Den Sorgen nicht zu viel Raum geben

„Unser Sohn (16) ist am Wochenende abends lange unterwegs und wir machen uns Sorgen. Wie können wir gute Regelungen finden?“

Diskussionen um das abendliche Ausgehen gehören sicher zu den häufigsten Konfliktpunkten zwischen Jugendlichen und Eltern. Wichtig erscheint mir zunächst eine offene und vertrauensvolle Gesprächsatmosphäre. Sicher werden Sie längst über mögliche Gefahren wie Alkohol, Drogen oder Gewalt geredet haben. Es ist gut, wenn dies in einem ruhigen, sachlichen Rahmen geschehen ist. Sehen Sie es positiv, dass Ihr Sohn Freunde hat, mit denen er abendliche Unternehmungen plant. Seien Sie interessiert, wenn er von seinen Vorhaben erzählt. Sie dürfen auch Fragen stellen, aber vermeiden Sie es, allzu kontrollierend aufzutreten. Überlegen Sie lieber gemeinsam: Muss es wirklich die Spätvorstellung im Kino sein? Was gäbe es für Alternativen? Wie sieht es mit dem Heimweg aus? Machen Sie bei allen Fragen deutlich, dass Sie Ihrem Sohn von Herzen seine Freizeit gönnen!

ALKOHOL NICHT VERBIETEN
Gut ist es, wenn Sie die Freunde Ihres Sohnes kennen. Bieten Sie beispielsweise an, dass die Jugendlichen sich am Beginn eines Abends bei Ihnen zu Hause treffen. Bitten Sie darum, dass später niemand den Heimweg allein antreten muss. Vielleicht schläft Ihr Sohn bei einem Freund? Oder einer der Freunde kann bei Ihnen übernachten? Schlagen Sie vor, dass Sie den Heimfahrdienst übernehmen. Machen Sie den Heranwachsenden auch deutlich, dass Sie innerhalb der Gruppe aufeinander schauen sollten, insbesondere wenn Alkohol im Spiel ist. Alkohol grundsätzlich zu verbieten, ist sicher nicht sinnvoll. Wahrscheinlich würde ein solches Verbot umgangen. Geben Sie Tipps für den vernünftigen Umgang mit Alkohol, aber bleiben Sie möglichst cool, wenn doch einmal zu viel getrunken wurde. Beim nächsten Mal kann Ihr Kind sein Limit bestimmt besser einschätzen.

EHER GROSSZÜGIG
Es macht sicher Sinn, eine Uhrzeit zu verabreden, an der ein Sechzehnjähriger zu Hause sein sollte. Seien Sie hier eher großzügig! Zu enge Regeln werden als Gängelei empfunden und nicht eingehalten. Kommt Ihr Sohn viel zu spät nach Hause, machen Sie zunächst keine große Szene. Reden Sie später in Ruhe darüber, hören Sie sich an, wie es zu der Verspätung kam. Sie dürfen aber auch deutlich sagen, dass Sie sich Sorgen gemacht haben. Abschließend empfehle ich Ihnen, den Sorgen um die Jugendlichen nicht zu viel Raum zu geben. Sie haben Ihr Kind sechzehn Jahre lang gut erzogen, Sie haben über alles gesprochen. Ihr Kind weiß, dass es Sie jederzeit anrufen kann, wenn es ein Problem gibt. Nun dürfen Sie Ihrem Sohn einen schönen Abend wünschen und loslassen. Schauen Sie nicht ständig aufs Handy oder auf die Uhr. Stellen Sie sich lieber vor, dass Ihr Sohn gerade eine gute Zeit hat und an diesem Abend einen weiteren Schritt geht in Richtung des reifen jungen Mannes, der er bald sein wird. Darauf dürfen Sie mit Gottes Hilfe vertrauen.

Astrid Zuche ist Apothekerin und Mutter von drei erwachsenen Kindern. Sie lebt mit ihrem Mann in Saarburg.

Gute Ideen im Praxistest

Stefan Gerber stellt fest, dass die Auftanktipps von anderen nicht immer hilfreich sind.

Als junger Vater habe ich mit Begeisterung – es müsste in der Family gewesen sein – von der Idee des Papi-Gutscheins gelesen. Es geht darum, dass Väter und Mütter Qualitätszeit mit dem Kind erleben. Das hörte sich prima an! Meine Frau und ich, wir sahen uns schon bei beziehungsstärkenden Aktivitäten mit unseren Kindern. Die Umsetzung erschien uns einfach: In einem Monat würde unsere Tochter einen Papi-Gutschein erhalten und der Sohn einen Mami-Gutschein. Im Folgemonat umgekehrt. Die Gutscheinempfänger sind dazu berechtigt, einen Ausflugswunsch mit dem entsprechenden Elternteil einzubringen. Sie können da ihrer Fantasie freien Lauf lassen – so lange es vom Zeit- und Finanzbudget her im Rahmen bleibt. Vom gemeinsamen Spielnachmittag, dem Fahrradausflug an den See über die Rollhockey-Partie oder einer Runde Minigolf bis zum Besuch im Hochseilgarten oder im Fußballstadion ist vieles denkbar. Leider wurde die tolle Idee nicht zu unserer Familien- Tankstelle! Euphorisch dachten wir, die Wunschlisten unserer Kinder würden sich sofort füllen und es gäbe ganz viel, was sie mit uns unternehmen wollten. Doch trotz mehrerer Anläufe – es klappte nicht. Besonders unserer Tochter entsprach dieses Vorgehen nicht. Sie hatte große Mühe, überhaupt etwas auf ihre Wunschliste zu bekommen. Was nicht bedeutet, dass sie keine Zeit mit ihren Eltern verbringen will, aber der „Zwang“ eines monatlichen Papi-/Mami-Gutscheins schreckte sie eher ab. Was ein gutes Ritual sein kann, passte nicht zu uns als Familie. Wir mussten lernen, uns von guten Ideen inspirieren, aber nicht einengen zu lassen. Ich kämpfe immer mal wieder mit fixen Vorstellungen – von der Familienandacht bis zur Regelung des Medienkonsums; aber immer wieder erlebe ich, dass meine Vorstellung, wie es wohl sein sollte, eher in eine Sackgasse führt, als dass sie unserer Familie dienen würde.Daher versuchen wir unsere ganz eigene Familien-DNA zu leben. Inspiration von außen – super. Doch zum Gesetz wollen wir uns nicht machen, was bei anderen funktioniert, aber möglicherweise zu uns nicht passt. Umso mehr genieße ich es, wenn dann doch solche Inseln im Alltag entstehen und ich mit einem unserer Kinder etwas erleben kann: Manchmal geplant wie der Ausflug zum Spengler-Cup (Eishockey-Turnier) in Davos zum zehnten Geburtstag unseres Sohnes oder ganz spontan wie in den Herbstferien, als unsere Tochter und ich einen anderen Wanderweg wählten. Ganz viel bedeutet es mir auch, wenn mich eines meiner Kinder zum Skifahren auf den Steilhang meiner Lieblingsskipiste begleitet. Das sind dann jeweils richtig wohltuende Tankstellen für mich – und für meine Kinder.

Stefan Gerber, Geschäftsführer Willow Creek Schweiz, ist Leiter der Netzwerk- Kirche „gms – gospel movement seeland“ und freiberuflich als Autor („Glück finden – hier und jetzt“), Referent und Coach tätig. Er ist verheiratet mit Brigitte Gerber- Urfer und Vater von Joy Nina (14 J.) und Janosch Noah (11 J.).

Zweite Halbzeit

Ingrid Jope hat nachmittags „frei“. Das heißt, sie sitzt nicht im Büro. Dafür flitzt sie von Aufgabe zu Aufgabe …

Schönen Feierabend!“ – wünscht mir mein Kollege wie fast jeden Tag, als ich gegen 13.30 Uhr das gemeinsame Büro verlasse. Während ich mich auslogge, den Büroschlüssel im Rucksack verstaue und Auto- sowie Hausschlüssel zutage fördere, rumort es in mir. Da ploppt ein Gedanke in meinem Hirn auf, den ich in die „Schublade“ schiebe: „Muss ich gleich im Auto aufschreiben, damit ich es morgen im Büro nicht vergesse.“ Danach steuere ich unsere Familienkutsche durch die Dreißiger-Zone, die am Ende einer Sackgasse zum Kindergarten führt. Das Wort „Feierabend“ liegt mir immer noch etwas ungeschmeidig auf der Zunge. Es klingt nach in Ruhe etwas Leckeres essen, Beine hochlegen, vielleicht ein Buch lesen oder eine gute Zeitschrift, wahlweise einen warmen Tee oder ein kühles Bier trinken. Was mich jetzt gleich erwartet, fühlt sich anders an. Ein verschwitzter Dreckspatz begrüßt mich verhalten begeistert. Vor Müdigkeit und voller Eindrücke ist er nicht mehr der besten Laune und schafft es kaum, sich aus der versandeten Matschhose und der verdreckten Jacke zu schälen. Wenige Minuten später kommt unsere Tochter mit sechs Stunden Schultrubel in den Knochen nach Hause. „Mama, hier ist ein Elternbrief.“ – „Mama, ich hab solchen Hunger!“ – „Mama, fährst du mich heute zu Carina?“ – „Mama, wo ist mein Sammelalbum?“ Als das selbstgebaute Legoschiff zerbricht, steht der erste Geschwisterstreit ins Haus. Ich bin beschäftigt damit, das Küchenchaos zu managen, wütende Kinder zu besänftigen, den Antwortabschnitt für die Schule auszufüllen, Termine zu planen, Waschmaschine und Meerschweinchen zu füttern. Schon ermahne ich die Kinder: „Beeilung, sonst kommen wir zu spät zur Logopädie.“ Auf dem Rückweg kaufe ich noch die Zutaten fürs Abendessen ein, anschließend koche ich, hänge Wäsche auf, beantworte schnell noch ein paar Mails, telefoniere mit der Mutter einer Freundin unserer Tochter, um die Fahrt zum späteren Schulanfang morgen abzusprechen. Glücklich schaffe ich es gerade noch so zu meiner Pilates-Stunde. Der Mann, den ich liebe, übernimmt das „Abendchaos“. Als ich nach der Dusche aufs Sofa sinke, ist das Wort wieder da: Feierabend! Diesmal mit dem richtigen Gefühl. Wenn ich an die Zeit zwischen 13.30 Uhr und jetzt denke, passt eine andere Bezeichnung viel besser: Zweite Halbzeit. So ein volles Familien- und Berufsleben verdient keinen Bequemlichkeitspreis. Es ist stressig und hält mich in Atem, besonders wenn zusätzliche Arbeitsstunden im Büro und zu Hause oder Krankheitszeiten anstehen. Irgendwas ist immer. Aber inmitten meines wirklichen Feierabends weiß ich auch: Es ist so kostbar, eine Familie zu haben. Und es inspiriert und erfüllt mich, als Reha-Prozessbegleiterin zu arbeiten. Diese „Rush-Hour des Lebens“ fordert mich, sie lässt mich aber auch wachsen – an Belastbarkeit, Frustrationstoleranz, kreativer Krisenbewältigung. Oder – wie das Schild besagt, das ich kürzlich auf dem Schreibtisch eines anderen Kollegen entdeckt habe: „Mich regt nichts auf – bin dreifacher Vater!“

Ingrid Jope ist Theologin und Sozialpädagogin. Sie lebt mit ihrer Familie in Wetter/Ruhr.

 

Der Holzwurm der Ehe

Wenn Nebensächliches an der Beziehung nagt. Von Susanne Ospelkaus

Vor ein paar Monaten musste eine Kirche in unserem Landkreis geschlossen werden. Nagekäfer hatten sich durch das Gebälk geknuspert. Um genau zu sein: Es waren Larven des Anobium punctatum, bekannt unter der Bezeichnung „Holzwurm“. Im Verborgenen vernaschen sie totes Holz und haben dabei einen erstaunlichen Appetit. Im Verborgenen wollen Kleinigkeiten unsere Beziehungen zernagen. Dabei geht es nicht um die großen Themen wie Sexualität, Religion und Erziehung oder Geld, Gesundheit und Genussmittel. Es geht um die Kleinigkeiten, die sich summieren. Aus Missverständnissen und Enttäuschungen erwächst ein Monsterkäfer, der jede Liebe und Vertrautheit vertilgt.

AMÜSANT, SOLANGE ES UNS NICHT BETRIFFT
Jeder kennt diese Kleinigkeiten. Vielleicht empfand man sie am Anfang der Beziehung süß, hinreißend oder lustig. Comedy Shows sind voller Beispiele über die wir lachen, so lange sie uns nicht betreffen. Da ärgert sich ein Partner, wenn man …
… an der Butter kratzt, statt schneidet.
… die Socken herumliegen lässt.
… den Autoschlüssel jedes Mal an einen anderen Platz legt.
… das Bett nicht macht.
… den Schrank offen lässt.
… beim Essen schmatzt.
… die Gabel seltsam hält.

WAS STECKT DAHINTER?
Ich habe auch solch ein Getier in meiner Ehe, das mich am Mittagstisch piesackt: Mein Mann zerdrückt sein Essen! Mit der Gabel macht er aus jeder Speise eine Pampe. „Soll ich es dir pürieren?“, erkundige ich mich genervt. Wenn ich mich beherrsche und nichts sage, fragt er: „Wieso guckst du so?“ „Wie denn?“ „Na so!“ Jeder andere würde sich über uns amüsieren. Ich habe das Tierchen untersucht, das mich zu Tisch befällt. Ich interpretiere das zermatschte Essen als Kritik an meiner Kochkunst. Würde es ihm schmecken, müsste er es doch nicht zerdrücken, oder? „Nein, mein Schatz, es ist genau andersherum. Weil es mir so gut schmeckt, zerdrücke ich es.“ „Ach so?“ Für den Fall, dass wir mal in ein Feinschmeckerrestaurant gehen, hat er mir versprochen, sein Essen nicht zu zerdrücken. Es gibt auch Dinge, die ihn an mir nerven, wie ein lästiges Insekt, das immer wieder kommt. Ich wurstle das Handtuch nach dem Benutzen über die Trockenstange. Er ist empört, wie solle es nun trocknen? „Wieso kannst du es nicht ordentlich aufhängen?“ „Wieso ist es dir so wichtig?“ Mein Mann überlegt. Hinter dem Wunsch, dass ich das Handtuch sorgfältig hinhänge, steckt die Bitte nach einer Vorbildfunktion für unsere Kinder. Räume gewissenhaft auf!

WIESO STÖRT ES MICH GERADE JETZT?
Unliebsame Angewohnheiten schlummerten schon in unserer Beziehung, als wir uns kennenlernten. Doch spürbar wurden sie erst, als die Routine im Alltag einzog. Nähe und Gewöhnung schufen die Bedingungen dafür, dass Unarten reiften, schlüpften und schließlich durch die Zweisamkeit krabbelten. Die besondere Vertrautheit in einer Ehe macht uns sensibel füreinander, aber auch manchmal überempfindlich. Bei Menschen, die uns nicht so nah stehen, können wir eine Unart leichter aushalten. Tauchen sie bei der Chefin, dem Pfarrer oder einem Bekannten auf, wedeln wir sie weg. Doch gegenüber unserem Partner machen wir aus einer mückengroßen Unart einen Elefanten.
Die Vertrautheit in der Ehe ist groß, die Hemmschwelle niedrig. Der Partner lässt seine Kleidung vor dem Bett liegen: wir stöhnen, grummeln, verdrehen die Augen. Die Haare der Partnerin hängen im Abfluss und schweben in der Wohnung: wir klagen, motzen, explodieren. Da entzündet eine Kleinigkeit angestauten Frust und der Partner bekommt die Detonation ab. Der Ärger über die Unart des Partners wird zu einem Brandbeschleuniger für die eigene Unzufriedenheit, aber wir sollten uns ehrlicherweise fragen: Worum geht es wirklich?

AUS LIEBE
Ein Freund – er ist wirklich ordnungsliebend – beklagte sich über die Kalkflecken am Wasserhahn. Seine Partnerin könne sie doch wegwischen, man müsse doch nur mit einem Tuch … das könne sie doch aus Liebe tun. Ich amüsierte mich über die unwichtigen Kalkflecken. Doch Moment mal, andere werden das zerdrückte Essen oder das verwurstelte Handtuch auch lächerlich finden. Könnte ich nicht aus Liebe …? Ja, was denn? Mich verändern? Die Aussage: „Wenn du mich liebst, dann kannst du dies und jenes für mich tun …“ ist Manipulation! Der Psychotherapeut Paul Watzlawick hat die Bücherlandschaft um den schönen Titel „Wenn du mich liebtest, würdest du gerne Knoblauch essen“ bereichert. Daran wird das Problem schon deutlich. Hier werden Beweise für die Liebe verlangt. Aber alles Wichtige im Leben, wie Vertrauen und Liebe lässt sich nicht beweisen. Es ist Gewissheit. „Wenn du mich liebst, dann …“ mit dieser Aufforderung kann man zielgerichtet und präzise die Ehe zerstören. Wie soll der Partner sich verhalten? Handelt er nach der Aufforderung, macht er es vielleicht lieblos, nur aus einer Pflicht heraus. Handelt er nicht, ist es ein Beweis, dass er nicht liebt. Jede Reaktion ist falsch, weil die Anforderung falsch ist. Ist eine aufgeräumte Unterhose tatsächlich ein Liebesbeweis? Taten der Liebe sind sehr speziell und persönlich. Eine weitere Reaktion könnte sein: „Ja und wenn du mich liebst, dann würde dich meine Unart nicht stören.“ Spätestens jetzt gewinnt der Ehestreit an Tempo. Die Holzwürmer freuen sich auf die Achterbahn und schreien: „Jippie!“ Wir können keinen Liebesbeweis einfordern und wir dürfen unseren Partner nicht für das eigene Glück verantwortlich machen. Auch wenn uns manche Macken nerven, unsere Zufriedenheit liegt nicht in den Händen unseres Partners. Unsere Zufriedenheit liegt in Gottes Händen. Bevor wir uns beim Partner beschweren, sollten wir zuerst mit Gott darüber reden. Gelassenheit kommt eher aus dem Himmel als durch die Taten von Menschen.

KAMPF DEM UNGEZIEFER
Als wir uns eine Katze zulegten, beherbergten wir gleichzeitig eine Flohpopulation. Es war schrecklich. Wir holten uns Rat und kauften Mittelchen, um alle Entwicklungsstufen des Flohs zu eliminieren. Wir wuschen Kissen und Decken, röchelten mit dem Staubsauger in jede Ecke und unter jedes Polster. Es hat uns Mühe und Zeit gekostet, bis unser Haushalt flohfrei war. Der Umgang mit lästigen Kleinigkeiten kostet Disziplin. Selbstdisziplin! Ich darf mich nicht auf die Macke meines Partners konzentrieren. Ich könnte schon mit der Erwartung aufstehen: „Na, ob ich gleich über seine Klamotten stolpere?“ oder „Ob sie wieder die Shampooflaschen offengelassen hat?“ Diese Gedanken lassen den Holzwurm wachsen. Er dehnt sich aus und verschlingt den liebevollen Guten-Morgen-Gruß. Damit ich den Wurm unter Kontrolle habe, räume ich dies oder jenes auf. Eine schlichte Handlung, die mich Überwindung kostet, aber mir nicht meinen Seelenfrieden raubt. Ich will keine Insekten in meinem Herzen und auch nicht in meiner Beziehung. In einem ruhigen Moment kann ich sagen: „Alexander, mich stört, wenn du …“, und muss darauf gefasst sein, dass er mir auch meine Versäumnisse aufzeigt. Wie wäre es, wenn jeder dem anderen zwei Unarten „schenkt“? Ich ärgere mich nicht über deine Socken vor dem Bett und du beschwerst dich nicht über die zerkratzte Butter. Ich schimpfe nicht mehr über den offenen Kleiderschrank und du beschwerst dich nicht mehr über die Messer, die verkehrt herum in der Spülmaschine stehen.

Susanne Ospelkaus lebt mit ihrer Familie in Zorneding bei München, bloggt unter www.buchstabenkunst.de und arbeitet als Ergotherapeutin.

Fitness

SCHNAPPATMUNG

Katharina Hullen denkt über einen persönlichen Fitnesscoach nach.

Katharina: „ 5 Kinder! – Sportlich!“ Ha, wenn es das nur mal wäre! Es stimmt: Ich bezwinge mehrmals in der Woche unsere Wäschegebirge, betätige mich täglich mit ganzem Körpereinsatz als „Stalljunge“ an der Wickelkommode und ziehe dutzende Male am Tag mein persönliches Fitnessprogramm „Sachen vom Boden aufheben“ durch. Ich müsste fit wie ein Turnschuh sein. Faktisch ist mein Körper nach den Geburten von fünf Kindern aber doch leicht aus der Form. Da halfen auch zehn Stunden Rückbildungsgymnastik nichts – wenn der Geist zwar willig ist, aber das Fleisch nach dem Kurs wieder müde und chipshungrig auf dem Sofa sitzt. Dazu kommt, dass sich jeder Trotzanfall der Kinder doch auch viel leichter mit einem großen Stück Schokolade herunterschlucken lässt. Und ist eine mollige Mama nicht ohnehin viel kuscheliger? Außerdem bemerke ich den Verfall ja nicht nur bei mir, sondern auch bei Hauke. Warum soll nur ich mir Mühe geben, wieder in Form zu kommen? Und wie sollte es überhaupt im Moment gehen? Im Fitnessstudio anmelden? Dort gäbe es ja sogar eine Kinderbetreuung – ich fürchte allerdings, dass dann leider alle anderen Eltern ihre Kinder nicht mehr mitbringen würden, weil unsere Schar den kleinen Raum komplett ausfüllt. „Hilfe, die Hullens kommen!“ Dann doch lieber Sport daheim. Ohnehin ist es doch ungemein praktisch, sich alles nach Hause zu holen, damit man nicht immer mit Sack und Pack und Mann und Maus überall aufschlagen muss: Musiklehrer, Frisör, Finanzberater … warum nicht auch den Personal- Trainer? Am besten als Familien-Trainer. Das wäre großartig! Wobei – wäre es das wirklich? Hätten wir alle Spaß daran? Während die Kinder an der Turnstange mit wehenden Haaren und einem Liedchen auf den Lippen Feldaufschwünge, Klimmzüge und Salti schlagen, lägen Mama und Papa doch schon nach dem Warm-Up mit Schnappatmung ausgestreckt auf der Wiese. Ach ja. Abnehmen, wieder fitter, beweglicher sein, das wäre schon gut. Für mich, und damit auch für uns alle. In diesem Jahr werde ich 40 Jahre alt. Ich glaube ja, dass Konfektionsgrößen an das Alter angepasst sind. Immer ist die Größe aktuell, in die man altersmäßig hineinwachsen wird. Fürs erste behalte ich aber die 38er Klamotten noch, auch wenn die 42 am Horizont schon zu sehen ist. Vielleicht zählt ja irgendwann das gefühlte Alter! Auf meinem Wunschzettel jedenfalls steht ein stabiler Crosstrainer, der im Zweifel auch Haukes Gewicht trägt, wenn er irgendwann soweit ist, sich einzugestehen, dass seine Kleidung nicht kürzer, sondern er „größer“ geworden ist. Aber lesen Sie selbst …

Katharina Hullen (Jahrgang 1977) ist Bankkauffrau und Dolmetscherin für Gebärdensprache. Sie und Ehemann Hauke haben fünf quirlige Kinder und leben in Duisburg. Gemeinsam bilden die beiden das Kirchenkabarett „Budenzauber“.

 

IM ZWEIMANNZELT

Hauke Hullen wird aus der Kleiderabteilung mit Normalgrößen verbannt.

Hauke: Die Umkleidekabine – welch Ort der Demütigung! Grelles Neonlicht, ein unvorteilhafter Zerrspiegel und dann noch dieser süffisant vor sich hin grienende Verkäufer mit offenkundiger Sehschwäche, der mir Hosen in aberwitzigen Größen anschleppt … doch der Reihe nach! Früher hatte ich Bundweite 34, doch da die Hersteller ihre Maße änderten, muss ich inzwischen einen 36er-Bund akzeptieren. Anfang Januar stelle ich aber fest, dass etliche Hosen in Bauchhöhe eingelaufen waren. So suchen wir ein großes Kaufhaus auf, wo ich hoffnungsfroh mit einer seltenen 35er-Hose in der Umkleide verschwinde. Sie passt. Hurra – ich habe abgenommen! Doch vor der Umkleide gibt es statt Szenenapplaus nur Schweigen und betretene Mienen des Verkäufers und meiner Frau. Der Angestellte schüttelt resigniert den Kopf. Nein, die Hose ginge gar nicht, auch 36 käme nicht in Frage, doch größere Hosen würden sie in dieser Abteilung nicht führen. Ich will dem Verkäufer ordentlich den Marsch blasen, doch der zu eng eingestellte Gürtel verhindert das Luftholen. „Wir haben da noch die Abteilung für starke Größen”, flötet er. Wo genau? „Auf der anderen Seite der Etage, immer geradeaus.” Aha. Wer also wie meiner einer ein bisschen muskulöser gebaut ist, wird in die hinterste Ecke abgeschoben, um die unterernährten anderen Kunden optisch nicht zu belästigen, schon klar! Ich sinniere, wie die Abteilung wohl genannt wird: „Dick & Chic” vielleicht, oder „Fett & Adrett”?!? Wir machen uns auf den Weg, dem Gang der Schande aus dem „Games of Thrones”- Epos nicht unähnlich. Er führt uns quer durch die Sportabteilung. „Schande!”, scheinen die Blicke der drahtigen Mittzwanziger zu sagen, die in den Trikotagen wühlen, „Schande!”, rufen die aufgereihten Laufschuhe, „Schande!” skandiert die Funktionswäsche, „da geht wieder so ein Adipositas-Athlet, der seine Neujahrsvorsätze schon in der ersten Woche gebrochen hat!” Endlich haben wir unsere Abteilung erreicht, wo mir ein schmieriger Verkäufer die übliche 36er-Hose verwehrt und mir höhnisch ein paar 38er in die Hand drückt. Ich betrete die Kabine neben dem – genau! – Lastenaufzug. Kabine? Eine Familienumkleide! Für Großfamilien! Gut, ein bisschen stämmig bin ich vielleicht geworden, aber muss man mir zum Umziehen gleich einen Tanzsaal zuweisen? Mit einer Spiegelwand? Erbost schlüpfe ich in das mir aufgeschwatzte Zweimannzelt und trete aus der Umkleide. Wieder Schweigen. Dann ein anerkennendes Nicken des Angestellten: „Passt!” Kathi strahlt: „Gut siehst du aus!” Jetzt fällt es mir auch auf. „Richtig sportlich”, ergänzt die beste Ehefrau von allen. „Ja”, bestätigt der überaus sympathische und sachkundige Fachverkäufer. Wir kaufen alles. Es ist wirklich leicht, seine gute Figur zu halten!

Hauke Hullen (Jahrgang 1974) ist Lehrer für Deutsch und Sozialwissenschaften. Er und Ehefrau Katharina haben fünf quirlige Kinder und leben in Duisburg. Gemeinsam bilden die beiden das Kirchenkabarett „Budenzauber“.

Ein Jahr was anderes machen

378 amazing days of my life

Im Sommer 2014 begann mein Au-pair-Abenteuer in den USA im Bundesstaat Connecticut. Au-pair heißt, als Kindermädchen bis zu 45 Stunden pro Woche für eine Familie zu arbeiten und auch im Haus der Familie zu wohnen. Einmal etwas ganz anderes als Schule zu erleben, war für mich einer der Gründe, Au-pair zu werden. Außerdem reizte mich der neue Kontinent und Zeit mit Kindern verbringen zu können. Meine Gastfamilie habe ich durch die Agentur Intrax gefunden. Ich habe mich sehr gut betreut gefühlt. „378 amazing days of my life“ waren es aber in erster Linie dank meiner fantastischen Gastfamilie und den tollen neuen Freunden, die ich fand. Klar läuft nicht immer alles rund, aber wenn man zeitnah die Dinge anspricht und gemeinsam eine Lösung sucht, müssen Probleme gar nicht erst zu Dramen werden. Da ich mich um drei Kinder unter fünf Jahren gekümmert habe, war eine Auszeit mit Freunden oder beim Tanzen ein super Ausgleich. Ein eher praktischer Vorteil des Au-pairs ist der Verdienst: mit 200 Dollar die Woche zur eigenen Verfügung (Kost und Logis sind inklusive) hat man viele Möglichkeiten zu reisen oder sich (neue) Hobbys zu suchen. Das Geld ist aber nichts im Vergleich zu der Liebe, die ich erfahren habe! Meine Au-pair-Zeit bleibt mir unvergessen, ich würde sie gegen nichts eintauschen wollen. Man kommt definitiv selbstständiger und erwachsener wieder nach Hause!
Hier noch ein paar Tipps:

  • Werdet nur Au-pair, wenn Ihr Kinder und die Arbeit mit ihnen wirklich mögt. 45 Stunden pro Woche sind lang, wenn sie keinen Spaß machen.
  • Entscheidet euch für die Gastfamilie, bei der Ihr ein gutes Gefühl habt, anstatt auf Biegen und Brechen eine bestimmte Region zu bevorzugen.
  • Nutzt die Zeit, um etwas Neues zu erleben! Wer nur macht, was er von daheim kennt oder nur Au-pair- Freunde der gleichen Nationalität hat, verpasst etwas.
  • Zu jedem Au-pair gibt es die richtige Gastfamilie und andersherum, lasst euch also von Au-pair- Horrorgeschichten nicht abschrecken.

Tamara Mayer (21) studiert Englisch und evangelische Theologie auf Lehramt an der Uni Heidelberg und kehrt immer wieder
gerne nach Connecticut zurück.

Eine Riesenchance

Micha war derjenige unserer drei Söhne, der meinen Mann und mich die meisten Nerven gekostet hat: quengelig, unselbstständig, fordernd, laut und oft egoistisch seinen Brüdern gegenüber, allerdings anderen Kindern gegenüber immer der mit der größten Sozialkompetenz. Das Abi kam und Micha flüchtete sich in die Idee, erstmal ein FSJ zu machen, um sich noch nicht für eine Ausbildung oder ein Studium entscheiden zu müssen. Da er viel Spaß in der Kinderarbeit unserer Kirchengemeinde hatte, lag es für ihn nahe, sich in diesem Bereich etwas zu suchen. Ein Schulpraktikum, das Micha in seiner ehemaligen Grundschule absolviert hatte, brachte ihn auf den Gedanken: Dahin will ich wieder. Obwohl ich selbst an dieser Schule unterrichte, war dies, trotz unserer konfliktgeladenen Beziehung, kein Hinderungsgrund für ihn. Mein Mann war skeptisch: So nah an seinem Zuhause? In der eigenen Grundschule? Und die Mutter als „Kollegin“? Ob das gut gehen würde? Wir haben Michas Entscheidung trotzdem nicht beeinflusst und ihn nur bei organisatorischen Fragen unterstützt. Die FSJler der Grundschule werden durch den Bund der deutschen katholischen Jugend (BDKJ) betreut. Micha fühlte sich hier von Anfang an gut aufgehoben. Und wie erleben wir unseren Sohn nun nach einem guten halben Jahr FSJ? Total verändert. Micha ist nach meinem Empfinden unglaublich gereift in dieser Zeit. Statt unerquicklicher Diskussionen führen wir nun häufig ernsthafte Gespräche über Verhaltensweisen von Kindern und ihre Ursachen, über Elternverhalten und seine Rolle zwischen Kumpel und Lehrkraft. Micha übernimmt nun auch zu Hause freiwillig Pflichten. Ich höre plötzlich Fragen wie: „Mama, soll ich einkaufen fahren?“ oder „Was soll ich kochen?“ Es scheint Micha gut zu tun, einen Grad an Verantwortung zu tragen, den er schultern kann, mit Aufgaben betraut zu sein, die ihm liegen und ihn herausfordern. Die positiven Rückmeldungen, die er immer wieder erhält, stärken sein Selbstbewusstsein. Der fest geregelte Tagesablauf scheint ebenfalls Halt zu bieten. Nun überlegt Micha, ob er auch Grundschullehramt studieren möchte. Wir sind als Eltern sehr glücklich über die Möglichkeit, die unser Sohn mit dieser Aufgabe hat und empfinden das Jahr als segensreich für ihn und die ganze Familie.

Antje Seeger ist Mutter von drei Söhnen und Grundschullehrerin in Südhessen.

Aufgaben Verteilung

WO DIE FÄDEN ZUSAMMENLAUFEN
Katharina managt das siebenköpfige Familienunternehmen. Ihren Mann sieht sie als hochengagierten Mitarbeiter.

Katharina: „Fünf Kinder! Wie schaffst Du das bloß?“ Diese Frage höre ich häufig. Meine Antwort variiert je nach Tagesform zwischen „Gar nicht!“ über „Das frag ich mich auch!“ zu „Einfach machen!“ Dabei bin ich ja nicht allein für alles zuständig, sondern habe ein Netz von Unterstützern: Schwiegereltern, Freunde und nicht zuletzt meinen Mann. Er und ich wollen diese Kinderschar und wir möchten auch partnerschaftlich mit der Aufgabenverteilung umgehen. So übernimmt Hauke den Fahrdienst zur Schwimm-AG oder den Großeinkauf, er putzt Küche und Bäder (oder das Flusensieb der Waschmaschine) und staubsaugt die Wohnung. Er kocht für alle am Wochenende – vor allem, wenn er selber Hunger hat. Zudem übernimmt er mit viel gutem Willen alle Hausmeisterdienste, die, nun ja, in seinem Vermögen stehen. Und da unser 3-Jähriger beschlossen hat, sich nur noch vom Papa ohne Theater wickeln, baden und Zähne putzen zu lassen, freue ich mich sehr über die Selbstverständlichkeit, mit der Hauke diese Aufgaben übernimmt. Das ist eine Menge bei gleichzeitiger beruflicher Tätigkeit. Hauke schneidet gut ab in punkto Familien-Engagement. Warum denken trotzdem viele, ich würde die Last alleine tragen? Ich glaube, es liegt an der Art der Arbeit. Während Hauke mit seiner Unterstützung den Rahmen zusammenhält, versuche ich, den Kasten mit Leben zu füllen. Ich organisiere die Familienzeit, habe den Überblick, wer wann wo mit welchen Dingen sein muss. Meine Überlegungen und Vorbereitungen prägen unsere Familientraditionen – die Rituale an Festtagen, aber auch im Alltag. Ich bin zuständig für die Wäsche, weiß, wem welche Hose gehört und mache mir Gedanken über Familienregeln. Abends lege ich mich häufig noch zu Kindern und kläre den Weltschmerz oder höre mir die Schulgeschichten an. Mir sind die Namen der Schulfreunde und -streitigkeiten der Kinder ein Begriff, und das Foto-Jahrbuch der Familie gestalte ich ebenso wie die Pflege unserer Freundschaften und Familienbanden. Mit all diesen Dingen übernehme ich die Familien-Denkarbeit, während Hauke bei der Umsetzung hilft. Will er das? Provoziere ich mit meinen schnellen Entscheidungen dieses Verantwortungsungleichgewicht? Bevormunde ich ihn? Aber wenn ich warte, bis er anfängt, ist der Kindergeburtstag schon morgen, und wenn es gut läuft, lässt sich nur noch ein absoluter Notfallplan umsetzen. Aber mein Plan A funktioniert eben auch nur mit Haukes Hilfe. Bei allem Gemaule („Du könntest dir ja auch mal was überlegen“ von mir und „Selber schuld, wenn du immer so schnell bist“ von Hauke) sind wir wohl beide eigentlich zufrieden mit dieser Aufteilung. Ich darf gestalten, Hauke will mitmachen und unterstützen. Beides kann von Zeit zu Zeit ermüdend sein. Das einander zuzugestehen ist die Kunst, die wir noch lernen.

 

Katharina Hullen (Jahrgang 1977) ist Bankkauffrau und Dolmetscherin für Gebärdensprache. Sie
und Ehemann Hauke haben fünf quirlige Kinder und leben in Duisburg. Gemeinsam bilden die beiden das Kirchenkabarett „Budenzauber“.

 

DER GROSSE KNALL
Hauke bewundert das Durchgreifen seiner Frau und ist überzeugt, dass sie seinen Beitrag im Familienunternehmen falsch einschätzt.

Hauke: Manchmal grüble ich darüber nach, ob Gott die Welt nicht vielleicht mit Hilfe des Urknalls erschaffen hat. Denn wie das im Prinzip gehen könnte, zeigen mir unsere fünf Kinder nahezu täglich: Aus dem absoluten Nichts heraus gibt es plötzlich einen lauten Knall und tosendes Gezeter (oder fröhliches Gekreische, das spielt fürs Resultat keine Rolle), und Millisekunden später herrscht Chaos in der Wohnung. Der atomar zerstäubte Inhalt mehrerer Spielzeugkisten schwebt, liegt und kullert herum. Materie überall, vollständig ungeordnet. Und die Wohnung war wüst und die Schränke leer … Wem nun der Urknall schon wie ein großes Wunder vorkommt, der wird nicht glauben können, was anschließend in diesem Tohuwabohu passieren wird: Ebenfalls aus dem Nichts heraus gibt es einen zweiten Knall, noch viel, viel größer, diesmal auf jeden Fall verbunden mit tosendem Gezeter, wieder fliegt Materie in Lichtgeschwindigkeit durch die Wohnung, diesmal aber in umgekehrter Richtung, und kurz darauf ist alles wieder an seinem ursprünglichen Platz. Und siehe, es war sehr gut aufgeräumt. Welche unfassbare Macht wohl für den zweiten Knall verantwortlich ist? Sie ahnen e s: m eine Frau. O hne z u z ögern n immt s ie den K ampf m it d er l okalen A narchie- Bewegung auf, wirft sich ins Getümmel und stürmt die Barrikaden vor dem Kinderzimmer. Und da meine Frau keine Gefangenen macht, wird jeder kleine Revoluzzer sofort umgedreht, so dass er fortan für die Gegenseite arbeiten muss. Warum nicht der Göttergatte für Recht und Ordnung sorgt? Dafür gibt es zwei Gründe: Oft bemerke ich aufgrund einer deutlich höheren Toleranzschwelle die Anzeichen für den Zusammenbruch der öffentlichen Ordnung nicht rechtzeitig – und wenn ich sie doch registriere, dann bleibt mir meist nur noch Zeit für eine einzige Gegenmaßnahme: mich hinterm Sofa zu verstecken, um den zweiten Knall zu überstehen … Ich bewundere meine Frau aufrichtig dafür, wie sie in der Familie alles ordnet und regelt. Mit schier unerschöpflicher Energie managt sie das Leben von sieben Personen mit Weitund Umsicht. Da ich weiß, dass nicht die eigentliche Erledigung der vielen Aufgaben so anstrengend ist, sondern das Tragen der ständigen Verantwortung, versuche ich, Katharina zu entlasten. Ich will zumindest die Arbeiten erledigen, die mir auffallen – das ist wenig genug. Dazu kommen die Arbeiten, die mir nicht auffallen, aber meiner Frau. Auch dann packe ich mit an, fröhlich und frei von jedwedem traditionellen Rollendünkel. Katharina denkt übrigens, dass ich vergleichsweise viel zu Hause helfe. Ich halte das eher für ein Wahrnehmungsproblem: Meine Mithilfe sieht sie, die der anderen Männer nicht. Aber sei‘s drum, in diesem Punkt soll Kathi gerne bei ihrer Meinung bleiben. Bitte verraten Sie ihr nicht die Wahrheit!

 

Hauke Hullen (Jahrgang 1974) ist Lehrer für Deutsch und Sozialwissenschaften. Er und Ehefrau Katharina haben fünf quirlige Kinder und leben in Duisburg. Gemeinsam bilden die beiden das Kirchenkabarett „Budenzauber“.

Zum Zaungast degradiert?

Medien, Schule, Freunde – all das beeinflusst unsere fast erwachsenen Kinder. Haben wir als Eltern überhaupt noch Einfluss?

Jan hat gerade seinen 16. Geburtstag gefeiert und ist davon überzeugt, dass ihm jetzt die Welt offen steht. Endlich darf er den Führerschein für ein Moped oder einen Roller erwerben. Von den Eltern will er sich gar nichts mehr sagen lassen. So wie Jan sehen viele heranwachsende Kinder ihre eigene Position. Sie fühlen sich bereits erwachsen, obwohl sie es faktisch – und auch vor dem Gesetz – noch gar nicht sind. Das ist keine einfache Situation. Eltern wünschen sich manchmal, ihr Kind wäre noch klein und auf sie angewiesen. Denn Babys begreifen ihre Eltern als Erweiterung von sich selbst und hängen deshalb sehr an ihnen. Erst mit der Entwicklung des eigenen Ichs wird die Umwelt allmählich wichtiger. Mit dem Alter des Kindes nimmt die Beeinflussung außerhalb des Elternhauses kontinuierlich zu. Irgendwann ist dann der Punkt gekommen, an dem der Einfluss von Schule, Freunden und Medien dominiert und sich der junge Mensch kaum mehr etwas von den Eltern sagen lässt.

DAS GROSSE SCHWEIGEN
Marc ist 17, seine Freundin Svenja hat vor wenigen Wochen ihren 16. Geburtstag gefeiert. Beide halten ihre Beziehung vor den Eltern geheim. Marc, weil er genau weiß, dass seine Eltern die neue Freundin mit den schlechter werdenden Schulnoten in Verbindung bringen und deshalb gegen die Beziehung Partei ergreifen würden. Svenja, weil sie fürchtet, dass die Eltern es nicht gern sehen, dass sie sich mit einem Freund abgibt, der weder im Jugendkreis der Gemeinde anzutreffen ist noch sonst irgendeinen Bezug zum christlichen Glauben hat. Doch Svenja sieht in Marc jemanden, mit dem sie ihre Probleme besprechen kann und der sie versteht. Svenja empfindet diese Beziehung als Bereicherung, aber sie weiß, dass ihre Eltern das ganz anders sehen würden. Tom besucht die 10. Klasse einer Realschule. In diesem Jahr steht die Abschlussprüfung an. Doch statt fleißig zu lernen, sitzt Tom den ganzen Tag am Computer und macht … Ja, was er dort treibt, wissen seine Eltern nicht. Denn Tom schweigt sich darüber aus. Da sich die Eltern bisher wenig für den Computer interessiert haben und damit selbst nicht viel anzufangen wissen, können sie sich auch gar nicht vorstellen, was Tom den ganzen Tag im Internet macht. Auf jeden Fall hängt er den lieben langen Tag vor dem Computer ab und ist nicht zu motivieren, sich um die Schulaufgaben zu kümmern. Die 16-jährige Lisa blendet jede Unterhaltung von vornherein aus, da ihre Aufmerksamkeit vom Smartphone so sehr in Anspruch genommen ist, dass sie gar nicht mehr merkt, dass die Eltern mit ihr reden wollen. Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen. Denn so viele unterschiedliche Jugendliche es gibt, so viele unterschiedliche Situationen gibt es auch, in denen Jugendliche ihre Eltern regelrecht ausbremsen und aus ihrem persönlichen Alltag außen vor lassen. Sie orientieren sich lieber an Medien oder Menschen, die vollkommen außerhalb des Einflussbereichs der eigenen Eltern stehen.

BETRETEN VERBOTEN!
Für Eltern, die den Zugang zu ihren Kindern suchen und dabei gegen Wände laufen, kann das sehr frustrierend sein. Obwohl die Kinder in derselben Wohnung leben, haben sie sich einen Bereich geschaffen, zu dem die Eltern keinen Zutritt haben. Sie zeigen das nicht nur ganz konkret durch Schilder an der Tür, wie „Betreten verboten – Lebensgefahr“ oder „Eltern müssen draußen bleiben“, sondern auch dadurch, dass sie ihren Eltern nichts von ihren Problemen oder auch nur von den Alltagserlebnissen erzählen. Tipps für ihr Leben holen sie sich eher aus den sozialen Netzwerken als von den Eltern. Eltern fragen sich deshalb nicht zu Unrecht: „Habe ich überhaupt noch Einfluss auf mein Kind?“ Grundsätzlich ist diese Frage schon allein deshalb zu bejahen, weil Sie als Eltern in all den vergangenen Jahren einen immensen Einfluss auf Ihren Sohn oder Ihre Tochter ausgeübt haben. Dieser Einfluss hat in Ihrem Kind bereits Grundlagen gelegt, die dafür sorgen, dass es sich bei seinen Handlungen in der Regel fragen wird, ob die Eltern diese Handlung gut oder schlecht finden werden. Das heißt natürlich nicht zwangsläufig, dass sich Ihr Jugendlicher genauso verhält, wie Sie es für richtig halten. Es kann im Gegenteil bedeuten, dass er genau aus diesem Grund einen anderen Weg wählt, als er ihn vom Elternhaus vorgelebt bekommen hat. Ein junger Mensch setzt sich mit den Werten und Meinungen auseinander, die ihm die Eltern vermittelt haben. Dazu gehört auch, dass er sich gegen die weitere Beeinflussung sperrt und absichtlich konträre Entscheidungen trifft. Wir kennen dieses Verhalten alle sehr gut aus der eigenen Jugend. Warum sollten unsere Kinder anders reagieren?

FALSCHE ENTSCHEIDUNGEN
Eltern sollten sich nicht unbedingt in die Entscheidungen ihrer Kinder einmischen. Lassen Sie Ihr Kind ruhig auch mal Fehler machen. Falsche Entscheidungen können durchaus heilsam sein. Außerdem ist es immer schwierig zu sagen, dass eine Entscheidung richtig oder falsch ist. Selbst „falsche“ Freunde können für den jungen Menschen wichtig sein. Vielleicht ist es für Ihre Tochter wichtig, gerade jetzt einen Freund zu haben, der so gar nicht zu Ihren Vorstellungen passt. Eltern müssen sich auch mal zurücknehmen und abwarten. Der erste Freund ist ganz selten der Mann fürs Leben. Geben Sie Ihren Kindern den Raum, allein Entscheidungen zu treffen. Wenn Ihre Kinder dann aber vor einem Scherbenhaufen stehen, weil die Entscheidung eben tatsächlich falsch war, dann vermeiden Sie es, Ihrem Kind zu sagen: „Ich habe es doch gleich gewusst.“ Zum einen nützt es nichts, mit dieser Bemerkung Salz in die Wunde zu streuen. Und zum anderen ist Ihr Kind jetzt sicherlich offen für Ihren Trost und Ihre Hilfestellung. Diese Offenheit sollten Sie nicht dadurch wieder zunichtemachen, dass Sie Ihre Überlegenheit ausspielen. Egal wie die Situation ist, behalten Sie die Ruhe und warten Sie einfach ab. Irgendwann kommt Ihr Kind wieder auf Sie zu.

DER 16. GEBURTSTAG
Manche Jugendliche haben hohe Erwartungen an ihren 16. Geburtstag. Spätestens jetzt erhalten sie einen eigenen Personalausweis. Außerdem sind manche Jugendschutzbestimmungen nun nicht mehr relevant für sie. Ein weiterer Meilenstein auf dem Weg zum Erwachsenwerden ist für die meisten jungen Menschen der Erwerb des Führerscheins. Seitdem es die Möglichkeit gibt, den Führerschein im Rahmen des „Begleiteten Fahrens ab 17“ vorzeitig zu erwerben, ist der 16. Geburtstag ein wichtiges Datum, das die Heranwachsenden dem Führerschein näher bringt. Da jedoch meist die Eltern diejenigen sind, die den Führerschein bezahlen, können Sie diesen Erwerb auch mit der Bedingung verknüpfen, dass der oder die Heranwachsende sich an die Regeln des familiären Zusammenlebens hält. Dazu gehört es selbstverständlich, dass Jugendliche eben nicht machen, was sie wollen, sondern sich an Absprachen halten, ihr Zimmer selbst in Ordnung halten, die Hausaufgaben regelmäßig erledigen und an gemeinsamen Mahlzeiten teilnehmen. Welche Regeln für Ihre Familie wichtig sind, legen Sie selbst fest.

EINMISCHUNG DER ELTERN
Es gibt sicherlich viele Bereiche, in denen die Heranwachsenden ihre eigenen Erfahrungen machen wollen und auch müssen. Trotzdem gibt es auch Situationen, in denen Jugendliche ihre Eltern brauchen. Um das herauszufinden, ist es wichtig, mit den Kindern im Gespräch zu bleiben. Im Alter von 16, 17 oder 18 Jahren wollen Kinder oft alles selbst regeln und schweigen Probleme manchmal tot. Wenn Sie als Eltern jedoch immer wieder zeigen, dass Sie an Ihrem Kind interessiert sind und sehr wohl merken, wenn es ihm nicht gut geht, wird sich Ihr Sohn oder Ihre Tochter leichter öffnen und eine schwierige Situation zumindest andeuten. Wenn Sie erfahren, wo das Problem zu suchen ist, können Sie beispielsweise mit dem Lehrer oder dem Arbeitgeber reden und so Licht ins Dunkel bringen. Vielleicht braucht Ihr Jugendlicher auch Hilfe bei der beruflichen Orientierung. Diese Frage treibt Jugendliche oft mehr um, als sie zugeben. Manchmal passen die Noten nicht zum Wunschberuf, oder der Jugendliche hat zu nichts Lust. Versuchen Sie, gemeinsam Stärken herauszufinden und entwickeln Sie mit ihm zusammen Ideen. Es ist nicht so, dass Sie als Eltern auf dem Abstellgleis stehen und nur noch als Zaungast zuschauen müssen. Ihr Kind braucht Sie als Eltern genauso dringend wie früher. Es zeigt es nur nicht – und braucht Sie anders. Doch wenn Jugendliche begreifen, dass die Eltern immer für sie da sind, dann ist das eine gute Grundlage für Ihre Eltern-Kind- Beziehung – bis ins Erwachsenenleben hinein.

Ingrid Neufeld ist Erzieherin und Mutter von drei inzwischen erwachsenen Töchtern. Sie lebt in Mittelfranken.

Grenzenloses Vertrauen

Auch wenn nicht alles wie geplant lief: Hiltrud und Rüdiger freuen sich, dass sie immer wieder einen gemeinsamen Weg gefunden haben, selbst in einer Phase der beruflich bedingten Trennung.

 

Eine Sandkastenliebe verbindet die beiden nicht, dazu ist der Altersunterschied von fünf Jahren wohl zu groß. Aber Hiltrud und Rüdiger kennen sich schon lange. Sie waren Nachbarskinder und sangen gemeinsam im Kinderchor der Gemeinde. Danach verloren sie sich aus den Augen, doch das Singen hat sie dann wieder zueinander geführt. Nach Studienende und Rückkehr in die Heimatstadt sahen sie sich im Chor wieder und verliebten sich. Eine besondere Rolle hat dabei sicher die uneingeschränkte Offenheit in ihren Gesprächen über Gott und die Welt gespielt – in DDR-Zeiten keine Selbstverständlichkeit, weil man nie sicher sein konnte, wem man etwas anvertrauen konnte.
Das Verlieben war ein längerer Prozess, doch dann stand sehr schnell fest, dass sie heiraten wollten. Das war unumstößlich! Nach ihrer (heimlichen) Verlobung 1982 auf einer Wanderung im Harz hat sich etwas voreilig vor der geplanten Hochzeit ihr erstes Kind angekündigt. So wurde schnell das Standesamt „dazwischen“ geschoben und die geplante kirchliche Hochzeit dann als „Traufe“ (Trauung + Taufe) gefeiert. Die beiden haben das Fest noch in sehr guter Erinnerung und freuen sich auch an den drei Jahrzehnten danach: „Unser gemeinsames Leben war begleitet von vielen wunderschönen Erlebnissen, von Höhen und aber auch von Tiefen: Unsere Hochzeit, die Geburt unserer drei gesunden Kinder, die erste richtig schöne und große Wohnung im geliebten Stadtgebiet, der wundervolle Mauerfall, der erste gemeinsame ‚Westurlaub‘ … Dass wir so viel zusammen erlebt haben, das ist das Schönste und Wichtigste!“, schwärmen beide.

HARTE PROBE
Das tiefste Tal in ihrem Eheleben durchschritten sie nach der Wende, als sich Rüdigers Arbeitsstandort plötzlich um 500 Kilometer gen Westen verlagerte, obwohl er in Leipzig noch angestellt war. „Die langen Abwesenheitsphasen, das Alleinsein mit den drei Kindern, die Sehnsucht nach dem Familienleben, das hat uns auf eine harte Probe gestellt, besonders unsere drei pubertierenden Kinder. Letztlich mussten wir dann aufgrund des wirtschaftlichen Zwanges die geliebte Heimat verlassen und auch das war hart“, erzählt Hiltrud. Durch eigenen Mut und Zuversicht, Vertrauen in- und abgrundtiefe Liebe zueinander, tapfere Kinder, helfende Familie, eine neue Gemeinde, ein neuer Chor, treue alte und neue Freunde haben sie geschafft, die schmerzhafte Veränderung auszuhalten und durchzustehen.
Für die beiden ist grenzenloses Vertrauen in den Partner eine der wichtigsten Grundlagen ihrer Partnerschaft. Sie legen Wert auf offene und ehrliche Kommunikation. „Schwierig in unserer Ehe ist bei uns wohl vor allem die Diskrepanz zwischen weiblicher Emotionalität und männlicher Rationalität, wenn es um grundlegende Entscheidungen geht. Aber auch dann hilft es, miteinander zu reden! Es fällt uns leicht, uns unsere Liebe durch kleine Gesten bewusst zu machen und es ist wichtig, das auch immer wieder in Worte zu fassen“, meint Rüdiger.
Wichtig ist ihnen auch ihnen auch ihr Trauspruch, der ihnen oft Wegweiser und immer wieder Hoffnungssignal geblieben ist: „Christus spricht: Den Frieden lasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch. Nicht gebe ich euch, wie die Welt gibt. Euer Herz erschrecke nicht und fürchte sich nicht.“ (Johannes 14/27)

Priska Lachmann ist verheiratet, zweifach Mama, Theologin, freie Redakteurin und Bloggerin von www.leipzigmama.com

 

Beim Umzug helfen?

„Unser Sohn (23) zieht in eine neue Wohnung, wo noch viel renoviert werden muss. Dafür erwartet er unsere Hilfe. Wir haben aber gerade selbst viel um die Ohren und denken, dass er alt genug ist, um so etwas allein zu regeln. Können wir ihm absagen?“

 

Wenn die Kinder das Nest verlassen haben, bleibt bei Eltern oft nicht das erwartete Freiheitsgefühl, sondern ein Wehmutsgefühl zurück. Loslassen ist nicht einfach. Eltern müssen akzeptieren, dass ihr Kind sein eigenes Leben lebt. Es beinhaltet aber auch, dem Kind sein Erwachsensein zuzugestehen, ihm einen eigenen Lebensstil und eigene Entscheidungen auch innerlich zu erlauben. So eine Beziehung auf Augenhöhe fühlt sich nach all den Jahren der Fürsorge und Verantwortung erst einmal fremd an. Die Eltern-Kind-Beziehung wächst in ein neues Stadium hinein, das Schritt für Schritt ertastet werden will. Vieles daran fühlt sich ungewohnt an. Zum Beispiel, dass es zu einem ausgewogenen Geben und Nehmen kommen darf. Wir sind nicht mehr die nur Starken und Überlegenen, sondern wir dürfen uns auch mit unseren Schwächen und Grenzen zumuten.

ABSAGE ZUMUTEN
In Ihrer Frage wird deutlich: Da hat schon jemand das Nest verlassen. Sowohl Sie als auch Ihr Sohn haben ein jeweils eigenes, erfülltes Leben. Deshalb gilt: Ihr Sohn ist selbst verantwortlich für seinen Umzug. Dass Sie als Eltern noch gefragt werden, ist ja auch schön und zeugt von familiärer Verbundenheit. Im besten Falle hat sich zwischen Ihnen und Ihrem Sohn ein freundschaftliches Nebeneinander entwickelt. Und wie es unter guten Freunden üblich ist, darf man sich auch mit seinen Unvollkommenheiten zeigen. Auch Sie als Eltern haben Grenzen, zum Beispiel weil Sie keine Zeit haben, gesundheitlich nicht mehr so viel leisten können oder zu weit weg wohnen. Nehmen Sie auf einer erwachsenen Ebene Kontakt zu Ihrem Sohn auf und muten ihm eine Absage zu. Ihr Sohn muss lernen, dass einseitige Ansprüche der Vergangenheit angehören. Eltern wollen fair gefragt werden. Und auf eine Frage darf man auch mit „Nein“ antworten.

RÜCKHALTLOSES ZUTRAUEN
Wir als Eltern sind nicht mehr verantwortlich für das Wohlergehen unserer erwachsenen Kinder. Und damit auch nicht für das Gelingen eines Umzugs. Diese Verantwortung liegt beim Sohn (oder der Tochter). Was Ihr Sohn braucht, ist Ihr rückhaltloses Zutrauen. Hat er das? Oder denken Sie, dass der Umzug ohne Ihre Mithilfe scheitern wird? Vielleicht lohnt es sich, wenn Sie über folgende Fragen nachdenken: Warum könnte es mir schwer fallen, Nein zu sagen? Was daran macht mir Angst? Dass unser Sohn Dinge falsch einschätzt und Fehler machen wird? Dass der Umzug misslingt? Halte ich es aus, wenn es vielleicht chaotisch läuft? Habe ich die Befürchtung, dass es mit einer Absage zu einem (grundsätzlichen) Konflikt kommen wird? Dass sogar die Beziehung als solche in Frage gestellt werden wird? Wollen wir einmal grundsätzlich miteinander darüber sprechen, wie jeder von uns sich eine erwachsene Eltern-Kind-Beziehung vorstellt, was jeder bisher erwartet hat, was sich jeder wünschen würde?

 

Michaela Schnabel ist Mutter von drei Töchtern, die ihre weltweiten Umzüge sehr selbstständig organisieren. Sie arbeitet als Sozialpädagogin und lebt in Witten.