Ohren auf beim Spielzeugkauf!

Babys und Kleinkinder lieben Spielzeug, das Geräusche macht. Aber Rasseln, Quietsch-Tiere oder Musikinstrumente können schnell Lautstärken von bis zu 100 Dezibel erreichen und das Gehör der Kinder gefährden. Wenn es in diesem Jahr an die Auswahl der Weihnachtsgeschenke geht, sollten Eltern daher genau prüfen, ob ein Spielzeug für Kinderohren geeignet ist oder eine Gefahr für sie darstellt.

Untersuchungen haben gezeigt, dass schon eine Babyrassel nahe am Ohr Lautstärken von über 90 Dezibel erzeugen kann. Das entspricht etwa dem Geräuschpegel in Diskotheken oder dem Schall eines Martinshorns aus zehn Metern Entfernung. Quietsche-Enten oder Trillerpfeifen bringen es in unmittelbarer Ohrnähe sogar auf bis zu 130 Dezibel – so laut ist ein startender Düsenjet oder ein Rockkonzert. Bei einem Schallpegel in dieser Größenordnung liegt auch die Schmerzschwelle des Gehörs, und Hörschäden sind schon bei kurzer Einwirkung möglich. Kinderohren sollten daher grundsätzlich von derartigen Lärmquellen ferngehalten werden.

Wenn es um die Lärmprävention bei den Jüngsten geht, stehen insbesondere Eltern und Großeltern in der Verantwortung. Sie sollten die Ohren der Kleinen nicht unbedarft belasten und ein Bewusstsein für die Gefahren von Lärm vermitteln. Bei der Auswahl geeigneter Spielzeuge sollte zudem genau darauf geachtet werden, welche hohen Lautstärken sie erzeugen. Nicht zu empfehlen sind etwa Spielsachen mit dem Warnhinweis „von den Ohren fernhalten“.

Auch unterschiedliche Prüfsiegel decken häufig nicht alle Bereiche einer ausreichenden Produktsicherheit ab. So sind in der für das GS-Zeichen (Geprüfte Sicherheit) zuständigen EU-Spielzeugrichtlinie keine konkreten Grenzwerte für geräuscherzeugende Spielsachen hinterlegt. Verbraucherschützer raten daher, Spielzeuge vor dem Kauf selbst zu prüfen und auszuprobieren oder sich von einem Verkäufer vorführen zu lassen. Dabei gilt: Was schon für Erwachsene zu laut ist, ist es für Kinderohren erst recht, da sie durch ihr geringeres Gehörgangsvolumen erheblich lautere Höreindrücke aufnehmen.

Der Schutz des kindlichen Gehörs ist auch deshalb so wichtig, weil frühkindliche Hörschäden, ob angeboren oder durch äußerliche Einwirkungen erworben, den Spracherwerb und damit die gesamte Entwicklung der Kinder beeinträchtigen. Insbesondere Kleinkinder können sich oft aus eigener Kraft noch nicht dem Lärm entziehen oder sich dazu mitteilen. Auch bei Kindergarten- und Schulkindern bleiben Hörschwächen nicht folgenlos: Schwächere Lernleistungen und Konzentrationsstörungen können daraus resultieren.

Für Fragen zum Lärmschutz oder vorsorgliche Hörtests auch bei Kindern sind die Partner-Akustiker der Fördergemeinschaft Gutes Hören die richtigen Ansprechpartner. Einen Fachbetrieb in der Nähe findet man unter www.fgh-info.de

Quelle: FGH

 

Einmal werden wir noch wach …

Morgen beginnt die Adventszeit. Ich sehe ihr immer mit gemischten Gefühlen entgegen. Einerseits freue ich mich auf gemütlichen Kerzenschein, inspirierende Impulse, Weihnachtsmarktbesuche, besondere Konzerte, Weihnachtsfeiern … Andererseits habe ich Sorge, dass alles viel zu viel wird: Extra-Termine, Geschenke besorgen, Kekse backen, Deko aufhängen, Adventskranz basteln. Und was packe ich in den Adventskalender?

Mir hilft es, im Vorfeld ein paar Entscheidungen zu treffen: Welche Weihnachtsfeiern sind mir wichtig, welche sind nur eine Verpflichtung, auf die ich auch verzichten kann? A propos verzichten: Ursprünglich war die Adventszeit ja Fastenzeit. Das ist für mich eine gute Anregung, ganz bewusst auf Dinge zu verzichten, die zwar eigentlich schön und attraktiv sind, mir aber zu viel Zeit und Aufmerksamkeit stehlen. Deshalb habe ich mich entschieden, in diesem Jahr auf alle Online-Adventskalender zu verzichten. Sowohl auf die, die mir gute Impulse geben wollen als auch auf die, bei denen ich jeden Tag tolle Preise gewinnen kann. Stattdessen habe ich einen schön gestalteten Adventskalender für die Wand und ein Buch, in dem ich jeden Tag zusammen mit meinem Mann lesen möchte.

Und: Einen Adventskalender für die Kinder habe ich dieses Jahr nicht gebastelt, sondern einen gekauft, den ich nur befüllen muss. – Oh, das sollte ich heute noch machen. Morgen ist ja schon der 1. Dezember!

Ich wünsche euch eine segensreiche, mit viel Gutem gefüllte, aber nicht zu volle Adventszeit. Überlegt doch mal, was ihr in dieser Adventszeit „fasten“ wollt, damit ihr die anderen Dinge umso mehr genießen könnt.

Bettina Wendland

Redakteurin Family und FamilyNEXT

 

Advents-Impulse

Adventskalender enthalten immer häufiger keine Schokolade, sondern Geschichten, Anregungen und Impulse. Schokolade oder selbstgebackene Kekse kann man ja dazu essen. Wir stellen euch hier Kalender vor, die uns sehr gut gefallen:

Für Kinder: Lukas, der Stern und die geheimnisvollen Fremden

Das lieben Kids: Bei diesem Adventskalenderbuch müssen die Seiten erst mal aufgetrennt werden. Dann geht es ans (Vor-)Lesen: Die durchgehende Geschichte in – natürlich – 24 Kapiteln handelt von Lukas. Er ist Diener am Hof von König Herodes, wo eines Tages drei Fremde auftauchen und von der Geburt eines Königs berichten. Lukas macht sich mit ihnen auf den Weg. Zu jedem Kapitel der Geschichte gibt es ein Rätsel oder ein Ausmalbild. Geeignet für Kinder ab 6.

https://www.scm-shop.de/lukas-der-stern-und-die-geheimnisvollen-fremden.html

 

Für Wortliebhaber: Sternstunden

Hanna Buiting ist eine Wortkünstlerin. Für diesen Buchkalender – originell gestaltet mit Seiten zum Aufklappen – hat sie 24 Geschichten und Gedanken formuliert, die zum Nachdenken und Nachsinnen einladen.

https://www.spiegelburg-shop.de/produkt/62944/sternstunden-24-impulse-im-advent-adventskalenderbuch/

 

Für Paare: Ehe-Adventskalender

Ein schöner und anregender Adventsbegleiter für Paare: Die edle Dose enthält 24 kreativ gestaltete Karten mit Aufgaben zum Reden, Beten und Tun, zum Beispiel: „Reden: Wenn wir alt sind …“ Oder: „Tun: Verabredet euch vor dem 24.12. mit jemandem, der euch als Paar segnet“.

Der Kalender kann für € 10,- hier bestellt werden: Pastor.Jackisch@kirche-in-buechen.de

 

Für Himmelssucher: 24 Sternstunden

Dieses Büchlein lädt zu einer Entdeckungsreise ein: In ihren 24 Texten möchte Claudia Stangl die Spuren Gottes sichtbar machen und dazu motivieren, neue Wege zu gehen.

https://www.neufeld-verlag.de/de/24-sternstunden-fuer-himmelssucher.html

 

Für Kreative: Dezembertage

Nicht 24, sondern gleich 31 Tage deckt dieses Buch ab. Für jeden Tag gibt es inspirierende Gedanken mit Bezug zu einem Bibeltext sowie kreative Ideen zum Umsetzen. Neben Rezepten zum Kochen und Backen findet man Anleitungen für Adventsdeko und Anregungen für die Gestaltung der Adventszeit.

https://www.scm-shop.de/dezembertage.html?sqid=846526

 

Für die Wand: Leuchttage

Dieser wunderschöne Kalender ist selbst schon Adventsdeko genug. Vom 1. Dezember bis zum 6. Januar bietet er aber nicht nur abwechlsungsreich gestaltete Kalenderseiten, sondern anregende Gedanken und Geschichten, Bastelideen, Ausmalbilder, originelle Rezepte, Gestaltungsideen für Familien … Ein echter Hingucker!

https://www.gerth.de/index.php?id=details&sku=835176

 

Ausnahmezustand

Der Film „Elternschule“ hat für heftige Diskussionen gesorgt. Bei Eltern und Fachleuten gibt es sehr viel Kritik – zum einen am Film selbst, zum anderen an der dort gezeigten Therapie in einer Gelsenkirchener Klinik. Der Versuch einer Einschätzung von Bettina Wendland

Es fängt schon mit dem Titel an: „Elternschule“ suggeriert, es gehe hier um Anregungen für Eltern, wie sie den Familienalltag und die Beziehung zu den Kindern gut auf die Reihe bekommen. Aber um den normalen Familienalltag geht es nicht in diesem Film. Hier werden Eltern gezeigt, die sich in einer Ausnahmesituation befinden. Die mit dem Rücken zur Wand stehen. Die das Kind in ein Heim geben wollen, „wenn es hier nicht klappt“. Es geht um Kinder, die 14 Stunden am Tag schreien. Die nichts oder fast nichts essen. Die äußerst aggressiv sind. Mit einer normalen, durchaus stressigen Familiensituation hat das kaum etwas gemein. Und Tipps für eine gute Erziehung sollte man lieber woanders suchen.

Momentaufnahmen

Das einzig Gute an dem Titel des Films ist, dass er klar macht, dass es in dieser Klinik wohl nicht darum geht, nur die Kinder zu therapieren. Aber was konkret an Interaktion mit den Eltern gezeigt wird, beschränkt sich auf Lehrstunden über pädagogische und psychologische Zusammenhänge (die durchaus gute Informationen bieten) und kurze Gespräche mit Psychologen. Wie vieles andere auch bleibt in diesem Film im Dunkeln, wie genau die Therapie für die Eltern aussieht. Der Film erweckt den Eindruck, dass vor allem die Kinder lernen müssen: essen, schlafen, sich von den Eltern trennen.

Dieses Lernen geschieht in Trainings, bei denen wohl alle im Kino an irgendeiner Stelle schlucken müssen. Zum Beispiel beim Schlaflernprogramm auf die harte Tour: Nicht mal die Eltern dürfen rein, um das Kind zu trösten, sondern nur die Schwester. Es mag vielleicht Gründe für diese Art des Trainings geben (siehe das Interview mit Prof. Dr. Silvia Schneider weiter unten), sie werden aber unzureichend erklärt.

Und das ist meine Hauptkritik an diesem Film. Er bietet zu wenig Hintergrundinfos. Er zeigt Momentaufnahmen, erklärt aber nicht, wie genau die Therapie denn nun abläuft. Ich vermute, dass die Therapie viel individueller und in deutlich mehr kleinen Schritten verläuft, als dies im Film deutlich wird. Dass die Eltern stärker im Fokus stehen. Dass die Bindung und die Nähe von Eltern und Kindern eine größere Rolle einnehmen. Zumindest hoffe ich das.

Wissenschaftlich vertretbar?

Die Frage bleibt, ob die Therapie, wie sie in dieser Klinik stattfindet, gut und angemessen ist. Ob hier nicht Gewalt ausgeübt wird gegen Kinder – sowohl die Staatsanwaltschaft als auch das NRW-Gesundheitsministerium prüfen das gerade. Ob die Therapie den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen entspricht. Hier scheiden sich die Experten. So distanziert sich die Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie deutlich nicht nur von dem Film selbst, sondern auch von der angewandten Therapie: „Die in dem Film dargestellten Behandlungsmethoden zum Üben von Trennungssituationen und zur Schlafanbahnung (…) sind so hingegen weder wissenschaftlich evaluiert noch vertretbar.“ Dagegen stellt sich die Interessengruppe Klinische Kinder- und Jugendpsychologie und Psychotherapie der Deutschen Gesellschaft für Psychologie hinter die Klinik und betont: „Das Behandlungskonzept der Klinik folgt den aktuellen wissenschaftlichen Leitlinien der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF).“

Als Laie frage ich mich: Wer hat Recht? Deshalb habe ich zwei Fachleute um ihre Einschätzung gebeten. Auch diese Einschätzung fällt sehr unterschiedlich aus – nachzulesen in den beiden Interviews mit Daniela Albert und Silvia Schneider weiter unten.

Was den Film selbst angeht, ist für mich klar: Er wird dem Thema nicht gerecht. Nicht dem Thema „Erziehung“ und auch nicht dem Thema „Therapie“. Es ist für mich auch ein No-Go, die Kinder in diesen Therapiesituationen öffentlich zu zeigen. Sicher hat man die Eltern um Erlaubnis gefragt. Aber können Eltern, die in solch einer Ausnahmesituation stecken, das wirklich fundiert entscheiden? Sind sie sich bewusst, welche Folgen das für sie und ihre Kinder haben kann?

Sanftere Therapieformen

Was die Bewertung der Therapie angeht, bin ich unsicher. Ja, es sieht furchtbar aus. Aber ich kann es nicht abtun, wenn mir eine erfahrene Erziehungsberaterin erklärt, dass es nicht ohne eine solche oder ähnliche Therapie gehe, wenn die Situation so eskaliert ist. Bei körperlichen Erkrankungen gebe es ja auch Eingriffe, die man als Gewalt empfinden kann – man denke nur ans Blutabnehmen …

Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass es keine anderen, besseren, sanfteren Therapieformen gibt. In einem Interview mit dem Deutschlandfunk betont Karl Heinz Brisch, der eine Kinderklinik in München leitet: „Es gibt genügend bindungsorientierte, feinfühlige Methoden, Kinder mit solchen auch chronischen Störungen sehr erfolgreich zu behandeln.“

Eine Schlüsselszene in dem Film ist für mich, als eine Psychologin einer Mutter erklärt, sie habe ja wohl bisher den Grundsatz befolgt: „Wenn es dem Kind gut geht, geht es den Eltern gut.“ Nun müsse sie lernen, dass es genau umgekehrt ist: „Wenn es den Eltern gut geht, geht es dem Kind gut.“ Ich kenne diese beiden Sätze auch aus meinem Umfeld. Beide werden gern zitiert. Und beide sind wahr. Aber nur in einer gesunden Balance. Wenn ich nur einen dieser Grundsätze befolge, bin ich schnell in einer Falle. In der Falle der Überforderung. Oder in der Falle des Egoismus, der Vernachlässigung.

Ich bin davon überzeugt, dass es wichtig ist, die Bedürfnisse von Kindern und Eltern ernst zu nehmen und in eine Balance zu bekommen. Und sich Hilfe zu holen, wenn das nicht gelingt. Das ist es, was man Eltern zeigen sollte. Gern auch in einem gut gemachten Film.

Bettina Wendland ist Redakteurin bei Family und FamilyNEXT. Sie lebt mit ihrer Familie in Bochum.

 

„Den Kreislauf durchbrechen“

Prof. Dr. Silvia Schneider befürwortet die Therapie, die im Film „Elternschule“ dokumentiert wird.

Was finden Sie gut und hilfreich an dem Film?

Ich finde wichtig, dass das Thema der Regulationsstörungen – also frühes, starkes Schreien, Schlafprobleme, Fütterprobleme – in die Öffentlichkeit gerät. Es ist kaum bekannt, dass diese Störungen ein Schrittmacher für psychische Störungen im späteren Leben sind. Natürlich provoziert der Film im Hinblick auf Fragen wie: Was heißt Erziehung? Was heißt Grenzsetzung in der Erziehung? Aber wir merken im klinischen Alltag, dass sich Eltern mit diesem Thema sehr schwer tun: Wie viel Grenzen darf ich setzen? Da sind viele Eltern sehr verunsichert. Allerdings überfordert der Film hier auch die Eltern, weil nicht klar gemacht wird, wann wo welche Grenze zu setzen ist. Außerdem kommt in dem Film vermutlich zu kurz, dass Grenzen setzen nur die eine Seite einer guten Erziehung ist. Die andere Seite ist die emotionale Zuwendung, dass dem Kind Wertschätzung und Liebe gezeigt werden. Es wird nicht deutlich, dass es ein wichtiger Bestandteil des Behandlungskonzeptes ist, dafür zu sorgen, dass wieder positive Interaktionen zwischen Eltern und Kind stattfinden. Man hätte das Konzept und den Kontext mehr ausarbeiten und klarer machen können, um welche Störungsbilder es sich handelt, was typischerweise das Problem bei diesen Störungsbildern ist und warum man jetzt das tut, was getan werden muss.

Entspricht die Therapie, wie sie in Gelsenkirchen durchgeführt wird, den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen?

Was dort gezeigt wird, sind Therapien, die evidenzbasiert, also überprüft sind. Letztendlich geht es darum, den Kreislauf, der bisher etabliert war – bei dem Schreikind oder bei dem Kind, das sich nicht trennen kann – zu durchbrechen. Mutter und Kind haben über lange Zeit gelernt, dass der einzige Weg, mit Trennung umzugehen, der ist, sich nicht zu trennen. Das Kind ist zum Beispiel nicht in der Lage, den Kindergarten aufzusuchen oder abends allein einzuschlafen. Es wird eine Spirale in Gang gesetzt, wo die Mutter und auch das Kind nur noch Misserfolgserlebnisse haben. Sie gehen der Situation aus dem Weg, indem zum Beispiel in der Schlafsituation die Mutter oder der Vater beim Kind bleiben, bis es eingeschlafen ist. Hierdurch wird das Kind jedoch behindert, Selbstregulation zu erlernen, also von einem erregten Zustand sich alleine wieder herunter zu regulieren. In der Klinik wird versucht, diesen Teufelskreis aufzulösen, indem Mutter und Kind diesen Schritt erlernen. Es ist nicht nur das Kind, das lernt, sondern auch die Mutter, die lernen soll, dass es möglich ist, dass das Kind das allein macht.

Warum muss sich denn ein zweijähriges Kind unbedingt von der Mutter trennen? Warum muss es im eigenen Bett schlafen?

Von den Kompetenzen her ist ein Kind mit zwei Jahren in der Lage, allein zu schlafen. Das heißt nicht, dass es das auch tun muss. Das ist letztendlich eine Entscheidung der Eltern. Aber in  Familien, in denen Schlafsituationen oder Füttersituationen so eskalieren und es zu Regulationsstörungen beim Kind kommt, müssen wir helfen. Wir wissen, dass es in diesen Familien auch zu Gewaltanwendungen kommen kann, weil alle im System völlig erschöpft sind und keinen Weg raus aus der Eskalation wissen. Da müssen wir eingreifen.

Aber muss das mit so einer „rabiaten“ Therapie geschehen?

Ja, kurzfristig ist die Behandlung für Eltern und Kind anstrengend und herausfordernd, mittelfristig und vor allem langfristig führt sie jedoch dazu, dass wieder Ruhe in das Familiensystem kommt und Eltern und Kind wieder positiv miteinander agieren. In der Regel versucht man zunächst ambulant, mit den Eltern Strategien zu entwickeln, wie sie das Kind schrittweise an eine Trennungssituation heranführen können. Das hat bei diesen Familien vermutlich nicht funktioniert, sonst wären sie nicht in dieser Station angekommen. Natürlich ist die hautnahe Beobachtung dieser Behandlungsschritte belastend – Babyschreien, Weinen von Kleinkindern ist ein enormer Stressor. Aber Selbstregulation zu erlernen, ist einer der wichtigen ersten Entwicklungsschritte für Kinder. Es ist auch ein erster Schritt in Richtung Autonomie. Manche Kinder lernen das relativ leicht. Aber andere Kinder tun sich da sehr schwer. Und wenn die Mutter selbst sehr unsicher ist und immer wieder die Schritte zurücknimmt, die sie vielleicht schon erreicht hat, entsteht eine ungünstige Konstellation für Mutter und Kind. Dann braucht es manchmal diese Trainings.

Besteht nicht die Gefahr, dass durch ein solches Training die Eltern-Kind-Bindung leidet? Oder dass das Kind „gebrochen“ wird?

Es gibt Langzeitstudien, die untersucht haben, ob diese Trainings zu einer unsicheren Bindung des Kindes führen. Das ist nicht der Fall. Und was heißt das, dass ein Kind gebrochen wird? Ist ein gebrochenes Kind ein Kind, das keinen Selbstwert und keine Autonomie entwickelt und daraufhin mehr psychische Störungen entwickelt? Das ist hier definitiv nicht der Fall. Im Gegenteil: Wenn diese Regulationsstörungen nicht behandelt werden, haben diese Kinder ein erhöhtes Risiko, schon früh ADHS oder Angststörungen zu entwickeln. Sich gesund zu entwickeln, heißt, dass Kinder auch durch Phasen von Frustration oder durch schwierige Situationen durchgehen müssen. Wenn ich als Elternteil zu viel Regulation übernehme, ist das zwar gut gemeint, aber wir wissen, dass das nicht nur gut ist. Das Ganze setzt aber immer voraus, dass neben der Seite der Grenzsetzung auch die Zuwendungsseite funktioniert: positive Spielzeiten, gemeinsam lachen, was Schönes tun, kuscheln.

Prof. Dr. Silvia Schneider leitet den Lehrstuhl Klinische Kinder- und Jugendpsychologie an der Ruhr-Universität Bochum und ist Direktorin des Forschungs- und Behandlungszentrum für psychische Gesundheit (FBZ). Interview: Bettina Wendland

 

„Alleinsein bedeutet Gefahr“

Die Erziehungswissenschaftlerin und Familienberaterin Daniela Albert kritisiert die „radikalen verhaltenstherapeutischen Methoden“ der Gelsenkirchener Klinik.

Was ist Ihre Hauptkritik an dem Film?

Ich ärgere mich besonders darüber, dass dieser Film am Anfang als Film über Erziehung vermarktet wurde. Dies geschah unter anderem durch ein Zitat aus der Süddeutschen Zeitung, der das Filmplakat ziert: „Für jeden, der selbst Kinder hat, ist der Film ein Muss.“ Auch die Filmemacher schreiben auf ihrer Seite, dass es ein Film über die Frage sei, wie man richtig mit Kindern umgehen könne. In Kombination mit dem eher negativen Bild von Kindern, das im Film immer wieder transportiert wird, finde ich es sehr besorgniserregend, so etwas zu suggerieren.

Sie sprechen in Ihrer Rezension des Films von „sehr radikalen verhaltenstherapeutischen Methoden“. Würden Sie Verhaltenstherapie in diesem Setting grundsätzlich ablehnen oder müsste nur die Umsetzung eine andere sein?

Nein, es geht nicht darum, die Verhaltenstherapie grundsätzlich zu kritisieren. Sie ist oft Teil von ambulanter und klinischer Arbeit mit Kindern und Jugendlichen – wobei man bei verhaltenstherapeutischen Maßnahmen auch immer das Alter der Kinder im Blick haben muss. Gerade im Fall von Klein- und Kindergartenkindern muss es aber primär um die Eltern gehen, weniger um die Kinder selbst.

In einem Interview mit der ZEIT erklärt Dietmar Langer, leitender Therapeut der Gelsenkirchener Klinik, der Film zeige nicht „die therapeutische Arbeit mit den Eltern, die intensive psychologische Arbeit an den Ursachen und traumatischen Erfahrungen“. Wenn man das berücksichtigt, erscheint für Sie die im Film dargestellte Therapie dann in einem anderen Licht?

Nein! Schlaftraining, Trennungstraining und auch Essenstraining, wie es im Film gezeigt wurde, werden zu Recht stark kritisiert. Nehmen wir als Beispiel das Schlaftraining: Die Vorstellungen von kindlichem Schlaf und die Erwartung, dass ein Baby durchschläft, entsprechen nicht dem „normalen“ Babyschlaf. Auch wir Erwachsene schlafen nachts nicht durch, wir bemerken es nur meist gar nicht. Bei Babys oder Kleinkindern meldet sich jedoch dann ein inneres Alarmsystem. Für sie bedeutet das Alleinsein in einem dunklen Raum und die Trennung von ihrer primären Bindungsperson Gefahr. Deshalb senden sie beispielsweise durch Weinen ein Signal. Wenn sie das nach einem Schlaftraining nicht mehr tun, liegt es nicht daran, dass sie plötzlich verstanden haben, dass sie in Sicherheit sind. Viel mehr merken sie, dass ihre Hilfeschreie nicht beantwortet werden und äußern ihre Not nicht mehr.

Was wäre Ihrer Meinung nach eine bessere Therapie oder Hilfsmöglichkeit für die Familien, die in dem Film dargestellt werden?

Wichtiger als die theoretischen Ansätze finde ich die Haltung der im therapeutischen Setting tätigen Personen. Diese sollten einen liebevollen und wertschätzenden Blick auf die Familien und speziell auf die Kinder haben. Daneben sollte es immer um die Stärkung der Eltern-Kind-Bindung gehen. Gute Ansätze auch für bindungsorientierte Therapie im klinischen Bereich gibt es in Deutschland vor allem durch Karl Heinz Brisch in München. Für den ambulanten beratenden Sektor stehen unter anderem Katia Saalfrank mit ihrem Ausbildungsgang in bindungs- und beziehungsorientierter Eltern- und Familienberatung, aber mittlerweile auch viele andere Berater und Therapeuten.

Daniela Albert ist Erziehungswissenschaftlerin und Eltern- und Familienberaterin. Sie lebt mit ihrem Mann und ihren drei Kindern in Kaufungen bei Kassel, Kontakt: familienberatung-albert.de. Ihre Film-Rezension findet man auf ihrem Blog www.eltern-familie.de. Interview: Bettina Wendland

 

„Kinder haben ein Recht auf eigene Gottesbilder“

Am letzten Wochenende war ich bei einem Fachtag zum Kinderschutz. Er stand unter dem Motto „Kindern auf Augenhöhe begegnen“. Im Wesentlichen ging es um Kinderschutz in der Gemeinde, speziell auch in der Kinder- und Jugendarbeit, aber auch für Eltern gab es viele wertvolle Impulse. Denn Kinderschutz geschieht nicht nur, indem eine Gemeinde Schutzmaßnahmen ergreift und Schulungen abhält, sondern vor allem, wenn Kinder die Chance haben, sich zu starken Persönlichkeiten zu entwickeln.

Torsten Hebel, Leiter und Gründer der blu:boks in Berlin, die mit Kindern und Jugendlichen aus sozial benachteiligten Gebieten arbeitet, betonte in seinem Vortrag zu Beginn des Fachtags, wie wichtig es ist, was Kindern in der Gemeinde und auch zu Hause bezüglich Gott und Glaube vermittelt wird. „Wir stellen uns ja nicht vor unsere Kinder und sagen: ‚Also so ganz grundsätzlich gesehen bist du scheiße'“, formulierte er sehr plakativ. Ähnliches geschehe aber nicht selten bei der Glaubensvermittlung, wenn den Kindern gesagt werde, dass der Mensch grundsätzlich sündhaft und böse sei. „Theologisch ist es richtig zu sagen: ‚Wir sind Sünder‘, aber das hat nichts bei den Kindern verloren“, betonte Torsten Hebel. „Das Kind braucht bedingungslose Zuwendung: ‚Du bist geliebt, egal wer und wie du bist!‘ Wir dürfen kein defizitäres Bild vom Kind haben.“ Aufgabe von Eltern und Mitarbeitenden sei es, Kindern liebevoll, wertschätzend und auf Augenhöhe zu begegnen.

Am Nachmittag wurden zahlreiche Workshops angeboten, um die verschiedenen Aspekte des Themas Kinderschutz zu vertiefen. Es ging um Kinderschutzkonzepte, um den Umgang mit Kindeswohlgefährdung und Missbrauchserfahrungen und um Schritte zu einer sicheren Gemeinde. In weiteren Workshops tauschten sich Eltern und Mitarbeitende über Erziehungsfragen aus oder bekamen Einblick in Konzepte der Arbeit mit Kindern.

In einem Workshop von Bastian Erdmann, Landesjugendpastor im Gemeindejugendwerk Norddeutschland, ging es um die Frage, wie Kinder Gott anschauen und wie sich Gottesbilder verändern. „Theologie mit Kindern bedeutet nicht, ihnen meine Wahrheit zu vermitteln“, betonte Erdmann. „Kinder haben ein Recht auf eigene Gottesbilder.“ Dabei definierte er ein Gottesbild als eine persönliche theologische Momentaufnahme – im Gegensatz zu einem festen Konstrukt, auf das sich das Bilderverbot in der Bibel beziehe. Anhand konkreter Beispiele zeigte Bastian Erdmann, wie sich das Gottesbild von Kindern in den verschiedenen Entwicklungsphasen verändert. „Auch Erwachsene müssen ihre Gottesbilder an ihre jeweilige Lebenssituation anpassen“, forderte er.

Ein weiterer Workshop trug den schönen Titel „Fröhlich und gelassen als Eltern scheitern“. Dagmar Lohan, Referentin im Fachbereich Familie und Generationen des Bundes Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden, lud die TeilnehmerInnen dazu ein, sich unter anderem darüber auszutauschen, wie Eltern Ermutigung erfahren. Dabei wurde deutlich, dass das Eingeständnis des eigenen Scheiterns für andere Eltern sehr ermutigend sein kann. Gerade in einer Zeit, in der immer höhere Ansprüche an Eltern gestellt werden – von der Umwelt ebenso wie von sich selbst. „Erziehung ist anstrengender geworden, weil sie von anderen bewertet wird“, erläuterte Dagmar Lohan. Die Elternschaft sei zu einem besonderen Projekt geworden, das gelingen müsse. Hilfe und Ermutigung gebe es für Eltern auch in der Bibel. Dort werde häufig von Menschen erzählt, die mit Gott unterwegs waren, aber trotzdem scheiterten. Die Bibel habe kein Interesse daran, ein ideales Bild von Familie zu beschreiben. Sie beschreibt, was war. Deshalb gebe es in der Bibel auch kaum etwas zu Erziehungsfragen. Aber es gebe durchaus grundlegende Gedanken, die sich auch auf die Erziehung und das Familienleben beziehen lassen. Beispielsweise, dass jeder Mensch einzigartig sei. Dass kein Mensch allein sein soll. Dass alle Menschen gleich sind. Dass Menschen – auch Eltern – aus der Gnade leben. Und dass sich Menschen – und damit auch Eltern und Kinder – gegenseitig Respekt erweisen sollen.

Am Ende des Tages waren wohl alle Besucher des Fachtags angefüllt mit vielen guten, oft auch herausfordernden Gedanken. Bei der Abschlussveranstaltung kamen Jason Querner und Andreas Schlüter zu Wort, die sich in ihrem jeweiligen Gemeindebund für das Thema „Sichere Gemeinde“ stark machen. Beide waren sich einig, dass in diesem Bereich noch viel zu tun sei. Viele Gemeinden hätten sich noch nicht mit Fragen des Kinderschutzes beschäftigt, manche seien auch gar nicht bereit dazu – aus Sorge, dass etwas ans Licht kommen könne, das man lieber nicht sehen wolle. Hier sind wir Eltern gefragt: Wir sollten uns dafür einsetzen, dass sich unsere Kirchengemeinde mit dieser Thematik auseinandersetzt – auch wenn sie durchaus unbequem ist!

Bettina Wendland, Redakteurin bei Family und FamilyNEXT

Der Fachtag zum Kinderschutz war eine gemeinsame Veranstaltung des Fachkreises „Sichere Gemeinde“ im Gemeindejugendwerk des Bundes Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden, der FeG Junge Generation im Bund Freier evangelischer Gemeinden und des Kinder- und Jugendwerks der Evangelisch-methodistischen Kirche Süd. Er fand in Bochum statt.

„Die können ja nicht mit Geld umgehen“

Neulich beim Friseur. Ein Mann Ende 30 unterhält sich mit der Friseurin über seine 12-jährige Tochter. Sie kommen aufs Thema Taschengeld. „Nein, Taschengeld bekommt sie nicht. Sie kriegt ja von uns alles, was sie möchte“, erklärt der Vater. „Aber ich habe ein Sparkonto für sie angelegt“, fügt er fast entschuldigend hinzu. Vielleicht hat er Sorge, sonst als Rabenvater dazustehen? Die Friseurin fragt nach: „Und wann bekommt sie das Geld?“ Der Vater erklärt: „Wenn sie mit der Schule fertig ist. Die jungen Leute können ja nicht mit Geld umgehen. Und wenn sie dann eine eigene Wohnung hat und ein Auto, dann kann sie das bestimmt gut gebrauchen …“

Mir fällt fast die Brigitte aus der Hand. Habe ich richtig gehört? Wie soll denn das Mädchen lernen, mit Geld umzugehen, wenn sie immer alles bekommt? Wenn sie kein eigenes Geld hat, mit dem sie üben kann? Und wie geht es weiter, wenn das Geld von Papas Sparkonto aufgebraucht ist? Wie sollen unsere Kinder zu selbstständigen Erwachsenen werden, wenn wir Eltern ihnen alles abnehmen? Wenn wir ihnen nichts zutrauen?

Das ist nicht nur beim Umgang mit Geld so. Das gilt auch fürs Kochen, fürs Taschepacken, fürs An-Sachen-Denken, fürs Termine-Planen. Da ist bei mir sicher auch noch Luft nach oben. Von daher war dieses mitgehörte Gespräch beim Friseur ein guter Impuls für mich. Und vielleicht ja auch für euch!

Bettina Wendland

Redakteurin Family/FamilyNEXT

„Es genügt, dass man da ist“

Im Schweden-Urlaub habe ich passenderweise das neue Buch des schwedischen Autors Tomas Sjödin gelesen: „Es gibt so viel, was man nicht muss“. Schon den Titel finde ich sehr ansprechend. Und das Buch hält, was der Titel verspricht. Es besteht aus Kolumnen, die Sjödin in den letzten Jahren für verschiedene schwedische Zeitungen geschrieben hat. Diese Texte enthalten viele wertvolle Impulse. Meine Lieblingskolumne möchte ich gern mit euch teilen (danke an den Verlag SCM R. Brockhaus, der den Nachdruck genehmigt hat):

Das Schaffen-Müssen sein lassen

Ich treffe immer mehr Menschen, die von sich behaupten, dass sie den Anforderungen, die an sie gestellt werden, nicht genügen. Nicht als Eltern, nicht als Partner, weder zu Hause noch im Beruf. Und vor allem nicht gleichzeitig zu Hause und im Beruf. Wenn es an der einen Stelle funktioniert, dann ist an der anderen Not am Mann, und beim tiefen Ausatmen kommt der Seufzer: „Ich schaff’s einfach nicht.“ Die Frage muss also heißen: Wer hat uns den Gedanken eingepflanzt, dass wir „es schaffen“ müssen? Und wer hat überhaupt festgelegt und normiert, was „schaffen“ und „genügen“ heißt?

Neulich begegnete mir ein Text, der mir klargemacht hat, dass das Problem keineswegs neu ist, sondern sich bereits in einer Quelle beschrieben findet, die fast 3000 Jahre alt ist – im Buch des Propheten Jesaja. Der Prophet beschreibt das Gefühl, nicht zu genügen, so: „Das Bett ist zu kurz, um sich darin auszustrecken, die Decke zu knapp, um sich damit zuzudecken“ (Jesaja 28,29). Ein sehr sprechender Beweis dafür, dass der Mensch sich über die Jahrtausende wenig verändert und schon immer mit den eigenen Ansprüchen und denen der anderen herumgeschlagen hat.

Wer schon einmal versucht hat, trotz einer zu kurzen Bettdecke einzuschlafen, weiß, was der fröstelnde Prophet meinte. Wenn man es sich gemütlich macht und die Decke über die Schultern zieht, ragen die Zehen unbedeckt in die kalte Luft des Schlafzimmers. Wenn man sie bedeckt, friert man bis zur Brust.

Kann es sein, dass das eine menschliche Grundbefindlichkeit ist: Immer fehlt etwas? Und dass eine Idee dahintersteckt: dass wir uns nämlich zusammentun sollen, uns nicht mit den eigenen Ressourcen zufriedengeben und uns weigern, das Dasein auf die innerweltlichen Dinge zu begrenzen?

Wenn man erkennt, dass man es alleine nicht schafft, öffnet man sein Leben für die helfenden Kräfte, die verfügbar sind. Die Situationen, in denen mein Leben eine neue und unerwartete Wendung genommen hat, waren selten die, in denen ich mich zusammengerissen und es noch einmal versucht habe, sondern solche, in denen ich aufgehört habe, mich zusammenzureißen, die Zügel aus der Hand gegeben und Hilfe angenommen habe. Hilfe von Gott und von Menschen.

Es gibt ein Wort mit nur fünf Buchstaben, das diese Erfahrung beschreibt: Gnade. Gnade ist das, was die Decke verlängert, sodass man sich in seiner vollen Länge ausstrecken kann, ohne kalte Füße zu bekommen.

In der letzten Woche las ich über den Mathematiker und Physiker Blaise Pascal und wie er seine zentrale geistliche Erkenntnis in dem zusammenfasste, was seitdem Pascals „Mémorial“ heißt: in einer Sammlung von Glaubenssätzen. Ich will mich nicht mit Pascal vergleichen, aber noch am selben Tag habe ich mich hingesetzt und „Sjödins Glaubenssätze“ formuliert. Falls sie außer mir selbst auch jemand anderem von Nutzen sein sollten, würde mich das sehr freuen. Sie lauten wie folgt – und gelernt habe ich sie von meinen kranken Söhnen: „Man muss nicht genügen. Es genügt, dass man da ist. Alles, was darüber hinausgeht, ist ein Bonus.“

 

Wenn ihr gern mehr über Autor und Buch wissen wollt, schaut mal hier rein: https://www.scm-brockhaus.de/aktuelles/portraits/tomas-sjodin

Bettina Wendland, Redakteurin bei Family und FamilyNEXT

Loslassen!

Ängste, Sorgen, Träume, das Bild von mir selbst und natürlich die Kinder: Wie wir das alles loslassen können, damit beschäftigen wir uns gerade intensiv in der Redaktion. Denn „Loslassen“ ist das Dossier-Thema der nächsten Ausgabe von Family und FamilyNEXT.

„Wenn man loslässt, findet man Freiheit“, schreibt Priska Lachmann zum Beispiel. Und Roswitha Wurm sagt in ihrem Artikel über das Loslassen von Lebensträumen: „Jedes ‚Hätte ich doch‘ wirft uns zurück in ein Leben, das nicht mehr zu unserem Heute gehört.“ Spannende Gedanken, die dazu anregen, eine Standortbestimmung zu machen: Wann ist Loslassen angesagt? Und wann ist Festhalten dran?

Das ist ja auch immer wieder die Frage in Bezug auf unsere Kinder. Wir müssen sie ganz oft festhalten, ihnen Halt geben. Aber wir dürfen den Moment nicht verpassen, wenn das Loslassen wichtig wird. In schöne Wort hat das Mariana Leky in ihrem Roman „Was man von hier aus sehen kann“ gefasst:

Selma und der Optiker hatten uns das Fahrradfahren beigebracht. Der Optiker hielt Martins Gepäckträger fest, Selma meinen. „Wir lassen nicht los“, sagten sie. Und irgendwann: „Wir lassen jetzt los!“ Und Martin und ich fuhren, erst wackelig und dann immer sicherer.

 

Bettina Wendland, Redakteurin Family und FamilyNEXT

Entspannt auf Noten reagieren

Für die meisten Kinder gehören Noten genauso zum Schulalltag wie Stifte oder Hausaufgaben. Doch während die einen freudig gespannt auf die Ergebnisse sind, mögen andere gar nicht daran denken. Wie geht man als Elternteil am besten mit der Leistungsbewertung seiner Kinder um? Und was sagen Noten eigentlich wirklich über den Wissenstand eines Schülers aus?

Wie gehe ich mit den Noten und dem Zeugnis meines Kindes am besten um?

Noten sind in jedem Haushalt ein heikles Thema. Nicht immer ist es leicht, so zu reagieren, wie man es als Eltern gerne möchte. Da hilft zu allererst, euch und vor allem eurem Kind zu vermitteln, dass Noten nicht alles sind. Sie können nie das abbilden, was euer Kind alles kann, sind immer nur ein kleiner Ausschnitt und zeigen auch nicht immer unbedingt den faktischen Wissensstand eurer Kinder. Denn nach einer verkorksten Klassenarbeit kann es ja sein, dass euer Kind den Stoff noch einmal geübt und am Ende verstanden hat. Die Note bleibt aber trotzdem bestehen.

Trotzdem sind Noten  – wenn sie gut ausfallen – die ersten Erfolgserlebnisse, die Kinder bewusst wahrnehmen. Denen deshalb auch Zusätze wie „Aber bitte nicht auf den Lorbeeren ausruhen“ oder „Geht doch“ sehr weh tun. Bringt euren Kindern bei, dass sie stolz auf sich sein dürfen. Besonders, wenn sie sich dafür angestrengt haben. Deshalb freuen sich eure Kinder über direktes Lob und Anerkennung. Bei einem guten Zeugnis ist deshalb auch etwas „Größeres“, wie ein gemeinsamen Ausflug oder ein kleines Geschenk, vollkommen in Ordnung – aber kein Muss.

Selbst bei guten Noten ist also schon ein bisschen Fingerspitzengefühl gefragt, damit das Selbstbewusstsein nicht angekratzt wird. Noch herausfordernder wird es, wenn die Bewertungen nicht so ausfallen, wie euer Kind und/oder ihr es euch erwartet habt. Hier deshalb einige Anregungen für den Umgang mit schlechten Noten:

  • Nehmt euren Kindern von Anfang an die Angst vor schlechten Noten und zeigt eurem Kind deutlich, dass Noten nicht alles sind
  • Koppelt deshalb eure Liebe nicht an gute Noten, indem ihr nur bei bestimmten Leistungen lobt – Lob ist vor allem dann hilfreich, wenn es als Reaktion auf eine Anstrengung erfolgt, damit euer Kind versteht, dass Erfolg erarbeitet werden kann
  • Setzt euch und eure Kinder nicht unter Druck, Stress blockiert nur zusätzlich
  • Hinterfragt die Ursachen der schlechten Noten und arbeitet gemeinsam an deren Lösung
  • Setzt realistische Ziele, an denen sich eure Kinder orientieren können
  • Gönnt euren Kindern Auszeiten vom Lernen, gerade in den Ferien

Mehr Tipps und Anregungen zum Umgang mit Noten und Zeugnissen könnt ihr in der zweiten Folge des scoyo-Podcasts #scoyolo hören: Podcastfolge 2: „Richtig auf Noten und Zeugnisse reagieren“

Das etwas andere Zeugnis

Eine der wichtigsten Grundlagen für Lernerfolg ist Selbstbewusstsein. Noten stärken das nicht immer. Deshalb ist der Zeugnistag selbst bei überwiegend guten Noten kein unbedingt positives Erlebnis für Kinder. Jeder fragt, wie das Zeugnis ausgefallen ist und nicht alle Angehörigen realisieren, was ein Kommentar über eine vermeintlich weniger gute Note im Kind auslösen kann.

Eine kleine Anregung, wie ihr das Selbstbewusstsein parallel zum Zeugnistag festigen könnt – ganz unabhängig wie gut oder schlecht die Noten dieses Mal ausgefallen sind – ist ein alternatives Zeugnis, in dem ihr eurem Kind sagt, was euch abseits von den schulischen Leistungen stolz macht. Weil euer Kind vielleicht besonders hilfsbereit, empathisch oder optimistisch ist. Oder ganz besonders gut Fahrradfahren, Schwimmen oder Flöte spielen kann. Denn der Wert eures Kindes bemisst sich nicht im Notenvergleich zu anderen Klassenkameraden. Das sollte Euer Kind auf jeden Fall ganz deutlich spüren. Sie zeichnen sich als Person durch so viel mehr als Noten aus. Eine Vorlage für dieses etwas anderen Zeugnis findet ihr hier.

Ein Gastbeitrag von scoyo

 

Wie bedeutend ist der Marshmallow-Test?

Ist Selbstkontrolle für die Entwicklung von Kindern wirklich so wichtig? Ein Gastkommentar von Peter Schulze:

Der Psychologe Walter Mischel und sein Team boten in den 60er Jahren Kindern im Rahmen eines wissenschaftlichen Experiments Süßigkeiten an und stellten sie dabei vor die Wahl, diese entweder sofort zu essen oder darauf zu verzichten und später eine zweite Süßigkeit zusätzlich als Belohnung zu erhalten. Im Ergebnis warteten einige Kinder mit der Aussicht auf die Belohnung, während andere die Süßigkeit sofort aßen. Interpretiert und veröffentlicht wurden die Ergebnisse mit Blick auf die Fähigkeit, etwas aufschieben zu können und Selbstkontrolle zu üben und dadurch eher langfristige als kurzfristige Ziele zu erreichen. Später wurden diese Kinder nochmals eingeladen, und es stellte sich heraus, dass diejenigen, denen im Experiment die Selbstkontrolle gelungen war, zielstrebiger und erfolgreicher in Schule und Ausbildung waren.

Diese scheinbaren kausalen Zusammenhänge hatten nach der Veröffentlichung Einfluss auf weitere wissenschaftliche Untersuchungen sowie auf pädagogisches Denken und Handeln. Die Bedeutung der Selbstkontrolle hat inzwischen längst in Erziehungsratgebern Einzug gehalten, wird von dem Neurowissenschaftler Joachim Bauer sogar als „eines der bedeutendsten Ziele, zu denen Kinder und Jugendliche hingeführt werden sollten“ bezeichnet. Walter Mischel selbst veröffentlichte 2014 das Buch „The Marshmallow Test: Why Self-Control Is the Engine of Success“, das 2015 unter dem Titel „Der Marshmallow-Test: Willensstärke, Belohnungsaufschub und die Entwicklung der Persönlichkeit“ auf Deutsch erschien.

Im Mai dieses Jahres veröffentlichte der amerikanische Psychologe Tyler Watts mit seinem Team einen Artikel, in dem die Ergebnisse des Marshmallow-Tests in Frage gestellt werden. Anhand einer Studie mit über 600 Teilnehmern zeigen sie auf, dass der Zusammenhang zwischen Selbstkontrolle im Kindesalter und späterem Erfolg maßgeblich von den sozialen Hintergründen der Eltern und weniger als vermutet von der Fähigkeit zur Selbstkontrolle bestimmt ist. Mischel und sein Team hatten in ihren Untersuchungen verhältnismäßig kleine Stichproben gewählt, die diese Zusammenhänge nicht repräsentativ erfassen konnten.

Von den nun neuen Ergebnissen berichten zahlreiche Nachrichtenmedien schnell mit Überschriften wie „Ist der Marshmallow-Test sinnlos?“ (Süddeutsche Zeitung) oder „Warum der bekannte Marshmallow-Test einem großen Fehler unterliegt. Selbstkontrolle entscheidet bei Kindern nicht über Erfolg“ (news.at) und verunsichern sofort wieder Eltern und Pädagogen.

Als Christ kann man solchen Erkenntnissen und neuen Fragestellungen mit all ihren Unsicherheiten vielleicht entspannter begegnen. So steht doch schon im 1. Brief an die Korinther im 13. Kapitel: „Und wenn ich prophetisch reden könnte und wüsste alle Geheimnisse und alle Erkenntnis und hätte allen Glauben, sodass ich Berge versetzen könnte, und hätte der Liebe nicht, so wäre ich nichts. […] Denn unser Wissen ist Stückwerk und unser prophetisches Reden ist Stückwerk. […] Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; aber die Liebe ist die größte unter ihnen.“

Die Liebe ist es also, die maßgeblichen Einfluss auf unser Denken und Handeln hat. Wenn wir aus dieser Liebe unsere Kinder erziehen, stehen die Chancen gut, dass sich Begabungen und Fähigkeiten entfalten und dass sie ihren eigenen Weg im Leben finden und gehen werden. Natürlich dürfen und sollen wir in unserem Handeln auf dieses Stückwerk unseres Wissens zurückgreifen und somit auch auf wissenschaftliche Erkenntnisse, aber wir müssen uns stets bewusst sein, dass dieses Stückwerk wahrscheinlich immer wieder revidiert oder aktualisiert werden muss. Wenngleich auch Bibelübersetzungen immer wieder revidiert werden, so haben die Kernaussagen jedoch Bestand und überdauern die Zeit. Ihnen dürfen wir als Christen vertrauen, und so bleiben Glaube, Liebe und Hoffnung ein viel festeres Fundament als alle Erziehungsratgeber, auf das wir uns auch in Zukunft verlassen dürfen.

Peter Schulze ist Berufsschullehrer (Sozialpädagogik/ev. Religion) und arbeitet als abgeordnete Lehrkraft an der Fakultät Erziehungswissenschaften der Technischen Universität Dresden.