3 bis 5 – Vorzeitig einschulen?

Elternfrage: „Unser Kind ist ein ‚Kann-Kind‘, das heißt, wir könnten es vorzeitig einschulen lassen. Wie finden wir heraus, ob es schulreif ist?“

Armin Krenz: Zunächst eine kleine fachliche Anmerkung: früher sprach man von „Schulreife“, heute werden die Begriffe „Schulfähigkeit“ beziehungsweise „Schulbereitschaft“ benutzt, weil einerseits der Teilbegriff „Reife“ die Vorstellung provoziert, mit zunehmendem Alter „reife“ jedes Kind körperlich und kognitiv heran. Andererseits wird Schulfähigkeit oder Schulbereitschaft seit Jahren sehr viel umfassender betrachtet.

Kann man denn sein Kind zu früh einschulen oder aber zu lange warten?

Krenz: Eine vorhandene Schulfähigkeit oder Schulbereitschaft ergibt sich immer aus vier Kompetenzfeldern: einer emotionalen, motorischen, sozialen und kognitiven Schulfähigkeit. Zu ihr gehören vor allem seelische Stabilität, Belastbarkeit, eine größere Portion Selbstsicherheit, ein grundsätzlich vorhandenes Regelbewusstsein, Lerninteresse und Neugierde, ein Bündel an sozialen Verhaltensweisen sowie Entspannungsfähigkeiten, Ausdauer, Zuversicht und ein gewisses Maß an Konzentrationsfertigkeit. Da jedes Kind ein „Unikat“ ist, das sich von anderen Kindern – auch unabhängig vom Alter – individuell unterscheidet, ist die Stichtagregelung in Deutschland nur bedingt hilfreich. Es kann festgehalten werden:

  • Nicht das Stichtagsalter ist entscheidend, sondern das Vorhandensein bestimmter Fertigkeiten!
  • Britische, US-amerikanische und deutsche Studien weisen deutlich darauf hin, dass die Schulfähigkeit bei 6-jährigen Kindern deutlich stärker vorhanden ist als bei 5-jährigen Kindern.
  • Vorzeitig eingeschulte Kinder wiederholen häufiger eine Klasse.
  • Bei zu früh eingeschulten Kindern ziehen sich nicht selten Fertigkeitsmängel durch die folgenden Schuljahre.
  • Wenn die Kita eine spannende, kommunikationsreiche und selbstständigkeitsfördernde, situationsorientierte Pädagogik mit handlungsaktiven Projekten anbietet, kann eine spätere Einschulung keine entwicklungshinderlichen Folgen hervorbringen.

Sollte ich mein Kann-Kind, wenn es noch ein Jahr länger in den Kindergarten geht, zusätzlich intellektuell fördern, zum Beispiel mit Musik- oder Sprachunterricht?

Krenz: Es geht bei einem Aufbau der Schulfähigkeit – im Gegensatz zur landläufigen Meinung vieler Erwachsener – nicht primär um eine intellektuelle Förderung. Das ist eine immer wiederkehrende Fehlannahme und würde am vorhandenen Problem vorbeiführen. Vielmehr muss es darum gehen, mit Kindern Rollen-, Musik-, Theater-, Fantasie-, Bewegungsspiele zu erleben, alltagsorientierte Gespräche zu führen, Umfelderkundungen zu unternehmen sowie die Selbstständigkeit der Kinder auszubauen, das Selbstwertgefühl von Kindern zu stärken und ihre Neugierde auf Neues anzusprechen! Die Schulbereitschaft setzt sich in erster Linie aus den Fertigkeiten Lernmotivation, Lernbereitschaft und Lernfreude zusammen. Es geht also um Persönlichkeitsmerkmale und nicht um Lernergebnisse.

Wie sollen wir damit umgehen, wenn unser Kind das erste Schuljahr wiederholen muss?

Krenz: Verschiedene Untersuchungen haben immer wieder zum Ausdruck gebracht, dass die Grundlagen der vier basalen Kulturtechniken (Sprache/ Lesen/ Schreiben/ Rechnen) von Anfang an ein sicheres Fundament besitzen müssen. Insofern ist bei starken Fertigkeitsdefiziten eine Klassenwiederholung angezeigt, damit sich fehlende Basiskompetenzen mit jedem Schuljahr nicht weiter potenzieren. Doch es sollte am besten gar nicht erst durch eine zu frühe Einschulung zu einer Wiederholungsnotwendigkeit kommen.

Prof. Dr. h.c. Armin Krenz ist Wissenschaftsdozent für Elementarpädagogik und Entwicklungspsychologie und Autor des Buches „Ist mein Kind schulfähig? Ein Orientierungsbuch“ (Kösel).

Die Fragen stellte Ruth Korte.

Eine schwere Geburt

Für Eva Sofia war es schrecklich. Nach der Geburt ihrer Tochter konnte sie sich nicht vorstellen, noch einmal ein Kind zu bekommen. Damit ist sie nicht allein. Für viele Frauen ist die Geburt ein schwieriges, manchmal sogar traumatisches Erlebnis. Sarah-Maria Graber zeigt Schritte, die beim Umgang damit hilfreich sind.

Unter Tränen versucht Eva Sofia Worte zu finden, um mit ihrem Mann den inneren Gefühlssturm zu teilen. Ihre Tochter ist gerade mal drei Tage alt. Wie soll sie es ihm nur sagen? Sie hatten doch von einer größeren Familie mit drei bis fünf Kindern geträumt. Aber jetzt ist alles anders. Nachdem die Schwangerschaft so schwierig verlaufen ist und mit einer traumatischen Geburt endete, kommen bei Eva Sofia große Zweifel auf. Das wird sie kein zweites, geschweige denn drittes Mal schaffen, weder körperlich noch emotional. Diese Ohnmachtsgefühle, ohne wirklich ohnmächtig zu werden, und diese lange Ungewissheit, wie alles werden wird. Und diese Sorge darum, ob es wohl dem Kind gut geht. Nein, das war dieses eine Mal schon zu viel.

„Ich weiß nicht, ob ich das nochmal schaffe“, gesteht Eva Sofia ihrem Mann. Es folgt eine längere Pause. Sie schweigen sich an. Irgendwann holt Eva Sofia eine Familienzeitschrift hervor mit dem Titel: „Ein-Kind-Familie ist auch Familie“ und drückt sie ihrem Mann in die Hand. Er schaut zuerst den Titel an, dann seine Frau, nickt verständnisvoll, streichelt ihr übers Haar. „Das ist okay so. Ein-Kind-Familie ist auch Familie.“ Mit diesen Worten und dem liebevollen Verständnis ihres Mannes fällt ein schwerer Stein von Eva Sofias Herz. Der Gedanke ist befreiend, dass sie das kein zweites Mal über sich ergehen lassen muss.

Eva Sofia hätte es in diesen Tagen und Wochen nach der Geburt nicht für möglich gehalten, dass die Zeit ihre Wunden heilt. Und dann passiert es doch. Die Zeit verstreicht und heilt. Die Erinnerungen verblassen langsam. Der Wunsch nach einem weiteren Kind gewinnt die Oberhand und lächelt der Angst ins Gesicht. Ihre Freundin Susanne, ebenfalls Mama, macht ihr Mut. Sie hat richtig schöne Geburten erlebt. Sie ermutigt Eva Sofia, es nochmal zu versuchen und sich den Traum einer größeren Familie nicht von diesem einmaligen Erlebnis nehmen zu lassen. Getragen von diesem Hoffnungsschimmer fasst sich Eva Sofia ein Herz und öffnet sich für eine weitere Schwangerschaft. Ein weiteres Mal macht sie sich verletzlich, lässt ihre Ängste zu und versucht, ihnen Hoffnung entgegenzuhalten. Sie bereitet sich intensiv auf die Geburt vor, fasst neues Vertrauen in den Geburtsprozess und in ihren Körper.

Und tatsächlich: Die zweite Geburt wird sogar ein heilsames Erlebnis für Eva Sofia und ihren Mann. Sie entscheiden sich für weitere Kinder. Auch die dritte und vierte Geburt verlaufen sanft und selbstbestimmt. Gemeinsam gebären sie in tiefer Verbundenheit mit Gott und erleben, dass Geburt sich wie ein besonderes Teamerlebnis anfühlen kann.

Wie Wunden heil werden

„Jede Geburt, egal, ob positiv oder negativ erlebt, ist eigentlich eine Überforderung für den weiblichen Organismus“, erklärt die Hebamme Carole Lüscher. „Nach der Geburt durchläuft deshalb jede Frau eine Phase der Verarbeitung, egal, wie die Geburt war.“ Die Verarbeitung ergibt im besten Fall ein stimmiges Bild, ein stärkendes Gefühl: Es hat sich gelohnt. Es war intensiv und ich habe das geschafft. Was für ein Wunder und was für eine Kraft!

Das ist aber längst nicht bei allen Frauen so, wie das Beispiel von Eva Sofias erster Geburt zeigt. Nach einer solchen Geburt bleibt die Erleichterung aus. Die Erinnerung wiegt schwer und löst immer wieder Trauer aus. Wie Wellen rollen Gefühle der Enttäuschung und Wut ins Bewusstsein, plötzlich und unangekündigt. Sie spülen Schmerz und Erinnerungen an die Oberfläche, die sich nach einer heilsamen Berührung sehnen. In der Verarbeitung können drei zentrale Erkenntnisse helfen:

1. Gegensätzliche Gefühle dürfen gleichzeitig in mir wühlen!

Ich darf mich freuen am Leben und an dem, was ich habe, und gleichzeitig trauern über das, was ich verloren habe oder vermisse. Ich darf wütend und trotzdem glücklich sein. Ich kann enttäuscht und trotzdem dankbar sein. Ich darf aber auch nur wütend sein. Ich darf zweifeln und jubeln. Ich darf danken und klagen. Oder nur klagen.

2. Meine Kreativität ist heilsam!

Gefühle und Gedanken aufzuschreiben, kann mir helfen, sie zu fassen. Auf dem Papier, schwarz auf weiß, werden sie sichtbar und begreifbar. Und irgendwann kann ich sie besser loslassen. Oder mich mit ihnen versöhnen und sie einordnen. Auch andere kreative Ausdrucksweisen können mir dabei helfen, das Innere zum Ausdruck zu bringen: Malen, Singen, Bewegen, Kochen, Tanzen. In der Kreativität schaffen wir Raum für die Begegnung mit dem Schöpferischen, mit dem Schöpfer. Es eröffnen sich neue Ideen oder Zusammenhänge oder Einsichten. Manchmal hilft es auch, mit anderen Menschen über Gefühle und Gedanken zu sprechen. Manchmal ist es aber auch hilfreich, eben nicht darüber sprechen zu müssen. Es darf sein, was gerade ist.

3. Gebet ist eine gute Entscheidung!

In diesen negativen Gefühlen kann die Tendenz entstehen, dass ich mich von Gott abkapsle und aus dem Gebet zurückziehe, um die unangenehmen Emotionen zu umgehen. Weil ich vielleicht auch über Gott enttäuscht bin, weil ich mich missverstanden fühle. Weil mein Glaube durch das Erlebte wackelt. Und gefühlt keinen weiteren Anstoß mehr verkraftet. Dann ist es eine bewusste Entscheidung, trotzdem zu beten und mich auf eine Begegnung mit Gott einzulassen. Wenn ich meine Fragen und meine Zweifel zulasse, werde ich offen für Antworten, für andere Perspektiven, für weiterführende Fragen, für eine heilsame Berührung. Das Hoffen und der Glaube an die Liebe und Güte Gottes, an seine heilsame Kraft und Treue kann in diesem Prozess eine grundlegende Ressource werden. Fragen bleiben offen und darin liegt Trost: Dass da Raum ist für unbeantwortete Fragen. Dass Gott so groß und herrlich ist, dass ich ihn nicht begreifen kann, nicht begreifen muss. Dass seine Wege anders sind als meine, aber dass er letztlich treu und heute noch lebendig ist. Seine Kraft wirkt in mir und an mir. Seine Sicht geht über das für mich Sichtbare hinaus.

Wenn die Erinnerung überwältigend bleibt

Wenn diese Hilfestellungen nicht reichen, bleibt die Erinnerung an die Geburt überwältigend und belastend. In diesen Fällen kann ein Geburtstrauma vorliegen. Dass eine Geburt ein Trauma hinterlassen hat, erkennen betroffene Frauen oft daran, dass sie Flashbacks haben: Belastende Erinnerungsfetzen tauchen unkontrollierbar auf und stellen den Alltag auf den Kopf. Die Ressourcen reichen nicht, um die Geschehnisse rund um die Geburt zu verarbeiten. Die Betroffene kommt nicht mehr zur Ruhe. Der innere Stress baut sich nicht ab, sie kann schlecht schlafen, ist schreckhaft und gereizt. Denn der Organismus und das Nervensystem der Betroffenen sind ständig im Alarmzustand, bleiben stecken in der Überforderung. Wie ein Stausee, der das Wasser nicht mehr abfließen lässt. Erneuter Stress, auch in geringem Ausmaß, und kleine Erinnerungsfetzen triggern diesen Zustand und wirken überfordernd. Wegen eines Tropfens läuft der See über.

Betroffene vermeiden um jeden Preis, dass dieses Trauma getriggert wird, indem sie zum Beispiel das Spital meiden, den Namen des Arztes nicht mehr lesen, der Hebamme aus dem Weg gehen, nicht über die Geburt sprechen. Doch das Kind erinnert sie weiterhin an die Geburt. Insbesondere sein erster Geburtstag zeigt bei vielen Betroffenen die Belastung auf: Sie würde ihn am liebsten überspringen, um nicht mit den Erinnerungen an die Geburt konfrontiert zu werden. Einige Paare stellen sich wie Eva Sofia die Frage, ob sie weitere Kinder wollen, weil sie eine erneute derartige Erfahrung verhindern möchten.

Die Verarbeitung kann aber auch hier gelingen. Traumata können gelöst werden. „Durch einen Umweg“, sagt Hebamme Carole Lüscher. Sie arbeitet seit Jahren mit traumatisierten Frauen, die Mütter werden. Um die Wucht des Wassers im Stausee zu minimieren, gehe es zuerst darum, die Ressourcen der Betroffenen zu stabilisieren, indem sie eine sichere Beziehung zu Therapeuten oder Fachpersonen aufbauen können, die sie dabei unterstützen. So soll es den Müttern gelingen, zunächst ihren Alltag zu bewältigen und dann Schritt für Schritt Raum zu schaffen, um Stress abzubauen. Der erste Schritt sei oft der schwierigste und auch der wichtigste: die Entscheidung, das Erlebte zu verarbeiten und sich Hilfe zu suchen. Sei es durch ein Gespräch mit einer Vertrauten, durch das Kontaktieren einer Therapeutin oder kompetenten Hebamme. Denn im Fall eines Traumas brauchen Betroffene professionelle Hilfe.

Das Ziel einer Therapie ist es dann, dass die Mutter das Geburtsgeschehen in die eigene Biografie integrieren kann. Dass sie die Geschehnisse verstehen und nachvollziehen kann. Dass sie einordnen kann, was passiert ist und sie sich damit versöhnt. Dass die Geburt Teil ihres Lebens wird und dass das okay für sie ist. So findet sie wieder Kontrolle über ihre Gefühle. Die Angst vor der erneuten Überflutung treibt immer weiter weg.

Für eine weitere Geburt kann das bedeuten, dass eine betroffene Frau mehr Informationen einfordert. Genau so hat es Eva Sofia erlebt. Sie wollte selbst Entscheidungen treffen, gut informiert sein und in den Geburtsverlauf miteinbezogen werden. Das Gefühl von Geborgenheit und Sicherheit durch vertraute Beziehungen – und durch den Glauben an einen liebevollen, versorgenden Gott – ist dabei ein wichtiger Schlüssel.

Sarah-Maria Graber ist Journalistin, Mutter von drei Kindern und lebt in Bern.

0 bis 2 – Die passende Krippe

Elternfrage: „Ich bin alleinerziehend und suche nach einem Krippenplatz für meine Tochter (1). Worauf sollte ich achten, wenn ich mir eine Krippe anschaue?“

Wenn Sie Ihr Kind in einer Krippe betreuen lassen möchten, gibt es ein paar Punkte, die Sie im Vorfeld beachten können, damit der Start in die Fremdbetreuung gelingt. In den meisten Einrichtungen hat sich das Berliner Modell der sanften Eingewöhnung durchgesetzt, da es dem kindlichen Bedürfnis nach Bindung und Sicherheit am meisten entspricht. Über einen Zeitraum von zwei bis sechs Wochen, je nach Kind, wird das neue kleine Gruppenmitglied im Idealfall von einer festen Bezugserzieherin schrittweise in die Gruppe eingewöhnt. Die Eltern erhalten in dieser Phase viele Rückmeldungen und Informationen und arbeiten mit den Erzieherinnen zusammen. Wenn Sie also über einen Wiedereinstieg in den Beruf nachdenken, sollten Sie sich mindestens zwei Monate vor Arbeitsbeginn um den Start in die Krippe bemühen. Ein zeitgleicher Arbeits- und Krippenstart ist nicht möglich.

Spezielle Angebote

Nach der Eingewöhnung ist ein strukturierter Tagesablauf mit anregenden Angeboten für das Kind förderlich. Fragen Sie im Erstgespräch nach wiederkehrenden Abläufen, aber auch nach speziellen Angeboten wie Musik oder Kreativem, und ob die Gruppe regelmäßig nach draußen geht, zum Beispiel auf das Außengelände oder auf Ausflüge in die nähere Umgebung. Überlegen Sie sich, was Ihnen für Ihr Kind besonders wichtig erscheint: bilinguales Konzept, offene Gruppen, eine naturnahe Lage der Einrichtung …

Manchmal helfen auch Berichte von anderen Krippeneltern, um ein realistisches Bild einer Einrichtung zu bekommen. Trauen Sie sich ruhig, jemanden anzusprechen, den Sie kennen, und lassen Sie sich von den Erfahrungen berichten.

Da die Kinder meist bis zu drei Mahlzeiten täglich in der Krippe einnehmen, ist es sinnvoll, sich über das Verpflegungskonzept des Trägers zu informieren. Ein abwechslungsreicher, gesunder Speiseplan mit Mahlzeiten aus frischen Lebensmitteln sollte selbstverständlich sein.

Gutes Bauchgefühl

Bevor Sie Ihr Kind in Ihre favorisierte Einrichtung geben, prüfen Sie, ob der tägliche Anfahrtsweg (Zuhause – Krippe – Arbeit) auf Dauer zeitlich realistisch und finanziell machbar ist. Wer nicht in Krippennähe arbeitet oder wohnt, muss viel Wegezeit einrechnen, was die möglichen Arbeitsstunden deutlich reduziert. Auch ist der Anfahrtsweg wichtig, falls das Kind einmal außerplanmäßig früher abgeholt werden muss, zum Beispiel bei akuter Krankheit.

Selbst wenn Ihnen das schriftliche Konzept einer Einrichtung auf Anhieb gefällt, ist es das Beste, sich ein persönliches Bild zu machen. Was sich wie ein schwammiges Kriterium anhört, ist ein wichtiger Anhaltspunkt: das Bauchgefühl. Schnuppern Sie in der Gruppe, nehmen Sie die Atmosphäre wahr und die Art und Weise, wie Erzieherinnen und Kinder miteinander interagieren. Warmherzigkeit, Freundlichkeit und Zugewandtheit machen viel mehr aus als der beste bilinguale Förderkurs. Es braucht Vertrauen, sein Liebstes in fremde Hände zu geben, und ich bin mir sicher, dass Sie als Mutter das beste Gespür dafür haben, was für Ihr Kind das Richtige ist.

Friederike Schwencke ist Diplom-Sozialpädagogin bei den „Flotten Bienchen“ im CJD Wolfsburg.

Trotz Jobverlust weiter als Team unterwegs

Wenn ein Mensch den Arbeitsplatz verliert, kann das die Existenz bedrohen und die Psyche belasten. Auch die Paarbeziehung kann darunter leiden. Ein Ehepaar und eine Paartherapeutin berichten, wie Paare solche Krisen meistern können.

Genau zu der Zeit, als Anne nach längerem Hoffen endlich wieder schwanger wurde, verlor ihr Mann Markus zum zweiten Mal seine Arbeitsstelle. Das brachte Unsicherheit und Existenzsorgen in die Beziehung. Bereits bei der ersten Kündigung war es für Anne als Freiberuflerin schwierig, finanziell nicht so stark wie erwartet auf Markus bauen zu können: „Ich war selbstständig und wollte mich gern finanziell auf sein Einkommen verlassen. Das stellte für mich auch einen Konflikt in der Rollenverteilung dar, und ich konnte nicht so frei sein, mich erst mal auszuprobieren, sondern musste gleich Geld verdienen“, erinnert sich Anne. Nach einiger Zeit kamen bei ihr Frust und Vorwürfe auf und die Fragen, ob ihr Mann wirklich sein Bestes gibt und überhaupt für die Arbeitswelt gemacht ist.

Auch bei Markus entstanden Selbstzweifel. Doch es war beiden wichtig, all diese Emotionen zuzulassen. Sie überlegten als Paar gemeinsam mit Hilfe eines Berufungsbuches, wie es weitergehen kann und wo sie sich in ihren Fähigkeiten noch mehr unterstützen können. „Das hat Markus geholfen, sich zu reflektieren, und mir, die Potenziale in ihm zu sehen, und unseren Teamgeist geweckt“, sagt Anne. Außerdem zeigte ihnen diese Krise neu, dass vieles von Gott abhängig ist, und führte sie wieder zu mehr gemeinsamem Gebet. Dadurch konnten sie Gottes Versorgung erfahren und ihre Hoffnung auf ihn setzen. „Ich habe neu gelernt, Krisenzeiten erst mal so anzunehmen, wie sie sind, und nicht gleich in Aktivismus zu verfallen, sondern wirklich zu vertrauen und geduldig zu sein mit meinem Partner. Letztlich sind wir als Team unterwegs und keiner ist besser als der andere, nur weil er mehr verdient“, resümiert Anne.

Durch die Krise wurden beide reflektierter für die eigenen Schwächen, den eigenen (Arbeits-)Anteil an der Beziehung, aber auch die Erfolge des anderen. Ihre Erfahrungen geben Anne und Markus auch gern an andere weiter. „Als Paar ist es schön, wenn man gemeinsam sowas überwunden hat und davon auch erzählen und zuversichtlich sein kann, dass Gott einen durchträgt“, fasst Anne zusammen.

Zusammen Neues wagen

Paartherapeutin Diana Muschiol hat schon einige Paare in existenzbedrohlichen Krisen begleitet. „Für viele Menschen ist die Berufstätigkeit mit dem eigenen Selbstwert verknüpft, gibt Sinn und Identität“, sagt sie. Fällt die Arbeitstätigkeit weg, entsteht oft eine Leere. Dann ist es wichtig, sich bewusst auf Neues einzulassen, um wieder Sinn zu finden. Berufungsbücher wie bei Anne und Markus können hilfreich dabei sein.

Mit dem Jobverlust einhergehende Gefühle wie Scham, Schuld, Minderwertigkeitsgefühle oder Selbstzweifel können gefährlich sein. „Das sind unangenehme Gefühle, die meist einen Rückzug bedeuten, ein innerliches Dichtmachen, wenn man diese Gefühle nicht fühlen und schon gar nicht irgendjemandem zeigen will. Dadurch sind aber Distanz und Entfremdung in der Partnerschaft vorprogrammiert“, weiß Muschiol. Auch die möglicherweise veränderten Rollen in der Familie und dadurch vielleicht ungewohnte Aufgaben können das Gefühl von Unfähigkeit verstärken. Der Alltag muss eventuell neu organisiert, Aufgaben neu verteilt werden. Alle Gefühle zuzulassen und ehrlich miteinander zu kommunizieren, ist deshalb sehr wichtig! Statt sorgenvoll zu verzweifeln, sollte man die Situation erst mal akzeptieren. Und dann als Paar gemeinsam umdenken, flexibel nach Lösungen und Ideen suchen und diese umsetzen. Der Fokus sollte dabei auf dem vorhandenen Guten in der Beziehung sowie den Ressourcen jedes Einzelnen, als Paar und auch im sozialen Umfeld liegen. Von diesem Punkt aus kann man sich gemeinsam neue Ziele setzen und daran arbeiten, sie zu erreichen. So wie Markus und Anne, die sich mittlerweile freuen dürfen, dass Markus erfolgreich einen neuen Job gefunden hat.

Interview mit Paartherapeutin Diana Muschiol

Was kann Paaren helfen, schwierige Zeiten gemeinsam durchzustehen?
Allein die Paarbeziehung an sich hilft schon, Krisen zu meistern. Gott hat uns nicht ohne Grund als Beziehungswesen geschaffen. Zahlreiche Studien zeigen, dass eine zufriedene und glückliche Beziehung gesund hält und uns auch befähigt, mit Herausforderungen und Schmerz besser umzugehen. Daher ist ein sehr wichtiger Faktor für Paare in Krisenzeiten, an ihrer Beziehung festzuhalten und diese weiter auszubauen.

Zusätzlich ist ein offener und ehrlicher Austausch miteinander sehr hilfreich, zum Beispiel darüber, was an der Krise Sorgen oder Angst bereitet. Und das mit der Bereitschaft, das Gegenüber wirklich verstehen zu wollen. Wenn wir selbst in Not sind oder unbedingt verstanden werden wollen, verlieren wir manchmal das „Wir“ aus den Augen. Da sind echtes Interesse und Empathie sehr hilfreich. Auch eine vorsichtige Nachfrage oder ein Gesprächsangebot, wenn der Partner sorgenvoll scheint, ist eine gute Möglichkeit.

Gibt es überhaupt so etwas wie eine Patentlösung für die Bewältigung von Krisen als Paar?
Wenn überhaupt, dann würde ich sagen, ist es eine glückliche, zufriedenstellende Beziehung, in der sich beide verbunden fühlen, angenommen sind und die Zuversicht haben, das gemeinsam durchzustehen. Eine Beziehung, in der sie sich emotional und körperlich erreichen, sich aufeinander verlassen können, sich auf emotionaler Ebene mitteilen und dann auch wohlwollend auf das Gehörte und Wahrgenommene reagieren.

Kann man von einer Paar-Resilienz sprechen oder ist Krisenbewältigung in erster Linie Sache jedes einzelnen Partners?
Beides. Eine gemeinschaftliche Bewältigung ist hilfreicher als die alleinige. Und wenn ein Partner in der Beziehung eine Krise oder Not erlebt, hat das direkte Auswirkungen auf den anderen oder die andere. Aber es braucht den eigenen Beitrag. Man kann sich nicht ausschließlich darauf verlassen, dass das Gegenüber einem die Bewältigung abnimmt. Man darf seinen eigenen Beitrag dazu leisten, sollte aber auch Unterstützung annehmen. Dafür ist es erforderlich, sich selbst verletzlich zu zeigen. Das bedeutet, die eigenen Gefühle mitzuteilen: Sorgen, Ängste, Unzufriedenheit, Probleme und auch Sehnsüchte, Hoffnungen und Wünsche. Wir können nicht davon ausgehen, dass unser Gegenüber weiß, wie es in uns aussieht, wenn wir es nicht zeigen.

Was verändert sich aus Ihrer Sicht an einer Beziehung, wenn Paare gemeinsam Krisen bewältigen?
Das gemeinsame Bewältigen von Krisen kann viele Ressourcen in einem Paar hervorbringen. Oft wachsen der gegenseitige Respekt und die Wertschätzung. Aber auch Verbundenheit, Vertrauen, Intimität und Zusammengehörigkeitsgefühl entwickeln sich weiter und verfestigen sich. Durch das Erleben, schon einmal eine Krise gemeistert zu haben, entstehen auch Hoffnung und Zuversicht, kommende Krisen ebenfalls zu bewältigen. Hoffnung ist ein weiterer wichtiger Aspekt von Resilienz. Und je mehr wir Menschen Resilienz erleben, desto mehr baut sie sich auf. Durch das gemeinsame Bewältigen von Anforderungen entwickelt sich Selbstwirksamkeit bei jedem Einzelnen und auch die des Paares. Was wiederum genutzt werden kann, für andere Impulsgeber und Vorbild zu sein.

Lisa-Maria Mehrkens ist freie Journalistin und lebt mit ihrer Familie in Chemnitz.

 

TIPPS VON BETROFFENEN UND PAARTHERAPEUTIN DIANA MUSCHIOL ZUR BEWÄLTIGUNG VON KRISEN IN DER PARTNERSCHAFT:

  • die Partnerschaft priorisieren, Zusammengehörigkeitsgefühl stärken, zum Beispiel durch Auszeiten zu zweit
  • im Alltag immer wieder Verbindung zueinander schaffen durch eine Umarmung, ein Lächeln, einen Kuss oder liebe Worte
  • bewusst den Fokus darauf setzen, was gut läuft
  • sich bewusst dafür entscheiden, zusammenzubleiben und miteinander durch die Krise zu gehen
  • sich durch praktische Unterstützung im Alltag gegenseitig Freiräume schaffen, um einzeln Bedürfnissen nachzugehen und Auszeiten zu nehmen

Kommunikation ist alles

  • ein Grundlevel an Kommunikation aufrechterhalten, zum Beispiel durch kurze Spaziergänge
  • offen und ehrlich Gefühle, Gedanken und Bedürfnisse teilen
  • sich in den Partner einfühlen, gegenseitig ungeteilte Aufmerksamkeit und echtes Interesse schenken
  • sich um gegenseitige Akzeptanz und Verstehen bemühen
  • dem Partner andere Bedürfnisse und Verarbeitungsstrategien zugestehen
  • gemeinsam als Paar vor Gott kommen in Gebet, Lobpreis, Abendmahl
  • bei Bedarf seelsorgerliche, therapeutische oder praktische Unterstützung annehmen
  • negative Gedanken und Gefühle zulassen und aussprechen, sich aber nicht davon beherrschen lassen
  • Krisen nicht „vergeuden“, sondern als zum Leben dazugehörende Chance für etwas Neues und Gutes sehen und sie, wenn möglich, aktiv gestalten

Hilfreiche Fragen

  • Was ist in dieser Situation oder in diesem Moment der Krise unser langfristiges Ziel? Wie können wir dahingehend unsere Energie und Zeit nutzen?
  • Was brauchen wir gerade in der Krise: eher aktive Lösungsschritte oder eine Stärkung unserer emotionalen partnerschaftlichen Verbindung?

Ein Paar, zwei Perspektiven

Erinnerungsmüll

Wo bleibt die Wertschätzung?

Katharina Hullen fällt es schwer, sich von Erinnerungen zu trennen.

Katharina: Heute wird das Altpapier abgeholt. Der beste Ehemann von allen hat schon alles vorbereitet. Ich stelle die Kiste nur noch schnell an die Straße. Beim Absetzen fällt mein Blick auf ein paar bunte Kritzeleien, die aus dem Zeitungshaufen hervorlugen. Entsetzt fische ich das jüngste Kunstwerk unseres Jüngsten wieder aus der Kiste und kontrolliere, ob Hauke etwa noch mehr Sachen entsorgt hat, die ich doch noch aufbewahren will. Family FIPS-Hefte zum Beispiel oder die nette Ansichtskarte der Freundin.

Ähnliche Szenen spielen sich übrigens ab, wenn mein Mann unseren Bus mit Dingen für den Recyclinghof belädt. Er räumt ein, um endlich wieder Platz in der Garage zu haben. Und ich räume wieder aus, weil ich finde, dass wir die große Wasserbahn noch behalten sollten, obwohl sie zwar nur sehr selten genutzt wird, schon etwas morsch und schwierig zusammenzubauen ist. Aber sie funktioniert noch und bestimmt wird sie im nächsten Sommer vermisst.

Schwierig, sich da zu einigen. Ich bin total dafür, Müll zu entsorgen. Aber was ist mit all den Dingen, die noch funktionieren, die noch benutzt werden können, die noch einen Wert haben – und sei es nur einen ideellen? Das fällt mir echt schwer! Und so füllen sich die Erinnerungskisten unserer fünf Kinder, die es mir später vermutlich nicht danken, dass ich so viel Zeug aufbewahrt habe. Andererseits klagen unsere drei Großen, dass Papa einfach heimlich ihre aufwendig gebastelten Schultüten entsorgt hat – was Hauke stets mit einem Siegesschrei, dass er das geschafft hat, untermalt!

Eins steht zweifelsfrei fest: Weniger ist mehr! Es ist Unsinn, sich das Haus mit Dingen zuzumüllen, die niemand mehr braucht. Leichtes Gepäck, wie im Lied von Silbermond beschrieben, ist eine schöne Vorstellung. Sich beschränken auf das Wesentliche, auf die Dinge, die man wirklich braucht – und der Rest kommt einfach weg.

Andererseits: Wo bleibt da die Wertschätzung, die Erinnerung, der verantwortliche Umgang mit dem, was mir anvertraut ist? Wegwerfen statt bewahren, Neues kaufen statt Altes wiederzuverwenden?

Zwei Herzen schlagen da in meiner Brust: Ich leide immer wieder an all dem Überfluss und der Unordnung, die er verursacht, und andererseits freue ich mich oft, Dinge noch im Haus zu haben, die wir deshalb nicht nochmal kaufen müssen. Oder wenn mein Blick auf ein kleines Kunstwerk fällt, das vor Jahren unsere inzwischen 15-Jährige mit Feuereifer kreiert hat.

Ich schätze, in diesem Thema wird wohl immer Bewegung sein im Laufe des Lebens. Mit jedem Kind, das irgendwann ausziehen wird, werden wir wohl all die Dinge nochmal durchsehen müssen und dann beherzt wegwerfen, weil wir feststellen, dass niemand Interesse mehr daran hat. Aber bis wir so weit sind, füllt sich das Haus wohl noch ein wenig.

Katharina Hullen (Jahrgang 1977) ist Bankkauffrau und Dolmetscherin für Gebärdensprache in Elternzeit. Sie und Ehemann Hauke haben fünf quirlige Kinder und leben in Duisburg. Gemeinsam bilden die beiden das Kirchenkabarett „Budenzauber“.

Unsere Wohnung gleicht einem Hochregallager

Hauke Hullen zweifelt daran, dass man sich alte Sachen jemals wieder ansieht.

Hauke: Dieser Text entsteht wenige Tage vor Weihnachten und voller Schwermut, denn es wird wohl das letzte Weihnachtsfest sein, das im Hause Hullen gefeiert werden kann. Auch Geburtstag, Ostern und vor allem Muttertag werden wir fortan nicht mehr zelebrieren! Eine harte Entscheidung, ich weiß, aber unausweichlich. Denn: Die Fensterbank im Schlafzimmer ist voll!

Vollständig voll, mit allem, was kleine Kinder mit großer Liebe für den besten Papa und die beste Mama der Welt in den letzten Jahren so gebastelt haben: Glückwunschkarten, Kastanienmännchen, nie eingelöste Gutscheine, Kerzen, selbstgefaltete Schmuckkästchen, Porträtbilder, deren Entstehungsjahr an der wachsenden Anzahl der Gliedmaßen ablesbar ist, Einmachgläser mit Motivationssprüchen, Herzchen in allen Größen, Bilder, Rätsel, Gedichte, Geschichten …

Ich wette, jede Familie hat so einen Ort, wo diese Schätze gesammelt werden – irgendeinen Ordner oder eine Kiste. Bei uns ist es eine drei Meter lange Fensterbank. Und sie ist voll. Genauso wie die Oberfläche der Kommode daneben und die des Sideboards; die Wände sowieso. Und Kisten haben wir natürlich auch, im Keller. Für jedes Kind eine riesige Kiste im DIN A3-Format. Alles voll!

Katharina möchte sich von nichts trennen. Das finde ich – bezogen auf meine Person – sehr beruhigend. Unsere Wohnung, die sich in Richtung Hochregallager entwickelt, stellt es aber vor große Probleme. Muss wirklich alles für die nächsten Jahrhunderte erhalten bleiben, was unsere kreativen Kinder einst gebastelt haben?

Und warum bitte bewahrt Katharina jeden Kram auf, der irgendwann mal mit unseren Kleinen in Berührung gekommen ist? Kinderkleidung, Kinderschuhe, Schultüten – was will man damit noch anfangen? Und haben Sie eine Ahnung, wie sperrig St.-Martins-Laternen sind? Von fünf Kindern, die in jedem Kindergarten- und Grundschuljahr jeweils eine basteln? Das vorläufige amtliche Endergebnis kommt auf über 30 Laternen. Die Auszählungen sind aber noch nicht abgeschlossen. Andere Familien haben eine Kiste mit Erinnerungsstücken – wir brauchen inzwischen einen ganzen Raum! Ich vermute, die Menschheit ist nur deshalb sesshaft geworden, weil es zu mühsam wurde, all den Plunder ständig mitzuschleppen. In den Augen der besten Ehefrau von allen wäre Wegschmeißen aber ein Sakrileg. Die ganzen Erinnerungen, die wieder wach werden, wenn man die kindlichen Kunstwerke in die Hand nimmt! Mag sein. Aber Fakt ist, dass wir den alten Krempel noch nie (!) wieder aus den Kisten geholt haben, um bei Kerzenschein nostalgisch in Erinnerungen zu schwelgen. Vielleicht sollten wir alles einmal abfotografieren, um dann von diesen treuen Wegbegleitern in einer feierlichen Zeremonie am Altpapiercontainer Abschied zu nehmen.

Hauke Hullen (Jahrgang 1974) ist Lehrer für Deutsch und Sozialwissenschaften. Er und Ehefrau Katharina haben fünf quirlige Kinder und leben in Duisburg. Gemeinsam bilden die beiden das Kirchenkabarett „Budenzauber“.

Gefangen in ungesunden Mustern

Bei manchen Streitpunkten kommen Paare nicht weiter und Konflikte vertiefen sich. Dann ist eine neue Perspektive nötig.

Raphael ist schleierhaft, was eigentlich Katrins Problem ist. Er weiß nur, dass sie „zu emotional“ und „sehr vorwurfsvoll“ ist. Er sagt: „Ich bemühe mich, ein guter Partner zu sein, und es ist wohl nicht mein Fehler, dass ich nun mal kein gefühlsbetonter Mensch bin.“ Katrin fällt ihm ins Wort: „Ein Stein bist du!“ Raphael schweigt. Deshalb macht Katrin weiter: „Dir geht es nur darum, wie wir unsere Beziehung am besten um deine Arbeit herumorganisieren können. Du warst nicht einmal da für mich, als meine Mutter gestorben ist.“

Raphael zuckt mit den Schultern und blickt starr an die Wand. Katrins Botschaft ist dringend, aber sie kommt bei Raphael nicht an. In seinen Augen macht sie einfach wieder mal ein furchtbares Theater.

Die Verbindung halten

Wenn die Verbindung zum Gegenüber in Gefahr ist, ist das sehr bedrohlich. Diese Bedrohung führt bei Katrin dazu, dass sie Vorwürfe macht. Sie reagiert emotional und will von Raphael eine Reaktion sehen. Ihre Angriffe sind ein Ausdruck ihres Wunsches nach Nähe. Sie will spüren, dass er noch hier ist.

Raphael hat auch Angst, dass ihre Beziehung in die Brüche geht. Nur reagiert er ganz anders. Er spielt alles runter und versucht, die Wogen zu glätten. Er will rationale Lösungen für ihre Probleme finden und die Gespräche in geordneten Bahnen halten. Um sich vor Katrins Angriffen zu schützen, geht er auf Distanz.

Das führt zu einem Teufelskreis. Katrin greift an, um eine Verbindung herzustellen. Raphael geht in Deckung und zieht sich zurück. Deshalb spürt ihn Katrin noch weniger und macht noch aggressivere Vorwürfe, was aber wiederum dazu führt, dass er sich noch mehr distanziert. So geht das immer weiter. Sie sitzen in dieser Abwärtsspirale fest.

Gemeinsam statt gegeneinander

Beide haben das gleiche Ziel: Sie wollen Nähe herstellen und ihre Beziehung stärken. Doch ihre Strategien sind kontraproduktiv. Um aussteigen zu können, müssen sie dieses Muster durchschauen. So können sie sich entscheiden, gemeinsam gegen die negative Dynamik zu kämpfen. Wenn sie diesen gemeinsamen Feind haben, kann es ihnen gelingen, sich verletzlich zu zeigen und über ihre Gefühle und ihren Wunsch nach Nähe zu sprechen.

Vielleicht gelingt Katrin dann ein sanfterer Einstieg: „Ich weiß nicht, ob du für mich da bist, wenn ich dich brauche. Ich liebe dich und ich mache mir Sorgen um unsere Beziehung.“

Marc Bareth und seine Frau Manuela stärken mit FAMILYLIFE Schweiz Ehen und Familien. Marc Bareth ist Leiter dieser Arbeit. Er bloggt unter www.familylife.ch/five

11 bis 15 – Umzug mit Teenagern

Elternfrage: „Mein Mann und ich wollen uns beruflich verändern. Dafür müssten wir aber umziehen. Unsere Teenager finden den Gedanken furchtbar und wollen lieber in ihrem vertrauten Umfeld bleiben. Wie finden wir eine gute Lösung?“

Zugegeben, es ist einfacher, mit Kleinkindern umzuziehen als mit Teenagern. Für sie haben der Freundeskreis, die Schulklasse, die Mannschaft im Verein oder die Jugendgruppe eine immer größere Bedeutung bekommen.

Aber manchmal machen äußere Umstände einen Umzug unausweichlich. Das dürfen wir Teenagern dann auch zumuten. An solchen Herausforderungen können sie durchaus wachsen. „Ja, ihr möchtet lieber hier wohnen bleiben, das können wir verstehen. Aber der neue Ort wird auch gut werden, und wir werden das gemeinsam schaffen.“ Geben Sie Ihren Kindern diese Zuversicht: „Es wird nicht leicht, aber es ist auch nicht unmöglich. Wir werden viel lernen, wir werden flexibel sein müssen, aber es wird uns stark machen.“ Ein Umzug ist eine Erfahrung, die man im Leben gut gebrauchen kann. Übergangslösungen wie das Pendeln eines Elternteils über eine lange Distanz belasten die Familie auf Dauer mehr.

Den Neuanfang erleichtern

Beziehen Sie Ihre Kinder in Entscheidungen mit ein. Fahren Sie zusammen an den neuen Ort und entdecken Sie die Vorteile. Als wir mit unseren Teenagern vor vielen Jahren umgezogen sind, hat die Aussicht, sich in der Großstadt in Zukunft selbstständig bewegen zu können (mit der Straßenbahnhaltestelle um die Ecke) die Gemüter positiv gestimmt. Wenn man aufs Land zieht, könnte es vielleicht die Perspektive sein, demnächst den Mofa-Führerschein machen zu dürfen.

Nehmen Sie sich als Eltern genug Zeit, um den Kindern die Eingewöhnung zu erleichtern. Wenn sie in den ersten Monaten die Sicherheit haben, dass jemand daheim ist und zuhört, wenn man aus der Schule kommt, hilft das. Alles will neu entdeckt werden: Man braucht einen neuen Zahnarzt, muss die Gegend kennenlernen und vielleicht auch die Ausflüge nachholen, die alle anderen schon als Grundschulkinder gemacht haben. Die Schule nimmt einen großen Teil des Lebens von Teenagern ein. Überlegen Sie (auch gemeinsam mit den bisherigen Lehrern), welche Schule geeignet ist.

Geistliche Heimat finden

Mein wichtigster Tipp: Suchen Sie sich am neuen Ort eine Kirchengemeinde, die den Teenagern gefällt. Machen Sie lieber Abstriche bei Ihren eigenen Vorlieben oder theologischen Überzeugungen. Wenn die Kids es cooler im CVJM finden, dann springen Sie als Freikirchler bitte über Ihren Schatten. Oder wenn die evangelische Jugend eine attraktive Arbeit macht, überwinden Sie sich als Katholik und werden Sie Gast bei den Evangelischen.

Dass Teenager einen guten neuen Freundeskreis und eine geistliche Heimat finden, die ihnen durch die Jahre von 11-18 helfen, scheint mir einer der bedeutendsten Aspekte zu sein.

Anke Kallauch ist Pastorin und Mutter von drei erwachsenen Kindern. Als Familie sind sie umgezogen, als die Kinder 9, 15 und 17 Jahre alt waren.

„Bist zu uns wie ein Vater …“

Die Beziehung zwischen Gott und den Menschen hat Ähnlichkeiten zu unserem Elternsein. Lisa-Maria Mehrkens hat sich auf die Suche gemacht.

„Vater unser im Himmel …“ So beginnt das bekannteste Gebet. Ist Gott also der Idealtyp eines Vaters? Zuerst einmal ist „Vater“ eine Beschreibung Gottes, die uns helfen soll zu begreifen, wie Gott ist. Wir müssen als Eltern nicht so sein wie Gott. Aber wir können uns einiges von seinem Wesen und Handeln für unser Elternsein zum Vorbild nehmen.

Erreichbarkeit und Verlässlichkeit

„Bist zu uns wie ein Vater, der sein Kind nie vergisst“, so beginnt das bekannte Lied „Unser Vater“. Gott vergisst seine Kinder niemals und hält seine Versprechen ein! „Aber Mama, du hast mir das doch versprochen …“ Die Enttäuschung bei meinen Kindern, wenn ich im hektischen Alltag ein Versprechen vergessen habe, ist oft groß und das Vertrauen schwindet. Im schlimmsten Fall sind sich Kinder dann nicht mehr sicher, ob sie sich auf die Versprechen ihrer Eltern überhaupt verlassen können. Wir sollten deshalb vorsichtig mit unseren Zusagen sein und gegebene Versprechen im Zweifelsfall aufschreiben.

Das Lied geht weiter: „… der trotz all seiner Größe immer ansprechbar ist.“ Gott ist immer für uns da und gibt uns stets Priorität. Kinder haben manchmal ein Talent für ungünstiges Timing. Sie haben meist dann ein Anliegen, wenn die Eltern gerade beschäftigt sind oder es eilig haben. Aus elterlicher Sicht erscheint das kindliche Problem dann nicht so dringend oder wichtig. Doch wie würde es uns gehen, wenn wir beten und als Antwort von Gott hören: „Warte mal kurz, ich kann mich gerade nicht um deine kleinen Probleme kümmern, ich habe Wichtigeres zu tun“? Manchmal hilft es, innezuhalten und die Situation durch Kinderaugen zu sehen. Kinder wollen ernst genommen werden und die Eltern als verlässliche Ansprechpartner erleben. Aufmerksam zuhören und gemeinsam überlegen, wie und wann das Anliegen gelöst werden kann, bewirkt oft schon viel.

Liebe und Wertschätzung

Gott beschenkt uns großzügig mit seiner Liebe. Und diese Liebe ist bedingungslos! Gott sagt nicht: „Ich liebe dich, wenn du machst, was ich dir sage. Wenn du gute Noten schreibst, dein Zimmer aufräumst, Pfarrer wirst…“ Gott liebt uns als seine Kinder bedingungslos. Vor ihm dürfen wir ehrlich sein, müssen uns nicht verstellen oder irgendwelche Erwartungen erfüllen. Auch die meisten Eltern lieben ihre Kinder bedingungslos. Aber im Alltag fällt es nicht immer leicht, sie mit allen Ecken und Kanten wertzuschätzen – auch oder gerade dann, wenn sie unsere Erwartungen mal nicht erfüllen.

Einzigartig und zu seinem Ebenbild geschaffen

Eltern suchen bei ihren Kindern immer wieder nach Vertrautem: „Die Augen hat sie von mir.“ Oder: „Genauso habe ich mich als Kind auch benommen.“ An diesen Ähnlichkeiten erkennt man die Zugehörigkeit der Kinder zu ihren Eltern. Auch Gott als unserem himmlischen Vater geht es so. Wir sind zu seinem Ebenbild geschaffen und Gott freut sich, wenn wir ihm ähnlicher werden in unserem Denken und Handeln. Gleichzeitig ist jeder von uns einzigartig gemacht. Diese Unterschiede erscheinen uns bei uns selbst oder unseren Kindern im Vergleich mit anderen oft als Schwachstellen. Meist sehen wir nur, worin wir schlechter sind als andere. Doch Gott liebt Vielfalt und Einzigartigkeit! Daher dürfen auch wir uns und unsere Kinder in aller Unterschiedlichkeit annehmen und besonders wertschätzen.

Geduld und Vergebung

Oft verliere ich im Umgang mit meinen Kindern die Geduld. Wenn meine Tochter auf dem Weg in die Kita trödelt, obwohl ich es eilig habe. Wenn ich meinen Sohn zum zehnten Mal vom Stuhl herunternehme, auf den er nicht klettern soll. Wenn meine Kinder dann leise „Entschuldigung, Mama“ sagen, verraucht meine Wut. Und ich habe ein schlechtes Gewissen, dass ich lauter geworden bin. Weil Gott vollkommen ist, bekommt er es besser hin. Er ist im Umgang mit uns unendlich geduldig, bleibt stets gelassen und ist immer wieder neu zur Vergebung bereit. Sanftmütig und liebevoll nimmt er uns immer wieder an und gibt uns eine neue Chance. Diese Güte und Geduld dürfen wir an unsere Kinder weitergeben. Dass wir das nicht so perfekt hinbekommen wie Gott, liegt daran, dass wir Menschen sind …

Liebe und Grenzen

Wenn ich meinen Kindern zum Nachtisch ein weiteres Stück Schokolade verbiete oder sie bei Minusgraden nicht im Lieblingssommerkleid rauslasse, führt das oft zu Wutanfällen. Denn sie verstehen den Grund für mein Nein nicht. Sie sehen nur die unmittelbare Situation, nicht deren Folgen oder das große Ganze. Manchen Eltern fällt es dann schwer, den verständlichen Ärger der Kinder auszuhalten. Doch seine Kinder zu lieben, kann auch bedeuten, ihnen Grenzen zu setzen.

Auch Gott sieht in uns Potenzial, das wir manchmal selbst noch nicht sehen. Er will uns helfen, es zu entfalten. Dafür kann es nötig sein, uns zu korrigieren oder in Liebe Grenzen zu setzen. Das kann für uns ein herausfordernder oder sogar schmerzhafter Weg sein, den wir nicht immer verstehen. Vielleicht lässt Gott Dinge in unserem Leben zu, die nicht zu unserem Bild von ihm als Vater passen. Oder er versperrt Wege, die wir gern gegangen wären. Doch wie alle Eltern für ihre Kinder will auch Gott unser Bestes! Wir können darauf vertrauen, dass unser Vater im Himmel weiter sieht und mehr versteht als wir und am Ende alles zum Guten führen wird.

Freiraum und Halt geben

Als meine Tochter Fahrradfahren lernte, brauchte sie anfangs noch viel Hilfe. Ich musste sie festhalten, damit sie nicht stürzt. Irgendwann wurde sie sicherer auf dem Rad und wir lernten beide, loszulassen. Ich musste lernen, auf ihre Fähigkeiten zu vertrauen und ihr den nötigen Freiraum zu geben, damit sie allein ihren Weg fahren kann. Auch unser himmlischer Vater ist ein sicherer Halt und Schutz für uns, auf seine Unterstützung können wir stets vertrauen. Gleichzeitig lässt er uns unseren Willen und Freiraum, damit wir uns entwickeln und entfalten können. Er traut uns eine Menge zu, ohne jede Angst, dass wir den Herausforderungen nicht gewachsen sein könnten. Wir dürfen eigene Erfahrungen sammeln und er hilft uns bei Bedarf. Wie in der Geschichte des verlorenen Sohnes dürfen wir jederzeit in Gottes offene Arme zurückkehren, wenn wir uns verlaufen haben.

Als Eltern können wir auch unseren Kindern ein sicherer Hafen sein, zu dem sie immer zurückkehren können. Aber sie dürfen auch ihre eigenen Wege gehen, selbst wenn diese vielleicht von den elterlichen Vorstellungen abweichen. Und wir dürfen uns entspannen und ihnen zutrauen, dass sie in dieser Welt zurechtkommen und das Potenzial entfalten, das Gott in sie hineingelegt hat.

Kind sein beim himmlischen Vater

Auch wenn wir selbst Eltern sind, bleiben wir immer Kinder Gottes. Unser Vater im Himmel freut sich mit uns über Gutes in unserem Leben. Er schützt uns, wenn wir Angst haben. Er leidet mit und tröstet uns in schweren Zeiten. Er stellt sich vor uns und kämpft, wenn wir es gerade nicht können. Was für ein Geschenk, dass wir immer wieder in seine Arme laufen können! Er sehnt sich nach Gemeinschaft mit uns. Vielleicht erinnert er uns ab und an daran, dass das letzte Gespräch mit ihm schon eine Weile her ist. Oder er fragt leise an, ob wir nicht mal wieder Zeit mit ihm verbringen wollen. Dann dürfen wir Gottes Töchter und Söhne sein, uns von ihm beschenken lassen mit seiner Gegenwart und seinem Segen und einfach die Gemeinschaft mit unserem himmlischen Vater genießen. Dann dürfen wir beten: „Unser Vater im Himmel …“

Lisa-Maria Mehrkens ist Psychologin und freie Journalistin und lebt mit ihrer Familie in Chemnitz.

0 bis 2 – Vor dem Baby daddeln?

Elternfrage: „Ist es okay, wenn ich mein Handy vor den Augen meines Kleinkindes benutze? Oder ist es irgendwie schädlich? Und macht es mich gleich zum schlechten Vorbild?“

Im stressigen Familienalltag kann das Smartphone eine große Unterstützung sein und ist heutzutage nicht mehr wegzudenken. Ob Absprachen in der Kita-WhatsApp-Gruppe, Einkaufslisten-Apps oder Online-Shopping für die Großen und Kleinen – das Internet erleichtert uns die Organisation von vielen Dingen enorm. Zudem hält das Netz für Sie als Eltern unzählige Informationsmöglichkeiten bereit. Darüber hinaus nutzen wir das Smartphone auch zur Unterhaltung und Entspannung, indem wir Beiträge lesen, durch Social Media scrollen oder Videos anschauen. Es ist also auch eine willkommene Quelle, um mal kurz abzuschalten und dem Alltag für ein paar Augenblicke zu entkommen.

Vorbildrolle bedenken

Dass Eltern das Smartphone ab und zu in die Hand nehmen und vor den Augen ihres Kleinkindes benutzen, lässt sich daher nicht vermeiden. Es spricht erst einmal auch nichts dagegen. Wer dies jedoch sehr häufig tut, sollte sich darüber im Klaren sein, dass die Art und Weise, wie man als Elternteil mit Medien umgeht, die eigenen Kinder prägt – auch bereits die ganz Kleinen. Diese werden zum einen neugierig auf das digitale Gerät und möchten es auch anschauen und benutzen. Zum anderen merken sie schon früh, wenn die Aufmerksamkeit des Elternteils nicht auf ihnen liegt. Im schlechtesten Fall kann dies die Beziehung zwischen Kind und Elternteil sogar stören.

Die gemeinsame Zeit ohne Ablenkung genießen

Der elterlichen Vorbildrolle im Alltag gerecht zu werden, ist nicht immer einfach. Wenn es um den Umgang mit digitalen Medien geht, sollten Eltern schauen, wie sie sich regelmäßig Auszeiten vom Smartphone schaffen. In diesen Zeiten können sie sich ausschließlich mit dem Kind beschäftigen, ohne dass die Aufmerksamkeit leidet und man vom Smartphone abgelenkt wird. Statt häufig auf den Bildschirm zu starren, ist es daher wichtig, die gemeinsame Zeit zu genießen, dem Kind zuzuhören und ihm zu vermitteln, dass Sie voll und ganz anwesend sind. Sich ohne Ablenkung auf Ihr Kind zu konzentrieren, tut sowohl dem Kind als auch Ihnen selbst gut. Das schafft noch mehr Nähe und bietet Raum für wichtige Momente ohne digitalen Begleiter.

Derya Leehmeier ist Referentin bei der Landesanstalt für Medien NRW für die EU-Initiative klicksafe.

Warum Kinder Grenzen brauchen…

… und sie für uns Eltern noch wichtiger sind.

Von Anna Koppri

Wegen sowas muss man doch nicht weinen.“ „Jetzt stell dich nicht so an.“ „Iss deinen Spinat, die Kinder in Afrika haben gar nichts zu essen.“ „Weil ich das sage.“ „Nichts passiert, steh wieder auf.“ „Gib Opa einen Kuss.“ – Diese Liste könnte ich ewig fortführen. Als ich Kind war, gehörten solche Sätze in vielen Familien selbstverständlich zur Erziehung – genau wie körperliche Züchtigungen. Permanent wurde über uns Kinder und unsere Körper bestimmt. Die Erwachsenen wussten am besten, was gut für uns war und wie wir uns zu fühlen oder zu verhalten hatten. Man war der Überzeugung, dass Kinder erst zu vollwertigen Mitgliedern der Gesellschaft erzogen werden müssten. Sie sollten sich möglichst gut anpassen und wenig auffallen. Heute fällt es mir noch immer schwer, meine Bedürfnisse wahrzunehmen, mich selbst ernst zu nehmen und meinen Empfindungen zu trauen.

Ich möchte, dass meine Kinder anders aufwachsen. Sie sollen frei ihre individuelle Persönlichkeit entfalten können und sich angenommen und geliebt wissen. Die intuitive Wahrnehmung für ihre Bedürfnisse und ihre individuellen Emotionen möchte ich ihnen nicht abtrainieren. Trotzdem sollen sie mich als Autorität wahrnehmen, an der sie sich orientieren können und die im Zweifelsfall die Richtung vorgibt. Deshalb habe ich jede Menge Ratgeber über beziehungs- und bedürfnisorientierte Erziehung gelesen, über Begleiten ohne Strafen und unverbogene Kinder. Doch weshalb fällt es mir oft so schwer, das alles in die Tat umzusetzen? Warum sage ich trotzdem Wenn-dann-Sätze und weiß mir manchmal nicht anders zu helfen, als mit Belohnung zu locken oder mit Einschränkungen zu drohen? Warum werde ich laut oder nutze meine körperliche Überlegenheit, um meine Kinder zu etwas zu bringen, das sie nicht wollen

Mehr Grenzen setzen

Nach der Geburt meines zweiten Kindes bekam ich die Rückmeldung von einer weisen Mutter, der ich vertraue, dass ich meinem willens- und gefühlsstarken Großen (damals 3) nicht genug Grenzen setzen würde. Zuerst war ich innerlich empört: „Ich will ihm ja auch gar keine Grenzen setzen!“ Doch dann habe ich mich auf eine Reise begeben zu Grenzen und zu mir, und ich habe erfahren, welche Art von Grenzen meine Kinder von mir brauchen.

Nora Imlau schlüsselt in ihrem Buch „Mein Familienkompass“ auf, wie unterschiedlich das Wort Grenzen von verschiedenen pädagogischen Strömungen gefüllt wurde und wird. In der autoritären Erziehung sind Grenzen Regeln, die Erwachsene mehr oder weniger willkürlich setzen und denen Kinder Folge zu leisten haben, um Disziplin zu erlernen.

In der autoritativen Erziehung werden Grenzen und Regeln gemeinsam mit den Kindern ausgehandelt. Sind sie einmal gesetzt, müssen sie eingehalten werden, um dem Kind Halt und Orientierung zu geben. Ausnahmen gibt es nicht, es sei denn, die Regel wird im Dialog neu verhandelt und verändert. Ich denke, dass wir alle diese Art von Grenzen in unsere Familiensysteme aufgenommen haben, und ich bin überzeugt, dass sie vieles erleichtern. So muss nicht jeden Abend neu darüber diskutiert werden, dass sich alle die Zähne putzen. Damit diese Grenzen die Kinder jedoch nicht entmündigen oder in ihrer Entwicklung einschränken, halte ich es für wichtig, festgesetzte Regeln immer wieder zu überprüfen: ob sie dem Alter und Entwicklungsstand der Kinder noch angemessen sind, ob alle einen Konsens darüber haben und ob sie eine sinnvolle Funktion erfüllen. Grundsätzlich halte ich es für wertvoll, wenn wir dialogbereit sind und Regeln situativ anpassen, anstatt diese stur durchzusetzen, um unseren Alltag zu erleichtern.

Die eigenen Grenzen wahren

Der dänische Familientherapeut Jesper Juul hielt gar nichts davon, Kindern Grenzen in Form von starren Regeln zu setzen. Stattdessen empfand er es als essenziell, die eigenen Grenzen zu wahren und auch dem Kind dieses Recht zuzugestehen.

Das war für mich ein „Aha-Erlebnis“. Meinen Kindern tut es gut, wenn ich ihnen meine eigenen Grenzen aufzeige. Nicht um sie zu begrenzen oder ihnen vermeintlichen Halt durch einen „Gartenzaun von Regeln“ zu geben. Sondern um ihnen zu vermitteln, dass jeder Mensch Grenzen hat, die geachtet werden sollen. Kinder orientieren sich an uns, besonders, wenn sie noch klein sind. Deshalb ist es kein Wunder, dass mein Großer bei Tisch immer auf meinen Schoß geklettert kam, sobald er aufgegessen hatte. Ständig habe ich ihm gesagt, dass ich selbst noch in Ruhe aufessen will und er mich so lange in Ruhe lassen soll. Doch er hat gespürt, dass ich mir innerlich gar nicht so sicher war, ob es okay ist, meine eigenen Bedürfnisse durchzusetzen. Die Glaubenssätze, die tief in mir eingebrannt sind, flüsterten mir etwas anderes zu: „Die Bedürfnisse der anderen sind wichtiger als deine eigenen Grenzen. Wenn du etwas nicht magst, musst du es halt aushalten.“

Im Arbeitskontext mit Kindern habe ich immer wieder Bewunderung von Kolleginnen und Kollegen für meine scheinbar nie versiegende Geduld geerntet. Dass ich häufig schon längst innerlich gekocht habe, konnten sie ja nicht sehen. Damals im Job ist es selten vorgekommen, dass mein Geduldsfaden riss. Umso stärker bin ich nun mit meinen eigenen Kindern herausgefordert. Denn jetzt kann ich nicht mehr nach einer Schicht nach Hause fahren und mich ins Bett legen, um wieder zu mir selbst zu finden. Jetzt muss ich, wenn es hart auf hart kommt, 24 Stunden am Tag „funktionieren“. So anstrengend das manchmal ist und so bestürzt ich bin, wenn ich wieder einmal anders reagiere, als ich eigentlich möchte, so dankbar bin ich für diese „harte Schule zu mir selbst“.

Wenn alles aus dem Ruder läuft

Manchmal, wenn ich vor Müdigkeit oder Stress nicht mehr klar denken kann und mein großer Sohn wiederholt über meine Grenzen trampelt, gerät alles aus dem Gleichgewicht. Ich verliere aus dem Blick, dass mir ein gefühlsstarker Fünfjähriger gegenübersteht und fühle mich wie das kleine Mädchen, dessen Grenzen mutwillig übertreten werden. Das tut weh, und im Kurzschluss habe ich meinen Sohn einmal an den Schultern gepackt und geschüttelt. Das geht natürlich gar nicht. Ich hätte früher nie geglaubt, dass ich zu so etwas in der Lage wäre. Gewaltfreiheit war immer schon mein höchstes Erziehungsideal. Umso wichtiger ist es zu lernen, endlich gut für mich zu sorgen und für solche Situationen ein Frühwarnsystem mit entsprechenden Handlungsstrategien zu finden.

Seit ich weiß, dass es am wichtigsten ist, meine eigenen Grenzen zu kennen und zu verteidigen, mache ich mir immer häufiger bewusst, dass ich genauso wichtig und ernst zu nehmen bin wie jeder andere Mensch. Ich muss dafür sorgen, dass meine Bedürfnisse befriedigt und meine Grenzen geachtet werden. Anstatt allzu hart mit mir ins Gericht zu gehen, wenn ich meinen eigenen Ansprüchen nicht genüge, versuche ich immer wieder eine gütige Haltung mir selbst gegenüber einzunehmen.

Eine Stunde Rückzug mit einem Buch kann Wunder wirken oder auch nur ein paar bewusste tiefe Atemzüge am Fenster. Wenn ich bei mir angekommen und in meiner Kraft bin, kann ich meinen Kindern ein viel stärkeres und klareres Gegenüber sein.

Ich erlaube es mir, mir Zeit zu lassen und zu überlegen, ob ich etwas möchte oder nicht, wenn meine Kinder mich etwas fragen. Wenn ich müde bin oder keine Lust habe, die fünfte Geschichte zu erzählen, sage ich das ganz klar. Und es hilft mir zu wissen, dass ich damit nicht nur zu mir selbst und meinen Bedürfnissen stehe, sondern meine Söhne dadurch lernen, dass sie auch Grenzen setzen und Nein sagen dürfen.

Die Wut aus dem Körper tanzen

Mit kleinen Kindern ist es natürlich nicht immer so einfach, gut für sich zu sorgen. Manchmal muss ich stundenlang ein schreiendes Kind wiegen, obwohl ich viel lieber endlich „Feierabend“ hätte. Da hilft es, mir innerlich bewusst zu machen, dass es mich gerade echt nervt, dass der Kleine schon zum fünften Mal aufgewacht ist. Ich fühle mich in meiner kostbaren Zeit für mich selbst beschnitten. Darüber darf ich traurig oder wütend sein. Anstatt die Wut runterzuschlucken und weiter tapfer auszuhalten und über meine Grenzen zu gehen, mache ich Musik an und tanze die Wut aus meinem Körper, bevor sich das Babyfon das nächste Mal meldet. Das hilft mir, bei mir zu bleiben. Oder ich gönne mir zur Belohnung bewusst etwas Besonderes, um mir zu zeigen, dass ich auch wichtig bin: ein Eis, einen Film oder eine geplante Auszeit am nächsten Tag.

Wäre es nicht schön, wenn wir – die Kinder, die allzu viel aushalten und sich anpassen mussten – es durch unsere Kinder endlich schaffen, zu dem zu finden, was uns ausmacht? Wenn wir zu unseren individuellen Empfindungen, Interessen und Begabungen durchdringen und damit unseren Platz in der Gesellschaft finden würden? Wenn wir unseren eigenen Raum einnehmen, werden wir es auch besser schaffen, unseren Kindern den Raum zu geben, den sie brauchen, um sich frei zu entfalten. Wenn sie schon in ihren ersten Lebensjahren erleben dürfen, dass sie mit ihrem individuellen Wesen angenommen sind, wir wirkliches Interesse an ihnen haben und ihre Grenzen respektieren, brauchen sie in ihrer Jugend viel weniger Grenzen zu übertreten, um sich selbst zu finden – so eine These von Susanne Mierau aus ihrem Buch „Frei und unverbogen“.

Anna Koppri lebt mit ihrer Familie in Berlin. Sie arbeitet als Autorin und bei der Berliner Stadtmission.