den Haufen geworfen, um den Bedürfnissen der neuen hilflosen Wesen nachzukommen. Sogar das mütterliche Gehirnvolumen schrumpft während Schwangerschaft und Kleinkindphase, um sich laut wissenschaftlicher Vermutung auf die Erkennung der nonverbalen Zeichen des Kindes zu spezialisieren. In dieser Zeit mutieren Eltern zu wahren Fürsorgeprofis, immer auf das Wohl eines anderen bedacht.

Selbstfürsorge, und damit die Quelle für sexuelles Verlangen, bleibt häufig auf der Strecke. Denn während Fürsorge stets gedanklich und emotional auf einen anderen ausgerichtet ist, bleibt Verlangen bei sich selbst.

Lustkiller Fürsorge

So edel Fürsorge auch sein mag, wenn du deine Identität darin findest, verwandelt sie sich in selbstgefällige Bemutterung. Statt dem anderen gutzutun, schränkt sie dessen Individualität ein und wird kontrollierend. Sie betrachtet ihn oder sie nicht mehr als Gegenüber, sondern als Hilfsbedürftigen – und wirkt dadurch wie ein echter Lustkiller. Wenn du deinen Partner bemutterst, dann habt ihr sicherlich weniger Sex. Es fällt schwer, jemanden zu begehren, den du als hilfsbedürftig wahrnimmst.

Genauso schwer ist es aber auch, den attraktivsten und selbstständigsten Partner auf dem Planeten zu begehren, wenn du selbst erschöpft und ausgelaugt bist. Von der Mutterrolle in die erotische Ehefrau zu wechseln, sobald die Kinder schlafen, ist nicht einfach. Ebenso schwer kann es sein, als Vater den Stress beiseitezuschieben, um ganz im Hier und Jetzt der müden Frau zuzuhören und dabei sexuelles Begehren aufflammen zu lassen. Hier hilft immer wieder eine Standortbestimmung, wie du dich nicht nur gegenüber deiner Partnerin oder deinem Partner verhältst, sondern auch gegenüber dir selbst.

Um deinen Partner oder deine Partnerin wieder zu begehren, musst du zuerst dich selbst lieben und dafür sorgen, dass deine Bedürfnisse gestillt und dein Liebestank gefüllt ist. Eine Gedichtzeile von Bernhard von Clairvaux drückt das ganz passend aus: „Lerne auch du, nur aus der Fülle auszugießen und habe nicht den Wunsch, freigiebiger zu sein als Gott.“ So machst du das Geliebtwerden nicht mehr vom anderen abhängig. Du begehrst aus der Fülle heraus und nicht aus Mangel. Doch auch das Verlangen kann Schatten werfen. Wenn du dich so auf deine eigenen Wünsche fokussierst, dass du den Zustand des anderen nicht mehr richtig wahrnimmst, verwandelt sich dein Begehren in Begierde.

Darin steckt ein schönes Wortspiel: Ehre wird zur Gier. Gier ehrt den Partner nicht, selbstsüchtig und rücksichtslos trampelt sie über dessen moralische und emotionale Grenzen. Das kann dazu führen, dass deine Partnerin oder dein Partner Druck empfindet. Sex passiert dann mehr aus Pflichtgefühl als aus freien Stücken.

Erotik statt Aufopferung

Lassen wir Fürsorge und Verlangen also wieder miteinander tanzen, so führt die Fürsorge das Verlangen so, dass dieses die Grenzen seines Gegenübers wahrt und ihn begehrt. Gleichzeitig sorgen die Tanzfiguren des Verlangens dafür, dass die Fürsorge beeindruckt bleibt und ihr Gegenüber nicht diskreditiert, sondern bewundernd zu ihm aufschaut. Fürsorge und Verlangen sind Gegensätze, die einander brauchen, um eine Beziehung dynamisch zu halten. Sie spannen einen Raum auf, in dem Spannung und Abenteuer, aber auch Sicherheit und Heimat Platz finden.Monate vergehen, bis der Leidensdruck von Tim und Luise groß genug ist, um etwas dagegen zu unternehmen. So sehr Tim auch die Hingabe und Aufopferung von Luise bewundert, so stark vermisst er ihre verspielte, erotische Seite.

Auch Luise vermisst diese Seite an sich, hat aber keine Idee, wie sie sie auf die Schnelle hervorzaubern kann.Um ihre Sexualität wieder wie ein Kunstwerk zu behandeln, krempeln sie ihr Leben um. Sie schaufeln sich einen Vormittag in der Woche frei, an dem die Kinder versorgt sind. Ohne Müdigkeit und Zeitdruck verabreden sie sich regelmäßig zu einer erotischen Begegnung, bei der sie ihre Lust kultivieren können.

Diese Entscheidung kostet sie nicht wenig. Da Tim dafür seine Arbeitszeit auf 80 % reduziert, bleibt weniger Geld übrig, das an anderen Stellen gespart werden muss. Doch die frische Lebendigkeit ihrer Beziehung ist ihnen jeden Euro wert.Dieser Lösungsansatz ist ziemlich radikal und sicherlich nicht für jedes Paar geeignet. Die Frage dahinter kann aber jeder beantworten: Wie viel ist mir eine Veränderung unserer aktuellen Situation wert? Kostet mich die Lösung mehr, als einfach das Problem zu behalten? Dann ist vielleicht die Lösung das Problem und ihr habt gar keins mehr. Oder ihr versucht es erst einmal mit kleineren Veränderungen.

Vier Stellschrauben, um das sexuelle Verlangen nach dem Partner zu erhalten:

1. Kümmere dich zuerst um dich selbst
Wie bei der Sicherheitseinweisung im Flugzeug: Erst die eigene Maske, dann anderen helfen. Es lohnt sich ein regelmäßiger Self-Check: Auf einer Skala von 1 (zu wenig) bis 10 (tiptop): Wie viel Schlaf erlaube ich mir? Plane ich regelmäßig Zeit für Sport ein? Wie viel Wert lege ich auf gute Ernährung? Nehme ich meine Bedürfnisse gut genug wahr? Wie begehrenswert fühle ich mich? Wo du keine 10 Punkte vergeben kannst, lohnt sich eine Anpassung.Ein häufiges Selbstsabotage-Symptom ist die sogenannte Bedtime-Prokrastination, also das sinnfreie Hinauszögern der Schlafenszeit trotz Müdigkeit. Hier gibt es viel Energie zu holen. Also: Handy aus, Schlafi an!

2. Entrümpele deinen Alltag
Je weniger du besitzt, umso weniger Dinge wollen, dass du dich um sie kümmerst. Einmal komplett zu entrümpeln ist zwar viel Arbeit, danach bleibt aber definitiv mehr Zeit für Muße und Selbstfürsorge. Auch ein kritischer Blick in den Kalender lohnt sich: Sind all deine Termine sinnvoll, notwendig oder beflügelnd? Wende auch hier wieder die 10-Punkte-Skala an. Was nicht mindestens eine 9 bekommt, kann weg.

3. Plane bewusste Intimität ein
Es geht nicht nur um die Häufigkeit von Sex und ob beide Partner zum Orgasmus kommen. Vielmehr geht es um die Qualität der gemeinsamen Zeit, wohin die Erfahrung euch trägt und welche Träume und Fantasien sie anregt. Es kann sehr intim sein, sich gegenseitig zu berühren, ohne Sex haben zu dürfen. Auch spielerisch mal den Liebesdiener zu spielen und beim nächsten Mal den Bestimmer, kann aufschlussreich darüber sein, ob dir das Geben oder das Nehmen leichterfällt. Bist du mental gern ganz bei dir oder lieber beim anderen? Wie hast du dich in der jeweiligen Rolle gefühlt?

4. Tauscht regelmäßig die Rollen
Oft werden die Aufgaben nach Kompetenz und Präferenz aufgeteilt. Dadurch wirst du in manchen Dingen zum Experten, während du andere Dinge vielleicht sogar verlernst. Die Rollen immer wieder zu tauschen, hilft, dem Partner ebenfalls alles zuzutrauen und schützt vor der Bemutterungs- oder Bevaterungsfalle.

Tabea Müller ist Psychologin und lebt mit ihrer Familie bei Karlsruhe. www.tabeasarah.de

„Ich wollte dieses kleine Menschlein festhalten“

Als Claudia Staudt die kleine Lena im Arm hält, ist für sie klar: Sie möchte ihre Mama werden. Dass Lena lebenslang pflegebedürftig sein wird, ändert nichts an ihrer Entscheidung.

Lena Marie. Lena. Lenchen. Mein Baby. Unsere Tochter. Unser großes Mädchen, das mit den ersten Launen der Pubertät kämpft, Sitzski fährt und allein ihre Assistenzhündin führt. Lena ist ein so bemerkenswertes Mädchen. Und bemerkenswert ist auch unsere Geschichte. Bis heute kann ich es manchmal kaum glauben, dass ich Mama dieses tollen Wesens sein darf. Dass ich überhaupt Mama sein darf.

Das winzigste Baby

Als mein Mann und ich unsere Tochter kennenlernten, war sie schon beinahe drei Monate alt. Und doch war sie das winzigste Baby, das ich je gesehen habe. Sie trug Kleidergröße 50 und versank darin. Lena war vier Monate zu früh zur Welt gekommen und hatte während der Geburt Hirnblutungen erlitten. Die Ärzte hatten so schwere Schädigungen des Hirns diagnostiziert, dass sehr schnell klar gewesen war, dass Lena zeitlebens schwere Beeinträchtigungen haben würde. Lenas leibliche Eltern hatten sie daraufhin zur Adoption freigegeben, und das Jugendamt hatte sie bei einer Bekannten unserer Familie untergebracht. Wir kannten Regina aus unserer Kirchengemeinde, sie nahm häufiger Kinder auf. Aus Familien, in denen es schwer war. Oder Babys, die weitervermittelt wurden. Und nun war Lena bei ihr. An einem Sonntag im März 2013 lag sie in meinen Armen. Ich roch an ihrem Haar, streichelte sanft über ihren kleinen Bauch und hörte zu, wie Regina berichtete, dass die Behörden keine Adoptiveltern für dieses kleine Mädchen finden konnten. Keiner wollte ein Baby adoptieren, das mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit lebenslang ein Pflegefall bleiben würde. Die vergangenen drei Monate hatte dieses kleine Mädchen allein auf der Neonatologie gelegen. Sie hatte nach einer Frühgeburt in der 27. Schwangerschaftswoche um ihr Leben gekämpft, ihren Zwillingsbruder verloren und niemanden gehabt, der ihr sagte, dass er sie liebt. Und nun sollte sie den Rest ihres Lebens in einem Heim verbringen? Würde man da auch mehrmals die Woche mit ihr zu ihren Therapien gehen, wie Regina es tat? Alles in mir wehrte sich gegen diese Vorstellung.

Hals über Kopf verliebt

Mein Mann und ich hatten eine jahrelange Reise durch die Labore einer Kinderwunschklinik hinter uns. Hormonbehandlungen, künstliche Befruchtungen und Fehlgeburten hatten in den vergangenen Jahren unseren Alltag bestimmt. Unser sehnlichster Wunsch war es, einem Kind Liebe zu schenken und es in die Welt zu begleiten. Hier war nun dieses bezaubernde, hilflose Wesen, und niemand wollte ihm ein Zuhause geben? Wir wollten es. Ich wollte dieses kleine Menschlein festhalten, ihm immer wieder versichern, dass es nicht allein ist. Mein Mann und ich hatten uns Hals über Kopf in Lena verliebt und wollten für Lena da sein, sie glücklich machen, ihr helfen. Wir sprachen miteinander, mit Freunden und der Familie. Sprachen mit Regina. Wir stellten uns vor, wie es wäre, Lenas Eltern zu sein. Malten uns aus, wie das Leben mit einem schwer behinderten Kind aussehen könnte. Zeichneten Worst-Case-Szenarien und betrachteten sie. Schreckten sie uns ab? Nein. Hatten wir die Unterstützung unserer Freunde und Familien? Ja. Also gingen wir zum Jugendamt und erklärten, dass wir Lenas Eltern werden wollen. „Auf keinen Fall“, hieß es vonseiten des Jugendamtes. Man kenne uns schließlich gar nicht. Man könne uns nicht einfach so ein Kind geben. „Nein, nicht einfach so“, sagten wir. Aber man könnte uns doch wenigstens mal anschauen. Wir gaben nicht auf, wir kämpften, wir überzeugten das Amt, uns kennenzulernen. Endlose Gespräche, unzählige ausgefüllte Formulare und viele absolvierte Seminare später durfte Lena unsere Pflegetochter werden.

Anders als die anderen

Dass Lena anders war als die Babys in unserem Umfeld, die keine Behinderung hatten, war von Anfang an sehr deutlich. Wenn ich gefragt werde, wann wir merkten, dass das Leben mit Lena nicht so werden würde, wie wir uns unser Familienleben während unserer Kinderwunschbehandlungen vorgestellt hatten, sage ich, dass Anders gemeinsam mit Lena bei uns eingezogen ist. Angeklopft hatte es schon einige Jahre zuvor, das kleine Anders – nämlich mit unserem Gang ins Kinderwunschzentrum. Mit Lena aber nistetete es sich bei uns ein, war gekommen, um zu bleiben. Ich erinnere mich an die Babyschwimmkurse: Jede einzelne Stunde beendeten Lena und ich vorzeitig und verließen vor allen anderen fluchtartig das kleine Becken. Lena konnte die vielen Reize nicht verarbeiten. Das Wasser, das Lachen der anderen Kinder, der Gesang der Mütter – alles zu viel für sie. Anders war es auch mit Lena im PEKiP-Kurs. Während die übrigen Kinder von Woche zu Woche mobiler wurden, nach Gegenständen griffen, sitzen lernten und sich irgendwann an den großen bunten Spielquadraten hochzogen, lag Lena von Anfang bis Ende des Kurses in meinem Arm. Sie zeigte kein Interesse an der Bewegung, scheiterte daran, irgendetwas festzuhalten, und begann stets panisch zu brüllen, wenn ich ihren Körper auch nur ansatzweise von meinem entfernte. Ich litt. Nicht, weil ich mein Baby nicht jede Sekunde bei mir haben wollte. Nein, ich liebe es noch immer, an ihr zu riechen, sie an mich zu drücken und ihr über die dunklen Locken zu streicheln. Aber die anderen Kinder schienen so viel Freude an der Bewegung zu haben – und das wünschte ich mir für Lena auch.

Außen vor

Mit Lena wuchs auch Anders. Es nahm immer mehr Platz auf unserer Couch ein. Es begnügte sich nicht mehr damit, bei uns zu Hause zu sein, sondern spazierte mit uns durch die Straßen unseres Stadtviertels. Das war ungefähr zu der Zeit, als wir für Lena einen Rehabuggy bekamen. Ein sperriges und für mein Empfinden hässliches Teil. Das sei in grau eigentlich ganz schick, hatte der Rehatechniker bei der Erprobung gesagt. Glatte Lüge. Aber es bot Anders eine tolle Möglichkeit, sich beim Spazierengehen daran festzuhalten – alle anderen Familien hatten schicke moderne Buggys. Wir fielen also auf. Anders fiel auf. In der Kindergartenzeit sorgte Anders immer wieder für Tränen bei Lena und uns. Kindergeburtstage in der Kletterhalle, Playdates auf dem Spielplatz, die ersten Turnstunden – Lena war außen vor. Und mit Lena waren auch wir außen vor. Die Mamas der nicht behinderten Kinder unseres inklusiven Kindergartens waren großartig und luden mich immer mit ein, wenn sie sich trafen. Immer ging ich voller Vorfreude und Optimismus hin. Und immer kam ich enttäuscht nach Hause. Denn jedes Mal ging es um Themen, bei denen ich nicht mitreden konnte: Welche Ballettschule im Umkreis ist die beste? Welches Fahrrad ist für den Einstieg geeignet? Und wo gibt es Vereine, in denen die Kinder den Freischwimmer machen können? Ich hörte zu und lächelte. Wollte aber manches Mal lieber heulen. Und mich eigentlich über Windeln für große Kinder, schönen Rolli-Speichenschutz und die nächste stationäre Kinderreha unterhalten. Es passte einfach meistens nicht.

Hobby gefunden

Mittlerweile besucht Lena die vierte Klasse einer inklusiven Montessorischule. Und noch immer ist Anders ein Thema. Nach wie vor gehört Lena für unser und ihr Empfinden nicht richtig dazu. „Mama, das liegt nicht an mir. Das liegt an meiner Behinderung“, sagt sie oft. Ja, mein Kind, ganz richtig. Nun könnte man fragen, ob sie denn an einer Förderschule nicht besser aufgehoben sei. „Nein“, sagt Lena. Wir haben uns vor Schuleintritt gemeinsam mit ihr für die private Regelschule und gegen die Förderschule entschieden. Denn Therapien konnte man uns in der Förderschule ohnehin nicht garantieren. Individuelle Förderung für unser zwar motorisch so eingeschränktes, kognitiv aber so fittes Mädchen auch nicht. Dazu dreimal so lange An- und Abreisezeit und unflexible Unterrichtszeiten. Lenas Schule ist toll. Und in der Schule selbst ist Lena voll dabei. Genau wie all die anderen Kinder mit Behinderung. Aber zwischen „Ich akzeptiere meine behinderte Mitschülerin“ und „Ich möchte mit meiner behinderten Mitschülerin befreundet sein“ liegen eben Welten. Lena hat eine Freundin. Eine. Und die auch erst seit Ende der dritten Klasse. Inklusion ist eben mehr, als behinderte Kinder als nicht störend zu empfinden. Trotz aller Schwierigkeiten sind wir heute eine glückliche kleine Familie, Lena ein fröhliches, intelligentes und humorvolles elfjähriges Mädchen. Mit ihrem Elektro-Rollstuhl fährt sie selbstbewusst durchs Leben. Sie ist eloquent und durchsetzungsfähig. Und stolze Teampartnerin einer Assistenzhündin namens Ypsi. Mit Ypsi hat Lena ein Hobby gefunden, das sie gemeinsam mit den anderen Kindern aus unserem Assistenzhundeverein ausüben kann.

Ständiger Kampf

Und wir? Wir kämpfen noch immer. Nicht mehr um Lena, sondern für sie. Für Teilhabe, für Hilfsmittel, für Inklusion. Für Entlastung, Verständnis und Unterstützung für uns pflegende Eltern. Wir haben gelernt, uns Anders zu Nutzen zu machen. Lena spricht auf medizinischen Kongressen über ihre Behinderung. Sie berichtet, wo sich in ihrem Alltag Hürden auftun, welche Hilfsmittel ihr die liebsten sind und was sie sich für die Zukunft wünscht. Auf meinem Instagram-Account @claudistaudi lasse ich die Welt an unserem turbulenten Alltag teilhaben. Ich betreibe außerdem den Podcast „Pflegegrad Glück“ für pflegende Mütter. Und ich habe ein Buch veröffentlicht. In „Wir wollten Lena“ erzähle ich nicht nur unsere Geschichte, sondern beschreibe auch, dass es nach wie vor die Bürokratie ist und nicht Lenas Behinderung, die uns im Alltag am meisten behindert. Andreas und ich werden oft gefragt, ob wir es bereuen, ein behindertes Kind angenommen zu haben. Die Antwort ist ein entschiedenes und laut gebrülltes „NEIN!“. Aber auf die Frage, ob das Leben mit einem behinderten Kind so ist, wie wir es uns vorgestellt hatten, brüllen wir ein ebenso lautes „NEIN!“. Niemals hätten wir gedacht, wie schwierig es ist, die Hilfsmittel und die Unterstützung zu erhalten, die unserem Kind und uns zustehen. Und niemals hätten wir vorab realisieren können, wie wenig inklusiv unsere Gesellschaft ist. Aber ebenso wenig hätten wir uns jemals ausmalen können, wie glücklich und zufrieden uns das Leben mit Lena machen würde.

Claudia Staudt arbeitet als freie Journalistin, Pressesprecherin und Fitnesstrainerin. Sie lebt mit ihrem Mann, ihrer Pflegetochter und deren Assistenzhündin im Großraum Düsseldorf. Über ihre Geschichte mit Lena hat sie ein Buch geschrieben: „Wir wollten Lena“ (Bonifatius) Mehr zur Familie auf Instagram unter @claudistaudi

Familienurlaub auf dem Rad

Kann Radfahren, Zelten, Baden und Nudeln mit Tomatensoße ein echter Urlaub für die Familie sein? Ja! Wie das geht, berichtet Familienvater Manuel Lachmann.

Drei Fahrräder, ein Laufrad, ein Fahrradanhänger, zwei Packsäcke und vier Radtaschen – damit starteten wir unseren Urlaub: eine Radreise auf dem Elberadweg in Sachsen. Für unseren Sohn Nathanael (zu der Zeit sechs Jahre alt) begann mit der Ankunft am Bahnhof in Halle/Saale der nervenaufreibendste Teil der Reise: „Schaffen wir den Zug?“, fragte er immer wieder. Und: „Passen wir denn alle in den Zug mit unseren Fahrrädern und dem Anhänger?“ Wir passten hinein!

In unserem Abteil saß ein älteres Ehepaar, ebenfalls mit dem Rad unterwegs, mit dem wir leicht ins Gespräch kamen. Die Zugfahrt verging dadurch wie im Nu. Nach etwa zwei Stunden kamen wir in Coswig an. Nun fuhren wir per Rad die drei Kilometer zum ersten Zeltplatz. Am Zeltplatz angekommen hieß es erst einmal Zelt aufbauen, auspacken und etwas essen. Die Kinder haben direkt den Spielplatz ausfindig gemacht und das Freibad entdeckt, das zum Zeltplatz gehört. Natürlich wurden Freibad samt Rutsche und Spielplatz ausgiebig getestet.

Urlaub pur: Pause mit Eis

Unser Ziel am nächsten Tag hieß Dresden-Mockritz – 22 Kilometer entfernt. Wir fuhren entlang der Elbe durchs Grüne mit wunderschöner Landschaft. Da die Strecke nur wenige Steigungen enthielt, gab es für den dreijährigen Isaak genug Gelegenheiten, auf seinem Laufrad neben uns herzufahren. Wenn er nicht selbst fahren wollte, fuhr er im Anhänger mit. Das Laufrad haben wir dann am Anhänger mit Spanngummis befestigt.

Der Stadtrand von Dresden war schon in Sicht, als wir hinter einer Kurve ein Café mit Eiswagen entdeckten. Es war dort so schön, dass wir gleich zwei Eis gegessen haben. Zudem hatten die Kinder ihren Spaß im Sandkasten und wir Eltern konnten uns bei einem Kaffee mit Blick auf die Elbe und Dresden entspannt zurücklehnen. Der letzte Teilabschnitt des Tages führte uns quer durch Dresden. Auf gut ausgebauten Radwegen hieß es für Nathanael: immer Mama mit dem Radanhänger folgen! Papa fuhr als Schlusslicht hinterher. Souverän meisterte Nathanael die lange Strecke mit viel Autoverkehr bis zum Zeltplatz. Zur großen Freude unserer Jungs hatte der Zeltplatz einen eigenen Swimmingpool. Nathanael hatte erst wenige Tage vor dem Urlaub sein Seepferdchen gemacht. Umso schöner war es, dass er hier jeden Tag üben konnte.

Beliebte Rituale

Radfahren und Schwimmen macht hungrig. Da gibt es nichts Besseres als frisch gekochtes Essen von Papa. Das klappt auch auf einem einflammigen Campingkocher. Die Speisekarte ist meist begrenzt auf drei Gerichte. Am liebsten mögen die Jungs Nudeln mit Tomatensoße und Würstchen. Das geht auch einen ganzen Radurlaub lang. Während ich die Kochutensilien verstaue, geht meine Frau Franzi mit den Kindern zur allabendlichen Abwasch-Session. Die Kinder verhandeln täglich neu, wer abwaschen darf und wer abtrocknen muss.

Vor Eintritt der Dämmerung heißt es umziehen, Zähne putzen und in den Schlafsack kuscheln, damit Mama die Vorlesezeit beginnen kann. Diese Zeit hat sich zu einem beliebten Urlaubsritual entwickelt. Da beiden Kindern nur eine Radtasche zur Verfügung steht, kann die Gute-Nacht-Lektüre nur aus einem gemeinsamen Buch bestehen, das die gesamte Urlaubszeit abdeckt.

Sonnenuntergang am See

Am nächsten Tag fuhren wir weiter nach Pirna – eine Tour von etwa 24 Kilometern. Auch diese Etappe war sehr schön, allerdings kam immer mal eine kleine Steigung dazwischen. Erst einmal fuhren wir ein Stück durch Dresden, bis wir wieder auf den Elberadweg zurückkehren konnten. Ab da konnten wir die Landschaft genießen. Immer wieder dachte sich Franzi Geschichten aus, um die aus Nathanaels Sicht langweiligen Streckenteile zu überbrücken und ihn bei Laune zu halten.

Auf diesem Wegabschnitt erwartete uns eine ordentliche Steigung hinauf zum Schloss Pillnitz. Nicht nur Nathanael kämpfte mit dem Berg, auch wir Erwachsenen – mit voller Beladung und Anhänger. Belohnt wurden wir mit dem Blick auf das Schloss und der schönen Aussicht ins Tal.

Am Zeltplatz angekommen, bauten Franzi und ich das Zelt auf, während die Kinder Stöcke, Moos und Tannenzapfen sammelten und zu einem Lagerfeuer aufschichteten. Nathanael und Isaak sind kreative Kinder, die in der Natur mit viel Fantasie spielen. Das Lagerfeuer wurde vor unserem Zelt aufgebaut und wie ein „echtes Feuer“ behandelt, an dem wir sitzen und Würstchen grillen.

Bei diesem Zeltplatz lag der Badesee mit Sandstrand gleich nebenan. Da wir Eimer und Schaufel immer dabeihaben, ging es nach dem Zeltaufbau zum Spielen, Sandburgenbauen und Planschen an den See. Nach dem Abendessen kehrten wir zum Badesee zurück und genossen die untergehende Sonne.

Staudamm bauen

Wenn man mehrere Tage mit Fahrrad und Zelt unterwegs ist, verfolgt man den Wetterbericht genauer als sonst. Da für den kommenden Tag Regen gemeldet war, entschieden wir, eine Etappe mit Zeltplatz auszulassen und ein Stück mit dem Zug zu fahren. Dafür wollten wir dann drei Nächte an unserem letzten Zeltplatz in Bad Schandau bleiben.

So ging es am nächsten Tag von Pirna eine gute halbe Stunde an der Elbe entlang bis in die Stadt Wehlen. Während wir auf den Zug warteten, gesellten sich Paddler mit einem großen aufblasbaren Schlauchboot zu uns. Schnell kamen wir ins Gespräch. Sie kamen aus der Gegend und meinten, wir hätten eine gute Entscheidung getroffen, gerade diese Strecke mit dem Zug zu fahren. Die Gegend ist hier besonders reizvoll, da die Elbe sich mit ihren vielen Kurven und Biegungen durch die Landschaft schlängelt, was man vom Zug aus am besten sieht.

In Bad Schandau angekommen, ging es entlang der Kirnitzsch zu unserem letzten Zeltplatz. Wir kannten ihn schon von einem früheren Kletterurlaub. Das Gelände ist stufenartig gebaut, wir hatten unseren Platz ganz oben. Bei wunderbarem Sonnenschein war alles schnell aufgebaut. Danach ging es mit den Kindern hinunter an die Kirnitzsch zum Spielen, Bootfahren und Staudammbauen im eiskalten Wasser. Franzi fuhr nach Bad Schandau, um Postkarten und Lebensmittel zu kaufen. In der Touristeninformation erkundigte sie sich nach dem Wetter. Die Verkäuferin versicherte ihr: „Die letzten Tage war schon häufig Regen gemeldet, es kam aber nie etwas herunter!“ Mit dieser Aussage kehrte sie fröhlich zum Zeltplatz zurück.

Nächtliche Überraschung

Müde vom Spielen im kalten Fluss waren wir alle zunächst schnell eingeschlafen. Nach einiger Zeit wurde ich wach, weil ich Regen hörte. Ich spürte ihn auch im Zelt – meine Isomatte war nass! Es gewitterte ordentlich. Meine große Sorge war, dass die Kinder davon wach werden könnten, aber sie schliefen seelenruhig weiter. Franzi und ich versuchten, die Kinder mitsamt ihren Schlafsäcken immer wieder auf die noch trockenen Stellen im Zelt zu platzieren. Mittlerweile floss ein kleiner Fluss durchs Zelt. Daher war an Schlafen nicht mehr zu denken. Am nächsten Morgen beschlossen wir einstimmig, unseren Urlaub zu beenden. Nun mussten wir bei Regen packen. Wegen der schweren nassen Sachen ging es nur langsam zum Bahnhof nach Bad Schandau. Von dort fuhren wir bis Halle/Saale mit dem Zug.

Unser Fazit: Es war ein wundervoller Urlaub, auf den wir mit einem lachenden und einem weinenden Auge zurückblicken. Es gab tolle unerwartete Schwimmgelegenheiten, Natur pur, Sonne, Zeit zum Erholen. Und es gab Wasser im Zelt. Wir hatten uns das Zelt – ein älteres Modell – für den Urlaub geliehen. Nach dem Urlaub stand fest, dass es Zeit für ein eigenes neues und regenfestes Zelt ist. Wir sind sehr dankbar für die gemeinsame Zeit, die wir als Familie erleben durften. In diesen Tagen haben wir gelernt, gemeinsam stark zu sein und aus jedem Erlebnis das Positive hervorzuheben.

Manuel Lachmann ist Hausmann, lebt mit seiner Familie in Halle/Saale, leitet dort „Die Männerreise – Abenteuer Identität“ 

Mein Begehren – dein Begehren

Wenn Ehepartner unterschiedlich stark ausgeprägte sexuelle Lust haben, kann das die Beziehung sehr belasten. Was hilft, damit die Lust nicht zum Frust wird? Von Susanne und Marcus Mockler

„Wie oft habt ihr beide Sex?“ Als uns in einer anonymen Fragerunde bei einem Eheseminar diese Frage gestellt wurde, waren wir uns einig: Darauf geben wir keine konkrete Antwort! Garantiert keine Zahl – denn wem sollte das helfen? Anders Martin Luther, der einst frei heraus den Ratschlag gab: „In der Woche zwier, schaden weder ihm noch ihr, macht im Jahre hundertvier.“ Doch wir glauben, dass Sexualität sich nicht so verallgemeinern lässt. Es gibt kein Richtig oder Falsch in Praktiken oder Häufigkeit. Entscheidend ist, wie es beiden damit geht. Viel wichtiger als die genaue Zahl der Sexualkontakte ist die Qualität der Paarbeziehung. Allerdings bedingt sich beides oft: Paare, die in Befragungen eine hohe Beziehungszufriedenheit angeben, haben in der Regel häufiger Sex als Paare, die insgesamt unzufrieden sind.

Unzufriedenheit und Konflikte

Das Problem kennt fast jedes Paar: unterschiedliches sexuelles Verlangen und verschiedene Vorstellungen darüber, was eine angemessene Frequenz für Intimverkehr sei. Tendenziell beobachten wir mehr Interesse an Sex bei Männern. Das variiert aber von Paar zu Paar. Immer häufiger sind es auch Frauen, die sich mehr intime Aktivitäten erhoffen, während ihre Partner sich zurückziehen. Die Gründe sind vielfältig: Stress, Erschöpfung, medizinische Probleme, hormonelle Schwankungen, traumatische Vorerfahrungen, psychische Erkrankungen, häufiger Pornokonsum. Oft ist es eine Störung der Beziehungsdynamik insgesamt, Unzufriedenheit über die Qualität des gemeinsamen Lebens und mit dem gegenseitigen Umgang, die einem (oder beiden) die Lust rauben.

Die Kluft im sexuellen Begehren führt zu Unzufriedenheit und Konflikten. Schließlich ist Sexualität ein starker Motor und Teil der Identität. Wer immer wieder im Bett abgewiesen wird, entwickelt Frustgefühle und fühlt sich manchmal sogar persönlich abgewertet. Allerdings gerät auch die Person, die weniger Lust hat, unter Druck. Viele plagt ein schlechtes Gewissen, wenn sie nicht auf das Drängen des anderen eingehen. Sie fühlen sich möglicherweise auf ihren Körper reduziert und als Ehepartner ungenügend. Wenn dann Sex regelrecht eingefordert oder einzig aus Angst vor Ablehnung ertragen wird, hilft das der Liebe auf keiner Seite weiter.

Was sind gute Strategien, um mit diesen unterschiedlichen Bedürfnissen umzugehen?

Offen über Sex reden

Wer Probleme mit der Sexualität hat, sollte darüber reden, und zwar offen und mit der ehrlichen Absicht, die Sicht des anderen zu hören und zu verstehen. Vielen ist das Thema unangenehm und sie ziehen sich zurück oder attackieren einander auf anderen Ebenen. So halten sie den anderen auf Abstand, um sich dem eigentlichen Problem nicht mehr stellen zu müssen. Das verfestigt aber den Keil zwischen beiden.

Ein ehrliches Gespräch über unterschiedliche Wünsche, Bedürfnisse und sexuelle Gefühle hilft, einander wieder näherzukommen und möglicherweise auch die Gründe hinter der starken Lust oder Lustlosigkeit zu entdecken. Dabei ist wichtig: Man darf den anderen nicht angreifen oder Vorwürfe machen, sondern sollte ausschließlich die eigenen Gefühle und Erwartungen beschreiben. Währenddessen sollte der Partner einfühlsam und interessiert zuhören. Nicht selten führt allein schon diese offene Kommunikation dazu, dass sich etwas in der Paardynamik bewegt und sich Lösungen, mit denen beide gut leben können, finden lassen.

Forschungen weisen sogar darauf hin, dass Einfühlungsvermögen, aktives Zuhören und die Bereitschaft, auf den Partner einzugehen, sexuelles Verlangen fördern können.

Wichtig ist, dass sich das Gegenüber wertgeschätzt und geliebt fühlt: „Auch wenn du meine Sehnsüchte gerade nicht befriedigen kannst, liebe und achte ich dich.“ „Auch wenn mir deine sexuelle Energie manchmal zu heftig ist, glaube ich dir, dass du mich als Person liebst und es dir nicht nur ums Körperliche geht. Ich respektiere deine größere Lust und kann sie als Ausdruck deiner Leidenschaft für mich annehmen.“ „‚Nein, nicht heute‘ bedeutet nicht, dass ich dich nicht liebe. Es liegt nicht an deiner Attraktivität und deinem Wert.“

Zugegeben, das klingt idyllisch und manchmal ist es ein schmerzlicher Weg, bis Paare dahin kommen. Einige schaffen es nicht ohne therapeutische Hilfe. Die Moderation einer dritten Person und der neutrale, wohlwollende Blick von außen können hilfreich sein, um gute Lösungen zu finden.

Sex ist nicht alles

Wie steht es um die Paarbeziehung insgesamt? Paare, die Probleme im sexuellen Bereich haben, sollten viel Zeit in andere Aktivitäten investieren, die beiden guttun: gemeinsame Hobbys, Ausflüge, ehrenamtliches Engagement, sportliche Aktivitäten. Wer auf dem sexuellen Pfad so gar nicht weiterkommt, muss Druck rausnehmen. Es hilft nicht, wenn einer dem anderen permanent ein schlechtes Gewissen macht. Vielleicht ist es für den sehr bedürftigen Partner auch dran, Selbstbeherrschung zu lernen und sich bei der geliebten Person weniger auf den Körper als vielmehr auf die inneren Werte zu konzentrieren.

Manche Paare gehen einander regelrecht aus dem Weg, um ja nicht in die Situation zu geraten, nach Sex gefragt zu werden. Da kann es helfen, zu vereinbaren, das Thema für eine gewisse Zeit ganz ruhen zu lassen und sich stattdessen bewusst auf andere Gemeinsamkeiten zu fokussieren. Manche brauchen diese Sicherheit, um wieder vertrauen zu können.

Gott um Hilfe bitten

Einige Christen tun sich schwer, Gott in das Thema Sexualität einzubeziehen. Aber auch so eine „fleischliche Angelegenheit“ wie sexuelle Unzufriedenheit ist etwas, womit man sich direkt an den Schöpfer wenden darf. Immerhin war das seine Idee! Wer sonst wüsste am besten, welche Wege einem Paar zu mehr Freiheit und Zufriedenheit verhelfen könnten? Wer leidet, sollte Gott um Hilfe bitten. Am besten gemeinsam, laut und im Vertrauen, dass er Wege kennt, wo wir noch keinen Ausweg sehen. Aber auch das persönliche Gebet wird nicht unerhört bleiben.

Die Lust auf Sex anregen

Oft leidet der Partner mit geringerer Libido darunter und würde eigentlich dem anderen zuliebe, aber auch für sich selbst gerne mehr sexuelle Intensität entwickeln. Die Forschung sagt: Menschen, die öfter Sex haben, empfinden auch ein höheres Maß an Lust auf Sex und wollen öfter intim werden. Ist Sex eine gute Erfahrung, möchte man sie häufiger machen.

Insofern könnten Partner, die eine geringere Libido haben, versuchen, sich in Stimmung zu versetzen. Eine Frau kann sich gedanklich auf Lust programmieren, indem sie im Lauf des Tages immer wieder bewusst ihre Geschlechtsorgane wahrnimmt, den Beckenboden durch Anspannen trainiert, hübsche Unterwäsche trägt, in der sie sich schön fühlt. Angenehme erotische Anspielungen des Partners, schmeichelnde Bemerkungen und zärtliche Berührungen im Alltag können luststeigernd wirken. Manchen hilft es, Termine für Sex zu setzen. Was für manche befremdlich klingt, hilft anderen, weil sie sich kontrolliert auf diese Paarzeit vorbereiten und intensiv darauf einstellen können.

Sich auf die unterschiedlichen Empfindungen einlassen

Es klingt ein bisschen verrückt, aber tatsächlich: Der Appetit kommt mit dem Essen. Befriedigender, lustvoller und erfüllender Sex steigert die Lust auf Wiederholung. Enttäuschende Erfahrungen beim körperlichen Zusammensein haben gegenteilige Wirkung. Das heißt auch: Der Partner mit der stärkeren Lusterfahrung sollte intensiver danach fragen, wie Sex für den anderen zu einem beglückenderen Erlebnis werden könnte.

Vor allem Frauen haben oft nicht spontan Lust auf Sex, können aber durch liebevolles Werben des Partners und durch erotische Berührungen, die sie mögen, dafür gewonnen werden. Hier ist Kommunikation besonders wichtig! Viele Partner wissen nämlich gar nicht, was sich für den anderen tatsächlich gut anfühlt und was der andere erotisch findet. Auch ändert sich das im Verlauf des Zyklus einer Frau stark. Während zum Beispiel in einem Stadium die Berührung der Brustwarzen elektrisiert, kann es an anderen Tagen wehtun und abschrecken. Ein bisschen ist Sex eben wie ein Tanz: Einer fordert auf, der andere lässt sich ein, beide finden in den Rhythmus und erst nach einigen Takten ist die Harmonie hergestellt.

Kompromisse aushandeln

Wenn die Erwartungen an die Häufigkeit der sexuellen Begegnungen stark abweicht, können Paare versuchen, Kompromisse auszuhandeln. Vielleicht hätte er gerne am liebsten täglich Sex, während ihr alle zwei Wochen vollkommen ausreichen. Wie wäre es, wenn die beiden sich zum Beispiel auf einmal pro Woche einigen? Dann sind die Parameter klar und beide können sich darauf einstellen und diese Begegnungen bewusst gestalten.

Sicher wird es nicht für alle die vollkommen zufriedenstellende Lösung geben. Einige körperliche oder hormonelle Ursachen sind zwar medikamentös behandelbar, aber manchmal kommt die Medizin an ihre Grenzen. Nebenwirkungen von Medikamenten hemmen teilweise die Lust und machen es schwer bis unmöglich, sexuelle Leidenschaft zu entwickeln. Auch psychische Belastungen wie Stress oder Depressionen können nicht einfach durch einfühlsame Kommunikation überwunden werden.

Aber auch solche Paare können Wege finden, wie sie einander dennoch nah bleiben: Zärtlichkeiten müssen nicht immer im Beischlaf enden, sorgen aber für die Ausschüttung von Glücks- und Bindungshormonen und stärken damit das Wohlbefinden. Alternative Formen von Intimität ohne Penetration können helfen, dass der lustbetonte Partner trotzdem auf seine Kosten kommt.

Marcus und Susanne Mockler – er ist Journalist, sie ist Paartherapeutin mit eigener Praxis und Vorsitzende der MarriageWeek Deutschland.

Enttäuschung: Wenn mein Kind nicht so ist, wie ich es dachte

Kinder entsprechen nicht immer den Erwartungen, die ihre Eltern an sie haben. Stefanie Diekmann über die schädliche Dynamik der Enttäuschung und wie wir sie durchbrechen können.

Über ein Thema in der Eltern-Kind-Beziehung wird wenig gesprochen und geschrieben: die Enttäuschung über das eigene Kind. Dabei kennen dieses Gefühl wohl die meisten Eltern mehr oder weniger stark. In manchen Momenten ist mir mein Kind vertraut und herzensnah. Aber je älter das Kind wird und je deutlicher die Persönlichkeit sichtbar wird, desto eher müssen wir uns dem Gefühl der Enttäuschung stellen.

Unerfüllte Wünsche

Aber darf ich als Mutter oder Vater überhaupt enttäuscht von meinem eigenen Kind sein? Vorsichtig formuliere ich eher: „Ich mache mir Sorgen“ oder „Ich verstehe nicht, warum …“. Ich wage es nur selten, meine Gedanken über meine innere Zerrissenheit zu teilen. In der Psychologie gibt es eine Sicht auf diese Irritation zwischen Eltern und Kindern. Die Definition des Begriffes Enttäuschung ist darauf zurückzuführen, dass die Betroffenen darunter leiden, dass ihre Wünsche oder Hoffnungen nicht in Erfüllung gegangen sind. Wenn die Wünsche der Eltern nicht erfüllt werden, entsteht bei ihnen Kummer und Enttäuschung.

Das sind oft kleine Alltagsmomente: So kann zum Beispiel ein Kind, das ständig die Nähe seiner Mutter sucht und an ihr klebt, für sie zur Herausforderung werden. Wenn sie ehrlich ist, eskaliert es schon in ihr, wenn sie spürt, dass das Kind sich im Raum näher zu ihr orientiert. Immer wieder bekommt sie Rückmeldungen, wie wichtig es sei, dass sie ihr Kind ermutigt, sich von ihr zu lösen. Sie gibt sich alle Mühe, hat aber das Gefühl, ihr anhängliches Kind lässt sich nicht darauf ein. Nach überstandenen Stresssituationen sammelt sich in ihr eine Mischung von Erschöpfung und Ratlosigkeit, die sie in ihrem mütterlichen Handeln lähmt. Das innere Bild ihres Kindes nimmt die Mutter mit zum nächsten Geburtstag, wo scheinbar alle Kinder miteinander spielen – ihr Kind aber auf ihrem Schoß wie festgeklebt ist. Das Bild verstärkt sich beim Besuch in der Stadtbücherei, wo das Kind jammert und keine Ruhe zum Verweilen hat. Das Gefühl der Verunsicherung und der inneren Abwehr klebt an dieser Mutter und lässt sie nicht los.

Die Enttäuschung ansehen

Die Dynamik der Enttäuschung kann vor allem dann zerstörerisch sein, wenn ich die Enttäuschung nicht bewusst wahrnehme, sondern verdränge. Sogar vor Gott, dem ich doch vertraue, fällt es mir oft schwer, ehrlich zu sein. Die inneren Enttäuschungsmomente führen dann mehr und mehr zu einer Distanz zum Kind. Diese Distanz spürt das Kind und wird dadurch noch mehr verunsichert.

Es können viele unterschiedliche Dinge sein, die bei mir als Mutter ein Gefühl der Enttäuschung auslösen: Mein Kind ist nörgelig oder unmusikalisch oder ängstlich oder unfreundlich oder unsportlich … Dabei ist es wichtig, meine Enttäuschung anzusehen und auszusprechen. Wenn ich wegsehe, machen mich die gesammelten Enttäuschungsmomente immer weniger liebesfähig. Enttäuschungen haben so viel mit meinen Hoffnungen, Wunschvorstellungen und Erwartungen zu tun. Bei Enttäuschungen handelt es sich um eine subjektive Wahrnehmung. Das bemerke ich allein dadurch, dass mein Mann ganz anders mit bestimmten Situationen umgeht.

Es ist wichtig, meine Emotionen, Erwartungen und Handlungen zu verstehen, um letztendlich meinen Frieden mit der Enttäuschung zu schließen: Ich wäre so gern verständnisvoll. Ich verstehe mein Kind nicht. Ich hatte es mir anders vorgestellt. Je mehr ich meinen Kummer vor Gott ausbreite, desto mehr fällt mir mein „Ich“ auf. Ja, mein Kind ist vom Charakter und vom Handeln her anders, als ich es mir ausgemalt habe. Es geht hier aber tatsächlich um mich!

Eigene Erwartungen

Die Dynamik der Enttäuschung hat etwas mit meinem Bild von meinem Kind und von mir als Mutter zu tun. Die Enttäuschung fühlt sich so an, als würde ich meinen eigenen Erwartungen nicht gerecht. Die ursprüngliche Erwartung war demnach höher als das tatsächliche Ergebnis. Aber die Beziehung zu meinem Kind ist keine abrufbare Investition. Sie ist ein offener Prozess voller Nähe- und Distanzübungen.

Wenn nun diese Dynamik der Enttäuschung erneut loslegen will, möchte ich mich hinterfragen: Die Entwicklung einer Persönlichkeit ist keine Gleichung: Liebe rein – Charakter raus. Situationen, die nicht meinen Erwartungen gerecht werden, sollten nicht immer als komplett negative Situationen gewertet werden. Ich darf versuchen, der Situation etwas Positives abzugewinnen und sie als Chance für mich und mein Kind zu betrachten. Ich möchte diese objektiv beurteilen und hinterfragen: Was will mir mein Kind mit seinem Verhalten mitteilen? Als Mutter kann ich Vorbild sein und einen Platz zum Austausch unserer Gefühle finden, um diese zu verarbeiten.

Mutige Schritte

Dabei verzichte ich auf negativ festlegende Gedanken und Aussagen über mich. Mich als Mutter an den Pranger zu stellen und mir Vorwürfe zu machen, belastet nicht nur mich, sondern auch die Nähe zum Kind. Um mich von meiner Enttäuschung zu lösen, gebe ich meine Vorstellungen, Hoffnungen und Wünsche ganz bewusst an Gott zurück. Ich bemühe mich um ein Miteinander mit meinem Kind, sodass es sich angenommen und geliebt weiß. Dabei können diese kleinen Übungen helfen:

  • Ich lächle mein Kind an, wenn es den Raum betritt.
  • Ich kommentiere das Spiel meines Kindes nicht.
  • Ich frage: Wie ging es dir in dieser Situation?
    Oder: Was schlägst du vor?

Vielleicht finden wir zusammen eine Idee für mutige Schritte. So lange übe ich mich darin, das Gute in meinem Kind zu sehen und zu benennen.

Stefanie Diekmann ist Gemeindereferentin in Göttingen, verheiratet und Mutter von drei erwachsenen Kindern.

3 bis 5 – Was tun im Kindernotfall

Elternfrage: „Mein Sohn (3) ist motorisch ganz schön umtriebig und ich habe häufig Angst, dass ihm etwas passiert. Was tue ich im Kindernotfall? Und was sind eigentlich die häufigsten Kindernotfälle im Familienalltag?“

Infekte, Verletzungen und Krampfanfälle – das sind typische Beispiele für einen Kindernotfall. Besonders häufig sind Atemwegs- und Magen-Darm-Infekte. Diese können, gerade bei Babys, die durch die verlegte Nasenatmung schlechter trinken beziehungsweise durch ständiges Erbrechen und/oder Durchfall Flüssigkeit verlieren, zur Austrocknung führen und so zu einem Notfall werden. Auch Verletzungen, zum Beispiel durch Stürze oder Verbrühungen und Verbrennungen, können rasch zum Notfall werden, wenn innere Organe oder große Flächen betroffen sind. Krampfanfälle wirken auf Eltern besonders bedrohlich. Fieberkrämpfe treten typischerweise zwischen dem sechsten Lebensmonat und sechsten Lebensjahr auf, dauern zwei bis drei Minuten und hören von allein auf. Die Kinder haben offene Augen, einen starren Blick und zittern symmetrisch. Dauert der

Krampf länger, hört nicht von allein auf, tritt innerhalb von 24 Stunden mehr als einmal auf oder zeigt eine Asymmetrie, muss das dringend abgeklärt werden.

Woran erkenne ich einen Notfall?

Um einzuschätzen, ob ihr Kind wirklich kritisch krank ist, können sich Eltern am sogenannten „pädiatrischen Beurteilungsdreieck“ orientieren. Mit diesem Tool beurteilt man durch Hören, Sehen und Fühlen:

  • Den Allgemeinzustand: Lässt sich das Kind beruhigen? Ist es noch agil? Spielt und interessiert es sich noch? Lässt sich das Fieber zwischendurch senken und scheidet es noch gut aus? Dann heißt es oft Entwarnung! Schreit es schrill, ist apathisch, trinkt nicht mehr und fiebert unter Therapie weiter hoch auf, dann ab zum Arzt!
  • Die Atmung: Zeigt das Kind Luftnot, atmet es angestrengt, also schneller und flacher oder weniger als sonst? Macht es komische Geräusche bei der Ein- oder Ausatmung? Hustet es so stark, dass es nicht mehr in den Schlaf kommt? Dann besser früher als später zum Arzt.
  • Den Kreislauf: Ist das Kind blass-marmoriert, hat kalte Arme und Beine oder blaue Lippen? Dann handelt es sich um einen Notfall!

Was gehört in jede Hausapotheke?

Meine Top Five sind:

  • Kochsalz- und abschwellende Nasentropfen, um die Nasenatmung freizuhalten
  • Fiebersenkende und schmerzlindernde Mittel in Zäpfchen- und in Saftform
  • Verbandskoffer mit Wunddesinfektionsmittel, Verbänden/Pflaster und Pinzette
  • Antihistaminika in Tropfen-, Gel- und Saftform zur Bekämpfung allergischer Reaktionen oder Juckreiz
  • Mittel gegen Stuhlunregelmäßigkeiten wie zum Beispiel Kümmelzäpfchen, Milchzucker, Elektrolytlösungen

Sollten Eltern in einem Kindernotfall ihr Kind selbst ins Krankenhaus fahren?

Wenn man mithilfe des pädiatrischen Beurteilungsdreiecks zu dem Schluss gekommen ist, dass das Kind stabil genug ist, kann man problemlos selbst in die Klinik fahren. Dabei ist es generell von Vorteil, zu zweit zu fahren, damit sich eine Person ums Kind kümmern kann. Wenn das Kind gerade einen Fieberkrampf hatte oder etwas verschluckt hat, sollte man das Kind auf keinen Fall mit dem PKW selbst in die Klinik transportieren. Das Kind könnte auf der Fahrt nochmals krampfen und dabei erbrechen oder der verschluckte Gegenstand auf einer holprigen Fahrt doch noch in die falsche Röhre gelangen. Sind Atmung, Kreislauf und Allgemeinzustand oder Bewusstsein stark beeinträchtigt, sollte immer ein Notruf abgesetzt werden.

Dr. med. Katharina Rieth ist Kinderfachärztin, Intensivmedizinerin und Notärztin. Sie engagiert sich auf Social Media unter drrieth für Aufklärung und Prävention in Sachen Kinder- und Familiengesundheit und ist Buchautorin von „Fit für den Kindernotfall“.

Familienstreit an Weihnachten – So können Sie Ihrem Kind helfen

Der Traum einer besinnlichen Weihnacht platzt oft, wenn nicht alles perfekt ist. Der Stress steigt und dann nerven noch die Verwandten. Doch wie erleben das erst die Kinder? Therapeutin Melanie Schüer erklärt, wie Sie Ihrem Kind helfen können.

„Einerseits ist Weihnachten ja echt schön – aber andererseits bin ich auch froh, wenn es vorbei ist. Denn die Erwachsenen sind an diesen Tagen immer so wahnsinnig gestresst …“

So in etwa äußerte sich in der Weihnachtszeit einmal meine Tochter über ihr Erleben der „schönsten Zeit des Jahres“ und ich musste erst einmal schlucken – das saß!

Diese gemischten Gefühle bezüglich der zugleich festlichsten und doch auch anstrengendsten Wochen des Jahres kennen wir vermutlich alle. Kinder und Jugendliche nehmen dies oft noch stärker wahr, weil sie sich besonders freuen – alles ist noch neu und so aufregend! – und gleichzeitig die bestehende Anspannung und Stressbelastung noch weniger reflektieren und einordnen können.

Es könnte alles so schön sein…

Auch in meiner psychotherapeutischen Arbeit erlebe ich, dass gerade depressive Symptome um die Weihnachtszeit herum zunehmen. Die Gründe dafür sind vielfältig, zum Beispiel:

  • Hohe Erwartungen: Es soll schön werden, besinnlich, gemütlich, lecker, freudvoll, besonders – und das möglichst für alle! Das bedeutet viel Arbeit bei der Vorbereitung und viel Druck, denn Weihnachten ist eben nur einmal im Jahr.
  • Unterschiedliche Bedürfnisse, die alle an drei Tagen unter einen Hut gebracht werden sollen
  • Die Anspannung darüber, Familienmitglieder wiederzutreffen, denen man sonst eher aus dem Weg geht

Weihnachten mit strahlenden Augen

Was kann helfen, damit Kinder und Jugendliche Weihnachten so erleben, wie wir es ihnen wünschen – mit vor Freude geröteten Bäckchen, strahlenden Augen und einem fröhlichen Herzen?

Als erstes ist es hilfreich, zu reflektieren und zu erklären, was los ist: Stress lässt sich in der Adventszeit nicht immer vermeiden. Aber es hilft Kindern, wenn Erwachsene diese Erfahrungen altersgemäß einordnen: „Puh, es tut mir leid, dass ich vorhin so gereizt war! Der Advent ist so schön, aber manchmal auch so stressig, weil so vieles zu erledigen ist. Und das alles neben der normalen Arbeit, die ja auch nicht liegen bleiben kann. Deswegen kommt es vor, dass ich genervt reagiere, weil ich müde bin von all dem, was zu tun ist. Aber morgen machen wir uns einen gemütlichen Tag, ja?“

Das Schlagwort „Weniger ist Mehr“ hilft tatsächlich dabei, die randvolle Zeit zu entzerren. Es bringt oft ungemein Entlastung, wenn man sich zumindest einen Tag vor Heiligabend freinehmen kann, den Baum schon etwas früher als sonst aufstellt und schmückt, die Geschenke schon im November besorgt oder auch mit einigen Leuten bespricht, sich nichts zu schenken, sondern lieber mit weniger Trubel einfach die gemeinsame Zeit zu genießen.

Auch hilft es, wenn wir in den Terminkalender bewusst Zeiten für Stille und Besinnlichkeit einplanen. Das kann auch mit altersgemäßen Medien gelingen, wie:

  • Videos wie „Superbuch – das erste Weihnachten“ (ca. 6-12 Jahre)
  • Der Weihnachtsfolge der Serie „The Chosen“ (ab ca. 12 Jahren)
  • Fortlaufenden Adventskalender-Büchern wie „Komm doch mit nach Betlehem!“ (SCM-Verlag, ca. 5-10 Jahre) oder „Ricas Weihnachtsüberraschung“ (ca. 2-6 Jahre)

Für Erwachsene besonders schwer, aber für das Familienleben ungemein wichtig ist es, Unperfektheiten auszuhalten. Wenn wir Erwachsene an unsere Weihnachtserinnerungen denken oder überlegen, wie wir damals Weihnachten gern erlebt hätten – wäre dann wirklich eine einwandfrei saubere Wohnung oder ganz besondere Deko das Wesentliche? Letztlich entscheidet viel mehr das Maß der Herzlichkeit, Liebe und einer fröhlichen Stimmung darüber, wie positiv Kinder und Jugendliche Weihnachten erleben.

Weihnachten – das Fest der Widersprüche

Jugendliche empfinden das ach-so-friedliche Beisammensein einmal im Jahr mit allen Verwandten, auch der unliebsamen Tante Agatha, oft als heuchlerisch. Daher brauchen sie Unterstützung darin, das Geschehen differenziert einzuordnen. „Das ganze Jahr über wird gestritten und gezankt und dann plötzlich spielen wir uns Friede, Freude, Eierkuchen vor!?“ Hier können Erwachsene am besten reagieren, indem sie:

  • Die Ungereimtheiten und auch mögliche Konflikte und Fehler anerkennen und einräumen, dass nicht alle Beziehungen heil und friedlich sind
  • Und gleichzeitig hervorheben, dass gerade in diesem „sowohl als auch“ eine Chance stecken kann: Nämlich, dass die gemeinsame Besinnung auf etwas Größeres (die Geburt dessen, der sich selbst als „Licht der Welt“ bezeichnet und die Menschen auffordert, Frieden mit Gott und dem Nächsten zu machen) helfen kann, über Uneinigkeiten hinweg zu sehen oder diese zumindest nicht größer werden zu lassen, als sie sein müssten.

Kinder mit einbeziehen

Ein wichtiges Element für ein harmonisches Weihnachtsfest ist, Kinder und Jugendliche in das Geschehen einzubeziehen. Das kann sowohl bedeuten, dem Nachwuchs altersgemäße Aufgaben zu übertragen (beim Putzen, Dekorieren, Backen, etc. helfen) als auch, die kindlichen Ideen und Wünsche bei der Planung zu berücksichtigen. Hier gilt es, ein gesundes Maß zu finden – Eltern sollen und dürfen einen gewissen Rahmen vorgeben, der ihnen wichtig ist. Aber Kinder fühlen sich wertgeschätzt, wenn sie in gewissen Bereichen mitgestalten können, zum Beispiel: Was könnten wir den Großeltern schenken? Wie wollen wir die Bescherung gestalten? Was gibt es als Nachtisch?

Die Advents- und Weihnachtszeit, so schwierig sie oft ist, ist eine ganz besondere Zeit. Daher ist es so immens wichtig, vor allem die Zeit mit den Menschen, die wir lieben, zu genießen, auch wenn manches nicht perfekt ist.

Melanie Schüer Psychotherapeutin für Kinder und Jugendliche und Autorin.

Ein Paar, zwei Perspektiven: Haarscharf

Katharina Hullen liebt lange Haare – nur nicht, wenn sich Läuse darin tummeln.

Katharina: Letztes Jahr im Advent habe ich etwas Wichtiges gelernt: Fülle den Adventskalender deiner Töchter niemals mit Haarklammern für besondere Frisuren, wenn dein eigenes Nervenkostüm nicht für das Frisieren anderer ausgelegt ist!

Beim Kauf dachte ich, dass die Mädchen sich sicher voller Tatendrang gegenseitig mit diesen Frisurwundern beglücken würden. Pustekuchen! Stattdessen saßen alle drei mit gekämmten Haaren und hohen Erwartungen vor mir und ich vor dem Erklärvideo, um dann doch kläglich zu scheitern. Es hat nicht viel gefehlt und wir hätten die Spangen aus den Haaren herausschneiden müssen.

Ach, seit jeher wünsche ich meinen Kindern diese Mutter, die ihnen jeden Morgen mit zwei, drei Kniffen eine besonders raffinierte Frisur zaubert und ihnen mit gutem Beispiel, top gestylt mit ausgefallenen Frisuren vorangeht. Doch bis jetzt haben sie von mir nur lernen können, dass man mit gekämmten Haaren das Haus verlässt. Zumindest theoretisch. Und dann meine Jungs: Beim Anblick ihrer Haarpracht habe ich alle paar Wochen dieses beklemmende Gefühl, dass man eigentlich schon längst nicht mehr von Frisur sprechen kann. Darum verteile ich morgens großzügig Kappen und Mützen, zusammen mit dem Tipp, diese besser in der Schule nicht abzunehmen. Denn deren Haare wachsen schneller, als man einen neuen Termin beim Friseur vereinbaren kann: Wilde Haarbüschel stehen in alle Himmelsrichtungen ab, ganz zu schweigen von den halb zugewachsenen Ohren und dem Pony, der bis ins rechte Auge hängt. Da widerstehe ich mühsam der Versuchung, eine Haarklammer einzusetzen, damit der Junge auch was sehen kann.

Ich fürchte, Haare haben bei mir eine untergeordnete Priorität, und wenn sie dann doch mal nach Aufmerksamkeit schreien, stresst mich das.

In der Vergangenheit gab es daher schon einige Übersprung-Ausrufe wie: „Wir schneiden hier jetzt alles ab!“ Zum Beispiel, als wir alle Läuse hatten. Vier langhaarige Damen und der Papa. Kennen Sie diese Läusekämme? Stundenlang saßen wir verkrampft, wütend und heulend auf der Terrasse und haben Haare gekämmt! Fürchterlich! Insgesamt zweimal sind wir bislang schon durch die ziepende Läusequal gegangen. Das war auch die einzige Zeit, in der ich morgens vor der Schule notgedrungen Zöpfe geflochten habe.

Oder damals, als unsere große Erstklässlerin sich beim Renovieren neugierig über den frischen Bauschaum beugte und mit den Haaren bis zum Ansatz kleben blieb. Tja, da half kein Auswaschen – nur noch die Schere. Die Friseurin, die die Sache richten sollte, konnte die Geschichte kaum glauben. Und sogar ihre Möglichkeiten waren da offensichtlich begrenzt.

Inzwischen sind unsere Teenagertöchter alle in der Lage, sich selbst tolle Frisuren zu machen, was beschämenderweise zu 100 Prozent der liebevollen Zuwendung ihrer Cousinen und Freundinnen zu verdanken ist.

Und ich freue mich darauf, dass irgendwann die Zeit kommen wird, wo meine Mädels auch besonders raffinierte Frisuren hinbekommen. Diesmal aber bei mir.

Hauke Hullen ist genervt, wenn die langen Haare überall den Teppich zieren.

Hauke: Es gibt Dinge, die sind nur in kleiner Dosis zu ertragen. Ratschläge der besten Ehefrau von allen zum Beispiel, oder Touristen, die ausgerechnet dort herumlungern, wo ich Urlaub machen will.

Ganz anders verhält es sich mit Haaren. Hier gilt: Je mehr, desto Mähne! Welch ein Symbol für Kraft, Jugend und Leben ist doch ein üppiges Haupthaar!

Meine drei Töchter sind allesamt mit langen Haaren gesegnet. Zwei tragen sie schulterlang, und die dritte hat einen Schweif bis zum Po und Beine bis zur Erde. Auch das Antlitz meiner Frau wird umschmeichelt von langen Haaren, was ihre ohnehin jugendliche Anmutung noch weiter unterstreicht.

Das Problem ist nur: Die Haare bleiben nicht dort, wo sie hingehören. Sie verlassen ihre eingeborene Gemeinschaft und suchen ihr Glück in der großen weiten Welt. Diese Welt besteht vor allem aus unserem Wohnzimmerteppich, wo wundersam verwobene Kunstwerke entstehen, welche das eigentliche Teppichmuster nur noch erahnen lassen. Der Staubsauger ist machtlos gegen die fest verwurzelten Nester, die wahrscheinlich allerlei Kleinstgetier einen sicheren Unterschlupf bieten, während irgendwann der Tag kommen wird, an dem ich mich in diesen Schlingpflanzen verheddere und elend zu Grunde gehe.

Auch in den anderen Räumen finden sich überall die individualistischen Haare meiner Holden, die sich auf den kalten Fliesen jedoch rasch auf ihren Herdentrieb besinnen und statt frei wieder Frisur sein wollen. Ließe man sie gewähren, hätten wir schnell in der ganzen Wohnung Teppich. Und es kann sich auch keiner vorstellen, welche Tentakel ich regelmäßig aus dem Duschabfluss entfernen muss, damit wir nicht allesamt ersaufen.

Nun mag mancher einwenden, dass auch wir Männer hier und da Haare lassen. Das ist richtig. Allerdings sind unsere Haare von solch bescheidener Länge, dass sie auf dem Fußboden überhaupt nicht als störend wahrgenommen werden. Fällt jedoch einem der Mädel ein Haar aus, schlängelt es sich von der Küche über den Flur bis ins Kinderzimmer, sodass direkt die ganze Wohnung dreckig ist. Wie unangenehm!

Früher empfand ich das mal anders. Wenn Katharina mich damals im elterlichen Hause besuchen kam, hinterließ sie auch das eine oder andere Haar auf dem Sofa. Jedes einzelne habe ich liebevoll aufgesammelt, bis ich eine stattliche Strähne zusammenbekommen hatte, die mich hinwegtröstete über die Wochen bis zu unserem nächsten Wiedersehen.

Und ich fürchte, dass irgendwann wieder die Zeit kommen wird, wo ich andächtig jedes einzelne Haar betrachten werde, das ich finden kann. Diesmal aber bei mir.

Hauke Hullen (Jahrgang 1974) ist Lehrer für Deutsch und Sozialwissenschaften. Katharin Hullen (Jahrgang 1977) ist Bankkauffrau und Dolmetscherin für Gebärdensprache in Elternzeit. Hauke und Katharina treten als Kirchenkabarett „Budenzauber“ auf.  Gemeinsam haben sie fünf quirlige Kinder und leben in Duisburg.

6 bis 10 – Wackelzahnpubertät?

Elternfrage: „Unsere Tochter (6) flippt immer öfter aus – scheinbar wegen Kleinigkeiten. Eine andere Mutter sagte beiläufig, dass sie wohl in der Wackelzahnpubertät angekommen sei. Was hat es damit auf sich?“

Ich nenne die Wackelzahnpubertät immer mit einem Augenzwinkern meinen persönlichen Endgegner, denn keine Entwicklungsphase hat mich als Mutter so gefordert wie die Zeit rund um den Schuleintritt, wenn die Kinder kognitiv riesige Sprünge machen und sich körperlich vom Kleinkind zum Großkind entwickeln. Bestimmt merken Sie das schon: Arme und Beine werden länger und das ganze Kind scheint plötzlich überall „drüberzuhängen“, wenn man es, wie früher, zum Trösten oder Kuscheln auf den Schoß nehmen will.

Wechselspiel zwischen Nähe und Ablösung

Apropos Trösten und Kuscheln: Vielleicht ist es damit gerade auch gar nicht so einfach? Während es noch vor Kurzem normal war, dass Ihr Kind in emotionalen Nöten zu Ihnen kam und Sie es berühren durften, kann es sein, dass es jetzt erst mal ein bisschen Abstand braucht, wenn die Gefühle überkochen. Die Wackelzahnphase ist ein ständiges Wechselspiel zwischen Nähe und Ablösung.

Kinder durchlaufen in dieser Zeit einen wichtigen Autonomieprozess. Schon länger sind neben den Eltern andere Menschen in ihrem Leben wichtig geworden: Betreuungspersonen, Gleichaltrige und auch mediale Idole dienen nun ebenfalls als Orientierungspunkte und prägen das kindliche Universum mit. Der Wunsch nach mehr Selbstständigkeit und eigenen Wegen wird größer.

Ganz und gar angenommen

Gleichzeitig sind Kinder in dieser Phase noch klein und bedürftig. So kann es sein, dass sie nachmittags selbstbewusst mit anderen Kindern um die Häuser ziehen und nicht nach uns fragen und nachts in unser Bett gekrochen kommen. Vermutlich sucht Ihre Tochter nach ihren Wutanfällen selbst wieder die Nähe zu Ihnen und möchte eigentlich nur wissen und spüren, dass sie bei Ihnen geborgen und geliebt ist. Diese innerliche Ablösung kann nur gut funktionieren, wenn unsere Kinder sich bei uns ganz und gar angenommen fühlen und immer einen Ort haben, an dem sie sich sicher wissen.

Wenn Ihre Tochter also in emotionalen Nöten ist, machen Sie sich bewusst, dass sich bei ihr gerade viel verändert. Schauen Sie, wann sie Nähe braucht und sich mit Ihnen zusammen wieder beruhigen möchte und wann es gut ist, sie erst einmal bei sich und ihren Gefühlen zu lassen. Besprechen Sie solche Situationen hinterher mit ihr, nicht, um sie für ihren Wutanfall zu tadeln, sondern um zu verstehen, was da eigentlich in ihr vorgegangen ist und um ihr zu helfen, sich selbst besser zu begreifen.

Die Wackelzahnpubertät ist übrigens nicht nur mein persönlicher Endgegner, sondern auch meine Lieblingsphase in der kindlichen Entwicklung, denn nie wieder darf man so nah dabei sein, wenn sich eine junge Persönlichkeit entwickelt und entfaltet.

Daniela Albert ist Autorin, Eltern- und Familienberaterin, lebt mit ihrer Familie in Kaufungen und bloggt unter: www.eltern-familie.de

Unsichtbare Krise – Eheprobleme hinter der perfekten Fassade

Viele Paare geben nach außen hin ein perfektes Bild ab. Doch oft genug kriselt es hinter den Kulissen. Da kann mehr Offenheit helfen – oder eine Paarberatung. Von Marcus und Susanne Mockler

Betty und Jonas (Namen geändert) sind seit fünf Jahren verheiratet und bereits am Tiefpunkt ihrer Beziehung angelangt. So hatten sie sich das nicht vorgestellt: Betty, die seit der Geburt der beiden Kinder in Elternzeit ist, ist super gern Mama. Dennoch fürchtet sie manchmal, beruflich aufs Abstellgleis zu geraten, und es belastet sie das Gefühl, dass zu Hause so vieles an ihr hängen bleibt.

Jonas treibt die Aussicht auf einen bevorstehenden Karrieresprung an. Es scheint unvermeidlich, dass er mehr Zeit in der Firma verbringt als früher. Schließlich macht er das auch für seine Familie – Betty und die Kinder sollen es gut haben und materiell abgesichert sein. Er fühlt sich von ihr nicht gesehen in seinen guten Absichten und kann die ewige Unzufriedenheit von Betty nicht mehr ertragen.

In der wenigen Zeit, in der die beiden Gelegenheit zum Reden hätten, streiten sie sich inzwischen regelmäßig. Und so pendelt die Beziehung zwischen gegenseitigen Vorhaltungen und tiefer Frustration. Aber – und das ist das Spannende – nach außen zeigen sie sich immer noch als Bilderbuchfamilie. Wenn sie zum Beispiel sonntags zum Gottesdienst in ihre Gemeinde gehen, bemühen sich Betty und Jonas, intakt zu wirken und sich nicht hinter die Fassade schauen zu lassen.

Die beiden sind keine Ausnahme. In vielen Paarbeziehungen kriselt es und die wenigsten lassen sich dabei in die Karten schauen.

Kultur der Schwäche

Warum ist es so schwer, zu seinen Schwächen zu stehen und offen über die Schwierigkeiten, die man miteinander hat, zu reden? Niemand gibt gern zu, an bestimmten Stellen das Leben nicht auf die Reihe zu bekommen. Probleme sind in unserer Kultur meist ein Ausdruck von Schwäche. Praktisch jeder hat irgendwann im Leben die Erfahrung gemacht, für Schwächen kritisiert, ausgelacht oder gar bestraft zu werden. Das tut weh und ist erniedrigend, deshalb verbergen wir sie lieber nach außen.

Allerdings ist das fatal, denn durch die vielen Paare, die nach außen eine heile Ehe-Fassade präsentieren, wirkt es auf Krisen-Paare, als seien sie die einzigen, die den oft überhöhten Maßstäben und Erwartungen nicht gerecht werden. Dabei gilt eine ganz einfache Faustformel: „Beneide niemanden um seine perfekte Ehe – du weißt ja nicht, wie es hinter deren Fassade aussieht.“

Insbesondere Christen brauchen unbedingt eine Kultur der Offenheit, in der man nicht nur über seine Siege, sondern besonders auch über Niederlagen offen redet. In der man ehrlich zugibt, wo man noch Lernbedarf hat oder in welchen Herausforderungen man als Paar steht.

In unseren Eheseminaren legen wir Wert darauf, immer auch von eigenen Schwächen zu berichten und uns nicht als perfektes Paar zu präsentieren. Wir erzählen, wie wir Phasen durchlitten haben, in denen wir am liebsten ausgebrochen wären, wie lange es gedauert hat, bis wir das mit dem Sex für beide befriedigend hingekriegt haben oder wie wir nach Jahren immer noch in dieselben Fallen tappen. Hinterher bedanken sich die Paare nicht für die gute Präsentation oder die wertvollen Inhalte, sondern sie danken uns für die Authentizität. Das baut eine Brücke, um auch eigene Probleme ansprechen zu können. Und es macht Mut: „Wenn die das hinkriegen, dann können wir es auch schaffen.“

Vier Anzeichen einer echten Krise

Konflikte, Unzufriedenheit, Gefühle der Vernachlässigung – all das gibt es gelegentlich in jeder normalen Beziehung. Vier gravierende Anzeichen, dass bei einem Paar etwas so schiefläuft, dass sie Hilfe brauchen, beschreibt der Paarpsychologe John Gottman. Er nennt sie die „Apokalyptischen Reiter der Paarbeziehung“ und meint damit Kritik, Rechtfertigung, Verachtung und Rückzug.
Kritik: Natürlich kommt es vor, dass man sich an Dingen stört, die der oder die andere macht oder vernachlässigt. Gefährlich wird es, wenn sich eine Grundstimmung des Kritisierens und Nörgelns eingestellt hat. Wenn nämlich nicht deutlich mehr Ermutigung und Dankbarkeit ausgesprochen wird, als dass kritisiert wird, ist das Grundbedürfnis, vom anderen geliebt und akzeptiert zu sein, bedroht.
Verachtung: Das ist noch eine Nummer härter, wenn nämlich einer den anderen regelrecht herabwürdigt. Das zeigt sich in sehr abfälligen Worten dem anderen gegenüber, aber auch darin, wie man schlecht über den Partner oder die Partnerin vor Dritten redet.
Rechtfertigung: Die eigene Reaktion in Schutz nehmen, weil sie angeblich ja nur die Antwort auf das schlechte Verhalten des Partners war. Wer nie Verantwortung für einen Streit übernimmt, sondern die Schuld immer dem Gegenüber zuschiebt, ist genau in diesem Verhaltensmuster gefangen.
Rückzug: Ab und zu einander aus dem Weg zu gehen oder seine Ruhe zu brauchen, ist natürlich kein Problem. Wenn aber zwei Menschen unsichtbare Mauern zwischen sich errichten und den anderen gar nicht mehr an sich heranlassen, wenn jeder sein Leben lebt und kaum noch Berührungspunkte da sind, wenn sich vielleicht sogar einer von beiden schon in eine Konkurrenzbeziehung investiert, dann hat bereits eine innere Trennung stattgefunden.

Wenn diese vier Verhaltensweisen permanent vorhanden sind, dann ist es höchste Zeit, dass sich ein Paar Hilfe sucht. Und wie könnte diese Hilfe dann aussehen?

Der Wert von Freundschaften

In Krisen zeigt sich der Wert von guten Freundschaften ganz besonders. Paare sollten daher unbedingt nicht nur einander genügen, sondern Beziehungen mit Freunden pflegen. Dort sollten sie sich um eine Kultur der Ehrlichkeit und Offenheit bemühen. Die wird am ehesten dann entstehen, wenn sie selbst mit gutem Beispiel vorangehen und nicht nur berichten, was gut läuft, sondern auch über die Probleme sprechen. Eine Frau, die mit ihrem Mann in einer tiefen Krise steckte, wurde von ihrem Mann darum beneidet, dass sie so gute Freundinnen hatte, mit denen sie jetzt über vieles reden konnte. „Das war auch richtig harte Arbeit“, sagte sie ihm. „Es war nicht leicht, dranzubleiben, die Freundinnen regelmäßig zu treffen, sich zu öffnen und eigene Defizite vor den anderen zuzugeben.“

Bewährt haben sich auch Paar-Hauskreise, in denen man sich regelmäßig zu Fragen der Paarbeziehung austauscht, gemeinsam Beziehungsratgeber liest und sich in Schwierigkeiten gegenseitig Gebets- und praktische Unterstützung gibt.

Seelsorge- und Therapieangebote

Wer merkt, dass er oder sie allein nicht weiterkommt, sollte nicht zu spät den Weg zu Seelsorge oder Paartherapie suchen. Dazu gibt es jede Menge gute Angebote. Viele Gemeinden haben Ansprechpersonen dafür. Es gibt zudem Organisationen wie C-Stab oder Team.F, die Listen von möglichen Ansprechpartnern führen. Die Seelsorgerinnen und Berater stehen immer unter Schweigepflicht und bei einem unverbindlichen Erstgespräch kann man in der Regel feststellen, ob man die geeigneten Helfer gefunden hat.

Ein junges Paar, das in einer sexuellen Problematik feststeckte und nahe daran war, zu verzweifeln, fand den Weg in eine Paartherapie. Sie brauchten nur zwei Beratungsgespräche und die Probleme waren gelöst! Wie viele Jahre des Leidens blieben ihnen dadurch erspart, weil sie sich getraut haben, sich jemandem zu öffnen!

Oft dauert es jedoch länger. Manchmal kann die Beratung allerdings nicht mehr weiterhelfen; auch das darf nicht verschwiegen werden. Eine Erfolgsgarantie wird kein seriöser Berater geben. Das liegt allerdings manchmal auch daran, dass das Paar zu lange gewartet hat, bevor es sich Hilfe geholt hat.

Eine Kultur der Ermutigung für Paare

Ein Dach deckt man, wenn die Sonne scheint. Genauso sollten Paare an ihrer Beziehung in guten Zeiten arbeiten. Deshalb ist Prophylaxe so wichtig. Praktisch jede Paarbeziehung verliert mit der Zeit an Qualität, wenn sie nicht regelmäßig gepflegt wird und beide in das Beziehungskonto einzahlen.

Zum einen kann man als Paar selbst viel dafür tun: regelmäßige Dates, Eheabende, Gesprächszeiten, für die man sich Zeit im Kalender reserviert – egal, ob morgens beim Frühstück oder auch mal abends, wenn die meiste Arbeit erledigt ist oder die Kinder schlafen. Zeit zu zweit ist so wichtig, weil damit das Gegenüber das Gefühl bekommt: „Du bist mir wirklich wichtig.“

Ein toller Weg, an der Beziehung dranzubleiben und schwierige Situationen rechtzeitig zu beackern, ist das Mentoring. Einige Gemeinden haben sich da inzwischen Programmen angeschlossen und bieten das Paaren grundsätzlich an. Ein Paar könnte sich aber auch selbst ein geeignetes anderes, erfahrenes Paar suchen, von dem sie sich begleiten lassen und mit dem sie offene Gespräche über ihre kritischen Themen führen können.

Nicht zuletzt können Paare regelmäßige Beziehungs-Updates bekommen, indem sie Seminare (zum Beispiel von Team.F oder den Alpha-Ehe-Kurs) besuchen, Beziehungsratgeber zusammen lesen oder regelmäßig nach Vortragsangeboten (auch online) Ausschau halten. Die MarriageWeek Deutschland bietet ebenfalls eine Plattform, auf der Paare immer wieder gute Angebote finden können.

Wir träumen davon, dass in jeder Gemeinde dieses Bewusstsein erwacht, wie wichtig es ist, Paare zu ermutigen, an ihrer Beziehung zu arbeiten. Denn nur eines ist selbstverständlich: dass keine Paarbeziehung perfekt ist.

Marcus und Susanne Mockler – er Journalist, sie Paartherapeutin mit eigener Praxis und Vorsitzende der MarriageWeek Deutschland. Gemeinsam haben sie den Eheratgeber „Das Emma*-Prinzip – Sieben Schlüssel zu einer richtig guten Ehe“ geschrieben. geliebtes-leben.de