Abhängen nach dem Abi

„Unser Sohn (19) konnte sich nach dem Abitur nicht für ein Studienfach entscheiden. Einen Job hat er sich auch nicht gesucht und hängt nur zu Hause oder mit Freunden rum. Müssen wir das akzeptieren?“

Vielen Abiturientinnen und Abiturienten fällt es heute aufgrund der Vielzahl von Entscheidungsmöglichkeiten schwer, sich direkt nach der Schule für einen nächsten Schritt zu entscheiden. Manche sprechen sogar von einem echten Gesellschaftsphänomen, für das es vielschichtige Gründe gibt. Für Eltern ist das nicht einfach, und es kann zu einer großen Belastungsprobe werden.

Einerseits ist es verständlich, dass junge Erwachsene nach der langen Schulzeit von mindestens zwölf Jahren das Bedürfnis nach einer Verschnaufpause haben. In einem gewissen Rahmen kann man ihnen die auch durchaus gönnen. Andererseits braucht es dabei auch immer gute Absprachen und eine Perspektive, wie es langfristig weitergehen kann. Sie müssen also keineswegs akzeptieren, dass Ihr Sohn nur abhängt.

Rechte und Pflichten

Verdeutlichen Sie ihm das Prinzip von Rechten und Pflichten. Jeder Mensch, der in unserer Gesellschaft seine Pflichten nicht erfüllt, muss damit rechnen, dass seine Rechte eingeschränkt werden. So funktioniert das Zusammenleben. Eltern sind verpflichtet, ihrem volljährigen Kind den Unterhalt zu zahlen, wenn es dazu noch nicht in der Lage ist, bis eine Berufsausbildung oder ein Studium abgeschlossen ist. Macht ein volljähriges Kind nach der Schule aber einfach nichts, muss das nicht auf Kosten der Eltern laufen. Dann sollten Sie ihm keineswegs ein entspanntes Leben finanzieren, denn das hemmt die Entwicklung und Reifung Ihres Sohnes.

Ihr Sohn muss die Verantwortung für seine Entscheidung tragen, indem er die Folgen spürt. Denn nicht nur Sie, auch er hat Pflichten: Er muss sich um seine finanzielle Absicherung kümmern und Aufgaben im Haushalt übernehmen. Das ist sogar gesetzlich geregelt! Erklären Sie ihm, dass Sie den Service einstellen und seine finanzielle Unterstützung reduzieren werden, wenn er sich nicht daran hält. Das Leben kann ruhig unbequem für ihn werden. Zeigen Sie Ihrem Sohn diese Optionen auf und setzen Sie ein Zeitlimit, bis wann er sich für eine Ausbildung, einen Job, ein Studium, soziales Jahr oder dergleichen entschieden haben muss und bieten Sie ihm dabei Ihre Unterstützung und Begleitung an. Ist es nicht möglich, mit ihm auf dieser vernünftigen Ebene Lösungen zu finden, könnte es Sinn machen, sich Vertrauenspersonen wie Verwandte, Paten oder Freunde dazuzuholen.

Was steckt dahinter?

Es stellt sich aber auch die Frage, warum sich Ihr Sohn nicht um einen Job gekümmert hat. Was ist die Ursache für sein Durchhängen? Ist es reine Faulheit, dann sollte Ihr Sohn die Konsequenzen deutlich erleben und mit den Einschränkungen leben. Steckt dahinter aber eine echte Lebenskrise, die viel tiefer geht, braucht er emotionale Unterstützung, um aus diesem Loch herauskommen zu können. Dann könnte es doch hilfreich sein, ihm eine Verschnaufpause für eine gewisse Zeit möglich zu machen, mit dem Ziel, die Seelenbatterie aufzuladen, sodass eine Ausbildung überhaupt erst möglich ist. Vermutlich wird das aber ohne eine psychologische Beratung nicht gehen.

Sonja Brocksieper ist Diplom-Pädagogin. Sie lebt mit ihrer Familie in Remscheid und ist Mitarbeiterin bei Team.F. www.sonja-brocksieper.de 

Illustration: Sabrina Müller, sabrinamueller.com

Weihnachten ohne Kinder

„Unsere Kinder feiern dieses Jahr zum ersten Mal Weihnachten nicht mit uns. Unsere Tochter ist im Ausland, und unser Sohn feiert das Fest mit der Familie seiner Frau. Ich kann nicht sagen, dass ich mich auf die Weihnachtstage freue. Wie komme ich damit zurecht?“

Es weihnachtet: Plätzchen backen, Weihnachtsbaum schmücken, Weihnachtsessen planen und die Vorfreude auf fröhliche Gesichter – so kennen und lieben wir das Weihnachtsfest; besonders den Heiligen Abend. Aber die Kinder werden flügge, haben das Elternhaus verlassen, und plötzlich sitzt man mit dem Ehepartner allein unter dem Weihnachtsbaum.

Weihnachten neu entdecken

Uns übermannt eine gewisse Trostlosigkeit, und selbst der alljährliche Weihnachtsstress ist auf einmal erstrebenswerter, als nur ein Essen zu zweit zu planen. Doch wenn wir jetzt in diesen Erinnerungen haften bleiben oder ein gelungenes Weihnachtsfest nur von den Kindern abhängig machen, ist dies eine Garantie für einen traurigen und inhaltsleeren Weihnachtsabend. So möchten wir jedoch nicht das „schönste Fest des Jahres“ verbringen! „Plötzlich zu zweit“ bietet die Perspektive, Weihnachten neu zu entdecken und zu erleben.

Vielleicht laden wir Freunde ein, denen es ebenso geht wie uns, und gestalten ein Weihnachtsdinner mit allem Drum und Dran: ein tolles Essen, zu dem jeder etwas beiträgt. Oder man entschließt sich, die Zweisamkeit an diesen Feiertagen besonders zu genießen: Der Wecker bleibt aus, das Abendessen wird vorgekocht, man liest endlich wieder ausgiebig Zeitung oder die ungelesenen Bücher und verbringt einen Pyjama-Tag, an dem Weihnachten abseits von großartigem Essen und Abendkleidung zelebriert wird.

Chance für eine neue Perspektive

Vielleicht machen wir uns aber auch auf und entschließen uns, denen ein schönes Weihnachtsfest zu bereiten, die ohnehin nicht mehr mit ihrer Familie feiern können. Wir besuchen Menschen im Altersheim oder gestalten mit anderen zusammen einen schönen, festlichen Abend für Obdachlose.

Weihnachten hat viele Aspekte – auch ohne Kinder, ohne liebgewonnene Traditionen. Letztlich ist jedes Weihnachtsfest auch die Chance, sich vielleicht ganz neu bewusst zu machen, wen und was wir feiern, und darauf den Fokus zu setzen. Und vielleicht wird uns dann auch deutlich, dass – wenn sich unsere Leben ändern – neue Traditionen entstehen können, die das Weihnachtsfest anders gestalten, aber nicht schlechter.

Ute Sinn ist verheiratet mit Martin, hat drei erwachsene Kinder und lebt und arbeitet als Seelsorgerin und Künstlerin in Wetter/Ruhr.

Illustration: Sabrina Müller, sabrinamueller.com

Beim Konflikt helfen?

„Mein Sohn (25) engagiert sich als Trainer im Fußballverein. Nun gibt es einen heftigen Konflikt mit dem Vorsitzenden des Vereins, den ich gut kenne. Soll ich versuchen zu vermitteln? Oder sollte ich mich lieber raushalten?“

Spontan würde ich als Erstes sagen: raushalten! Schließlich handelt es sich ja um erwachsene Menschen – jedenfalls dem Alter nach. Aus meiner eigenen Tätigkeit als Trainer und als Mentor unserer Vereinsvorstände (Jugend und Senioren) weiß ich aber auch, dass die Kommunikation in Vereinen ausbaufähig ist. Manchmal sind auch die Beweggründe für Konflikte vielfältig und haben oftmals mit versteckten Interessen zu tun, die nicht öffentlich gemacht werden und auch nicht immer leicht zu erkennen sind. Unter bestimmten Voraussetzungen könnte es also schon sinnvoll sein, sich am Gesprächsgang zu beteiligen.

Klären Sie Ihre Rolle!

Wichtig in dem Zuge ist, dass Ihr Sohn dies nicht als Bevormundung empfindet, weshalb Sie meiner Meinung nach zunächst mit ihm das Gespräch suchen sollten. In diesem Gespräch sollten Sie folgende Fragen klären:

Will er, dass Sie an der Klärung beziehungsweise am Gesprächsprozess beteiligt sind?
Wenn ja, in welchem Maße – als direkt Beteiligter in den Gesprächen, als Ratgeber, als Mediator …?
Wäre es für ihn okay, dass Sie mit dem Vorsitzenden generell über den Konflikt reden – eventuell auch nur, um Ansichten zu spiegeln und für Verständnis und Klärung zu werben?
Gibt es Alternativen, die zu einer Klärung beitragen könnten, etwa externe Berater, Mediatoren, Ansprechpartner vom Verband oder Vereinsmitglieder, die großes Vertrauen im Verein genießen und als ausgleichende Persönlichkeiten bekannt sind?

Nicht in den Rücken fallen!

Ebenso könnten Sie Ihrem Sohn anbieten, gemeinsam die möglichen weiteren Verläufe des Konflikts mal zu durchdenken. Stellen Sie sich die Frage: „Was wäre, wenn …?“ Beachten Sie: Die Entscheidung über Ihre Rolle und Ihre Aufgabe(n) in dieser Kontroverse obliegt einzig Ihrem Sohn!

Wichtig ist meines Erachtens vor allem, dass Sie Ihrem Sohn nicht – gefühlt – in den Rücken fallen, zum Beispiel indem Sie hinter seinem Rücken agieren oder ohne sein Wissen mit dem Vorsitzenden sprechen. Selbst wenn der Filius im Unrecht wäre, würde eine Parteinahme zugunsten des Vorsitzenden Ihr familiäres Verhältnis schädigen. Verhalten Sie sich daher möglichst neutral – auch gegenüber dem Vorsitzenden. Das A und O ist Transparenz gegenüber Ihrem Sohn und die Vermittlung Ihrer Wertschätzung und Ihres Vertrauens ihm gegenüber!

Tim Linder ist Pastor der Freien evangelischen Gemeinde Bochum-Ost und Co-Trainer der A-Jugend des SV Langendreer 04.

Illustration: Sabrina Müller, sabrinamueller.com

 

War’s das schon?

In der Midlife-Krise drängen wichtige Lebensthemen an die Oberfläche. Was hilft Paaren, damit klarzukommen? Wie kommen sie gut durch die Krise? Von Michael Hübner

Wolf Biermann beschrieb die Midlife-Krise schon 1977 in dem Lied „Das kann doch nicht alles gewesen sein“. War’s das wirklich schon?, fragt sich der Dichter. „Das bisschen Sonntag und Kinderschreien“? „Die Überstunden, das bisschen Kies, und abends in der Glotze das Paradies“? Müsste nicht eigentlich noch etwas Entscheidendes kommen oder wurde es bereits verpasst?

Midlife-Krise ist nachgewiesen

Zuerst wurde die Midlife-Krise belächelt. Mittlerweile ist sie allerdings wissenschaftlich belegt. Sie ist weder eine Krankheit noch Einbildung. Weder ist man „unmöglich“, noch kann man sich „einfach zusammenreißen“. Sie kann jeden in der sogenannten Lebensmitte treffen, also zwischen 45 und 55. Manche beziffern ihren möglichen Beginn sogar schon auf Mitte 30. Den einen treffen die typischen Gedanken dieser Krise wie ein plötzlicher Schock. Andere beschleicht langsam ein nagender Zwiespalt: Weiter so? Oder: Soll das schon alles gewesen sein?

Schlafstörungen, sexuelle Unlust, …

Weil wichtige Lebensfragen jahrelang verdrängt wurden, können sie mit Macht dann plötzlich und unerwartet aufbrechen. Sowohl Männer als auch Frauen sind betroffen und die Krise läuft bei Paaren eben nicht synchron. Hormone auch im männlichen Körper flachen langsam ab. Das kann sexuelle Unlust und Erektionsstörungen zur Folge haben. Aber unsere Hormone beeinflussen eben auch unser Fühlen, Streben und Verhalten. Männer und Frauen sind plötzlich sehr reizbar, leiden unter Schlafstörungen, fühlen sich abgeschlagen und müde.

Torschlusspanik macht sich breit

Manche Ehepartner stürzen sich in dramatische Abenteuer, getrieben von Minderwertigkeitsgefühlen. Torschlusspanik macht sich breit. Man will noch einmal alles haben und erleben, worauf man bisher verzichten musste: das heiß ersehnte Cabrio, die große Reise, sexuelle Abenteuer. Plötzlich zieht ein Familienvater in das Haus seiner Nachbarin, eine Frau verliebt sich in den Gruppenleiter oder in den Chef …

Leben aneinander vorbei

Wieder andere wechseln überstürzt den Job, wollen im Ausland das große Geld machen oder bestellen einen Termin beim Schönheitschirurgen. Und das Erschreckende: Dies alles geschieht nicht selten am Partner vorbei. „Ich habe plötzlich einen ganz anderen Menschen vor mir!“, sagen mir Eheleute in der Beratung. „Er spricht anders“, „Sie kleidet sich anders, macht alles anders“. Unerkannt bleibt, dass beide schon lange aneinander vorbei lebten. Sein Einfluss auf das Verhalten des anderen ist jetzt gleich Null. Der andere scheint nicht mehr erreichbar. Deutlich wird: Auf der Suche nach Erfüllung soll alles kompromisslos und schnell gehen.

Wie kommt es, dass es manchen Ehen gelingt, sich durch die Stürme der Midlife-Krise hindurch in ruhigere Gewässer zu retten, während andere daran zerbrechen? Fünf entscheidende Eckpunkte sollen dazu genannt werden. Ich möchte sie an dieser Stelle als lange hilfreiche Erfahrung aus der Eheberatung weitergeben:

1. Machen Sie sich die biologischen Zusammenhänge bewusst.

Die Midlife-Krise hat zunächst mit unseren körperlichen Abläufen zu tun. Panik um die zerrinnende Zeit, das tiefe Bewusstsein um die Unumkehrbarkeit der Vergangenheit fordert uns jetzt, die Verantwortung für diese Lebensphase, diese Krise zu übernehmen und die eigene Einstellung, nicht die des anderen, zu überdenken.

2. Vermeiden Sie Machtkämpfe!

Nichts führt so sehr in die Sackgasse jeder Beziehung wie Machtkämpfe. Woran sind Machtkämpfe zu erkennen? Es geht bei ihnen um Sieger oder Verlierer, richtig oder falsch, besser oder schlechter, oben oder unten. Das Denken kreist dabei darum, den anderen von der eigenen Richtigkeit und dessen Unrichtigkeit zu überzeugen. Man will ihn auf diesem Weg um jeden Preis verändern. Diese Haltung führt meist ins Gegeneinander, nicht ins Miteinander. Es entsteht ein „Ehekrieg“. Aus ihm auszusteigen, heißt, zu deeskalieren, „den Anker zu werfen“, dem anderen mitunter, wo es irgend geht, mit Nachdruck auch recht zu geben. Vor allem aber geht, es darum, dass jeder von sich selbst redet, von seinen eigenen Überzeugungen, seinem Empfinden und Erleben, seinen Gefühlen und seinen Wünschen, ohne sich über den anderen zu stellen oder ihn verändern zu wollen.

Erst nur Mauern

An dieser Stelle ein Blick in unsere Ehe: 2010 erzählte mir meine Frau von einer Idee. Sie würde gerne mit mir zusammen ein Sabbatical nehmen und ins Ausland gehen. Wenn ich nicht mitwollte, würde sie auch allein gehen. Fassungslos sah ich zunächst nur Unmöglichkeiten: Wie sollten wir das ohne schwere finanzielle Verluste meistern? Das Haus musste weiter abgezahlt, die Rente eingezahlt, der Arbeitgeber überzeugt, die Arbeit verteilt, den Mitarbeitern diese Planung klargemacht werden. Nein, nein, nein.

Plötzlich Möglichkeiten

So etwa ging es mir, bis ich über die Sache betete. Langsam gelang es mir, nicht mehr zu „mauern“. Lagen darin nicht auch Chancen? Jetzt konnte ich ihr Fragen stellen: „Warum möchtest du das gerne machen? Wie hast du dir das genau vorgestellt? Was bedeutet das für uns beide? Wie können wir das zusammen gestalten?“ Und schließlich, Stück für Stück, öffnete Gott, fast wundersam, alle Wege in diesem Gestrüpp der Undenkbarkeiten. Möglichkeiten in Kenia eröffneten sich. Rückblickend entstand gerade daraus für viele ein großer Segen bis heute, zum Beispiel unsere Hilfsorganisation „TS-Care“ für notleidende Familien in den Slums von Nairobi, und unser gerade erschienenes Ehebuch („Der Kick für die Partnerschaft“).

3. Wer jetzt überlegt handelt, wird es später nicht bereuen.

Wie immer kommt es nicht auf die Tatsachen an, die wir erleben, sondern darauf, wie wir mit diesen Tatsachen verantwortlich umgehen (nach Epiktet, Handbüchlein der Moral, S. 11). Paare können sich jetzt durch Worte, Verhalten, Rückzug oder Trennungsgedanken gegenseitig zutiefst verletzen. Eine „Aufbruchsstimmung“ muss allerdings nicht zur Katastrophe werden. Wir können diese Zeit als Herausforderung erleben. Wir können neue Wege einschlagen. Sie „kann als zweiter Frühling empfunden werden, als willkommener Neustart, als Drücken des ‚Reset‘-Knopfs für das eigene Leben“, so Redakteurin Kristina Kreisel bei FOCUS Online. Durch solche Krisen können Paarbeziehungen eben auch ganz neu reifen.

Jetzt geht es darum, beim anderen um eine gemeinsame Horizonterweiterung, um Veränderungen im Kleinen zu werben. Manche Paare suchen ein neues verbindendes Hobby oder machen gemeinsam Sport, gehen miteinander tanzen oder planen interessante Reisen.

Über sexuelle Vorstellungen reden

Ungesunde Umstände und Angewohnheiten können und sollten jetzt geändert werden. Vielleicht geht es auch darum, sexuelle Vorstellungen zu besprechen und in der Ehe auszuleben. Beginnen Sie die gemeinsamen Umgestaltungen im Kleinen und durchbrechen Sie eingefahrene Routinen wieder mit mehr Abenteuerlust. Reden Sie zusammen darüber, wie Ihr Leben aussehen könnte, wenn die nächste Lebensphase in 5, 10 oder 20 Jahren beginnt.

Auch gute Beziehungen und Freundschaften sind für jedes Paar elementar. Ein Paar, das sich nicht isoliert, sondern gut eingebettet weiß in eine Gemeinschaft, lebt gesund. Ich habe es oft erlebt, dass Paare es geschafft haben, gerade durch solch eine Krise zu einer gesunden, guten Änderung und Erneuerung ihrer Beziehung zu kommen.

4. Liebe ist eine Entscheidung!

Kämpfen Sie immer um das gemeinsame Wir! Mag sein, dass auch in Ihrer Ehe die „Schmetterlinge im Bauch“, Verliebtheitsgefühle und Romantik auf der Strecke geblieben sind. Auf Grundlage einer immer wieder neuen Entscheidung füreinander können Sie dennoch immer wieder entstehen.

5. Die beste Prophylaxe: Rituale

Wenn Sie längst vor der Krise hohen Wert auf Beziehungsriten gelegt haben, werden Sie langfristig positive Folgen ernten. Nehmen Sie sich regelmäßig Zeit für eine gemeinsame Tasse Kaffee. Auch der feste Termin für ein wöchentliches, etwa halbstündiges Ehe-Meeting unter dem Vorzeichen: „Wir wollen unser Projekt Ehe miteinander zum Ziel führen“, ist vielen gestressten Paaren zur Hilfe geworden. Impulse für solche Gespräche haben wir in unserem Buch zusammengestellt. Planen Sie ein jährliches Wochenende zu zweit, den Besuch eines Eheseminars oder -vortrags und natürlich regelmäßige gegenseitige Überraschungen und Freuden.

Und: Gehen Sie immer den ersten Schritt auf den anderen zu! Zeigen Sie einander Ihre Liebe im Alltag und strahlen Sie den anderen öfter mal wieder an, wenn er den Raum betritt.

Dr. (UNISA) Michael Hübner ist verheiratet mit Utina. Die beiden haben fünf erwachsene Kinder. Er ist Leiter der Beratungsstelle Therapeutische Seelsorge, Neuendettelsau.

Die Schublade klemmt …

Wir haben Vorstellungen und Bilder von unseren Kindern. Aber Kinder verändern sich. Vor allem, wenn sie erwachsen werden, passen sie oft nicht mehr in unsere „Schublade“. Von Stefanie Diekmann

In unserer Familie gibt es Rollen, die gut ausgefüllt sind. Die laute, kreative, unruhige Mama. Der zugewandte, besonnene, gewohnheitsliebende Papa. Ein Kind liebte Puppen und rosa, die andere Freiheit und Unabhängigkeit und auf keinen Fall Puppen und rosa. In unserem Miteinander gab und gibt es einordnende Adjektive für jeden von uns.

Auf einigen Elternseminaren habe ich dazu viel gehört. Wie gut es ist, dass eine Erstgeborene aus den Umständen der Geschwisterfolge viel für ihre Persönlichkeit lernt. Oder dass unser Nesthäkchen mehr Verhandlungsgeschick entwickelt als seine großen Geschwister.
Gerade weil vieles sich so stereotyp herunterbrechen, beobachten und vermitteln ließ, hat es mich sehr beruhigt: Alles läuft. Wir entwickeln uns nach allgemein gültigem Plan. Ich habe viel Kraft investiert, zu erfassen, wie wir unsere Liebe so ausdrücken können, dass jeder seinen inneren Tank gefüllt weiß – gemäß des Modells der „Fünf Sprachen der Liebe“. Immer wieder halfen mir diese Abstraktionen, um mit meinem Kind in Kontakt zu kommen oder meiner Ehe einen neuen Stellenwert zu gönnen.

Auf Adjektive reduziert

Neben Geschwisterkonstellationen und Liebestypen habe ich mich viel mit Grundstrukturen der Persönlichkeit beschäftigt. Immer noch finde ich spannend, dass ein Kern in uns allgemeinen Beschreibungen zuzuordnen ist. Herrliche Schubladen zur Vereinfachung. Alles in allem habe ich mich in den Kinderjahren echt fit gemacht in der Persönlichkeits-Förderung.

Nun klemmt es. Und zwar schmerzhaft. Nun bin ich Begleiterin von drei erwachsenen Kindern und erlebe mich unsicher wie am ersten Tag. Die Schublade, in die ich mein Kind sorgsam eingeordnet habe, will nicht mehr zugedrückt werden. Durch das Reifen entstehen neue Persönlichkeitsfacetten, die ich in meinem Kind nicht vermutet habe. Während ich versuche, zu meiner eigenen inneren Sicherheit mein Kind zurück in diese Schublade zu stopfen, passieren hässliche Szenen.
„Immer“, nörgele ich ihm hilflos zu, „immer hast du so lange getrotzt und wolltest dein Recht laut und klar vermitteln. Und nun wieder … Ich weiß, dass du mit dieser Entscheidung Schwierigkeiten haben wirst. Lass es dir sagen: Ich weiß es!“ Die Reaktion des Kindes, das von mir auf Adjektive reduziert wird, tut uns nicht gut.
Die Festlegungen aus sorgsam recherchierten Zusammenhängen waren lange eine Orientierung für mich. Nun werden sie zu Hürden. Aber mein mutiges Kind darf Sorgennächte für Prüfungen haben. Und mein selbstbewusstes Kind braucht auch mit 1,90 Meter noch Kuscheleinheiten.

Brandheißer Tipp

Mich irritiert, wenn Menschen mir sagen: „Deine Tochter hat – so wie ich sie kenne – viel Heimweh. Sie ist ja nie sehr selbstständig gewesen.“ Die Schubladen von Beobachtern erscheinen mir noch fester verschlossen für die Überraschungen, die das Erwachsenwerden uns allen bringt. Mittlerweile übe ich mich zu sagen: „Meiner Beobachtung nach geht es ihr … Aber frag sie bitte selbst.“ Tatsächlich wollte sich letztens eine hartnäckige Seniorin damit nicht abfinden und kommentierte: „Eltern kennen ihre Kinder doch immer am besten, egal, wie alt sie sind. Wenn sie doch nur auf uns hören würden!“

Ja, am meisten haben wir als Eltern damit zu tun, dass unsere Familien-Schubladen sich wieder öffnen. Wir lieben unsere Kinder, auch wenn wir sie manchmal nicht wiedererkennen.
Erwachsene Kinder dürfen ihre Lebensthemen nach ihren Prioritäten ordnen. Keiner möchte dabei bevormundet oder entmündigt werden. Auch wenn wir durch alle gesammelten Infos der Persönlichkeitsschublade einen brandheißen Tipp auf Lager hätten.
Leise schleichen sich Fragen neben uns und legen uns eine Last aufs Herz: Sind wir ihnen gerecht geworden? Haben wir sie genug ermutigt, gebremst, ihre Reifung gefördert? Allein diese Last lässt uns als Eltern verspannter und rückwärtsgewandter wirken, als uns lieb ist. So beleidigt, streng und distanziert wollten wir nie sein.

Fragend bleiben

Robert fragt in einer Kaffeerunde: „Sind eure Kinder auch so grässliche Besserwisser? Ich kann es manchmal kaum mit ihnen am Tisch aushalten. Alles wissen sie: Politik, Kirche, Bildung. Und dabei muss ich ihnen immer noch erklären, wie man einen Brief frankiert!“ Beim Hören erschrecke ich: So etwas will ich nicht über meine Kinder sagen. Ich habe täglich darum gerungen, dass sie sich zu gesellschaftlichen Themen positionieren. Auch wenn ihre Ansichten auf Ältere unrund wirken, sind sie doch mutig, leidenschaftlich und vermeiden das Achselzucken, das meine Generation gerade gut beherrscht.

Ich lerne es wieder schätzen, Fragen zu stellen. Zu fragen: „Was brauchst du jetzt?“, hat mir in den Zeiten geholfen, in denen unsere Kleinkinder von Wut und Mut geschüttelt worden sind. Es passt wieder und noch zu fragen:

Wie möchtest du Zeit mit uns verbringen?
Brauchst du Hilfe in deinem Zeitmanagement?
Hast du Menschen, die dich im Glauben an Gott fördern?
Welche Charaktereigenschaft hast du neu an dir kennengelernt?

Nicht selten bewegt sich die verklemmte Schublade. Dann können wir eine Erinnerung an das Miteinander vor 18 Jahren erzählen oder unsere Einschätzung geben. Noch öfter aber kommen Wünsche und Gedanken zum Vorschein, die mich heimlich die Schublade öffnen lassen, um ein altes, verletzendes Adjektiv zu entsorgen und einen neuen, staunenden Eindruck über diesen jungen Menschen hineinzulegen.
Wenn diese Schubladen öfter mal geöffnet werden, haben auch wir als Eltern gute Chancen, dass eine Sicht auf uns verändert und angepasst wird.

Stefanie Diekmann ist Gemeindereferentin in Göttingen, verheiratet und Mutter von drei (fast) erwachsenen Kindern.

TV-Autor: Als seine Organe zu versagen drohen, spendet seine Frau ihm eine Niere

Die Nierenwerte von Stefan Loß sehen zusehends schlechter aus. Dann beschließt seine Frau, ihm das Organ zu spenden – lebend.

Der Journalist Stefan Loß hat ein Faible für besondere Lebensgeschichten. Als TV-Autor hat er zahlreiche Menschen porträtiert, die davon berichten, wie ihnen der Glaube bei der Bewältigung ihrer Lebenskrisen geholfen hat. 2008 traf es ihn selbst. Die Diagnose „Zystennieren“ bedeutete, dass seine Nieren früher oder später versagen würden. Acht Monate lang war er schließlich an der Dialyse. Heute kann er wieder ohne künstliche Blutwäsche leben, weil ihm seine Frau Sabine eine ihrer Nieren gespendet hat. Hier erzählt er seine Geschichte.

45 Prozent Nierenfunktion

Im Sommer 2013, also fünf Jahre nach der ersten Diagnose, hatte ich nur noch fünfundvierzig Prozent Nierenfunktion. Ende 2014/Anfang 2015 spitzte sich das Ganze zu. Ich merkte deutlich, wie meine Kräfte nachließen. Ob ich wollte oder nicht, ich musste anfangen, mich ernsthaft mit der Krankheit auseinanderzusetzen. An der Dialyse führte kein Weg vorbei. Und Dialyse bedeutete, dass ich für den Rest des Lebens von Maschinen abhängig sein würde, die mein Blut dreimal in der Woche reinigen. Ich war gerade mal Anfang fünfzig und fühlte mich nicht wirklich alt. So hart damit konfrontiert zu werden, dass meinem Leben in sehr naher Zukunft enge Grenzen gesetzt sein würden, machte mir zu schaffen.

Lebendspende?

Via Internet hatte ich einen Kontakt zu einem Mann bekommen, der ebenfalls Zystennieren hatte. Seine Frau hatte ihm eine Niere gespendet. Davon hatte ich noch nie gehört. Ich wusste, dass es so etwas wie eine Lebendspende gab. Aber nach meinem Kenntnisstand war das nur zwischen blutsverwandten Familienmitgliedern möglich. Meine Eltern waren zu alt und ich hatte keine Geschwister, deshalb hatte ich nie weiter über dieses Thema nachgedacht.

„Kann das Gejammer nicht mehr hören“

Plötzlich stand die Frage im Raum: Könnte meine Frau mir eine ihrer Nieren spenden? Zum Glück konnten Sabine und ich relativ entspannt miteinander über das Thema Lebendspende reden. Uns war klar, dass eine solche Spende nur dann möglich wäre, wenn wir beide ohne Wenn und Aber ein Ja dazu hätten. Eine Lebendspende unter Vorbehalt oder mit dem Gedanken: „Dann bin ich lebenslang abhängig vom anderen“ oder „Dann ist er mir aber was schuldig“ hatte für uns keinen Sinn. Natürlich war das für Sabine keine einfache Entscheidung.

Sabine ist es immer wieder wunderbar gelungen, der Thematik das Dramatische zu nehmen. Denn es kam immer mal wieder vor, dass Freunde und Bekannte unseren Plan einer Lebendspende arg romantisierten. Ich kann mich an eine Situation erinnern, wo Sabine geantwortet hat: „Ich spende ihm eine Niere, weil ich das Gejammer nicht mehr hören kann.“

Monate der Untersuchung

Nachdem von den Transplantationsmedizinern das Okay kam, entschieden wir uns gemeinsam, den Weg der Lebendspende zu gehen. Für uns beide bedeutete das in den Wochen und Monaten davor auch, dass wir uns als Vorbereitung von den verschiedensten Fachärzten gründlich untersuchen lassen mussten. Für den Ablauf einer Lebendspende gibt es ein festes Verfahren, in das Ärzte, Psychologen und Juristen mit eingebunden sind. Das hat wesentlich länger gedauert, als wir dachten.

Warten, hoffen, beten

Der 24. Februar 2017 wurde als Transplantationstermin festgelegt. Für mich begann jetzt der medizinische Endspurt. Die Immunadsorption war erfolgreich abgeschlossen, es waren dauerhaft keine Antikörper mehr in meinem Blut nachweisbar. Zwei Tage vor dem geplanten OP-Termin bekam ich die Nachricht, dass die Transplantation aus organisatorischen Gründen verlegt werden musste. Für Sabine und mich hieß das: weiter warten, hoffen und beten.

Der vertraute Bibelvers begleitete mich in diesen Tagen: „Alle eure Sorge werfet auf ihn, denn er sorgt für euch.“ Das passte sehr gut in meine aktuelle Situation, denn Grund, mir Sorgen zu machen, hatte ich genug. Obwohl jetzt alle Zeichen auf Grün standen im Hinblick auf die Transplantation, war da nach den Erfahrungen der letzten Monate immer noch die Angst, ob das alles wirklich so klappen würde.

Ein letztes Foto

Mit Sabine habe ich manche Nachmittage bei langen Spaziergängen am Neckar verbracht, oft bei strahlendem Sonnenschein. An der Neckarwiese haben wir ein gemeinsames Foto gemacht mit dem Schloss im Hintergrund. Eine Erinnerung an diese besondere Zeit vor der Transplantation. Dann musste ich wieder an die Dialyse. Wenn diesmal alles wie geplant klappen würde, wäre das das vorletzte Mal. Montag sollte es dann für uns beide in die Chirurgie gehen, und für Dienstag, den 28. Februar, war die OP vorgesehen.

Warten auf die OP

Wie geplant wurde ich am Montagmorgen zur Vorbereitung der Transplantation in die chirurgische Klinik verlegt. Am Dienstagmorgen begann nach einer unruhigen Nacht das Warten. Geplant war der Eingriff bei Sabine eigentlich schon für sieben Uhr und ich sollte gleich anschließend an der Reihe sein. Kommunizieren konnten wir nur via WhatsApp, weil Sabine mich auf der Station nicht besuchen durfte. Am Morgen haben wir uns noch kurz gegenseitig Mut gemacht. Dann kamen keine Antworten mehr. Erst später erfuhr ich, dass sie gegen Mittag in den OP gebracht wurde zur Entnahme der Niere. Der Eingriff verlief wie geplant, es gab – Gott sei Dank! – keine Komplikationen.

Mutmachende Worte

Ich wartete weiter. Es wurde Nachmittag. Mein Bettnachbar, von dem ich nur durch einen Vorhang getrennt war, bekam Besuch von seiner Frau. Ihm ging es nach der zweiten Lebertransplantation gar nicht gut. Er kam einfach nicht mehr auf die Beine, und es schien, als hätte er die Hoffnung verloren. Seine Frau las ihm einen Brief laut vor, den Freunde geschickt hatten. Zu meiner Überraschung kam Psalm 121 darin vor. Atemlos hörte ich zu: „Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen. Woher kommt mir Hilfe? Meine Hilfe kommt vom Herrn …“
In dem Moment konnte ich diese Worte für mich nehmen. Ich lag in meinem Bett und war tief berührt. Diesen Text gerade jetzt zu hören, „zufällig“ zitiert aus einem Brief von Freunden eines unbekannten Patienten. Gott hatte mir so seinen Segen mitgegeben. Ich spürte förmlich seine Hand auf meiner Schulter. Und dann hörte ich eine Stimme: „Herr Loß, jetzt sind Sie an der Reihe.“ Es war der Pfleger, der mich in den OP bringen sollte. Was für ein Timing, was für ein Gott!

Es wird ernst

Im Vorbeirollen bedankte ich mich freundlich bei der Frau meines Bettnachbarn für den Psalm. Ich wurde in den OP geschoben, den Blick nach oben. Im linken Augenwinkel sah ich dort einen kleinen fest verschlossenen grauen Plastikbehälter. Sabines Niere wartete schon eisgekühlt auf mich. Es folgten das routiniert freundliche Gespräch mit dem Anästhesisten und der Filmriss beim Zählen irgendwo zwischen 6 und 9. Es war tatsächlich ernst geworden.

Erster Tagebucheintrag

Am nächsten Morgen war ich schon wieder so fit, dass ich etwas in unseren Blog schreiben konnte. Das las sich dann so:

1. März, 7.52 Uhr: „7 Liter! … sind schon durchgelaufen. Die Niere ist schon auf dem OP-Tisch angesprungen. Ich werde mit NaCl (Kochsalzlösung) abgefüllt, damit ich nicht trockenfalle. Titer-Werte sind super. Besser hätte es nicht laufen können.
Stand heute schon wieder kurz auf eigenen Füßen, bin aber noch extrem schlapp. Halleluja! OP gelungen, Niere läuft. Sabine ist auch froh und glücklich, aber auch extrem erschöpft.
Hoffe sehr, dass wir uns bald sehen können. Wir sind extrem glücklich und dankbar!!!
Stefan“

Neubeginn an Aschermittwoch

Nach mehr als acht Monaten Wartezeit hatte es endlich geklappt. Der 1. März 2017 – in diesem Jahr war es der Aschermittwoch – wird für Sabine und mich immer ein besonderer Tag bleiben. Von wegen: „Am Aschermittwoch ist alles vorbei“ – wie die Narren singen! Aschermittwoch 2017 ist für mich der Tag, an dem etwas Neues, Großes, Wunderbares angefangen hat. Das Leben mit meiner neuen Niere.

Endlich ein Wiedersehen

Sabine hatte den Eingriff gut überstanden. Aber sie war noch sehr müde und brauchte noch ein paar Tage, um wieder auf die Beine zu kommen. Am Tag Zwei nach der OP konnte sie mich schon kurz besuchen kommen. Dick vermummt, mit grünem Kittel und Mundschutz, durften Besucher nur einzeln zu mir. Zu hoch war die Gefahr, dass ich mir irgendetwas einfing. Es war einfach wunderschön, sie wiederzusehen. Sie war noch ziemlich geschafft von der OP, und ihr Körper musste sich erst noch daran gewöhnen, dass nun eine Niere fehlte. Auf einen Schlag hatte sie immerhin fast die Hälfte ihrer Nierenfunktion verloren.

Ein Grund zum Feiern

Rund drei Wochen nach der OP reiste Sabine allein zur „Anschluss-Heilbehandlung“ nach Durbach bei Offenburg. Bis zur Visite am Vormittag hatte ich noch die vorsichtige Hoffnung, dass ich am nächsten Tag nachkommen könnte. Aber meine Leukozyten waren leider immer noch zu niedrig. Dafür wurden mir jetzt die letzten Schläuche gezogen. Nach fast drei Wochen konnte ich mich endlich wieder schlauchfrei bewegen. Auch das war ein Grund zum Feiern.

Die Taxifahrt ein Genuss

Eine Woche später bekam auch ich grünes Licht! Mit einem lauten „Halleluja“ reagierte ich auf diese gute Nachricht. Nach sechs Wochen durfte ich endlich die Klinik verlassen! Der gemeinsamen Reha mit meiner Frau stand endlich nichts mehr im Wege. Ich konnte es kaum erwarten, saß schon beim Frühstück auf gepackten Koffern. Visite, Arztbrief und dann ab ins nächste Taxi. Ich war so froh, in einem Auto durch die Gegend kutschiert zu werden. Nach so vielen Wochen in der Klinik war die Taxifahrt ein purer Genuss – jedenfalls für mich. Vor allem, weil ich bald Sabine wiedersehen sollte.

Geschafft!

Unterwegs hielt ich sie via WhatsApp auf dem Laufenden, und als wir auf den Parkplatz der Klinik einbogen, kam sie mir schon entgegen. Frisch wie das blühende Leben wartete sie vor dem Eingang auf mich. Ich konnte trotz meiner frischen Narbe kaum schnell genug aus dem Auto steigen. Wir fielen uns in die Arme und drückten uns so fest es bei unseren Operationsnarben ging. Erschöpft und froh lagen wir uns in den Armen. Endlich! Wir hatten es geschafft.

Die Zeit der Unsicherheit, des Wartens und Hoffens war vorbei. Jetzt konnte für uns beide ein neues Leben beginnen. Diese Begegnung auf dem Parkplatz vor der Rehaklinik in Durbach ist einer der glücklichsten Momente meines Lebens. Ich kann kaum ausdrücken, wie froh, dankbar und glücklich ich in diesem Moment war. Wir hatten es endlich überstanden!
Nach drei Wochen Reha, die ich wirklich genossen habe, bin ich dann, eine Woche später als Sabine, nach Hause entlassen worden.

Doppelt Ostern

Im Nachhinein wurde mir klar, was für einen besonderen Zeitpunkt wir für die Transplantation erwischt hatten: Am Aschermittwoch war ich mit einer neuen Niere in der Klinik aufgewacht und am Ostersonntag war ich glücklich wieder zu Hause angekommen. An diese doppelte Passionszeit werde ich mich mein Leben lang erinnern.

Während ich diese Zeilen schreibe, lebe ich schon seit drei Jahren mit einer Niere meiner Frau. Gott sei Dank hatte ich nach der Transplantation überhaupt keine Probleme mit der neuen Niere. Ich hatte weder mit Abstoßungsreaktionen noch mit Infektionen zu tun. Ich musste auch nie wieder an die Dialyse – die neue Niere funktionierte vom ersten Moment an perfekt. Sabine hat den Eingriff ebenfalls gut verkraftet. Unsere Nierenfunktion ist heute ungefähr gleich – bei jeweils sechzig Prozent. Also fast so gut wie bei einem gesunden Menschen.

Stefan Loß ist Redakteur, Autor, Coach und Moderator. Er arbeitet als Ausbildungsleiter und Moderator für ERF Medien. Der Artikel ist ein gekürzter und bearbeiteter Auszug aus seinem Buch „Auf Herz und Nieren – Als das Leben mit mir Achterbahn fuhr“, das im Brunnen Verlag erschienen ist. 

Pulverfass Pubertät – 8 Tipps sollten Eltern beachten, wenn Jugendliche in der Gefühls-Achterbahn feststecken

Mit dem Teenie-Alter beginnt für Eltern eine nervenzehrende Phase. Pädagogin Sonja Brocksieper verrät, wie Mütter und Väter das emotionale Chaos ihrer Kinder meistern können.

Himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt – in diesem Spektrum bewegen sich viele Jugendliche, manche innerhalb eines Tages mehrere Male. Gerade war das Leben noch wunderschön, ein paar Minuten später geht die Welt unter. Dieses Gefühlschaos wird zu einem großen Teil durch den Umbau des Gehirns in der Pubertät ausgelöst. Bestehende neuronale Verknüpfungen werden aufgelöst und neue kommen hinzu, sodass manche Gehirnareale eine Zeit lang ruhen, was auch das Ruhen von bestimmten Kompetenzen mit einschließt, zum Beispiel die Impulskontrolle und die Gefühlsregulation. Und das Unberechenbare daran ist, dass Jugendliche oft selbst nicht wissen, wo ihre Stimmung gerade herkommt.

Gefühlschaos sortieren

Außerdem müssen sich Jugendliche neuen und komplexen Entwicklungsaufgaben stellen, zum Beispiel der eigenen Identitätsfindung und der wachsenden Eigenständigkeit. Das kann sie zeitweise überfordern. Kleine Herausforderungen werden dann schnell zu großen Katastrophen. Und gleichzeitig können kleine Glücksmomente eine herausragende Euphorie auslösen. Diese Gefühlsachterbahn kostet eine Menge Kraft – sowohl die Teenager als auch uns Eltern. Aber die gute Nachricht ist: Wir können unsere Kinder darin begleiten, in dieser brisanten Zeit einen gesunden Umgang mit Gefühlen zu lernen. Nicht von heute auf morgen, aber mit Geduld, starken Nerven und Feinfühligkeit können wir helfen, das Gefühlschaos zu sortieren.

1. Die Launen ernst nehmen

Eine wesentliche Grundlage für einen guten Umgang mit Gefühlen ist, dass wir die Empfindungen unserer Kinder ernst nehmen. Läuft uns morgens ein schlecht gelaunter Teenager über den Weg, ist ein Spruch wie „Na, was ist dir denn über die Leber gelaufen?“ wenig hilfreich. Auch Kommentare, mit denen wir uns über den Liebeskummer lustig machen oder mit ironischem Unterton eine bestimmte Gefühlslage abwerten, sind nicht empfehlenswert. Können wir dagegen die Emotionen stehen lassen oder sogar Empathie für die Stimmungsschwankungen entwickeln, fühlen sich Jugendliche mit ihren Emotionen nicht abgewertet.

2. Zuhören und Verständnis zeigen

Alle Gefühle sind okay – auch die, die sich weniger gut anfühlen. Wenn sich ein Teenager darüber ärgert, dass er sich kein Tattoo stechen lassen darf oder dass er die Spülmaschine ausräumen soll, ist das absolut in Ordnung. Auch wir räumen nicht voller Glückseligkeit die Spülmaschine aus. Wenn wir spiegeln, dass wir seine Unlust und seinen Ärger verstehen, bauen wir Brücken. „Ich kann dich verstehen, das macht einfach keinen Spaß.“ Das heißt nicht, dass ihm die Hausarbeit erspart bleibt oder dass wir das Tattoo jetzt doch erlauben. Aber empfinden wir die Gefühle unseres Kindes nach, wird es sich schneller verstanden fühlen und weniger in die Konfrontation gehen.

3. Gefühlen einen Namen geben

Dann ist es gut, das Gefühl zu benennen. Oft ist Wut nur ein Oberflächengefühl und ein ganz anderes Gefühl steckt dahinter: Enttäuschung, Traurigkeit oder Scham. Möglicherweise steckt hinter der Motzerei beim Abendessen ein verletzendes Erlebnis mit den Mitschülern. Wenn wir unseren Kindern helfen, dem eigentlichen Gefühl auf die Spur zu kommen, entlastet das Jugendliche und so manche Situation wird sich entspannen.

4. Nicht bedrängen

Bei Teenagern, die eher introvertiert reagieren und sich in ihr Schneckenhaus zurückziehen, ist es ratsam, den Rückzug zunächst zu akzeptieren und sie nicht zu bedrängen. Je mehr wir auf den verschlossenen Jugendlichen einreden, desto bedrohter und unwohler fühlt er sich. Hier braucht es viel Fingerspitzengefühl, den passenden Moment zu finden, in dem wir Zugang zu dem Jugendlichen bekommen.

5. Gefühle ausdrücken lassen

Wut, die heruntergeschluckt wird, macht krank. Deswegen ist es gut, wenn Teenager die Möglichkeit bekommen, über das, was sie ärgert, zu sprechen. Wir müssen es auch mal aushalten, dass wir von unseren Teenagern angeschrien und angemotzt werden und dass sie manchmal wie ein Pulverfass explodieren. Dürfen sich Teenager ihren ganzen Frust von der Seele schimpfen, haben wir ganz nebenbei die Gelegenheit zu hören, was unser Kind wirklich bewegt und was die Ursache für seinen Ärger ist. Das heißt aber nicht, dass Teenager immer alles unkontrolliert herauslassen dürfen. Damit niemand verletzt oder gefährdet wird, brauchen sie konstruktive Wege, wie sie Dampf ablassen können, ohne etwas zu zerstören.

6. Auszeiten nutzen

Eine Zeit des Abstands, die Eltern und Jugendliche nutzen können, hilft der Deeskalation. Wenn die Gefühle hoch hergehen, ist es für jeden Menschen schwer, vernünftig zu reagieren. Das liegt daran, dass der Körper in einem aufgeladenen Zustand Cortisol und Adrenalin ausschüttet. Dann ist es aus rein biologischen Gründen nicht mehr möglich, klar zu denken und besonnen zu reagieren. Deswegen macht es Sinn, eine Abkühlungszeit einzuschieben, in der die Gefühle zunächst reguliert werden. Den Raum zu verlassen, bis zehn zu zählen oder kaltes Wasser ins Gesicht zu spritzen, sind Wege, um innerlich Abstand zu bekommen. Anderen hilft ein Boxsack oder Sport oder Musik zu machen.

7. Gefühle aufarbeiten

Erst wenn sich die Wogen geglättet haben, ist es zielführend, einen Konflikt und mögliche Überreaktionen aufzuarbeiten und gemeinsam zu überlegen: Wie hast du dich in dieser Situation gefühlt? Wie ist es zu diesem Konflikt gekommen? Wann ist es eskaliert und wodurch? Wie können wir das in Zukunft vermeiden?

8. Vorbild der Eltern

Zu guter Letzt sollten wir uns als Eltern selbst hinterfragen: Wie gehe ich mit meinen Emotionen um? Habe ich Kontrolle über meinen Ärger, meine Enttäuschung oder meinen Frust? Oft werden Überreaktionen durch anstrengende und schwierige Situationen ausgelöst. Sind wir überfordert oder mit den Nerven am Ende, ist es nicht leicht, seine Gefühle zu kontrollieren und gelassen zu reagieren. Aber wenn wir mit gutem Beispiel vorangehen und wenn Gefühle einen Platz in unserer Familie haben, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass unsere Kinder einen guten Zugang zu ihren Gefühlen bekommen und diese angemessen ausdrücken können.

Sonja Brocksieper ist Diplom-Pädagogin. Sie lebt mit ihrer Familie in Remscheid und ist Mitarbeiterin bei Team.F.

Ein Paar, zwei Perspektiven: Weichherzigkeit

CLOWNS STATT DÖNER

Katharina Hullen kann manchmal nicht Nein sagen.

Katharina: Neulich beim Abendbrot: Es klingelt an der Tür. Wie üblich stürmt eine Horde neugieriger Kinder zur Tür, um sie lautstark zu öffnen und wenige Sekunden später „Mama“ herbeizurufen. Ich schlurfe los und sehe mich alsbald einem jungen Studenten gegenüber, der einen roten Teppich vor unserem Eingang ausgerollt hat. Er stellt uns sympathisch und hintergründig die gute Arbeit des „Rote Nasen Deutschland e.V.“ vor, einer Organisation, die durch Clownerie Lachen und Lebensfreude zu leidenden Menschen bringt. Umringt von enthusiastischen Kindern, die fröhlich in die Ausführungen des Studenten hineingrätschen mit ihren Geschichten vom eigenen Krankenhausaufenthalt, bei dem man damals um einen Tag den Clown leider verpasst hatte, oder dem tollen Schul-Zirkus-Projekt, bei dem es auch so lustige Clowns gab, erahne ich natürlich schon den Spendenaufruf. Angesichts der freudigen Anteilnahme meiner Kinder, dem wirklich guten Ansatz, Leid mit Humor zu begegnen, und vielleicht auch wegen des prominenten Unterstützers – Dr. Eckart von Hirschhausen – bin ich innerlich schon im Spendenmodus. Wie sich zeigt, ist es leider nicht möglich, nur einmalig zu spenden. Aber gut, die Kinder betteln, doch bitte, bitte, bitte mitzumachen – dann eben monatlich ein kleiner Beitrag. Gesagt, getan. Unter dem Jubel der Mädchen sind die Formalien schnell geklärt. Eine freundliche Verabschiedung und wir strömen zurück zum Abendbrottisch – wo mich ein resigniert kopfschüttelnder, etwas verärgerter Ehemann erwartet. Er murmelt etwas von Familieneinkommen und „Mal sehen, was wir stattdessen mal streichen können, damit wir ab jetzt Clowns unterstützen können“.

Oje, er hat Recht! Es ist schon wieder passiert! Normalerweise versuche ich recht rigoros Haustürgeschäfte abzuwimmeln. Was mir in der Regel auch gelingt. Ich will keine Fassadenreinigung und auch keine neuen Dachfenster.

Aber trotzdem gibt es manchmal Anfragen, die treffen mich so sehr ins Herz – oder besser in den Bauch –, dass plötzlich zum Beispiel eine Malteser-Mitgliedschaft dabei herauskommt.

Hauke ist viel besser in so etwas – bei ihm löst der Bauch (außer an der Dönerbude) niemals den Kopf ab. Er schafft es, angemessen freundlich oder unfreundlich jedes Gespräch zu einem Punkt zu bringen. Er lässt sich nicht von sentimentalen Geschichten einfangen. Ihm passiert es auch niemals, im Wartezimmer oder beim Einkaufen in ein Gespräch verwickelt zu werden. Nein, in der Zeit, in der mir das passieren würde, füttert Hauke seinen Kopf mit den Informationen der Verpackungen, der Rechtschreibung der Werbeschilder oder den Magazinen im Wartebereich.

Ich liebe meinen Mann für seinen klugen, kühlen Kopf! Ich brauche dieses Korrektiv. Aber die Welt braucht auch mitfühlende Warmherzigkeit und impulsive Großzügigkeit. Dann essen wir halt einen Döner weniger im Monat und geben dieses Geld in Hände, die mehr daraus machen als nur einen satten Bauch. Ganz schön klug von mir, oder?

Katharina Hullen (Jahrgang 1977) ist Bankkauffrau und Dolmetscherin für Gebärdensprache in Elternzeit. Sie und Ehemann Hauke haben fünf quirlige Kinder und leben in Duisburg. Gemeinsam bilden die beiden das Kirchenkabarett „Budenzauber“.

 

HOTSPOT FÜR SPENDENSAMMLER

Hauke Hullen könnte Nein sagen, aber dafür ist es oft schon zu spät.

Hauke: Man stelle sich vor: Während des Urlaubs in einer ausländischen Einöde passiert etwas, ein Unfall oder eine schwere Erkrankung – wäre es dann nicht toll zu wissen, dass man kostenlos einfach nach Hause geflogen wird? Eine beruhigende Vorstellung, nicht wahr?

Diese Vorstellung war der besten Ehefrau von allen dann auch direkt eine Mitgliedschaft und einen jährlichen Beitrag wert. Prompt fühlte sie sich sicherer und der Vertreter, der ihr den Deal an der Haustür aufgeschwatzt hatte, zog fröhlich weiter.

Dazu muss man wissen: Wir fahren kaum ins Ausland. Unser Radius endet meist an der Nordsee – die Lust auf längere Fahrten sank proportional mit der Anzahl der quengelnden Kinder auf den Rücksitzen. Auch habe ich nie verstanden, warum Urlaubsorte nur dann attraktiv sein sollen, wenn sie weit weg sind. Und schließlich kommt dazu, dass die Abenteuerlust meiner Frau auf einer Skala von 1 bis 10 bei minus 1 liegt. Letzteres macht verständlich, dass sich Katharina besser fühlt, wenn sie weiß, dass stets ein vollgetankter Jet im Dschungel bereitsteht, um sie nach einem Schlangenbiss nach Duisburg auszufliegen. Nur: Wir sind halt nie im Dschungel.

Nachdem wir die statistische (Un-)Wahrscheinlichkeit ausgiebig erörtert hatten, einen Nottransport in Anspruch nehmen zu müssen, den unsere Krankenkasse nicht bezahlen würde, hat Kathi die Mitgliedschaft schweren Herzens wieder gekündigt. In anderen Bereichen lassen sich die Folgen von Kathis Weichherzigkeit deutlich schwieriger eingrenzen. Und das hat vor allem moralische Gründe. Denn während ich bei der Flugrettung argumentieren kann: „Das brauchen wir nicht!“, sagt Kathi bei all den anderen Großherzigkeiten zu Recht: „Das brauchen die anderen!“ Und in der Tat – die Not in der Welt ist groß, es gibt unzählige unterstützungswerten Anliegen, und natürlich bricht unser Lebensstandard nicht zusammen, wenn einer weiteren Organisation mit 5 Euro im Monat geholfen wird.

Doch wo will und darf man da die Grenze ziehen? Dank meiner Frau ist unsere Haustür zum Hotspot der lokalen Spendensammel-Szene geworden und die Bettlerinnen vor unserem Supermarkt bekommen wahlweise Münzen, komplette Einkäufe oder kistenweise ausrangierte Kinderkleidung geschenkt. Doch was, wenn jetzt alle kommen und die Hand aufhalten? Was, wenn das alle machten?

Tief in meinem Herzen weiß ich, dass genau dies die eigentliche Frage ist: Was, wenn das alle machten? Was, wenn alle sich erweichen ließen und auf ein (durchaus ansehnliches) Stück ihres Wohlstandes verzichteten, um den Nächsten mit dem Nötigsten zu versorgen und um für den Übernächsten die passende Hilfsorganisation zu unterstützen? Während in meinem Kopf noch der Stellungskrieg tobt, ist meine Frau schon längst über meinen Schatten gesprungen und hat ohne groß nachzudenken wieder Geld ausgegeben für irgendetwas, was irgendjemandem eine große kleine Freude bereiten wird.

Streng genommen hat sie dabei auch mein Geld mit ausgegeben – und ich lasse sie gewähren.

Hauke Hullen (Jahrgang 1974) ist Lehrer für Deutsch und Sozialwissenschaften. Er und Ehefrau Katharina haben fünf quirlige Kinder und leben in Duisburg. Gemeinsam bilden die beiden das Kirchenkabarett „Budenzauber“.

„Verliert mein Sohn seinen Glauben?“

„Mein Sohn ist vor zwei Jahren ausgezogen. Seitdem hat er sich immer mehr vom Glauben entfernt. Er besucht keine Gemeinde und hat, soweit ich weiß, auch keine christlichen Freunde. Ich habe nicht das Gefühl, dass er auf die schiefe Bahn gerät, aber es tut mir schon weh zu sehen, dass er nichts mit Gott zu tun haben will. Was kann ich tun?“

Zunächst einmal schön, dass Sie Ihren mittlerweile erwachsenen Sohn so gut im Blick haben und sicher nicht nur gedanklich begleiten. Und ich möchte Sie beglückwünschen: Ihr Sohn hat einen Schritt in die Selbstständigkeit gewagt und gestaltet nun sein eigenes Leben. Dies ist ein guter und wichtiger Schritt zur Weiterentwicklung seiner Persönlichkeit, der manchen jungen Erwachsenen schwerfällt und meistens eine Herausforderung ist. Ihrer Anfrage entnehme ich, dass er Beziehungen pflegt, sein Leben gut zu meistern scheint und dabei Freude hat.

Sie haben Ihrem Sohn sicher eine gute Basis mitgegeben, auch eine Glaubensbasis und Wissen über den Glauben, den Sie ihm vermittelt und vorgelebt haben. Darüber hinaus haben Sie ihm durch die Erziehung viele Werte und Kompetenzen vermittelt, die er zur Bewältigung seines Lebens benötigt.

Zweifel gehören dazu

Jetzt ist ihr Sohn gefragt. Zur Persönlichkeitsentwicklung gehört auch die Entwicklung des eigenen Glaubens. So wie Ihr Sohn den Schritt in die eigene Wohnung gewagt hat, sich in Neuland begeben hat, so ist er nun auch gefragt, seinen eigenen Glaubensweg zu finden. Dazu gehören auch Zweifel und Anfragen, das Hinterfragen des Kinderglaubens und all dessen, was man von zu Hause übernommen hat.

Begegnen Sie ihm offen und tolerant. Ein Klima der Annahme, gerade von den Eltern, kann eine Hilfe sein. Leben Sie weiterhin Ihren Glauben vor, ohne dabei moralisch oder einengend zu sein. Erzählen Sie ganz natürlich von dem, was Sie mit Gott erleben. Und halten Sie kritische Nachfragen aus. Glaubensgemeinschaft kann und sollte auch immer Zweifelgemeinschaft sein. Sie brauchen dabei nicht immer Antworten auf alle seine Fragen parat haben. Der Eindruck, alles zu wissen und zu verstehen, wirkt oft unglaubwürdig. Es kann sein, dass er bei seiner kritischen Haltung bleibt. Aber es kann auch der Weg zu einem eigenen Glauben sein. Das liegt nicht in Ihrer Hand.

Loslassen!

Ihre Sorgen und Befürchtungen können viele Eltern teilen und verstehen. Es tut weh, weil wir davon überzeugt sind, dass unser Heil und unsere Hoffnung im Leben nur in Jesus zu finden ist. Und es tut weh, wenn Kinder das, was

uns viel bedeutet, geringschätzen und sogar ablehnen. Ich möchte Sie ermutigen, darauf zu vertrauen, dass Ihr Sohn seinen eigenen Weg finden wird. Ich wünsche ihm und Ihnen sehr, dass er dabei auch seinen Glauben wiederfindet. Lassen Sie Ihren Sohn los. Lassen Sie ihn beruflich, privat und geistlich seinen Weg gehen. Dieser Weg muss kein Schlusspunkt sein, sondern kann auch ein Doppelpunkt werden. Ein Weg, der einen reifen, tragenden, freien Glauben hervorbringt. Auch, wenn es (noch) nicht so ist. Er ist ein geliebtes Kind Gottes, und dieser Gott wird ihm nachgehen.

Susanne Peitz ist verheiratet, hat zwei Töchter, ist Sozialpädagogin und Systemische Beraterin mit eigener Praxis und wohnt in Heuchelheim bei Gießen.

Illustration: Sabrina Müller, sabrinamueller.com

Diese Familie kündigt die perfekte Wohnung – Grund ist ein jahrealtes Versprechen

Elisabeth und Jürgen Vollmer lieben ihr Zuhause. Jetzt sind sie ausgezogen, um ein Versprechen einzulösen.

„Wenn man etwas Besseres findet, muss man halt das Gewohnte zurücklassen“, kommentiert eine Bekannte die Nachricht, dass wir im Sommer umziehen werden. Auf die Antwort, dass wir das Bessere zurücklassen, kommt der zweite Erklärungsversuch: „Oder halt was Günstigeres.“ Doch auch günstiger ist die Wohnung nicht, die wir beziehen werden. Warum ziehen wir also um? Es gibt eine Menge Gründe, die dagegensprechen. Wir haben die beste Nachbarschaft, die wir je hatten, wohnen natur- und stadtnah mit aller Infrastruktur, die es braucht, und wir fühlen uns in dem Reihenhäuschen seit 15 Jahren pudelwohl. Es gibt aber auch den einen Grund, auszuziehen. Und der wiegt schwerer.

Fünf Jahre warten auf die richtige Wohnung

Als junge Familie mit drei Kindern zwischen ein und sechs Jahren sind wir bei unserem Umzug von Mannheim nach Freiburg zunächst in eine „Übergangswohnung“ gezogen. Schlecht geschnitten, zu teuer, aber etwas anderes war aus der Ferne nicht zu finden. Und so zogen wir ein. Optimistisch, dass wir bald etwas Besseres finden würden.

Wir suchten. Fünf Jahre lang. Unternahmen alles Menschenmögliche und beteten intensiv, dass Gott Türen öffnen würde. Es war eine harte Zeit. Unsere Spaziergänge durch den Ort waren immer mit wachem „Rollladenblick“. Wo auch immer wir den Eindruck hatten, dass ein Haus unbewohnt sein könnte, warfen wir einen netten Brief mit Familienfoto ein. Wer länger als fünf Minuten mit uns zusammenstand, wusste, dass wir auf der Suche waren. Wir gingen an vielen Häusern vorbei, bei denen wir wussten, dass darin nur ein „älteres Ehepaar“ wohnte, während wir uns in der engen Wohnung arrangieren mussten.

Das Versprechen

Dann geschah das Wunder: Über Freunde vermittelt konnten wir ein Reihenmittelhäuschen beziehen. Wir übernahmen umfangreiche Renovierungsarbeiten in Eigenleistung. Dafür konnten wir das Häuschen günstig mieten. Was für ein Geschenk! Wir genossen fortan Haus, Garten und Nachbarschaft. Und wir versprachen uns: Wenn unsere Kinder aus dem Haus sind, werden wir es anders machen. Dann ziehen wir hier aus und gönnen diesen Luxus einer jungen Familie mit Kindern!

Zu schön um auszuziehen

Nach und nach wurden unsere Kinder flügge. Zuerst bekam Jürgen ein abgelegtes Kinderzimmer als Arbeitszimmer, dann ich. Als unsere jüngste Tochter ihr Auslandsjahr in Peru machte, waren wir zwar nur noch zu zweit. Aber für uns war klar: Sie muss ein Zuhause haben, wenn sie – übergangsweise – zurückkommt. Aber letzten Sommer ist sie endgültig ausgezogen. Das dritte Zimmer wurde zum Fernseh- und Gästezimmer. Wir konnten Gastfreundschaft leben. Und den Balkon an diesem Zimmer hatten wir all die Jahre nie genutzt. Er hat einen wunderschönen Blick ins Tal! Wir lieben es, dort zu frühstücken. Aber dann gab es ja dieses Versprechen, das wir uns selbst gegeben hatten. Uns wurde bewusst: Wenn wir jetzt nicht ausziehen, werden wir es wahrscheinlich nie tun. Und so beschlossen wir im letzten Herbst, dass 2020 unser Umzugsjahr werden sollte. Zunächst hatten wir die Illusion, eine Eigentumswohnung kaufen zu können. Doch der Immobilienmarkt in Freiburg hat uns eines Besseren belehrt. Also haben wir begonnen, nach Mietwohnungen zu schauen. Doch auch da haben wir gemerkt, dass der Angebote wenige und der Interessenten viele sind.

Plötzlich geht alles ganz schnell

Am Ostermontag sind wir auf ein Angebot gestoßen. Zwar war es weder in unserer Wunschwohnlage, noch gab es die Dachterrasse, von der wir träumten. Aber sonst klang alles gut: 100 Quadratmeter, vier Zimmer, zwei Balkone, naturnahe Lage, ansprechende Fotos. Am nächsten Tag besichtigten wir die Wohnung. Die darin lebende Tochter des Vermieters war äußerst sympathisch, die Wohnung wirklich schön, und so erbaten wir eine Nacht Bedenkzeit. Völlig überrascht davon, wie schnell es jetzt gehen könnte. Ich ging durch unser Häuschen und fragte mich, warum wir hier eigentlich raus sollten. Es war so schön und so vertraut! So viele gute Jahre haben wir hier gelebt. Und doch: Als der Morgen kam, waren wir uns einig. Es ist schwer, aber es ist richtig, dass wir dieses Haus jetzt abgeben. Und so sagten wir zu.

Der Gang zu den Nachbarn war der Schwerste

Interessenten für unser Häuschen gab es viele. Die Wohnungsnot für junge Familien in Freiburg ist groß. Als wir meinen Neffen Johannes und seine Frau anriefen, lieferten sie ihre zwei Kinder bei meiner Schwester ab und machten sich auf den Weg, das Häuschen anzuschauen. Am Tag darauf teilten wir dem Vermieter unsere Kündigung mit und schlugen die Familie als Nachmieter vor. Wieder einen Tag später saßen wir zusammen im Garten und machten alles fest. Der Mietpreis ist weiterhin günstig, die junge Familie glücklich. Der Gang zu den Nachbarn, um ihnen unseren Wegzug mitzuteilen, war bisher das Schwerste. Es waren einfach gute Jahre, und da ist eine tiefe Beziehung gewachsen, die sich verändern wird.

Leider ohne Feuerschale

Dass nun mein Neffe und seine Familie unser Häuschen beziehen werden, macht es mir leichter zu gehen. Sie kommen aus einer engen Drei-Zimmer-Wohnung, und so können wir alle Möbel, die wir nicht mitnehmen können, stehen lassen. Die geschreinerte Eckbank mit dem großen Esstisch zum Beispiel und das Trampolin im Garten. Beides werde ich vermissen. Auf dem Trampolin liegen wir im Sommer gern und schauen nach Sternschnuppen. Auch die Feuerschale können wir nicht mitnehmen. Dabei liebe ich es doch so sehr, am Feuer zu sitzen und Stockbrot zu essen.

Ballast abwerfen

Neben aller Wehmut kommt auch vorfreudige Spannung auf. Wir gehen diesen Schritt zu zweit! Diese neue Wohnung werden wir nur für uns einrichten. Und wir werden vieles zurücklassen, das wir nicht mehr brauchen. Ballast abwerfen. Das atmet Freiheit! Und so ist es noch immer nicht leicht, und ich erwarte auch nicht, dass die nächsten Monate leicht werden. Aber es ist gut und richtig, auszuziehen und damit Raum für eine junge Familie zu schaffen. Das haben wir uns versprochen.

Elisabeth Vollmer ist Religionspädagogin und Mutter von drei erwachsenen Kindern. Sie lebt mit ihrem Mann in Freiburg.