Angst vor der Geburt

„Meine Tochter (25) erwartet bald ihr erstes Kind und hat schreckliche Angst vor der Entbindung. Wie kann ich ihr helfen?“

Ängste in der Schwangerschaft, vor allem bei der Erstentbindung, sind sehr häufig: Fast jede zehnte Mutter ist davon betroffen. Die Schwangerschaft ist eine Zeit des Umbruchs, die einer Mutter viel abverlangt – körperlich, aber auch seelisch. Eine Schwangerschaft kann auch schon länger vorhandene Ängste oder Traumata reaktivieren.

ÜBER ÄNGSTE SPRECHEN

Es kann Ihrer Tochter guttun, wenn Sie sie etwas bemuttern und ihr Hilfe – nicht nur im Haushalt – anbieten, zum Beispiel durch Massagen oder Entspannungsübungen. Signalisieren Sie Ihrer Tochter gegenüber auch immer wieder Gesprächsbereitschaft. Wichtig dabei ist, ihre Gefühle und Ängste ernst zu nehmen und nicht zu beschwichtigen. Sagen Sie ihr immer wieder, dass sie nicht allein mit ihren Ängsten ist, dass es vielen Müttern so geht wie ihr und dass sie Hilfe und Unterstützung von der Familie und von Fachleuten bekommen kann. Hebammen, Doulas, Mütter- oder Familienpflegerinnen beispielsweise sind im Umgang mit Schwangeren und deren Ängsten geschult und können Hilfe anbieten.

Sehr hilfreich und entlastend für die Schwangere und ihre Angehörigen kann das Gespräch mit anderen Betroffenen sein, zum Beispiel in Foren und Selbsthilfegruppen. Zu hören, dass es anderen genauso ging, es ihnen aber mittlerweile wieder gut geht, beruhigt die Schwangere und macht ihr Mut. Auch fällt es Betroffenen diesen Müttern gegenüber oft leichter, über ihre Ängste und Gefühle zu sprechen, weil sie wissen, dass diese Ähnliches wie sie erlebt haben und sie dadurch gut verstehen können. Dieser Erfahrungsaustausch kann auch ein wichtiger Schritt sein, um sich die psychischen Probleme einzugestehen und sich gegebenenfalls professionelle Hilfe zu holen.

PROFESSIONELLE HILFE

Um den Schweregrad ihrer Ängste besser einschätzen zu können, kann die Schwangere einen Test machen. Wir haben einen Selbsteinschätzungstest auf unserer Homepage www.schatten-und-licht.de zur Verfügung gestellt. Sollte es nötig sein, kann sie einen Termin bei Schwangerschafts- oder psychosozialen Beratungsstellen, die sie bei der Stadt oder Gemeinde erfragen können, bekommen, die Sie bei psychischen Problemen beraten und ihr helfen, mit ihren Ängsten umzugehen.

Sind die Ängste sehr stark ausgeprägt, sollte die Schwangere ihren Hausarzt oder einen Facharzt für Psychiatrie aufsuchen, um sich gegebenenfalls eine Psychotherapie verschreiben zu lassen. Ein Therapeut kann ihr helfen, ihre Ängste oder Traumata aufzuarbeiten. Natürlich gibt es gegen starke Ängste auch unterstützende Medikamente, die auch in der Schwangerschaft genommen und von Fachleuten verschrieben werden können. Dazu beraten Fachstellen wie www.embryotox.de oder www.reprotox.de.

Sabine Surholt ist erste Vorsitzende der Selbsthilfe-Organisation Schatten & Licht e.V., die Frauen in Krisen rund um die Geburt unterstützt.
Illustration: Sabrina Müller, sabrinamueller.com

„Das musst du lesen!“

Die „Rupelrather Bücherfrauen“ haben anfangs einander ihre Lieblingsbücher vorgestellt. Inzwischen gibt es ein Bookcrossing-Regal, Vorlese-Stunden für Kinder und Büchertrödel für den guten Zweck. Von Stefanie Mergehenn

Am Anfang war das Wort. Oder der Einstiegssatz. Oder das Cover. Es gibt vieles, was einen animiert, ein neues Buch in die Hand zu nehmen. Oft ist es auch eine Rezension, der Tipp einer Freundin oder des Buchhändlers. „Das musst du mal lesen“: Unter dieser Prämisse fanden wir uns denn auch vor etlichen Jahren bei einer Gemeindefreizeit auf Langeoog mit interessierten Menschen an einem Abend im Kaminraum wieder, um einander bei einem Glas Wein und Knabbereien aktuelle Empfehlungen oder Immer-schon-Lieblingsbücher vorzustellen.

Das Konzept überzeugte. Als 2016 in meiner Kirchengemeinde die erste Wochenend-Freizeit nur für Frauen angeboten wurde, stand auf dem Willkommens-Brief: „Wer mag, bitte ein Lieblingsbuch, -film oder -CD einpacken, um es den anderen vorzustellen!“ Der entsprechende Abend dauerte rund drei Stunden – und ich griff nun doch zu den begeistert angepriesenen Werken von Charlotte Roth und Robert Seethaler, obwohl mir deren Cover vorab zu kitschig oder langweilig erschienen waren. Denn gegenseitiges Leihen gehört natürlich dazu – und ich wurde nicht enttäuscht!

WELTEN ZWISCHEN BUCHDECKELN

Nachdem die Literatur-Runde fortan Bestandteil jeder Freizeit war, fand eine der Frauen, es sei doch an der Zeit, diese schöne Tradition auch in den heimischen Alltag zu übertragen. Seitdem treffen wir uns vier-, fünfmal im Jahr mit interessierten Frauen – mal sind es sechs, mal ein ganzes Dutzend – in heimischen Wohnzimmern, um einander vorzulesen, Bücher zu präsentieren und zu erzählen, warum sie uns so berührt haben.

Sabine, die Initiatorin, empfindet es als großen Gewinn, „die vielfältigen Welten zwischen den Buchdeckeln aus ganz persönlicher Sicht zu beschreiben“. Denn ein Buch verändere den Lesenden „nicht nur durch das Aufnehmen des Inhalts, sondern durch das Einordnen der eigenen Erfahrungen und Gefühlswelten: Jede von uns liest ja anders, auch wenn die Buchstaben für alle gleich sind“. Der 54-jährigen Ärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie ist es zu verdanken, dass bei unseren Treffen immer auch einige Bilderbücher vorgestellt werden, in deren Geschichten und Illustrationen wir Erwachsenen mindestens ebenso versinken (können) wie die eigentliche Zielgruppe.

Auch Christine, eine weitere regelmäßig teilnehmende „Rupelrather Bücherfrau“, betont, dass sie schon viele Empfehlungen genutzt und so Autoren kennengelernt habe, auf die sie unter anderen Umständen gar nicht aufmerksam geworden sei. Ihr persönliches Fazit: „Mit echten Menschen zu sprechen, ist auch bei der Buch-Auswahl deutlich besser, als sich von Internet-Algorhythmen bestimmen zu lassen.“ Was die 54-Jährige darüber hinaus begeistert, ist, dass „ich dank unserer Gruppe viele tolle Frauen näher kennengelernt habe, denen ich sonst gar nicht begegnet wäre“.

NOCH VIER KISTEN IM KELLER …

Eine davon wurde beispielsweise von ihrer Nachbarin zu den „Bücherfrauen“ eingeladen und gehört jetzt zum „harten Kern“. Da liegt es nahe, auch mal am Rande der Buchstapel über die ein oder andere kulturelle Veranstaltung oder einen besondern Gäste-Gottesdienst in der eigenen Gemeinde zu sprechen. Apropos „eigene Gemeinde“: Die liegt den Bücherfrauen natürlich auch am Herzen. Deshalb war es naheliegend, für den Um- und Anbau unserer Kirche in den vergangenen Jahren zwei Bücher-Flohmärkte für das „Bau-Konto“ zu veranstalten.

Da die Spenden für den ersten Trödelmarkt eine unvorhergesehene Eigendynamik entwickelten („Ich hab‘ übrigens auch noch vier Kisten im Keller …“), hatten wir anschließend sogar mehr als zwölf Körbe übrig, die wir noch am selben Tag in die „Flohkiste“ unserer Nachbargemeinde bringen konnten. Beim zweiten Mal sortierten wir schon im Vorfeld aus, um mit den nicht ganz so umfangreichen Hinterlassenschaften die Bücherschränke in einem Neubaugebiet unseres Gemeindebezirks zu bestücken.

Für einen eigenen Bücherschrank – diese öffentliche Bücherregale beispielsweise in ausrangierten Telefonzellen gibt es inzwischen ja in vielen Städten – hat sich in unserer Gemeinde leider noch kein Platz gefunden. Stattdessen haben wir ein „Bookcrossing-Regal“ im Café-Bereich, in das ausgelesene (und keineswegs nur christliche) Bücher hineingestellt und von anderen dankbar herausgenommen werden. „Dabei geht es nicht ums Loswerden, sondern um das Weitergeben eines Buches, das uns selbst berührt hat“, betont Sabine. Die Auswahl erfordere deshalb eine besondere Sorgfalt und regelmäßige Durchsicht seitens der Bücherfrauen, die dann auch mal einen verjährten Stadtführer oder einen zerlesenen Trivial-Roman entfernen.

NOSTALGISCHES ANGEBOT

Die Freude und Faszination an Büchern kann nicht früh genug gesät werden – davon ist in dieser FamilyNEXTAusgabe an vielen Stellen zu lesen. Ich habe, als unser Sohn noch klein war, gern das ein oder andere Mal in seiner Kita vorgelesen. Viele Stadtbüchereien oder Grundschulen suchen heutzutage „Vorlese-Paten“. Mir macht es viel Spaß, bei unserem Kinder-Action-Samstag „Kiwi“, zu dem regelmäßig rund 70 Kinder ins Gemeindezentrum kommen, eine „Vorlese-Stube“ anzubieten. Es berührt mich zu erleben, wie Kinder, die sonst vielleicht eher auf flackernde Displays oder Monitore starren, zur Ruhe kommen, die Augen schließen und sich auf dieses nostalgische Angebot des „Kopfkinos“ einlassen – wenn sie sich nicht dicht um das Bilder- oder Geschichtenbuch drängen. Auch darin sehe ich als „Rupelrather Bücherfrau“ eine Chance: Kindern die Liebe zu diesen vielseitigen Freunden zu vermitteln – am besten eine Liebe fürs Leben.

Stefanie Mergehenn ist Journalistin und lebt mit ihrer Familie in Solingen.

Zu jung zum Heiraten?

„Meine Tochter und ihr Freund (beide 18) wollen heiraten. Ich finde, dass sie dafür zu jung sind. Sie leben noch zu Hause, schließen gerade die Schule ab und haben noch so viel vor sich. Kann der Mangel an Lebenserfahrung ihnen irgendwann vor die Füße fallen?“

Während Frauen jahrzehntelang als bemitleidenswert galten, wenn sie mit über 20 Jahren noch ledig waren, liegt das durchschnittliche Heiratsalter inzwischen bei 32 Jahren. Der Grund für die meisten jungen Menschen, nicht so früh zu heiraten, ist, dass sie vorher ihre eigenen Ziele realisieren wollen. Dass Auslandserfahrungen oder eine berufliche Karriere gemacht werden wollen, bevor man heiratet, ist nachvollziehbar, jedoch kein Garant für eine gelungene Ehe.

Wenn zwei Menschen früh heiraten, können sie ihr Leben in Bezug auf Job, Hobby, Wohnort und vieles mehr gemeinsam gestalten. Das kann ein Vorteil sein. Bei älteren Paaren treffen zwei nahezu ausgereifte Lebensentwürfe aufeinander, die nicht immer kompatibel sind. Das kann früher oder später zu Konflikten führen. Junge Menschen sind durchaus flexibler, sich aufeinander einzustellen, Kompromisse zu finden oder sich mit Abstrichen zu arrangieren. Haben Ihre Tochter und ihr Freund schon eine längere, vielleicht sogar jahrelange Beziehung, hatte ihre Freundschaft bereits viel Zeit zu wachsen. Sie haben sicherlich nicht nur die angenehmen Seiten des anderen kennengelernt. Zuneigung bekommt damit eine andere Qualität, und die Entscheidung, zusammenzubleiben, wird sicherer.

BEDENKEN ÄUSSERN

Suchen Sie auf jeden Fall das Gespräch mit Ihrer Tochter und Ihrem zukünftigen Schwiegersohn und sprechen Sie über Ihre Bedenken. Fragen Sie sie auch nach ihren Beweggründen. Wertschätzung und gegenseitiger Respekt sind bei dem Gespräch absolute Voraussetzung. Die Entscheidung bleibt letztendlich bei Ihrer Tochter und deren Freund, denn mit 18 Jahren sind sie zwar noch jung, gelten vor dem Gesetz aber als erwachsen.

Sprechen Sie auch über Geld. Ausbildungsvergütungen, Stipendien oder BAföG bieten jungen Paaren eine finanzielle Basis. Wenn Eltern einspringen, ist das nett. Doch nehmen sich manche Eltern damit bewusst oder unbewusst das Recht heraus, sich in die Beziehung ihrer Kinder einzumischen und Erwartungen zu stellen. Darum sollte es von vornherein klare Absprachen geben, wo die Grenzen sind.

GRUND ZU FEIERN!

Wichtig ist, dass jedes Paar über Möglichkeiten informiert wird, wie man mit schwierigen Beziehungssituationen umgeht. Denn die werden kommen. Eltern sind für die Beziehungen der Kinder selten gefragte Ratgeber. Wir haben unsere Kinder immer zu Freundschaften mit anderen Paaren ermutigt. In vielen Gemeinden gibt es zudem Gesprächsangebote für Paare, und bei Seminaren von Team.F und anderen Anbietern werden sie vor der Ehe mit wichtigen Themen konfrontiert. Letztendlich ist und bleibt es ein schönes Signal, wenn zwei Menschen entscheiden, sich fest aneinander zu binden. Eine Hochzeit ist immer ein Grund zum Feiern! Freuen Sie sich mit Ihren Kindern und bereiten Sie ihnen einen schönen und unvergesslichen Hochzeitstag! Die Hochzeiten meiner Kinder waren nach meiner eigenen die schönsten Feste.

Heidi Goseberg ist Mutter von vier erwachsenen Kindern, Großmutter und in der Leitung von Team.F, einer christlichen Organisation, die Ehen und Familien fördert.
Illustration: Sabrina Müller, sabrinamueller.com

„Bedrängt mich nicht, aber bietet Unterstützung an!“

Wie erleben junge Erwachsene die Abnabelung von den Eltern? Was wünschen sie sich von ihnen? Borika Lea Luft (22) hat sich umgehört.

„Solange du deine Füße unter meinen Tisch stellst, tust du, was ich sage!“ Wie oft haben wir als Kinder diesen Satz gehört – nicht unbedingt in dieser Formulierung, aber doch in allen möglichen Variationen. Manchmal haben wir uns wirklich nichts sehnlicher gewünscht, als endlich auszuziehen und zu machen, was wir wollen. Nicht von Mama und Papa abhängig zu sein, selbst bestimmen zu dürfen und einfach frei zu sein. Und auf einmal beginnt diese Zeit des Loslassens, Abnabelns, Ausziehens, Unabhängigwerdens, ob aufgrund des Studiums, der Arbeit, eines Auslandsjahres oder einer Beziehung. Gründe wie auch Zeitpunkte sind unterschiedlich, aber irgendwann kommen alle Eltern und ihre Kinder an den Punkt, an dem sie einander auf irgendeine Weise loslassen müssen. Manche fürchten sich davor, andere sehnen es herbei.

AN DEN GEDANKEN GEWÖHNEN

Auch meine Eltern und ich stecken in diesem Prozess. Ein erstes Loslassen gab es, als ich mit 19 für ein halbes Jahr auf eine Bibelschule ging. Das erste Mal richtig weg von Mama und Papa, weitgehend auf mich allein gestellt. Die sechs Monate haben mich sehr geprägt – in meinem Glaubensleben und meiner Beziehung zu Jesus und auch in Hinblick auf die Nähe zu meinen Eltern. Der Weg dahin war für mich sehr schwer, da ich schon immer sehr an meinen Eltern hing und es für mich kaum etwas Schlimmeres gab, als von ihnen getrennt zu sein. Doch diese Zeit ist für uns zum Segen geworden.

Nach der Bibelschule zog ich aufgrund meiner beruflichen Situation wieder daheim ein. Jetzt, mit 22, wohne ich immer noch beziehungsweise schon wieder im Elternhaus und komme nicht umhin, mich tagtäglich mit dem Thema „Loslassen“ und allen zugehörigen Fragen zu beschäftigen. Vor allem meinem Vater ist es schon immer sehr wichtig gewesen, dass meine zwei jüngeren Brüder und ich uns an den Gedanken gewöhnen, irgendwann auf uns allein gestellt zu sein, eigene Entscheidungen treffen und für uns selbst Verantwortung zu übernehmen. Unsere Eltern betonten aber stets, dass sie immer für uns da seien, wenn wir Hilfe oder Unterstützung bräuchten. Und das waren und sind sie auch.

ZWEI TERMINKALENDER

Im Gespräch mit Freunden und Freundinnen zwischen 18 und 23 Jahren habe ich festgestellt, dass Loslassen ein sehr individueller und subjektiver Prozess ist. Jede und jeder versteht ein bisschen etwas anderes darunter. Manchen fällt es leichter, andere tun sich schwer damit, sich zu lösen. Deshalb fand ich es spannend zu erfahren, was andere junge Erwachsene denken und habe sechs Freunde und Freundinnen befragt. Vier von ihnen sind Studierende oder gehen noch zur Schule, zwei stehen an der Schwelle zum Eintritt in das Arbeitsleben. Drei sind schon ausgezogen, die anderen leben noch im Elternhaus. Als Gründe für den Auszug von daheim wurden die Entfernung zur Uni oder Schule, die Heirat oder ein angespanntes Verhältnis zu einem Elternteil genannt. Ob schon ausgezogen oder noch zu Hause lebend – fast alle bewerteten das aktuelle Verhältnis zu den Eltern als gut bis sehr gut. Bei allen Befragten fiel auf, dass sie die Beziehung zu den Eltern in der Pubertät als angespannt und weniger gut beschrieben und der Wunsch nach Freiheit von den Eltern in dieser Zeit groß war.

Auf die Frage, was „Loslassen“ in Bezug auf Eltern und Elternhaus für sie bedeute, wurden folgende Antworten gegeben: „Ausziehen und allein leben“, meint Eduard (18). Bennet (19) nennt die Stichworte „Verantwortung annehmen“ und „selbstständig werden“. „Nicht mehr abhängig sein, eigene Entscheidungen treffen, versuchen, alles selbstständig zu erledigen, wie kochen oder waschen“, lautet die Antwort von Jon (20). Für Melli (20) stehen „Selbstständigkeit, zwei Terminkalender haben, nach eigenen Lösungen suchen“ im Vordergrund. Und Sara (21) antwortet: „Loslassen bedeutet für mich, meine gewohnte Routine mit meinen Eltern loszulassen und eine neue, eigene Routine zu finden. Loslassen bedeutet für mich nicht, seine Eltern nur noch selten zu sehen und sich ganz von ihnen abzuschotten.“

Diese Aussage finde ich sehr bezeichnend. Loslassen heißt nicht, seine Eltern in die Wüste zu schicken, sondern sich ein eigenes, selbstbestimmtes Leben aufzubauen, welches die Eltern zwar enthält, aber nicht durch sie vorgegeben wird.

Rebekka (23) ergänzt diesen Gedanken. Loslassen bedeute für sie, sich selbst zuzutrauen, im Leben klarzukommen. Sie müsse nicht ständig wissen, was ihre Eltern machen und diese nicht, was Rebekka mache. Gleichzeitig finde sie, dass Loslassen auch die Freiheit beinhalte, sich diese Dinge gegenseitig freiwillig zu erzählen. Es bedeute, sich gegenseitig Freiheit zu geben.

Fast allen der Befragten ist oder wäre es wichtig, mit ihren Eltern in Kontakt zu bleiben, ob über Handy, Mail oder durch regelmäßige Besuche.

VERTRAUENSBEWEIS

Letztens kam mir ein Bild für das Loslassen in den Kopf: Ein Vater steht mit seinem Kind an einem Fußgängerüberweg und nimmt es an die Hand. Das Kind möchte sich losreißen und über die Straße zum Park rennen. Es realisiert nicht, dass Autos angerast kommen, die es umfahren könnten. Der Vater erkennt die Gefahr, hält das Kind fester und erklärt ihm: „Es ist gefährlich, einfach so über die Straße zu rennen. Ich möchte, dass du an meiner Hand bleibst, bis wir auf der anderen Straßenseite sind. Ich werde dich sicher nach drüben bringen.“ Das leuchtet dem Kind ein und es geht an der Hand des Vaters über die Straße. Je näher sie der anderen Straßenseite kommen, desto unruhiger wird das Kind. Es möchte allein laufen. Der Vater würde es lieber weiterhin an der Hand halten. Aber er sieht ein, dass das Kind nur noch stärker an seinem Arm ziehen und sich vielleicht einfach losreißen wird, wenn er es nicht loslässt. Also gibt er das Kind frei und es kann allein laufen. Der Vater setzt sich auf eine Bank und beobachtet es aus einer Distanz. Das Kind kann sich frei bewegen, aber es sieht, dass er doch noch irgendwie da ist. Sollte also etwas passieren, hätte es die Möglichkeit, zum Vater laufen.

Dieses Bild bedeutet für mich, dass wir die Führung unserer Eltern bis zu einem gewissen Punkt brauchen. Sie haben mehr Erfahrung, oft mehr Überblick und wissen wirklich manches besser – auch wenn wir das als Teenager oft bezweifeln. Je näher wir dem Erwachsenesein kommen, desto mehr Freiheit wünschen wir uns. Wir zerren an der Hand, wollen allein laufen. Jetzt liegt es an unseren Eltern: Lassen sie uns freiwillig los und unterstützen uns bei unserem Erkundungsdrang? Oder halten sie uns weiter fest und riskieren damit, dass wir uns weiterhin an ihnen festklammern oder dass wir uns losreißen und wegrennen? Loslassen hat viel mit Vertrauen zu tun. Es ist es ein echter Vertrauensbeweis, wenn die Eltern ihre Kinder fliegen lassen. Wenn sie ihnen zutrauen, sich selbstständig im Leben zurechtzufinden und klarzukommen.

KEINE ROMANE ERWARTEN

Zum Schluss habe ich meine Freunde und Freundinnen gefragt, wie sich Eltern nach dem Auszug der Kinder verhalten sollten. Sara hat sich von ihren Eltern gewünscht, „mich zu unterstützen und die Trauer nicht so sehr zu zeigen und verständnisvoll zu sein.“ Jon ist es wichtig, dass seine Eltern ihn „auf Anfrage hin unterstützen, sonst mich meinen Aufgaben selbst überlassen.“ „Lauft mir nicht nach, sonst komme ich nicht wieder“, würde Eduard seinen Eltern raten. Und Melli meint, ihre Eltern sollten nicht enttäuscht sein, wenn sie ohne sie auskommt. „Erwartet keine Romane von meinem Leben“, formuliert Bennet, während Rebekka betont: „Bedrängt mich nicht, aber bietet Unterstützung an!“ Liebe Eltern, wir möchten einerseits unabhängig sein, aber andererseits mit dem Wissen in die Welt gehen, dass ihr für uns da seid, wenn wir euch von uns aus um Hilfe oder Unterstützung bitten. Lasst uns frei, aber seid erreichbar. Bevormundet uns nicht, aber gebt uns Rat, wenn wir ihn erbeten. Und vor allem, betet für uns um Segen, Bewahrung und Weisheit. Das ist nämlich das größte Geschenk, das ihr uns mit auf den Weg ins Erwachsenenleben geben könnt.

Borika Lea Luft (22) lebt in Pforzheim, studiert Soziale Arbeit und absolviert zurzeit ihr Praxissemester bei pro familia. In ihrer Freizeit engagiert sie sich in ihrer Gemeinde.

 

Borika Lea Luft hat für diesen Artikel einen Fragebogen entwickelt, um junge Erwachsene zum Thema Abnabelung und Loslassen zu befragen. Die Befragten haben ihn als sehr hilfreich empfunden. Deshalb haben wir ihn zum Herunterladen online gestellt.

Ein Paar, zwei Perspektiven: Renovieren

DER LICHTERKETTENBALDACHIN FÜRS KINDERBETT

Katharina Hullen gräbt sich auf der Suche nach hübschen Einrichtungsideen durchs Internet. Ihr Mann will lieber Strukturen optimieren.

Katharina: Jedes Projekt braucht eine Initialzündung. Unsere Kinder haben inzwischen gelernt, dass sie nur gemeinsam eine Chance haben, ihre phlegmatischen Eltern zu größeren Projekten zu motivieren. So zog im vergangenen Sommer, vermutlich an einem Freitag, eine lautstarke Kinderdemo mit selbstgemalten Plakaten durch unser Haus: „Unser Wohl ist Euer Wohl!“ „Wir sind bald in der Pubertät und brauchen ein eigenes Zimmer!“ und „Ruhe ist wichtig für Hausaufgaben und Konzentration!“

Sofort hatten sie den besten Opa von allen überzeugt und schon wenige Tage später begann dieser, auf dem Dachboden neue Wände zu ziehen. So kam das Zimmer-Karussell für fünf Kinder in Schwung. Heute, ein halbes Jahr später, haben wir ein neues tolles Jugendzimmer – sogar mit eigenem, frisch gebautem Bad –, ein umdekoriertes Mädchenzimmer, und zwei frisch transformierte Räume von „typisch Mädchen“ auf „typisch Junge“. Und alles ist so schön geworden!

Nachdem wir anfänglich den Ehrgeiz hatten, dass unsere Mädchen selbst die Neugestaltung des eigenen Zimmers in die Hand nehmen und dabei lernen, Maße und Möglichkeiten voll auszunutzen, wurde schnell klar: Außer der Wandfarbe ist es 10- und 12-jährigen Kindern völlig egal, welche Möbel oder Wandgestaltungen schön und sinnvoll wären. Aber nicht nur den Kindern war das schnurz, auch mein lieber Ehemann wollte von all meinen schönen Ideen nichts wissen. „Wieso denn andere Tapeten? Wir streichen einfach alles weiß und dann sollen sie sich bunte Kissen oder was auch immer hinlegen!“ Ginge es nach Hauke, hätte es wahrscheinlich auch keine Höhlenmalerei gegeben – die Wand ist doch gut so, wie sie ist! Doch das Internet ist voll von kreativen, praktischen, effektvollen Tipps und Angeboten. „Prüfet alles und das Beste behaltet!“ – Ich habe also viel Zeit damit verbracht, nach passenden Wandtattoos, Tapeten, Bordüren, Teppichen und Kissen zu suchen. Wenn wir schon für jedes Kind ein Zimmer bauen, dann darf es doch bitte auch gut zu ihm passen, oder? „Warum denn so ein Baldachin? Dann ist doch schon wieder ein Loch mehr in der Wand!“ Es liegt vielleicht daran, dass es außerhalb der männlichen Kompetenz liegt, sich vorzustellen, was einem anderen Menschen womöglich gefallen könnte oder was gut zu ihm passt. Ginge es darum, die Funktionalität einer Sache zu verbessern, Strukturen zu optimieren oder einfach um irgendein elektrisches Gerät, dann wäre Hauke voll in seinem Element und er verbrächte Stunden, Tage, Wochen mit der Internetrecherche.

Immerhin ist er ja wirklich ein großer Schatz, denn letztlich verbaut, verklebt, verschraubt und verarbeitet er alles, was ich an Material herbeischaffe. Nun fährt bei den Jungs eine hübsche Eisenbahn die Wand entlang und das Zimmer erstrahlt in frischem Grün und eins unserer Mädchen schlummert selig unterm Lichterkettenbaldachin.

Katharina Hullen (Jahrgang 1977) ist Bankkauffrau und Dolmetscherin für Gebärdensprache in Elternzeit. Sie und Ehemann Hauke haben fünf quirlige Kinder und leben in Duisburg. Gemeinsam bilden die beiden das Kirchenkabarett „Budenzauber“.

 

DEPRIMIERENDE FARBKLECKSE AUF DER RAUFASERTAPETE

Hauke Hullen liebt weiße Wände und hätte wahrscheinlich Apple gegründet, wenn nicht so viel Zeit für Stilfragen im eigenen Hause draufginge.

Hauke: Weiße Wände sind was Wunderbares! Wenn sich diese ebene, makellose Fläche frisch gestrichen vor einem ausbreitet, wenn weder Nagel noch Dübel die Perfektion stören und noch keine kratzende Kommode und kein kritzelndes Kleinkind Spuren hinterlassen haben – dann möchte ich diesen Moment für die Ewigkeit festhalten! Denn eine weiße Wand bietet Raum für Visionen: Welche fantastischen Formen und Farben könnten sich hier manifestieren? Alles erscheint möglich, nie fühlt man sich so frei und losgelöst von allen irdischen Sachzwängen. Alles könnte hier entstehen!

Ich betone: könnte. Denn sobald der erste Farbklecks auf der Raufaser detoniert, ist es vorbei mit der schöpferischen Allmacht – dann ist das Zimmer halt froschgrün und nichts anderes mehr. Aus unendlichen Möglichkeiten wurde – grün. Das ist deprimierend.

Neben diesen eher philosophischen Aspekten gibt es noch weitere gewichtige Gründe, weswegen die Wände lieber weiß bleiben sollten: Es erspart unserer Familie den quälenden Prozess, sich auf irgendeine Farbe einigen zu müssen. So hat ein großer Internet-Händler über 200.000 Treffer beim Stichwort „Tapeten“ – und den größten Teil hat sich die beste Ehefrau von allen auch tatsächlich angesehen, was aber die Entscheidungsfindung nicht erleichtert. Kathi hat dann zwar schon ein paar Favoriten herausdestilliert, in ihr keimt aber das ungute Gefühl, dass sich irgendwo im Netz eine noch schönere Tapete versteckt. Also wird weitergesucht.

Was für eine Verschwendung von Lebenszeit! Was könnte man stattdessen alles machen und schaffen! Apple-Gründer Steve Jobs hat sich ein paar hundert schwarze Pullover angeschafft, Facebook-Chef Marc Zuckerberg trägt jeden Tag ein graues T-Shirt – und prompt wurden sie zu den reichsten Menschen der Welt, einfach weil sie morgens vor dem Kleiderschrank keine Zeit mehr mit Farb- und Stilfragen verplemperten. Wo könnte die Familie Hullen heute sein, wenn wir in den letzten Jahren nicht … ach, lassen wir das.

Zudem bin ich auch kein besonders leidenschaftlicher Handwerker. Meine Freude am Renovieren beschränkt sich darauf, mich zu freuen, dass es vorbei ist. Wenn etwas einen funktionellen Mehrwert bietet, bastele ich gerne daran herum, aber wen außer meiner Frau interessiert es, ob ein Zimmer grün, rot oder lila-getupft ist? Und steht nicht auch schon in der Bibel (wenngleich auch mit einem irritierenden Rechtschreibfehler), dass man nach „Weißheit“ streben solle? Doch ein paar Wochenenden später sehen die Zimmer natürlich so aus, wie es sich die bessere Hälfte erträumt hat. Und ja, irgendwie sind sie auch schön geworden. Jetzt muss ich nur noch hoffen, dass sich Kinder und Einrichtungstrends ab sofort nicht mehr verändern.

Hauke Hullen (Jahrgang 1974) ist Lehrer für Deutsch und Sozialwissenschaften. Er und Ehefrau Katharina haben fünf quirlige Kinder und leben in Duisburg. Gemeinsam bilden die beiden das Kirchenkabarett „Budenzauber“.

„Er liegt uns auf der Tasche“

„Unser Sohn hat schon zum zweiten Mal das Studienfach gewechselt. Dadurch verlängert sich das Studium immer mehr. Nächstes Jahr beginnt auch unsere Tochter ein Studium. Beide finanziell zu unterstützen, ist für uns sehr schwierig. Können wir dem Sohn die Unterstützung streichen oder kürzen?“

Zunächst eine grundsätzliche Bemerkung: Fragen zum Ausbildungsunterhalt zu beantworten, ist schwierig, weil es im Unterhaltsrecht immer auf den konkreten Einzelfall ankommt. Zudem gibt es nicht viele Gerichtsentscheidungen – und auch die sind immer auf den konkreten Einzelfall bezogen.

IRREN IST MENSCHLICH – AUCH ZWEIMAL

Weil sie eine Ausbildung betreiben, sind Studierende in der Regel nicht in der Lage, ihren Unterhalt selbst zu bestreiten. Bei ihren Eltern wird wirtschaftliche Leistungsfähigkeit vorausgesetzt. Hinzu kommt: Verletzungen der Unterhaltspflicht durch die Eltern stellen einen Straftatbestand dar. Einfach weniger Unterhalt zu leisten, als man müsste, oder keinen Unterhalt zu leisten – davon sollten Eltern Abstand nehmen.

Beim deutschen BAföG gibt es die Regelung, dass nur in absoluten Ausnahmefällen zwei Irrtümer hinsichtlich der Fachrichtung zugelassen werden. Aber diese Regelung kann man nicht 1:1 auf das Unterhaltsrecht übertragen. Irren ist menschlich, auch zweimal irren. Und Eltern müssen beim Unterhalt auch eine „maßvolle“ Überschreitung der Regelstudienzeit hinnehmen.

ANDERE FINANZIELLE LÖSUNGEN FINDEN

Damit kommen wir zum Kern Ihrer Frage: Die bloße Verlängerung der Studienzeit ist für sich gesehen kein Grund, den Unterhalt zu kürzen oder ihn nicht mehr zu gewähren. Es wird darauf ankommen, ob Ihr Sohn für beide Fachrichtungswechsel gute Gründe vorbringen kann und ob er Sie über seine Planungen informiert hat. Denn er hat ein Recht auf Förderung einer Ausbildung, die seiner Eignung, Neigung und Leistung entspricht.

Im Laufe der ersten etwa drei Semester könnte sich herausgestellt haben, dass das Studium auf seine Eignung, Neigung und Leistung doch nicht passt. Natürlich muss aber auch die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Eltern gegeben sein. Wenn die kleine Schwester studiert, drängt sich geradezu auf, dass sie einen Antrag auf BAföG (D) oder ein kantonales Stipendium (CH) stellt, um sicherzugehen, dass keine staatliche Förderung verloren geht. Dies würde die Eltern entlasten. Überdies könnten die Eltern Unterhaltszahlungen an den studierenden Sohn – sofern das Kindergeld nach seinem 25. Altersjahr weggefallen ist – steuerlich als außergewöhnliche Belastung in besonderen Fällen geltend machen. Aber einfach den Elternunterhalt streichen oder mutwillig kürzen, das geht nicht.

Bernhard Börsel ist Referatsleiter für Studienfinanzierung und Bildungspolitische Fragen beim Deutschen Studentenwerk.
Illustration: Sabrina Müller, sabrinamueller.com

 

Weitere Infos:

Deutschland:
Zahlen und Infos zu Unterhaltshöhen und Selbstbehalt finden Sie in der „Düsseldorfer Tabelle“:
www.olg-duesseldorf.nrw.de/infos/Duesseldorfer_Tabelle

Schweiz:
Rechte und Pflichten der Eltern:
https://www.beobachter.ch/bildung/lehre-studium/berufsbildung-wie-lang-mussen-eltern-zahlen

Im Training bleiben

Fast jeder Mensch träumt vom Glück in der Liebe. Aber warum tun wir so wenig für die Beziehung, wenn wir erst mal den Partner fürs Leben gefunden haben? Von Marc Bareth

Es ist ein schwülheißer Dezembernachmittag in Kenia. Meine Frau und ich sind als Referenten beim dreitägigen Leadership-Training einer lokalen Kirche im Einsatz. Jetzt, nach getaner Arbeit, lassen wir uns gerne vom Bischof die Gegend zeigen. Wir kaufen einer Frau die letzten Mangos des Tages ab. Sie schneidet sie uns gleich auf. Als wir mit ihr sprechen, erscheint ihr Sohn Carlos. Ein schlanker Junge, etwas scheu, aber mit einem verschmitzten Lächeln auf dem Gesicht.

Carlos Kiprop ist dreizehn Jahre alt und hat einen Lebenstraum, dem er vieles unterordnet: Er möchte Profiläufer werden und gehört zum Stamm der Kalendjin. Und die Kalendjin sind Läufer. „Die einzig wahren Läufer“, so ihr Selbstverständnis. Tatsächlich kommen viele der weltbesten Stars aus diesem Dorf, an dessen Eingang ein großer Bogen mit der Aufschrift „Home of Champions“ steht. Auf dem Gelände der St. Patricks High School etwas außerhalb des Ortskerns dürfen nur die ehemaligen Schülerinnen und Schüler einen Baum pflanzen, die Weltmeister, Olympiasieger oder Weltrekordhalter sind. Es sind unzählige Bäume. Als wir durch die Anlage geführt werden und die Namen der Ausnahmeathleten auf den Schildern vor den Bäumen lesen, verstummen wir ehrfürchtig. Und fragen uns gleichzeitig: Wie kann ein so verschlafenes Kaff irgendwo im Hinterland von Kenia so viel Exzellenz hervorbringen?

Carlos investiert einiges, damit sein Traum in Erfüllung gehen wird. Um 6 Uhr früh macht er das, was einem dreizehnjährigen Teenager in Europa so ziemlich zuletzt einfallen würde: Er läuft ganz allein 5 Kilometer den Berg hoch und dann wieder runter. Das macht er jeden Tag, selbstverständlich auch am Wochenende. Nach dem morgendlichen Berglauf geht er zur Schule. Doch Carlos freut sich vor allem auf die Nachmittage, denn dann absolviert er mit seinem Schulteam das zweite Training des Tages. Er ist stolz darauf, dass er seine Schule im 3000-Meter-Hindernislauf repräsentieren darf.

Die Geschichte von Carlos klingt in uns bis heute nach. Wir haben uns gefragt, was wir im Westen bereit sind, in unsere Lebensträume zu investieren, zum Beispiel und im Besonderen in das Ziel einer langjährigen glücklichen Partnerschaft. In einer Umfrage gaben 81 Prozent aller deutschen Frauen und Männer an, dass eine dauerhafte Partnerschaft ein Lebenstraum von ihnen ist. Eine gelingende, erfüllende Beziehung ist für uns also ein sehr wichtiges Ziel. Das ist auch ein Grund dafür, dass das Auseinanderbrechen einer Partnerschaft immer ein massiver Einschnitt ist.

NUTZEN EINER STARKEN BEZIEHUNG

Der Nutzen einer starken, lebenslangen Partnerschaft ist wissenschaftlich klar erwiesen. Sie macht nicht nur glücklicher, sondern auch wohlhabender sowie körperlich und geistig gesünder. Und nicht zuletzt bietet sie ein sicheres Umfeld für das Aufwachsen von Kindern. Die Harvard Study of Adult Development läuft seit 1938 und ist eine der aussagekräftigsten Studien über das Leben und die Entwicklung von Erwachsenen. Die gesammelten Daten über das Leben der Studienteilnehmer und ihrer Partner, ihrer Kinder und ihrer Großkinder würden eine ganze Bibliothek füllen. Der mittlerweile vierte Direktor dieser Studie, Robert Waldinger, beschreibt eine wichtige Erkenntnis so: „Wir haben den Weg unserer Männer verfolgt, bis sie über 80 waren. Dann wollten wir auf ihre Lebensmitte zurückschauen, um zu sehen, ob wir vorhersagen können, wer zu einem glücklichen, gesunden 80-Jährigen werden würde und wer nicht. Als wir alles ausgewertet hatten, was wir über sie im Alter von 50 wussten, war es nicht ihr Cholesterinspiegel, der vorhersagte, wie alt sie werden würden, sondern wie zufrieden sie in ihren Beziehungen waren. Die Menschen, die mit 50 am zufriedensten in ihren Beziehungen waren, waren die gesündesten im Alter von 80.“ Und in seinem über 30 Millionen Mal geschauten TED-Talk fasst es Waldinger so zusammen: „Die wichtigste Botschaft der Studie lautet: Gute Beziehungen machen uns glücklicher und gesünder. Punkt.“

PARTNERSCHAFT UND GOTTESBEZIEHUNG

Dabei kann unsere Partnerschaft nicht isoliert von unseren anderen Lebensbereichen betrachtet werden, sie strahlt aus und beeinflusst unser ganzes Leben. Ungelöste Konflikte haben immer auch einen Einfluss auf unsere Spiritualität. Viele würden diese Bereiche gerne trennen, doch das geht nicht. Unsere Beziehung zu Gott und die zu unserer Partnerin oder unserem Partner sind untrennbar miteinander verbunden.

Schon vor rund 2000 Jahren schrieb ein guter Freund und Weggefährte von Jesus: „Entsprechend gilt für euch Männer: Zeigt euch im Zusammenleben mit euren Frauen verständnisvoll und nehmt auf ihre von Natur aus schwächere Konstitution Rücksicht. Sie sind ja durch Gottes Gnade Erben des ewigen Lebens genau wie ihr. Respektiert und achtet sie also, damit der Erhörung eurer Gebete nichts im Weg steht.“ (1. Petrus 3,7)

Vielen springt beim Lesen dieser Bibelverse der erste Teil ins Auge. Noch spannender finde ich aber den letzten Satz. Wer meint, er könne schlecht mit seiner Frau umgehen und seine Gebete würden trotzdem erhört, der irrt. Wir müssen unsere Partnerin oder unseren Partner respektieren und achten, wenn wir wollen, dass der Erhörung unserer Gebete nichts im Weg steht. Der Verfasser beschreibt hier sehr eindeutig eine Verbindung zwischen dem Eheleben und dem geistlichen Leben. Ich denke, dieser Bibelvers ist wenig populär, weil dieser Zusammenhang nicht gerne gehört wird. Doch auch das positive Gegenbeispiel scheint wahr zu sein: Eine liebevolle Beziehung führt offensichtlich dazu, dass der Erhörung unserer Gebete nichts mehr im Weg steht. Wenn wir in unserer Partnerschaft eine Atmosphäre der Annahme und Beziehungssicherheit schaffen, ist das eine wesentliche Grundlage, auf welcher wir wachsen und uns immer mehr in das hinein entwickeln können, was Gott für uns vorgesehen hat.

ZU WENIG INVESTIERT

Wir bekennen uns entschlossen zum Lebenstraum „dauerhafte glückliche Partnerschaft“. Doch was investieren wir wirklich, um unsere Beziehung zu stärken? Stehen wir – im übertragenen Sinn – jeden Morgen um 6 Uhr auf, um zusätzlich zu unserem normalen Teamtraining noch 10 Kilometer zu laufen? Die Kluft zwischen dem hohen Stellenwert einer langjährigen glücklichen Beziehung und den kleinen Investitionen dafür ist manchmal erschreckend. Es ist kaum zu erklären, dass wir etwas als unseren Lebenstraum bezeichnen, aber dann nicht bereit sind, wenigstens bewusst zwei Stunden pro Woche dafür einzusetzen. Nur wenigen Paaren gelingt es über die Jahre, sich regelmäßig Zeit zu nehmen, um an ihrer Beziehung zu arbeiten. Im Alltag drängen sich immer wieder Karriere, Kinder, Stress und Hobbys vor. Was uns eigentlich wichtig wäre, hat dann keinen Platz mehr.

Vielleicht liegt es daran, dass wir glauben, wir seien bereits mit der Fähigkeit zur Welt gekommen, eine gute Liebesbeziehung zu führen. Wir denken, wir müssten das nicht trainieren und keine Zeit extra dafür aufwenden, der normale Paaralltag sei genug Beziehungspflege. In anderen Lebensbereichen ist für uns das Konzept „wenig investieren und viel erwarten“ sehr irritierend. Ein Bauer beispielsweise, der auf einem Feld nichts sät und trotzdem reiche Ernte erwartet – er ist ja schließlich Bauer. Genauso absurd wäre es, wenn Carlos erwarten würde, ein guter Läufer zu werden, ohne dafür trainieren zu müssen.

BEZIEHUNGSTRAINING

Doch wie kann dieses Beziehungstraining aussehen? Es beginnt ganz banal damit, dass wir regelmäßige Zeiten zu zweit planen, um unsere Beziehung zu pflegen. Diese Zeiten müssen wir priorisieren, ja, wir müssen sie verteidigen wie eine Löwenmutter ihren Nachwuchs. Als nächstes müssen wir uns Mut antrainieren. Probleme ansprechen, den ersten Schritt machen, vergeben, uns unserem Partner öffnen, zusammen beten und uns verletzlich zeigen. Das alles braucht eine große Portion Mut, vertieft aber auch unsere Beziehung.

Der dritte Trainingstipp besteht darin, sich jährlich neue Impulse zu suchen. Sei es durch einen Ehe-Kurs, ein Paarwochenende, ein Beziehungsbuch oder ein Coaching – solche externen Anstöße bringen uns weiter auf dem Weg zum Lebenstraum „langjährige glückliche Beziehung“.

Marc Bareth schreibt regelmäßig in Family und FamilyNEXT und hat Impulse für die Ehe in seinem neuen Buch „Beziehungsstark – 5 Minuten für deine Partnerschaft“ zusammengetragen. Mehr dazu: www.familylife.ch/beziehungsstark

Ein Leben, das ich gerne lebe

Wenn unsere Wohnung zu voll ist, kann das belastend sein. Dann hilft es aufzuräumen. Dasselbe gilt für unser Leben. Debora Güting über inneres und äußeres Aufräumen.

Nach den Ferien schleiche ich für eine Bestandsaufnahme durch jeden Raum unseres Hauses. Dass die Uhr in den letzten Wochen etwas langsamer getickt hat als vorher, ist offensichtlich. Der Boden im Gäste- WC: Wann habe ich den das letzte Mal gewischt? Im Zimmer nebenan finde ich potenzielles Bastelmaterial auf dem Boden. Die Küchenschublade für Diverses (Tesa, Pflaster, Schreibsachen etc.) ist so überfüllt, dass ein dazugestopfter Brief in das Schüsselfach darunter geschubst wurde. Ohne gleich anzufangen und in einen Arbeitsmodus zu geraten, nehme ich mir Zeit zum Nachdenken: Wie hoch möchte ich das Ziel „Ordnung und Sauberkeit“ setzen?

Leichter atmen

Vor einiger Zeit schon habe ich festgestellt, dass für mich innere und äußere Ordnung zusammenhängen. Bin ich zum Beispiel aufgewühlt, dann hilft es mir, in der Küche alles wegzuräumen und die Arbeitsflächen abzuwischen. Der freie Platz in der Küche gibt mir auch auf emotionaler Ebene das Gefühl, leichter atmen zu können. Ist die Wohnung dagegen unordentlich und dreckig, fühle ich mich auch als Mensch eher unzulänglich und mit dem Gesamtzustand meines Lebens unzufrieden.

Alles muss raus

Ein praktischer Tipp von „Simplify your Life“ hat sich in meiner Aufräum-Praxis bewährt: Wenn du eine überfüllte Küchenschublade, ein Unterwäschefach oder gar eine ganze Garage aufräumen möchtest, dann räume den definierten Raum erst mal ganz aus. Alles raus da. Einmal auswischen, kehren, Krümel entfernen, sauber machen oder was auch immer nötig ist, um diesen Platz als neu, frisch, frei und sauber zu empfinden. Und dann innehalten und den Anblick genießen. Und dann kommt der Clou: Nur die Gegenstände, die mir Freude machen, mich zum Lächeln bringen und andere gute Gefühle bereiten, kommen wieder rein: Kleider, in denen ich mich wohl fühle, Stifte, mit denen ich gern schreibe und neben einigem Nützlichem, was gut funktioniert, natürlich auch Dinge, die einfach schön sind und der Seele guttun.

Der Hometrainer kommt weg

Übrig bleibt zum Beispiel die selbstgenähte Tischdecke der Tante, die ich nie auflege. Sie entlockt mir ein schlechtes Gewissen und einen Seufzer. Nicht mein Geschmack. Wird auch nie meiner werden. Die bleibt draußen. Das Kleid, das ich für die Hochzeit von Freunden vor sechs Jahren gekauft habe und in das ich seit fünf Jahren nicht mehr reinpasse. Das bleibt draußen. Die Schönheit des Kleides hilft nicht, und es ist kein gutes Gefühl, dieses Stück anzusehen. Der Hometrainer mit vielen Funktionen, den ich theoretisch ja auch bei Regen benutzen könnte. Aber praktisch fühle ich mich nur schuldig, wenn er so einstaubt. Der bleibt draußen.

Der „Geschenkt“-Laden

Ja, es ist mühsam, sich mit den „übrigen“ Gegenständen zu befassen und Entscheidungen zu treffen. Es hilft, wenn man weiß, wo man Dinge hingeben kann, die noch gut sind. Bei mir ist es der „Geschenkt“-Laden für Nachhaltigkeit in der Nähe. Mancher ist vielleicht begabt, etwas zu verkaufen oder zu verschenken oder sogar umzuarbeiten.

Pure Motivation

Als Ergebnis meines Aufräumens habe ich einen Kleiderschrank, den ich gern aufmache. Mit Kleidern, die ich mag. Oder eine Garage mit Dingen, die ich brauche und benutze. Das Gesamtziel motiviert: ein Wohnraum, durch den ich gern gehe. Möglichst viel von dem, was mich belastet, möchte ich nicht hegen und pflegen und nicht von links nach rechts schieben. Denn wer hat etwas davon? Die Tante hat nichts davon, der Hometrainer nicht und bei Kleidern, die zu klein sind, meine Selbstannahme nicht.

Eine gute Perspektive

In der Praxis finde ich es schwer, mir vorzustellen, dass mein ganzer Wohnraum sich mal so anfühlt. Aber es ist eine gute Perspektive. Und es fühlt sich lebendig an, dass ich das entscheiden kann. Denn ich entscheide ja selbst, was mir guttut und was nicht. Natürlich lebe ich mit anderen Menschen zusammen und kann nicht alles aussortieren, was mir einfällt. Trotzdem gibt es mir Reife und Entscheidungsfreiraum, dass ich die Möglichkeit habe, selbst zu entscheiden. Und die kleinen Schritte auf dem Weg dahin befreien: Eine Handtasche, die wirklich nur das enthält, was mir das Aus-dem-Haus-Gehen erleichtert, oder eine übersichtliche Schublade geben mir ein gutes Gefühl, das auch eine Weile anhält. Und manchmal tut es dann so gut, dass ich gleich noch eine zweite Stelle in Angriff nehme.

Von außen nach innen

Um mein „unordentliches“ Inneres aufzuräumen, hilft natürlich eine abgewischte Arbeitsplatte nicht auf Dauer. Wie räume ich mein Leben auf? In meiner Kur im letzten Jahr habe ich folgende Aufgabe bekommen: Male den Kuchen deines Lebens. Alle Bereiche, die Zeit oder auch emotionale Energien fordern, sind ein Stück von diesem Kuchen: Arbeit, Familie, Aufgaben in der Kirchengemeinde, Ehe, Beziehungen, Haushalt, … Jeder ist ganz frei, seine Stücke zu definieren. Jedes Stück soll so groß sein, wie es einen Teil vom meinem (gefühlten) Leben einnimmt. Sind die Stücke aufgemalt und benannt, kommt Farbe ins Spiel. Die Torte soll bunt werden. Grün steht für Bereiche, die mir Freude machen und die mich auftanken lassen, auch wenn sie Zeit oder Energie benötigen. Rot steht für Bereiche, die mich Nerven kosten und frustrieren und die ich nur widerwillig tue. Und die mich Zeit kosten, die ich eigentlich nicht investieren will. Gelb steht für Bereiche, die sich in der Mitte befinden. Ein Stück des Kuchens darf auch verschiedene Farben haben und ganz individuell angemalt werden. So kann die Arbeit selbst Freude machen, der nörgelnde Kollege aber den Tag verderben. Das wäre dann ein grünes Stück mit rotem Bereich.

Ein buntes Leben

Ebenso wie beim Aufräumen von Gegenständen kann ich überlegen, welche Bereiche meines Lebens mir Freude bereiten und welche mich belasten. Und wenn ich den Kuchen gemalt habe, sehe ich alle diese Bereiche vor mir. Ein buntes Leben. Die Frage ist nun, wenn ich meinen Lebenskuchen sehe: Möchte ich diesen Kuchen essen? Oder klarer: Möchte ich mein Leben so leben? Wenn ja, ist alles gut.

Schweres Streichen

Als ich meinen Kuchen des Lebens sah, wurde mir so mancher rote Bereich klarer vor Augen geführt. Natürlich kann ich vieles nicht einfach streichen oder loswerden. Im Gegenteil: Oft ist es besonders schwer, gerade die roten Bereiche loszuwerden. Denn bei vielen roten Bereichen gibt es tiefere Gründe, warum sich diese bei mir „eingenistet“ haben. Einen schwelenden Konflikt in einer Beziehung nehme ich vielleicht hin, weil ich nicht wage, über mein Unbehagen zu reden. Oder weil ich nicht gelernt habe, für mich zu kämpfen. Eine Überlastung kommt vielleicht von Erwartungen anderer, die ich denke, erfüllen zu müssen. Eine große Frustration ist vielleicht da, weil Werte, die ich habe, in Konflikt miteinander stehen und ich mir dessen nicht bewusst bin.

Überfällige Entscheidungen

Ich kann versuchen, Prioritäten zu setzen, neue Ansätze zu suchen und eventuelle Einstellungen oder Erwartungen, die dem Auflösen der Bereiche entgegenstehen, zu formulieren und loszulassen. Dafür kann auch ein Seelsorger oder Berater hinzugezogen werden. Es ist auch erlaubt, größere Striche zu ziehen und endlich den Mut aufzubringen, überfällige Entscheidungen zu treffen. Auch wenn das manches ungewiss macht. Vielleicht ist es nötig, die Arbeitsstelle zu wechseln. Oder ich sollte eine Freundschaft beenden, in die ich immer nur investieren muss und in der ich selbst keinen Raum habe, ich zu sein.

Den roten Fleck angehen

Nicht immer muss es so tragisch und tiefgründig sein. Bei manchem roten Bereich reicht es, wenn ich etwas anders angehe und bewusst eigene Erwartungen loslasse. Manche Aufgaben im Haushalt, die mich nerven, kann ich vielleicht delegieren oder irgendwie anders Entlastung suchen. Wenn ich mutig bin und Schritte gehe, öffnen sich vielleicht Wege, auf die ich vorher gar nicht gekommen bin. Klar ist: Veränderungen und Entscheidungen kosten erstmal Kraft und Nerven. Und nicht alles lässt sich vielleicht so verändern, wie ich es gerne hätte. Aber wenn ich nichts angehe, bleibt alles, wie es ist.

Wie mit einer Schublade beim äußeren Aufräumen zu beginnen, ist es gut, auch hier erst mal an einem Bereich anzufangen und einen ersten roten Fleck anzugehen. Weitere können dann folgen. Mein Ziel ist ein Kuchen, den ich gern esse. Oder: ein Leben, das ich gern lebe.

Debora Güting ist Pastorin im Pastoralteam in der Kirche des Nazareners in Seligenstadt. Nebenher schreibt sie gern ihre Gedanken zum Leben in einen Artikel oder sie referiert bei Frauenevents. Sie lebt mit ihrer Familie in Linsengericht.

Schauderhafte Horrorfilme

„Unser Sohn (16) guckt sich die schrecklichsten Horrorfilme an. Wir haben unsere Kinder im Glauben erzogen und nun das! Er sagt zwar, der Glaube sei ihm nicht egal, aber wie passt das zusammen? Auch, dass er diese schlimmen Spiele am Computer spielt?“

Ihr Sohn hat auf dem Weg zum Erwachsensein eine beträchtliche Entwicklung zu absolvieren. Er muss eine Persönlichkeitsstruktur aufbauen auf dem Weg zu einem kompetenten Individuum und zugleich verantwortungsvolle Rollen für seine soziale Integration trainieren – und das Ganze auch noch aus eigenem Antrieb für ein solides Selbstwertgefühl! Dazu gehört auch die Ablösung von den Eltern.

HINSEHEN UND FREIRAUM LASSEN

Er braucht Freiräume, um Erfahrungen machen zu können. Die Freiheit, Strategien zur Entspannung und Selbsterfahrung über Filme und Spiele zu entwickeln, seine Rolle innerhalb von Peergroups zu erkunden, letztlich auch, selbst Antworten auf Glaubensfragen zu finden. Diese Freiräume nehmen Sie ihm, wenn Sie ihn kleinschrittig kritisieren, belehren und korrigieren. Ihre Aufgabe als Eltern ist es, einen Mittelweg zwischen präsentem Hinsehen und Freiraum lassen zu finden. Nun legt Ihr Sohn ein Verhalten an den Tag, das Sie besorgt, da es mit Ihren Werten nicht übereinstimmt. Wird da nicht ausradiert, was das Kind an christlichen Werten und Normen in seinem Glauben aufgebaut hat? Ist das nicht sogar gewaltverherrlichend und steht damit im Widerspruch zum Glauben?

Bei Horrorfilmen ist das keineswegs so. Sie sind – das bestätigen Studien – sogar geeignet, das eigene Aggressivitätslevel zu senken. Das liegt daran, dass Horrorfilme aus der Opferperspektive gedreht werden. Das Töten ist und bleibt negativ besetzt. Der Reiz, die so genannte „Angstlust“, liegt darin, dass man als Zuschauer ausprobiert, was man an Angst aushalten kann, eine Lernsituation im geschützten Raum, denn nach dem Film ist alles beim Alten.

EGO-SHOOTER MACHEN NICHT ZUM KILLER

Auch Ego-Shooter, die ja den Spieler in die Täterperspektive setzen, führen trotzdem nicht automatisch zu erhöhter Gewaltbereitschaft. Auch das zeigen Studien. Häufig handelt der Spieler in konstruierten Notwehrsituationen, man kann also nicht pauschal von Killerspielen sprechen. Vielleicht können Sie mit diesen Informationen schon etwas entspannter mit dem Verhalten Ihres Sohnes umgehen. Das könnte helfen, seinen Interessen mit offener Neugier zu begegnen. Dies wiederum ist der beste Weg, sich als Eltern einen Eindruck davon zu verschaffen, was ihn antreibt, und herauszufinden, ob Handlungsbedarf besteht, weil er sich beispielsweise isoliert oder Suchtverhalten zeigt. Ob er zwischen Realität und Virtualität unterscheiden kann, merken Sie, wenn Sie sich von seinem Hobby erzählen lassen oder mal dabei zusehen oder sogar mitmachen.

Dennoch ist hier und da beharrliches und sachliches Aushandeln und Bestehen auf das Einhalten bestimmter Aufgaben in Schule und Haushalt nötig. Stimmt die Beziehung, lassen sich auch wieder Gespräche über den Glauben führen.

Sabine Vetter ist seit 41 Jahren mit Ekkehart verheiratet. Gemeinsam haben sie sechs erwachsene Kinder und 15 Enkelkinder.
Illustration: Sabrina Müller, sabrinamueller.com

„Heimat ist das Gefühl, angekommen zu sein“

Mit 18 Jahren kam Bonita Niessen aus Südafrika nach Deutschland. Sie hat schnell Wurzeln geschlagen und als Sängerin viele Erfolge zu verzeichnen – zum Beispiel in der Rolle der Rosa Parks im Musical „Martin Luther King“.

„Dass jeder fair behandelt wird, das war unser Traum“,singt Bonita Niessen im Chormusical „Martin Luther King“. Sie verkörpert hier die Rolle der Afroamerikanerin Rosa Parks, die am 1. Dezember 1955 in Montgomery, Alabama festgenommen wurde, weil sie sich geweigert hatte, ihren Sitzplatz im Bus für einen Weißen zu räumen. Ihr Gemeindepfarrer Martin Luther King und eine Bürgerinitiative organisierten den ersten Kundenboykott der jüngeren US-Geschichte: Der „Busstreik von Montgomery“ gilt als Anfang vom Ende der Rassentrennung in Amerika.

DURCHBRUCH BEI STEFAN RAAB

„Ich bin im Südafrika der 70er Jahre geboren“, erzählt die zierliche Sängerin, „und in der Nähe von Kapstadt aufgewachsen. Mitten in der Apartheid, die Bürgerrechtsbewegung von Nelson Mandela war in vollem Gange. Wir hatten die gleichen Themen, mit denen 20 Jahre zuvor die schwarzen Afroamerikaner in den USA zu kämpfen hatten.“ In der Schule war Parks kein Thema, „aber als ich später von ihrer Geschichte erfuhr, hat es mich bestärkt: Egal, wie aussichtslos etwas ist – wenn eine Frau mit dunkler Hautfarbe in den USA der 50er Jahre etwas bewirken konnte, dann kann ich das heute auch. Es gibt Gerechtigkeit, und sie ist es wert, dafür zu kämpfen.“

Schon mit zwölf schrieb Bonita Jeanetta Louw ihre ersten Songs und begleitete sich auf der Gitarre dazu. Mit 18 kam sie als Au-pair nach Deutschland. Und sie blieb: Sie studierte an der Stage School of Music in Hamburg, sang bald in einer Band und einem Gospelchor, trat mit Till Brönner auf und veröffentlichte im Jahr 2000 ihr erstes Album. Der Durchbruch kam, als sie 2003 in der Castingshow SSDSGPS (Stefan sucht den Super-Grand-Prix-Star) hinter Max Mutzke Zweite wurde. Bonita wirkte mit in den Pop-Oratorien „Die zehn Gebote“ und „Luther“ und verkörpert von Januar bis April 2020 die Rosa Parks im Chormusical „Martin Luther King“. „Musik ist sehr, sehr wichtig für mich, ich singe für mein Leben gern und habe mein Hobby zum Beruf gemacht. Mehr noch: Ich fühle mich dazu regelrecht berufen!“, erklärt Bonita Niessen.

SCHNELL WURZELN GESCHLAGEN

Für die 42-Jährige ist die Familie allerdings genauso wichtig wie die Musik: „Als ich vor sieben Jahren Mutter eines Sohnes wurde, hat sich mein Glück verdoppelt! Mama zu sein, ist die schönste und wichtigste Aufgabe, die ich jemals haben werde.“ Doch ihr Glück ist nicht ungetrübt: „Ich wünsche, ich könnte meine südafrikanische Familie öfter sehen und mein Glück mit ihnen teilen. Wir sind überall auf der Welt verstreut und müssen es daher aushalten, uns eher selten zu treffen. Aber ich war schon zweimal mit meinem Sohn und meinem Mann in Südafrika, und meine Mutter ist auch ab und zu hier.“

Bonita in Südafrika, Foto: privat

Bonita in Südafrika, Foto: privat

Welches der beiden Länder ist denn nun ihre Heimat? „Meine Heimat ist nicht ortsgebunden. Heimat ist für mich ein Gefühl, das Gefühl, angekommen zu sein. Und das kann überall sein. Wo ich in meiner Seele Glückseligkeit empfinde, das ist meine Heimat – egal, wo auf der Erde ich gerade bin.“ In Deutschland hat Bonita Niessen schnell Wurzeln geschlagen. „Dass das so gut geklappt hat, liegt daran, dass ich die Sprache relativ früh gelernt und mich sehr für die Kultur interessiert habe. Ich lebe hier seit 23 Jahren, länger als in meiner alten Heimat. Und als ich dann Mutter geworden bin und mein Sohn hier in Deutschland geboren wurde, das war schon ein tiefer Wurzelschlag.“

NICHT ALLES SO ENG SEHEN

Ob sie Rituale oder Traditionen aus der alten Heimat mit nach Deutschland gebracht hat? „Nein, ich kannte nur die kolonialistischen Bräuche, die uns aufgezwungen wurden, Teatime zum Beispiel. Als Teenager habe ich mich davon verabschiedet, weil das ja nicht wirklich afrikanische Rituale sind.“ Sie lacht: „Die habe ich aber auch nicht. Was ich importiert habe, das ist die Mentalität, das Leben zu genießen und nicht alles so eng zu sehen. Jeden Tag mit Freude zu starten und mit Freude zu beenden, egal, welche Umstände man hat.“

Aber: „Wenn ich abends für meine Familie hier in Deutschland koche, versuche ich mich daran zu erinnern, wie meine Eltern das Essen für uns vorbereitet haben. Ich habe einige unschöne Erinnerungen aus meiner Kindheit, aber mit dem Essen habe ich nur positive Assoziationen. Das Sonntagsmahl nach dem Kirchenbesuch war immer ein Fest. Ab und zu fallen mir wieder Rezepte von früher ein, und dann geht’s rund in der Küche!“

IN DIE HAARE GEFASST

Rassismus erlebt sie meist subtil, aber auch schon mal direkt, „angefangen davon, dass ich von wildfremden Menschen ausgefragt oder auf mein Aussehen angesprochen werde. Meine Haare sind oft ein Thema, und im schlimmsten Fall wird in meine Frisur hineingefasst. Oder wenn die Rede ist von ,euch‘ und ,ihr‘, dann weiß ich immer nicht genau, wen die Menschen meinen – wer soll dieses ,ihr‘ sein? Alle dunkelhäutigen Frauen in Deutschland? Es stört mich auch, dass manche immer noch politisch unkorrekte Wörter oder rassistische Bezeichnungen benutzen und das nicht schlimm finden.“

„Gott ist Liebe” ist ein wichtiger Satz für sie. „Alles, was Gott erschaffen hat, wurde nicht nur aus Liebe geschaffen, sondern es ist Liebe. Wer also andere so wie sich selbst liebt, trägt somit das Göttliche in sich und ist Gott nah!“ Sie seufzt: „Eigentlich müsste so vieles anders sein. Noch immer ist der Traum von Rosa Parks und Martin Luther King nicht überall auf der Welt Wahrheit geworden. Dass Menschen in Frieden, ohne Gewalt und ohne Armut und als Gemeinschaft leben können, davon sind wir leider noch sehr weit entfernt, und das macht mich traurig.“

Carmen Möller-Sendler lebt und arbeitet im Ruhrgebiet. Sie ist Diplom-Journalistin und Öffentlichkeitsarbeiterin, Mutter von zwei erwachsenen Töchtern und stolze Oma einer hinreißenden Enkelin.